Das Minutenbuch

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Das Minutenbuch – Eingeschneit

Autor: Karl Kollar

»Was sollen wir bloß mit ihr machen.« Robertas Stimme klang sehr besorgt. »Wenn sie etwas ausplaudert, dann wimmelt es hier nur so von Reportern.« Sie seufzte. »Sabrina wird erledigt sein. Den Stress würde sie nicht verkraften.«

Christine buffte sie in die Seite. »Und Du verlierst Dein bestes Pferd.«

Roberta blickte ihre Freundin verärgert an. »Ich bitte Dich, mach jetzt keine Witze, die Lage ist ernst.«

Christine warf einen Blick aus dem Fenster. Draußen schneite es immer noch in dicken Flocken. »Immerhin, heute kommt sie hier nicht mehr weg.«

»Und ihr Handy?« Roberta seufzte. »Sie könnte den Bericht auch diktieren.«

»Sie darf einfach nichts verraten.« Christine seufzte ebenfalls. »Wir müssen unbedingt mit ihr reden.«

»Aber wie? Und wann?« Roberta Blick war sehr besorgt. »Sie weiß jetzt schon viel zu viel.«

Christine sah nur eine Möglichkeit. »Wir müssen in der Nacht mit ihr reden, wenn Sabrina schläft.«

Roberta sah etwas Hoffnung. »Das könnte gehen. Wir müssen sie überreden, dass sie dicht hält. Es steht so viel auf dem Spiel.«

Zweifel lagen in Christines Stimme. »Aber ob sie sich überzeugen lässt?«

Roberta blickte ebenfalls aus dem Fenster. »Heute kommt sie hier nicht mehr weg. Wir müssen es versuchen.« Sie sah wieder auf die Uhr. »Jetzt sollten wir Sabrina aus ihrem Stuhl helfen. Es ist bald Zeit fürs Abendessen.«

»Und ich«, Christine lächelte, »Ich werde das Handy im Auge behalten.«

* * *

Andrea blickte aus dem Bildschirm und lass wiederholt die Buchstaben, die Sabrina dort hatte erscheinen lassen. Sie wusste nicht, ob es wirklich so eine gute Idee war, auf das Angebot mit dem Nachthemd einzugehen. Auf der einen Seite konnte sie sich nicht vorstellen, wie ein einfaches Nachthemd so fesselnd sein konnte. Andererseits, dies musste sie sich eingestehen, bei der Ernsthaftigkeit, mit der Sabrina hier ihre Gefangenschaft zelebrierte, würden sich ihre Worte sicher als wahr herausstellen. Andrea war besorgt und neugierig zugleich.

Sabrina schien die Unsicherheit zu spüren. »Mach Dir wegen dem Nachthemd keine Gedanken, dass ist super bequem.« war auf dem Bildschirm zu lesen.

Andrea wusste immer noch nicht, was sie von dieser Überrumpelung halten sollte. Aber irgendwie ahnte sie, dass sie Sabrina vertrauen konnte.



Andreas Handy klingelte. Sie ging dran und verfluchte sich zugleich, dass sie es nicht ausgemacht hatte.

Es war ihr Chef. Er war ziemlich aufgeregt und schien fast in das Telefon zu brüllen. Es war so laut, dass Sabrina fast jedes Wort mithören konnte. Er fragte, wie denn das Interview gelaufen sei und wann ihr Artikel fertig wäre. Deutlich war zu hören, dass er das Interview am liebsten selbst geführt hätte.

Andrea mochte diese seine aufdringliche Art überhaupt nicht. Innerlich seufzte sie und suchte verlegen nach einer Antwort. Schließlich sah sie die Buchstaben, die Sabrina auf ihrem Bildschirm erscheinen ließ. »Schnee« und »eingeschneit«. Sie zwinkerte der Autorin erleichtert zu und berichtete ihrem Chef dann von der Wettersituation und dass sie hier total eingeschneit wäre. »Vor Morgen Mittag komme ich hier sicher nicht heraus.

