Monoputtel und die Freiheit der Kunst

Monoputtel und die Freiheit der Kunst – Die Heimkehr

Autor: Karl Kollar

Schmetterlinge im Bauch! Seit langer Zeit spürte Peter wieder einmal diese so aufregende Gefühl. Er wusste, dass er nur noch eine Nacht warten musste und dann würde SIE kommen: Claudia, seine Jugendliebe. Damals war sie für ihn allerdings unerreichbar, denn sie war die Tochter des Grafen, für den Peter und seine Familie schon seit Jahren arbeiten.

Heute war er etwas reifer und entsprechend war er fest entschlossen, sich diesmal von den sogenannten Standesunterschieden nicht mehr abhalten zu lassen. Er hoffte unbändig, dass es dafür noch nicht zu spät war.

Er hatte zusammen mit seinen Eltern in den letzten Tage in der Villa des Grafen diverse Umbauten vorgenommen, so wie es von der Familie für deren Rückkehr gewünscht worden war. Und damit hatten sie bis eben zu tun gehabt. Jetzt saßen sie zusammen beim Abendbrot und ließen den so arbeitsreichen Sonntag ausklingen.

Peter legte Messer und Gabel neben seinen Teller und blickte seinen Vater Eckhard fragend an. »Meinst Du nicht, wir sollten noch einmal einen Kontrollgang machen? Morgen kommt die Familie und dann sollte doch alles perfekt sein.«

Eckhard wischte sich mit der Servierte den Mund ab und legte sie neben seinen Teller. »Ich weiß echt nicht, was das alles soll.« Er machte einen unentschlossenen Eindruck.

Seine Frau Franziska trank einen Schluck von ihrem Tee, dann blickte sie ihre Männer auffordernd an. »Das solltet ihr machen. Schließlich hat die Familie uns eine ganze Menge Geld dafür gegeben. Ich möchte, dass sie mit uns zufrieden sind.«

Peter stand auf. »Also, gehen wir.«

Sein Vater blickte ihn verärgert an. »Jetzt sei doch nicht so ungemütlich.«

Franziska legte ihm die Hand auf den Arm. »Er freut sich halt auf Claudia.« Sie lächelte ihnen Mann an.

Eckhard stand auf und schob seinen Stuhl an den Tisch. »Das Mädchen ist nichts für Dich.« Seine Stimme klang gereizt. »Das war sie damals nicht und das wird sie auch Morgen nicht sein.«

Innerlich seufzte Peter, denn er fürchtete, sein Vater könne Recht haben. Trotzdem freute er sich sehr , seine Sandkasten- und Jugendliebe wiederzusehen.

Er ging zu dem Schlüsselbrett und suchte nach dem richtigen Bund. Hier hingen all die Schlüssel, die er und seine Eltern für ihre täglichen Aufgaben brauchten. Er pflegte den großen Park, der zur Villa gehörte, während sein Vater sich als Hausmeister um das Gebäude kümmerte. Seine Mutter ging zweimal die Woche hinüber zum Grafen zum Putzen, ansonsten führte sie den Haushalt für sich und ihre beiden Männer. So hatten sie ein knappes Auskommen, aber es reichte zum Leben. Trotzdem war der Sonderauftrag der Gräfin ein willkommenes Zubrot zu ihrem Einkommen.

Peter drehte sich zu seinem Vater um. »Lass uns gehen.«

Doch die Mutter hielt sie zurück. »Wartet noch, ihr könnt gleich die Bezüge für die neuen Stühle mitnehmen.« Sie stand auf und verließ die Küche. Nach kurzer Zeit kam sie zurück und reichte ihnen einen Stapel Stoff. »Die Schneiderin lässt ausrichten, dass sie passen müssten, auch wenn die Stühle keine normalen Stühle sind.«

Peter wusste, was sie meinte. Die Stühle, die der Schreiner gestern geliefert hatte, hatten in der Rückenlehne eine große Aussparung. Er nahm den Stapel von seiner Mutter entgegen, dann ging er seinem Vater hinterher.

Den Weg von seinem Elternhaus zu der alten Fabrikantenvilla kannte Peter auswendig, so oft war er ihn in den letzten Tagen gegangen. Sie hatten dort sehr viel verändern müssen. Doch jedes mal, wenn er die fünfzehn flachen Stufen empor schritt, war sein Blick auf die beiden großen Fenster gerichtet, hinter denen Claudias Zimmer lagen. Er musste dabei gar nicht mehr auf die Stufen achten, denn den Weg kannte er auswendig.

In seinen Gedanken sah er sich zurückversetzt in die Kindheit, wenn er damals ziemlich naiv diesen Weg ging, um Claudia zu besuchen oder sie zum Spielen abzuholen. Erst als Claudia auf das Gymnasium in der Nachbarstadt ging und er in die Realschule im Ort, begannen sie sich schleichend aus den Augen zu verlieren. Die beiden Elternpaare taten damals das Ihrige, um aus der Sandkastenliebe eben keine tiefer gehende Beziehung werden zu lassen und ohne dass es ihnen so richtig bewusst geworden war, sind sie verschiedene Wege gegangen. Innerlich seufzte Peter.

Er wartete, bis sein Vater in dem großen Schlüsselbund den richtigen Schlüssel gefunden und die Tür des ehemaligen Dienstboteneingangs geöffnet hatte, dann betrat er hinter ihm die »heiligen Hallen«. Auch wenn Claudia schon seit einigen Jahren nicht mehr anwesend war, spürte Peter sie auch noch heute in jedem Winkel der großen Villa.

Sie gingen als erstes in das Esszimmer. Im Gegensatz zu einigen anderen größeren Häusern gab es hier keine strikte Trennung zwischen Küche und Esszimmer, stattdessen waren die Übergänge fließend. Peter legte den Stapel mit den Bezügen auf den Esstisch und suchte den heraus, der mit »Esszimmer« beschriftet war. Die Schneiderin hatte bei jedem Bezug einen kleinen Zettel dazu gesteckt, auf dem stand, für welchen der Stühle der jeweilige Bezug gedacht war.

Er breitete den Bezug auseinander und ging dann auf den Stuhl zu, den der Schreiner vor ein paar Tagen erst geliefert hatte. Während er sehr ehrfürchtig die Stoffhülle über den Stuhl zog, dachte er darüber nach, was der Schreiner ihm zu dem Stuhl gesagt hatte.

Der Stuhl sollte besonders robust sein und sehr stabil, dies war ausdrücklich gefordert. Das Aussehen war weniger wichtig, da für den Stuhl ein Überzug vorgesehen war. Auch die Befestigung der verschiedenen Lederriemen mit ihren Schnallen war sehr detailliert beschrieben gewesen. Was Peter aber am meisten irritierte war die Tatsache, dass die Vorgaben für die Stühle als auch alle anderen Angaben für die Umbauten von Claudia selbst stammten.

Sehr sorgfältig zog Peter den Stoffbezug über die Rückenlehne nach unten. An der Lehne waren zwei Riemenpaare befestigt, die Peter durch die entsprechenden Löcher im Bezug ziehen musste. Die Riemen würden von der Person, die darauf sitzen würden, den Oberkörper an die Lehne fesseln.

Auf den beiden Armlehnen waren weitere Lederriemen angebracht, die Peter ebenfalls durch die Löcher im Stoff zog. So ganz nebenbei wunderte er sich über die gute Zusammenarbeit zwischen Schreiner und Schneiderin, denn der Bezug passte trotz der Lederriemen, ohne irgendwo Falten zu werfen.

An dem beiden vorderen Stuhlbeinen waren ebenfalls Lederriemen angebracht und Peter fand dies irgendwo nur konsequent. Wenn schon Oberkörper und Arme fixiert waren, dann sollten auch die Beine ruhig gestellt werden. Er fragte sich insgeheim, wer von der Familie wohl auf diesem Stuhl Platz nehmen und seine Freiheit verlieren würde. Claudia würde es sicher nicht sein, soweit war er sich sicher. Schließlich kamen die ganzen Aufträge letztendlich von ihr.

Noch ein anderes Detail des Stuhles machte ihn stutzig, vor allem weil sich so etwas ähnliches auch bei den Sesseln in den anderen Räumen wiederfand. In der Rückenlehne fehlte ein großes Stück. Er hatte schon lange darüber nachgedacht, welchen Sinn dies hatte. Die einzige Erklärung, die er bisher gefunden hatte, war dass die darauf sitzende Person die Arme auf dem Rücken gefesselt haben müsste. Er wagte diesen Gedanken nie zu Ende zu denken.

