Die Studentin

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Die Studentin – Schwestern

Autor: Karl Kollar

Julia saß auf einem Melkschemel im Stall bei den Kühen und war dabei, Rosa von Hand zu melken, weil die uralte Melkmaschine wieder einmal ausgefallen war. Es war zwar eine Menge Arbeit, die Kühe von Hand zu melken, doch Julia machte sie gern, weil sie so einen sehr direkten Kontakt zu den Tieren hatte, und den liebte sie.

Natürlich wäre das Melken einfacher gewesen, wenn sie nicht das Nachthemd hätte tragen müssen, mit dem sie nur mühsam von Kuh zu Kuh hopsen konnte. Immerhin hatten Hegels ihr die Reißverschlüsse geöffnet, die Julias Arme ansonsten sehr streng seitlich an den Körper fixierten. Ihre neuen Vermieter waren diesbezüglich schon sehr entgegenkommend, und das Hüpfen von Kuh zu Kuh war etwas, das Julia wenig ausmachte. Natürlich war ihr klar, dasss es ohne das restriktive Nachthemd noch viel einfacher gewesen wäre, doch sie wollte die Gutmütigkeit von Hegels nicht ganz ohne Grund so überstrapazieren. Außerdem hoffte sie auf ein Entgegenkommen bei den Verhandlungen zur Miete.

Als sie wieder einmal den Kopf hob, sah sie, dass Carolin in den Stall gekommen war. Sie erkannte Hegels Tochter sofort an den blonden Haaren und dem schwarzen Top, und als diese sich suchend umblickte, erkannte Julia, dass das Mädchen auch einen blauen Monohandschuh trug. Ebenfalls fiel Julia sofort der breite rote Ledergürtel mit einer großen Schnalle in Form des Buchstabens 'K' ins Auge. Er war fast zwanzig Zentimeter breit und erinnerte Julia stark an die Art von Gürteln, die es manchmal bei den Box-Shows im Fernsehen zu gewinnen gab. Nur war dieser Gürtel außer seiner Größe und der monströsen Schnalle sehr schlicht gehalten.

Julia war sich sicher, Carolin vor sich zu haben und sie sprach sie an. »Hier bin ich.« Sie glaubte sich vorstellen zu müssen. »Ich bin die neue Mieterin von deinen Eltern.«

Carolin kam näher. »Hallo Julia, schön, dich zu sehen. Du willst also meine Aufgabe übernehmen?«

Julia ließ das Euter los und richtete sich auf. »Du hast mich darum gebeten.« Sie lächelte dabei.

»Das freut mich.« Sie blickte auf Julias Gestalt. »Ich denke, du könntest das auch schaffen, wenn du noch viel trainierst.«

Julia horchte auf. Sollte sie die Gelegenheit nutzen und fragen, was für eine Aufgabe es denn sein würde?

Doch Carolin sprach weiter. »Meine Eltern werden dir zu gegebener Zeit sagen, um was es sich handelt, wenn du dich bis dahin würdig erwiesen hast.«

»Darf ich dich etwas fragen?« Julia blickte sehr eindringlich auf die in blauem Leder verpackten Arme.

»Ja gern.« Carolin lächelte. »Was möchtest du denn wissen?«

»Der Handschuh, den du trägst.« Julia schaffte es nicht, ihren Blick davon abzuwenden. »Tut das nicht weh?«

Als Antwort lächelte Carolin. »Am Anfang tut es weh.« Sie wackelte etwas mit den Armen. »Aber wenn du es etwas trainiert hast, dann sollte es dir leicht fallen.«

Einer ihrer älteren Brüder betrat den Stall, und als er Carolin erblickte, ging er direkt auf sie zu. »Hallo schönes Püppchen, hast du nicht Lust, mit in meine Kammer zu kommen?« Er grinste sie lüstern an.

Julia ekelte es, als sie sah, wie ihr Bruder in Begriff war, Carolin in ihrer Hilflosigkeit zu betatschten.

»Hey, sei vorsichtig.« Carolin ließ sich offensichtlich nicht einschüchtern. »Nimm deine Finger weg.«

Doch der Bruder ließ sich von ihren Worten nicht aufhalten und griff ihr an ihre Schulter. Da hob Carolin ihr Bein hoch und rammte ihm ihr Knie mitten zwischen die Beine, und als er sich vor Schmerz krümmte, trat sie noch einmal wie eine Kickboxerin hinterher.

So als wäre nichts gewesen, drehte sie sich dann wieder zu Julia. »Du siehst, es geht auch ohne Arme, wenn man nur genügend trainiert hat und sich traut.« Dabei grinste sei und schüttelte sich ein wenig die Haare zurecht.

Julia war sichtlich fasziniert, weil Carolin immer noch so hübsch aussah und lächelte, wie auf dem Foto.

Auf einmal kam Frauke in den Stall und wünschte ihr einen Guten Morgen. »Hast du in dem Nachthemd gut geschlafen?«

Nur langsam erkannte Julia, dass sie gerade aus einem sehr spannenden Traum herausgerissen wurde. Sie hätte sich gern noch etwas mit der faszinierenden Carolin unterhalten, doch die war auf einmal verschwunden. Stattdessen erkannte Julia, dass sie in dem strengen Nachthemd im Bett lag und offensichtlich einen sehr seltsamen Traum gehabt hatte.

Sie überlegte kurz, ob sie Frauke von der Begegnung mit Carolin erzählen sollte, doch dann entschied sie sich dafür, die Begegnung mit Hegels Tochter doch lieber für sich zu behalten.

»Du hattest aber einen ruhigen Schlaf.« Frauke stellte fest, dass die Bettdecke noch genauso lag, wie sie Julia gestern Abend damit zugedeckt hatte.

»Mir blieb ja auch nichts anderes übrig.« Julia lächelte leicht, doch sie konnte es nicht verhindern, dass sie etwas rot wurde. Sie versuchte, ihren Kopf wegzudrehen.

Frauke blickte auf das Bett und genoss den Moment. Jetzt befand sich Julia in der gleichen Situation, in der sie vor einiger Zeit noch selbst gewesen war.

Genauso war sie von ihrer eigenen Rolle fasziniert. Sie konnte jetzt dafür sorgen, dass Julia entweder leiden würde oder sie konnte sie ins Paradies begleiten. Die Dienerin war sich unsicher, was sie selbst bevorzugen würde. Innerlich seufzte sie, denn ihre eigenen Wünsche zählten in diesem Moment nicht - sie wusste, dass sie Hegels Vorgaben zu erfüllen hatte.

Natürlich hasste sie ihre aktuelle Situation, in der sie so völlig den Launen eines Ehepaars ausgeliefert zu sein schien. Doch sie wusste genauso, dass sie hier sehr viel Freiheiten hatte und dass es auch viel schlimmer hätte sein können. Sie schob ihre dunklen Gedanken beiseite und blickte kurz aus dem Fenster, weil sie wieder eine Tram vorbei fahren hörte, dann schaute sie wieder auf das Bett. »Du kannst deine Hände nicht mehr bewegen?«

Julia war so verblüfft, dass sie trotz der Röte in ihrem Gesicht Frauke anblickte. Sie musste nicht einmal nicken. Ihr Gesicht sprach in diesem Moment Bände.

Frauke erkannte, dass sie mit ihrer Vermutung richtig lag. »Ich war auch einmal in der Situation.«

»Und was hast du dann gemacht?« Julia hatte Fraukes Frage so interpretiert, als hätte sie eine Lösung dafür gefunden. Das sie eigentlich noch viel mehr gesagt hatte, erkannte Julia in diesem Moment nicht.

»Die Lösung liegt in der Nachttischschublade.« Frauke konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme in diesem Moment zitterte.

Julia drehte ihren Kopf dahin. Nur nebenbei bemerkte sie, dass dies im Augenblick die einzige sinnvolle Bewegung war, zu der sie in der Lage war.

Frauke öffnete sie und zeigte Julia einen etwas seltsam geformten Schmetterling aus rosa Plastik, an dem ein dünnes Kabel hing.

»Was ist das?« Julia gab sich in diesem Moment naiv, denn sie hatte mit dem doch recht intimen Thema so ihre Schwierigkeiten.

»So etwas war einmal meine 'Einschlafhilfe'.« Ihre Stimme wurde etwas leiser.

»Wie benutze ich die?« Es war Julia gleichgültig, dass sie in diesem Moment das naive Mädchen vom Land gab.

Frauke verdrehte zunächst nur die Augen, doch dann lachte sie. »Ich werde es dir heute Abend zeigen.« Doch dann erinnerte sie sich an Hegels Vorgaben. »Eines solltest du aber schon wissen, bevor du dich darauf einlässt... Das Ding macht es dir nicht so einfach.«

»Wie meinst du das?« Julias Augen begannen zu leuchten.

Frauke holte tief Luft. »Bis zu sieben Mal kann er ausgehen, bevor du gekommen bist.« Sie schluckte. »Spätestens beim achten Mal darfst du.«

»Das ist ja richtige Folter.« Julias Stimme zeigte eine gewisse Faszination. »Und ich kann gar nichts machen?«

»Das ist richtig.« Frauke strich ihr zärtlich über das Gesicht. »Manchmal darfst du auch schon nach dem dritten Mal kommen.«

Julia schwieg.

»Wie gesagt, zwischen drei und sieben Mal, zufällig ausgewählt.« Frauke griff zur Bettdecke und zog sie weg. »Ich wollte dich gewarnt haben.«


»Was macht Frauke denn da?« Herr Hegel blickte verwundert auf den Monitor.

Seine Frau warf ebenfalls einen Blick darauf. »Sie erklärt Julia wie abgesprochen den Schmetterling.«

»Und was redet sie da für einen Quatsch?« Herr Hegel war verwundert. »Wir steuern das Ding doch.«

»Das weiß Frauke aber auch nicht.« Frau Hegel grinste.

»Du hast es ihr nie gesagt?« Der Professor war verwundert.

»Nein, nie.« Frau Hegel setzte sich neben ihren Mann. »Sie glaubt an den Zufall.«

»Ich habe sie oft lange leiden lassen.« Er erinnerte daran, dass Frauke mit ihren Reaktionen eigentlich recht ermutigend gewesen war.

»Heute Abend solltest du es ihr leicht machen.« Sie ergriff seine Hand.

»Sorge bitte dafür, dass sie heute Abend auf dem Bett festgeschnallt wird, bis wir wissen, wie sie körperlich reagiert.« Er lehnte sich zurück. »Du erinnerst dich an das Mädchen, dass vor lauter Frust vom Bett gehopst ist?«

Sie lächelte. »Es tut mir fast ein wenig leid, dass wir Julia so foltern zu müssen.«

»Ich gebe dir recht, aber wir müssen so früh wie möglich wissen, wie sie bei diesem Thema reagiert.« Er streichelte ihre Hand. »Vor allem wenn sie uns mit dem Mantel schon so eine Steilvorlage bietet. Außerdem ist es eine süße Folter. Am Ende steht stets die Erlösung.«

»Wenn du meinst?« Sie zog ihre Hand wieder zurück, stand auf und blickte noch einmal auf den Monitor.

Herr Hegel folgte ihrem Blick. »Du solltest Frauke ein paar Pluspunkte geben, sie macht ihre Sache wirklich gut.«

»Das war aber gar nicht abgesprochen.« Sie ging langsam zur Tür.

»Trotzdem.« Er blickte ihr hinterher. »Außerdem habe ich das Gefühl, dass Julia bestimmt positiv reagieren wird.«

»Hoffen wir es.« Sie lächelte ihrem Mann noch einmal zu, dann verließ sie das kleine Zimmer.

