Die Studentin

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Die Studentin – Die ersten Schritte ins neue Leben

Autor: Karl Kollar

Es war noch sehr früh am Morgen. Frauke hatte sich in das Zimmer geschlichen, in dem sie einmal für eine gewisse Zeit wohnen durfte und in dem jetzt dieses neue Mädchen friedlich schlafend auf dem Bett lag.

Sie ging sehr zielstrebig auf den Erker zu und blickte sehnsüchtig aus dem großen Fenster hinaus. Von hier aus hatte sie den besten Blick auf die Straßenbahnen, wie diese regelmäßig in die Stadt abfuhren. Für sie war dieses Verkehrsmittel zu einer Art Symbol für die Freiheit geworden, die ihr verwehrt war; und sie träumte immer von dem Tag, an dem sie allein mit der Straßenbahn abfahren durfte. Abfahren in die Stadt, abfahren in die so lange ersehnte Freiheit. Und nie mehr zurück kommen.


Sie wusste, dass ihr Aufenthalt in diesem Haus für sie ein großes Geschenk war, denn die vorgesehene Alternative hätte viel schrecklicher ausgesehen. Und auch mit den Auflagen, die sie stattdessen bekommen hatte, kam sie bisher sehr gut zurecht. Es machte ihr nichts aus, dieses hoffnungslos altmodische Kleid tragen zu müssen und im Haus das Mädchen für alles spielen zu müssen.

Ein weiterer Grund für ihre Zufriedenheit war, dass die Nachbarn in das Arrangement eingeweiht waren. Und in dieser Nachbarschaft gab es genügend alte Leute, die nichts Besseres zu tun hatten, als jeden Tag aus dem Fenster auf das Grundstück zu sehen, nur um zu kontrollieren, ob sie auch wirklich alle Auflagen einhalten würde.

Die wichtigste Auflage war, dass sie das Haus nicht verlassen durfte, wenn sie nicht in der Nähe von Herrn oder Frau Hegel war, und damit hatte Frauke bisher auch wenig Schwierigkeiten. Immerhin waren ihren sogenannten Gasteltern ihr bei den Bedingungen ihres Aufenthaltes schon sehr entgegen gekommen, und so durfte sie immer zum Auto kommen, wenn einer der beiden Eheleute damit auf das Grundstück fuhr. Offiziell hatte sie sich zu erkundigen, ob es vielleicht Einkäufe gab, die sie ins Haus hätte tragen können. So war es auch mit dem Vollzugsbeamten abgesprochen.

Sie war dankbar für diese Gelegenheiten, denn in diesen Momenten konnte sie in den Himmel sehen, und auch dieser Blick nach oben war für sie so etwas wie der Blick in die Freiheit. Denn für sie war der Himmel wirklich grenzenlos.

Manchmal durfte sie auch mit in den Garten gehen, wenn es sich Hegels auf der Terrasse oder auch im Garten gemütlich gemacht hatten, doch das kam höchstens einmal am Wochenende vor.

Bei besonders gutem Wetter suchte auch gern das kleine Dachrondell auf, welche sich oben im Dachgeschoss in Höhe des Dachfirst befand. Doch dieses war so klein, dass dort kein Liegestuhl Platz gehabt hätte, selbst wenn sie in der Lage gewesen wäre, ihn dort hinauf zu tragen. So blieb ihr nur, sich an dem schmiedeeisern Geländer festzuhalten und die Aussicht zu genießen. Sie liebte diesen Ort, denn obwohl sie 'draußen' war, zählte es nicht als ein Verlassen des Hauses.

Es war für sie der ultimative Blick in die Freiheit, denn von hatte sie nicht nur den wirklich freien Blick in den Himmel. Wenn sie nach Norden blickte, konnte sie die Silhouette von München sehen, unter anderem die signifikanten Türme der Frauenkirche und den Olympia-Turm. Nach Süden gedreht konnte sie bei gutem Wetter die imposante Bergkette der Alpen sehen, und vor allem bei Föhn waren die Berge und damit quasi die Freiheit schon fast zum Greifen nahe.

Allerdings war der Aufstieg zum dem Aussichtsrondell auf dem Dachfirst sehr mühsam, denn sie musste eine senkrechte Eisenleiter erklimmen, und da sie Schenkelbänder tragen musste, konnte sie die Leiter nicht einfach hochsteigen, sondern musste sich sehr mühsam mit den Armen immer bis zur nächsten Stufe hochziehen.

Sehr oft war sie nicht dort oben, doch es war für sie stets ein sehr bewegender Moment. Und der Muskelkater, den sie die Tage darauf in den Armen hatte, erinnerte sie zusätzlich an die schönen Momente, die sie stets auf dem Dach mit der schönen Aussicht gehabt hatte.

Natürlich wusste sie, warum sie all diesen Bedingungen unterworfen war, und sie hatte diesem Versuch ja auch selbst zugestimmt. Ihre Anwältin hatte ihr damals dazu geraten, obwohl sich ihre Strafdauer damit verdoppelte. Jeden Tag stand sie vor dem kleinen Reißbrett und schrieb 'ihre' Zahl des Tages hinauf. Die Zahl war immer noch vierstellig, aber an der zweiten Stelle würde die Zwei bald durch die Eins abgelöst werden.

* * *

»Was weißt du über deine Studentin?« Frau Hegel blickte ihren Mann eindringlich an.

»Eigentlich nicht viel.« Er zuckte mit den Schultern. »Wir haben eigentlich immer Fachgespräche geführt. Aber ich glaube, sie kommt von einem Bauernhof.«

»Sie sagte gestern, sie stünde quasi auf der Straße. Ich habe das erst nicht so wichtig genommen, aber ich glaube, sie hat das wirklich wörtlich gemeint.« Frau Hegel gab sich nachdenklich. »Du kannst sie ja einmal unauffällig aushorchen, wie ihre wirkliche Situation ist.«

»Immerhin war sie verzweifelt genug, um auf unsere zweideutige Anzeige einzugehen.« Der Professor grinste zunächst, doch dann wurde er ernst. »Was machen wir heute mir ihr?«

»Du fährst heute mit dem Auto in die Universität und nimmst sie mit.« Frau Hegel gab wieder, was sie sich schon überlegt hatte. »Ich muss sicher sein, dass sie heute nicht im Haus ist. Dabei kannst du sie auch gleich etwas aushorchen.«

»Was hast du denn vor?« Herr Hegel war über die Eile etwas verwundert.

»Ich werde die Kleiderschränke heute schon einräumen.« Sie holte tief Luft. »Ich habe mit den Größen bei Mantel und Nachthemd richtig gelegen, ich denke, darauf können wir aufbauen.«

»Und was wirst du ihr zur Verfügung stellen?« Ihr Mann lächelte wissend.

»Alles, das ganze Programm.« Frau Hegel strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Ich glaube, sie wird es mögen. Ich habe da so eine Ahnung.«

»Du hast bisher selten daneben gelegen.« Er bewunderte insgeheim die Menschenkenntnis seiner Frau. »Es wäre schön, wenn sie von den Lacksachen nicht abgestoßen wäre.«

»Sie wird sie lieben, glaube mir.« Frau Hegel berichtete davon, wie geradezu zärtlich Julia den Mantel gestreichelt hatte, als sie auf dem Amt warten mussten. »Ich glaube, sie ist für das ganze glänzende Zeug recht empfänglich.«

»Es wäre schön, wenn du recht hast.« Herr Hegel lehnte sich zurück.

»Nach den Vorlesungen musst du ihr gleich die Jahreskarte kaufen, dass wird sie noch stärker an uns binden.« Sie zog die Stirn in Falten.

»Das werde ich machen.« Er grinste. »Wir sollten eigentlich vom MVV Provision verlangen.« (Anmerkung des Autors: MVV ist der umgangssprachliche Begriff für den öffentlichen Personennahverkehr in München)

»Die Situation ist ernst genug.« Doch dann lachte sie auch. »Ich habe ihr gestern angedeutet, dass sie für sich selbst einzukaufen hat. Ich glaube, dass war ein Fehler und nicht zielführend. Ich werde das heute korrigieren. Sie darf unsere Küche und Lebensmittel mitbenützen. Ich biete ihr an, dass wir für sie mit einkaufen.« Sie seufzte. »Ich hoffe, sie wird bald nach Carolin fragen.«

Herr Hegel richtete sich wieder auf. »Wie machen wir es dieses Mal?«

Seine Frau legte kurz den Kopf in den Nacken. »Du gibst dich berührt, ziehst dich zurück, und ich werden dann mit ihr reden.«

»Und du meinst, sie wird fragen?« Es war seinem Blick anzusehen, dass er Zweifel hatte.

»Ich werde ihr eine Perle auf den Schreibtisch legen, und ich erstelle eine neue Taschengeldliste, dann wird sie sicher fragen.« Frau Hegel war zuversichtlich. »Und falls alle Stricke reißen, fange ich selbst mit dem Thema an. Das hatte wir ja auch schon einmal.«

»Ich hoffe, ich erinnere mich noch an meinen Text.« Er grinste.

»Ich werde ihr heute schon mal den engen Rock heraus legen.« Sie ergriff seine Hand. »Ich bin sehr gespannt, wie sie damit zurecht kommt.«

»Sag ihr am besten gleich, dass der Rock Carolin gehört hat und dass es Taschengeld dafür gibt.« Er grinste wieder. »So wie ich sie einschätze, dürfte sie für Bargeld recht empfänglich sein.«

»Sie sollte nur nicht den Eindruck bekommen, wir würden es ihr aufdrängen.« Sie nahm ihre Hand wieder zurück. »Sie muss es sich schon verdienen.« Sie holte tief Luft. »Sie hat übrigens gestern schon nach den Stuhllehnen gefragt und ich habe ihr gesagt, dass es für Carolins Monohandschuh ist. Der Begriff ist also schon gefallen, und wenn ich ihn auf der Taschengeldliste hoch bepreise, wird sie sicher danach fragen.«

»Wann bekommt sie das Tagebuch?« Der Professor dachte an das übliche Vorgehen.

»Ich wollte es ihr auf jeden Fall heute schon geben.« Sie hielt kurz inne, so als wolle sie über den Entschluss noch einmal nachdenken. »Wir müssen es einfach riskieren, wir haben nicht mehr soviel Zeit.«

Herr Hegel lehnte sich zurück. »Ich frage mich, wie sie reagieren wird.« Er hatte sich schon ein gewisses Bild von seiner Studentin machen können, aber das war bisher weitgehend fachlich geprägt. Als angehende Architektin zeigte sie eine große Begabung, doch wie es um ihre privaten Leidenschaften bestellt war, darüber wusste er nur wenig.

»Es ist so geschrieben, dass es sehr zu Herzen geht.« Frau Hegel blickte kurz auf dem Fenster. »Wer nicht gerade ein Herz aus Stein hat, sollte sich eigentlich von Carolins Wünschen angesprochen fühlen.« Sie stand auf und ging Richtung Tür. »Ich will dann mal nach ihr sehen und ihr ein Bad einlassen.«

»Willst du das jeden Tag machen?« Er runzelte die Stirn.

»Nein, nur heute.« Sie drehte sich noch einmal zu ihm um. »Ich habe so eine Ahnung, dass ich damit den Stein bei ihr im Brett noch vergrößern kann. So wie ich sie einschätze, wird sie sich morgen lieber duschen wollen. Aber heute möchte ich sie in der Wanne sehen.«

»Aber warum?« Er hakte nach. »Das haben wir doch sonst auch nicht gemacht?«

Frau Hegel lächelte. »Falls sie diese Nacht irgendetwas Schlechtes erlebt haben sollte, soll sie es in der warmen Wanne vergessen können.«

»Mach was du für richtig hältst.« Er machte eine abwinkende Handbewegung.

* * *

Ein leises Stöhnen klang durch das Zimmer. Die Dienerin zuckte zusammen und blickte erschrocken auf das Bett, auf dem dieses Biest von Julia lag, die jetzt das Zimmer mit der schönen Aussicht blockierte.

Frauke warf einen Blick auf die kleine Uhr auf der Kommode und überlegte, dass Zimmer besser zu verlassen, doch noch zögerte sie. Bald würde die neue Mieterin erwachen und dann sollte sie sie lieber nicht in ihrem Zimmer sehen.

Doch es war zu spät, Julia schlug die Augen auf und blickte direkt in Fraukes Gesicht.

Frauke erstarrte und wurde rot, doch dann beugte sie sich zu der wegen dem Nachthemd sehr hilflosen Studentin hinunter. »Wenn du etwas sagst und mich verrätst, dann sorge ich dafür, dass du wieder auf der Straße stehst.« Sie sagte es in dem Ton, den sie eigentlich seit Beginn ihrer Strafe eigentlich nicht mehr benutzt wollte. Doch jetzt war es wichtig, möglichst einschüchternd zu wirken.

Gleich darauf ging sie zügig aus dem Zimmer und eilte in Richtung der Treppe zum Dachgeschoss. Als sie sah, dass Frau Hegel die Treppe heraufkam, drehte sie sich um und tat so, als käme sie gerade aus ihrem Zimmer. »Guten Morgen, Frau Hegel.« Sie hatte Schwierigkeiten, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten.

»Ihnen auch einen Guten Morgen, Frauke.« Frau Hegel drehte ihre Kopf in Fraukes Richtung. »Ist unsere Prinzessin schon wach?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Frauke und hoffte, dass ihr Gesicht wieder eine normale Farbe angenommen hatte. Sie hatte schon früh gelernt, ihre wahren Gefühle und Gedanken möglichst gut zu verbergen.

»Gehen sie bitte in die Küche und decken den Tisch für drei Personen. Julia wird in Zukunft jeden Tag mit uns essen.« Frau Hegel zeigte kurz mit der Hand in Richtung von Julias Zimmer. »Wir wollen dieses Mal gleich bei dem engen Kontakt bleiben.«

Frauke zögerte einen Moment. Sie wusste natürlich von Hegels Absichten und dass sie selbst mit ihrem heimlichen Besuch in Julias Zimmer einiges davon riskierte. Sie hätte gern gewusst, ob ihre Drohung gegenüber Julia stark genug gewesen war, doch sie konnte natürlich nicht danach fragen, ohne sich selbst zu verraten.

»Ich werde ihr ein Bad einlassen.« Frau Hegel hatte die Treppe passiert und war kurz vor Julias Tür.

Frauke wollte die Augen verdrehen, erst im letzten Moment konnte sie sich beherrschen. »Purer Luxus für die Prinzessin?« Sie gab sich Mühe, ihre Stimme neutral klingen zu lassen, obwohl sie innerlich kochte, sowohl vor Eifersucht als auch vor Angst vor dem Verrat. »Fragen sie sie doch, was sie in der ersten Nacht geträumt hat. Sie wissen schon, man sagt, das wird in Erfüllung gehen, sagt man.« In Wirklichkeit wollte sie natürlich erfahren, ob Julia dicht halten würde.

»Wie wird sie wohl reagieren, wenn sie in dem Nachthemd erwacht?« Frau Hegel wusste, dass sie nicht mehr viel Optionen hatten. Es musste dieses Mal einfach klappen.