Er strich noch einmal über den Stoff und zog hier und da ein wenig daran herum, bis er mit dem Sitz des Bezuges zufrieden war. Er wagte es allerdings nicht, auf dem Stuhl Platz zu nehmen.

Auf dem Weg ins Wohnzimmer dachte er noch einmal über das nach, was ihm seine Eltern wieder und wieder erzählt hatten, wenn er danach fragte. Die Aufträge für die vielen Umbauten stammten alle von Claudia, hatten sie immer wieder beteuert. Vor einiger Zeit, als er in der Uni war, war Claudia mit ihrer Managerin zu Besuch und hatten die Veränderungen in Auftrag gegeben. Dabei war Claudia die treibende Kraft.

Wenn es Claudia nicht selbst in Auftrag gegeben hätte, würde Peter vermuten, dass sie hier gefangen gehalten wurde. Aber so war es ihm ein Rätsel, wer hier gefangen gehalten werden sollte. Denn wenn er an die Veränderungen in Claudias Zimmer dachte, dann konnte es sich nur um eine Gefangenschaft handeln.

Der Stuhl im Wohnzimmer bekam ebenfalls einen Überzug. Wieder war Peter fasziniert von der Genauigkeit, mit der an beiden Gegenständen gearbeitet wurde, denn auch dieser Überzug passte, ohne irgendwelche Falten zu werfen.

Sein Blick fiel auf den Sessel, den die Polsterei umarbeiten musste. Jetzt hatte er in der Rückenlehne eine ähnliche Aussparung wie die Stühle auch. Peter zwang sich dazu, über die Person, die dort sitzen würde, nicht weiter nachzudenken.



Mit viel Herzklopfen stieg Peter die Treppe empor zum ersten Obergeschoss. Sein Vater war gerade dabei, Handfeger und Fegeblech weg zu räumen. »Gut dass Du kommst. Allein gehe ich da nicht mehr rein.«

Peter lächelte kurz. Er wusste, was sein Vater meinte. Die deutlichste Veränderung hatte die Tür zu Claudias Reich erfahren. Der Schreiner hatte eine komplett neue Tür samt Zarge geliefert, denn nur so ließ sich die besondere Anforderung an diese Tür umsetzen. Seit die Tür eingebaut war, was es nicht mehr möglich, die Tür von innen zu öffnen. Es war nichts dafür vorgesehen, es gab keinen Griff oder ein Schlüsselloch. Von innen zeigte nur ein ganz schmaler Spalt wo der Übergang von Tür zu Zarge war. Zudem war eine Feder eingebaut, der die Tür, falls sie offen sein sollte, sanft aber unerbittlich wieder zu drückte und ins Schloss fallen ließ. Es war auch nicht möglich, die Tür wie sonst mit Hilfe einer sehr dünnen Karte zu öffnen. Dafür war extra ein kleines Schutzblech vorgesehen, welches diese Versuche zunichte machen würde.

Peter dachte mit Gänsehaut daran, dass die Person in dem Raum keine Möglichkeit haben würde, die Tür zu öffnen. Er hatte dies zusammen mit seinem Vater unfreiwillig ausprobiert. Franziska musste erst kommen und sie freilassen, nachdem sie sich mit dem Handy bemerkbar gemacht hatten. Peter fragte sich immer wieder, wer hier wohl wohnen und damit gefangen gehalten werden sollte. Die neue Gräfin hatte zwei Töchter, aber er konnte sich auch nicht vorstellen, dass eine davon in diesem Raum einziehen würde.

Immer wieder hatte Peter sich bestätigen lassen, dass es Claudia war, die all diese Veränderungen haben wollte und dass sie ihrer Managerin die Aufträge dazu gegeben hatte.

Peters Vater ging zu den Fenstern, um sie zu schließen. Er hatte sie den Tag über aufgelassen, um den Raum noch einmal gründlich durchlüften zu lassen. In Zukunft würde dies nicht mehr so einfach möglich sein. Die beiden großen Fenster nach hinten hinaus sowie das Fenster in der Sitzecke waren mit einem Schloss versehen und konnten nur noch mit einem Schlüssel geöffnet werden. Nur das kleine Fenster neben dem Bett konnte ohne Schlüssel geöffnet werden, dafür konnte dieses jetzt nur noch auf Kipp geöffnet werden, ein richtiges Öffnen war nicht mehr möglich.

Peters Blick fiel auf das große Himmelbett, welches in der rechten Hälfte des Zimmers stand. Beim dem Bett war die Sache eigentlich ziemlich eindeutig. Claudia wollte IHR Bett so umgebaut haben, wie es in dieser Geschichte der widerspenstigen Erbin beschrieben war. Peter hatte diese Geschichte deswegen extra nachgelesen, sowohl auf Deutsch als auch im Original als »The reluctant heiress«. Das Claudia versuchen könnte, dieser Tara nachzueifern, dies wollte ihm nicht in den Sinn kommen. Oder er verdrängte es.

Das neue Bett war auf jeden Fall eine exzellente Zusammenarbeit zwischen dem Schreiner und der Schneiderin. Letztere hatte extra reißfeste Seide für die Vorhänge ausgewählt, die obwohl sie fast durchsichtig war, doch ohne Hilfsmittel nicht zu beschädigen war. Es war das gleiche Material, aus dem auch Fallschirme gemacht wurden.

Der Schreiner hatte an dem Bett die von Claudia geforderten Verstärkungen eingebaut und es so robust ausgestattet, dass es selbst durch wildes Herumtoben nicht einmal zum Wackeln gebracht werden konnte. Dafür musste es allerdings auch an Boden und Decke befestigt werden, was durch in Claudias Interesse gewesen war.

Besonders raffiniert war allerdings der Überbau über den Vorhang. Die beiden Vorhangteile waren wie bei einem Zelteingang in der Mitte und unten nach links und rechts zu öffnen. Von außen war auf Höhe der Matratze noch ein Brett waagerecht vor das Bett befestigt, welches den Vorhang bedeckte. Wenn der Vorhang komplett geschlossen war, dann war es von innerhalb des Bettes nicht mehr möglich, an den Verschluss zu gelangen und die Person, die sich innen befand, war quasi darin gefangen.

Peter erinnerte sich daran, als er beim Aufbauen des Bettes geholfen hatte und zur Probe, ob der Effekt wirklich erreicht wurde, sich in dem Bett einschließen ließ. Der Vorhang war straff gespannt und der Spalt zwischen Bett und dem äußeren Brett war nur ein paar Millimeter breit, so dass er nicht einmal einen Finger hindurch stecken konnte, um dort den Verschluss zu erreichen. Es war ihm aber auch nicht möglich von innen über das Brett hinweg den Verschluss zu erreichen, dazu war der Vorhang zu straff gespannt und gab auch nicht nach.

Wiederum beruhigend waren die sehr empfindlichen Rauchmelder, die überall einzubauen waren und die bei Auslösung ein Öffnen des Bettes, sowie der Türen und Fenster erlaubten. Dies war ausdrücklich zu testen gewesen.

»Bist Du fertig?« Sein Vater riss Peter aus seinen Gedanken.

Peter blickte auf und sah sich um. Sowohl der Schreibtischstuhl als auch der Stuhl in der Sitzecke waren noch mit dem Überzug zu versehen und warteten auf ihre neue Aufgabe. Irgendwie war Peter sehr gespannt, wer hier wohl gefangen gehalten werden würde.

Sein Vater trieb ihn an. »Beeile dich, sonst macht Mutter sich wieder Sorgen und das muss doch nicht sein.«

Peter versprach es und ging zum Schreibtisch.



»Die Managerin hat angerufen«, Peters Mutter verbesserte sich, »Ach, das ist ja jetzt die Gräfin. Sie fragt, ob ihr Morgen da wärt und noch kleinere Änderungen vornehmen könntet, falls das erforderlich sein sollte.« Sie sagte, dass sie es gleich zugesagt hätte. »Das geht doch oder?«

Peter sagte, dass es machbar sein würde. »Ich habe mir Morgen ohnehin freigehalten.«

Sein Vater blickte ihn enttäuscht an. »Du machst Dir immer noch Hoffnungen?«

Peter überhörte das. »Ich wüsste bloß zu gern, wofür diese ganzen Umbauten sein sollen.«

Peters Mutter erinnerte sich. »Soweit ich Claudia damals richtig verstanden habe, soll das zu ihrem Alltag gehören. Zumindest hat sie sich das so vorgestellt.«

Peter glaubte sich verhört zu haben. Seine Claudia sollte hier gefangen gehalten werden und noch dazu auf ihren eigenen Wunsch hin. »Bist Du Dir da ganz sicher?« Er wollte und konnte es nicht glauben.