* * *

»Und wie haben sie diese Nacht geschlafen?« Herr Hegel legte sein Besteck neben den Teller und wischte sich den Mund mit der Serviertte ab. »Können wir den Mietvertrag ändern?« Natürlich ging es ihm überhaupt nicht um die Miete, aber dass Julia jetzt schon für das strenge Nachthemd infrage kam, war ein ungeheurer Glücksfall.

»Ich habe sehr gut geschlafen.« Julia blickte zu Boden.

Frau Hegel wusste genau, was Julia gerade bewegte, und genau das passte sehr gut in ihre Pläne. Scheinbar unter einem Vorwand schickte sie ihren Mann hinaus. »Wollen sie den Schmetterling ausprobieren?« Ihre Stimme war etwas leiser.

Im ersten Moment wollte Julia fragen, woher sie das wusste, doch dann schallt sie sich eine Narrin. Der Vibrator lag in der Nachttischschublade, und das Nachthemd hatte eine Öffnung, um ein Kabel hindurchzuführen. Sie wurde rot. »Frauke hat mir davon erzählt.«

Herr Hegel kam zurück und hielt ein Blatt Papier in der Hand. »Ich habe hier die Änderung vorbereitet. Sie schauen sich das in Ruhe an, und heute Nachmittag erwarten wir ihre Unterschrift.«

Julia warf kurz einen Blick auf den Zettel, und sie sah, dass nur sehr wenige Sätze darauf standen. Trotzdem wollte sie es noch einmal durchdacht wissen. Und es ärgerte sie sehr, dass sie wegen ihrer Familie auf den so sehr faszinierenden Mantel verzichten musste.

Frau Hegel griff zu der Klingel und läutete.

Als Frauke erschien, gab Frau Hegel die Anweisung, den Tisch abzuräumen. Doch dann sprach sie Frauke in einem geänderten Tonfall an. »Frau Wiesl, ich bin sehr zufrieden mit ihnen.«

Frauke war schon dabei, das Geschirr zusammenzustellen. Sie hielt inne und machte einen Knicks.

»Ich schreibe ihnen zehn Punkte dafür gut.« Frau Hegel griff zu ihrem Block und schrieb etwas hinein.

Frauke bedankte sie fast etwas unterwürfig und blickte kurz zu Julia, die sehr verwundert her zu ihr sah.

»Pluspunkte sind wichtig.« Frau Hegel hatte den Blickwechsel bemerkt. »Julia hat die Lack-Bettwäsche entdeckt, und hat gefragt, ob sie sie aufziehen darf. Ich habe gesagt, dass sie ihr dabei helfen werden.«

»Jawohl, Frau Hegel. Das werde ich machen.« Sie selbst mochte den glatten Stoff nicht so sehr, aber der Gedanke, dass Julia darin schlafen würde, hatte auch für sie etwas sehr Faszinierendes.

»Sie haben Julia den Schmetterling gezeigt?« ihre Stimme zeigte einige Verwunderung über die Eigeninitiative.

»Ja, das habe ich.« Frauke war der Tonfall aufgefallen, und sie wurde ihrerseits misstrauisch. »War das falsch?« In Gedanken sah sie schon viele ihrer so mühsam verdienten Pluspunkte wieder verschwinden.

Auch Julia wurde hellhörig, und sie errötete, denn sie hatte Skrupel, so ein Thema in Gegenwart ihres Professors zu besprechen. Doch zu ihrer Erleichterung stand Herr Hegel auf und sagte, dass er seine Tasche packen müsste, dann verließ er das Zimmer.

»Ich habe nichts dagegen, dass sie es ausprobieren wollen.« Frau Hegel sprach etwas leiser. »Aber da wäre noch etwas zu bedenken.«

»Und das wäre?« Julia war über ihre eigene Coolness verwundert, denn eigentlich sprach sie mit Niemanden über ihr fast nicht vorhandenes Intimleben.

»Sie sind in dem Nachthemd sehr hilflos.« Sie holte tief Luft. »Und ich habe Angst, dass sie sich verletzten könnten, wenn sie zu sehr in Ekstase geraten.«

Julia war heilfroh, dass ihr Professor den Raum verlassen hatte. Zu Frau Hegel hatte sie in dieser Hinsicht schon ein anderes Verhältnis. Außerdem glaubte sie einen gewissen Unterton gehört zu haben. »Was schlagen sie vor?«

»Wir würden sie so auf dem Bett festbinden, dass sie sich nicht verletzen können.« Es fiel ihr schwer, diesen Vorschlag auszusprechen.

»Das hört sich vernünftig an.« Julia konnte nicht verhindern, dass ihre Augen strahlten. »Bleibe ich dann die ganze Nacht fixiert?«

»Wir könnten sie danach losbinden, falls sie noch wach sein sollten.« Sie blickte zu Frauke und lächelte. »Denken sie darüber nach und sagen sie uns heute Abend, wie sie sich entscheiden haben.«

»Das mache ich.« Julia war insgeheim schon sehr neugierig darauf, wie es wohl sein würde, wenn sie 'es' selbst nicht unter Kontrolle hatte.

Herr Hegel kam wieder in den Raum. »Kommen sie mit? Die Tram fährt gleich.«

Julia blickte an sich herunter. »Oh, ich muss mich erst noch umziehen.« Sie hatte schon fast verdrängt, dass sie wieder in den Lacksachen am Frühstückstisch gesessen hatte, von denen sie schon gestern so sehr fasziniert war. »Ich nehme die Nächste.« Sie drehte sich um und ging zum Treppenhaus.

Eigentlich wollte sie laufen, doch jetzt erinnerte der Rock sie daran, dass sie ihn vor lauter Ehrgeiz ganz geschlossen hatte und auch den Anfasser so fixiert hatte, dass der Gehschlitz sich nicht versehentlich öffnen konnte. Als sie mit winzigen Schritten zur Treppe schlich, drehte sie sich noch einmal um und lächelte verlegen. »Oder die übernächste.« Erst vor direkt vor der Treppe blieb sie stehen und öffnete sich den Reißverschluss.

Von ihren Vermietern hatte sie die ausdrückliche Genehmigung erhalten, in der Öffentlichkeit und überall dort, wo sie ihre Brüder vermutete, den Rock so weit wie möglich geöffnet zu tragen, und darüber war sie sehr erleichtert. Doch in Gegenwart ihrer Vermieter und vor allem im Haus fühlte sie sich sicher. Wenn sie ihn draußen offen tragen musste, dann wollte sie wenigstens im Haus seine Enge genießen.

* * *

In der Tram träumte Julia von dem Handschuh, den sie auf Carolins Fotos gesehen hatte. Natürlich wusste sie, dass diese Bilder eben nicht Hegels Tochter zeigten, doch sie hielt der Einfachheit halber an dem Gedanken fest, zumal das Mädchen mit dem Handschuh ihr sogar als Carolin im Traum erschienen war. Sie fragte sich, wie es wohl sein würde, wenn sie selbst in den Handschuh eingeschnürt würde und sie die zunehmende Enge spüren würde.

Etwas Vergleichbares hatte sie bisher nicht gesehen, und sie hatte sich sogar heimlich die Fotos eingesteckt. Natürlich vergewisserte sie sich, dass sie keiner sehen konnte, bevor sie die Fotos zur Hand nahm. Mit dem Finger strich sie über die verpackten Arme und glaubte fast, das Leder auf ihren Armen zu spüren.


Fast hätte sie ihre Station zum Aussteigen verpasst. Erst in letzter Sekunde wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Hastig steckte sie die Fotos wieder ein und stürmte aus der Straßenbahn. Normalerweise kam ihr die Fahrt zur Universität endlos lang vor, doch heute mit dem Blick auf die Fotos erschien es ihr, als wäre sie gerade erst eingestiegen.

Etwas wehmütig dachte sie an die seltsame Dienerin, die zu den Straßenbahnen anscheinend ein besonderes Verhältnis hatte. Für sie selbst waren die Trams nur eines von vielen Beförderungsmitteln.

* * *

Es war überhaupt nicht ihre Art, einfach zwei Vorlesungen zu schwänzen, doch die wichtige Vorlesung heute war ausgefallen, weil der Gastdozent kurzfristig abgesagt hatte, und danach hätte sie noch eine Freistunde gehabt, bis die beiden unwichtigen Vorlesungen an der Reihe gewesen wären.

Unter normalen Umständen hätte sie gewartet, doch heute warteten viele interessante Dinge auf sie. Und ohne dass es ihr selbst richtig bewusst war, empfand sie bei Hegels schon eine gewisse Geborgenheit. Und so fiel es ihr leicht, auf die zwei Vorlesungen zu verzichten, denn sie wusste, dass sie dann endlich einmal Zeit haben würde, um sich ausführlich in Carolins Zimmer und insbesondere in den Schränken umzusehen.

Während sie langsam zur Straßenbahn ging, rekapitulierte sie noch einmal, was sie bisher schon wusste. Der erste Schrank enthielt überwiegend normale Straßenkleidung, meist eher formal, aber nur wenig Freizeitkleidung. Trotzdem waren ihr als Erstes die wenigen Lacksachen aufgefallen, die in dem Schrank waren.

Der zweite Schrank hingegen war das Paradies, denn fast alles aus diesem Schrank war aus dem faszinierenden Material Lack, und dort hatte sie auch die faszinierende Bettwäsche gefunden. Julia freute sich schon sehr darauf, endlich einmal ausgiebig stöbern zu dürfen, denn bisher war dafür keine Zeit gewesen.

Und vielleicht würde sie auch herausfinden, wie der dritte Schrank zu öffnen war. Die ersten beiden Schränke hatten Türen, die nur durch ein Federgelenk zugehalten wurden und die man einfach aufziehen konnte, wenn sie nur mit der richtigen Tür anfing. Doch dieser Schrank hatte bisher allen ihren Öffnungsversuchen widerstanden. Und deswegen war sie um so neugieriger, was sich wohl darin befinden würde.

Alle drei Schränke hatte etwas gemeinsam, nämlich dass überhaupt keine Schlüssellöcher sichtbar waren, stattdessen befand sich jeweils nur ein übergroßer Griff daran. Seit gestern wusste Julia, dass dies die Türgriffe waren, von denen Frau Hegel gesprochen hatte, denn damit war es möglich, die Tür auch mit dem Ellenbogen zu öffnen, da der Griff dafür genügend Angriffsfläche bot. Und damit wäre es möglich, die Tür auch dann zu öffnen, wenn die Trägerin diesen faszinerenden Handschuh trug.

* * *

Je näher das Haus kam, desto schneller wurden auch ihre Schritte. Sie sehnte sich sehr danach, sich endlich den Reisverschluss am Rock ganz zu schließen und die wohlige Enge spüren zu dürfen.

Die Haustür war noch nicht wieder ins Schloss gefallen, als Julias Rock schon wieder bis zum Boden geschlossen war und sie dazu zwang, die wenigen Schritte bis zur Treppe zu trippeln. Erst als sie direkt vor der Treppe stand, beugte sie sich wieder herunter und zog den Verschluss bis zu den Knien auf. Sie wusste schon genau, wie weit sie ihn öffnen musste, damit sie sich auf der Treppe bewegen konnte, ohne dass es lächerlich aussah. Als sie Frauke oben im Treppenhaus stehen sah, musste sie lächeln. Sie hatte vor dem Haus einen Schatten an ihrem Fenster gesehen, und es war ihr sofort klar, dass Frauke wieder in ihrem Zimmer war, um den Blick auf die Straßenbahnen zu genießen.

Oben an der Treppe blieb sie wieder stehen und machte sich den Rock wieder ganz zu.

»Lohnt sich das überhaupt?« Frauke hatte ein Lächeln in der Stimme. »Du wirst dich doch gleich wieder umziehen.«

»Stimmt.« Julia grinste. »Aber ich habe es zugesagt. Und es gefällt mir.« Irgendwie kam es ihr vor, als wolle Frauke sie zu Ungehorsam verleiten.

