Die widerspenstige Erbin

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Die widerspenstige Erbin – Die Entstehung der Tradition (Sommer 1843)

Autor: Karl Kollar

Im Sommer des Jahres 1843

Es hatte ziemlichen Aufruhr gegeben, als die heimliche Affäre der Grafentochter Helene mit dem Bauernburschen bekannt wurde. Helene hatte sich unsterblich in den Gehilfen des Bauern verliebt und nur durch einen dummen Zufall wurde dies bekannt.

Graf Theodor, der Vater von Helene, war sehr erbost über diesen Fehltritt. Er bewirkte als erstes, das der Bauernbursche aus dem Land gejagt wurde, dies war in den damaligen Zeiten für einen Grafen nichts Schwieriges. Dann nahm er sich seiner Tochter an und sperrte sie in seinem Schloß ein. Es war weniger als Strafe gedacht, sondern mehr dazu, seine Tochter vor sich selber zu schützen und ein eventuelles Ausbrechen zu verhindern. Sie sollte einfach den Bauernburschen vergessen und den Mann lieben, den ihr Vater für sie ausgesucht hatte.

Der Vater liebte seine einzige Tochter sehr und er dachte lange nach, wie er ihr Leben wieder in geordnete Bahnen lenken konnte. Er faßte einen Plan.

Seine Tochter blieb zwar weiterhin gefangen, aber sie durfte sich im Schloß etwas bewegen. Sie trug zu Beginn Fesseln um die Knie und die Ellenbogen auf den Rücken gebunden. Seine Tochter war froh, das sie sich wieder etwas bewegen konnte und oft stand sie stundenlang am Fenster und blickte nur nach draußen. Aber es ging ihr schon besser. Ermutigt von den Anfängen, arbeitete der Vater daran, die Fesseln seiner Tochter zu verbessern. Der Schneider erhielt den Auftrag, ein paar der Gewänder zu verändern.

Bald darauf trug Helene ein Kleid, mit dem sie nur noch Trippelschritte machen konnte und von ihren Armen konnte sie auch nur noch die Unterarme bewegen. Am Anfang hatte sie nur dieses eine Gewand und sehr oft versuchte sie, es sich auszuziehen. Doch der Schneider hatte gute Arbeit geleistet und irgendwann war Helene dann nur noch damit beschäftigt, sich mit dem Kleid zu arrangieren. Sie fand heraus, wie sie damit gehen mußte und entdeckte, was sie mit ihrer verbleibenden Armfreiheit noch machen konnte.

Der Vater beobachtete seine Tochter voller Freude, denn es schien, als ob sie immer seltener an ihren ehemaligen Geliebten dachte. Er erkannte den Effekt, den die Einschränkungen bei seiner Tochter hatten. Sie war eigentlich nur noch damit beschäftigt, gegen ihre Fesseln zu kämpfen und dachte fast überhaupt nicht mehr an ihren Bauernburschen.

Auch in der Nacht wurde sie in ihrer Freiheit zwar eingeschränkt, hatte aber noch Möglichkeiten, sich zu bewegen. Der Vater hatte ihr in Nachthemd arbeiten lassen, mit dem sie um die Taille auf dem Bett festgebunden war, sich sonst aber bewegen konnte. Ihre Arme steckten in überlangen Ärmeln, die vor dem Körper zusammengebunden waren.

* * *

Sie fand ein neues Leben mit einem Inhalt, der es erforderlich machte, ständig gegen ihre Fesseln zu kämpfen und der ihr ständig kleine Erfolgserlebnisse bescherte. Treppensteigen war sehr anstrengend und sie überlegte es sich mehrmals, bevor sie sich auf den Weg in ein anderes Stockwerk machte.