Bei ihrem letzten Zwischenstopp während ihrer Tournee hatten Claudia und die Managerin zusammen die gewünschten Umbauten in Auftrag gegeben. Es war sehr detailliert beschrieben, was zu tun ist, nur es wurde nie gesagt, welchen konkreten Zweck es haben sollte. Peters Mutter erinnerte sich, dass Claudia die treibende Kraft war und dass von ihr die meisten Anforderungen kamen. Sie beschrieb noch einmal den Auftritt von damals. »Claudia hatte mehrere Listen dabei und hat ihre Wünsche vorgetragen. Tanja, die jetzige Gräfin hat nur die jeweiligen Kosten geschätzt und uns dann das Geld dafür da gelassen.«

»Trotzdem«, Peter wollte es nicht wahr haben. »Ich glaube es nicht. Warum sollte sie so etwas wollen?«

Seine Mutter erinnerte sich. »Es hatte irgendwie mit Kunstprojekten zu tun.«

Peter stellte zu seinem eigenen Erschrecken fest, dass er über Claudia eigentlich gar nicht mehr viel wusste, außer das sie lange Zeit zusammen gespielt hatten und das es zumindest von seiner Seite her die erste Liebe war.



Es klingelte. Peters Mutter ging zur Tür und öffnete. Es war Roswita, die Schneiderin. »Entschuldige bitte die späte Störung. Ich eben gerade mit der Arbeit fertig geworden und möchte sie abliefern.« Sie lebte im Ort und war eine langjährige Freundin von Peters Mutter.

Franziska lud ihre Freundin ein, doch kurz Platz zu nehmen.

Die Schneiderin nahm dankend an setzte sich an den Tisch. »Das war schon eine sehr wunderliche Bestellung, die die Gräfin im Namen ihrer Tochter veranlasst hat.«

Peter wurde hellhörig. »Was wollte Claudia denn haben?«

Roswita war erleichtert, über ihren Auftrag reden zu können, denn es kam ihr schon sehr seltsam vor. »Viele Sachen von Claudia sollte ich ändern.« Sie beschrieb, was sie als Auftrag bekommen hatte. »Bei einigen Jacken sollte ich die Ärmel an der Körperseite fest nähen, bei dem Mantel sogar auf der ganzen Ärmellänge.«

Peter hörte sehr aufmerksam zu.

»Bei den schicken engen Röcken sollte ich die Gehschlitze zunähen oder mit einem Reißverschluss versehen. Und bei den Hosen die Beine zusammennähen bis zu den Knien.« Sie holte tief Luft. »Habt ihr eine Idee, was das soll?«

Peters Vater berichtete seinerseits von den Umbauten des Hauses und schüttelte genauso den Kopf. »Es ist völlig unklar, warum Claudia solche Änderungen in Auftrag gab.«

»Aber das verrückteste sind die Nachthemden, die ich umarbeiten oder nähen musste« Sie holte eines davon aus dem Stapel, den sich vor sich auf den Tisch gelegt hatte. »Schaut her. Überall sollte ich Stoffösen und Bänder anbringen. Damit könnte man richtiggehend festgebunden werden, fast so wie bei einer Zwangsjacke.« Sie schüttelte wieder den Kopf.

Peters Vater wollte sich an den Spekulationen nicht beteiligen. »Morgen werden wir mehr wissen. Da kommen sie zurück«

»Wie lange war der Graf jetzt weg?« fragte Roswita.

»Bald nach dem Tod der Gräfin sind sie zu einer Reise aufgebrochen.« wusste Franziska zu berichten. »Der Graf, Claudia und ihre Managerin Tanja. Auf der Reise hat er dann Tanja geheiratet.«

»Wieso eigentlich Managerin?« fragte Peter, der zu der Zeit in einer anderen Stadt studiert hatte.

»Claudia hat doch mehrere Ausstellungen veranstaltet mit ihren Kunstwerken«, beschrieb Roswita, »und ihre Mutter hat dafür eine Managerin eingestellt.«

Peter wurde hellhörig. »Was waren das denn für Ausstellungen.«

Roswita versuchte sich zu erinnern. »Oh, das war vermutlich ein großer Misserfolg. Irgendwie Gewalt gegen Frauen. Auf jeden Fall war Claudia das Modell und war fast auf jedem Foto irgendwie festgebunden oder eingesperrt.«

Peter hielt die Luft an.

»Es hat einigen Wirbel in der Presse gegeben und dann wurde die Ausstellung wieder abgesetzt. Claudia hat das damals irgendwie tief getroffen.«

So langsam begann das Bild von Claudia für Peter wieder einen Sinn zu ergeben und er erinnerte sich an die Spiele von damals, bei denen Claudia immer festgebunden werden wollte. Er hatte dies verdrängt, weil er dabei immer irgendwie ein schlechtes Gewissen hatte.

* * *

Peter war sehr früh aufgestanden, er war sogar vor einen Eltern wach. Das hatte ihm ein paar bissige Kommentare eingebracht, denn natürlich war er wegen der Ankunft von Claudia so früh auf den Beinen. Heute würden sie kommen, so hatte es die Managerin und jetzige Gräfin angekündigt.

Er hatte sich die Heckenschere geschnappt und schnitt schon zum dritten Mal die Hecke zum Parkplatz etwas nach. Das war zwar völlig überflüssig, aber von hier hatte er sowohl die Straße als auch den Parkplatz für die Autos bestens im Blick. Er freute sich, endlich seine Jugendliebe wiederzusehen, und insgeheim hoffte er, dass die alte Liebe vielleicht wieder aufflammen könnte. Auch wenn die Hindernisse zwischen ihnen nicht kleiner geworden waren.

Die Umbauten irritierten ihn ziemlich, er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wofür die sein sollten und was Claudia mit diesen seltsamen Aufträgen bezweckte.

Nachdem Peter jeden Zweig an der Hecke schon mindestens drei mal gekürzt hatte und er schon kritische Bemerkungen seines Vaters anhören musste, wurde er endlich erlöst. Zwei Autos kamen die Straße herauf gefahren, zuerst ein großer BMW, dahinter ein kleiner Transporter.

Der BMW fuhr auf den Parkplatz und hielt an. Peter konnte bei einem ersten schnellen Blick in das Auto drei Personen erkennen. Der Graf saß am Steuer und hinten auf den Rücksitzen saßen zwei junge Damen, die er nicht kannte. Das mussten die Töchter der neuen Gräfin sein. Von Claudia sah er nichts.

Er blickte zum Transporter, der daneben anhielt. Er wurde von Claudias Managerin gesteuert. Von Claudia war keine Spur. Verwirrt blickte er zwischen den beiden Autos hin und her.

Peters Eltern schienen auch gewartet zu haben, denn es öffnete sich die Haustür und sie kamen ebenfalls auf den Parkplatz.

Der Graf war inzwischen ausgestiegen und half seiner Frau beim Aussteigen aus dem Transporter, dann gingen sie auf Peters Eltern zu.

Sie begrüßten sich fast wie alte Freunde, nicht unbedingt wie Angestellte. Immerhin arbeitete Eckhard schon sehr lange für die Familie, er war schon vom Vater des Grafen eingestellt worden.

Der Graf stellte seine neue Frau vor. »Sie kennen Tanja ja schon länger.« Er ergriff ihre Hand. »Wir haben in San Francisco geheiratet.«

Peters Eltern gaben Tanja die Hand und gratulierten ihr.

Peter hatte seine Heckenschere weggelegt und war zu seinen Eltern getreten. Er begrüßte das Paar ebenfalls. Dann warf er einen Blick zum BMW, in dem die Töchter immer noch auf der Rückbank saßen. Er hätte schon gern gewusst, wo Claudia war, doch er traute sich nicht, so direkt zu fragen.