Dem Chef gefiel dies überhaupt nicht, doch er musste sich wohl oder übel gedulden. Er wurde noch hitziger. »Ich will alles wissen, jedes Detail und jedes Wort«, war deutlich im Raum zu hören.

Es waren die besorgten Augen Sabrinas, die Andrea zur Vorsicht mahnten. Sie versprach, bald ihren Bericht zu schreiben, dann legte sie auf.

* * *

Christine fand als erste wieder Worte. »Diesmal hat sie noch nichts verraten.«

Roberta wandte ihren Blick langsam weg von dem Überwachungsbildschirm hin zu Christine und blickte sie ein wenig erleichtert an. »Wir müssen etwas unternehmen. Wenn ihr Chef noch mal anruft, hat sie sich vielleicht nicht mehr so gut unter Kontrolle.«

»Was willst Du denn machen?« Christine Stimme zitterte vor Anspannung.

Roberta war ebenfalls ratlos. »Wir können ihr doch nicht das Handy wegnehmen.«

»Das nicht«, Christine hatte eine Idee. »Aber wir könnten dafür sorgen, dass sie es nicht mehr benutzen kann.«

»Was hast Du denn vor?« Roberta blickte ihr Gegenüber neugierig an.

»Lass mich nur machen.« Christine grinste. »Sie wird uns sicher auf den Leim gehen.«

* * *

Andrea war noch dabei, sich von dem Anruf ihres Chefs zu erholen, als plötzlich die Tür aufging und Christine herein kam. Sie legte ein Bündel aus Leder mit einigen Riemen auf den Tisch, bevor sie zum Bedienpult ging und einige Knöpfe drückte. Aus Sabrinas Knebel war ein Zischen zu hören und Andrea konnte nur ahnen, wie streng der wohl in ihrem Mund saß.

Fast schien es, als wäre Sabrina mit ihrer Befreiung nicht einverstanden, doch Christine ließ sich davon nicht beirren. »Du solltest Dich wieder um Deinen Gast kümmern und das geht besser, wenn du frei bist. Außerdem hättest Du ohnehin gleich Feierabend und dann gibt es Abendessen.«

Sabrina warf einen Blick auf das Lederbündel und zeigte ein wenig begeistertes Gesicht. Sie schien zu wissen, was ihr bevorstand.

Christine lachte. »Darf ich Dich daran erinnern, dass Du diese Regeln festgelegt hast.«

Die Schriftstellerin seufzte, dann legte sie ihre Arme auf den Rücken und ließ sich von Christine ohne weitere Gegenwehr in den Monohandschuh einschnüren.

Dabei fiel ihr Blick auf den zweiten Handschuh, den Christine mitgebracht hatte und ohne dass sie es selbst ahnte, half sie ihren Betreuern, Andrea in die Falle zu locken. Sie blickte die Journalistin mit einem aufforderndem Lächeln an und fragte sie, ob sie schon einmal so einen Mono getragen hätte.

Andrea verneinte etwas verunsichert.

Sabrina machte unbewusst die Arbeit für Christine. »Christine wird ihn dir anlegen, dann kannst Du es einfach mal ausprobieren.« Sie drehte sich zu Christine. »Mach ihn für den Anfang einfach etwas lockerer.«

Andrea musste schlucken, zuerst zögerte sie, doch dann gab ihre Neugier nach. Es wäre bestimmt sehr aufregend, ein klein wenig vom Alltag der Autorin an sich selbst spüren zu können.

Nach einem ermutigenden Lächeln von Sabrina legte Andrea ihre Arme ebenfalls auf den Rücken und hielt den Atem an. Kurz darauf spürte sie, wie sich das Leder langsam von unten über ihre Arme schob.

Christine ging um sie herum und legte die langen Riemen über ihre Schultern, dann zog sie sie unter den Armen durch wieder zum Handschuh.