Doch auf dem Weg in ihr Zimmer musste sie Frauke insgeheim Recht geben. Es waren wirklich nur wenige Schritte, die sie noch gehen musste, bis sie sich auf ihr Bett setzen konnte. Dort lag die Lackkleidung schon bereit, und Julia zitterte, als sie sich jetzt langsam auszog. Ihr gefiel der Gedanke, dass sie jetzt quasi zum ersten Mal den ganzen Tag in Lack herumlaufen konnte. Noch dazu durfte sie diesen faszinierenden Rock tragen, dem man die Enge zwar nicht ansah, der sie aber zu den winzigsten Schritten zwang. Und natürlich hatte Julia den Reißverschluss ganz geschlossen und den Schieber so verriegelt, wie Frau Hegel es ihr gezeigt hatte.

Sie blickte sich im Zimmer um und auf einmal erkannte sie, was sie schon die ganze Zeit gestört hatte, ohne dass sie es bisher formulieren konnte. Es gab keinerlei Hinweise auf Carolins frühe Kindheit. Kein verstaubter Teddy, der jetzt nicht mehr geliebt irgendwo in der Ecke lag und dessen Trost nicht mehr gebraucht wurde, und auch keine Puppenstube. Das Zimmer war eher nüchtern eingerichtet.

Sie fragte sich, ob Carolin schon im Berufsleben stand, ob sie noch studiert hatte oder sich in einer Ausbildung befunden hatte. Die wenigen Bücher im Regal ließen dazu keinen Schluss zu - es war Trivial-Literatur, die sich zum Teil auch in Julias Zimmer selbst hätte befinden können. Auch Puppen waren so gut wie keine vorhanden, lediglich zwei kleine Putten befanden sich links und rechts oben am Spiegel.

Hingegen kam ihr der große Schreibtisch fast etwas übertrieben vor, denn er hätte auch problemlos in einem Chefbüro stehen können. In Gedanken sah sich Julia schon ihre Raumpläne auf dem Tisch ausbreiten. Sie wäre in der Lage, alle Räume eines Hauses auf einen Blick sehen und sie gedanklich vergleichen zu können, so groß war die Tischfläche. Außerdem stand das Möbel frei im Raum und war von allen Seiten zugänglich, was ihren Plänen ebenfalls sehr zugute kommen würde.

Vorne am Rand stand eine bewegliche Schreibgarnitur, die insgesamt einen sehr altmodischen Eindruck machte und die vermutlich nur als Dekorationsstück anzusehen war. Daneben lagen immer noch die 'Perlen', die sie bisher noch nicht hatte ausprobieren können.

Sie hätte hier auch gut ihren Laptop abstellen können, wenn sie denn einen gehabt hätte. Sie sparte darauf, denn es war ihr klar, dass sie ein Exemplar mit einem sehr großen Bildschirm brauchte, und die waren entsprechend teuer. Sie wusste jetzt schon, dass sie ein Teil des Taschengeldes dafür zurücklegen wollte. Bis zu ihrem Einzug bei Hegels war an Sparen aber überhaupt nicht zu denken gewesen.

Sie war gerade im Begriff aufzustehen, als es an der Tür klopfte. Wieder dauerte es einen Moment bis sich Julia ein 'Herein' entlocken konnte.

»Sie sind heute nicht in der Uni?« Frau Hegel hatte Julias frühe Heimkehr offensichtlich bemerkt. »Ich wollte mich erkundigen, ob alles in Ordnung ist?«

»Meine Vorlesung ist ausgefallen.« Sie lächelte ein wenig verlegen, denn natürlich hatte sie auch zwei Vorlesungen geschwänzt, doch das wollte sie nicht ohne Not zugeben. »Ich hatte gehofft, mich endlich einmal genauer im Zimmer umsehen zu können.« Es war ihr immer noch nicht ganz klar, wie weit sie ihre Vermieterin an ihre Tochter erinnern durfte.

»Oh, sehen sie sich ruhig alles an und trauen sie sich, es anzuziehen oder es auszuprobieren.« Frau Hegel erkannte, dass Julia genau in der richtigen Stimmung war. »Und wenn sie Fragen haben oder Hilfe brauchen, trauen sie sich ruhig, nach uns zu rufen.« Sie verließ den Raum wieder, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Julia die Antwort verstanden hatte.


Mit klopfendem Herzen ging Julia an den zweiten Schrank, weil sie sich etwas Aufregendes zum Anziehen suchen wollte, und weil sie sehr gespannt war, was sich noch so alles in Carolins Schrank befinden würde. Schon gestern hatte Frauke ihr ein atemberaubendes Ensemble herausgelegt, und sie war sich sicher, dass sie heute etwas Ähnliches anziehen wollte.

Zu ihrer Erleichterung war der Schrank gut geordnet, und sie fand das Fach mit den Catsuits sofort. Sie war sich schon lange sicher, dass sie wieder einen Catsuit darunter anziehen wollte. Ihr gefiel der Gedanke, dass sie zwar überall mit dem faszinierenden Stoff bedeckt war, der Catsuit aber trotzdem jedes Detail ihres Körpers zeigte.

Sie entschied sich schließlich für einen Catsuit in hellem Blau, der ungefähr die Farbe hatte wie der Monohandschuh auf den Fotos von Carolin. Dazu nahm sie sich eine hellblaue Bluse und einen farblich passenden dunkeln Rock heraus. Sie hatte erkannt, das es von der Sorte Rock, die sie so gern trug, mehrere Farben gab. So konnte sie frei wählen, damit gut aussehen und trotzdem alle Verpflichtungen erfüllen.

Es kam ihr gar nicht erst in den Sinn, sich auch aus dem Fach mit den Hosen zu bedienen, denn dort gab es nur Exemplare in schwarz und weiß. Und außerdem erinnerte sie sich an Herrn Hegels Worte, dass Carolin vor allem im Haus fast immer Röcke getragen hatte.

Daraus nahm sie eine gewisse Verpflichtung. Außerdem konnte der Rock ihre Beine viel besser in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken - ein Gefühl, dass Julia zwar bisher nicht kannte, das sie aber sehr genoss. Sie mochte es, wenn sie jeder einzelne Schritt an ihre nicht mehr vorhandene Freiheit erinnerte. Zusätzlich war ihr in jedem Moment bewusst, dass sie sich selbst diese Restriktionen auferlegt hatte. Und das Wissen, dass sie die Erlaubnis hatte, sich ihren Zustand zu erleichtern, wenn es nötig sein sollte, verstärkte sie in ihren Gefühlen.

Sie inspizierte jetzt auch die anderen Fächer und die Schubladen, und erst, als sie in einer Schublade viele Bälle mit Lederschnüren fand, fiel ihr ein, dass sie Carolins Perlen auch noch ausprobieren wollte. Doch zuvor galt es noch, die Gegenstände aus den anderen Fächern zu erkunden.

* * *

»Was macht sie gerade?« Frau Hegel lehnte in der offenen Tür und blickte zu ihrem Mann, der auf den Überwachungsmonitor schaute.

»Sie sieht sich im zweiten Schrank um.« Der Professor drehte sich zu seiner Frau. »Was hast du alles hinein getan?«

»Vieles...« Frau Hegel grinste.

»Sie hat sich umgezogen.« Herr Hegel blickte wieder auf den Monitor. »Und jetzt inspiziert sie die Halskorsetts. Aber ich denke, sie hat nicht erkannt, wie sie die benutzen muss.«

»Ich werde zu ihr gehen und ihr sagen, um was es sich handelt.« Seine Frau lächelte.

»Manchmal kannst du ganz schön hinterhältig sein«, antwortete Herr Hegel, ohne von seinem Monitor aufzusehen.

»Ich weiß.« Frau Hegel schloss mit einem verschmitzten Grinsen die Tür und ging dann mit zügigen Schritten zu Julias Zimmer.


»Kommen sie zurecht?«, fragte sie nach dem Klopfen und Eintreten.

Julia hielt gerade eines der strengen Halskorsetts in der Hand und blickte mit verwunderten Blick darauf »Was ist das hier?«

»Ein Halskorsett.« Frau Hegels Stimme zitterte vor Anspannung. »Quasi ein Korsett für ihren Hals.«

»Wofür genau ist das?« Es war Julia anzuhören, dass sie mit den wenigen Worten noch nichts anfangen konnte.

»Es bewirkt, dass ihr Kopf ruhig gehalten wird.« Sie hoffte, die Stimmung richtig gedeutet zu haben.

Julia hielt es sich vor den Hals. »Wie muss ich das tragen?« Sie war in abenteuerlustiger Stimmung.

»Darf ich es ihnen zeigen?« Die Vermieterin war näher gekommen.

»Gern.« Julia war sehr neugierig, mehr von Carolin zu erfahren.

»Kommen sie bitte mit zum Spiegel.« Frau Hegel hatte natürlich bei der Einrichtung des Zimmers darauf geachtet, dass ein großer Spiegel Platz fand und der Mieterin zur Verfügung stand.

Julia ging die wenigen Schritte zum Spiegel und blickte Frau Hegel erwartungsvoll an.

Die Frau des Professors legte das Korsett um Julias Hals, und während sie hinten langsam die Schnürung schloss, erklärte sie, was sie gerade machte, damit sich Julia auf die zunehmende Enge vorbereiten konnte.

»Es fühlt sich schön an.« Julia keuchte ein wenig. »Jetzt kann ich meinen Hals nicht mehr bewegen. Ich muss mich mit dem ganzen Oberkörper drehen.«

Als Antwort schmunzelte Frau Hegel nur.

»Das gefällt mir sehr gut.« Julia macht eine Pause. »Sie hatten eine sehr interessante Tochter.« Im ersten Moment war sie entsetzt, weil sie nicht künstlich Erinnerungen auslösen wollte.

Doch zu ihrer Erleichterung ging Frau Hegel darauf ein. »Ja, das stimmt. Wir waren oft selbst erstaunt, was sie sich alles zugemutet hatte.«

Ohne dass sie es wollte, bezog Julia aus diesen Worten noch mehr Motivation, in Carolins Fusstapfen zu treten. So langsam wurde ihr bewusst, dass sie dabei war, sehr viel von der Rolle und den Aufgaben der Tochter zu übernehmen. Und sie fühlte sich gut dabei.

Sie wollte den Kopf zu Frau Hegel drehen, doch erst jetzt bemerkte sie, was das Halskorsett bewirkte. Sie musste sich mit dem ganzen Oberkörper umdrehen, denn die Bewegung des Halses war ihr jetzt auch genommen. Doch sie fand es nicht negativ, eher spannend, noch weiter eingeschränkt zu sein. Sie war fasziniert von dem Gedanken, dass ein paar Korsettstangen und etwas glänzendes Leder eine solche Wirkung haben konnten. »Darf ich es anbehalten?« Julias Stimme war leise. »Es gefällt mir sehr gut.«

»Gern.« Frau Hegel war ebenfalls fasziniert von Julias neuer Erscheinung.

Julia ging wieder zum Schrank und griff zielstrebig in eines der Fächer. »Das hier sind dann wohl auch Korsetts? Aber wofür sind die?« Sie hielt zwei einen knappen Meter lange Röhren in der Hand, bei denen die eingearbeiteten Stangen sowie eine jetzt weit offene Schnürung zu sehen waren.

»Das sind Armkorsetts.« Frau Hegel hielt innerlich die Luft an.