»Machen sie sich keine Sorgen.« Frauke konnte beruhigt abwinken. »Das Nachthemd ist sehr bequem und es schläft sich darin sehr gut.«

»Ach ja, sie kennen es ja auch.« Frau Hegel lächelte.

»Und das Aufwachen ist schön.« Nur weil Frauke selbst das Nachthemd schon getragen hatte und wusste, wie hilflos es machte, hatte sie es gewagt, sich in Julias Zimmer zu schleichen.

»Ich möchte sie gleich wecken, damit sie keine Gelegenheit hat, sich im Zimmer umzusehen.« Frau Hegel ging weiter.

Frauke versuchte ein Grinsen als Antwort, was ihr aber nur leidlich gelang.

* * *

Julias Bett stand so, dass das Licht der aufgehenden Sonne durch das Erkerfenster auf der Ostseite des Hauses direkt auf ihr Gesicht fiel.

Von draußen war schon länger das morgentliche Konzert der Vögel zu hören, doch Julias schlief noch tief und fest. Die Unterarme, die sie in dem besonderen Nachthemd noch ein wenig bewegen konnte, lagen seitlich neben ihrem Körper. Sie hatte sich nicht mehr gedreht, sondern lag noch so da, wie sie am Abend eingeschlagen war. Lediglich die Bettdecke zeigte, das sie sich trotz des strengen Nachthemdes wohl etwas bewegt haben musste.

Es war nur zu sehen, wie sich ihr Brustkorb ganz leicht mit ihrem Atem bewegte. Sie war gestern sehr glücklich eingeschlafen.

Sie blinzelte, als sie die Sonnenstrahlen in ihrem Gesicht spürte. Von draußen drang so gut wie kein Verkehrslärm herein, obwohl die Villa nicht wirklich abseits lag. Sie blickte sich um. Eben hatte sie noch davon geträumt, dass diese seltsame Dienerin neben ihrem Bett gestanden hatte und sie bedroht hatte, doch jetzt hielt dies für einen schlechten Traum. Es ermutigte sie hingegen, sich dem ersten Tag in der neuen Wohnung zu stellen.

Innerhalb von nicht einmal acht Stunden hatte sich ihr Leben vollständig gedreht, erst stand sie wortwörtlich auf der Straße, und jetzt hatte sie ein tolles Zimmer in der schönsten Villa von Grünwald gemietet.

Geborgenheit und Privatsphäre kannte Julia bisher überhaupt nicht, und nur langsam begann sie zu ahnen, wie ihre Kindheit auf dem elterlichen Bauernhof auch hätte verlaufen können.

Erst seit sie bei den Hegels wohnte, wusste sie, was ihr bis dahin entgangen war. Es störte sie auch nicht, dass ihr Vermieter Herr Hegel an der Uni auch ihr Dozent war. Im Haus war davon nichts zu spüren.

Sie war einfach nur glücklich. Alle ihre bisher so großen Probleme hatten sich alle in Luft aufgelöst. Sogar eine sehr komfortable Bleibe hatte sie gefunden, so dass sie ihr Studium ganz ohne Sorgen weiter führen konnte und sich um nichts mehr kümmern musste. Im Gegenteil, die Hegels gaben ihr anscheinend sogar das Gefühl, ein wenig zur Familie zu gehören.

Für einen kleinen Moment hatte sie Angst und fürchtete, gleich wieder in der kleinen Studentenwohnung aufzuwachen.

Doch dann spürte sie die Enge des Nachthemdes, dass sie umgab. Sofort erinnerte sie sich an die besonderen Bedingungen der Miete und sie erkannte erleichtert, dass ihr das Tragen des Nachthemdes genauso wenig etwas ausmachte, wie das Tragen dieses faszinierendes Mantels, in dem sie sogar zweimal einen Orgasmus hatte. Etwas, was ihr noch nie in dieser Form passiert war. Und sie fragte sich, ob es wieder passieren würde.


Es klopfte an der Tür.

Julia hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, dass jemand an ihre Türe klopft. Wieder dauerte es bis zum zweiten Klopfen, bis sie herein endlich 'Herein' antwortete.

Frau Hegel steckte den Kopf zur Tür herein. »Ich wollte nur kurz schauen, ob sie schon wach sind.

Julia versuchte sich etwas zu räkeln, als sie feststellte, das sie in dem Nachthemd doch ziemlich gefangen war. Zudem war sie es nicht gewöhnt, das jemand an ihrer Tür klopfte. Sie musste an ihr kleines Zimmer auf dem Bauernhof denken. Damals wäre sie schon froh gewesen, wenn sie überhaupt erstmal eine Tür gehabt hätte und nicht nur eine Vorgang, der eine Privatsphäre nur vorgab.

Wieder war von von der Tür die Stimme zu hören: »Darf ich reinkommen?«

Das jemand fragte, war Julia noch weniger gewohnt. »Ja natürlich.«

Als Frau Hegel den Kopf zur Tür herein steckte, hatte Julia das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen. »Ich bin es nicht gewohnt, das jemand anklopft oder fragt, ob er reinkommen darf.«

Frau Hegel tat so, als würde sie Julias Bemerkung überhören, doch insgeheim hatte sie es sich gemerkt, denn es könnte sich noch einmal als nützlich erweisen. Sie trat an das Bett und beugte sich zu Julia herab. »Darf ich ihnen beim Aufstehen helfen?«

Ein ganz verwunderter Blick kam von Julia, denn eigentlich hatte sie bisher noch nie Hilfe angeboten bekommen noch nötig gehabt. Doch dann spürte sie wieder das besondere Nachthemd und dankbar blickte sie ihre Vermieterin an. »Ja danke, das wäre nett. Mit dem Nachthemd bin ich doch nicht ganz so beweglich.« Sie grinste über ihren morgendlichen Scherz.

Frau Hegel nahm die Bettdecke zur Seite und legte sie bewusst etwas umständlich zusammen, damit Julia noch etwas Zeit hatte, sich in dem Nachthemd etwas zu strecken, aber auch damit sie noch etwas von der Strenge des Nachtgewandes spüren konnte.

Es lief wie gewünscht. Die Studentin versuchte, mit dem Nachthemd aufzustehen, doch sie merkte, das es ganz ohne fremde Hilfe wohl nicht so ganz einfach werden würde.

Frau Hegel sah die Bemühungen und blickte genauso liebevoll wie fasziniert auf Julia. »Warten sie einen Moment, ich helfe ihnen.« Sie legte die Bettdecke fertig zusammen und trat dann an Julias Bett. Sie legte ihre Hand auf die Schulter der Studentin und zog sie hoch.

Julia schwang die Beine aus dem Bett und blickte fasziniert auf die Stoffhülle, die ihre Beine leicht zusammen drückte. Sie bewegte ihre Beine etwas und genoss dabei den weichen Stoff, der geradezu zärtlich ihre Beine umschloss.

Derweil machte sich die Vermieterin daran, den Reißverschluss des Nachthemdes zu öffnen. Sie befreite Julia aus dem Nachtgewand und half ihr dann in einen flauschigen Bademantel. »Dein Bad wartet und dann gibt es Frühstück.« Frau Hegel hatte die Gelegenheit genutzt, heimlich Julias nackten Körper zu betrachten und war insgeheim begeistert, Julia hatte einen tollen Körper und war wirklich bestens geeignet. Sie wagte es, ein ganz kleines bisschen Vorfreude zu spüren.

Es hätte Julia vielleicht auffallen können, das sie hier für ein gemietetes Zimmer etwas zu sehr umsorgt wurde, doch sie war noch ziemlich benommen von den Eindrücken und ihrer plötzlichen Sorgenfreiheit. Sie machte sich im Moment diesbezüglich keine Gedanken.


Gestern war sie natürlich schon im Bad gewesen, aber die große Badewanne hatte sie irgendwie nicht wahrgenommen. Jetzt verriet der dicke Badeschaum, das dort wirklich ein verlockendes Bad auf sie zu warteten schien. Julia wollte es gar nicht so recht glauben, denn von ihrem Bauernhof her kannte sie den Vorgang des Baden als ganz was Anderes. Sie dachte mit Schrecken an die große Zinkwanne, in der immer gleich die ganz Familie badete.

Jetzt sollte sie hier allein baden dürfen in einer super tollen Badewanne. Sie war überwältigt. Der Badeschaum sah schon sehr verlockend aus. Sie wickelte sich aus dem flauschigen Bademantel und steckte ihren Fuß vorsichtig in den Schaum. Das Wasser war angenehm warm. Julia ließ sich mit einem wohligen Seufzer in das Wasser hinab.

Ihre Gefühle fuhren Achterbahn. So ein schönes Bad hatte sie noch nie gehabt.

Das Wasser war fast cremig und sie genoss es sehr, sich mit den Händen über ihren Körper zu streicheln. Sie dachte wieder an die alte Zinkwanne vom Bauernhof und musste innerlich fast darüber lachen. Wie primitiv das alles doch gewesen war.


So langsam wurde Julia so richtig wach und freute sich auf den Tag. Vor alllem dachte sie daran, dass sie wieder diesen tollen Mantel tragen durfte. Ihre Hände verirrten sich schon wieder zwischen ihre Beine. Sie streichelte sich sanft.

Doch dann ließ sie verlegen davon ab. Der Tag sollte erst mal anfangen.


Es klopfte und gleich darauf steckte Frau Hegel steckte den Kopf zur Tür herein. »Trinken sie lieber Tee oder Kaffee?«

Diesen andauernden Luxus war Julia überhaupt nicht gewöhnt. Sie war noch ganz in ihren Gedanken. Doch dann fing sie sich. »Ja.. äh.. Bitte Kaffee.«


Als Julia eingehüllt in den flauschigen Bademantel das Bad verließ, stand Frau Hegel in ihrem Zimmer und hielt ein Stück Stoff in ihrer Hand. »Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht Lust hast, Carolins Rock auszuprobieren.« Sie blickte kurz auf das Stück Stoff in ihren Händen. »Es würde dir 20 Euro Taschengeld einbringen, wenn du ihn heute den ganzen Tag trägst.«

Julia war verwundert. Für 20 Euro musste sie normalerweise mindestens drei Stunden in der Kneipe arbeiten. Da diese hauptsächlich von Studenten besucht wurde, gab es deswegen höchst selten ein nennenswertes Trinkgeld. »Wofür genau bekomme ich das Geld?« Sie konnte es nicht verhindern, dass ihre Stimme misstrauisch klang.

Mit der Reaktion hatte die Vermieterin gerechnet. »Du erinnerst dich an die Taschengeld-Klauseln aus dem Mietvertrag?«

»Ach ja!« Julia war verlegen. »Ich dachte nicht, dass es so einfach werden würde.« Doch dann stutzte sie. »Oder ist ein Haken dabei?«

Frau Hegel grinste. »Es kommt auf deinen Geschmack an. Ihr jungen Mädchen seid heute ja fast nur in Hosen unterwegs.«

»Ja, weil es einfach praktischer ist.« Sie lächelte etwas verlegen.

»Carolin war da etwas anders.« Frau Hegel wunderte sich, wie leicht es ihr fiel, sentimental zu klingen. »Sie hat gern Röcke getragen.«

Julia blickte ein wenig verwundert auf.

»Natürlich darfst du auch gern deine Jeans anziehen.« Sie wusste, dass sie so gut wie gewonnen hatte. »Aber ich und vor allem mein Mann würden es gern sehen, wenn die Sachen von Carolin wieder einmal getragen werden.«

»Was ist es denn für ein Rock? Ein breiterer Gürtel?« Julia bereute ihre sarkastischen Worte, kaum dass sie sie ausgesprochen hatte, denn sie erkannte sie sofort auch als sehr unhöflich.

Doch zu ihrer Erleichterung übersah Frau Hegel die Spitze und zeigte Julia den Rock. »Nein, eher das Gegenteil.« Sie hielt den Rock hoch, so dass Julia ihn in ganzer Länge sehen konnte.

»Der ist mir doch viel zu eng.« Julia hätte sich das Geld schon gern verdient, doch sie sah sofort, dass sie nie in den Rock hinein passen würde. »Außerdem halten sie ihn verkehrt herum.«

Insgeheim lächelte Frau Hegel, weil sie diese Reaktion vorhergesehen hatte. »Das ist ein sogenannter Humpelrock.« Frau Hegel zeigte Julia den Reißverschluss, der den Gehschlitz komplett verschließen konnte und erläuterte dies. »Die waren ganz früher einmal in Mode und Carolin hat sie sehr gern getragen. Sehr oft war er bei ihr ganz geschlossen«

»Nie gehört.« Julia blickte den Rock genauer an. »Außerdem kann ich dann ja nur noch Trippelschritte machen.«

»So ist es.« Frau Hegel legte den Rock auf das Bett. »Wie wäre es, wenn du ihn einfach einmal zum Frühstück anziehst. Dann kannst du dir immer noch überlegen, ob du damit auch zur Uni gehen möchtest?«

»Das können wir so machen.« Julia wusste zwar nicht, auf was sie sich wirklich einließ, doch sie wollte ihre Vermieter auch nicht unnötig brüskieren. Außerdem war sie heute schon in einige Fettnäpfchen getreten.

Auf ein Detail wollte ihre Vermieterin sie noch hinweisen. »Dies ist ein besonderer Reißverschluss. Du kannst ihn an jeder Stelle, die Du möchtest, fixieren.«

»Warum sollte ich das machen wollen?« Julia war verwundert.

»Nun, der ganz enge Mantel hat dir ja auch gefallen.« Sie blickte während der Antwort zum Fenster, um Julia in diesem Moment nicht ansehen zu müssen. Denn natürlich hatte sie die beiden Höhepunkte bemerkt und sie insgeheim über die Reaktion sehr gefreut, weil es bestens in ihre Pläne passte.

»Ja, sie haben recht.« Julia wurde etwas rot. »Ich glaube ich mag das.« Sie ging zum Bett und begann, den Rock genauer zu inspizieren.

Frau Hegel spürte, dass es der richtige Zeitpunk war zu gehen. »Komm dann bitte ins Esszimmer. Mein Mann und ich warten auf dich.« Sehr unauffällig versuchte sie noch etwas Druck aufzubauen, damit Julia nicht auf den Gedanken kommen würde, sich jetzt schon in dem Zimmer umzusehen und eventuell die leeren Schränke zu entdecken. Denn das konnten sie jetzt noch nicht brauchen.

* * *

Ein wenig keuchend betrat Julia schließlich das Esszimmer. Sie lächelte schüchtern. Der Reißverschluss des Rockes war bis weit über die Knie geöffnet. »Ich wollte ihn erst ganz schließen, aber dann kam ich nicht die Treppe hinunter«, berichtete sie, nachdem sie Herrn Hegel einen guten Morgen gewünscht hatte.

»Ja, das ging Carolin genauso.« Frau Hegel grinste offen. »Sie hat ihn aber nur für die Treppe immer geöffnet.« Sie hoffte, damit einen gewissen Druck aufzubauen.

Julia blickte an sich herunter. Sie begriff erst nach einiger Zeit, was von ihr erwartet wurde. Verlegen beugte sie sich herunter und schloss den Reißverschluss ganz.

Frau Hegel lobte sie dafür. Es lag in ihrem ureigenen Interesse, wenn sich Julia im Haus nicht so schnell bewegen konnte.

