Vinctae in Monasterio Antiquo – Die Tochter des Herzogs
Autor: Karl Kollar
Karin schloss die Tür zu ihrem Zimmer im Gasthof und ging den Gang entlang zum Treppenhaus. Schon auf der Treppe duftete es appetitlich nach Kaffee und sie glaubte sogar, frische Brötchen zu riechen. Fast etwas vorsichtig betrat sie den kleinen Frühstücksraum und blickte sich um. Der Raum war nicht sehr groß und es standen auch nur sechs Tische darin, die aber sehr liebevoll gedeckt waren. An der Wand neben der Tür war das Frühstücksbüfett aufgebaut, an dem sich ihre zukünftige Kollegin Andrea Falk gerade bediente. Karin wünschte ihr einen guten Morgen und Andrea erwiderte den Gruß.
Paula, die Tochter der Wirtin, begrüßte die Lehrerinnen und fragte, ob sie, ob sie lieber Tee oder Kaffee trinken wollten. Beide entschieden sich für Kaffee.
Karin nahm sich ebenfalls einen Teller und bediente sich am Büfett. Dann setzte sie sich zu Andrea an den Tisch. Beide begannen zunächst schweigend mit dem Frühstück.
Paula brachte den Kaffee und schenkte beiden Frauen gleich eine Tasse ein. »Und was haben Sie heute vor?« Sie wollte nett sein.
»Wir werden im Kloster sein.« Karin versuchte sich zu erinnern, was gestern ausgemacht wurde. »Die Direktorin wird uns abholen.«
Paula lächelte. »Meine Mutter hat mir von den Mädchen erzählt. Das wird bestimmt toll.« Dann wünschte sie den beiden Lehrerinnen einen guten Appetit und ging wieder in die Küche.
Andrea war unzufrieden. »Alle Welt scheint hier Bescheid zu wissen, nur ich habe nichts erfahren.« Sie nahm einen ersten Schluck Kaffee. »Keine Lehrpläne, keine Schülerlisten, gar nichts.« Sie schien die Ungewissheit nicht zu mögen.
Karin blickte nachdenklich aus dem Fenster. »Ich habe auch keine Informationen bekommen.« Sie berichtete von ihrer Ankunft, während sie langsam ihr Frühstück genoss. »Sie meinten, ich sei für den Lehrgang geeignet.«
Andrea musste ihr beipflichten. »So war es bei mir auch.« Sie klopfte ihr Ei auf. »Aber sie haben mir nicht gesagt, welche Fähigkeiten ich hier brauchen werde.«
* * *
Die Tür zum Flur öffnete sich und Birgit kam in den Frühstücksraum. In ihrer Hand hielt sie die Hand ihrer Freundin, die nach ihr den Raum betrat. Sie wünschten den beiden Lehrerinnen einen »Guten Morgen«.
Karin und Andrea erwiderten den Gruß. Sie freuten sich, das außergewöhnliche Liebespaar wieder zu sehen.
Karin warf einen verstohlenen Blick auf die beiden Frauen. Aber sie entdeckte keine Fesselungen irgendwelcher Art, zumindest keine sichtbaren so wie gestern. Doch das Strahlen in den beiden Gesichtern war überdeutlich zu sehen. Sie bedienten sich am Büfett und setzen sich an den Tisch neben Karin und Andrea.
Paula kam und fragte, was sie denn trinken wollten. Birgit bestellte sich Kaffee, während Alexandra sich schwarzen Tee wünschte.
Karin lag die Frage auf der Zunge, aber sie wagte es nicht, sie auszusprechen. Zu gern hätte sie gewusst, wie lange die beiden Frauen gestern ihre Monohandschuhe noch getragen hatten. Und natürlich hätte sie auch gern gewusst, wie sie letztendlich daraus heraus gekommen waren.
Ihre Kollegin Andrea war weniger zurückhaltend. »Sollen wir Ihnen heute wieder bei den Handschuhen helfen?« Aber direkt fragen wollte auch nicht. Bei dem Gedanken daran spürte Karin ein leichtes Ziehen im Unterleib. Sie war von der gestrigen Hilflosigkeit dieser beiden Frauen sehr fasziniert.
Alexandra lächelte. Ihre Stimme hatte immer noch etwas verträumtes. Aber über die Frage war sie nicht verwundert. »Heute können wir das nicht machen, wir wollen in die Stadt zum Einkaufen. Die Direktorin hat uns eines ihrer Autos geliehen.«
Karin hatte jetzt auch etwas Mut gefasst. Trotzdem fiel ihr die Frage nicht leicht. »Machen Sie so etwas öfters?«
»Nein, leider geht das leider nur sehr selten.« Birgit blickte Alexandra verliebt an und gab ihrer Freundin einen kurzen Kuß. »Aber ab Montag...« Beide Augenpaare strahlten. Sie schien Fragen dieser Art gewohnt zu sein.
Das weitere Frühstück verlief in fröhlichem Schweigen.
* * *
Doch gegen Ende des Frühstücks sollten die beiden Lehrerinnen doch noch erfahren, wie Birgit und Alexandra ihre Befreiung organisiert hatten. Paula kam leicht verschämt ins Frühstückszimmer und hielt etwas in ihrer Hand. Sie warf einen verstohlenen Blick auf die beiden Lehrerinnen und ging auf das Liebespaar zu. »Danke, das ich es ausprobieren durfte.« Sie hielt etwas in ihrer Hand und legte es auf den Tisch.
Birgit sprach im Gegensatz zu ihr ganz unbefangen. »Wir haben zu danken. Das wäre sonst doch eine eher ungemütliche Nacht geworden.«
Es war Paula sichtlich unangenehm. Ihre Stimme war sehr leise, trotzdem verstand Karin, was sie sagte. »Bitte verraten Sie meiner Mutter nichts davon.« Sie drehte sich um und verschwand sehr schnell in der Küche.
Karin blickte fast etwas verstohlen hinüber auf den Tisch und sah, was die Wirtstochter zurückgebracht hatte. Vor Birgit lag ein roter Ballknebel.
Alexandra spürte die nicht ausgesprochenen Fragen der beiden Frauen. »Paula hat uns gestern die Knebel abgenommen und uns dann aus den Handschuhen geholfen.«
Birgit ergänzte, »Sie hat uns gefragt, ob sie so einen Ball einmal ausprobieren dürfte.«
»Wir haben ihr das gern erlaubt.« Alexandras Stimme klang schon wieder sehr verliebt. Karin war fasziniert von der Unbefangenheit, mit der hier über die Knebel gesprochen wurde. Bisher hatte sie das leider ganz anders erlebt. Alexandra blickte auf die Uhr, die über dem Büfett an der Wand hing. »Wollen wir los?«
Sie verabschiedeten sich von den beiden Lehrerinnen, dann gingen sie aus dem Raum. Karin und Andrea blickten ihnen fasziniert nach.
Auf dem Flur waren Stimmen zu hören. »Ja, wir wollen in die Stadt.« Das war Birgit, aber es war nicht zu erkennen, wem sie die Frage beantwortet hatte.
Es klopfte und Frau von Taubach steckte ihren Kopf in den Frühstücksraum. »Ich wünsche einen guten Morgen.«
Die beiden Lehrerinnen erwiderten den Gruß. Die Direktorin trat herein und setzte sich zu den beiden Frauen an den Tisch. »Ich denke, wir sollten dann so langsam mit der Arbeit beginnen.« Sie machte eine kleine Pause.
»Ich möchte sie in die Bibliothek des Klosters bringen, dort habe ich Ihnen diverse Unterlagen bereitgestellt, mit denen sie sich auf die nächsten Monate vorbereiten können.«
Es beruhigte beide Frauen, dass sie endlich ein wenig über den Lehrgang erfahren sollten.
»Heute Nachmittag werden wir noch in die Stadt fahren. Der Herzog möchte, dass sie während des Lehrgangs so etwas wie eine Uniform tragen, die werden wir einkaufen.« Sie erwähnte, dass der Herzog für alle Kosten aufkommen würde.