Julia hielt sich eine der Röhren an ihren Arm. »Dann kann ich meine Arme auch nicht mehr benutzen?«

»Naja, es sind ja keine Handschuhe daran.« Frau Hegel kam nicht umhin zu lächeln. »Sie können damit ihre Arme nicht mehr beugen.«

Julias Augen leuchteten. Jetzt erinnerte sie sich daran, dass Armkorsetts auch auf der Taschengeldliste standen. Insgeheim begann sie schon zu überlegen, wie viel Gegenstände sie gleichzeitig tragen konnte, um die Zeit optimal zu nutzen. Selbst ein oder zwei Stunden völlige Unbeweglichkeit würden viel leichter zu ertragen sein als stundenlang in der Kneipe zu bedienen. Nur kurz schlich sich eine faszinierende Idee in ihre Gedanken: Wie wäre es, wenn sie beim Lesen ihrer Fachbücher alle diese Gegenstände tragen würde? Dann könnte sie lernen und gleichzeitig Geld verdienen. Doch so schnell wie der Gedanke gekommen war, verschwand er auch wieder.

»Sie sollten die Armkorsetts jetzt aber noch nicht anlegen.« Frau Hegel blickte scheinbar zufällig auf den Schreibtisch. »Sie möchten vorher vielleicht ein paar andere Sachen versuchen.«

Julia wurde ein wenig aus ihren Gedanken gerissen, als sie dem Blick ihrer Vermieterin folgte, denn sie erinnerte sich sofort daran, dass sie die Perlen auch noch ausprobieren wollte. »Ja, das sehe ich ein.« Sie lächelte verlegen, dann sprach sie ihren Wunsch laut aus.

»Ich schicke ihnen Frauke, damit sie ihnen mit den Perlen helfen kann.« Sie drehte sich um und ging in Richtung Tür. Sie überlegte, ob sie für das Verlassen des Zimmers eine Rechtfertigung brauchte, doch dann entschied sie sich dafür, nichts weiter zu sagen, insbesondere weil Julia in diesem Moment tief in einer in ihr bisher unbekannten Faszination gefangen war und der Moment sehr gut geeignet war, um ihr die Perlen näher zu bringen. Doch dies sollte Frauke machen.

Bisher lagen auf dem Schreibtisch streng genommen nur zwei Perlen mit ihren Riemen, doch diese hatten genügt, um Julias Neugier zu wecken. Insbesondere hatte sie sich daran erinnert, dass es in einer der Schubladen in dem Schrank noch weitere dieser Perlen gab, bei denen die Anzahl der Riemen teilweise höher war, dies hatte sie bei einem ersten prüfenden Blick schon festgestellt.

Sie wollte erst einfach in die Schublade greifen und die Bälle nacheinander auf den Schreibtisch tragen, doch dann wurde ihr ihr aktueller Zustand bewusst, und sie begann zu grübeln. Mit dem sehr engen Rock würde es sehr lange dauern, wenn sie die Bälle einzeln auf den Schreibtisch trug. Es waren auch zu viele, um sie allein mit den Händen zu tragen.

Sie fragte sich, ob es nicht vielleicht möglich war, die ganze Schublade zum Tisch zu tragen. Das wäre vielleicht etwas anstrengender zu tragen, doch dafür müsste sie nur einmal gehen. Insgeheim faszinierte es sie, dass ihre Kleidung ihr eine andere, weiter vorausdenkende Handlungsweise aufzwang. Und letzteres empfand sie nicht einmal als negativ.

Zu ihrer Erleichterung ließ sich die Schublade ganz leicht aus dem Schrank ziehen, und sie war auch nicht so schwer, wie Julia es ursprünglich befürchtet hatte. Vorsichtig ging sie zum Schreibtisch, und als sie davor stand, schüttete sie den Schubladeninhalt einfach auf die Tischplatte und stellte die Schublade neben den Tisch.

Etwas sprachlos stand sie schließlich vor einem Haufen von Lederriemen und ungefähr einem Dutzend roten sowie zwei blauen Bällen. Etwas zitternd begann sie, die Perlen zu sichten, und weil ihr nichts Besseres einfiel, sortierte sie die Bälle nach der Anzahl der Riemen, die zu einer Perle gehörten. Es war allerdings etwas mühsam, denn das Halskorsett, welches sie immer noch trug, hinter sie daran, den Kopf zu senken und so musste sie sich mit dem ganzen Oberkörper vorbeugen, um etwas sehen zu können. Doch sie war zu stolz, um sich das Korsett wieder abzunehmen. Außerdem hatte es Frau Hegel ihr angelegt, und sie wäre sicher enttäuscht, wenn sie es sofort wieder abnehmen würde.

* * *

Etwas unsicher klopfte Frauke an Julias Zimmertür. Gerade hatte Frau Hegel ihr den Auftrag erteilt, Julia die Knebel näher zu bringen und ihr dafür sogar einige Pluspunkte versprochen.

Anfangs hatte Frauke über die Regelung mit den Pluspunkten nur gelacht, denn sie hatte nicht erwartet, dass sie davon viele bekommen würde. Denn etwas Besonderes hatte die Vereinbarung. Sollte der Fall eintreten, dass sie mehr Punkte haben würde als ihre ursprüngliche Haftstrafe, dann würde sich diese selbst auch verkürzen. Doch Frauke war davon überzeugt, dass es unmöglich war, eine vierstellige Zahl von Punkten zusammen zu bekommen. In einer normalen Woche gab es höchstens Mal zehn Punkte, wenn sie besonders viel im Haus mithelfen konnte.

Doch mit der Anwesenheit von Julia hatte sich dies schlagartig geändert, und Frauke hatte die Aussicht, jetzt mehr Punkte zu bekommen als sonst in einem ganzen Monat.

Frau Hegel hatte ihr sogar noch ein paar Tipps gegeben, wie sie der Studentin die Knebel näher bringen konnte, und der wichtigste davon war, immer von Perlen zu sprechen, denn dieser Begriff war im Gegensatz zu Knebel eher positiv besetzt. Und was Frauke besonders freute war, dass sie ihr ansonsten freie Hand gegeben hatte und ihr auch noch extra das Vertrauen ausgesprochen hatte. Sie hatte ihr sogar zwanzig Punkte in Aussicht gestellt, wenn sie ihre Sache besonders gut machte.

Doch beim Eintreten fiel ihr ein, dass es vielleicht besser wäre, sich zunächst ein wenig schlecht gelaunt und unwillig zu geben, damit Julia nicht misstrauisch werden würde. Sie setzte also eine etwas missmutige Miene auf, und hoffte dabei, genau das richtige Maß zu treffen, um Julia in Sicherheit zu wiegen und sie trotzdem nicht zu sehr abzustoßen. »Frau Hegel hat gesagt, dass ich dir bei den Perlen helfen soll.«

Julia war über die Eröffnung sehr erleichtert, denn sie hätte sonst nicht gewusst, was sie hätte fragen sollen, um Frauke um Hilfe zu bitten. »Ja, kannst du mir bitte erklären, wie man diese Perlen trägt? Wie Schmuck?«

»Na, dann lass mal sehen.« Frauke schloss die Tür hinter sich und trat dann an den Schreitisch heran. »Du hast schon sortiert, sehe ich?«

»Ja.« Julia blickte etwas verlegen auf die vier mehr oder weniger großen Haufen, die jetzt vor ihr lagen. Es ärgerte sie ein wenig, dass sie trotz ihrer Intelligenz noch nicht selbst darauf gekommen war, wie diese komischen Kugeln zu tragen waren. Sie schob es darauf, dass sie sich noch nie für die diversen Mode-Illustrierten hatte begeistern können. »Trägt man die um den Hals?« Zumindest wenn man die Perlen von dem Haufen ganz links betrachtete, war der Gedanke naheliegend.

»Nein, etwas höher.« Frauke kam trotz ihrer Anspannung nicht umhin, ein wenig zu schmunzeln. Doch gleich darauf hatte sie sich wieder unter Kontrolle. »Willst du das Halskorsett dabei anbehalten?«

»Wenn das geht?« Julia war in diesem Moment etwas unsicher. Einerseits war es sicher eine gute Ausrede, um das Ding loszuwerden. Auf der anderen Seite wollte sie dem Alltag von Carolin näher kommen, und da diese es oft getragen hatte, war es bestimmt gut, wenn sie sich selbst ebenfalls schnell daran gewöhnte. Außerdem wollte sie auch ihre Vermieter nicht unnötig enttäuschen. »Also, wo kommt die Perle hin?«

»Sie kommt in den Mund.« Frauke konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme bei der Antwort zitterte.

»In den Mund?« Julia keuchte leicht, denn ihr war eingefallen, dass sie doch schon einmal ein entsprechendes Bild gesehen hatte. Nur konnte sie das Gesehene damals überhaupt nicht einordnen. »Dann kann ich ja nicht mehr reden.« Was der Ball bei ihr bewirken würde, war ihr entsprechend sofort klar.

»Das ist der Sinn einer solchen Perle.« Frauke grinste. »Deswegen hat Carolin sie auch immer 'Beruhigungsperlen' genannt, sagt Frau Hegel.«

»Na, meinetwegen.« Julia nahm eine der Perlen in die Hand und hielt sie sich vor den Mund. »Die sind aber groß?«

»Naja, es kommt auch auf den Mund der Trägerin an, deswegen gibt es sie ja auch in verschiedenen Größen.« Frauke blickte Julia an. »Du solltest aber wissen, dass du damit nicht mehr schlucken kannst, weil dein Kiefer offen steht.«

»Ja und?« Julia fixierte mit ihrem Blick den Ball vor ihrem Mund. Solche anatomischen Details hatten sie bisher nicht interessiert.

»Dann sammelt sich der Speichel in deinem Mund und wird heraus laufen.« Frauke wollte dies unbedingt vorher ansprechen, weil sie selbst über diesen Punkt mehr als erschrocken gewesen war.

»Dann muss ich meine Lippen eben geschlossen halten.« Julia gab sich pragmatisch. »Außerdem kann ich es auf dem Lack wegwischen.« Julia legte die Perle wieder auf den linken Haufen und blickte auf die anderen Häufchen vor sich. »Warum haben die denn mal so viele und mal so wenig Riemen?«

Es machte Frauke insgeheim Spaß, Julia die Knebel näher zu bringen, und sie hatte ihre scheinbare Missmutigkeit schon lange aufgegeben. »Damit werden die Perlen mehr oder weniger sicher in deinem Mund befestigt.«

»Was hat Carolin denn so getragen?« Julia wollte das Unvermeidliche noch etwas hinauszögern, ohne dass es ihr wirklich bewusst war.

Frauke war in diesem Moment ehrlich verunsichert, weil sie dies weder wusste, noch dazu etwas mit Hegels abgesprochen war. Sie beschloss die Flucht nach vorn. »Das weiß ich nicht. Ich habe sie ja nicht mehr kennengelernt.«

»Stimmt, das hattest du gesagt.« Julia blickte auf die Bälle, die fast alle die gleiche Größe hatten. Auch fiel ihr erneut auf, dass fast alle Bälle eine rote Farbe hatten. Nur ein schwarzer und zwei blaue Bälle waren noch dabei. »Ich glaube, sie hat Rot bevorzugt.« Sie nahm sich wieder einen der einfachen Bälle zur Hand und hielt ihn sich vor das Gesicht. »Und wie geht das jetzt?« Ihr Blick wechselte zwischen Frauke und dem Ball hin und her.

»Komm bitte zum Spiegel, dann kannst du dir es gleich ansehen.« Frauke ging zum ersten Schrank und nahm sich ein Handtuch heraus, dann ging sie ebenfalls zum Spiegel und wartete, bis Julia zu ihr getrippelt war.