»Drinnen war der Rock eigentlich immer ganz zu.« Herr Hegel gab sich ganz nüchtern. »Nur draußen hat sie ihn etwas geöffnet.«

Julia blickte mit leicht rotem Kopf an sich herunter. Sie hatte eigentlich äußern wollen, dass sie den ganz geschlossenen Reißverschluss schon ausprobiert hatte und ihn für zu streng begutachtet hatte, doch jetzt fühlte sie, dass dies nicht Hegels Erwartungen waren.

Innerlich seufzend beschloss sie, den Rock von jetzt ab oft zu tragen und ihn dann auch immer wenn sich die Gelegenheit bot, ganz zu schließen. Immerhin war der Rock innen mit Seide gefüttert und schmiegte sich sehr weich an ihre Beine, auch wenn die Dreifachnähte einen Hinweis darauf gaben, dass er wohl auch sehr robust gearbeitet war. Sie fragte sich mittlerweile, was sich wohl noch alles in Carolins Kleiderschränken finden lassen würde. Doch noch traute sie sich noch nicht, dort einfach herum zu stöbern.

»Nehmen sie Platz und genießen das Frühstück mit uns.« Herr Hegel war extra aufgestanden und hatte ihre Stuhl zurückgezogen.

»Darf ich euch daran erinnern, dass ich beim Frühstück keine Fachgespräche wünsche?« Frau Hegel blickte dabei sowohl ihren Mann als auch Julia ernst an.

»Ja, natürlich.« Julia war insgeheim dankbar darüber, dass Frau Hegel es vorher gesagt hatte, denn sie hätte bestimmt die eine oder andere Fachfrage gehabt.

Es war einfach eine außergewöhnliche Situation, in die sie jetzt geschliddert war. Noch immer nannte sie sich dumm wegen ihrer Vorurteile bezüglich der Anzeige. Sie hatte es einfach falsch verstanden, denn der wahre Inhalt war so schön. Dann fiel ihr wieder ein, was sie noch äußern wollte. »Das Vollbad war schön, aber eigentlich reicht mir eine morgendliche Dusche.« Sie sprach bewusst etwas leiser.

»Ganz wie sie wünschen.« Frau Hegel lächelte. » Sie sollten nur wissen, dass ihnen die Badewanne jederzeit zur Verfügung steht.«

Wieder musste Julia an die alte Zinkbadewanne und den Heißwasserkessel denken, in dem nur einmal für Alle heißes Wasser gemacht wurde. Doch sie wollte diese Gedanken für sich behalten, denn sie schämte sich für diese Primitivität.

»Wie sind sie eigentlich mit dem Nachthemd zurechtgekommen?« Herr Hegel blickte seine Studentin neugierig an.

»Ich hatte am Anfang Probleme mit dem Einschlafen.« Sie lächelte verlegen. »Aber das lag nicht am Nachthemd, sondern daran, dass es so neu und ungewohnt war.«

»Schön zu hören.« Frau Hegel schenkte den Kaffee aus. »Und jetzt lasst es euch schmecken.«

* * *

»Ich habe noch einmal mit meinem Mann gesprochen.« Frau Hegel setzte ihre leere Kaffeetasse ab. »Ich möchte ihnen anbieten, dass sie sich bezüglich der Lebensmittel auch bei uns bedienen dürfen. Es müsste eigentlich genügend vorhanden sein. Sie müssen nicht für sich selbst einkaufen.«

»Und wenn sie etwas Besonderes möchten, sagen sie einfach Frauke Bescheid«, ergänzte ihr Professor. »Sie führt die Einkaufsliste.«

Julia schluckte ihren letzten Bissen hinunter und nahm ebenfalls einen Schluck Kaffee. »Vielen Dank.« Sie wurde wieder ein wenig rot. »Ich denke, ich bin bescheiden.«

»Das denken wir auch.« Es sollte wie Smalltalk aussehen, tatsächlich hatte es den Zweck, Julias Neugier in gewisse Bahnen zu lenken. Sie sollte sich hauptsächlich in Carolins Zimmer umsehen, und dort die Spuren entdecken, die Frau Hegel heute noch legen wollte.

»Oh, es ist ja schon nach Neun Uhr.« Herr Hegel blickte scheinbar erschrocken auf die Uhr. »Ich muss eilig in die Uni.« Scheinbar überrascht blickte er auf den Tischgast. »Sie kommen mit mir. Holen sie sich bitte, was sie für die Vorlesungen brauchen.«

Julia blickte ihren Professor verwundert an, sie war nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte.

»Ich fahre heute mit dem Wagen in die Uni und ich möchte sie gleich mitnehmen.« Er stand auf und blickte auffordernd auf die Mieterin.

Julia stand auf und zögerte einen Moment. Sie war sich nicht sicher, ob sie sich vielleicht nicht doch den Rock wieder öffnen durfte, denn ihr Professor schien es eilig zu haben.

Zu ihrer Erleichterung bemerkte Frau Hegel ihr Zögern und schien auch ihr Anliegen erkannt zu haben. »Bitte sorgen sie dafür, dass sie bequem gehen können.«

»Und bringen sie auch gleich ihren Mantel mit.« Herr Hegel schien sie an ihre Mietverpflichtung zu erinnern.

Julia beugte sich herab, löste die Verriegelung des Reißverschlusses und zog sie ihn bis über ihre Knie auf, dann ging sie mit eiligen Schritten in Richtung ihres Zimmers. Die Enge des Rockes war ihr nicht unangenehm, und solange sie sich im Haus befand, würde sie ihn auch ganz schließen. Sie nahm sich vor, das gleich heute Nachmittag auszuprobieren.


Erst als sie außer Hörweite war, blickte Herr Hegel seine Frau zufrieden an. »Ich denke, dass ist doch gut gelaufen.«

»Sie hat gewartet, bis wir ihr die Erlaubnis gegeben haben, sich den Rock zu öffnen.« Frau Hegel stand auf und stellte sich hinter ihren Mann. »Ich denke, darauf können wir aufbauen.« Sie gab ihrem Mann einen Kuss. »Danke, dass du heute mit dem Auto fährst. Dann kann ich sicher sein, dass sie hier nicht plötzlich auftaucht.«


Julia ging mit eiligen Schritten in ihr Zimmer. Sie hätte sich gern dort etwas umgesehen, doch unten wartete ihr Professor, um sie mit in die Uni zu nehmen, deswegen musste sie sich beeilen, denn sie wollte ihn nicht warten lassen. Sie griff sich ihre Tasche und kontrollierte kurz den Inhalt. Dann nahm sie sich noch den Mantel und legte ihn sich über den Arm.

Sie hatte kurz überlegt, ob sie ihn gleich anziehen sollte, doch ihre Erfahrungen von gestern hatten ihr gezeigt, dass es ohne Hilfe recht schwierig war. Mit eiligen Schritten verließ sie danach wieder ihr Zimmer, nicht ohne noch einmal einen Blick auf die Schränke zu werfen und sich zu fragen, was für andere seltsame Kleidungsstücke sich dort wohl verbergen würden.

Herr Hegel wartete schon im Flur und Julia sah sofort, dass er jetzt etwas verlegen war. Doch sie ahnte nicht, warum.

»Ich hoffe, es stört sie nicht, dass ich ihnen mit dem Mantel helfen muss.« Herr Hegel nahm ihr den Mantel aus der Hand und hielt ihn bereit.

Julia ließ formvollendet hinein helfen und sah dann fasziniert zu, wie ihr Professor den Mantel mit dem einen Knopf schloss. Sie war sehr fasziniert von dem Mantel, denn die Ärmel waren so weit an der Seite angenäht, dass sie den Reißverschluss nicht erreichen konnte. Doch auch den einzigen Knopf, mit dem der Mantel jetzt verschlossen werden konnte und der eher wie eine Verzierung aussah, bewirkte, dass sie in dem Mantel gefangen war, denn ihre Arme reichten nicht weit genug, um sich den Knopf zu öffnen.

Herr Hegel gab seiner Frau noch einen Kuss, dann bat er Julia, ihm zu folgen.

* * *

Mit etwas Wehmut hörte Frauke, wie sich das Auto von Herrn Hegel vom Grundstück entfernte. Sie seufzte ein wenig. Auch das Auto war für sie ein Symbol für die ihr verwehrte Freiheit.

Natürlich wusste sie, was Hegels mit dieser neuen Mieterin vor hatten, doch es war ihr gleichgültig. Das Einzige, was sie ein wenig störte war, dass Julia jetzt in ihrem ehemaligen Zimmer wohnte.

Dabei ging es der Dienerin gar nicht um das Zimmer sondern lediglich um die Aussicht aus dem Erkerfenster auf das Symbol ihrer nicht vorhandenen Freiheit, der Blick auf die Straßenbahn.

Ja, manchmal blickte sie auch einfach nur auf die Schienen und folgte ihnen mit ihrem Blick, bis sie in der Ferne hinter der nächsten Kurve verschwanden. Wenn sie dürfte, würde sie sogar auf den Schienen in die Freiheit laufen.

»Frauke, wo sind sie?« Die Stimme von Frau Hegel schallte durch das Haus.

Die Dienerin ging mit zügigen Schritten zur Treppe und antwortete.

»Kommen sie bitte herunter, sie müssen mir helfen.« Frau Hegel wartete, bis Frauke in ihr Gesichtsfeld kam. »Ich möchte Carolins Schränke wieder einräumen.«

Frauke versuchte einen kleinen Protest. »Sie wissen, dass ich nicht besonders schnell gehen kann?« Es war ihr unangenehm, ihre Aufpasserin an ihr Handicap in Form der Schenkelbänder erinnern zu müssen.

»Das weiß ich doch.« Die Frau des Professors gab sich verständig. »Wir packen alles in die große Wanne, dann müssen wir nicht so oft laufen.« Sie blickte Frauke ins Gesicht. »Und sie geben das Tempo vor.« Sie drehte sich um und ging in den Keller des Hauses.

»Ja, Frau Hegel.« Frauke seufzte, dann folgte sie ihrer Herrin.

* * *

Als Julia im Universitätsgebäude die eigentlich vertrauten Räumlichkeiten betrat, kam es ihr doch vor, als sei sie an einem ganz anderen Ort. All ihre Sorgen, die sie bisher an diesem Orten begleitet hatten, waren verschwunden und es blieb nur das Glück über die glückliche Lösung all ihrer akuten Probleme.

Jetzt hatte sie wieder eine Wohnung mit einem belastbaren Mietvertrag, und sie konnte sich die Miete leisten, weil sie sozusagen in Naturalien bezahlte.

Und selbst das machte ihr nichts aus, denn sowohl der Mantel als auch das Nachthemd gefielen ihr sehr gut. Irgendwie bezog sie aus der Enge Geborgenheit, teilweise empfand sie sogar Zärtlichkeit, wenn sie überall von dem weichen und dennoch so unnachgiebigen Leder umgeben war.

Sehr gern erinnerte sie sich an die ganz plötzlich aufgetretenen Orgasmen, die sie in dieser Form noch nie erlebt hatte.

Und auch der enge Kontakt, den sie jetzt zu ihrem Professor hatte, steigerte ihr Wohlbefinden. Sie hatte die Gelegenheit genutzt und auf der Fahrt in die Uni gleich die eine oder andere Fachfrage gestellt, nachdem er sie dazu ermutigt hatte.

Dann war da noch der Rock der Tochter, den sie jetzt trug und der ihr schon ein paar bewundernde Blicke eingebracht hatte. Wenn sie Hegels richtig verstanden hatte, dann war der Rock etwas mit dem sie sich auch noch ein Taschengeld verdienen konnte. Damit könnte sie vielleicht auf den Job in der Kneipe verzichten, der ihr mehr als lästig war.

Sie hatte sich selbst die Verpflichtung auferlegt, den Rock so oft wie möglich geschlossen zu halten, besonders wenn sie in einer Vorlesung ihres Vermieters saß. Aber auch sonst hielt sie den Rock geschlossen und genoss das Gefühl des Seidenfutters auf ihrer Haut.

Der Mantel hing meistens neben ihr auf dem Stuhl und oft verirrten sich ihre Finger auf dem glatten als auch glänzendem Leder, und sie streichelte es gedankenverloren, während sie anbetungsvoll den Worten des Vortragenden folgte.

Demnächst waren wieder ein paar Scheine fällig, doch Julia machte sich diesbezüglich keine Sorgen. Und ihre bisherigen Ergebnisse gaben ihr diesbezüglich Recht.

* * *

Frau Hegel saß vor dem Computer und arbeitete an der Taschengeld-Liste für ihre neue Mieterin, nachdem sie zusammen mit Frauke die Schränke in Julias Zimmer eingeräumt hatte.

Das Zimmer war jetzt schon in dem Zustand, den Julia dann heute Nachmittag vorfinden sollte und in dem sie sich umsehen durfte.

Besonders gespannt war Frau Hegel, wie Julia wohl auf den Ballknebel reagieren würde, den sie quasi beiläufig auf dem Schreibtisch unter ein paar Papiere gepackt hatte. Bei den anderen Mädchen hatte die Strategie, sie als Perlen zu verkaufen, stets recht positiv gewirkt.

Auf dem Schreibtisch legte sie die eben ausgedruckte Taschengeldliste, die sie durch ein paar Tricks etwas hatte altern lassen. Dazu gehörten ein Zusammenfalten, darauf setzen und ein paar Kaffeeflecken. Gleich darauf sah das frisch gedruckte Papier aus, als hätte es schon lange in Carolins Zimmer gelegen.

Doch die Liste war wichtig für Hegels Ziele und ihr der Liste war ganz genau ausgetüftelt. Zum einen standen zwar viele Kleidungsstücke darauf, doch sie waren so ausgewählt, dass es nur wenige sinnvolle Kombinationen gab. Und sie waren alle recht niedrig bepreist. So gab es zum Beispiel für zwei Stunden den Rock tragen gerade mal fünf Euro.

Doch wenn man auf die Rückseite des Blattes schaute, sah die Sache schon anders aus. Hier standen zwar viel weniger Gegenstände, dafür waren sie wesentlich höher bepreist. Das einfachste war der 'ganz geschlossene und versiegelte Rock', der pro Stunde 50 Euro einbrachte.

Das meiste Geld würde das Tragen des Monohandschuhs einbringen, falls Julia nachrechnen würde. Denn hier brachte jede angefangene Minute 4 Euro, so dass sie selbst bei Tragedauer von 30 Minuten schon über 100 Euro verdient haben würde. Doch Hegels rechneten damit, dass Julia zu Beginn spätestens nach 10 Minuten aufgeben würde. Und natürlich hatten sie kalkuliert, dass Julias Ehrgeiz damit geweckt werden konnte.

Das Tagebuch hatte sie schon vor einigen Versuchen geschrieben und stets hatte es die Wirkung gehabt, die das Ehepaar erwartet hatte. Die bisherigen Kandidatinnen waren dann meist an anderen Sachen gescheitert.

Julia war ihr letzter Versuch, dass wussten sie beide. Wenn es bei ihr nicht klappen würde, dann mussten sie schweren Herzens aufgeben. Doch bisher waren Julias Reaktionen sehr ermutigend und so langsam fassten sie Hoffnung, dass es mit ihrem Vorhaben vielleicht doch noch etwas werden könnte.