Andrea bekam eine Gänsehaut.

»Na gefällt es Dir?« Sabrinas Stimme klang in diesem Moment so faszinierend unschuldig und begeistert, das Andrea sich richtig in ihren neuen Gefühle hingeben konnte.

»Etwas ungewohnt.« Ihre Stimme zitterte etwas und als Christine begann, den Handschuh enger zu schnüren, da begann sie leise zu stöhnen. Zu neu und zugleich erregend waren die Gefühle, die auf sie einströmten. Es war der Blickkontakt zu Sabrina, der bewirkte, das Andrea keine Angst oder Bedrohung verspürte, sondern das sie es schaffte, die aufkommende Hilflosigkeit zu genießen.

»Dann lasst uns ins Kaminzimmer gehen,« schlug Roberta vor. Sabrina mit ihrem Schlitten gab das Tempo vor und die anderen trotteten hinter. Andrea fand es sehr aufregend, sich mit dem Handschuh bewegen zu müssen. Sie spürte bei jedem Schritt ihre Arme, die so schön nutzlos auf dem Rücken verpackt waren und genauso wuchs mit jedem Schritt ihre Bewunderung für die stolze Autorin.



»Dann können wir ja endlich mal das Kuschelsofa richtig ausprobieren.« Es lag einige Begeisterung in Sabrinas Stimme.

Andrea fragte sich immer mehr, ob sie wirklich das richtige getan hatte. Andererseits, und dieser Gedanke verschaffte ihr eine wohlige Gänsehaut, war sie nun nicht mehr in der Lage, ihren Zustand zu ändern. Sie war durch den Handschuh genauso hilflos wie die Autorin und ihre Arme waren durch dieses faszinierende Fesselgerät einfach aus dem Weg geräumt.

Roberta ging zu dem Zweier-Sofa und fingerte ein wenig an der Rückenlehne herum. Als sie Andreas fragenden Blick sah, lächelte sie. »Sabrina hat dieses Sofa umarbeiten lassen für »gemütliche Stunden«, doch die hat es bisher nicht gegeben.«

Andrea blickte voller Erstaunen auf die zwei großen Aussparungen, die jetzt in der Rückenlehne zum Vorschein kamen. Sie erkannte nicht sofort, was dies bedeutete, erst nach dem sich Sabrina hingesetzt hatte, erkannte Andrea, dass dort ihre Arme hinein kommen würden. Vorsichtig setzte sie sich auch und ließ sich langsam in die Rückenlehne sinken.

Andrea wedelte ein wenig mit ihren Armen und genoss heimlich das für sie neue Gefühl der Nutzlosigkeit ihrer Bewegungen.

»Gefällt es Dir?« Sabrinas Augen leuchteten.

Andrea musste erst ein wenig ihre Gefühle sortieren. Sie räusperte sich. »Doch, das hat was. Etwas ungewohnt.«

Sabrina lächelte. »Du wirst Dich schnell dran gewöhnen.« Dabei stupste sie Andrea etwas mit der Schulter an. Dies war die einzige Bewegung, die der Handschuh ihnen beiden in diesem Moment noch erlaubte.



Christine legte noch ein weiteres großes Stück Holz in den Kamin, es knisterte leise, draußen fiel der Schnee in dicken Flocken.

Andrea hörte ihr Handy klingeln und jetzt bedauerte sie, dass sie den Mono trug. Ihre Arme zuckten und sie machte Anstalten aufzustehen. Doch Sabrinas Worte ließen sie in die Kissen zurück sinken »Lass es klingeln, Du kannst jetzt sowieso nicht dran gehen.« Dabei wackelte sie etwas mit ihren so streng verpackten Armen.

Andrea entspannte sich. Sie grinste. »So ein Handschuh hat schon Vorteile.«

Es klingelte lange.