* * *
Prinzessin Tamara, die Tochter von Herzog Karl hatte ihren heutigen Auftritt gegenüber der Baroness schon seit längerem geplant. Sie war vor kurzem extra auf den großen Speicher des herzoglichen Schlosses gestiegen und hatte in dem Schrank mit der im Frühjahr weggeräumten Winterkleidung gekramt. Dort hatte sie ihren Spezial-Mantel untergebracht, den sie allerdings schon länger nicht mehr getragen hatte, denn er hatte ein paar für sie eher unangenehme Eigenschaften. Doch heute konnte sie genau diese Einschränkungen sehr gut gebrauchen.
Ihr Vater hatte ihr damals einen großen Wunsch erfüllt, als er den Mantel nach ihren detaillierten Plänen anfertigen ließ. Die beiden Ärmel oder besser das gemeinsame Armteil war so gerarbeitet, dass es eine lange Röhre bildete, mit der ihre Arme vor dem Körper gefangen waren.
Es war nicht leicht, den Mantel anzuziehen und Tamara brauchte stets Hilfe dazu. Aber wenn ihre Arme einmal in dem Mantel verschwunden waren, konnte sie sich ohne fremde Hilfe daraus auch nicht mehr selbst befreien. Das hatte sie sich so gewünscht und die Schneiderin hatte es nach ihren Vorgaben zur vollen Zufriedenheit umgesetzt.
Doch dass war ihr damals nicht genug gewesen. Sie hatte noch eine andere große Einschränkung machen lassen. Der Mantel hatte den Verschluss im Rücken. Zwei Reißverschlüsse im Rücken verschlossen den Mantel, einer davon von der Taille bis zu ihren Knöcheln, der andere reicht bis zum Nacken. Darüber befand sich noch eine Knopfleiste und dazu kam dann noch ein schicker Gürtel, der wieder nach vorn zu schließen war. Vorn hatte der Mantel zwar auch eine elegante Knopfleiste, aber die war nur Tarnung. Der Mantel war ausschließlich im Rücken zu öffnen und zu schließen.
Das Beinteil des Mantels hatte noch eine weitere Besonderheit, es bestand quasi aus zwei Lagen. Der äußere sichtbare Teil schwang locker um ihre Beine, wie es bei einem Mantel üblich war. Der innere Teil jedoch bildete bei geschlossenen Reißverschluss einen sehr engen Rock, der ihr unauffällig nur sehr kleine Schritte erlaubte.
Tamara war mit der Arbeit ihrer Schneiderin sehr zufrieden, zumal der Mantel auch wunschgemäß sehr robust ausgefallen war. Sie hatte es bisher noch nie geschafft, sich darauf zu befreien.
Im Nachhinein dachte sie auch gern an die Zeit, als sie dem Mantel mal gegen ihren Willen tragen musste. Damals verfluchte sie ihren gründlichen Entwurf sowie die sehr gute Arbeit der Schneiderin. Seit dieser Zeit wusste sie, dass dieser Mantel ausbruchssicher war. Treppensteigen war mit dem Mantel allerdings sehr schwierig, da sie ihre Beine kaum bewegen konnte. Doch Tamara liebte diese Art von Schwierigkeiten.
* * *
Jetzt lag der Mantel ausgebreitet auf dem Tamaras Bett und wartete nur darauf, seine Trägerin gefangen zu nehmen. Die Herzogstochter trug den Mantel nur sehr selten, da er sie wirklich sehr effektiv hilflos machte. Doch heute war es dieses Opfer wert.
Bertha stand neben ihr und blickte sie zweifelnd an. »Wollt Ihr das wirklich machen, Prinzessin?« Sie war schon sehr lange die Dienerin im Schloss und für Tamara eher so etwas wie eine Oma. Berta stand stets auf Tamaras Seite, sie hatte damals bei der Erziehung geholfen, als die Herzogin starb. Und im Laufe der Zeit war sie eher zu einer älteren Freundin geworden. »Ihr könntet doch auch so in das Internat fahren.« Doch sie kannte den Dickkopf der Prinzessin, die wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, durch nichts davon abzubringen war. »Freut Ihr Euch nicht, dass es jetzt endlich losgeht?«
Statt einer Antwort ging Tamara zum Bett, hob den schweren Mantel hoch und reichte ihn der Dienerin. Dann blickte sie Bertha auffordernd an.
Es war für Tamara stets schwierig, in den Mantel hinein zu kommen, denn sie musste ihre beiden Armen gleichzeitig in die Armröhre stecken und sie dann so lange hinein schieben, bis ihre Hände an den gegenüberliegenden Ellenbogen angekommen waren. Sie musste teilweise sogar ihre Finger zu Hilfe nehmen, um die eher enge Armröhre an die richtige Stelle zu bringen.
Bertha half ihr dabei, in dem sie an diversen Stellen von außen an dem besonderen Ärmel zog und zupfte, bis sie das Gefühl hatte, dass er richtig angezogen war. Irgendwie wurde deutlich, dass sie dabei eine gewisse Erfahrung hatte.
Schließlich war sie mit dem Sitz des Mantels zufrieden. Sie trat hinter Tamara und mit einer etwas feierlichen Stimmung bat sie ihren Schützling, die Beine zusammenzustellen. Sie kniete sich hin und ergriff die beiden Teile des Reißverschlusses, um sie zusammen zu führen. Langsam zog sie den Verschluss zunächst bis zu den Knien der Prinzessin hinauf. Tamara spürte sofort den leichten Druck auf ihren Beinen und ihr Blick wurde zufriedener. Aber ihr Atem wurde unmerklich schneller.
Die Dienerin schloss die zwei Schnallen, die die Beinteile des Mantel um die Knöchel und die Waden zusätzlich zusammen hielten. Ihre Aufgabe war es, den Reißverschluss zu entlasten, wenn die Beine der Trägerin versuchen sollte, sich mehr als den vorgesehenen Freiraum nehmen zu wollen. Dann wurde der Reißverschluss bis zu Tamaras Taille hochgezogen. Ein zweiter Reißverschluss sicherte das Oberteil des Mantels bis zum Nacken.
Berta trat einen Schritt zurück und für einen Augenblick lag tiefe Bewunderung in ihrem Blick. »Toll, wie ihr darin ausseht. Man sieht es dem Mantel wirklich nicht an, wie streng er ist.«
Tamaras Augen leuchteten und sie ließ sich von der Stimmung anstecken.
Doch dann sprach Berta weiter. »Aber muss das wirklich sein? Ihr kennt sie doch.«
Die Erinnerung an die Baroness riss die Herzogstochter aus der Stimmung. Sie blickte entschlossen auf den kleinen Tisch neben ihrem Bett.
Dort lag noch ein Ballknebel sowie ein winziges Vorhängeschloss. »Seit Ihr sicher, dass Ihr das wirklich wollt?« fragte die Bertha, als sie den Knebel zur Hand genommen hatte. Doch eine Antwort erwartete sie nicht wirklich. Sie kannte die Entschlossenheit der Prinzessin, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. »Wo habt ihr den Schlüssel diesmal versteckt?«
»Den trage ich nahe bei meinem Herzen.«
Bertha wusste, dass Tamara dies immer dann sagte, wenn sie etwas in ihrem BH versteckt hatte. »Ob das wirklich so klug ist?«
»Mach es bitte, bevor ich es mir noch mal anders überlege.« bat Tamara, dann öffnete sie ihren Mund und schloss die Augen.
Mit gewohnter Routine legte die Dienerin ihrem Schützling wie gewünscht den Ballknebel an. Mit Bedauern in der Stimme strich sie ihrem Schützling über die kurzen Haare. »Was habt ihr bloß aus Eurer schönen Frisur gemacht. Ihr hattet so schöne lange Haare.« Doch auch diesmal erwartete sie keine Reaktion. Nicht wegen des Ballknebels, sondern weil sie die Antwort schon wusste. Es lag natürlich an der Baroness, der neuen Bekannten ihres Vaters, weswegen Tamara sich nicht nur äußerlich so drastisch verändert hatte.