* * *

In einer eher langweiligen Vorlesung begann Julia, mit dem Reißverschluss zu spielen, und zum ersten Mal machte sie ihn ganz zu. Sofort spürte sie, wie sich die Seide geradezu zärtlich um ihre Beine schmiegte und ihr eine Geborgenheit vermittelte, die sie bisher so gar nicht kannte. Sie war sehr neugierig auf Carolins weitere Kleidung und freute sich schon darauf, in den drei Schränken zu stöbern. Immerhin hatte Frau Hegel sie ausdrücklich dazu ermutigt und ihr schon jetzt die Erlaubnis gegeben, alles tragen zu dürfen, was sie fand und ihr gefiel.

Sie begann über die Tochter von Hegels nachzudenken und sie fragte sich, was ihr wohl passiert war. Offensichtlich bewohnte Julia jetzt das Zimmer oder besser das Appartement, welches früher von ihr bewohnt wurde. Irgendwie umgab die Tochter von Hegels ein Geheimnis, und Julia dachte darüber nach, was sie bisher über die Tochter wusste.

Den deutlichsten Hinweis gab es bisher in Form der Möbel, denn viele der Sessel und Stühle hatte an der Armlehne eine Aussparung, und Julia konnte sich bisher nicht erklären, welchen Zweck diese hatte. Im Gegenteil, es müsste doch eher unbequem sein, im Rücken so ein Loch zu spüren.

Ansonsten war sie von den Mietbedingungen sehr angetan, und sie fragte sich, ob sie wirklich die erste war, die auf die Anzeige reagiert hatte. Sie fand es schon plausibel, denn nur wenige Studenten hatte es wirklich so weit kommen lassen wie sie. Sie war jetzt mit dem Blick zurück schon sehr blauäugig gewesen, und obwohl ihr eine innere Stimme immer wieder gesagt hatte, dass sie sich kümmern müsse, hatte sie es doch bis zum sprichwörtlich letzten Sekunde vor sich her geschoben.

Und dann hatte es so eine schöne Wendung genommen. Julia blickte auf den Vortragenden und empfand ungeheures Glück, dass sie jetzt auch noch bei ihrem Lieblingsprofessor im Haus unter gekommen war. Sein Fach hatte sie schon immer interessiert, und wenn sie auf dem Bauernhof ihrer Eltern einmal eine ruhige Minute gefunden hatte, dann hatte sie sich dabei ertappt, wie sie darüber nachdachte, die ganzen Räumlichkeiten neu einrichten würde, wenn es die vielen Tiere nicht gäben würde. Auch wenn sie die Tiere und die Arbeit mit ihnen prinzipiell mochte, es waren anderen Sachen, die sie in die Stadt getrieben hatte.

Trotzdem nahm sie sich vor, die Nähe zu ihrem Professor nicht zu missbrauchen, auch weil sie hatte mittlerweile erfahren, dass seine Frau keinen Wert auf Fachgespräche im Haus legte.

Immer wieder spürte sie, wie sich die Seide des Rockfutters um ihre Beine schmiegte und sie fragte sich, wie es wohl sein würde, wenn sie damit versuchen würde, ein paar Schritte zu gehen. Doch natürlich kannte sie ihre Kommilitonen und sie wusste, dass sich die sofort den Mund zerreißen würden, wenn sie sich mit dem ganz geschlossenen Rock sehen würden. Sie hatte sich schon dumme Sprüche anhören müssen, als sie heute mit dem Rock in der Vorlesung eintraf.


So lange sie auf ihrem Platz saß, blieb der Reißverschluss geschlossen, erst gegen Ende der Vorlesung öffnete Julia das Beingefängnis, wie sie es scherzhaft nannte und ging dann langsamen Schrittes zur nächsten Vorlesung.

Den Mantel trug sie die ganze Zeit auf dem Arm. Sie wollte ihn erst anziehen, wenn sie bei ihrem Professor war. Nicht nur wegen der Mietverpflichtung, sondern auf, weil der Mantel sie, auch wenn er nicht verschlossen war, wegen der engen und fixierten Ärmel sehr behinderte. Außerdem hatten Hegels angedeutet, dass sie wegen der Miete den Mantel nur in ihrer Gegenwart zu tragen hatte. Sie hoffte, dass sie letzteres so richtig verstanden hatte.

Andererseits hatte sie große Angst, gegen die Bedingungen des Mietvertrages zu verstoßen, der zu ihrer Besorgnis genau an dieser Stelle etwas ungenau formuliert war. Sie hatte den Mietvertrag sogar von einer ihr bekannten angehenden Juristin prüfen lassen, und auch diese hatte keine versteckten Klauseln oder ähnliches entdeckt. Immerhin hatte sie sie darauf aufmerksam gemacht, dass es keine Vorgaben gab, wie oft und wie lange sie den Mantel zu tragen hatte. Sie gratulierte ihr zu der preiswerten Miete. »Oder ist an dem Mantel etwas besonders?« hatte sie gefragt.

Julia hatte einen längeren Moment überlegt, ob sie ihrer Bekannten von den besonderen Eigenschaften des Mantels berichten sollte, doch dann hatte sie sich dagegen entschieden. Vor allem weil sie nicht zugeben wollte, dass es allein die Enge des Mantels war, die sie in Kombination mit der Freude über ihre plötzliche Sorgenfreiheit hatte einfach kommen lassen.

Julia war immer noch erstaunt darüber. Sie hatte beim Spaziergang in dem Mantel in der strengen Form zwei Mal einen Orgasmus bekommen, und sie hatte bisher nicht verstanden, warum ihr Körper so außergewöhnlich reagiert hatte. Natürlich wusste sie, wie sich so ein Orgasmus anfühlte, aber das sie ihn ganz ohne ihr eigenes Zutun bekam, war schon sehr außergewöhnlich.

Insgeheim fragte sie sich, ob es in Carolins Garderobe vielleicht auch noch andere ähnliche Kleidungsstücke geben würde. Sie hoffte, dass sie bald einmal in den Schränken stöbern dürfte. Sie nahm sich aber vor, dass sie Frau Hegel deswegen trotzdem noch einmal um Erlaubnis fragen würde. Insgeheim hoffte sie, dass es ihre Vermieterin erfreuen würde, wenn sie Interesse an dem Leben ihrer Tochter zeigen würde.

Doch dann zögerte sie. Was war wohl mit Carolin passiert? Eine innere Stimme warnte sie, sie solle vorsichtig sein, denn es könne gut sein, dass sie frische Wunden aufreißen und ihren Vermietern damit weh tun könne. Und letztes wollte Julia wirklich vermeiden.


Gegen Ende ihrer Vorlesungen fragte sie sich, wie weit sie den Rock wohl schließen könne. Es war eine Abwägung zwischen der Aufmerksamkeit ihrer Kommilitonen und ihrem Wunsch, in ihrer Bewegung eingeschränkt zu sein. Sie spürte, wie sich die Seide an ihren Beinen rieb und sie hoffte darauf, dass sich die Aufmerksamkeit der anderen eher auf den freien Nachmittag richten würde. Sie zog den Reißverschluss langsam ihre Beine hinunter und hielt inne, als sie die enge um ihre Knie herum spürte. Sie sagte sich, dass sie dann noch schnell genug gehen konnte, ohne dass es großartig auffallen würde.

* * *

»Danke, dass du mich gleich informiert hast.« Der Beamte nahm sich die Akte von Frauke Wiesl zur Hand und griff zu einem Stift. »Ich werde die Änderung bezüglich des Haushaltes sofort notieren. Wird eure Mieterin davon erfahren?«

»Bisher hatten wir nicht vor, ihr davon etwas zu sagen.« Frau Hegel trippelte etwas nervös vor dem Telefon.

»Wie macht sich Frau Wiesl? Gibt es irgendwelche Anlässe zum Klagen?« Herr Buchelbauer machte sich eine Notiz.

»Ich bin sehr zufrieden mit ihr.« Frau Hegel dachte über die neuesten Ereignisse nach. »Ich glaube, sie schaut gern der Straßenbahn nach.«

»Wie kommst du denn darauf?« So etwas hatte er bisher noch nicht gehört.

»Du weißt doch, dass direkt an unserem Grundstück die Tram nach München vorbei fährt.« Frau Hegel erinnerte den Beamten an die Begebenheiten ihres Hauses.

»Ach ja, ich erinnere mich.« Herr Buchelbauer war verlegen. »Ich war schon lange nicht mehr bei euch.«

Frau Hegel bestätigte die Anmerkung, nicht ohne einen kleinen Vorwurf durchschimmern zu lassen.

»Was habt ihr Frau Wiesl eigentlich über eure Mieterin gesagt?« Er überhörte die Anspielung wie jedes Mal.

»Bisher noch gar nichts.« Frau Hegel war verwundert. »Sollten wir?«

»Naja, sie könnte euch doch bei euren Zielen helfen.« Der Beamte wusste von Hegels besonderem Vorhaben.

»Sollten wir das wirklich riskieren?« Frau Hegel war verwundert.

»Gute Frage.« Herr Buchelbauer zögerte ein wenig. »Ich lasse mir das einmal durch den Kopf gehen. Ich würde es auf jeden Fall in der Bewertung von Frau Wiesl positiv aufnehmen.«

»Wir haben nicht mehr viel Zeit, bis wir Julia vorstellen müssen.« Frau Hegel dachte laut.

»Julia ist eure neue Mieterin, vermute ich.« Er machte sich wieder eine Notiz.

»Ja, das ist richtig«, bestätigte Frau Hegel. »Auf den Mantel hat sie schon einmal sehr positiv reagiert.«

»Ihr habt euch eine sehr seltsame Aufgabe gestellt.« Herr Buchelbauer klang besorgt. »Seid ihr sicher, dass es den Aufwand wirklich wert ist?«

»Das verstehst du nicht.« Frau Hegel verdrehte die Augen.

Er lachte. »Ja, das hast du schon oft gesagt.«

»Es ist uns halt sehr wichtig.« Sie holte tief Luft.

»Also haltet mich bitte auf dem Laufenden, was den Fall Frau Wiesl betrifft und auch über euer Vorhaben.« Er verabschiedete sich und legte auf. Dann wandte er sich an den Polizisten, der die ganze Zeit neben ihm gestanden hatte. »Wer ist ist der nächste Fall?«

* * *

Frauke ließ sich erschöpft in ihren kleinen, aber gemütlichen Sessel fallen. Sie hatte zusammen mit Frau Hegel die Schränke von Carolin eingeräumt und das Zimmer gemeinsam in den Zustand versetzt, der für eine neue Anwärterin vorgesehen war.

Sie war natürlich über Hegels Ziele informiert, und sie schämte sie immer noch, dass sie selbst versagt hatte. Schon als sie bei einem Besuchstermin das Professorenehepaar kennenlernte, war sie sich sicher, dass sie die Chance nutzen wollte, auch wenn sich ihre Strafe dadurch verdoppeln würde. Auch mit ihrer Anwältin hatte sie sich diesbezüglich unterhalten, und auch diese hatte ihr zu dem besonderen Arrangement geraten.

Ihre Finger spielten ein wenig mit ihrem Körper, der er gefühlt nicht mehr gehörte, seit sie dieses Keuschheitsgeschirr tragen musste. Bis zu der Frage hatte sie überhaupt nicht gewusste, dass es so etwas gab, doch das wollte sie nicht zu geben.

Sie wusste nur eines. Alles war besser, als weitere Zeit im Gefängnis zu verbringen. Sie wusste nicht mehr, wann sie den letzten Orgasmus hatte, es musste gewesen sein, lange bevor sie die Haft antrat.

Sie hatten ihr ihre empfindsamste Stelle genommen, hatten sie einfach mit Eisen verschlossen. Und auch ihre beiden Brüste hatten sie genommen, gesichert hinter den beiden glänzenden Halbkugeln. Sie trug auch kleine Metallbänder um ihre Hand- und Fußgelenke, mit denen sie einfach fixiert werden konnte.

Einmal in der Woche kam eine Vollzugsbeamtin mit dem passenden Schlüssel vorbei und schaute nach ihrem Wohlbefinden und vor allem nach ihrer Haut. Dies war die einzige Gelegenheit bei der sie den Gürtel los wurde. Doch die Beamtin benutzte ein Kältespray, und obwohl sie bis zu dem Termin sehr erregt war, tat die Beamtin doch alles, um ihr den erlösenden Orgasmus zu verweigern. Es ging ausschließlich um die Körperhygiene, und Frauke wurde dabei festgebunden und dabei fast wie ein Baby gepudert.

Es war jedes Mal schrecklich demütigend, doch Frauke wusste, dass sie es auf der einen Seite verdient hatte und dass andererseits die Alternative viel viel schrecklicher ausgesehen hätte. Dafür nahm sie lieber diese jedes Mal sehr demütigende halbe Stunden in Kauf.


Jetzt war wieder eine neue Mieterin im Haus, die sich ebenfalls an der Aufgabe versuchen würde, an der sie selbst gescheitert war. Sie war sich noch nicht sicher, wie sie ihr gegenüber traten sollte. Bisher war es nur die Person, die ihr jetzt die Aussicht auf die Straßenbahn verwehrte. Heute morgen hatte sie sich trotz aller Warnungen ihres Gewissens und auch von Frau Hegel in das Zimmer geschlichen und hatte den abfahrenden Bahnen nachgeschaut, auch wenn es nur zwei Stück waren.

Immer wieder träumte sie davon, dass sie in einer der Straßenbahnen sitzen würde und sie in die Freiheit fahren würde. Doch dieses Ereignis lag noch in weiter Ferne.

* * *

Julia hatte zu ihrer eigenen Überraschung überhaupt keine Probleme, sich von ihrem Professor in den Mantel helfen zu lassen, als sie das Gebäude verließen und auf das Auto zugingen. »Wir fahren noch kurz zur Poccistraße, dort kann ich besser parken.« (Anmerkung des Autors: In der Poccistraße ist die zentrale Verkaufsstelle des Münchner Verkehrsverbundes, MVV)

Julia ahnte noch nicht, was dort passieren würde, sie beschloss, erst einmal nur brav zu nicken.

»Wenn sie bei uns wohnen, benötigen sie alle vier Ringe und die Jahreskarte ist sehr teuer.« Herr Hegel ließ den Motor an.

Julia bestätigte dies. Mit den seltsamen Tarifen des MVV hatte sie sich schon befasst. Erst nach einiger Zeit realisierte sie, was ihr Professor wirklich gesagt hatte. »Eine Jahreskarte über vier Ringe? Die kann ich doch nie abbezahlen.«

Doch Herr Hegel lächelte nur. »Die müssen sie nicht bezahlen. Es ist nur gerecht. Sie können ja schließlich nichts dafür, dass wir in Grünwald wohnen.«

»Aber...« Julia keuchte.

»Kein Widerspruch.« Herr Hegel gab sich resolut. »Ich kann sie ja schließlich nicht jeden Tag mit dem Auto fahren.« Er erinnerte seine Studentin daran, dass auch er oft mit der Straßenbahn fuhr.