Mit einem Arm konnte sie sich mühsam am Geländer festhalten und obwohl die Stufen sehr niedrig waren, mußte sie sich doch sehr anstrengen, um die Beine in dem so engen Rock hochzuheben. Sie war total glücklich, wenn sie dann endlich oben angekommen war. Oben stand das alte Spinett, auf dem sie so gern spielte. Doch jetzt mit dem Kleid war es nicht einfach. Wenn sie die Treppe gemeistert hatte, dann konnte sie in das Musikzimmer schleichen und sich auf die Kante des Hocker vor dem Instrument setzen. Ihre Ärmel erlaubten ihr gerade so, mit den Fingern die Tasten zu erreichen.

Anfangs spielte sie eher traurige Sachen, doch im Laufe der Zeit wurden die Stücke immer fröhlicher. Wenn sie die Treppe besonders schnell geschafft hatte, war sie besonders glücklich und das war dann meistens auch in den Stücken zu spüren.

Die Treppen heruntergehen war einfacher, aber auch dort mußte sie sich anstrengen und sich mit der Hand am Geländer festhalten.

Manchmal war ein Fest im Schloß und es waren immer sehr viele Prinzen und andere Adelssöhne anwesend. Doch Helene war meistens nur damit beschäftigt, mit ihrem Tanzkleid klar zu kommen. Die Vorbereitungen für so ein Fest begannen schon am Morgen. Helene wurde zunächst in ein Korsett geschürt, welches bis zu den Knien reichte. Allein das dauerte Stunden. Darüber kam dann das Kleid, welches sehr verspielt und romantisch ausgelegt war. Das Helene sich in dem Kleid fast überhaupt nicht mehr bewegen konnte, war ihr nicht anzusehen. Früher hatte sie sehr gern getanzt und jetzt freute sie sich wieder auf die Bälle, die dann am Abend statt fanden.

Doch das Tanzen war nicht mehr so einfach wie früher. Sie konnte nur noch kleine Schritte machen und weil ihre Arme versteift waren, konnte sie sich auch sonst nicht mehr so frei bewegen. Ihre Tanzpartner wußten von ihrem Schicksal und waren stets bemüht, sich entsprechend an ihr Tempo anzupassen.

Doch sehr zum Enttäuschung des Vaters blieben es Tanzpartner. Helene hatte sich bis jetzt noch nicht wieder neu verliebt. Zum einen waren da immer noch ganz schwache Geadnken an ihn und zum anderen war sie meistens so sehr mit ihren Kleidern beschäftigt, das sie den Kopf nicht für ihre Partner frei hatte.

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Doch dann kam ihr nächster Geburtstag und zu diesem Anlaß waren noch andere Adelige eingeladen. Und da war ER dabei. Das wußte Helene zwar nicht bei Beginn des Balles, aber nach dem sie einmal auch mit ihm getanzt hatte, wußte sie zwar nicht, ob sie gemeint war oder ihr Kleid, aber sie blieben den ganzen Abend zusammen. Zu Beginn schämte sie Helene etwas wegen ihrer Unbeholfenheit, die durch das Kleid verursacht wurde, doch mit der Zeit faßte sie Vertrauen zu ihm und es war genau diese Hilflosigkeit, die ihm auch sehr gut gefiel.

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Bald war Hochzeit und es sagte sich auch bald Nachwuchs an.

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Nur der Vater von Helene machte sich Sorgen, ob sein Erbe wirklich in die richtigen Hände gehen würde und so setzte er ein besonders Testament auf. Ab sofort, so verfügte er, müsse jedes weibliche Nachkommen sein Leben mit solchen Einschränkungen verbringen, wenn es Anspruch auf das Erbe haben will. Er legte ein Prüfung fest, in der die Erbin ihre Eignung zeigen sollte, als Trägerin der Fesseln geeignet zu sein.

Helene wollte ihrer Tochter gern ihr eigenes Schicksal ersparen, doch mit Erreichen des heiratsfähigen Alters bekam Therese auch ihr erstes Fesselkleid. Und sie war stolz, das sie jetzt genauso ein Kleid wie ihre Mutter tragen durfte.

Der Großvater war sehr stolz auf seine Enkelin und insgeheim freute er sich, das sein Plan zu funktionieren schien. Therese legte als erste die Prüfung mit Bravour ab und wurde eine würdige Erbin der Tradition.