»Warte, ich helfe dir.« Mit dem Handtuch wischte sie den Ball noch einmal ab, dann hielt sie ihn von hinten vor Julias Mund. »Bitte den Mund aufmachen.«

»Wie beim Zahnarzt.« Julia lachte kurz, wollte damit aber nur ihre Nervosität überspielen. Sie blickte noch einmal kurz hinter sich, dann öffnete sie ihre Lippen.

Frauke nahm das Riemenpaar in ihre Hände und zog den Ball damit langsam in Julias Mund. »Jetzt kannst du den Mund wieder zumachen.«

Sofort spürte Julia den ungewohnten Ball im Mund und legte die Lippen darum. Fasziniert beobachtete sie ihr Gesicht im Spiegel.

»Warte bitte noch, bis ich die Riemen festgezogen habe.« Frauke war in diesem Moment sichtlich nervös und ließ die Schnalle zweimal fallen.


Schließlich war der Knebel geschlossen, und Frauke trat neben Julia. »Es sieht wirklich schön aus. Die Perle steht dir gut.« Sie streichelte ihr zärtlich über die Wange.

Julia war sehr angespannt. Sie wollte etwas antworten, doch erst jetzt bemerkte sie, dass sie kaum eine verständliche Silbe zustande bekam. Es war sehr ungewohnt für sie, nicht mehr über ihre Stimme zu verfügen, doch sie fand es von Beginn an sehr aufregend.

Frauke lachte trotz ihrer Anspannung. »Deswegen werden sie ja auch die Beruhigungsperlen genannt.«

Julia sah, dass ein erster Speichelfaden langsam aus ihrem Mund tropfte. Reflexmäßig führte sie ihre Hand zum Mund und wischte ihn ab.

»Gewöhne dich lieber daran.« Fraukes Stimme zitterte vor Anspannung. »Wenn du die Perle trägst, wirst du selten deine Hände benutzen können.

Julia drehte sich zu Frauke und blickte sie verwundert an. Sie brummelte etwas.

»Warum das so ist?« Sie lächelte. »Weil du sicher sehr oft Carolins Handschuh tragen wirst.«

Erst jetzt erkannte Julia die ganzen Zusammenhänge. Sie versuchte zu verbergen, dass sie von der sich abzeichnenden Zukunft doch etwas verunsichert war. So nach und nach realisierte sie, dass sie immer unbeweglicher und leiser werden würde, vor allem, wenn sie auch diesen rätselhaften Handschuh tragen würde oder den faszinierenden Mantel. Beide hatten die Eigenschaft, ihr die Beweglichkeit ihrer Arme zu nehmen und sie zu fixieren, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise.

»Soll ich dir den Ball wieder abnehmen?« Frauke wusste aus eigener Erfahrung, wie wichtig es war, dass das erste Mal nicht zu negativen Erfahrungen führte.

Julia versuchte ein Nicken, doch sie musste erkennen, dass das Halskorsett ihre Bewegungen stark einschränkte. Sie wollte mit 'Ja' antworten, doch wieder musste sie erkennen, dass sie sich jetzt auf die gewohnte Art und Weise nicht mehr äußern konnte.

Frauke hatte sie genau beobachtet und ihre vergeblichen Antwortversuche trotzdem erkannt, außerdem wusste sie noch gut, wie es sich in dieser Situation anfühlte. Sie trat wieder hinter Julia und öffnete die Schnalle, dann zog sie den Ball aus Julias Mund, um ihn gleich darauf wieder mit dem Handtuch abzuwischen.

Julia war von der Möglichkeit, ihr die Stimme auf so eine einfache Weise zu nehmen, sehr fasziniert. Sie äußerte dies, während sie langsam wieder zum Schreibtisch ging.

»Hast du schon einmal einen Engel reden hören?« Frauke sagte den Satz auf, den Hegels ihr genannt hatten.

»Nein, natürlich nicht.« Julia wurde auf Carolins Aufgabe immer neugieriger. »Streng genommen ist mir noch überhaupt kein Engel begegnet.« Sie griff zum zweiten Stapel und hob eine der Perlen hoch. »Warum sind es hier mehr Riemen?« Es war ihr anzusehen, dass sie keine Ahnung hatte, was die zusätzlichen Riemen bewirken sollten.

»Die Riemen gehören unter dein Kinn.« Frauke gab ihr den entscheidenden Tipp. »Der Kinnriemen verhindert, dass du deinen Kiefer öffnen kannst, um den Ball mit der Zunge hinauszudrücken, so sagt man zumindest. Ich glaube das aber nicht.«

»Dürfte ich denn so schummeln?« Julia war verwundert.

»Naja, es ist manchmal nötig, sich kurz einmal Erleichterung zu verschaffen.« Frauke lächelte verschwörerisch. »Aber du solltest dich dabei nicht erwischen lassen.«

Julia grinste, dann griff sie zum dritten Stapel und hob eine der roten Kugeln hoch. Deutlich waren die vielen Riemen zu sehen, die offenbar dazu gehörten. »Und wofür sind diese Bälle mit den vielen Riemen?«

»Das ist ein sogenannte Perlennetz.« Frauke wollte sich dieses Mal nicht auf Carolin beziehen, weil sie spürte, wie dünn das Eis in dieser Richtung werden würde.

»Wo kommen denn die vielen Riemen hin?« Julia nahm das Netz in beide Hände und versuchte, den Verlauf der Riemen zu verfolgen.

Frauke war erleichtert, dass Julia ihren Blick auf den Knebel mit seinen vielen Riemen gerichtete hatte, so konnte sie wie schon länger ausgemacht das Notsignal benutzen. Mit drei kurzen Blicken direkt in die Kamera signalisierte sie, dass sie nicht weiter wusste und Hilfe brauchte.

* * *

»Kann sie das nicht schneller machen?« Herr Hegel blickte nervös auf den Monitor. »Was reden die beiden denn da so lange?«

»Frau Wiesl macht das sehr gut.« Seine Frau musste ihn beruhigen. »Man darf es nicht überstürzen.«

»Wir haben aber nicht mehr so viel Zeit.« Er klopfte nervös auf den Tisch.

»Ja, das weiß ich.« Frau Hegel legte die Hand auf seine Schulter. »Aber gerade deswegen müssen wir es langsam angehen. Langsam und vorsichtig.« Sie seufzte. »Es ist unsere letzte Chance, und bisher reagiert Julia ausgezeichnet.«

»Was hat sie denn jetzt?« Herr Hegel hatte Fraukes Blicke in die Kamera bemerkt.

»Sie bittet uns um Hilfe.« Frau Hegel erklärte ihm das Signal. »Ich hatte dieses Signal mit ihr vereinbart.«

»Und warum braucht sie Hilfe?« Herr Hegel hatte Mühe, seine Nervosität unter Kontrolle zu halten.

»Ich vermute mal, dass sie nicht weiß, wie das Kopfgeschirr anzulegen ist.« Frau Hegel stand auf. »Ich gehe zu ihnen.« Sie verließ das Zimmer.

* * *

Erst als das Klopfen an der Tür zu hören war, konnte sich Julia von dem Perlennetz losreißen.

»Das ist eine besondere Perle, die hat Carolin immer nur zu besonderen Anlässen getragen.« Frau Hegel hatte Mühe, ihre Anspannung zu verbergen. »Möchten sie das Perlennetz einmal ausprobieren?«

»Ja, gern.« Julias Neugier war stärker als ihre Angst vor dem Unbekannten. Sie verzichtete im Moment allerdings darauf, zu fragen, zu welchen Anlässen Hegels Tochter diese spezielle Perle tragen durfte.

Frau Hegel ging zum Schreibtisch und nahm ihr das Kopfgeschirr aus der Hand. »Diese Netze werden um den ganzen Kopf geschnallt und halten so die Perle im Mund fest. Außerdem verändern die Riemen, die dann über das Gesicht laufen, das Erscheinungbild der Trägerin.«

»Bitte zeigen sie es mir.« Julias Stimme zitterte vor Anspannung und blickte Frau Hegel mit einer Mischung aus Verlangen, Furcht und Neugier an.

Frau Hegel richtete sich das Geschirr so aus, dass sie den Ball vor sich hatte, dann hob sie es in Höhe von Julias Kopf. Sie lächelte, als sie sah, dass die Studentin ihren Mund schon geöffnet hatte.

Julia stöhnte ganz leise, als sie spürte, wie der große Ball langsam in ihren Mund eindrang und dort seinen Platz beanspruchte. Wie schon bei der normalen Perle musste ihre Zunge wieder ausweichen.

»Zuerst kommt der Ball in den Mund und die beiden Hauptriemen werden am Hinterkopf geschlossen.« Die Vermieterin erklärte, was sie tat, während sie die Schnalle am Hinterkopf fixierte. »Jetzt wird der doppelte Y-Riemen, der über dem Hauptriemen baumelt nach hinten über den Kopf gezogen. Dabei legen sich die Riemen über ihr Gesicht und ihre Stirn.«

Julias Augen leuchteten, als sie sah, wie sich die schwarzen Riemen ihren Platz in ihrem Gesicht suchten.

»Der Riemen teilt sich oben auf ihrem Kopf wieder, die beiden Teile werden dann links und rechts am Hauptriemen an den dortigen Schnallen befestigt.«

Julia spürte, wie sich die Lederriemen immer weiter um ihren Kopf legten. Durch ihr Studium war sie es gewohnt, die Aussagen immer sofort nachzuvollziehen und so erkannte sie sofort, warum dieser Riemen mit 'doppelter Y-Riemen' bezeichnet war.

»Zum Schluss werden dann noch die beiden Riemen unter ihrem Kinn geschlossen und bilden ein gewisses Gegengewicht gegenüber dem Y-Riemen.« Frau Hegel hatte sich diese Sätze schon vor längerer Zeit bereitgelegt, um damit das Anlegen des Knebels ein wenig pseudo-wissenschaftlich klingen lassen zu können.

Langsam drehte sich Julia vor dem Spiegel, dann hob sie ihre Hände hoch und tastete den Verlauf der Riemen auf ihrem Kopf nach.

»Bitte denken sie aber daran, dass sie die Perlen nur innerhalb des Hauses tragen dürfen.« Frau Hegel hatte Mühe, ihre Stimme wieder normal klingen zu lassen. »Die Nachbarschaft hat dafür bisher wenig Verständnis.« Der letzte Satz war sogar ehrlich gemeint.

Julia blickte sie erleichtert an und versuchte ein schüchternes Nicken, welches das Halskorsett allerdings fast vollständig unterband.

»Wir kümmern uns dann um das Mittagessen.« Frau Hegel blickte kurz aber eindringlich zu ihrer Dienerin. »Sie können sich hier ja noch etwas umsehen.«

Julia wollte fragen, ob sie das Kopfgeschirr schon wieder abnehmen dürfte, doch jetzt erst bemerkte sie, dass sie sich nicht mehr verständlich machen konnte.

* * *

»Decken sie schon einmal den Tisch, ich schaue kurz zu meinem Mann.« Frau Hegel ging in Richtung der kleinen Überwachungskammer. »Klingeln sie dann bitte.«

»Jawohl, Madame.« Frauke seufzte innerlich. Sie wäre gern noch bei Julia geblieben, die mit dem Kopfgeschirr äußerst reizend aussah und die es offensichtlich auch bequem tragen konnte. Doch sie wagte es nicht, sich gegen die Anweisungen ihrer Herrschaften zu stellen. Mit langsamen Schritten ging sie die Treppe hinunter. Dass ihr von oben noch ein 'heute noch' zugerufen wurde, überhörte sie. Das war die einzige Form von Trotz, zu der sie den Mut hatte.

Frau Hegel öffnete die Tür und trat in den kleinen Raum. »Was hat sie bisher gemacht? Trägt sie die Perle noch?« Natürlich wussten Hegels, dass Perlen nur beschönigendes Wort für Knebel waren, doch sie hatten sich diese verharmlosende Begrifflichkeit einfallen lassen, um die eventuell in Frage kommenden Mädchen nicht sofort damit zu verschrecken.