Julia war ein wenig verlegen. »Ja, sie haben recht.« Doch ihre schlechtes Gewissen plagte sie. »Gibt es etwas, mit dem ich mich dankbar zeigen kann?«

»Darüber reden wir später einmal.« Herr Hegel fuhr die Lindwurmstraße entlang und hielt nach einem Parkplatz Ausschau. Schließlich fand er einen freien Platz direkt vor dem Geschäft.


Julia war mehr als erstaunt, denn ihr Professor kaufte ihr doch tatsächlich eine Jahreskarte für den gesamten innenraum. Und sie hatte immer noch Schwierigkeiten, das Tarifsystem überhaupt zu verstehen.

»Damit sind sie auf der sicheren Seite und können so gut wie überall hinfahren.« Er reichte ihr die Jahreskarte.

Julia wurde etwas rot. »Wie kann ich mich dafür bedanken?« Sie wiederholte ihre Frage.

»Die Zeit wird kommen, wo sie erkennen, wie sie sich erkenntlich zeigen können.« Er wollte diesbezüglich bewusst etwas unklar bleiben.

»Vielen Dank noch einmal.« Julia schnallte sich an.

»Sie erinnern mich an meine Tochter.« Herr Hegel schnallte sich ebenfalls an. »Sie wollte auch am liebsten Schwarz fahren.«

Julia fühlte sich ertappt und versuchte einen Themenwechsel. »Sie haben ein schönes Haus.«

»Ja.« Er gab sich etwas wortkarg.

Julia spürte, dass ihr Professor sich auf den Verkehr konzentrieren musste.

»Ja, wir haben es von meinen Eltern geerbt«, antwortete er nach einer kleinen Pause. »Es ist eine schöne Gegend.«

»Eine noble Gegend.« Julia lächelte.

»Wenn sie es so nennen wollen.« Er lachte kurz. »Sie haben ja einen Kennerblick.«

»Fahren sie oft mit dem Auto zur Uni?« Julia öffnete das Fenster ein kleines Stück.

Herr Hegel geriet ein wenig ins Schwitzen, denn für diese Frage hatte er keine Antwort bereit. Er versuchte die Flucht nach vorn. »Eigentlich fahre ich auch lieber Straßenbahn, dann kann ich noch mal schauen, was ich ihnen und den anderen Studenten erzählen will.« Er hoffte sehr, dass sie nicht nach dem heutigen Grund fragen würde.

Doch zu seiner Erleichterung wirkte es wie gewünscht, Julia war in Gedanken schon wieder bei ihrem Studium. Sie war sich immer noch unsicher, ob sie den nahen Kontakt zu ihrem Professor wirklich so ausnutzen durfte. Für das Haus hatte Frau Hegel sich Fachgespräche verbeten, doch im Auto galt dieses Verbot ja nicht, vor allem weil seine Frau selbst nicht anwesend war. »Warum muss mich die Dicke des Wandputzes interessieren? Das habe ich nicht verstanden.«

Herr Hegel lächelte, dann erklärte er ihr, dass der jeweilige Raum dann kleiner wird. »Es sind zwar nur Millimeter, aber es spielt oft eine Rolle.«

Julia lächelte verlegen, so als hätte er sie bei einer Unaufmerksamkeit ertappt.

»Den Fehler machen viele...« Er blickte seine Studentin kurz an. »Und es ist mehr als ärgerlich, wenn die Schrankwand nur Millimeter zu breit ist und deswegen nicht hinein passt.«

»Verständlich.« Julia spürte die rote Farbe im Gesicht.

»Sie sollten den Raum am besten noch einmal ausmessen, wenn er fertig ist.« Er betätigte den Schalthebel. »Oder nichts planen, was eine ganze Wand beansprucht.«

Julia lächelte verlegen und beschloss insgeheim, erst einmal keine Fachfragen mehr zu stellen. Denn jede ihrer Fragen zeigte auch, dass sie nicht gut genug aufgepasst hatte. Lieber würde sie es noch einmal nachschlagen, als sich noch einmal so eine Blöße zu geben.

»Wie kommen sie eigentlich mit der Miete zurecht?« Auch Herr Hegel spürte, dass ein erneuter Themenwechsel nicht verkehrt war. Außerdem wollte er hören, wie sich seine Studentin über die besonderen Vereinbarungen äußern würde.

»Oh, sehr gut.« Julia biss sich auf die Lippen, denn von ihren drei Orgasmen wollte sie ihrem Professor nichts erzählen.

Auf einmal keuchte sie, denn sie hatte erkannt, dass ihr Vermieter für die so heiß diskutierten Zettel am Anzeigebrett gesorgt hatte. Zum ersten Mal fragte sie sich, welchen wirklichen Zweck der Zettel wohl hatte, denn er hing schon lange dort. Julia hätte gern gefragt, ob auch schon andere Studentinnen auf den Zettel geantwortet hatten, doch sie traute sich nicht. Außerdem wusste sie nicht, ob sie die Antwort wirklich hören wollte.


Sie passierten das Ortsschild von Grünwald. Julia griff es auf, um das Gespräch in eine ganz andere Richtung zu lenken. »Es ist wirklich eine schöne Wohngegend.«

Insgeheim war ihr Herr Hegel für den Themawechsel dankbar. »Ja, es ist eine noble Gegend.« Er schmunzelte. »Wussten sie, dass Grünwald eigentlich eine eigene Gemeinde ist und mit München nichts zu tun hat?«

Julia blickte überrascht auf. »Nein, das wusste ich nicht.«

»Viele der Einwohner sagen gern, dass sie in München-Grünwald wohnen, doch eigentlich haben wir gerade die Stadt München verlassen.« Das Lächeln war deutlich in seiner Stimme zu hören.

»Es sollen ja viele Prominente hier wohnen?« Julia gab wieder, was sie aus der Klatschpresse erfahren hatte.

»Ja, das ist wohl war.« Herr Hegel grinste. »Ich bin immer froh, wenn wir nicht eingeladen werden. Es ist immer so anstrengend.«

Julia war für einen kurzen Moment enttäuscht, doch dann erinnerte sie sich an ihren eigentlichen Status und sie lächelte verlegen. »Ich frage mich, wem ich gern einmal begegnen möchte.«

»Bei den richtig prominenten Leuten wären sie bestimmt eher enttäuscht, weil sie eigentlich ganz normal sind.« Er seufzte. »Es gibt leider nur einige, die sich für etwas besseres halten.«

»Ohne das sie es sind?« Julia setzte den Satz fort.

»Ja, genau das meine ich.« Er hielt an und öffnete das Garagentor mit der Fernbedienung.

Julia blickte an der imposanten Fassade der Villa hoch und für einen winzigen Moment glaubte sie in ihrem Zimmer ein Gesicht am Fenster gesehen zu haben, doch dann schüttelte sie innerlich den Kopf. Sie hatte doch abgeschlossen.

Andererseits gab es auch keinen sich Sorgen machen, denn sie besaß so gut wie nichts. Alles was sie hatte, passt in zwei Koffer. Man sollte eigentlich erwarten, dass mindestens einer der Koffer mit Fachliteratur gefüllt war, doch da sie sehr vorsichtig mit ihrem Geld umgehen musste, hatte sie auf den Einkauf verzichtet und sich die nötigen Bücher lieber in der Bibliothek ausgeliehen.


Frauke hatte sich sofort zurückgezogen, als sie erkannte, dass sich der Wagen von Herrn Hegel auf das Grundstück bewegte. Bis vor kurzem hatte sie zusammen mit Frau Hegel die Schränke in 'Carolins Zimmer' eingeräumt. Ein Procedere, das sie selbst in der Rolle der Mieterin auch schon kennengelernt hatte. Doch zu dem großen Enttäuschung ihrer Mieter konnte sie Carolins angeblicher Lackkleidung nichts Reizvolles abgewinnen. Im Gegenteil, sie hatte sich penetrant an die wenigen Stoffkleidung gehalten, die im Schrank vorhanden war. Sicherlich war das ein Grund, warum sie für die Ziele ihrer Vermieter nicht infrage kam, doch die wahren Gründe waren noch andere.

Frauke überlegte, ob sie es riskieren sollte, zum Auto zu gehen. Sie kannte die Gewohnheiten von Hegels, und wusste, dass es für heute die letzte Gelegenheit sein würde, einmal in den Himmel zu blicken.

Früher hätte sie über so ein seltsames Anliegen gelacht, doch heute bedeutete ihr dieser Blick in die Ferne sehr viel. Immer bei diesen Gelegenheiten ging ihr das schöne Lied von Reinhard Mey durch den Kopf, und sie fühlte, dass sie Freiheit dort oben wirklich grenzenlos war.

Grenzenlos und doch auch für sie nicht erreichbar. Es war schon etwas Aufbauendes, es überhaupt zu sehen. Auch wenn sie jedes Mal nach kurzer Zeit Tränen in den Augen hatte.

Doch da war auch noch diese neue Mieterin, diese Julia. Frauke wusste bisher noch überhaupt nicht, was sie von dem Mädchen halten sollte, die sie einerseits an die kleine Schwester erinnerte, die sie selbst nie hatte und die sie sich immer gewünscht hatte. Die ihr aber andererseits das Zimmer weggenommen hatte, dass für sich auch zu einem Symbol der Hoffnung auf Freiheit geworden war.

Doch bisher hatte Frauke immer ein Mittel gefunden, um ihrem Traum nachzugehen. So oft es ging, schlich sie sich an das Fenster, und auch wenn vor lauter Tränen nichts sehen konnte, wusste sie doch, wie sie eines Tages sich die Fahrkarte lösen würde, den Kopf auf der Straßenbahntür drücken und dann einsteigen würde. Sie würde sich einen Platz suchen, natürlich in Fahrtrichtung, denn sie wollte auf keinen Fall zurückblicken. Ihr Weg würde sie in die Freiheit führen auch wenn sie wusste, dass diese Freiheit noch in weiter Ferne lag. Sowohl räumlich als auch zeitlich.

Sie würde nie mehr zurückkehren, und doch würde sie bestimmt Kontakt zu Hegels halten, denn sie wusste, dass sie ihnen sehr viel zu verdanken hatte.

Natürlich verfluchte sie Tag für Tag das Eisen, dass sie am Körper tragen musste, doch sie wusste, dass die Alternative noch viel schrecklicher ausgefallen wäre.

Der gemeinsame Einkauf mit Frau Hegel war immer der Höhepunkt der Woche, wenn sie das Haus verlassen durfte und sogar im Geschäft den Einkaufswagen schieben durfte. Selbst die vielen Blicke der anderen Konsumenten, von denen die meisten natürlich über ihren Status Bescheid wussten, machten sie in dem Moment nichts aus.

Sie blickte noch einmal aus dem Nordfenster und sah, dass das Auto mittlerweile in der Garage stand. Jetzt wäre es für sie ohnehin zu spät, sich jetzt noch auf den Weg zu machen, wie sie es normalerweise getan hätte.

Irgendetwas hielt sie davon ab und tief in ihrem Unterbewusstsein wusste, sie, dass es an der neuen Mieterin lag. Frauke wusste immer noch nicht, wie sie ihr gegenübertreten sollte, und dass hielt sie davon ab, eine Begegnung mir ihr von sich aus zu provozieren. Seufzend verließ sie das Zimmer und ging mit schweren Herzen in ihr eigenes Zimmer.


Seltsam, wo nur Frau Wiesl bleibt?« Herr Hegel dachte es mehr laut, als das er bewusst eine Frage stellte. »Sie kommt sonst immer zum Auto und fragt, ob sie etwas tragen kann.«

Julia sah eine Chance, vielleicht etwas mehr über diese seltsame Dienerin zu erfahren. »Sie ist ihre Hausmädchen?«

Erst im letzten Moment hatte Herr Hegel sich unter Kontrolle. »Das ist komplizierter als es aussieht.« Er wich bewusst aus. »Fragen sie bitte meine Frau, um was für ein Verhältnis es sich genau handelt.«

Julia zuckte etwas zusammen. Anscheinend war sie, ohne das sie es ahnen konnte, schon wieder in ein Fettnäpfchen getappt. Sie beschloss für sich selbst, dieser Aufforderung oder Bitte nicht nachzukommen. Sie würde es bestimmt auch selbst herausbekommen, wenn sie nur aufmerksam genug sein würde.

Sie stand etwas unsicher neben dem Auto und wusste nicht, ob sie wegen dem Mantel ihren Professor um Hilfe bitten konnte. Mittlerweile kannte sie die Enge ganz gut und sie wusste, dass es schwierig sein würde, sich den Mantel ganz allein anzuziehen. Selbst wenn sie es schaffen würde, würde sie den Knopf nicht erreichen können und den Reißverschluss erst recht nicht.

Herr Hegel blickte sie nachdenklich an und nach einem kurzen Moment lächelte er gönnerhaft. »Legen sie sich den Mantel über den Arm, ich erkenne ihren guten Willen an.«

Julia war sehr erleichtert, denn so konnte sie problemlos das Haus betreten. Doch tief in ihrem Inneren war ihr Ehrgeiz geweckt.

Es musste doch eine Möglichkeit geben, wie sie sich selbst in diesen Mantel einsperren konnte. Es war ihr egal, dass sie ihn eventuell nicht mehr selbst ausziehen konnte, doch so eine Situation wie jetzt am Auto wollte sie in Zukunft vermieden. Ihr Stolz war angeknackst. Wenn sie diesen Mantel zu tragen hatte, dann wollte sie sich ihn zumindest auch selbst anziehen können.

Frau Hegel erwartete ihren Mann an der Haustür. Dass das Ehepaar einige geheime Zeichen vereinbart hatten, mit denen sie unbemerkt von ihrer Mieterin kommunizieren konnte, davon wusste Julia selbstverständlich nichts. Seine Frau gab ihm das Zeichen, dass alles wunschgemäß vorbereitet war und dass Julia nun für einige Zeit in ihrem Zimmer verbringen durfte. Sie würde ihm später berichten, was sie alles vorbereitet hatte.

Er verließ sich dabei ganz auf seine Frau. Sie hatte das besseres Gespür dafür, was so junge Frauen erwarteten und wie man ihre Neugier erwecken konnte. Bisher hatte es bis zu diesem Punkt eigentlich immer gut funktioniert.

Er drehte sich zu seiner Studentin. »Wir erwarten sie um Sechs beim Abendessen.« Er sagte es in einem Ton, der obwohl höflich sehr respekteinflößend war. Mit diesem Ton hatte er bisher fast immer Erfolg gehabt.

Es wirkte wie gewünscht. Julia blickte zu ihm hin und nickte verschüchtert, dann ging sie langsam in Richtung des Treppenhauses weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Sie empfand es als großes Glück, dass sie hier auch so etwas wie Familienanschluss gefunden hatte. Denn wenn es etwas gab, was sie von dem Bauernhof daheim vermisste, dann waren es die gemeinsamen Mahlzeiten.


Doch sie war noch nicht an ihrer Zimmertür, als sie noch einmal Herrn Hegel ihren Namen rufen hörte. Sie blieb stehen und drehte sich um.