»Bequem wie immer?«
Tamara öffnete die Augen und bewegte ein wenig ihren Kiefer, dann blickte sie ihre Dienerin zufrieden an. Diese nahm das kleine Schloss vom Tisch und wie sonst auch sicherte sie den Knebel gegen unerlaubtes Entfernen.
* * *
Herzog Karl kam in die große Eingangshalle seines Schlosses, wo seine neue Freundin, die Baroness Franziska von Widgenstein schon wartete. Ihr Blick zeigte ihm sofort, wie verärgert sie war. »Kommt sie endlich?« Ihre Stimme war ungehalten. »Ich verstehe nicht, warum sie so lange braucht. Es ist doch alles fertig und das Gepäck ist im Auto.«
Herzog Karl blieb eine Antwort schuldig.
»Ich hoffe, sie weiß sich wenigstens dies eine Mal korrekt zu benehmen.«
Der Herzog wusste, wie wichtig der Baroness das korrekte Benehmen innerhalb ihrer Kreise war, aber genauso war ihm auch klar, wie wenig seine Tochter davon hielt. Dabei war es nicht immer so gewesen. Erst seit er die Baroness kennen gelernt hatte, legte Tamara ein nahezu unmögliches Verhalten an den Tag. Er seufzte. Wenn doch ihre Mutter noch leben würde.
»Ich erwarte eine korrekte Verabschiedung, wie es sich gehört. Sie soll mir doch nur die Hand geben und sich ordentlich verabschieden. Das ist doch nicht zuviel verlangt oder?« Sie formulierte es als Frage, aber eine Antwort erwartete sie nicht.
Herzog Karl seufzte wieder.
»Ich bin froh, wenn sie dann erst mal für einige Zeit weg ist. Ich hoffe, sie bekommt in diesem ... Internat endlich mal etwas Benehmen beigebracht.« Die Pause vor dem Wort 'Internat' sprach Bände.
Herzog Karl holte tief Luft, denn eigentlich wollte er seine Tochter verteidigen. Doch dann hielt er inne, denn er wusste, dass er nichts ausrichten konnte. Zu tief waren die Gräben zwischen seiner Tochter und seiner neuen Bekannten, als dass er da hätte etwas schlichten können. Zumal die Herzogin für die Leidenschaft seiner Tochter und auch die seiner verstorbenen Frau nichts abgewinnen konnte. Die Baroness hatte kein Verständnis dafür, warum sich jemand freiwillig in seiner Freiheit einschränken ließ. Dass Tamara ihrer vielleicht zukünftigen Stiefmutter alles zum Trotz machte, kam noch dazu. Darin war sie Meisterin und sie nutze dazu wirklich jede Gelegenheit, um sie zu reizen.
Insgeheim dachte er darüber nach, der Baroness in dem einen Punkt Recht zu geben. Wenn Tamara für das nächste halbe Jahr in dem strengen Internat war, dann würde sich vielleicht ihre Abneigung etwas legen. Immerhin hatte Tamara einen Großteil des Internats selbst entworfen, sie würde sich dann also ihren eigenen Regeln unterwerfen müssen. »Papi« hatte wie üblich hauptsächlich als Finanzier herhalten müssen.
Doch es war schon bitter, dass die Baroness von Bondage und den damit verbundenen Spielarten so gar nichts hielt.
* * *
Nur noch dieses lästige und vollkommen überflüssige Ritual hinter sich bringen, dann endlich würde sich für Tamara ein lange gehegter Wunsch erfüllen. Das nächste halbe Jahr würde sie in dem Internat verbringen, welches sie sich ausgedacht hatte und welches ihr Vater für sie möglich gemacht hatte. Sie musste nur noch die Begegnung mit der Baroness hinter sich bringen und sie war sich sicher, diesmal würde sie gewinnen.
Sie genoss die Enge des Mantels, dessen Beinteil ihr nur noch winzigste Schritte erlaubte. Vorallem weil sie wusste, dass die Baroness dafür kein Verständnis hatte und jedes Mal verärgert reagierte, wenn sie Tamara mit irgendwelchen seltsamen Einschränkungen ertappte. Mit Wehmut dachte Tamara an die Zeit zurück, als ihre Fesselungen gern gesehen waren. Als ihre Mutter noch lebte, da war auch ihr Vater sehr stolz auf sie, wenn sie ihrer Mutter nacheiferte. Doch mit dieser neuen Schnepfe, die für die Leidenschaft von ihr und ihrer Mutter so überhaupt kein Verständnis hatte, war alles verändert und nicht mehr schön. Sie verstand überhaupt nicht, warum ihr Vater ausgerechnet diese Person »angeschleppt« hatte, die für ihre so schöne Tradition so rein gar nichts über hatte.
Und das schlimmste war, das ihr Vater dieser Schnepfe hörig war. Er machte alles, was sie sagte oder vorschlug. Zum Glück waren die Vorbereitungen für den Lehrgang schon vollständig abgeschlossen, als die Baroness in ihr beider Leben trat.
Bislang hatte Tamara ihren Vater bei jedem Termin begleitet und so gut wie es eben ging, wollte sie ihm die Frau ersetzen. Nur ein einziges Mal hatte sie sich nicht die Zeit genommen, um an seiner Seite zu sein. Es war beim Ball des Botschafters und sie blieb dahin, um noch einmal von ihrem Internat zu träumen. Sehr groß war ihr Entsetzen, als sie am nächsten Morgen beim Frühstück die fremde Frau antraf, die zugleich noch sehr zärtlich tat mit ihrem Vater.
Sie war sauer. Seit sich die Baroness hier einquartiert hatte, hatte sich alles verändert. Sie war nicht mehr die First Lady, das war jetzt »sie«. Tamara machte sich bis heute Vorwürfe. Wenn sie ihn auf bloß besser aufgepasst hätte.
Doch heute würde sie es der Zicke zeigen. Von wegen richtiges Benehmen. Natürlich wusste Tamara sich formvollendet zu benehmen. Aber nicht gegenüber diesem Biest, welches ihr den Vater wegnommen hatte. Heute würde sie es dieser Schnepfe schon zeigen. Tamara wusste, dass sie stets auf allen Förmlichkeiten bestand. Auch wenn Tamara es jedesmal anekelte, bestand die Baroness darauf, dass sie sich mit Händedruck und den richtigen Worten verabschiedete oder begrüßte.
Aber diesmal nicht. Diesmal wollte Tamara dem Ritual, welches sie bis auf den Tod hasste, entgehen. Genüsslich bewegte sie den Ball in ihrem Mund. So bald würde der dort nicht mehr herauskommen. Sie grinste innerlich. Je näher sie den drei kleinen Stufen kam, desto ruhiger wurden ihre Schritte. Aber innerlich wurde sie immer aufgewühlter.
* * *
Herzog Karl blickte auf die Gestalt seiner Tochter, die sich gerade sehr mit den drei kleinen Stufen abmühte. Früher hatte ihn dieser Anblick gefreut, doch heute war ihr Auftreten denkbar ungeeignet. Er stöhnte innerlich auf, denn er ahnte was kommen würde.
Die Baroness sah, wie sie mit kleinen Schritten auf sie zu kam. Sie nahm an, eine artige und brave Tamara würde sich verabschieden wollen. Innerlich war sie über das demütige Auftreten sehr angetan. Doch von dem geknebelten Mund sah die Baroness nichts.
Doch als Tamara vor ihr stand, hob sieh ihren Kopf und reckte ihr den geknebelten Mund entgegen. Ihre Augen blitzen und ihre Arme zuckten in ihrem Armgefängnis.
Die Baroness, die sehr auf die Etikette fixiert war, sah jetzt erst, das sie sich wieder diesen seltsamen Ball in den Mund gesteckt hatte, mit dem sie nicht vernünftig reden konnte. Sie blickte an ihr herunter und nach kurzer Zeit hatte sie auch den besonderen Ärmel entdeckt. Voller Ärger hatte sie sich nicht mehr unter Kontrolle, ihr rutsche die Hand aus und sie gab Tamara eine schallende Ohrfeige.