Andrea lächelte. »Das ist bestimmt wieder mein Chef. So lange lässt nur er es klingeln.«

Sabrina musste lachen. »Ja, manchmal sind die Chefs schon nervig.«

Andrea lachte ebenfalls, denn immerhin lästerte die Autorin gerade über ihre Tante.

Endlich hörte es auf zu klingeln, nur um gleich darauf im Haus weiter zu klingeln. Andrea seufzte. »Jetzt probiert er es bei Deiner Tante.«

Sabrina grinste. »Das soll er nur probieren, bei ihr wird er auf Granit beißen.«



»Ist Frau Schuster noch bei Ihnen?« war auf einmal die Stimme des Chefs von der Decke zu hören. »Sie geht nicht an ihr Telefon.«

Andrea blickte ganz erstaunt auf Sabrina.

»Manchmal stellt meine Tante die Gespräche laut, wenn sie möchte, dass ich sie gleich mithören soll.« erklärte Sabrina mit schneller Stimme.

»Ja, ihre Mitarbeiterin ist noch hier.« Roberta war bemüht, ihrer Stimme einen betont sachlichen Anstrich zu geben.

»Warum geht sie dann nicht an ihr Handy?« Die Stimme war kurz vor dem Explodieren.

»Sie macht gerade eine Yoga-Übung, um sich auf den zweiten Teil des Interviews vorzubereiten, und dabei möchte sie nicht gestört werden.«

Als der Chef begriff, dass Andrea noch bei der Arbeit war, wurde seine Stimme eine Winzigkeit leiser. »Sagen Sie ihr bitte, sie soll mich anrufen, sobald sie mit dem Interview fertig ist.« Er legte auf. Eine Antwort wartete er nicht mehr ab.

Andrea war erleichtert, nicht mit ihrem Chef sprechen zu müssen. Als Roberta in das Wohnzimmer kam, lächelte Andrea und blickte Roberta dankbar an. »Danke fürs Abwimmeln.«

Es ergab sich, dass Andrea etwas über ihre Arbeit erzählte, wie sehr sie unter ihrem Chef zu leiden hatte und wie sehr sie darum kämpfte, von ihm endlich anerkannt zu werden. »Das ich dieses Interview machen darf, ist für ihn unbegreiflich. Und für mich ist es endlich die Chance, mich bei ihm zu bewähren.«

Andrea wurde auf einmal verlegen, denn ihr war wieder bewusst geworden, in welchem Konflikt sie jetzt steckte. Auf der einen Seite war da ihr sensationslüsterner Chef, der die besondere Lebensweise von Sabrina bestimmt weidlich ausschlachten würde und auf der anderen Seite die durchaus zarte Seele von Sabrina, die es zu schützen galt. Andrea kam ins Grübeln.



Christine kam ins Wohnzimmer und beugte sich zu Roberta hinunter. Sie flüsterte etwas.

Roberta wandte sich daraufhin zu Andrea und blickte sie ermunternd an. »Dürfen wir sie zum Abendessen einladen?«

Andrea wandte ihre Arme etwas in dem Handschuh und blickte ihre Gastgeberin etwas verunsichert an.

»Natürlich befreien wir sie von dem Handschuh«, lächelte Roberta.

»Ich nehme die Einladung gern an.« Andrea blickte neugierig zu Sabrina.

Sabrina fing den Blick auf und wurde ihrerseits verlegen. »Ich hoffe, es stört Dich nicht, wenn ich im Mono verbleibe.«

Christine war mittlerweile hinter Andrea getreten und hatte begonnen, sie von dem Handschuh zu befreien.

Andrea streckte ihre Arme nach vorn und blickte fasziniert auf Sabrina. »Ein sehr interessantes Gerät, dieser Handschuh.«

Sabrina lächelte.