»Wenn sie noch einen Moment Zeit haben, würde ich ihnen gern meine kleine Privatbibliothek zeigen.« Er machte eine einladende Handbewegung. »Wenn sie möchten, dürfen sie sich dort bedienen.«

Julias erster Impuls war, den Vergleich mit der sprichwörtlichen Briefmarkensammlung zu ziehen, doch dann wischte sie den eher lächerlichen Gedanken beiseite. Sie blieb stehen und wartete, bis Herr Hegel die Treppe herauf gekommen war.

»Folgen sie mir bitte.« Er ging die Treppe nach oben in Richtung des Dachgeschosses.

Julia ging mit unsicheren Schritten hinterher. Der obere Teil des Treppenhauses war nicht so mondän, sondern wirkte eher schlicht. Es sah fast so aus, wie sie es auch von daheim kannte. Vor allem nur eine einfache Holztreppe, bei der die Stufen ein wenig knarrten.

»Sie kommen mit dem Rock ja ganz gut zurecht«, bemerkte er, als er oben an der Treppe stand und Julia beobachtete, wie sie ein wenig mit der Enge des Rockes zu kämpfen hatte. Nur nebenbei hatte er bemerkt, dass der Reißverschluss nicht ganz geöffnet war. Er verzichtete allerdings darauf, Julia darauf aufmerksam zu machen. Es war gut, wenn sie sich langsam an die Enge des Rockes gewöhnen würde.

Julia lächelte verlegen. »Er trägt sich gut.« Sie es liebte, wenn sie die Seide an ihren Beinen spürte, wollte dies dann doch lieber für sich behalten. Mit Frau Hegel hätte sie sich vielleicht darüber unterhalten, aber gegenüber ihrem Professor war ihr das Thema eher unangenehm.

Er öffnete ein kleine unscheinbare Tür, trat ein und machte Licht, dann er blieb innen neben der Tür stehen.

Julia sah sofort, dass der Raum nur ein einziges kleines Fenster hatte und auch sonst nicht allzu groß war. Doch das war nur ein Detail, welches sie nur am Rande mitbekam. Sie war viel mehr davon beeindruckt, dass der Raum über und über mit Büchern gefüllt war.

Es gab in die vielen Regalen nur ganz wenig freien Platz, und alle Regale waren bis zur Decke mit Büchern voll gestellt. Von den eigentlichen Wänden des Raumes war nichts zu sehen, stellte Julia fasziniert fest. »Woh!«

»Sehen sie sich ruhig um.« In den Worten von Herrn Hegel schwang ein gewisser Stolz mit. »Wenn sie etwas für ihre Arbeit brauchen, bedienen sie sich hier.«

Julia stand wortwörtlich der Mund auf. Sie war sprachlos.

»Bitte achten sie lediglich darauf, dass sie die Bücher pfleglich behandeln. Aber ich glaube, dass muss ich ihnen eigentlich nicht sagen.« In diesem Moment hatte er einen fast liebevollen Blick für seine Studentin.

Julia war noch wie gelähmt. Hier standen sogar die Bücher, auf die sie sonst in der Bibliothek sonst manchmal wochenlang warten musste.

»Bitte achten sie aber darauf, dass die Bücher das Grundstück nicht verlassen.« Seine Stimme wurde eine Spur bedeutsamer.

»Sie meinen 'das Haus', oder?« Julia glaubte, sich verhört zu haben.

»Nein, ich meinte schon das Grundstück.« Jetzt war ein deutliches Grinsen zu sehen.

Julia blickte ihn verwundert an, doch sie sagte nichts.

»Man kann auch gut auf der Terrasse und im Garten lesen.« Er zeigte mit der Hand in die Richtung, in der der Garten war. »Ich möchte sie ausdrücklich dazu einladen.«

Julia war mehr als verwundert. »Es ist wie im Traum.«

»Genießen sie es.« Herr Hegel blickte seine Studentin liebevoll an. »Nutzen sie die Chance, um eine gute Innenarchitektin zu werden. Sie könnten es weit bringen.«

Doch zuvor galt es noch ein anderes Ziel zu erreichen, an das sie ihre Mieterin aber ganz behutsam heranführen mussten.

* * *

Seufzend ließ Julia die Tür ihrer neuen Wohnung hinter sich ins Schloss fallen. Soeben hatte ihr Frau Hegel mitgeteilt, dass sie in Carolins Schränken ein wenig Platz gemacht hatte. Sie entschuldigte sie dafür, dass sie viele von den Sachen ihrer Tochter noch nicht weggeworfen hatte. »Wenn ihnen etwas davon passen sollte, können sie es gern anziehen.«

Julia fragte sich sich im Nachhinein, was sie eigentlich erwartet hatte, als sie die erste Schranktür öffnete. Denn sofort waren ihr zwei Sachen ins Auge gefallen. Das eine waren natürlich die leeren Fächer, die ihre Vermieterin angekündigt waren. Genauso aber fiel ihr dieses Glänzen in den anderen Fächern auf, und mit zitternden Händen nahm sich Julia eines davon in die Hand.

Es entpuppte sich als eine schwarze Lackhose. Julia musste sich vor Begeisterung setzen. Genau von so einer Hose hatte sie seit langem geträumt, seit sie sie einmal im Schaufenster einer sehr teuren Boutique gesehen hatte. Dort hatte sie einen vierstelligen Betrag gekostet und hier lag sie einfach so im Schrank.

Julia wagte es fast nicht, jetzt den gesamten Schrank zu inspizieren, doch sie erkannte trotzdem, dass in vielen Fächern das eine oder andere Kleidungsstück aus Lack zu entdecken war. Und sie hatte erst einen der drei Schränke geöffnet.


»Ich habe dir doch gesagt, es das funktionieren wird.« Frau Hegel hatte so etwas wie einen Triumph in der Stimme.

»Es wäre zu schön«, antwortete Herr Hegel, ohne seinen Blick von dem kleinen Überwachungsmonitor zu nehmen.

»Ich werde zu ihr gehen, um ihre Faszination gleich in die richtige Richtung zu lenken.« Frau Hegel öffnete die Tür des kleinen Überwachungsraumes.

»Sei vorsichtig.« Herr Hegel blickte weiterhin nicht auf. »Überfordere sie nicht.«

Frau Hegel lächelte. »Keine Sorge, ich habe meinen Text gelernt.« Sie lächelte zuversichtlich, dann schloss sie hinter sich die Tür.


Julia war so in Gedanken, dass sie weder das Klopfen realisierte noch bemerkte, wie Frau Hegel in ihr Zimmer gekommen war.

»Mir scheint, sie möchten Carolins Lieblingshose einmal anziehen?« Frau Hegel gab sich Mühe, ihre Stimme ganz bewusst weich klingen zu lassen.

Julia nickte zunächst ganz gedankenverloren, erst dann realisierte sie, dass Frau Hegel in ihrem Zimmer stand und blickte erschrocken auf. Eine Antwort wusste sie in diesem Augenblick nicht.

»Wir fänden es gut, wenn Carolins Sachen wieder einmal getragen werden.« Sie lächelte. »Zumindest hier im Haus.«

»Sie meinen, ich dürfte?« Julia hielt die Hose vor sich. »Ob sie mir passen würde?«

»Probieren sie es doch einfach einmal aus.« Der Satz war ausnahmsweise sogar ehrlich gemeint. »Wenn sie mutig genug sind, dann kommen sie damit einfach zum Abendessen.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Sie würden mir und meinem Mann eine große Freude machen, wenn sie sich das zutrauen würden.«

Julia legte die Hose auf ihr Bett und setzte sich daneben. Ohne das sie es bewusst steuern konnte, drehte sich ihr Kopf noch einmal den drei Schränken, die nebeneinander an der Wand stand.

Frau Hegel war dem Blick gefolgt. »Sie dürfen sich überall bedienen, auch in den anderen Schränken. Sie werden sicherlich einige Sachen finden, die ihnen passen könnten.«

Julia begann langsam Vertrauen zu fassen. »Von dieser Kleidung habe ich immer schon geträumt. Aber die war immer viel zu teuer.«

Sie dachte mit viel Wehmut an das Preisschild, dass sie bei einem ihrer Schaufensterbummel im Nobelviertel von München gesehen hatte. Sie wusste noch, dass die Zahl vierstellig war und mit einer Eins begann. Damals fragte sie sich, ob sie sich jemals so eine Hose würde leisten können. Und sie fragte sich auch, wer von den vielen Münchnerinnen so etwas trug. Und auch zu welcher Gelegenheit.

Frau Hegel tat ein wenig verlegen. »Ich habe ihnen Carolins Taschengeldliste auf den Schreibtisch gelegt. Wenn sie möchtest, dann können sie sich mit dem Tragen ihrer Kleidung auch etwas Geld verdienen.« Und sie hatte die vorbereitete Danksagung daneben gelegt, ohne dies allerdings zu erwähnen. Ihre neue Mieterin würde sicher darauf aufmerksam werden.

Julia blickte etwas verunsichert zwischen dem Schreibtisch und den Schränken hin und her.

»Ich lasse sie jetzt allein, dann können sie sich etwas umschauen.« Frau Hegel ging langsam zur Tür. Sie hoffte sehr, dass es die richtige Dosis an Ermutigung war. »Vielleicht finden sie ja das eine oder andere, was ihnen auch gefällt.«

Julia blickte ihrer Vermieterin verwundert hinterher. Selbst als die Tür ins Schloss gefallen war, saß sie noch wie starr auf dem Bett. Nur langsam kam wieder Leben in ihren Körper.

Mit zitternden Händen griff sie noch einmal zu der Lackhose und legte sie sich über den Schoß. Sie ertappte sich schon wieder bei der Frage, ob sie ihr vielleicht passen würde. Aus den ersten Blick schien es ihre Größe zu sein.

Fast wie in Zeitlupe legte sie die Hose noch einmal neben sich, dann zog sie sich ihre Rock aus. Sie griff sich die Lackhose und hielt sie hoch. Als der glatte Lackstoff ihre Haut berührte, zuckte sie zusammen und ermutigte sie zugleich, mit ihrem Vorhaben weiter zu machen.

Jetzt wollte sie wirklich wissen, ob ihr die Hose passen würde. Ob sie damit auch wie vorgeschlagen zum Abendessen gehen würde, dass wusste sie noch nicht. Durch die Lackkleidung war Julia noch neugieriger geworden auf Carolin. Sie schien ein aus Sicht der Studentin sehr faszinierendes Leben geführt zu haben.

Wie der Rock auch war die Hose innen mit Seide gefüttert und fühlte sich fast genau wie der Rock auf ihrer Haut an. Und als sie sich in dem großen Spiegel sah, weinte sie vor Glück.


»Sie weint.« Herr Hegel hatte weggesehen, als Julia sich den Rock auszog, denn an ihrer Unterwäsche hatte er kein Interesse. Doch jetzt, als er sah, dass Julia die schwarze glänzende Hose trug, wagte er es wieder, auf den Monitor zu sehen. Und seine Stimme klang besorgt.

»Das sind Freudentränen.« Frau Hegel hatte sich neben ihn gesetzt. »Siehst du das nicht?«

»Ich werde die Frauen nie verstehen.« Er lächelte.

»Dafür hast du ja mich.« Sie gab ihm einen Kuss.

»Jetzt ist sie am Schreibtisch.« Er zeigte auf den Monitor.

»Sie schaut sich die Taschengeld-Liste an.« Frau Hegel hielt die Luft an. »Ob es glücken wird?«

»Wir werden es bald wissen.« Er ergriff seine Hand und drückte sie.


Julia stand mit zitternden Knien vor dem Schreibtisch und begutachtete die Taschengeld-Liste. Zunächst war sie etwas ernüchtert, denn mit der Liste war nicht wirklich viel Geld zu verdienen. Es standen zwar viele Röcke auf der Liste, aber sie konnte ja immer nur einen Rock anziehen.

Fast beiläufig entdeckte sie, dass die Rückseite der Liste ebenfalls bedruckt war, und auf den ersten Blick sahen die Preise aus wie die auf der Vorderseite. Doch dann sah sie etwas genauer hin und verglich auch noch einmal die Vorder-- und die Rückseite.

Auf der Vorderseite waren die Preise pro Stunden angegeben. Auf der Rückseite hingegen standen Minutenpreise. Julia schluckte. Damit sah die Rückseite schon ganz anders aus.

Sie suchte sich den nächsten Minutenpreis und sah sofort, dass es mit vier Euro der Monohandschuh war. Sie verstand aber nicht, was das war, und sie konnte sich unter einem Monohandschuh auch nichts vorstellen.

Aber wenn sie so einen Handschuh tragen würde, dann würde sie nach einer halben Stunde schon über 100 Euro verdient haben. Sie blickte noch einmal auf der Vorderseite. Den Rock müsste sie fast eine ganze Woche ununterbrochen tragen, um auf die gleiche Summe zu kommen.

Dabei war der Begriff 'Monohandschuh' schon einmal gefallen, als Julia sich nach diesen seltsamen Rückenlehnen der Stühle und Sessel erkundigt hatte. Und auch die zwei Stühle in ihrem Zimmer zeigten diese seltsame Lehne.

Die Stühle waren trotzdem nicht unbequem, weil die beiden quasi Säulen sich glatt an den Rücken der Sitzenden anschmiegten und genau dort keine unangenehmen Kanten hatten. Was auch immer so ein 'Monohandschuh' war, Carolin schien ihn wohl oft getragen zu haben, weil eigentlich alle ihre Sitzmöbel über die gleiche Aussparung verfügten. Aber warum die Mitte ihres Rückens freigelassen wurde, dafür konnte Julia bisher keine Erklärung finden.

Der nächste Eintrag auf der Liste war 'Perle mit Netz' mit 3 Euro und 'Perle einfach' mit einem Euro. Julia war verwundert. Selbst mir der einfachen Perle konnte sie in der Stunde 60 Euro verdienen, in der Studentenkneipe hätte sie dafür mindestens zwei Abende arbeiten müssen.

Doch dann kam sie ins Grübeln. Es musste bestimmt einen Grund geben, warum hier in Minuten abgerechnet wurde. Vielleicht war das Tragen ja sehr anstrengend, das wäre eine plausible Erklärung. Doch sie hatte noch eine keine Idee, warum das Tragen eines einfachen Handschuhs so anstrengend sein konnte. Auch mit den Perlen konnte sie wenig anfangen, doch auch sie schienen etwas besonderes zu sein.

Denn sie sagte sich, dass der hohe Preis sicherlich der Anreiz war, etwas Unangenehmes lange auszuhalten. Aber was es sein könnte, dazu hatte sie keine Idee. Doch ihre Neugier und genauso ihr Ehrgeiz waren geweckt.

Weiter unten standen Beträge, die sich auf die Zeitdauer von 10 Minuten oder einer halben Stunden bezogen. Doch bei den meisten konnte sie es nicht direkt mit Kleidung in Verbindung bringen. Lediglich unter einen versiegelten Rock konnte sie sich etwas verstellen, auch wenn sie keine Idee hatte, was genau an dem Rock hätte versiegelt werden können.

Oft war bei den Begriffen auch von Geschirr die Rede, manchmal in Verbindung mit Leder. Doch auch dazu konnte sie sich nichts vorstellen. In Gedanken sah sie eine Tasse aus Leder vor sich und musste darüber den Kopf schütteln. Das konnte damit nicht gemeint sein. Wieder stutzte sie, denn ihr fiel ein, dass sie den Begriff 'Ledergeschirr' doch schon kannte, aber von dem Zaumzeug der Pferden auf dem elterlichen Hof.