Peters Vater ergriff das Wort. »Ich hoffe, sie werden mit unseren Umbauten zufrieden sein.«

Tanja antwortete ihm. »Ganz bestimmt. Bisher konnten wir uns immer hervorragend auf ihre Arbeiten verlassen.« Es war nicht nur Höflichkeit.

Ihr Blick fiel auf die Autos. »Ach ich muss ja meinen beiden Lieblingen ja beim Aussteigen helfen.« Sie sagte es so, als ob es diesmal etwas besonderes wäre. Sie ging zum Auto, öffnete die hintere Tür und beugte sich hinein. Nach kurzer Zeit ging sie zur anderen Seite und öffnete ebenfalls die Tür.

Peter stockte der Atem, als er sah, wie die beiden Töchter der Gräfin vorsichtig und langsam aus dem Auto stiegen. Der Grund für ihre langsamen und vorsichtigen Bewegungen war jeweils ein lederner schwarzer Monohandschuh, der ihre Arme auf dem Rücken gefangen hielt und mit dem sie offensichtlich nicht besonders vertraut waren.

Die Mädchen waren irgendwie wenig begeistert. Auch wenn Peter nicht wirklich verstehen konnte, was sie sagten, waren ihre Gesichter doch recht eindeutig zu lesen.

Tanja schien dies auch zu stören. Sie warf die Autotür zu und blickte ihre Töchter böse an. »Wir hatten das doch schon besprochen. Jetzt seid gefälligst ruhig, sonst lasse ich euch Claudias Knebel auch noch testen.«

Die Drohung schien zu wirken, denn die beiden Schwestern gaben augenblicklich Ruhe.

Peter gab es einen Stich, denn es erinnerte ihn stark an Claudia und ihre verrückten Ideen von damals. Er hatte das alles nach der unfreiwilligen Trennung ziemlich verdrängt, jetzt drängten die Erinnerungen und Gefühle wieder nach oben.

Der Graf blickte wohlwollend auf die drei. »Das sind Tanjas Töchter. Ich habe sie praktisch dazu bekommen.« Er lächelte.

Tanja legte ihre Arme um ihre Töchter und blickte sie nacheinander an. »Das sind Sylvia und Cordula. Sie haben sich bereit erklärt, die Umbauten anstelle von Claudia auszutesten.«

Die beiden Mädchen stöhnten und beklagten sich über die Strenge der Handschuhe.

Tanja lachte nur. »Jetzt habt euch nicht so, ihr steckt da ja gerade mal fünf Minuten drin. Denkt an Claudia und wie lange sie einen Mono tragen kann.«

Die beiden Schwestern schmollten etwas.

Bei der Erinnerung an Claudia wurde Peter hellhörig. Doch er wusste nicht, wie er genau fragen sollte. Aber die beiden Frauen mit den gut angelegten Handschuhen irritierten ihn sehr. Er fühlte irgendwie lange vergrabene Gefühle wieder an die Oberfläche kommen.

»Claudia lässt sich entschuldigen, sie hat noch einige Sachen im Museum zu erledigen.« Tanja war etwas verlegen, denn schließlich hätte Claudia bei diesem Termin anwesend sein sollen. »Sie kommt dann Morgen nach. Berta ist bei ihr und wird sie dann hierher bringen.«

Der Graf spürte die offenen Fragen. »Die Umbauten werden wir trotzdem heute schon begutachten. Meine Lieben werden testen.« Er blickte wohlwollend zu seinen drei Damen.

Peter fiel es schwer, seine Enttäuschung nicht zu zeigen, denn er hatte sich sehr auf ein Wiedersehen mit seiner Jugendliebe gefreut. Zudem hätte er sehr gern gewusst, welchen Zweck all die Umbauten haben würden. So musste er sich noch einen Tag gedulden.

Die Blicke, die ihm die beiden Töchter zuwarfen, sah er nicht. Unter normalen Umständen wäre er wegen der Monohandschuhe sehr nervös geworden, denn diese Gebilde hatte ihn schon immer fasziniert. Doch heute kreuzten seine Gedanken einzig und allein um Claudia und ihr zukünftiges Leben.

Tanja ergriff das Wort. »Nun, dann lasst uns hinein gehen.« Sie drehte sich zu ihren Töchtern. »Sylvia und Cordula, ihr geht voran.«

Ein gemeinsames Stöhnen der Töchter war die Antwort, doch dann kamen sie der Anweisung ihrer Mutter nach und gingen auf die Haus zu. Sowohl der Graf als auch seine Frau blieben vor der Haustür stehen und blickte Sylvia und ihre Schwester erwartungsvoll an.

Die beiden blickte leicht verärgert zurück.

»Bitte macht uns die Tür auf.« Die Stimme von Tanja klang hörbar belustigt.

Sylvia hatte den Ton gehört. »Das ist nicht lustig.« Doch dann drehte sie sich zur Haustür und versuchte, mit ihren verpackten Armen die Klinke herunter zu drücken.

Es dauert einige Zeit, bis Sylvia es geschafft hatte, die Klinke mit der wenigen ihr zur Verfügung stehenden Armfreiheit herunter zu drücken. Für einen kurzen Moment trug ihr Gesicht etwas Stolz, doch dann schmollte sie wieder.

Tanja blickte mit einiger Genugtuung auf die offene Tür sowie den Monohandschuh ihrer Tochter. »Das passt. Claudia hat darin ohnehin viel mehr Übung.«

»Du hast uns versprochen, dass wir gleich unsere Zimmer beziehen dürfen« Sylvia blickte ihre Mutter erwartungsvoll an.

Diese seufzte. »Ihr benehmt Euch wie kleine Kinder.«

Peter blickte verstohlen zu den beiden Schwestern hinüber, die mit ihrer Armfesselung sichtbar zu kämpfen hatten.

»Du hast es uns versprochen, sonst würden wir diesen Quatsch nicht mitmachen.« Bei dem Wort 'Quatsch' wedelte sie deutlich mit ihren lederverpackten Armen.

»Herr Gruber, würden Sie bitten meinen Töchtern ihre Zimmer zeigen?« sie blickte Peter auffordernd an.

Innerlich verdrehte Peter die Augen, doch dann bemühte er sich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und ging zur Treppe.

Wieder war es Sylvia, die Extrawünsche hatte. »Bring doch bitte gleich unsere Koffer mit. Wir können uns dann etwas frisch machen.«

Peter blickte nur für einen kurzen Moment auf die Arme der Schwestern, dann drehte er sich um und ging wieder zur Haustür.

»Die beiden roten Koffer«, rief Sylvia ihm hinterher.

Peter ging zum BMW und machte den Kofferraum auf. Die beiden Koffer waren wegen ihrer Größe nicht zu übersehen. Er nahm erst den einen, dann den anderen heraus und stellte sie neben sich. Er schloss den Kofferraum wieder, dann trug er die Koffer ins Haus.

Die Töchter hatte immerhin schon das erste Stockwerk hinter sich. Peter konnte jetzt, da er hinter ihnen ging, ihnen genüsslich zusehen, wie sie sich mit dem Mono abmühten. Sie konnten sich weder mit dem Armen abstützten noch gut bei den Treppen balancieren. Entsprechend gingen sie sehr langsam die Treppe heraus.

Im Zimmer angekommen war Peter erleichtert, die Koffer abstellen zu können. Sofort war er von den beiden Töchtern umringt, die sich ihm sichtlich aufdrängten. »Du wirst uns helfen.« sagte Cordula in einem sehr liebevollen Ton.

Peter fühlte sich wegen der Nähe der beiden Monohandschuh-Trägerinnen sichtlich geschmeichelt, »Was möchten ihr denn?«

»Du wirst uns aus den Handschuhen heraus lassen.« Sylvia hatte jetzt den gleichen Tonfall wie ihre Schwester.

Insgeheim war das Peter zwar gar nicht recht, doch da er nicht so viel von seinem Inneren preisgeben wollte, ging er darauf ein. »Dreht euch bitte um.« Doch als die Schwestern ihm den Rücken zudrehten, musste er sie enttäuschen. »Ich kann Euch da nicht heraus lassen, die Handschuhe sind abgeschlossen.«

Beide Mädchen waren empört. »Das war nicht abgesprochen.«

»Was war nicht abgesprochen?« Eine sichtlich gut gelaunte Tanja hatte den Raum betreten. Es war deutlich sichtbar, dass sie sich freute, ihre Töchter bei einem Schummelversuch erwischt zu haben.