»Wenn ich das richtig beobachtet habe, dann hat sie nach eurem Weggang das Netz nicht einmal berührt«, antwortete ihr Mann, ohne vom Bildschirm aufzublicken. »Im Gegenteil, sie macht den Eindruck, als würde es sie überhaupt nicht stören.«

»Sie wollte bestimmt fragen, ob sie es wieder abnehmen darf, und dann hat sie gemerkt, dass sie nicht mehr reden kann.« Frau Hegel setzte sich neben ihren Mann. »Ich glaube, sie ist schon gut geprägt.«

»Sie ist doch gerade mal vier Tage bei uns.« Herr Hegel blickte auf und widersprach. »Ich denke, du überschätzt die Situation.«

»Ja, du könntest Recht haben.« Sie seufzte. »Warten wir ab, wie das Wochenende verläuft.«

»Wirst du Frau Wiesl eigentlich ein paar Vorgaben machen?« Er wandte sich wieder dem Monitor zu. »Sie werden immerhin den ganzen Tag allein sein.«

»Nein, das hatte ich nicht vor.« Frau Hegel stand wieder auf. »Ich habe lediglich die Nachbarn über unsere Abwesenheit informiert. Sie werden aufpassen.«

* * *

Ein wenig fühlte Julia sich überrumpelt, weil sie das Perlennetz trug und nicht mehr fragen konnte, ob sie es wieder abnehmen durfte. Es ärgerte sie, weil sie sonst etwas mehr Weitblick zeigte. Andererseits gefiel ihr der Gedanke, so auf Carolins Spuren zu wandeln, und wenn Hegels Tochter im Haus diese Perlen getragen hatte, dann war es für sie selbstverständlich, dies auch zu tun.

Sie nahm die Anregung von Frau Hegel auf und sah sich noch einmal im Zimmer um. Die zwei offenen Schränke hatte sie bis jetzt schon untersucht, und sie hatte auch viel darin gefunden, was ihr bis jetzt noch unbekannt geblieben war. Ihr Blick fiel auf den dritten Schrank. Bisher hatte er ihren Öffnungsversuchen widerstanden. Von außen sahen die Schranktüren gleich aus, doch während die bisherigen Türen einfach an dem großen Griff aufzuziehen waren, ging dies bei dem dritten Schrank nicht.

Eigentlich sahen die großen Griffe lächerlich aus, doch Julia hatte mittlerweile verstanden, dass die Größe den Zweck hatte, den Schrank auch dann noch öffnen zu können, wenn Carolin oder auch sie selbst diesen Handschuh trug. Dank der Fotos hatte Julia jetzt eine Vorstellung, um was es sich dabei handelte, und sie hatte auch nicht mehr so viel Angst davor, denn die für den Handschuh nötige Haltung hatte sie in ihrer Kindheit oft trainiert, um die Gemeinheiten ihrer Brüder leichter ertragen zu können.

Von Carolins Kindheit wusste Julia bisher nicht viel. Im Zimmer gab es darauf nur sehr wenige Hinweise, und auch im Tagebuch war diesbezüglich nicht viel zu erfahren.

Wieder fiel ihr Blick die ihr bisher verschlossen gebliebenen Türen des dritten Schrankes, und jetzt, wo sie etwas Ruhe hatte, begann sie, es systematisch zu durchdenken. Die Türen hatten keine Schlüssellöcher, aber die gleichen pompösen Griffe, also mussten sie trotzdem leicht zu öffnen sein.

Sie trat auf die Türen zu, und als sie dabei ins Stolpern kam, stützte sie sich reflexartig an der Tür ab. Dabei erst entdeckte sie, dass sich die Tür ein kleines Stück eindrücken ließ. Auf einmal war sie wie elektrisiert. Jetzt hatte sie eine Spur, der sie nachgehen konnte.

Sie trat näher an den Schrank heran und sah sich die Türen noch einmal genauer an. Jetzt fiel ihr ein, dass Carolin im Tagebuch einmal einen Kugelschreiber-Verschluss erwähnt hatte.


Es dauerte nicht lange, bis Julia herausgefunden hatte, wie der Schrank zu öffnen war. Zuerst hatte sie entdeckt, dass es zwei Mal klickte, wenn sie die Tür eindrückte. Und auf einmal machte es bei ihr selbst ebenfalls 'Klick', denn diese Art von Schlösser waren gerade erst in einer Vorlesung behandelt worden. Grinsend stellte sie sich vor den Schrank und drückte die Tür so wenig, dass nur ein Klick zu hören war, dann ließ sie sie wieder los. Die Türen gingen auf, und Julia blickte atemlos in das Innere des Schrankes.

Julia blickte auf ein weißes bodenlanges Lackkleid, welches sie als erstes heraus nahm und vor sich hielt. Sie war sich über den Zweck des Kleides nicht im Klaren. Für ein Nachthemd war es zu aufwendig gearbeitet, für ein Brautkleid wiederum war es zu schlicht. Sie blickte wieder in den Schrank und sah, dass gleich neben dem Kleid ein großes Paar Flügel hing.

Auf einmal wurde ihr klar, was sie gerade in der Hand hielt. Dies musste Carolins Engelskostüm sein. Eine andere Erklärung gab es offensichtlich nicht. Besonders war sie von den Flügeln fasziniert, denn es schienen lauter echte Federn zu sein. Die Flügel machten einen sehr kostbaren Eindruck, und Julias Ehrfurcht wuchs. Sie beschloss, dass Kleid wieder an seine Stelle zu hängen. Und in Gedanken sah sie sich schon in dem Kleid.

In dem Fach oberhalb des Kostüms fiel ihr ein kleines Kästchen auf, weil es scheinbar aus Gold gefertigt war und von außen lauter stilisierte Engel zeigte. Sehr neugierig nahm sie das Kästchen zur Hand und öffnete es. Sie keuchte, als sie den Inhalt erblickte.

Das Kästchen war mit roten Samt ausgeschlagen und sah damit sehr edel aus. Doch alles wurde überstrahlt von der weißen Perle mit weißen Riemen, die in dem Kästchen aufbewahrt wurde.

Julia ahnte sofort, dass sie noch nicht berechtigt war, eine weiße Perle tragen zu dürfen. Sie klappte das Kästchen wieder zu und stellte es wieder an seinen Platz. Sie hielt einen Moment inne, denn ein Bild formte sich vor ihrem inneren Augen. Ein weißer glänzender Engel mit großen Flügeln und mit der Perle im Mund.


Auf der rechten Seite gab es einige Fächer, und ein Fach fiel ihr sofort auf, weniger wegen seines Inhaltes, sondern mehr, weil direkt oberhalb des Faches ein kleines Schlüsselbrett angebracht war, auf dem ihr die Beschriftungen sofort ins Auge fielen. 'Engelsuniform: Bluse' stand bei dem ersten Schlüssel, daneben das gleiche für 'Rock' und 'Hose'.

Julias Neugier wuchs ins Unermessliche. Eine Engelsuniform, für die es auch noch Schlüssel gab? Ohne dass sie es direkt steuern konnte, nahm sie sich das weiße Kleidungsstück zur Hand, und wie sie es schon vermutet hatte, entpuppte es sich als eine Bluse.

Julia war aus mehreren Gründen sehr fasziniert von dieser Bluse. Zum einen war es eines der wenigen Kleidungsstücke aus normalem Stoff und fiel schon allein deswegen ins Auge. Dann sah sie, dass die Bluse Schulterklappen hatte, wie es bei Uniformen üblich war, weil dort der Rang der Trägerin ablesbar war. Sie hatte dies schon bei Polizistinnen gesehen. Und wieder staunte sie, denn auch auf diesen Schulterklappen gab es eine Art Abzeichen, die ihr nur deswegen nicht sofort auffielen, weil sie ebenfalls in Weiß gehalten waren. Ein kleiner in weiß gestickter Engel war hier aufgebracht und in Julias Kopf begann sich ein Bild zu formen, und auf einmal machte das Wort 'Oberengel' auch einen Sinn. Das würde dann wohl einer Bluse mit zwei oder drei solchen aufgestickten Engel entsprechen.

Julia blickte sich um. Auf dem Schreibtisch wäre genug Platz, wenn sie die Perlen wegräumte. Erst in diesem Moment erinnerte sie sich wieder daran, dass sie noch das Perlennetz trug, doch im Moment machte es ihr überhaupt nichts aus. Mit kurzen, aber eiligen Schritten ging sie zum Schreibtisch und schob die Perlen beiseite, dann legte sie die Bluse vorsichtig auf den Tisch und begann, sie auseinander zu falten. Sie machte es vorsichtig, denn sie wollte später in der Lage sein, sie wieder so zusammenzulegen, wie sie war.

Dabei gab es die nächste Überraschung, als sie entdeckte, dass bei dieser Bluse die Ärmel bis zum Ellenbogen fest mit dem Seitenteil verbunden waren. Falls sie die Bluse einmal tragen müsste, dann würde sie nur noch ihre Unterarme bewegen können.

Und noch eine Besonderheit entdeckte sie. Die Bluse würde mit einem Reißverschluss geschlossen, und darüber gab es dann noch einmal eine Knopfliste, die offensichtlich nur Zierde war. Der Schieber des Reißverschlusses war ungewöhnlich groß, doch als Julia das kleine längliche Loch entdeckte, wusste sie, dass es das Loch für den Schlüssel war, der an dem Schlüsselbrett hing.

Sie ließ die Arme sinken und starrte verwundert auf die Bluse, die vor ihr lag. Sie sah so harmlos aus, und doch würde die Trägerin darin eingesperrt sein und hatte wegen der Ärmel auch wenig Bewegungsfreiraum. Noch dazu waren die Schlüssel mit 'Engelsuniform' beschriftet gewesen. Julia wusste immer weniger, was sie davon halten sollte. Aber eines war ihr klar - es würde eine unbekannte, aber sehr faszinierende Zukunft auf sie warten, wenn sie wirklich Carolins Erbe antreten würde.

Langsam und sorgfältig legte sie die Bluse wieder zusammen und trug sie wieder in den Schrank. Dort gab es noch zwei weitere Schubladen, in die sie noch hineinschauen wollte. Sie legte die Bluse wieder auf den Stapel und zog die mittlere Schublade auf.

Noch einmal fiel ihr Blick auf das Fach mit der Engelsuniform, und ein wenig fragte sie sich, auf welche Weise der Rock und die Hose zu verschließen sein würden. Doch sie verzichtete darauf, sie herauszunehmen, denn sie ahnte irgendwie in ihrem Unterbewusstsein, dass sie es bald erfahren würde.

Sie blickte in die Schublade, die sie gerade aufgezogen hatte und hielt inne. Was sie sah, konnte sie zunächst wieder überhaupt nicht einordnen. Sie blickte auf unterschiedlich gefärbtes Leder, Blau, Rot und Schwarz leuchteten ihr entgegen. Sie blickte einige Zeit darauf, doch sie konnte zunächst nicht erkennen, was sie da vor sich hatte. Langsam traute sie sich und sie griff in die Schublade, um einen der Ledergegenstände in die Hand zu nehmen. Erst als sie ihn vor sich hielt und eine längliche Tütenform sah, die seitlich zu schnüren war, machte es auf einmal Klick, und Julia wusste, was sie in den Händen hielt, weil sie sich an Carolins Fotos erinnerte. Dies waren die Monohandschuhe, die sehr viel Geld bringen würden und die Hegels Tochter so gern getragen hatte.