Roberta stand auf. »Dann lassen Sie uns ins Esszimmer gehen.«

Andrea warf noch einmal einen Blick zu Sabrina und sah, dass Christine die Riemen von Sabrinas Geschirr wieder mit dem Schlitten verbunden hatte.

Andreas verwunderter Blick ließ Sabrina selbst antworten. »Wundere Dich nicht. Es war mein Wunsch, in diesem Haus immer und ständig unter Kontrolle zu stehen.« Sie stand langsam auf, als sie von Christine das Zeichen dazu bekommen hatte. »Und ich genieße es sehr.« Langsam ging sie los und zog den Schlitten hinter sich an der Leine hinter sich her.

Andrea schüttelte den Kopf, aber sah Sabrina fasziniert zu, wie sie langsam und mühsam entlang der Schienen ihren vorgeschriebenen Weg nahm.

* * *

Nur ganz kurz hatte Andrea sich gewundert, wie Sabrina denn ohne Arme essen würde, dann war es ihr klar, dass sie jemand füttern würde.

Dabei ging Andrea der Gedanke durch den Kopf, dass es doch eigentlich ziemlich demütigend sein müsste, bei der Nahrungsaufnahme nicht über die eigenen Hände verfügen zu können. Doch die Anmut und vor allem die leuchtenden Augen von Sabrina zeigten ihr, dass es für die so stolze Autorin keineswegs demütigend war. Im Gegenteil, sie genoss es sichtlich, in Gegenwart einer Fremden ihr Spiel weiter zu spielen. Ein sehr seltsames Spiel, dessen Regeln sie selbst einmal festgelegt hatte und an die sie sich jetzt halten musste

Andrea selbst aß nur eine Kleinigkeit, sie hatte wenig Appetit. Zu sehr spukten ihr die verschiedenen Gedanken durch den Kopf, ihr aufbrausender Chef, ihr toller Auftrag und immer wieder auch das zugegeben etwas seltsame, aber nicht minder große Glück von Sabrina in ihrer selbst gewählten Gefangenschaft.

»Ist Dein Chef immer so aufbrausend?« Sabrinas neugierige Frage riss Andrea aus ihren Gedanken.

Die Reporterin seufzte. »Er hat es bis jetzt nicht überwunden, dass sie ausgerechnet mich ausgewählt haben.«

Roberta ließ ein wenig durchschimmern. »Ihre wenig aufdringliche Art und ihre bisherige Arbeit hat uns überzeugt.«

»Und was wirst Du nun über mich schreiben?« Sabrinas Augen zeigten ein Strahlen, welches Roberta überhaupt nicht gefiel.

Andrea konnte ehrlich antworten. »Das weiß ich noch nicht.«

Roberta wollte das Gespräch in eine andere Richtung lenken. »Was sagt denn ihr Freund zu diesem Auftrag?«

Andrea seufzte. »Es gibt keinen. Obwohl mich meine Mutter so gern unter der Haube sehen möchte.«

Es entstand eine Pause.

Andrea warf noch einmal einen Blick auf Sabrinas Handschuh und das Riemengeschirr, welches sie so unbarmherzig mit der Schiene verband und ihr die Wege vorgab. Sie sah, dass die anderen ihrem Blick gefolgt waren. »Entschuldigung, aber ich bin immer noch sehr verwundert darüber, wie Sabrina hier lebt. Sie ist doch quasi gefangen oder?«

Sabrina versuchte es richtig zu stellen. »Aber nur auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin.« Sie holte Luft. »Und ich habe ja auch meine Freiheiten.«

Andrea musste lächeln. »Wobei ich den Handschuh schon sehr interessant fand. Es ist so ein ganz eigenes Gefühl, nicht mehr über die Arme zu verfügen.«

»Was hättest Du mich denn eigentlich fragen wollen?« Sabrina kam auf den eigentlichen Zweck von Andreas Besuch zurück.