Die Prinzessin zwang sich, dies ruhig hinzunehmen. Sie nahm es als Triumph auf, dass sie es geschafft hatte, die Baroness aus der Reserve zu locken.
Herzog Karl war geschockt über den Vorfall. Es war für ein gleich eine doppelte Enttäuschung, zum einen der bewusst provozierende Aufzug seiner Tochter und zum anderen die übertrieben heftige Reaktion seiner Freundin, die sich hatte aus der Reserve locken lassen. Mit einer eher traurigen Miene zog er Tamara weg und schob in unnachgiebig in Richtung Haustür, wo der Wagen bereits wartete.
* * *
Tamaras Wange brannte deutlich von der Ohrfeige, aber die Herzogstochter war zu stolz, um dem Schmerzgefühl nachzugeben. Im Gegenteil, sie genoss ihren Triumph, die Baroness so aus der Contenance getrieben zu haben. Es störte sie auch überhaupt nicht, dass ihr Bertha jetzt beim Einsteigen helfen musste, da sie wegen dem Beinteil des Mantels ihre Beine kaum bewegen konnte. Denn der Triumph von eben wog diese Nachteile mehrfach auf.
Der Herzog, der sie zum Auto begleitet hatte, war sichtlich verärgert. »Schnallen sie sie an«, herrschte er Bertha an, die neben dem Wagen bereit stand. Dann ging er mit schnellen Schritten ins Schloss zurück.
Es tat Tamara lediglich ein wenig leid, dass ihr Vater jetzt ebenfalls verärgert war. Ihn wollte sie mit dieser Aktion nicht treffen. Sie schloss ihre Augen und fühlte, wie sich der Sicherheitsgurt langsam über ihren hilflosen Körper legte. Es war alles genau so gelaufen, wie sie es sich erträumt hatte, dazu kam das noch nicht nachlassende Hochgefühl ‚ihr’ eins ausgewischt zu haben.
»Hätte das denn sein müssen?« Die Stimme der Dienerin klang ebenfalls etwas verärgert.
Tamara ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Sie ignorierte Bertha einfach.
* * *
Ausgerechnet heute musste sie diesen vermaledeiten Mantel tragen. Er war sauer, denn dieses besondere Stück aus echtem Leder war damals selbst für seine Verhältnisse sehr teuer gewesen, zum einem wegen Materialmenge, da der Mantel fast überall zwei Lagen hatte und zum anderen wegen den sehr vielen Arbeitsstunden für die Schneiderin, die ihn nach den Vorgaben seiner Tochter angefertigt hatte. Er ging zur Baroness und herrschte sie an. »Hättest Du dich nicht unter Kontrolle haben können?« Er war hörber verärgert.
Doch die Baroness rechtfertigte sich. »Das Biest hat es doch mehr als verdient, wenn sie mich so provoziert.«
»Du hättest die Stärkere sein können.« Er war verärgert und enttäuscht, das die beiden Frauen sich so überhaupt nicht verstanden und bisher noch nie miteinander ausgekommen waren. Tamara nutzte jede Gelegenheit, um seine neue Freundin zu provozieren.
Die Baroness drehte sich wortlos um und ging in Richtung Treppenhaus.
Der Herzog seufzte hörbar, doch zu seinem Verwundern drehte sich die Baroness vor der Treppe noch einmal um und blickte ihn mit einer Mischung aus Bedauern und Sehnsucht an. »Komm bitte bald zurück.« Sie schien auch ein schlechtes Gewissen zu haben.
Der Herzog versprach es, dann ging er zum Telefon. Er wählte die Nummer, die er in den letzten Tagen oft gewählt hatte.
Caterina von Taubach meldete sich.
Er begrüßte sie und kam dann gleich zum Anliegen des Anrufes. Er beschreib, wie Tamara sich gerade aufgeführt hatte und bat die Direktorin, sie in dieser Hinsicht völlig zu ignorieren. »Ich möchte ihr eine Lektion erteilen. Bitte helfen sie ihr nicht mit dem Mantel. Sie hat sich da selbst hineinmavövriert, jetzt soll sie sehen, wie sie da wieder heraus kommt.«
Die Direktorin wusste von dem schwierigen Verhältnis zwischen der Prinzessin und der Baroness. Der Herzog hatte ihr bei den letzten Treffen oft genug davon berichtet. Sie versprach, der Bitte vom Herzog nachzukommen.
* * *
Der Herzog lenkte seinen Wagen auf den Parkplatz vor dem Abthaus und stellte den Motor ab. Er sah, dass die Direktorin ihn und seine Tochter schon erwartete, denn sie stand mit einer anderen Frau vor dem Haus. Er schnallte sich los und blickte noch einmal in den Rückspiegel zu seiner Tochter. Wieder seufzte er innerlich. Seit sie vor einer dreiviertel Stunde losgefahren waren, hatte sich die Prinzessin nicht ein einziges Mal bewegt und hatte den Kopf in Schweigen vor sich gesenkt. Er hatte eigentlich angenommen, Tamara würde sich über den Beginn ihres Bondage-Internats freuen. Immerhin hatte sie einen Großteil aller Ideen dafür geliefert. Er ließ den Gurt los, öffnete die Tür und stieg aus.
Die Direktorin Frau von Taubach gab Karin einen kurzen Wink, dann ging sie auf den Herzog zu und begrüßte ihn. Karin kam dem Wink nach und wurde von der Leiterin vorgestellt. Sie reichte ihm ebenfalls die Hand.
Der Herzog blickte zurück zum Auto, dann wandte er den Blick auf die Direktorin. Diese ahnte, was er wollte. Sie drehte sich zu Karin und bat sie, der Tochter des Herzogs beim Aussteigen zu helfen. Sie blickte dabei kurz auf das Auto. Dann wandte sie sich wieder zum Herzog. »Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
* * *
Karin ging zum Auto und fragte sich dabei, was für ein verwöhntes »Flittchen« sie denn da bedienen sollte. Sie ahnte nicht, dass die Direktorin ihr bewusst Informationen vorenthalten hatte. Sie öffnete die Tür und stellte sich höflich neben das Auto. Bei einem Blick auf das Abthaus sah sie, wie der Herzog gerade hinter ihrer Chefin in das Haus hineingegangen waren.
Als sich die Tür schloss, blickte Karin verwundert in das Wageninnere, denn zu ihrer Verwunderung war die Prinzessin immer noch nicht ausgestiegen. Sie sah, dass Tamara den Kopf trotzig nach unten gesenkt hatte.
»Wollen Sie nicht aussteigen?« Karins Stimme klang verwundert.
Tamara war über die unbekannte Stimme verwundert und reflexartig drehte sie den Kopf zu Karin hin. Sie wusste nicht, dass die Direktorin der Lehrerin bewusst nichts gesagt hatte. Karin sah voller Erstaunen, das die Prinzessin einen Knebel im Mund hatte. Da der Herzog sozusagen noch in Rufweite war, vermutete sie, dass sie Tamara den Knebel wohl nicht abnehmen sollte.
Doch die Prinzessin machte keinerlei Anstalten, aus dem Auto auszusteigen. Karin war verwundert. Sie sah, dass Tamara noch angeschnallt war. Dann fiel ihr Blick auf Tamaras Arme und als sie den Ärmel sah, war sie zugleich fasziniert und verwirrt zugleich. Sie blickte Tamara an und empfing einen Blick, der sowohl Stolz als auch Unsicherheit und Hilfesuche enthielt.
Karin wusste nicht so recht, was sie von der Situation halten sollte. »Soll ich sie los schnallen?«
Die Prinzessin blickte Karin misstrauisch an, dann nickte sie vorsichtig.
Karin beugte sich in den Wagen. Sie stützte sich am Vordersitz ab und suchte den Verschluss für den Gurt. Es machte leise Klick und Karin sah, wie der Gurt langsam über das Leder des Mantels rutschte.
Karin zog sich wieder aus dem Auto zurück und wartete. Sie war sich unsicher, ob Tamara noch Hilfe beim Aussteigen brauchen würde.