»Du hast unsere Handschuhe abgeschlossen?« Ihre Augen funkelten vor Ärger.

»Ich möchte sicher gehen, dass ihr Eure Schwester gut vertretet.« Das Grinsen in ihrer Stimme war deutlich zu hören.

»Warum müssen wir eigentlich wegen ihr leiden?« Sylvias Stimme zeigte, dass sie es im Gegensatz zu ihrer Mutter nicht spaßig fand. »Bei Aschenputtel ist das doch umgekehrt.«

Peter verstand erst gar nicht, was die Tochter mit der Bemerkung zu Aschenputtel wollte. Doch dann erkannte er, wie es gemeint war. Claudia war die Tochter des Grafen, der neu geheiratet hatte und damit hatte Claudia zwei Stiefschwestern bekommen.

»Jetzt habt euch nicht so.« Tanja wiegelte ab. »Claudia wird noch genug leiden, ihr wisst doch, was sie sich alles ausgedacht hat.

* * *

Peters Mutter rührte noch einmal den Eintopf um und wartete auf ihre Männer. Sie hoffte, dass der Graf mit allen Umbauten zufrieden sein würde. Schließlich sah sie sie über den Hof gehen. Sie stellte sie den Herd auf kleine Flamme und ging hinaus, um ihnen die Haustür zu öffnen.

Sie sah sofort, dass ihren Mann etwas bewegte und wie jedes Mal musste sie es geschickt aus ihm heraus locken. »Wie war es? War der Graf zufrieden?«

Eckhard blickte seine Frau etwas verunsichert an. »Ich weiß echt nicht, was Claudia damit bezweckt.« Er sagte es mehr zu sich selbst als zu seiner Frau.

Peter war ebenfalls sehr schweigsam. Auch er war irgendwie tief in Gedanken versunken.

»Jetzt kommt erst mal Abendessen. Und dann sehen wir weiter.« Mit einer Handbewegung bat sie in die Küche.



Erst nach dem Essen ergriff Eckhard das Wort. »Es dient alles wirklich dazu, jemand gefangen zu halten. Wenn ich nicht wüsste, dass die Aufträge von Claudia stammen, würde ich sagen, dass sie die Gefangene werden wird. Aber sie wird doch nicht ihre eigene Gefangenschaft in Auftrag geben.« Er schüttelte den Kopf.

»Was ist denn alles passiert?« Franziska wurde neugierig.

Eckhard holte tief Luft. »Es fing damit an, dass die beiden Töchter sich mit den Monohandschuhen auf die Stühle und Sessel setzen mussten, um diese auszuprobieren.« Er berichtete, dass sie richtig beurteilen mussten, wie gut es sich so sitzen ließe. »Und die Stiefmutter hatte eine große Liste dabei, auf der sie die Sachen dann abgehakt hat.«

»Mir ist aufgefallen«, fiel Peter ein, »dass immer von »ihrem Schatz« die Rede war. Ich weiß nicht, was damit gemeint war, aber es schien ihnen sehr wichtig zu sein.«

Eckhard trank noch einen Schluck Wasser. »Aber das seltsamste fand ich, wie Du die Töchter festschnallen musstest.«

Franziska sah ihren Sohn verwundert an. Sie sah seine leuchtenden Augen, aber sie sagte nichts, sondern lächelte nur in sich hinein.

Peter lächelte leicht verlegen. »Ja, das fand ich auch komisch.« Er beschrieb, wie Tanja ihrer Tochter Sylvia den Monohandschuh abgenommen hatte und sie dann gebeten hatte, auf dem Stuhl Platz zu nehmen.

»Dann hat sich mich gebeten, zu zeigen, wie die Riemen funktionieren.« Er beschrieb, wie er dann die Tochter auf dem Stuhl festgeschnallt hatte. »Tanja war erst zufrieden, als alle Riemen angelegt waren und Sylvia ihre Hilflosigkeit bestätigt hatte. Dann hat sie hinter dem jeweiligen Stuhl einen Haken gemacht.«

Seine Mutter war verwundert. »Du meinst, dass hat sich bei jedem Stuhl abgespielt?«

Peter nickte. »Die Prüfung war sehr gründlich.«

Franziska schüttelte mit dem Kopf. »Ich frage mich, für wen Claudia das alles braucht?« Sie erinnerte daran, dass die Grafentochter ja letztendlich die Auftraggeberin war, auch wenn der Graf alles finanzierte.

»Und wenn es für sie selbst ist?« Eckhard überlegte laut. »Immerhin mussten wir Claudias Zimmer ja am meisten umbauen.«

Peter wollte diese Gedanken nicht weiter denken. Er versuchte abzulenken. »Die Töchter haben die Monohandschuhe nicht gern getragen. Das haben sie ganz deutlich gezeigt.«

»Wie war es denn in ihrem Zimmer?« wollte Franziska wissen.

Peter war über den Themawechsel recht dankbar. »Der Graf blieb zunächst draußen und seine Frau sowie die Töchter haben mit uns das Zimmer betreten.«

»Die drei Damen waren von der Tür sehr beeindruckt.« Er beschrieb, wie gründlich sie die Tür in Augenschein genommen hatten und dass sie erst nach Inspektion des weit nach innen gesetzten Schlosses überzeugt waren, dass die Tür von innen wirklich nicht zu öffnen ist.

»Besonders beeindruckt waren sie übrigens auch davon, dass bei geschlossener Tür von ihr fast nichts zu sehen ist. Nur ein ganz winziger Spalt war noch sichtbar.« Auch Peter war sichtlich beeindruckt gewesen von der guten und sehr genauen Arbeit des Schreiners.

»Ich musste dann noch einmal raus, um einen der Monos zu holen.« Eine gewisse Faszination war in Peters Stimme zu hören. »Ich musste klopfen und dann hat der Graf von außen geöffnet.«

»Wofür musstest Du den holen?« wollte Franziska wissen.

»Die Sitzmöbel in Claudias Zimmer mussten auch noch getestet werden.« Peter musste noch einmal tief Luft holen. »Cordula wurde wieder in den Mono geschnürt und ich musste Sylvia auf den beiden Stühlen festschnallen.« Er seufzte. »Sie haben wirklich alles ganz gründlich geprüft.«

Eckhard konnte die Gründlichkeit bestätigen. »Ich musste sogar extra bei der Feuerwehr anrufen, um Bescheid zu sagen, dass wir einen Rauchmeldertest machen.«

Franziska war sehr erstaunt.

»Das war eine Auflage der neuen Versicherung, die Claudia abgeschlossen hat.« Peter erzählte, was er von den Verhandlungen mit dem Versicherungsvertreter erfahren hatte. »Wenn der Rauchmelder anschlägt, dann öffnet sich die Tür, die Fenster sind dann nicht mehr verriegelt und im Fußende vom Bett öffnet sich eine große Klappe, um eine Flucht zu ermöglichen.«

Franziska war neugierig. »Was war mit dem Bett?«

»Oh, das wird noch getestet.« Eckhards Stimme klang seltsam belustigt.

»Wie meinst Du das?« Seine Frau blickte in neugierig an.

»Ich durfte das Bett aufmachen«, beschrieb Peter, »dann hat die Gräfin ihre Töchter aufgefordert, das Bett einmal zu besteigen.« Er machte eine Pause. »Dann hat sie mich aufgefordert zu zeigen, wie das Bett zu verschließen ist. Das habe ich gemacht.«

»Anfangs haben die Töchter ja nichts gesagt.« Eckhard ergänzte die Ausführungen seines Sohnes. »Auch nicht, als wir die Sachen im Bad inspiziert haben.«

»Dabei habe ich extra noch beschrieben, warum das Bett von innen nicht zu öffnen ist.« fügte Peter dazu. »Anfangs haben die Töchter noch gelacht, doch sie mussten bald erkennen, dass ich damit recht hatte.«

»Dann hat uns die Gräfin für die sehr gute Arbeit gedankt und wir haben Claudias Zimmer verlassen.«

»Und die Töchter?« wollte Franziska wissen.

»Die waren noch im Bett, als die Tür langsam ins Schloss fiel.« Peters Stimme klang beeindruckt.

»Ich bin sehr gespannt, ob das Bett und die Vorhänge das aushalten werden.« Peters Mutter hoffte es.