»Oh, ich hatte mich wohl etwas naiv vorbereitet. Ich habe die offizielle Biographie gelesen und kenne fast alle Romane. Und ich habe mir viele Fragen zurechtgelegt, die ich stellen wollte.«

»Haben Sie eigentlich noch einen Wunsch? Ich würde sonst abräumen.« Christine war aufgestanden und als Sabrina verneinte, begann sie den Tisch abzuräumen.

Andrea druckste ein wenig herum. »Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll...« Sie blickte mit leuchtenden Augen auf Sabrina und ihre verpackten Arme.

Christine war ihrem Blick gefolgt. »Meinen Sie«, ihre Stimme klang etwas verwundert, »sie möchten wieder den Mono tragen.«

»Wenn es keine Mühe macht, ja.« Andreas Stimme war leise. »Ich weiß nicht, wann ich jemals wieder die Gelegenheit dazu haben werde.« Ihre Stimme wurde noch leiser. »Und es hat mir sehr gut gefallen.«

Ein Lächeln glitt über Christines Gesicht. Sie nahm sich den Handschuh wieder zur Hand und trat hinter Andrea. »Könnten Sie kurz aufstehen, dann ist es für mich leichter.«

Andrea hielt den Kopf leicht verschämt gesenkt, als sie der Bitte nach kam. Als sie gleich darauf die zunehmende Enge an ihren Armen spürte, biss sie sich leicht auf die Lippen.

Schließlich hörte sie von Christine ein »Fertig«. Sie atmete tief durch.

* * *

Roberta blickte fragend auf Sabrina: »Was möchtest Du Deinem Gast noch bieten.«

Sabrina hatte sichtlich Schwierigkeiten, sich mit der neuen Rolle als Gastgeberin anzufreunden. Es schien, als würde sie nachdenken. Auf einmal glitt ihr Lächeln über ihr Gesicht. »Wie wäre es, wenn wir uns den neuen Film ansehen.« Sie nannte den Titel, der Andrea nichts sagte.

Sie standen auf und gingen ins Wohnzimmer. Andrea hatte sichtliche Mühe, mit ihren verpackten Armen ihren Weg zu finden.

Roberta war von der Entwicklung positiv überrascht. Wenn Andrea weiterhin den Mono tragen würde und in der Nacht Sabrinas Nachthemd, dann käme sie nicht in Versuchung, Kontakt zu ihrem Chef aufzunehmen, um ihm etwas zu verraten. Es lag auch in Robertas Interesse, das sowohl Sabrina als auch Andrea etwas abgelenkt wurden. Andrea würde nicht an ihre Story denken und Sabrina tat es gut, wenn sie einmal für einen gewissen Zeitraum auf andere Gedanken kam. »Ihr könntet ja wieder auf euer Kuschelsofa setzen.«

Sabrina war von der Idee sehr angetan, Andrea wusste noch nicht so recht, was auf sie zukommen würde.

Im Wohnzimmer war Christine schon voran gegangen und hatte das Sofa vorbereitet. Andrea sah jetzt deutlich die Aussparungen in der Rückenlehne und war fasziniert wie gut diese zu ihren verpackten Armen passten. Sie setzte sich neben Sabrina und bedingt durch die Nähe der beiden Aussparungen konnten sie sich dicht aneinander kuscheln.

Christine hatte den Fernseher eingeschaltet und eine DVD eingelegt. Während der Vorspann lief, erklärte Sabrina mit sehr viel Stolz in der Stimme, dass dies der erste ihrer Romane sei, der verfilmt wurde.

Andrea konnte sich sehr schnell in die Handlung fallen lassen und schaffte es, den Film zu genießen. Fast unbewusst spürte sie, wie Sabrina sich während des Films soweit wie es die Monohandschuhe es erlaubten, an sie kuschelte.

Ohne das es ihr selbst so richtig bewusst wurde, entwickelte sie eine starke Verbundenheit und Zuneigung zu der Autorin, an deren genauso aufregendem wie seltsamen Leben sie mit dem Handschuh ein klein wenig teilnehmen konnte.