Sie sah, wie Tamara sehr auffällig zum Abthaus hinüber blickte, erst dann begann sie langsam ihre Beine zu bewegen. Karin sollte später begreifen, dass Tamara sich vor ihrem Vater keine Blöße geben wollte, wenn sie von Karin Hilfe an nahm.
Sie sah, wie die Prinzessin ihre Beine zusammen anhob und zusammen nach rechts aus dem Auto schob. Das äußere Beinteil des Mantels teilte sich vorn und gab einen Blick frei auf die vom Leder umspannten Beine der Prinzessin.
Karin blickte unauffällig auf die Art, wie Tamara ihre Beine bewegte, und sie begriff, das der Prinzessin nur wenig Beinfreiheit verbliebt. Die Lehrerin war mehr als verwundert, doch sie zwang sich, keine Reaktion diesbezüglich zu zeigen.
Tamara schien mit ihrem ganzen Körper zu kämpfen, um aus dem Auto zu rutschen. Karin erkannte die weiteren Gemeinheiten dieses sehr seltsamen Mantels. So wie Tamara ihre Arme trug, konnte sie sich auch nicht mit den Händen abstützen.
Reflexartig griff Karin an die Schulter der Prinzessin und wollte sie aus dem Auto ziehen. Tamara zuckte zusammen und schaute sie verwirrt an. Ihr Blick wechselte noch einmal zum Abthaus, dann sah sie Karin ermutigend an. Karin griff an Tamaras Schulter und zog sie aus dem Auto, dann half sie ihr, auf die Beine zu kommen. Tamara blickte sie an und trotz des Balles in ihrem Mund war das »Danke schön« gut zu verstehen.
Karin machte die Autotür zu und blickte noch einmal unauffällig auf die Prinzessin, die so einen außergewöhnlichen Auftritt hingelegt hatte. Mit sehr kleinen Schritten ging Tamara zielstrebig auf den Eingang zum Kloster zu. Karin war fasziniert von der Anmut, mit der Tamara die Einschränkungen des Mantels hin nahm. Erst später sollte Karin erkennen, dass Tamara ihrem Vater nicht mehr begegnen wollte und deswegen im Klostereingang Sichtschutz suchte.
Kaum war Tamara in dem Eingang verschwunden, da öffnete sich die Tür des Abthauses und der Herzog trat mit Frau von Taubach wieder vor die Tür. Er blickte noch einmal kurz zu der Direktorin, dann ging er zum Auto. Er holte einen großen Koffer aus dem Kofferraum und stellte ihn wortlos auf die Erde. Dann stieg er ein und fuhr los.
Karins Blick wechselte vom Auto wieder zum Klostereingang und erst jetzt fiel ihr auf, dass der Herzog sich nicht von seiner Tochter verabschiedetet hatte.
Ebenso ging ihr durch den Kopf, dass Tamara immer noch den Mantel und den Knebel trug. Eigentlich hatte sie angenommen, dass der Herzog seine Tochter daraus noch befreit hätte. Sie war verwundert.
Als der Wagen außer Hörweite war, kam Tamara mit langsamen Schritten aus dem Klostereingang heraus. Sie sah etwas verunsichert aus.
Caterina von Taubach ging zum Koffer, nahm ihn in die Hand und kam auf Karin zu. »Wir bringen die Prinzessin jetzt zu ihrem Quartier in der alten Herberge.« Sie warf einen kurzen auffordernden Blick auf Tamara, dann setzte sie sich mit langsamen Schritten in Bewegung. »Schenken Sie der Prinzessin jetzt bitte keine Aufmerksamkeit.« fügte sie flüsternd hinzu. »Ich erkläre Ihnen das später.« Karin nahm es zur Kenntnis.
Sie gingen den Weg zum nördlichen Tor, vorbei am Jagdhaus sowie den Weg neben dem Künstlerhaus zu dem kleinen Tor. Frau von Taubach schritt mit Karin durch das Tor, dann hielt sie die Tür auf und wartete auf Tamara, die sich mit den zwei Stufen sehr abmühte.
Karin wollte gerade den Arm ausstrecken, um der Prinzessin zu helfen, doch ein warnender Blick ihrer Chefin erinnerte sie an die entsprechende Bitte. So schaute sie lediglich auf die sehr intensiven Bemühungen der Prinzessin, mit der ihr verbliebenen Beinfreiheit die Stufen zu erklimmen. Erst ein Blick in Tamaras Gesicht nach der zweiten Stufen zeigten Karin, dass die Prinzessin diese Einschränkungen anscheinend so haben wollte und mit jetzt mit Eifer dagegen kämpfte.
* * *
Die Tür zur Herberge stand auf und die zwei Frauen gingen hinein. Frau von Taubach zeigte Karin kurz die Räume im Erdgeschoss, während Tamara noch mit dem Weg vom Tor her beschäftigt war.
Es gab die großen Gemeinschaftsräume sowie die Küche und das große Esszimmer. Aber, so erklärte sie, da sie im Moment keine größere Anzahl von Gästen erwarten, sind die Räume im Moment nicht in Betrieb.
Mittlerweile hatte Tamara es auch geschafft, in das Haus hinein zu kommen. Doch zu ihrem Entsetzen erklärte Frau von Taubach, dass ihr Zimmer im Obergeschoss sei und sie zeigte auf die Treppe. Karin blickte auf die Stufen und fragte sich, ob Tamara mit ihrem Mantel diese Stufen wohl schaffen würde.
Mit einem auffordernden Blick zu Karin ging die Direktorin zur Treppe und schritt sie empor. Karin ging hinterher und zwang sich, nicht zu Tamara zurück zu sehen. Im Obergeschoss zeigte ihre Chefin ihr die Zimmer entlang des langen Korridors, bis sie am Ende des Ganges zu einer kleinen Küchenecke kamen. Wortlos nahm sie zwei Tassen und ließ sich an der bereitstehenden Maschine zwei Kaffee machen. Dann stellte sie sich zusammen mit Karin an einen der Stehtische und schweigend genossen sie den Kaffee.
Erst nach langer Zeit war Tamara am anderen Ende des Korridors zu sehen. Sie hatte die Treppe geschafft. Frau von Taubach winkte sie heran.
Beim Näherkommen war zu sehen, dass Tamara schwitzte und außer Atmen war. Aber ihr stolzer Blick war geblieben. Karin fragte sich, wie sie wohl die Treppe geschafft hatte.
Als Tamara an dem Tisch angekommen war, zeigte die Direktorin auf das Zimmer ganz am Ende des Ganges. Karin fiel auf, dass es das Zimmer war, welches am weitesten entfernt von der Treppe war. Sie fragte sich, ob dies Zufall war.
Catherina von Taubach beantwortete die nicht gestellte Frage. »Euer Vater hat dieses Zimmer für Euch reserviert.« Sie öffnete die Tür und zeigte dann auf die Küche. »Wenn Ihr Kaffee mögt, bedient Euch nur.« Sie wies auf die Kaffeemaschine und zeigte die Schranktür mit den Tassen.
Tamaras Blick folgte der Bewegung, dann betrat sie mit langsamen Schritten in ihr Zimmer. Frau von Taubach winkte Karin kurz, dann gingen sie hinterher. Die Direktorin warf einen Blick auf ihre Uhr, dann wandte sie sich noch einmal an die Prinzessin. »Sie kommen zurecht?«
Karin war überrascht über den Sarkasmus, der in der Frage mit schwang. Sie war zwar höflich gestellt, aber es war klar, dass Tamara in ihrem Mantel bei weitem nicht zurecht kommen würde. Die Lehrerin ahnte, dass hier ein Machtspiel stattfand zwischen dem Herzog und seiner Tochter. Sie wusste, dass sie hier nicht eingreifen durfte.
Als Antwort legte Tamara sich aufs Bett und drehte sich mit genauso viel Mühe wie Entschlossenheit mit dem Gesicht zur Wand.