»Ein paar Kleinigkeiten soll ich heute Nachmittag noch machen, die hatte Claudia auf ihrer Liste vergessen.« Peter blickte seinen Vater an. »Das kriege ich alleine hin.«

»Aber es bleibt die Frage, was Claudia damit bezweckt.« Seine Stimme klang nachdenklich. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass Claudia hier gefangen gehalten wird.«

»Aber sie hat es doch selbst in Auftrag gegeben und die Familie hat sich darum gekümmert, dass es richtig ausgeführt wird.« wiederholte Franziska.

Peter fiel noch etwas ein. »Der Graf hat uns gefragt, ob beim Ausladen des Transporters mit anfassen könnten. Es sind viele Kartons und Kisten auszuladen und sie müssten den Wagen heute noch zurück geben.«

* * *

»Ich danke Ihnen für die Hilfe. Allein wäre das ziemlich mühsam.« Der Graf hatte Jackett und Krawatte abgelegt und die Ärmel hoch gekrempelt. »Sie dürfen die Stunden auch gern aufschreiben.«

Peters Vater bedankte sich. »Wir helfen doch gern.«

»Es sind alles Sachen, die Claudia für ihre Kunstprojekte braucht.« Er öffnete die beiden großen Türen im Heck des Transporters. »Die Kisten und Kartons sollte alle beschriftet sein.«

Die verschiedenen Kisten trugen drei unterschiedliche Schriftzüge. »Atelier«, »Lager«, und »Wohnung«. Peter gab es einen kleinen Stich, als er Claudias Schrift wieder erkannte.

»Die Kisten mit 'Lager' kommen in den leer geräumten Kellerraum, 'Atelier' bringen Sie bitte in die alte Orangerie, dort möchte Claudia sich ein Atelier einrichten. Und die Kisten mit 'Wohnung' bitte vor Claudias Zimmer.«

Zur Überraschung von Peter und seinem Vater kam auch die Gräfin zum Helfen. Sie stieg in den Transporter und reichte die Kisten heraus, während der Graf ganz genau Kisten schleppte wie Peter und Eckhard.

Einige der Kisten waren Beschriftet. »Ketten«, »Seile«, »Leder«, »Zubehör« und ähnliches. Einige waren schwer, andere dagegen trotz ihrer Größe sehr leicht. Ein paar wenige große Kisten für das Lager mussten sie zu zweit tragen.

Peter gefiel der formlose Umgang mit dem Grafen und seiner neuen Frau. Auch wenn er immer noch nicht ganz verstand, für was Claudia all die Sachen brauchen würde und was es mit dem Atelier auf sich hatte.

* * *

»Sie müssten noch ein paar Sachen nachbessern.« Tanja reichte Eckhard eine kleine Liste.

Eckhard warf einen Blick darauf. »Das war aber auch nicht bestellt.«

Der Graf entschuldigte sich. »Die Sachen hatte Claudia auf ihrer Liste vergessen.«

»Und ein paar Kleinigkeiten könnten Sie bitte noch verändern.« Die Gräfin zeigte ihre Notizen.

Peter nahm die Liste des Grafen, warf einen Blick auf die Notizen der Gräfin und notierte sich dazu ein paar Stichworte. »Das kann ich gleich machen.«



Peter holte sich den großen Werkzeugkasten, dann machte er sich auf den Weg ins Haus. Im Erdgeschoss waren im Bad noch ein paar zusätzliche Haken und Ösen in der Dusche anzubringen, die dort bereit lagen.

Vier Bohrmaschineneinsätze später machte er sich auf den Weg zu Claudias Zimmer, wo der Graf bereits auf ihn wartete.

Der Graf öffnete die Tür und legte einen Keil unter die offene Tür. »Für alle Fälle« grinste er.

Hinter dem Grafen betrat Peter das Zimmer. Die Töchter waren immer noch im Bett eingesperrt und mittlerweile ziemlich kleinlaut. »Papa, lässt Du uns bitte aus dem Bett heraus?«

Peter warf noch einen faszinierten Blick auf das Bett, welches nicht einen einzigen Kratzer zeigte, dann ging er ins Bad und begann mit den gewünschten Arbeiten. In Claudias Badezimmer waren die gleichen Haken anzubringen wie im Bad im Erdgeschoss.

Der Graf kam zu ihm ins Bad. »Richten Sie bitten ihrem Vater, dem Schreiner und der Schneiderin aus, dass wir mit ihren Arbeiten äußerst zufrieden sind.« Ein gewisses Grinsen war deutlich in seinem Blick zu sehen.

Peter bedankte sich höflich, während er noch leise die Töchter auf dem Weg in ihre Zimmer fluchen hörte.



»Wir müssten dann noch die Feder in der Tür nachstellen. Claudia möchte, dass die Tür sich innerhalb von vier Sekunden schließt, bitte prüfen Sie, ob Sie das einstellen können.«

Peter warf einen Blick auf die Apparatur, die die Schließfeder enthielt. Dort war eine Schraube vorhanden die entsprechend beschriftet war. »Ich weiß nicht, ob es geht, wir müssen es ausprobieren.«

Der Graf ging nach draußen und bat Peter, die Feder etwas strenger zu stellen und dann die Tür los zu lassen. Peter drehte etwas an der Schraube und ließ dann die Tür los. »21, 22, 23, 24« zählte er leise mit. Bei 24 war die Tür noch nicht geschlossen.

»Geht es noch etwas stärker?« Die Stimme des Grafen war höflich, aber eindringlich, als er die Tür wieder von außen öffnete.

Peter stellte die Schraube noch etwas stärker und zählte wieder. Diesmal war die Tür rechtzeitig zu. Er fragte sich, warum das so wichtig war. Doch er traute sich nicht zu fragen.

Doch der Graf schien die Frage zu spüren. »Claudia hat mir erzählt, dass sie vom Schreibtisch bis zur Tür fünf Sekunden braucht, wenn sie sich beeilt. Sie möchte sicher gehen, dass die Tür dann schon zu ist.«

Peter blickte sich etwas ratlos im Zimmer um. Vom Schreibtisch bis zur Tür waren es höchsten fünf Meter, wenn nicht sogar weniger. Er fragte sich schon, warum Claudia für diese Strecke fünf Sekunden brauchen würde.

Der Graf öffnete die Tür wieder und bedankte sich bei Peter. »Danke, jetzt ist alles in Ordnung. Unser Schatz kann kommen.« Der Graf reichte ihm die Hand. »Richten Sie bitte Ihren Eltern aus, dass wir Sie nachher zu einem kleinen Umtrunk erwarten. Meine Familie und ich möchten uns für die gute Arbeit bedanken.«

Peter versprach, die Einladung weiter zu geben.

* * *

»Meine Familie und ich, vor allem aber Claudia möchten Ihnen für die viele sehr gute Arbeit danken.« Der Graf erhob sein Glas und stieß symbolisch mit Peters Vater an. »Ich denke, Claudia wird mit allem sehr zufrieden sein.«

Eckhard bedankte sich für das Vertrauen und wünschte der Familie in ihrem neuen Heim alles Gute. »Ich hoffe, sie werden sich hier sehr wohl fühlen.«

»Wir haben Claudia heute von ihrer Arbeit berichtet« Tanja erhob ebenfalls ihr Glas, »sie lässt ausrichten, dass sie sich schon sehr freut und sehr gespannt ist auf ihr neues Heim.«

»Sie waren ja lange auf Reisen.« stellte Eckhard fest, »aber es hat sich nicht so viel geändert.«

»Das kommt auf den Standpunkt an«, erwiderte der Graf mit einem Lächeln in der Stimme. »Bis zum Tod meiner Frau war Tanja die Managerin für Claudias Kunstprojekte, meine Frau hatte sie damals engagiert.« Er legte den Arm um ihre Schultern. »In der besonders schwierigen Zeit danach war sie für mich und Claudia immer da. Bis wir uns dann eines Tages einig waren.« Er gab ihr einen kurzen Kuss. »Jetzt ist sie beides. Mir eine liebe Frau und Claudia weiterhin eine gute Managerin.«

Peter und seine Eltern brachten ihre Glückwünsche dar und begrüßten Tanja noch einmal förmlich als neue Gräfin.