Der Abend hatte eine ganz eigene Atmosphäre. Der Film lief, dazu knisterte im Kamin leise das brennende Holz und Sabrina und Andrea saßen beide mit ihren verpackten und hilflosen Armen zusammengekuschelt auf dem Sofa und genossen den Film. Ihren eigentlichen Auftrag hatte Andrea verdrängt.

* * *

Roberta kam in die Küche, in der Christine gerade in einem von zwei Gläsern etwas umrührte. Sie blickte zweifelnd zu ihrer Chefin. »Ob es wirklich das richtige ist?«

»Hast du die starke Dosis genommen?« Roberta war sichtlich angespannt.

»Natürlich, Du solltest jetzt aber nicht die Gläser verwechseln.« Sie reichte Roberta das Tablett. »Das mit dem gelben Strohhalm ist für Sabrina.«

Roberta warf noch einmal einen sorgenvollen Blick zu Christine, dann nahm sie sich das Tablett, drehte sie sich um und ging ins Wohnzimmer. Sie stellte die Gläser auf den Tisch vor die beiden Frauen.

Sabrina schien dieses Ritual gewöhnt zu sein. Sie blickte ermunternd zu Andrea und erklärte. »Das ist mein 'Schlummertrunk'. Das ist noch aus der Zeit, in der ich viel Medikamente nehmen musste. Lass es Dir schmecken.«

Andrea blickte ein wenig verwundert auf Sabrina, die sich zum Tisch vorgebeugt hatte und den Strohhalm in den Mund genommen hatte.

Ein ermutigender Blick von Roberta sowie das Gefühl, nicht unhöflich sein zu wollen brachten Andrea dazu, sich ebenfalls den Strohhalm in den Mund zu nehmen und zu trinken. Deutlich spürte sie dabei ihre Arme, die sie gern zum Glashalten benutzt hätte. Eine Gänsehaut überkam sie, als sie über diese Form ihrer Hilflosigkeit nachdachte.

* * *

»Und sie sind sich sicher, dass sie sich eines von Sabrinas Nachthemden anvertrauen wollen?« Robertas Stimme klang ernsthaft besorgt.

Sabrina lächelte, während sie auf dem Weg zum Bad war. Sie drehte sich noch einmal um und blickte Andrea ermunternd an. »Du wirst sehr ruhig schlafen.« Sie grinste dabei etwas hinterhältig.

Andrea zögerte etwas.

Roberta wollte sich ihrer Sache sicher sein. »Sagen Sie bitte hinterher nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt.«

»Nein, ich werde es machen.« Andrea wollte zuversichtlich klingen, trotzdem zitterte ihre Stimme etwas. Zumal Andrea von der Aussicht, die Nacht direkt neben der berühmten Autorin verbringen zu dürfen, sehr angetan war. Roberta hatte ihr dies angeboten, weil sie so in das automatische Überwachungssystem eingeschlossen werden konnte. Außerdem wollte reizte es sie, noch mehr aus dem so seltsamen Leben der Autorin erfahren. Sie hoffte sehr, sich mit Sabrina noch unterhalten zu können.

Doch als Andrea aus dem Bad kam, sah sie, dass Sabrina schon fertig zugedeckt in ihrem Bett lag und die Augen geschlossen hatte. Es sah aus, als würde sie schon schlafen.

»Schade, das sie schon schläft«, sagte Andrea, »ich hätte mich gern noch etwas mit ihr unterhalten.«

Roberta beschwichtigte sie, »Morgen ist ja auch noch ein Tag.« Dann hielt sie ihr das Nachthemd hin.