Frau von Taubach warf Karin wieder einen auffordernden Blick zu, dann ging sie zur Tür. Sie wartete, bis Karin an ihr vorbei gegangen war, dann trat sie ebenfalls auf den Korridor und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Sie blickte Karin an und legte dabei ihren Zeigefinger auf ihre Lippen. Dann ging sie mit schnellen Schritten in Richtung Treppenhaus. Karin ging nachdenklich hinterher.
* * *
Schweigend erreichten sie das Abthaus, vor dem schon wieder ein anderes Auto parkte. Karin sah, dass auf der Bank neben der Eingangstür zwei Personen saßen. Beim Näherkommen konnte sie sehen, dass es eine junge Frau mit langen dunklen Haaren und ein älterer Herr waren. Der Herr trug einen eleganten Anzug, während die Frau eine Jeans, eine Lederjacke und Stiefel trug. Sie unterhielten sich. Karin hatte erst angenommen, dass es Vater und Tochter waren, doch ihr war aufgefallen, dass die junge Frau den Herrn mit ‚Sie’ anredete. Neben der Bank standen drei große Taschen und ein Koffer.
Herr Professor Bartels und seine Studentin Juliane Reger, so wurden sie von der Direktorin vorgestellt. Karin erfuhr, dass Juliane die vierte Frau in ihrem Team sei.
Der Professor sah mit einem gewissen Stil auf seine Uhr. Obwohl er nichts dazu sagte, verstand Frau von Taubach dieses Signal. Sie warf Karin und Juliane einen auffordernden Blick zu, dann ging sie auf Professor Bartels zu. »Machen sie es gut, Professor Bartels.« Sie reichte ihm die Hand. Karin folgte ihrem Vorbild.
Juliane trat vor und reichte ihm ebenfalls die Hand. Der Professor hielt ihre Hand ein wenig länger. »Ich wünsche Ihnen bei ihrem Vorhaben sehr viel Erfolg.« Er blickte noch einmal kurz auf die Direktorin. »Ich komme gelegentlich vorbei, um nach Ihnen zu sehen.«
Juliane schien vor dem Herrn sehr viel Ehrfurcht zu haben. »Ich danke Ihnen noch einmal für die Gelegenheit, dies machen zu dürfen.« Auch sie klang sehr bedeutungsschwanger. »Ich hoffe, ich werde Sie nicht enttäuschen.«
Der Herr Professor ging bedächtig zum Auto, und ohne sich noch einmal umzublicken, stieg er er und fuhr zügig los. Die drei Frauen blickten dem Auto hinterher, bis es durch das große Tor verschwunden war.
Die Direktorin ergriff die Initiative. »Wir sollten zuerst ihre Arbeitssachen in die Bibliothek bringen, dann kann ich ihnen ihre Unterkunft zeigen.«
Jede der Frauen griff sich eine Tasche. Karin wunderte sich über das Gewicht ihrer Tasche. »Ziegelsteine?«
Juliane musste lächeln. »Bücher! Die brauche ich zum Arbeiten.«
Schweigend gingen sie den Weg zur Klosterpforte. Sie betraten die Klausur und gingen durch das Treppenhaus in das Obergeschoss zum Scriptorium. Juliane war sehr entzückt über die historische Einrichtung. Sie stellte ihre Tasche auf den Tisch und öffnete sie. Sie legte ein Diktiergerät sowie Schreibzeug auf den Tisch. Doch dann wurde sie von der Direktorin unterbrochen. »Ich würde Ihnen gern erst Ihr Quartier zeigen, dann können sie hier auspacken.« Juliane war einverstanden.
Mit einem Blick auf die Uhr wandte sich die Direktorin an Karin. »Ich schlage vor, sie gehen dann langsam zum Gasthaus, der Herzog wird sie bald erwarten.« Karin war innerlich ein klein wenig enttäuscht, denn sie hätte gern gewusst, wie es Tamara in der Zwischenzeit ergangen war, doch sie kam der Bitte ihrer Chefin nach.
* * *
Auf dem Weg zum Gasthof fragte Karin sich innerlich, was der Herzog wohl mit ihr zu besprechen hatte und ob die Sprache auf ihre Tochter kommen würde. Bisher war ihre Tochter bei jedem Vorstellungsgespräch ein Problem gewesen, seit der Bericht damals in der Presse erscheinen war.
Auf der anderen Seite würde es in diesem Lehrgang, soviel hatte Karin inzwischen begriffen, auch um Fesselungen aller Art gehen. Insofern dachte sie sich sarkastisch, hätte sie ja schon ein gewisses Vorleben vorzuweisen. Dennoch hoffte sie, dass der Herzog sie nicht darauf ansprechen würde.
Als Karin Gaststube ihres Quartiers betrat, sah sie, dass Andrea schon mit dem Herzog an einem Tisch saß. Sie ging darauf zu und reichte dem Herrn die Hand. Dann setzte sie sich zu den beiden.
Herzog Karl reichte Karin eine Mappe und bat sie, diese in Ruhe durch zuarbeiten. »Darin steht alles, was sie über den Lehrgang wissen müssen.« Doch dann wurde sein Blick etwas betrübter. Er wandte sich an Karin und ließ sich berichten, wie Tamara sich in der Zwischenzeit benommen hatte.
»Es ist nicht leicht mit ihr.« Er seufzte, dann beschrieb er, dass sie sich mit der Baroness überhaupt nicht verstehen würde. »Aber jetzt könnte es sich bessern, denn im Internat wird sie vielleicht etwas Abstand bekommen.«
Der Lehrgang sei schon geplant gewesen, als die Baroness in ihrer beider Leben trat, so berichtete er. Dann blickte er Karin ermunternd an. »Seien sie ruhig sehr resolut zu meiner Tochter. Sie ist ein Sturkopf.« Erst verzog er das Gesicht, dann lächelte er. »Den hat sie vermutlich von mir.«
Karin musste mit Wehmut an ihre eigene Tochter denken, zu der sie so gut wie gar keinen Kontakt mehr hatte. Sie versprach, hart zu bleiben. Als Lehrerin sei sie es gewöhnt, mit schwierigen Schülern umzugehen.
»Tamara ist eigentlich ein herzensguter Mensch«, seine Stimme klang bedauernd, »aber seit die Baroness da ist, hat sie sich total verändert.« Er berichtete von den diversen Eskapaden seiner Tochter. »Sie versteht sich überhaupt nicht mit ihr und das tut mir sehr weh.«
Karin wusste keine Antwort.
* * *
Karin trug ihre diversen Einkaufstaschen auf ihr Zimmer im Gasthof. Sie stellte die Taschen auf ihr Bett und packte sie aus. Frau von Taubach hatte sie im Gasthof abgeholt und gemeinsam mit Andrea waren sie in der Stadt gewesen, um die Ausrüstung für den Lehrgang zu kaufen.
Schwarze Stiefel kamen zum Vorschein, die Karin bis knapp über das Knie reichten. Atemlos hatte Karin sie im Geschäft probiert und war sehr aufgeregt. Nicht nur, weil sie solche Stiefel mochte, sich aber damit nicht unter die Leute traute, sondern auch, weil sie gesehen hatte, was sie kosteten. Doch alles, was sie jetzt auf ihr Zimmer getragen hatte, war aus der Kasse des Herzogs bezahlt worden.
Nicht nur zwei Paar dieser Stiefel, sondern auch einige schwarze Hosen und weiße Blusen, dazu noch passende Jacken. Karin malte sich in Gedanken aus, dass sie damit sicherlich sehr streng aussehen würde und sie war amüsiert.
Im Handwerkerbedarf hatte Frau von Taubach noch jeweils eine Weste ausgesucht, die sich dadurch auszeichnete, viele Taschen und Ösen zu haben. Karin konnte nur ahnen, wofür die wohl wichtig waren.
Leider reichte die Zeit nicht mehr, um sich einmal um zuziehen, denn die Direktorin hatte sie gebeten, bald wieder ins Kloster zu kommen. Die Sachen für die Ponygirl-Ausbildung würden gebracht werden und sie brauche jede helfende Hand beim Ausladen. Karin fragte sich seitdem allerdings schon die ganze Zeit, was denn ein ‚Ponygirl’ sei. Sie hatte nur nicht den Mut gehabt, ihre Wissenslücke einzugestehen, in dem sie sich danach erkundigte.