Julia zitterte, als sie realisierte, dass sie diese Handschuhe demnächst auch zu tragen hatte. Sie war sich sicher, dass sie mit der ungewöhnlichen Armhaltung keine Probleme haben würde, ihre Brüder hatten sie unabsichtlich gut darauf vorbereitet. Doch etwas anderes machte ihr ein wenig Angst. Der Handschuh würde ihr die Arme nehmen, und die würde sie brauchen, um ihre Bücher umzublättern, etwas zu notieren oder um sich eine Perle anzulegen. Sie seufzte. Sie würde ihre Zeit sehr gut planen müssen, wenn sie den Handschuh tragen wollte.

Seufzend legte sie den Handschuh zurück und schloss die Schublade wieder. Sie zog die dritte Schublade auf, doch zu ihrer Überraschung befand sich dort sehr wenig darin - nur ein halbrundes schmales Blech mit einem Schlitz sowie etwas, dass sie im ersten Moment an einen Tannenbaum erinnerte, obwohl es aus Kugeln bestand, die aufeinander gestapelt waren. Ganz hinten entdeckte sie vier Ringe aus Metall die ungefähr die Größe von Armreifen hatten. Sie schloss die Schublade wieder, denn sie wollte überhaupt nicht darüber nachdenken, wofür diese Sachen wohl sein konnten.

Im untersten Fach stand noch etwas, dass ihre Hände zittern ließ. Es war ein Paar Stiefel aus glänzendem weißen Leder, die sehr lang zu sein schienen. Julia nahm sich einen heraus und hielt ihn vor sich hin. Der Stiefelschaft würde bis zur Mitte ihrer Oberschenkel reichen, und sie entdeckte auch sehr hohe Blockabsätze.

Langsam stellte sie den Stiefel zurück und wunderte sich ein wenig, denn bisher gab es zu diesen Stiefeln keinen Hinweis. Insbesondere hatte Carolin sie in ihrem Tagebuch nicht erwähnt. Das konnte zweierlei bedeuten. Entweder sie war nicht mehr dazu gekommen, die Stiefel zu tragen oder es war etwas so Selbstverständliches, dass sie es nicht für erwähnenswert hielt. Julia hoffte insgeheim auf Letzteres, denn von solchen Stiefeln war sie schon immer sehr begeistert gewesen, nur hatte ihr bisher der Mut gefehlt, sie auch zu tragen. Das sie sich überhaupt nicht leisten konnte, kam noch erschwerend hinzu.

Sie ließ die Türen auf, ging zu ihrem Schreibtisch und setzte sich so auf den Stuhl, dass sie auf den offenen Schrank blicken konnte. Sie begann zu grübeln. Alle anderen Schuhe und Stiefel befanden sich in den anderen beiden Schränken, nur diese außergewöhnlichen Stiefel standen im dritten Schrank. Auf einmal glaubte sie die Zusammenhänge zu verstehen. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie die Stiefel unter dem Engelskostüm zu tragen hatte, und ihr gefiel der Gedanke, denn die langen Schäfte würden ihr sicherlich Halt geben bei den Aufgaben, die so ein Engel haben würde. Und das lange Kostüm würde von den Stiefeln gerade einmal ihre Füße zeigen.

Vorsichtig öffnete sich die Tür zu Julias Zimmer und Frauke räusperte sich. »Hegels bitten dich zum Mittagessen.« Gleich darauf schloss die Dienerin wieder die Tür.

Julia brauchte einen Moment, bis sie sich aus ihren Gedanken befreit hatte, dann erhob sie sich und ging langsam zur Tür.

* * *

Als sie das Esszimmer betrat, sah Julia, dass Hegels schon am Tisch saßen und sie erwartungsvoll anblickten. Unwillkürlich versuchte sie noch etwas schnellere Schritte, und ihre Gesichtsfarbe wurde schon etwas röter. Ohne weiteres Zögern setzte sie sich an das noch freie Gedeck und blickte verlegen vor sich auf ihren Teller.

Herr Hegel räusperte sich, und als Julia es bemerkte, befürchtete sie einen Tadel, weil sie zu spät zum Essen gekommen war. Doch zu ihrer Überraschung hatte er ein anderes Anliegen. »Ich freue mich ja sehr über ihren Ehrgeiz, aber meinen sie nicht, dass sie sich mit dem Essen leichter tun, wenn sie Carolins Perle wieder ablegen?« Er verzog dabei keine Miene.

Erst jetzt realisierte Julia, dass sie immer noch das Perlennetz mit der Perle in ihrem Mund trug. Sie hatte es schon wieder vergessen. Einfach so - obwohl sie es jetzt deutlich in ihren Kiefermuskeln spürte. Sie wurde so rot, wie es nur ging. Etwas nervös fasste sie sich an ihren Kopf und versuchte, die Schnallen zu finden, mit denen es an ihrem Kopf befestigt war.

Doch erst jetzt erkannte sie, dass sie gar nicht wusste, wie und eventuell in welcher Reihenfolge die Schnallen zu öffnen waren. Und auch wo sie sich überhaupt befanden.

»Elisabeth, ich glaube, du musst ihr helfen.« Der Professor hatte große Mühe, ernst zu bleiben. Insgeheim war er sehr erleichtert über Julias Fähigkeit, sich so vergessen zu können.

Frau Hegel stand auf und trat hinter Julia, dann öffnete sie die Schnallen. Sie bat Julia eine Serviette zur Hand zu nehmen, dann zog sie ihr langsam den Ball aus dem Mund und legte ihn in Julias Hand, um ihr gleich darauf einen Finger auf die Lippen zu legen. »Bitte sagen sie jetzt nichts.«

»Wir freuen uns sehr darüber, dass sie sich schon so schnell mit Carolins Perlen vertraut gemacht haben.« Herr Hegel blickte aus dem Fenster.

»Aber?« Julia ahnte, dass der Satz noch weiter gehen würde.

»Bitte üben sie den Umgang damit.« Die Stimme des Professors zitterte leicht. »Sie sollten in der Lage sein, sich das Netz selbst anzulegen und auch wieder abzunehmen.«

Auf einmal war in Julia wieder ein schlechtes Gewissen geweckt. Sie hatte von ihrem Professor einen Tadel bekommen und das ärgerte sie sehr. Dass sie die Perle beim Stöbern ganz vergessen hatte, kam als Last auf ihr Gewissen noch hinzu.

»Jetzt lassen sie uns essen.« Er griff zu der kleinen Klingel, die auf dem Tisch stand und läutete.

* * *

»Haben sie zu den Perlen noch Fragen?« Herr Hegel legte sein Besteck auf den Teller und lehnte sich zurück. »Mit dem Netz sind sie ja sehr gut zurecht gekommen.«

»Ja, schon.« Julia war mittlerweile in der Lage, selbst auch über ihren Fauxpas zu lachen. »Ich hatte es einfach vergessen. Es hat mich überhaupt nicht gestört, im Gegenteil, die vielen Riemen haben mir irgendwie Geborgenheit vermittelt.« Insgeheim fragte sie sich, wer ihr gerade diese Sätze in den Mund gelegt hatte, denn immerhin saß sie mit ihrem Professor am Mittagstisch. »Doch eine Frage hätte ich noch.«

»Fragen sie ruhig.« Frau Hegel war an Julias Stimmung ebenfalls sehr interessiert. Gemeinsam wollten sie Julia das Gefühl vermitteln, dass sie auf dem richtigen Weg war und dass sie sie eher ermutigen als tadeln wollten.

»Da waren ja auch Netze dabei, bei denen vor der Perle noch so eine Platte ist. Was sind das für...« Ihr fiel kein Oberbegriff für diese Netze ein.

Frau Hegel räusperte sich, um ein wenig Zeit zu gewinnen und sich an die bereitgelegte Antwort zu erinnern. »Die Perlenplatte erlaubt es ihnen, den Mund um die Perle weiter zu schließen. Das ist vor allem dann wichtig, wenn sie die Perle mal etwas länger tragen sollten.«

Julia stand der Mund auf. Zu einer Antwort war sie nicht fähig.

»Die Kiefermuskeln ermüden dann nicht so schnell«, fügte ihr Professor hinzu.

»Ja, das ist einzusehen.« Julia fragte sich immer mehr, welche außergewöhnliche Zukunft wohl auf sie warten würde. »Es gab auch ein Netz, bei dem die Platte durchsichtig war.« Sie senkte am Ende des Satzes ihre Stimme, obwohl sie es eigentlich als Frage meinte.

»Damit kann jeder sehen, dass nicht geschummelt wird.« Herr Hegel lächelte.

»Wie meinen sie das, schummeln?« Julia erkannte die Zusammenhänge noch nicht.

»Sie tragen zwar das Netz mit der Platte, aber dahinter ist keine Perle.« Frau Hegel sprach ein wenig leiser.

»Ja, jetzt ergibt es einen Sinn.« Die Frage, ob denn so geschummelt wurde, ersparte sich Julia, denn in ihrem Unterbewusst sein war ihr klar, dass sie jetzt über die konkrete Zukunft noch nichts wissen wollte.

»Wir möchten einen Ausflug mit ihnen machen und wollten sie fragen, ob sie damit einverstanden wären?« Herr Hegel blickte kurz auf die Uhr.

»Wir möchten, dass sie uns ihren elterlichen Hof zeigen«, ergänzte seine Frau.

»Nein, nie.« Julia wurde auf einmal bleich, und ihre Angst wurde deutlich sichtbar.

»Wir müssen aber wissen, wo wir sie finden können, falls sie mit ihrer Befürchtung recht haben und ihre Brüder sie entführen.« Herr Hegel klang in diesem Moment ehrlich besorgt.

»Ja, sie haben Recht, das wäre wichtig.« Julia wurde abrupt in die Realität gezogen. »Aber was ist, wenn sie mich sehen?«

»Wir haben da etwas vorbereitet.« Sie drehte sich zu Frauke, die schon an der Küchentür wartete. »Bitte bringen sie uns, was wir vorbereitet haben.«

Auf dem Tablett, welches Frauke gleich darauf in das Esszimmer trug, sah Julia eine blonde Perücke und eine Sonnenbrille.

Auf ein weiteres Zeichen von Frau Hegel nahm Frauke die Perücke in die Hand und setzte sie Julia auf, dann reichte sie ihr noch die Sonnenbrille.

»Bringen sie bitte einen Spiegel.« Herr Hegel hatte der Verwandlung ebenfalls sehr interessiert zugesehen.

Frauke hatte sich den Spiegel offenbar schon zurecht gelegt, denn kaum, dass Julia sich die Sonnenbrille aufgesetzt hatte, konnte sie sich auch schon im Spiegel betrachten. »Wir steigen aber nicht aus, oder?«

»Das heißt, sie sagen 'ja'?« Herr Hegel schien erleichtert. Er wandte sich an die Dienerin. »Machen sie bitte alles bereit, und sie werden uns begleiten.«

Frauke blickte den Professor ungläubig an.

»Oder möchten sie lieber hier bleiben?« Herr Hegel bemühte sich um einen neutralen Tonfall.

»Oh nein, ich freue mich sehr.« Frauke machte einen fast übertriebenen Knicks. Eine gewisse Nervosität war bei ihr zu erkennen.

»So sollten sie am besten auch zur Universität fahren.« Selbst Herr Hegel hatte im ersten Moment sogar Probleme, seine Lieblingsstudentin wiederzuerkennen.

»Warum denn das?« Julia blickte auf, und ihre Miene zeigte, dass sie die Zusammenhänge noch nicht erkannt hatte.

»Meinen sie nicht, dass ihre Brüder einfach die Universität beobachten und ihnen dann folgen könnten?« Frau Hegel äußerte ihre Bedenken.