»Haben Sie Mittwoch Abend schon etwas vor?« Tanja wartete die Antwort nicht ab. »Claudia lädt Sie drei zu einem kleinen Grillfest ein. Es wäre sehr schön, wenn Sie kommen könnten.«

* * *

Die Ankunft von Claudia war für elf Uhr angekündigt. Trotzdem hatte es Peter nicht lange im Bett gehalten und wieder war er vor seinen Eltern beim Frühstücken. Er hatte sich beeilt, denn er wollte einer erneuten Diskussion mit seinem Vater über Claudia aus dem Weg gehen.

Er hatte sich in dem weitläufigen Garten dem Unkraut angenommen, das machte er zwar eher ungern, doch heute hatte er dabei genügend Gelegenheit, die Auffahrt zum Grundstück im Auge zu behalten. Je näher es auf elf Uhr zu ging, desto näher kam er dem kleinen Parkplatz.

Und wirklich, zu seiner Überraschung, kam gegen elf wirklich ein Auto heran gerollt. Diesmal sah er sie sofort. Claudia saß auf dem Beifahrersitz und lächelte ihm zu. Er winkte zurück und kam näher. Mit sehr weichen Knien ging Peter zum Auto und machte die Beifahrertür auf.

Claudia drehte ihm den Kopf zu und begrüßte ihn. »Hallo Peter, schön Dich mal wieder zu sehen.« Die Hand reichte sie ihm nicht.

Peter musste schlucken, dann erwiderte er den Gruß. »Möchtest Du nicht aussteigen?« Er sah, dass Claudia ein dunkelblaues Lackcape trug. Von ihren Armen war nichts zu sehen.

Claudia drehte ihren Kopf zu der Fahrerin. »Berta, machst Du mich bitte los, ich möchte aussteigen.«

Die Fahrerin blickte kurz zu Peter und runzelte kurz die Stirn, dann griff sie zu den Sicherheitsgurten und nach zwei 'Klicks' rutschen die Gurte langsam an ihre vorgesehenen Plätze.

Peter sah fasziniert zu, wie der Gurt langsam über das blaue Lackcape glitt. Er fragte sich, wo die Durchgriffe für die Arme waren.

Doch zu seinem Erstaunen machte Claudia keinerlei Anstalten, selbst aus dem Auto zu steigen. Sie setzte bloß ihre Beine neben das Auto und wartete. Als sie Peters fragenden Blick sah, lächelte sie. »Berta hilft mir beim Aussteigen.« Sie spürte Peters nicht ausgesprochene Frage. »Sie kennt sich sehr gut besser aus damit.« Womit, das erwähnte sie nicht.

Peter trat einen Schritt zu Seite und ließ Berta an die geöffnete Tür. Claudia lächelte ihm dankbar zu.

»Hast Du Gepäck?« Peter hatte sich gut vorbereitet. Er hoffte, dass er ihr so etwas näher kommen könnte.

»Oh ja, das wäre nett, wenn Du uns dabei helfen würdest. Im Kofferraum sind ein Koffer und ein paar Taschen, die mit nach oben müssen.«

Peter ging zum Kofferraum und machte ihn auf. Innerlich stöhnte er, als der den Umfang des Gepäcks sah. Er nahm den großen Koffer und die zwei Taschen heraus und machte den Kofferraum wieder zu.

Claudia war unterdessen aus dem Auto ausgestiegen und Berta hatte die Tür hinter ihr geschlossen.

Peter blickte fasziniert hinter Claudia her, denn das Lackcape reichte bis zu ihren Knöcheln und zumindest von hinten sah es sehr eng aus und es schien, als hätte Claudia darin nicht allzu viel Beinfreiheit.

Dazu kam, dass sie eher kleine Schritte machte, als sie langsam auf das Haus zuging. Doch plötzlich blieb sie stehen und drehte sich langsam um. »Peter, könntest Du meine Handtasche noch aus dem Auto holen? Die müsste vorn im Fußraum liegen.« Sie lächelte etwas verlegen.

Peter stellte das Gepäck neben das Auto ab und öffnete die Beifahrertür. Er beugte sich hinein, um nach der Tasche zu suchen, da sie auf den ersten Blick nicht zu sehen war. Doch sein Blick blieb zunächst an der Rücklehne des Beifahrersitzes hängen. Auch dieser Sitz hatte so eine Aussparung, wie er es von den Möbeln aus Claudias Zimmer kannte. Sie würde doch nicht etwa...? Er wagte es nicht, diesen Gedanken zu Ende zu denken.

Die Tasche war etwas unter den Vordersitz gerutscht. Peter nahm sie heraus, hängte sie sich über den Arm und ergriff wieder das restliche Gepäck. Dann ging er auf das Haus zu.

Berta zog Claudia gerade das Cape über den Kopf, als Peter eintrat. Was darunter zum Vorschein kam, traf ihn in Mark und Bein, obwohl er es sich auch hätte denken können. Er hatte es bis jetzt einfach nicht wahr haben wollen, doch Claudias Arme waren tatsächlich in einem Monohandschuh gefangen.

Auf diesen Moment hatte Peter sich nicht vorbereitet, im Gegenteil, diese Möglichkeit hatte er unbewusst ausgeschlossen. Als Berta das Cape an der Garderobe aufhängte, trat er etwas näher zu Claudia und flüsterte so, dass es Berta nicht hören sollte. »Wirst Du hier gefangen gehalten?«

Claudia lachte. »Nein, ich werde hier nicht eingesperrt, ich bin ein Kunstwerk.« Sie drehte sich zu ihm hin. »Danke übrigens für die vielen Umbauten. Tanja hat mir davon berichtet. Ich bin schon sehr gespannt, das alles zu sehen.«

Peter machte er ratloses Gesicht. Er wusste überhaupt nicht mehr, was er von der Situation halten sollte.

»Bringst Du mir bitte das Gepäck noch auf mein Zimmer?« Sie blickte ihn bittend an. »Ich bin ja so gespannt.« Mit diesen Worten ging sie mit kleinen aber sehr behenden Schritten auf die Treppe zu.

Peter seufzte innerlich. Diesem Blick konnte er schon früher nicht widerstehen. Claudia hatte sich zumindest in der Hinsicht nicht geändert. Er griff wieder zum Gepäck und ging ihr schwer beladen hinterher.

Vor jeder Stufe blieb Claudia kurz stehen und suchte ihr Gleichgewicht, dann erst nahm sie die nächste Stufe in Angriff. Peter konnte gut erkennen, dass ihr der knöchellange Rock nur sehr wenig Beinfreiheit ließ. Es war für ihn ein Wunder, dass sie damit überhaupt Treppensteigen konnte. Fasziniert schaute er zu, wie sie nach jeder Stufe versuchte, mit ihrem Monohandschuh das Gleichgewicht wiederzufinden.

Nach der Hälfte der Treppe drehte sich Claudia vorsichtig zu Peter um und blickte ihn etwas verlegen an. »Ich bin doch etwas aus der Übung. Entschuldige bitte, dass es so lange dauert.«

Peter war total perplex. Er wusste überhaupt nicht, was er antworten sollte.

Claudia drehte sich wieder um und nahm die nächsten Stufen in Angriff.



Als Claudia die oberste Treppenstufe erreicht hatte, war sie etwas außer Atem. Sie drehte sich wieder zu Peter und lächelte ihn genauso verlegen an wie eben. »Ich muss dringend mehr trainieren.«

Peter wusste nachwievor nicht, was er davon halten sollte.

»Aber jetzt möchte ich mein Zimmer sehen.« Sie wartete Peters Antwort nicht ab, sondern drehte sich wieder nach vorn und ging mit sehr kleinen, aber zügigen Schritten auf ihre Zimmertür zu.

Peter wollte gerade die Koffer abstellen, um ihr beim Öffnen der Tür zu helfen, als er sehr fasziniert sehen konnte, wie Claudia sich nur einmal kurz zur Seite drehte und mit ihren Monoarmen sehr geschickt die Klinke herunter drückte. Genauso gab sie der Tür einen Stoß und trat in ihr Zimmer ein. Sie blieb in der offenen Tür stehen und blickte erwartungsvoll auf Peter. »Komm herein.«

Peter folgte ihren Worte ohne weiter nachzudenken. Nicht nur, weil sie ihm jetzt schon hoffnungslos den Kopf verdreht hatte, sondern auch, weil er froh war, wenn er das Gepäck von ihr endlich abstellen konnte.