Karin packte die letzte Tüte aus. Sie hatte sich auch noch einige Freizeitkleidung aussuchen dürfen. Dabei hatte es zwar keine Preisvorgaben gegeben, trotzdem suchte sich Karin nur Sachen aus, die sie selbst hätte im Gegensatz zu den Stiefeln locker bezahlen konnte. Trotzdem war sie erstaunt, dass der Herzog auch diese Sachen bezahlt hatte.
Sie blickte auf die Uhr und beschloss, gleich wieder ins Kloster zu gehen. Es war ihr nicht recht, wenn sie auf sie warten müssten. Sie warf noch einen letzten Blick auf die faszinierenden Stiefel, dann verließ sie das Zimmer und ging in Richtung Kloster.
* * *
Mit schnellen Schritten ging Karin den Weg am Abthaus entlang, vorbei an der Klosterpforte hin zu der großen Scheune, zu der sie ihre Chefin bestellt hatte. Sie sah, dass die Direktorin schon da war und sich mit einer älteren Frau unterhielt. Sie trat zu ihnen und Frau von Taubach stellte sie der Hausmeisterin Frau Klebe vor. Dann erklärte sie, dass sie auf die Familie Steinmüller warteten, die jeden Moment kommen müssten. Doch zunächst kam nur Andrea um die Ecke, die ebenfalls vorgestellt wurde.
Karin erfuhr, dass die Familie Steinmüller eine Ponyfarm betrieben und ihre drei Töchter jetzt zu ihr auf den Lehrgang schicken würde, damit sie zu Ponymädchen ausgebildet werden könnten.
Karin nahm es zur Kenntnis, obwohl sie nicht wirklich wusste, was denn mit ‚Ponymädchen’ genau gemeint war. Sie warf einen Blick auf Andrea und stellte fest, dass diese in diesem Moment einen ebenfalls eher fragenden Blick hatte. Sie nahm sich vor, Andrea heute Abend zu befragen, falls sie sie im Gasthof noch mal treffen sollte.
Das dumpfe Grollen eines Motors war zu hören und gleich darauf bog ein alter Ford Transit um die Ecke, auf dem Karin den Schriftzug »Ponyfarm Steinmüller« lesen konnte. Darunter war eine Telefonnummer angegeben. Der Transporter hielt an und ein älterer Herr stieg aus.
Die Direktorin ging auf den Herrn zu und begrüßte ihn. Dann fragte sie ihn scherzhaft, wo er denn seine drei Ponys gelassen hätte.
Doch die Miene von Herrn Steinmüller verdunkelte sich. Er berichtete, dass diese zusammen mit ihrer Mutter und dem zweiten Auto von der Wache aufgehalten wurde. Das Wachpersonal wollte sie nicht herein lassen, weil nur ein Auto angemeldet war. »Und dann berichtete die Wache, dass die Direktorin auch nicht telefonisch erreichbar sei.«
Frau von Taubach erkannte das Problem und bat ihn um Entschuldigung. »Aber sie müssen verstehen, dass wir hier streng sein müssen.«
Frau Klebe bot an, das Telefon in ihrem Haus zu nutzen. Karin sah zu, wie die drei Personen in das Jagdhaus verschwanden.
Sie blieb mit Andrea zurück. »Wissen Sie, was es mit diesen ‚Ponymädchen’ auf sich hat?«
Andrea blickte sie etwas verunsichert an. »So genau weiß ich das auch nicht. Irgendwie geht es um Mädchen, die wie Pferde behandelt werden wollen.« Karin konnte sich darunter nichts vorstellen.
Frau von Taubach kam mit Herrn Steinmüller aus dem Haus zurück und ging mit ihm zielstrebig auf die Scheune zu. Sie winkte Karin und Andrea, ihnen zu folgen.
»Wir können uns die Anlagen schon einmal ansehen, bis ihre Frau mit den Mädchen da ist.« Sie ging auf das große Scheunentor zu und schloss es auf. Dann trat sie ein und machte Licht.
Karin und Andrea gingen den beiden hinterher. Karin blickte sich neugierig um. Es sah aus, wie in einem normalen Pferdestall, nur das die Boxen doch wohl her nur für kleine Pferde geeignet waren. Karin zählte sechzehn Türen, von denen einige offen standen und einen Blick in die sehr kleine Box erlaubten.
»Dort wollen wir die Ponys während den zwei Wochen unterbringen.« Frau von Taubach zeigte auf die sechzehn Türen. »Und dort werden die verschiedenen Dressur- und Trainingsplätze sein.«
Karin blickte auf den großen Raum, in dem später das Training stattfinden sollte. Allerdings konnte sie mit diesen Worten nicht wirklich viel anfangen.
»Die Ausrüstung müssen wir dann aber oben im Dachboden unterbringen.« Die Direktorin zeigte auf eine Treppe, die nach oben führte.
»Naja, wir sind ja genug Hände zum Ausladen.« Herr Steinmüller blickte zuversichtlich. Dann ging er zu einer der offenen Türen und blickte in die Ponybox. »Ja, das ist groß genug. Der Ponybock dürfte hier gut hineinpassen.«
Von außen war wieder ein lauter werdendes Motorengeräusch zu hören. Die Vier gingen hinaus. Dort stiegen gerade vier Frauen aus einen alten Käfer aus. Es war auf den ersten Blick zu sehen, dass es die Mutter und drei Töchter waren, denn die Gesichter waren sehr ähnlich.
Karin schaute ihnen zu, während sie das Gepäck aus dem Kofferraum holten. Zwei von ihnen trugen einfache Jeans und ein lockeres T-Shirt dazu, während die dritte Tochter ein sehr auf Figur geschnittenes Lederkleid trug.
Herr Steinmüller ging auf die vier Frauen zu und begrüßte sie. Dann stellte er zuerst eine Frau und dann die drei Schwestern vor. »Das sind meine drei ‚Ponymädchen’«. Karin hielt dies für einen Kosenamen, sie ahnte nicht, wie wörtlich der Begriff doch gemeint war. Er stellte sie vor. »Das sind Anna, Sandy und Jasmin.«
Auch Herr Klebe, der Hausmeister war jetzt dazugekommen und mit vereinten Kräften wurden jetzt die vielen kleinen und großen Kisten ausgeladen. Es dauerte lange, bis der Transporter leer und alle Kisten in die Scheune getragen waren.
Karin erfuhr so nebenbei, dass die drei Töchter später einmal die Leitung der Ponyfarm übernehmen sollten und dass sie deswegen hier eine gründliche Ausbildung machen sollten. »Bei uns auf der Farm wird das wegen dem Alltagsgeschäft einfach nicht gehen.«
Frau von Taubach erklärte, dass alles für die Ausbildung vorbereitet sei. Anna fragte nach, ob das vierte Ponymädchen schon da sei. »Nein, die wird erst Morgen eintreffen.«
* * *
Karin schloss die Tür ihres kleinen Gasthofzimmers und hätte sich gern sofort auf das Bett fallen lassen. Doch sie musste erst noch ihre vielen Sachen vom Einkauf beiseite räumen. Erst dann konnte sie sich auf das Bett legen und begann über den Tag nachzudenken.
Tamaras so seltsamer Mantel und ihr geknebelter Mund gingen ihr als erstes durch den Kopf sie fragte sich, wie sich die Herzogstochter wohl daraus befreit hatte. So wie der Mantel aussah, dürfte es schwierig werden.
Sie dachte an ihre zukünftige Aufgabe und stellte fest, dass sie jetzt alle Damen aus ihrem Team kennengelernt hatte. Da war das faszinierende Liebespaar Birgit und Alexandra, sowie Juliane, die von ihrem Professor gebracht worden war. Und natürlich noch Tamara. Dieses Mädchen war bisher am rätselhaftesten. Selbst als sie vorhin die drei Pony-Mädchen in die Herberge begleitet hatte, war von Tamara nichts zu sehen gewesen.