Neben der Taschengeldliste lag noch eine Karte mit einem aufgedruckten schwarzen Rand. Sie hatte ungefähr die Größe einer Ansichtskarte und Julia fiel sofort der Name 'Carolin' auf, der in der Mitte aufgedruckt war. Daneben befand sich ein schlichtes Kreuz.

Julias Hand zitterte, als sie die Karte in die Hand nahm. Es war eine Danksagung, in der sich Frau Hegel auch im Namen ihres Mannes für die Hilfe und den Beistand in den schweren Stunden bedankte. Es folgte ein Satz über die Hoffnung, dass Carolin es jetzt besser haben würde und ihre plötzliche und so tückische Krankheit jetzt keine Rolle mehr spielen würde.

Julia war schwer getroffen, als sie den Inhalt der Karte vollständig begriffen hatte, und sie schämte sich, weil sie den bisherigen Andeutungen über Hegels Tochter mit etwas Misstrauen begegnet war. Dass auf der Karte nur Tag und Monat angegeben war, fiel ihr allerdings nicht auf.


Sie grübelte einige Zeit, dann legte sie die Karte beiseite und ging noch einmal an das Fenster. Wieder sah sie eine Straßenbahn abfahren, und so nebenbei blickte sie auf den Schreibtisch, auf dem jetzt ihre Jahreskarte mit vier Ringen lag. (Anmerkung des Autors: Das Münchner Tarifsystem ist einigermaßen kompliziert, eine Karte mit vier Ringen entspricht dem Bereich der Stadt München ohne die Außenbezirke.) Sie wurde fast schwindelig, als sie die Summe sah, die auf der Karte aufgedruckt war. Fast 800 Euro hatte ihr Professor dafür gezahlt. Das entsprach in etwas der Geldmenge, mit der sie normalerweise ein halbes Jahr zurecht kommen musste, wenn sie Miete und Essen abgezogen hatte. Sie fühlte ihren Gasteltern gegenüber einen große Dankbarkeit und bezog daraus auch eine gewisse Verpflichtung.

Doch dann zögerte sie . 'Gasteltern' war falsch, eigentlich waren es nur ihre Vermieter. Doch obwohl sie gerade mal 24 Stunden bei ihnen war, hatten sie ihr doch sofort das Gefühl gegeben, zur Familie zu hören oder zumindest zum Haushalt.


Es klopfte. Es war die Dienerin.

»Das Abendessen wäre bereit.« Nebenbei realisierte Frauke, dass Julia sich schon mit den Lacksachen vertraut gemacht zu haben schien, denn sie trug eine schwarze Lackhose. Sie seufzte ein wenig, denn mit dem Ende ihres Versuches, die ganzen Wünsche von Hegels zu erfüllen, war es auch vorbei mit Hosen, denn sie musste wieder die verhassten Schenkelbänder tragen. Sie hatte sich zwar mittlerweile daran gewöhnt, doch die Sehnsucht nach Hosen blieb. Sie wusste, dass in ihrer zukünftigen Garderobe Hosen eine sehr große Rolle spielen würde.

Röcke wollte sie nur noch in begründeten Ausnahmen tragen. Und im Moment fiel ihr nicht einmal eine einzige Ausnahme ein. Sie hatte aber mittlerweile gelernt, dass sie sich in Zukunft keine Wege mehr verbauen wollte. Denn aus ihrem aktuellen Schicksal hatte sie gelernt. So hatte es wenigstens etwas Gutes.


Julia legte die Taschengeldliste verträumt weg und fragte sich, ob sie sich bei Frauke nach dem seltsamen Handschuh erkundigen könnte. Auch zu den Perlen, bei denen es pro Minute immerhin einen Euro gab hätte sie gern etwas gewusst, doch Frauke mit ihrer abweisenden Art hielt sie davon ab.


»Das ist sehr schön, dass sie sich trauen.« Frau Hegel empfing ihre Mieterin im Esszimmer.

Julia blickte ihre Vermieterin verwundert an. »Sie hatte mir doch zu verstehen gegeben, dass ich mit ihnen Abendessen soll.«

»Ich meinte ja auch Carolins Hose.« Frau Hegel lächelte bewundernd. »Sie habe sich getraut.«

Julia wurde rot und blickte erschrocken an sich herunter. »Ich habe gar nicht mehr daran gedacht.« Sie überlegte, ob sie wieder auf ihr Zimmer gehen sollte, doch dann sah sie, dass auch Herrn Hegel zum Essen gekommen war.

»Mutig wie immer.« Herr Hegel lächelte, als er Julias Hose sah. »Ich freue mich sehr über ihren Entschluss.« Dieser Satz war ausnahmsweise einmal grundehrlich gemeint.

Julia hatte das Gefühl, im Erdboden versinken zu müssen. Sie hatte sie sich die zugegeben sehr faszinierende glänzende schwarze Lackhose angezogen und es dann einfach vergessen? Wie konnte sie nur so nachlässig sein.

»Sie sind mindestens so mutig wie Carolin.« Frau Hegel bat mit einer Handbewegung zu Tisch.

Julia begriff nur langsam, dass sie mit dem ungeplanten Auftritt ihren Vermietern anscheinend eine Freude gemacht hatte. Sie kam der Aufforderung nach, sich an den Tisch zu setzen.


Julia hatte immer noch die traurige Anzeige im Kopf, die sie so abgelenkt hatte und der sie es vor allem zu verdanken hatte, dass sie die Lackhose ganz vergessen hatte. Immer wieder verirrte sich eine Hand von ihr auf ihre Beine, und ganz fasziniert streichelte sie über ihre jetzt so spannend verpackte Haut.

Sie überlegte immer wieder, ob das, was sie vor hatte, wohl richtig war. Schließlich fühlte sie sich mutig genug, um die vorbereitete Frage zu stellen. Sie holte unauffällig noch einmal tief Luft, dann sprach sie die vorbereitete Frage aus. Sie hoffte, dass sie dabei die richtige Mischung zwischen Anteilnahme und Neugier erwischen würde. »Hat ihre Tochter sehr leiden müssen?«

Doch kaum hatte sie die Frage ausgesprochen, als sie ihren Entschluss schon wieder bereute. Herr Hegel war sofort aufgestanden und hatte das Esszimmer langsam, aber mit traurigem Blick verlassen.

Julia blickte ihm erschrocken hinter her. Sie ärgerte sich sehr über ihre Neugier. Jetzt hatte sie ihn verletzt und das hatte sie nicht beabsichtigt.


»Bitte fragen sie ihn nicht nach Carolin.« Frau Hegel blickte Julia erklärend an. »Die Wunden sind bei ihm besonders frisch.« Sie stand auf und ging zur Tür. »Warten sie bitte kurz, ich möchte ihnen noch etwas geben.«

Julia blickte ihr verwundert hinterher, sie begriff so langsam, dass sie die bisherige Stimmung offensichtlich falsch gedeutet hatte.

Auf einmal ertönte leise Musik und Julia erkannte sofort, dass es von Richard Wagner 'Siegfrieds Trauermarsch' war. Ihre Betroffenheit wuchs noch ein Stück, das hatte sie mit ihrer Frage wirklich nicht bewirken gewollt. Sie beschloss, in Zukunft in der Richtung der Tochter lieber etwas zurückhaltend zu sein.

Gleich darauf kam Frau Hegel zurück, doch sie blieb zunächst in der Tür stehen und tat, als ob sie nachdenken würde.

Julia sah, dass sie irgendwie gemustert wurde und sie zwang sich, die Blicke zu ertragen. Sie hatte den Blick zu Boden gesenkt, so sah sie nicht, dass ein kleines Büchlein schon vor ihrer Ankunft auf der Kommode gelegen hatte. Das hätte sie vielleicht noch misstrauisch machen können, doch sie hatte es nicht bemerkt.

»Ich denke, sie hätte nichts dagegen, wenn ich es ihnen gebe.« Frau Hegel ging langsam auf die Kommode zu.

Julia blickte auf und wunderte sich, über was ihre Vermieterin gerade sprach. Doch sie traute sich nicht, danach zu fragen.

Frau Hegel blieb vor der kleinen Kommode stehen und griff sich das Buch. »Darin werden sie sicher einige Antworten auf ihre Fragen finden.« Sie reichte es ihrer Mieterin.

Julia war noch dabei, die Reaktion ihres Professor zu verarbeiten. So betroffen wie jetzt hatte sie ihn bisher noch nicht erlebt. Sie blickte unauffällig auf den Titel des Buches und entdeckte dort eine Prägung in Goldfarbe 'Mein Tagebuch'.

Frau Hegel reichte Julia die Hand. »Bis morgen früh.«

Julia blickte ihre Vermieterin fragend an, stellte jedoch keine Frage.

»Frauke wird ihnen mit dem Nachthemd helfen.« Frau Hegel ging langsam zur Tür. »Sie werden sich sicher an ihre Verpflichtungen halten, wenn sie zu Bett gehen wollen.«

Julia schluckte. »Aber natürlich, Frau Hegel.«

Doch bei den ersten Schritte auf der Treppe hörte Julia, dass Frau Hegel nach Frauke rief, und als sich die Dienerin meldete, forderte ihre Vermieterin sie auf, Julia mit dem Nachthemd zu helfen, wenn sie danach verlangen sollte.

Frauke gab sich zuerst etwas unwillig, doch dann realisierte sie aber, dass sie so einen offiziellen Grund hatte, Julias Zimmer zu betreten.


Julia stand mit dem Tagebuch in der Hand im Zimmer und blickte sich um. Was sollte sie jetzt tun? Nach dem Abendessen waren sie noch etwas ins Plaudern gekommen, bis sie die verhängnisvolle Frage gestellt hatte. Als sie jetzt auf die Uhr sah, stellte sie fest, dass es eigentlich Zeit fürs Bett war.

Wenn ein Buch der Trivialliteratur las, dann folgte sie immer ihrem liebevoll gepflegten Spleen und schaute sich zuerst die letzten drei Seiten an. Sie wollte erfahren, wie das Buch ausging und wer wohl die Hauptperson war. Natürlich wusste sie, dass sie sich damit etwas die Spannung nahm, doch bei dieser Art von Literatur mochte sie eigentlich nur Happy Ends, und wenn der Schluss des Buches traurig war, dann beschloss sie, es lieber doch nicht zu lesen.

Julia überlegte sich also, noch schnell die letzten drei Seiten zu lesen, und dann nach Frauke zu rufen, damit diese ihr bei dem Nachthemd helfen könne. Sie setzte sich in den Sessel, schlug das Buch auf und versuchte, zunächst einen gewissen Überblick zu bekommen.

Das Buch enthielt knapp fünfzig Blätter und diese waren doppelseitig mit einen offenbar weiblichen Handschrift beschrieben. Das Tagebuch war bis ungefähr zu drei Viertel der Seiten gefüllt.

Die Aufzeichnungen begannen im Februar, und es gab manchmal einen Eintrag pro Woche, manchmal sogar drei. Dass keine Jahreszahl angegeben war, fiel ihr allerdings nicht auf.

Schließlich suchte Julia die letzte Seite, blätterte dann eine Seite zurück und begann dort zu lesen.

Es war ein Bericht aus dem Mai, sie lehnte sich kurz zurück. Das war also ungefähr vor knappen halben Jahr. Sie wunderte sich ein wenig, denn ihr Professor hatte sich zu der Zeit eigentlich nichts anmerken lassen. Es wunderte sie ein wenig, dass er heute so heftig reagiert hatte.

Sie las weiter. Carolin berichtete mit Begeisterung davon, dass für sie ein Gürtel bestellt war und dass sie sich schon darauf freute. Auch berichtete sie von einer ganz besonderen Aufgabe, die auf sie wartete und die sie mit Bravour hinter sich bringen wollte. Der Rest war belanglose Schreiberei.

Doch als sie die letzte beschriebene Seite anschaute, hielt sie kurz inne. Die Schrift war verändert, die Schreiberin schien gezittert zu haben. Julia hatte teilweise sogar Schwierigkeiten, es zu lesen.

Gegen Ende entdeckte sie einen ganz traurigen Satz: 'Ich muss nun gehen und ich gebe dir alles in deine Hände. Wenn du das hier liest, dann bist du würdig genug, meine Aufgaben zu erfüllen. Ich werde es leider nicht mehr tun können.« Das Papier war etwas wellig und Julia ahnte, dass die Schreiberin geweint haben musste.

Sie legte das Buch beiseite und blickte lange aus dem Fenster.


Jetzt verstand sie die Reaktionen ihres Professors, denn es schien, als sei Carolin wegen einer schweren Krankheit gestorben. Es schien ihr wichtig zu sein, ihre letzte Botschaft noch in ihr Tagebuch zu schreiben und damit quasi ihr Testament zu hinterlegen.

Julia fragte sich, ob Frau Hegel selbst das Buch wohl gelesen hatte. Der Schluss war doch recht traurig und las sich fast so wie ein Vermächtnis.

Sie fühlte sich sofort verpflichtet, dass Erbe von Carolin anzutreten. Es kam ihr nicht in den Sinn, den Inhalt des Tagebuchs zu hinterfragen. Vor allem, weil einfach alle Indizien, die sie bisher hatte, so gut zueinander passten.

Sie wusste jetzt, dass sie sich mit allem, was Carolin betraf, vertraut machen wollte. Sei es der seltsame Handschuh und die anderen Sachen von der Taschengeldliste, als auch dieser Gürtel, auf den Carolin sich so gefreut hatte. Und sie würde sich auch Carolins Aufgabe stellen, auch wenn sie noch gar nicht wusste, um was es sich dabei handelte.


Sie überlegte, wie sie es am Besten angehen konnte. Ihren Professor einmal in der Uni anzusprechen, verbat sich gleich aus mehreren Gründen. Zum einen hatte sie seine Reaktion von eben noch im Gedächtnis, und außerdem gab es natürlich auch die nicht ausgesprochene Regel, in der Universität nicht über Privates zu reden.

Ob sie lieber Frau Hegel ansprechen sollte oder doch Frauke, diese merkwürdige Dienerin? Julia war etwas unentschlossen. Doch zunächst einmal wollte sie das Tagebuch ganz gelesen haben. Vielleicht erfuhr sie dann auch noch mehr über das Verhältnis von Carolin zu ihren Eltern. Das würde ihr die Entscheidung vielleicht etwas erleichtern.

Doch jetzt galt es erst einmal, sich ihren weiteren Mietverpflichtungen zu stellen. Sie packte das Tagebuch in die Nachttischschublade und legte sich das Nachthemd zurück.

Aber dann stutzte sie. Sie sollte Frauke Bescheid sagen, doch sie wusste überhaupt nicht, wo sie in dem großen Haus zu finden war. Und sie selbst hatte bisher nur wenige Räume kennen gelernt. Dann fiel ihr Blick auf die Notfallklingel, und sie fragte sich, ob sie diese dafür benutzen durfte, um Frauke zu rufen. Sie nahm sie in die Hand und dachte noch einmal über die Worte nach, die sie dazu gehört hatte.