Claudia war ihm gefolgt und so konnte er nur noch mehr oder weniger hilflos mit ansehen, wie sich die Tür langsam schloss. Innerlich wachte Peter auf und war entsetzt, weil er jetzt zusammen mit Claudia in deren Zimmer eingesperrt war, doch äußerlich versuchte er sich nichts anmerken zu lassen.

Claudia schien die Tür nicht zu stören. Sie ging auf einen der Sessel zu, setzte sich langsam hin und ließ sich dann gemütlich an die Rückenlehne sinken. »Super Arbeit. Der Sessel ist schön geworden.«

Peter bedankte sich für das Lob, welches ihn wieder etwas an die jüngste Vergangenheit und an die Realität erinnerte. Er nahm sich allen seinen Mut zusammen und stellte die für ihn so wichtige Frage. »Du bist sicher, dass Du hier nicht gefangen gehalten wirst?«

Claudia blickte ihn verwundert an. »Nein, das sagte ich doch schon.« In ihrer Stimme klang leichte Ungeduld mit. »Ich bin ein Kunstwerk.«

Peter sah seine Jugendliebe seltsam an. »Was meinst Du mit Kunstwerk? Und was hat die Tür damit zu tun?«

»Weißt Du noch, früher?« Claudia lächelte verträumt. »Unsere heimlichen Cowboy und Indianerspiele? Ich war immer sehr gern festgebunden. Und jetzt habe ich es zu meinem Beruf gemacht.«

Peter war fassungslos. »Du... Du machst was?«

»Ich bin eine Bondage-Künstlerin.« Claudia lachte wegen seines verblüfften Gesichts. »Ich bin ‚Bondarella’.«

Peter hatte die geschlossene Tür noch nicht aus dem Blick verloren. »Du bist doch hier gefangen und ... Überall diese Ösen... Dieses seltsame Bett...?« Er wollte es nicht glauben.

»Das Bett möchte ich auch sehen.« Claudia sprang aus dem Sessel auf. »Ich bin schon sehr gespannt.« Sie blickte Peter fragend und mit leuchtenden Augen an. »Zeig es mir bitte.«

Peter verstand die Welt nicht mehr. Doch er kam der Bitte nach und ging voran in Claudias Schlafbereich. Dort stand es, mit dem Kopfende an der Wand, so dass es von den Seiten frei zugänglich war.

Claudia ging einmal an den drei Seiten entlang und bestaunte die Seidenvorhänge und die Verschlüsse. »Und das ist wirklich ausbruchssicher?«

Peter musste unbewusst grinsen. »Das haben deine Schwestern ausprobiert. Sie haben es nicht geschafft.«

Claudia verzog etwas das Gesicht. »Das sind nicht meine Schwestern. Das sind die Töchter meiner Stiefmutter.« Doch dann lachte sie wieder fröhlich. »Wenn sie es nicht geschafft haben, dann will ich es glauben.«

Peter war froh, dass er um dieses Fettnäpfchen noch so knapp herum gekommen war.

»Machst Du es mir bitte einmal auf?« bat sie Peter.

Peter blickte sie verblüfft an.

Claudia lächelte ihn an. »Mir fehlt es dazu ein wenig an der nötigen Armfreiheit.« Sie drehte sich um und zeigte ihm die Lederhülle, die ihre Arme gefangen hielt.

»Was ist das eigentlich?« fragte Peter etwas verlegen.

»Sag bloß, Du kennst das nicht?« Claudia war verblüfft. »Ich dachte, du würdest dich auskennen, so schön, wie wir früher immer gespielt haben?«

Peter zuckte nur etwas mit den Achseln. Es hatte nicht viel andere Frauen gegeben nach seiner Jugendliebe. Und keine davon war auch nur annähernd so verrückt nach Fesselungen wie Claudia damals. Doch leider hatte damals der Graf von ihrer sehr engen Beziehung erfahren und weitere Treffen unterbunden. Es wäre nicht standesgemäß, eine Grafentochter mit einem Hausmeisterssohn.

Claudia musste ihn erst mit ihren verpackten Armen an stupsen, um ihn aus seinen Gedanken zu reißen. »Gefällt Dir der Monohandschuh?«

Peter blickte sie seltsam an. »Ja, schon irgendwie.« Er stammelte. »Das kommt alles so überraschend.«

Claudia schien dies egal zu sein. »Jetzt zeig mir das Bett.«

Peter ging zur linken Seite des Bettes und zog den Reißverschluss auf. Claudia stand schon neben ihn und drängte sich vor. Sie versuchte ihr Bein zu heben, doch der lange eher enge Rock erlaubte ihr das nicht.

Peter blickte etwas amüsiert, als er die vergeblichen Bemühungen seiner Jugendfreundin sah.

Diese fand dies weniger komisch. »Statt dich zu amüsieren könntest Du mir lieber rein helfen?«

Peter war verblüfft, doch er wollte nicht noch einen weiterer Rüffel riskieren.

«Hebe mich einfach hoch.« ermutigte sie ihn.

Er legte den Arm um ihren Oberkörper, dann fasste er ihr unter die Knie und konnte sie so auf das Bett heben. Er ließ sie vorsichtig auf der Matratze herunter.

Claudia kniete sich hin und blickte ihn auffordernd an.

Peter verstand nicht.

»Mach es zu!« Ihre Augen versprühten Abenteuerlust und Neugier.

Peter blickte sie noch einmal verwundert an. Doch ihr stechender Blick ließ ihn gehorchen. So wie er es schon öfters in der letzten Zeit gemacht hatte, zog der den Reißverschluss nach unten zu.

Claudia blickte seinen Bewegungen hinterher. »Ja, sieht gut aus, das werde ich nicht mehr öffnen können.«

Claudia blickte sich um. Sie schien zufrieden zu sein mit dem, was sie erblickte.

Peter wagte es nicht, darüber nachzudenken. Er hatte im Moment seine Probleme, mit der so stark ausgeprägten Bondage-Lust seiner Jugendfreundin umzugehen.

Die Tür ging auf. Die Gräfin kam herein und sah Peter am Bett sehen. »Was machen Sie hier?« Sie runzelte etwas mit der Stirn.

Peter drehte sich erschrocken zu der Gräfin um. »Ich...« er stotterte. »Ich ha.. habe Claudia das Gepäck herauf getragen.«

Sie blickte ihn misstrauisch an. »Damit sind Sie ja jetzt fertig.« Mit einer unmissverständlichen Handbewegung bat sie ihn, das Zimmer zu verlassen.

Er ging zurück zur Tür, wo er sah, dass eine der beiden Töchter die Tür aufhielt. Sie lächelte ihn an, doch Peter hatte für sie keine Augen.



Sehr nachdenklich ging Peter den Weg zurück zu seiner Wohnung über die Treppe und den kleinen Weg entlang. Claudia war wieder da. Seine Liebe, dass musste er sich eingestehen, war wieder voll aufgeflammt. Claudia hatte sich über das Wiedersehen auch gefreut, doch er wusste nicht, ob es wegen ihm oder wegen der Heimkehr war.

Er dachte noch einmal an ihre leuchtenden Augen, als er sie in das Bett gehoben hatte und wie sehr sie auf die Entdeckung des Bettes gefreut hatte.

Ein klein wenig irritierte es ihn, dass sie anscheinend die ganze Zeit mit dem Monohandschuh unterwegs gewesen war. Ihm fielen wieder ein, wie die Stühle verändert wurden. Jetzt war er sicher, das dies wegen Claudias gefesselter Arme war. Doch irgendwie wagte er nicht anzunehmen, sie würde den ganzen Tag mit dem Handschuh verbringen. Andererseits, dass war schon sein Eindruck, schien sie ihn wie ein ganz normales Kleidungsstück zu betrachten.

Er dachte noch einmal an die leuchtenden Augen, als er vorhin langsam den Vorhang des Bettes geschossen hatte. Claudia hatte so glücklich ausgehen. Doch dann erst wurde ihm bewusst, was er da getan hatte. Er hatte Claudia im Bett eingesperrt. Er wusste nur zu gut, wie sicher das Bett seine Insassen gefangen halten konnte, selbst wenn Claudia über ihre Arme verfügen konnte, könnte sie sich nicht aus dem Bett befreien.

»Peter, kommst Du zum Essen?« Die Stimme seiner Mutter riss ihn aus seinen Gedanken. Er seufzte innerlich. Irgendwie hatte er sich das Wiedersehen mit seiner Jugendliebe anders vorgestellt.