Allerdings wunderte sie sich etwas. Tamara hatte das Zimmer ganz am Ende des Ganges im ersten Stock bekommen, also das, welches am weitesten abgelegen war. Die drei Mädchen wurden hingegen in einem Vierbettzimmer im Erdgeschoss gleich nahe am Eingang untergebracht. Karin fragte sich, warum diese unterschiedliche Behandlung gemacht wurde.
Ob die Mädchen sich nicht begegnen sollten? Die Herzogstochter und die diese drei »Ponymädchen«. Wieder ging ihr der neue Begriff durch den Kopf. Was waren Ponymädchen? Sie erinnerte sich daran, dass die Mutter der drei Mädchen Prospekte verteilt hatte. Sie hatte sich eines davon unbesehen eingesteckt. Vielleicht fand sie die Antwort darauf.
Seufzend stand sie wieder auf und holte das Prospekt aus ihrer Tasche. Sie setzte sich an den Tisch und nahm es in die Hand. Auf der Vorderseite war ein Photo von einem Reiterhof zu sehen, auf dem Karin allerdings keine Besonderheiten entdeckte. ‚Ponyfarm Steinmüller’ stand groß darüber. Auf dem Bild waren allerdings weder Menschen noch Tiere zu sehen. Sie drehte es um und sah sich die Rückseite an. Dort war mit einer groben und einer feinen Karte die Anfahrt zum Reiterhof zu sehen.
Doch dann schlug Karin das Prospekt auf und hielt sofort den Atem an. Das Gesicht erkannte sie sogleich, es war eine der drei Töchter, wenn sie auch nicht sagen konnte, welche der drei Mädchen. Doch das Mädchen trug eine Stange zwischen den Zähnen und so etwas wie ein Kopfgeschirr, so wie sie es schon einmal bei ihrer Tochter gesehen hatte. Vom Oberkörper war nicht viel zu sehen, doch sie schien nur so etwas wie ein Ledergeschirr zu tragen.
Karin blickte verwirrt zum nächsten Bild. Es zeigte ebenfalls eine der Töchter, diesmal aber von der Seite und in voller Größe. Wieder trug das Mädchen so ein Kopfgeschirr und über den ganzen Körper zog sich ein Gewirr von verschiedenen Lederriemen, welches Karin schon sehr an das Geschirr eines Pferdes erinnerte.
Die Gedanken flogen Karin wild durch den Kopf und auf einmal glaubte sie erkannt zu haben, was mit »Ponymädchen« wirklich gemeint war. Die Tochter war wie ein Pferd oder besser wie ein Pony aufgezäumt und auch die Beinhaltung erinnerte an ein Pferd in der Dressur, denn sie hatte ein Knie weit nach oben angehoben.
Der Blick von Karin ging zum nächsten Bild. Wieder war dort so ein menschliches Pony zu sehen, doch diesmal, so schien es, war es vor eine kleine Kutsche gespannt. Karin ließ das Prospekt sinken. Jetzt hatte sie verstanden, um was es sich bei dem Ponyfarm wirklich handelte. Sie kam ins Grübeln. Hatte die Direktorin nicht etwas von sechzehn Ponyboxen gesagt? Genauso viele Mädchen sollten hier ihre Ausbildung machen. Es war auch von Dressur und Training die Rede gewesen.
Sie wurde unruhig. Sie hätte sich jetzt gern mit jemand ausgetauscht. Ob vielleicht Andrea noch da war? Sie beschloss einmal nachzusehen. Sie stand auf und ging mit verunsichert aus dem Zimmer.
* * *
Karin war sehr erleichtert, als sie Andrea, Birgit und Alexandra am Tisch sitzen sah. Sie setzte sich dankbar dazu und obwohl es ihr sehr auf den Nägeln brannte, zwang sie sich, erst einmal zuzuhören. Birgit und Alexandra erzählten gerade von ihren Einkäufen.
Paula kam dazu und fragte, ob Karin etwas trinken wolle. Ihre Stimme zitterte als sie sich eine Apfelschorle bestellte. »Mit Strohhalm?«, fragte Paula mit einer gewissen Faszination in der Stimme.
Karin blickte auf dem Tisch umher und sah, dass bei Birgit und Alexandra jeweils ein Strohhalm im Glas steckte. »Nein danke.« Sie war etwas verwirrt. Doch dann erinnerte sie sich an die früheren Begegnungen mit dem so faszinierenden Liebespaar und blickte zu Birgit und Alexandra. Sie sah bei beiden keine Arme, aber dafür die sich über der Brust kreuzenden Lederriemen. Sie ahnte, dass sie sich wohl wieder in ihre Handschuhe hatte schnüren lassen.
Andrea sprach es aus. »Karin, was ist los mit Ihnen? Sie machen so einen verwirrten Eindruck.«
Karin fühlte sich auf der einen Seite ertappt, doch andererseits war sie froh, dass sie es aussprechen konnte. »Diese...« Sie musste sich räuspern. »Diese Ponymädchen. Die so aussehen wie...« Sie wusste nicht, wie sie weiter sprechen sollte.
Birgit kam ihr entgegen. »Die Ponygirls von der Farm? Meinen Sie die?«
Karin konnte nur mit dem Kopf nicken.
Paula brachte ihr Getränk und stellte es vor Karin auf den Tisch.
Dankbar ergriff Karin das Glas und nahm einen Schluck. »Ich habe so etwas noch nie gesehen.« Das Sprechen fiel ihr schwer.
Andrea ging es ähnlich. Auch sie hatte bisher mit Ponygirls noch nichts zu tun gehabt. Sie hatte die Mappe vom Herzog mit dabei und schlug sie auf. Sie zeigte auf die Übersicht. »Für die Ausbildung ist ein zweiwöchiges Projekt geplant.«
Alexandras Augen leuchteten. »Oh, sind es jetzt doch zwei Wochen?« Sie freute sich sichtlich. Doch dann sah sie die fragenden Augen der anderen Frauen und beschrieb, wie sie Tamara und ihr Vater teilweise in die Planung miteinbezogen hatten. »Die Prinzessin ist eine entfernte Cousine von mir. Gelegentlich bin ich mal bei Ihnen zu Besuch.«
Birgit schien auch Bescheid zu wissen. »Ich freue mich schon auf die Nächte in den Boxen.«
Karins Blick wurde immer verwunderter. »Was heißt das, ‚Nächte in den Boxen’?«
»Wir werden wie die echten Ponys in den Ställen übernachten.« In Birgits Stimme klang viel Begeisterung mit. »Die Ponyböcke sind echt bequem.«
Karin und Andrea tauschten ein paar ratlose Blicke aus.
Birgit lächelte. »Wir beide haben mal ein Wochenende auf der Farm verbracht. Es war echt schön so als Pony.«
Alexandra stimmte ihr zu: »Das war aufregend, die Nacht auf dem Bock. Aber auch vor der Kutsche war es toll.« Sie blickte zu Birgit. »Wenn es auch anstrengend war.«
Birgit erwiderte den Blick. »Die beiden Wochen werden sicher toll.«
Alexandra wechselte das Thema. »Wie war eigentlich Tamaras Auftritt. Hat sie sich wieder was spektakuläres ausgedacht? So etwas liebt sie ja.«
Karin war enttäuscht über den Themawechsel, doch sie beschrieb, wie sie Tamara mit dem seltsamen Mantel und dem Knebel im Mund vorgefunden hatte.
Alexandra war erstaunt. »Den Mantel trug sie? Wie ist sie denn da wieder raus gekommen?«
Karin antwortet, dass sie das nicht wisse. »Ich habe sie nur zusammen mit der Direktorin in die Herberge gebracht.« Sie beschrieb, wie sich Tamara dann auf das Bett gelegt hatte. »Dann sind wir gegangen.«
Birgit wischte die Gedanken weg. »Macht Dir keine Sorgen. Wir kommen doch auch immer wieder aus den Handschuhen heraus.«