Es war ja eigentlich kein Notfall, doch welche andere Möglichkeiten hatte sie? Sie hätte natürlich zu Frau Hegel gehen können und sie fragen, doch sie spürte, das das nicht richtig war. Ihren Professor wollte sie deswegen auch nicht bemühen, aus mehreren Gründen.

Sie könnte natürlich in das Treppenhaus gehen und nach Frauke rufen, doch sie ahnte, dass das sehr unhöflich war, weil sie ja auch Hegels dabei stören würde.

Schließlich holte sie noch einmal tief Luft und drückte auf den Knopf.


Frauke legte das Buch weg, das sie gerade las, dann machte sie sich auf den Weg, um die letzte Pflicht des Tages zu erfüllen. Insgeheim freute sie sich auf den Auftrag, denn es gab ihr die Gelegenheit, ganz ohne schlechtes Gewissen in ihr ehemaliges Zimmer zu gehen und von dort den Blick auf die Straßenbahn zu genießen.

Es war mittlerweile dunkel, die beleuchteten Straßenbahnen sahen besonders hübsch aus, und sie konnte die roten Lichter noch länger in der Nacht verfolgen.

Mit für ihren Verhältnisse schnellen Schritten ging sie den Weg zu Julias Zimmer, klopfte kurz und trat gleich darauf ein, ohne auf Julias Antwort zu warten. Immerhin hatte sie nach ihr geklingelt.

Das Mädchen saß noch angezogen auf dem Bett und blickte sie verlegen. »Entschuldigen sie bitte, ich wusste nicht...«

»Zieh dich aus.« Frauke wollte nicht hören, was dieser Eindringling zu sagen hatte. Sie wollte sie nur schnell in das Nachthemd stecken und dann ihre Hilflosigkeit ausnutzen, um lange aus dem Fenster zu sehen, so wie sie es bisher oft getan hatte.

Julia blickte sie verwundert an. »Ich...« Sie stotterte, weil sie sich wegen des Tones erschrocken hatte. »Warum... ?«

»So wird dir das Nachthemd nicht passen.« Frauke wusste natürlich, was die neue Mieterin bewegte, doch sie sah nicht ein, warum sie ihr eine falsche Freundlichkeit vorspielen sollte. Sie hatte ihr das Zimmer weggenommen, und dafür durfte sie keine Dankbarkeit erwarten.

Julia blickte sie erstarrt an.

»Hast du nicht gehört?« Frauke musste sich nicht verstellen, um ihre Stimme unfreundlich klingen zu lassen.

Julia war es eigentlich gewohnt, das sie andere Leute nackt sahen, der Bauernhof mit dem einzigen Zimmer brachte es so mit sich. Sie kannte es einfach nicht anders. Und doch hatte sie irgendwie Skrupel, sich vor der Dienerin auszuziehen.

»Was ist jetzt?« Fraukes Stimme zeigte, dass sie ungeduldig war. »Warst du schon im Bad?«

»Nein«, schluckte Julia und begann zu zittern.

Frauke blickte ungeduldig auf das Bett. Auf einmal hatte sie eine Idee. Scheinbar etwas liebenswürdiger sprach sie weiter. »Soll ich weg schauen.«

Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern ging zum Erkerfenster und blickte scheinbar gelangweilt hinaus. »Beeil dich«, brummte sie, doch in Wirklichkeit hoffte sie, dass es möglichst lange dauern würde. »Hast du wenigstens schon geduscht?« Innerlich grinste sie, weil ihr mit dieser Frage ein Ton gelungen war, der suggerieren würde, dass Julia vor dem Nachthemd anziehen unbedingt noch duschen müsste.

»Nein.« Es wirkte wie gewünscht. Julia war noch eingeschüchterter.

»Dann mach hin, ich warte nicht gern.« Frauke sprach, ohne sich zu Julia umzudrehen. Gerade fuhr eine der Straßenbahnen vorbei. Ob Julia wohl länger als zehn Minuten brauchen würde? Dann könnte sie noch einem Fahrzeug zusehen, wie es in die Stadt fuhr.


Julia trödelte im Bad, obwohl sie wusste, dass sie damit die Dienerin verärgern würde. Aber irgendwie fürchtete sie sich davor, ihr nackt und damit vor allem ungeschützt gegenübertreten zu müssen. Vorhin, als sie sich auszog, hatte Frauke sich zum Fenster gedreht und hinaus geschaut.

Doch nachher beim Anziehen des Nachthemdes würde das nicht gehen. Jetzt bereute sie, dass sie vorhin so viel Zeit mit dem Tagebuch verbracht hatte, statt mit der Kleidung zu üben.

Es war das Gleiche wie mit dem Mantel. Es wäre ihr lieber, sie könne sie selbst anziehen und es müsste dann nur noch der Verschluss geschlossen werden. Julia nahm sich vor, dies am Wochenende etwas zu üben, dafür würde sich sicher Zeit finden.


Auch Frauke fürchtete sich davor, Julias nacktem Körper gegenübertreten zu müssen, wenn auch aus ganz anderen Motiven. Sie war eifersüchtig wegen des so unschuldigen Körpers, der auch keine solchen Restriktionen ertragen musste, wie es bei ihr selbst der Fall war.

Doch um nicht aus ihrer Rolle zu fallen, ging sie nach der nächsten Straßenbahn, also nach ungefähr zehn Minuten an die Tür und klopfte. »Wird es bald?« Sie versuchte weiterhin, ihre Stimme unfreundlich klingen zu lassen.

Julia zuckte zusammen, als sie die Stimme hörte. »Einen Moment noch« Es war zu hören, dass sie gerade mit der Zahnbürste beschäftigt war.


An der Tür hing innen ein Bademantel und Julia hatte ihn bisher ignoriert, doch jetzt, da Frauke hinter der Tür wartete, entschloss sie sich doch, ihn zu benutzen. Es kam ihr zwar eigentlich lächerlich vor, insbesondere wenn sie an ihre Vergangenheit auf dem Bauernhof dachte, doch mit dieser seltsamen Dienerin war es etwas anderes. Julia hatte das Gefühl, ihren Körper vor ihr schützen zu müssen, auch wenn sie ihr Gefühl überhaupt nicht begründen konnte.

Sie seufzte, dann griff sie zu dem flauschigen Mantel, wie sie feststellte und hüllte sich darin ein. Schließlich seufzte sie noch einmal, dann öffnete sie leise die Tür und betrat ihr Zimmer. Zu ihrer Erleichterung stand Frauke immer noch am Fenster und schaute hinaus.

»Ich wäre dann soweit«, äußerte sich Julia nach einem Räuspern.

»Fang doch schon einmal an.« Frauke hatte am Geräusch gehört, dass gerade noch eine Straßenbahn auf die Haltestelle zu gefahren kam und die wollte sie noch abwarten. So konnte sie nicht nur ihrer Sehnsucht Zucker geben, sondern auch das Unvermeidliche, die Begegnung mit Julias nacktem Körper noch etwas hinauszögern.

Sie wollte es eigentlich gar nicht wissen, doch sie fragte sich, ob Julia wohl auch rasiert war. Sie selbst war bezüglich dieser Frage überhaupt nicht gefragt worden. Die Frau, die einmal pro Woche vorbei kam, um sich um ihre stählerne Unterwäsche zu kümmern, hatte sie nicht gefragt, und Frauke hatte es erst bemerkt, als ihr Heiligtum schon hinter Stahl verschwunden war. Die Frau hatte ihr natürlich noch erklärt, warum sie das gemacht hatte, doch Frauke wollte es anfangs nicht hören.

Doch der Grund war langfristig betrachtet schon plausibel. Es war viel zu leicht möglich, dass sich Haare in dem Gürtel verklemmen und dann unnötig Schmerzen verursachen. Sie hatte das bei einem späteren Rasieren einmal erklärt. Frauke war es mittlerweile egal geworden, da es nicht mehr unter ihrer Kontrolle stand. Sie hatte die Kontrolle darüber abgegeben und das nicht einmal freiwillig.

»Ich wäre dann soweit.« Wieder riss sie Julias Stimme aus ihren Gedanken.

Als sie sich zum Bett umdrehte, sah sie, dass Julia das Nachthemd schon fast ganz angezogen hatte. Sogar ein Arm befand sich schon in dem dafür vorgesehenen Stoffgefängnis.

»Weiter schaffe ich es noch nicht.« Julia blickte die Dienerin verlegen an. Sie schwitzte leicht, denn der Kampf mit dem Nachthemd hatte sie einige Anstrengung gekostet.

Frauke war insgeheim ein wenig erleichtert, als sie sich schließlich umdrehte. Julia hatte sich das Nachthemd schon selbst fast bis zur Schulter hochgezogen und saß jetzt etwas verlegen lächelnd auf dem Bett. Mit ihrer vom Schweiß leicht feuchten Haut sah sie fast etwas erotisch aus, doch Frauke weigerte sich, dies auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Entschlossen griff sie zum Ärmel und zog ihn über Julias rechten Arm hinauf, dann trat sie vor sich und musste nur noch den Reißverschluss weiter hinauf ziehen. Auch hiermit hatte Julia ganz stolz schon angefangen. Doch für die Gefühle der Studentin hatte Frauke im Moment keine Blick übrig.

»Kommst du allein ins Bett?« Frauke versuchte, um eine weitere Berührung von Julias Körper herum zu kommen und zur ihrer Erleichterung konnte sie sehen, wie sich die Studentin ganz selbstverständlich auf das Bett setzte und sich mit den Beinen langsam in die richtige Position schob.

Für einen Moment war Frauke von der hilflosen und gleichzeitig so geschickten Julia begeistert, doch dann kamen ihre eigentlichen Gedanken wieder hoch und sie wandte sie ab, denn sonst hätte sie ihr mühsam aufgebautes Image kaputt gemacht.

»Frauke?« Julia war eingefallen, dass sie nach den seltsamen Kugeln auf dem Schreibtisch fragen wollte.

»Ja?« Frauke antwortete wieder ein wenig mürrisch.

Julia erkannte zwar die Stimmung, doch ihre Neugier war größer. Sie hatte diese Kugeln auf einem Lederriemen und einer kleinen Gürtelschnalle am Ende so noch nie gesehen und wenn sie auf dem Schreibtisch lagen, dann waren sie für Carolin sicher wichtig. »Was sind das für Kugeln, die auf dem Schreibtisch liegen?«

»Das sind...« Die Dienerin täuschte einen Hustenanfall vor, um etwas Zeit zu gewinnen. Sie hätte Julia gern die Wahrheit gesagt und ihr mitgeteilt, dass es Knebel wären, die einzig und allein die Aufgabe hätten, sie daran zu hindern, dumme Fragen zu stellen. Doch sie wusste um Hegels Ziele und auch, dass es nur ein Wort von Frau Hegel braucht und ihr Aufenthalt hier im Haus wäre beendet. Wo sie dann sei würde, darüber wollte sie gar nicht erst nachdenken.

Sie war froh, hier sein zu dürfen. Deswegen musste sie kurz nachdenken, was mit Hegels abgesprochen war. »Das sind Carolins Beruhigungsperlen.« Sie hob die Stimme etwas an und tat, als würde sie ein Gedicht aufsagen. »Süß umschließen die Lippen der Trägerin die Perle, und also bald kehrt wunderbare Ruhe ein.«

Insgeheim stellte sie fest, dass es ihr gefiel, der offensichtlich ahnungslosen Julia die Knebel näher zu bringen. Sie nahm einen der Knebel in die Hand und hielt ihn hoch.

»Aber die Bälle fallen doch wieder heraus, wenn man den Mund aufmacht?« Julia war im Moment dabei, alles aufzusaugen, was mit Carolin zu tun hatte. Und natürlich wollte sie auch diese Perlen ausprobieren, wenn Carolin sie getragen hatte.

»Wenn du einen Moment wartest und brav bist, dann zeige ich dir, wie sie zu tragen sind.« Es reizte Frauke, Julia wegen ihrer Hilflosigkeit ein wenig aufzuziehen. Sie legte den Knebel wieder auf den Schreibtisch. »Ich hole mir schnell ein Handtuch.«

Julia nickte neugierig und blickte Frauke hinterher, als sie ins Bad ging und gleich darauf mit einem Handtuch zurück kam. »Das solltest du auch machen, wenn du sie ausprobiert.«

Sie nahm sich wieder einen Knebel vom Tisch und wischte ihn noch einmal ab. Dann nahm sie die beiden Riemenenden jeweils in eine Hand und hielt sich den Ball vor den Mund. »Jetzt einfach hinein mit dem Ball und dann den Riemen hinter dem Kopf schließen.«

Sie führte den Ball in ihren Mund, umschloss ihn mit ihren Lippen und drehte sich dann herum und zeigte Julia, wie dort die Schnalle zu schließen war. Dabei erinnerte sie sich an die Zeit, als sie öfters mal so einen Ball im Mund haben musste, weil Hegel es von ihr verlangten oder wünschten, und sie war dem auch immer sehr gern nachgekommen. Daran lag es nicht, dass sie gescheitert war.

Als sie sich wieder zu Julia drehte, sah sie auf einmal leuchtende Augen. Sie nahm sich den Ball wieder aus dem Mund und rieb ihn anschließend mit dem Handschuh trocken, dann legte sie ihn wieder ab.

»Das probiere ich morgen früh gleich aus.« Julia strahlte.

»Mache es ruhig.« Doch dann fiel ihr noch der abgesprochene Hinweis wieder ein. »Carolin hat diese Perlen aber nur im Haus getragen. Damit solltest du nicht nach draußen gehen.« Ihre Stimme klang etwas ernster bei dem Satz. Insgeheim ertappte sie sich dabei, dass sie sich auf die geknebelte Julia freute. Und sie wusste nicht genau, warum das so war. »Ich wünsche dir eine gute Nacht.«

* * *

»Was haben wir schon alles erreicht?« Herr Hegel setzte sich in den Sessel und blickte gespannt zu seiner Frau, die sich einige Notizen machte.

»Sie hat die Taschengeldliste bekommen und ich glaube, sie hat sie auch schon entdeckt.« Elisabeth grinste. »Es könnte teuer werden für uns.«

»Kein Thema.« Herr Hegel lächelte ebenfalls. »Und sonst? Hat sie das Tagebuch schon?«

»Ja, das hat sie bekommen.« Frau Hegel legte den Stift beiseite. »Du warst übrigens sehr überzeugend vorhin beim Essen. Im ersten Moment habe ich es selbst auch geglaubt.«

Er lächelte etwas verlegen. »Hauptsache, ich muss ihr nichts über unsere Tochter erzählen, sonst würden ihr vermutlich Widersprüche auffallen.«

»Ach komm, wir haben das jetzt schon so oft gemacht.« Frau Hegel wollte den Einwand ihres Mannes nicht gelten lassen. »Eigentlich kennen wir die Lebensgeschichte von Carolin doch ziemlich gut.«

»Ja schon.« Herr Hegel wollte seine Frau gewarnt wissen. »Julia ist sehr intelligent und begreift größere Zusammenhänge sofort. Du braucht ein gutes Gedächtnis.«

»Ich weiß.« Frau Hegel seufzte. »Im schlimmsten Fall hat mich halt meine Erinnerung getrübt. Es ist ja schon ein wenig her.« Sie grinste.