Andrea nahm es zur Hand und wusste zunächst gar nicht, wie sie in diesen seltsamen Schlauch hinein kommen sollte. Christine half ihr dabei, die Beine in das nach unten immer enger werdende Beinteil zu stecken und zeigte ihr dann die Ärmel, die bei diesem Nachthemd innen eingearbeitet waren. Es ging Andrea fast etwas zu schnell, da lagen ihre Arme schon hilflos längs am Körper und Christine war dabei, den Reißverschluss vorn zuzumachen. Dann half sie Andrea, sich auf das Bett zu legen und deckte sie zu.

»Gute Nacht,« verabschiedeten sich die beiden, dann ließen sie Andrea allein neben Sabrina liegen.



Andrea bedauerte, dass Sabrina schon eingeschlafen war. Sie hätte sich gern noch mit ihr unterhalten, um mehr Informationen für ihren Bericht zu bekommen. Sie sah die große Schlagzeile in Gedanken schon vor, wenn sie den Artikel über die berühmte Autorin verfassen würde. Ihr Chef würde sie endlich einmal loben und ihre Leistung anerkennen.

Andrea begann zu träumen, welche Möglichkeiten dann vor ihr liegen würden, vielleicht bekäme sie dann noch mehr tolle Aufträge, vielleicht würde sie ja auch mal etwas mit Fernsehen machen dürfen.

Vor ihren Augen sah sie schon Fernsehteams, wie sie Sabrina belagern würden und auf Bilder von ihr nur warten würden.

Doch dann stutzte Andrea. Sie fühlte deutlich, wie das besondere Nachthemd ihr sämtliche Bewegungsfreiheit nahm und wie Sabrina mit großer Wahrscheinlichkeit jede Nacht schlafen würde.

Sie sah wieder und wieder die glücklichen Augen der Autorin vor sich und auf einmal fragte sie sich, ob Sabrina diese Öffentlichkeit überhaupt haben wollte. Sie kam ins Grübeln und erst jetzt wurde ihr ihre eigentliche Situation bewusst. Auf einmal wurde ihr heiß. Auf was hatte sie sich hier eingelassen?

Sie lag im Haus der berühmten Autorin in einem Fesselnachthemd im Bett und wurde von Roberta und Christine überwacht. Was wäre, wenn sie ihr jetzt etwas antun wollten?

Andrea versuchte mit den Armen aus den Ärmeln zu kommen, doch sie musste sehr schnell erkennen, das sie in dem Nachthemd sehr sicher eingesperrt und völlig hilflos war. Eine neue Angst überkam sie. Was wäre, wenn Roberta und Christine verhindern wollten, dass sie etwas über Sabrina schreiben würde.

Jetzt ärgerte sie sich maßlos, das sie so naiv gewesen war. Wieder versuchte sie sich aus dem Nachthemd zu befreien, doch es war zu gut gearbeitet.

Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ruhig auf dem Bett zu liegen und in sich rein zu hören. Würde sie denn wirklich Sabrina und ihren selbst geschaffenen Lebensstil verraten wollen?

Sie stellte sich ernsthaft diese Frage und ging in Gedanken den heutigen Tag noch einmal durch. Wie sie die Autorin in ihrem Geschirr und den Handschuhen so überrumpelt hatte und wie sie dann in ihren Armen gekommen war. Dann sah sie Sabrina in ihrem Schreibstuhl vor sich, wie sie wirklich nur noch ihre Finger bewegen konnte. Und noch viel mehr hatte sie der Monohandschuh beeindruckt, der sie so unerbittlich hilflos gemacht hatte.

Auf der anderen Seite rief sie sich die spannenden Romane in Erinnerung, die sie alle verschlungen hatte und ihren Wunsch, diese tolle Autorin einmal kennen zu lernen. Jetzt hatte sie sie kennen gelernt und doch war es ganz anders, wie erwartet.

Im Prinzip wusste sie schon, was sie bei ihrem Chef abliefern würde, auch wenn es ihr nicht leicht fiel.

Vor der Tür waren Schritte und leises Flüstern zu hören. Andrea hielt den Atmen an. Sie kamen.