»Sie haben Recht, das würde ich ihnen wirklich zutrauen.« Julia seufzte. »Aber was soll ich denn meinen Freunden sagen?«

»Entschuldigen sie bitte, aber haben sie denn welche?« Herr Hegel stand auf. »Ich kenne sie schon lange, und meistens sehe ich sie allein.«

Julia ging verschämt in sich. Ihre einzige Freundin hatte sie quasi aus der Wohnung geworfen, und seitdem hatte es keinen Kontakt mehr gegeben. Trotzdem war Julia noch nicht überzeugt. »Wie soll das gehen? In der Uni kennen mich viele.«

»Wie wäre es, wenn die blonde Frau gleich nach der Ankunft in der Toilette verschwindet?« Frau Hegel hatte sich ebenfalls gegen mögliche Argumente gewappnet. »Und sie kommen wieder heraus.«

»Wird das keine Fragen geben?« Julias Tonfall zeigte, dass sie schon fast überzeugt war.

»Wer sollte denn fragen?« Der Professor war nebenbei recht interessiert daran, ein wenig mehr über Julias sonstigen Bekanntenkreis zu erfahren. »Außerdem kenne ich ihre Mitstudenten. Die wenigsten würden sie überhaupt vermissen, habe ich nicht recht?«

Julia wurde rot und blickte verlegen aus dem Fenster. »Ich glaube, sie haben Recht. Die meisten sind nur neidisch.« Sie hatte es schon oft gehört, dass die anderen sie bewunderten, weil ihr alles so leicht fiel.

»Und sie möchten sich vielleicht auch noch umziehen?« Er blickte zu seiner Studentin. »Nur für alle Fälle.«

Julia blickte an sich herunter und wurde wieder ein wenig rot. »Ja, natürlich.« Sie hatte schon ganz verdrängt, dass sie noch die Lacksachen trug.

»Dann machen sie sich bitte bereit, wir fahren gegen zwei Uhr los.« Frau Hegel drehte sich zu Frauke um und bat sie, ihr zu folgen.

* * *

»Wir hatten gestern über den Gürtel gesprochen, und ich hatte ihre ausweichende Antwort bemerkt.« Obwohl die Küchentür geschlossen war, sprach Frau Hegel leise mit Frauke.

Frauke verzog das Gesicht. »Ich schäme mich wegen meines Zustandes.« Gegenüber Herrn Hegel hätte sie so eine Äußerung allerdings nicht gewagt.

»Ich möchte, dass sie jetzt Julia ihre Unterwäsche zeigen.« Frau Hegel sprach leise, aber trotzdem in einem sehr resoluten Tonfall. »Im Moment ist sie sehr aufgeschlossen, und das müssen wir ausnutzen.«

Frauke seufzte tief. Sie hätte jetzt gern von sich aus um ein paar Pluspunkte gebeten, doch sie wusste, dass das verboten war.

»Sie bekommen zehn Pluspunkte, wenn sie es machen, und noch einmal zwanzig, wenn Julia dann immer noch mit dem Gürtel einverstanden ist.«

Frauke seufzte wieder. Dreißig Punkte, das war ein ganzer Monat, den sie dann früher frei wäre. Es störte sie sehr, dass sie auf diese Weise so einfach erpressbar war.

Andererseits reizte es sie, ein anderes Mädchen in den gleichen Status wie sie zu bringen. Ein wenig kam ihre lange unterdrückte sadistische Seite wieder durch. Schließlich rang sie sich zu einem 'Ich mache es' durch.

* * *

Als Frauke das Zimmer der Studentin betrat, war sie zunächst entsetzt, denn Julia hatte die Möbel umgestellt, so dass ihr kamerafreier Weg jetzt verstellt war. Zuerst wollte sie schimpfen, doch im letzten Moment sagte ihr ihre Vernunft, dass zum einen Julia ihre Möbel so hinstellen konnte wie sie wollte, und zum anderen, dass sie sich verraten würde, wenn sie sich jetzt beschwerte. Trotzdem wollte sie es zumindest 'bemerken'. »Du hast die Möbel umgestellt?«

»Ja!« Julia strahlte sie an. »Es ist dir aufgefallen?« Sie saß auf dem Bett und hatte sich gerade den Rock ausgezogen, jetzt stand sie wieder auf. »Dann kannst du zur Straßenbahn sehen, während wir uns unterhalten.«

Frauke war von dieser Geste so sehr berührt, dass sie ihren Ärger vergaß. Sie drehte sich zu Julia und begann, ihr Kleid aufzuknöpfen. »Frau Hegel möchte, dass ich dir etwas zeige. Setz dich bitte.«

Julia kam der Aufforderung nach und blickte verwundert auf die Dienerin, die ihr hoffnungslos altmodisches Dienstbotenkleid einfach vor sich auf den Boden fallen ließ. Unbewusst folgte Julia dem Kleid mit ihrem Blick, und als es am Boden lag, hob sie ihren Kopf langsam wieder.

»Was ist denn das?« fragte sie mit leiser Stimme, als sie entdeckte, dass Frauke unter dem Kleid nichts mehr weiter trug als eine Art Bikini aus Metall. Dass es ein Keuschheitsensemble war, wollte sie in diesem Moment noch nicht glauben, und sie hatte ihr bisheriges Wissen darüber einfach verdrängt.

»Das ist der Gürtel, den Carolin haben wollte.« Es faszinierte Frauke, Julia zu demselben Keuschheitsgeschirr zu überreden, dem sie selbst unterworfen war. Dabei war es nicht einmal Schadenfreude, sie fand einfach den Gedanken sehr reizvoll, Julias unschuldigen Körper ebenfalls so hinter Stahl verpackt zu wissen und vor allem dabei mithelfen zu dürfen.

Außerdem freute sie sich auch darauf, endlich eine Leidensgenossin zu haben. Es machte es etwas leichter, wenn jemand anderes das gleiche Schicksal wie sie ertragen musste. Auch wenn sie wusste, dass Julia dann Zwangsorgasmen bekam, und ihr selbst waren sie verwehrt. Es tröstete sie ein wenig, dass jetzt auch Julia die Kontrolle darüber abgeben würde, selbst wenn sie dies noch gar nicht wusste.

Frauke wusste schon gar nicht mehr, wie sich so ein Orgasmus anfühlte, so lange war es schon her, dass sie zuletzt einmal kommen durfte. Und dennoch fühlte sie keine Rache, als sie jetzt mithalf, Julia in einen ähnlichen Zustand zu versetzen.

Julia war immer noch dabei, ihren Schrecken zu verarbeiten. Natürlich wusste sie von alten historischen Keuschheitsgürteln. Sie hatte jedoch nicht erwartet, dass es so etwas heute noch gab, und erst recht nicht, dass sie selbst jetzt ihre Zustimmung dazu geben sollte, selbst einen zu tragen.

Doch sie fühlte sich besonders Carolin verpflichtet, die sich in dem Tagebuch so sehr auf ihren Gürtel gefreut hatte und den sie offenbar nicht mehr erleben durfte. 'Carolin, ich werde dich würdig vertreten', dachte sie bei sich, dann blickte sie Frauke ins Gesicht. »Eigentlich sieht es aus wie ein Bikini.«

»Aber es hat eine viel schlimmere Wirkung.« Frauke hatte kurzfristig ihre Meinung geändert, denn sie empfand schon jetzt auch ein wenig Mitleid mit Julia und ihrem unschuldigen Körper, der sich bald 'teuflischen Torturen' ausgesetzt sehen würde, wenn es bei Hegels vereinbarten Zielen blieb.

Im Gegensatz zu ihr selbst würde der Keuschheitsgürtel bei Julia nur den Zweck haben, ihr die Selbstbestimmung über ihr Intimleben zu nehmen, und daran sollte sie langsam gewöhnt werden. Im allerbesten Fall würde sie sogar daran Gefallen finden, wenn sie auf einmal mitten in der Fußgängerzone zu einem Orgasmus gezwungen werden würde - etwas, dass Frauke auch jetzt noch mehr als verabscheute.

Sie selbst war auch in der Situation gewesen, doch bei ihr hatte es einmal nicht klappen wollen. Zu sehr war sie schon von ihrer Vergangenheit geprägt gewesen, als dass sie in der Lage gewesen wäre, sich den Vibratoren einfach hingeben zukönnen. Erst am Abend im Bett schaffte sie es, sich den Reizen zu öffnen, weil sie sich hier in einer geschützten Umgebung befand.

Sie setzte sich neben Julia und ermutigte sie, ihr Ensemble ruhig einmal anzufassen.

Doch noch hielt Julia ihre Hände still. »Und der BH?« Sie sprach etwas leiser. »Wofür ist der?«

Frauke lächelte trotz der Anspannung. »Muss ich dir das wirklich erklären?« Doch die Studentin blickte so verwundert, dass Frauke weiter sprach. »Hast du das noch nie gespürt? Wenn er sie zärtlich zwischen die Finger nimmt?«

»Nein, noch nie.« Sie wollte nicht zugeben, dass es 'ihn' in dieser Form noch nicht gegeben hatte. Die wenigen Jungs, mit denen sie bisher zusammen war - sie weigerte sich, sie Männer zu nennen - waren nur an sich selbst interessiert gewesen.

Frauke beugte sie zu ihr hinüber und knöpfte ihr langsam die Bluse auf. »Warum trägst du keinen BH?«

»Ich wollte es direkt spüren.« Julia hatte Schwierigkeiten zu antworten.

»Siehst du, sie sind empfindlich.« Fraukes Hand näherte sich langsam Julias Brust, und als die Studentin nicht zurückwich, machte Frauke weiter.

Die erste Berührung ließ Julia zusammenzucken. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht aufstöhnen zu müssen.

»Du willst mir aber nicht erzählen, dass du dich selbst dort nicht berührst?« Frauke hatte mittlerweile ihren eigenen Zustand ganz vergessen.

Julia errötete noch mehr. Ohne dass sie es steuern konnte, öffneten sich ihre Lippen ein wenig. Es störte sie etwas, dass sie sich in diesem Moment als so unerfahren zeigte, denn das war sie bei weitem nicht. Doch sie mochte sich jetzt auch nicht auf eine Diskussion darüber einlassen.

Frauke wurde mutiger. Sie nahm eine Brustwarze zwischen ihre Finger und begann leicht zu reiben.

Julia schloss die Augen und stöhnte leicht auf.

»Merkst du, wie leicht du dort erregbar bist?« Frauke sprach langsam weiter. Sie genoss den Moment, denn sie wusste, dass sie gleich abbrechen würde. »Davor soll der BH dich schützen.« Sie ließ Julias Brust wieder los und ergriff stattdessen ihre Hand und führte diese auf ihre eigene Brust. »Siehst du, ich spüre davon nichts.«

Julia machte die Augen wieder auf. »Und das gehört zum Gürtel dazu?« Ihre Stimme war noch sehr leise.

»Das gehört dazu.« Frauke bemühte sich, ihre Stimme wieder neutral klingen zu lassen. Sie hatte den kleinen Moment der Verführung sehr genossen, obwohl sie ansonsten in dieser Richtung ebenfalls eher unerfahren war.

»Und was sind das für Ringe um deine Oberschenkel?« Julia wollte vor allem sich selbst nicht eingestehen, dass sie eigentlich schon wusste, was ein Keuschheitsgürtel war. Allerdings war sie sowohl von der Situation als auch von diesem Zubehör mehr als überrumpelt.

»Die Ringe bewirken, dass ich meine Beine nicht mehr spreizen kann.« Ihre Hand spielte mit der Kette zwischen den Beinen. »Ich könnte sonst versuchen, mit meinen Fingern unter den Schild des Gürtels zu greifen.«

»Also eine ganz sichere Sache.« Julia blickte nachdenklich aus dem Fenster. Insgeheim wusste sie, dass die Entscheidung, die sie jetzt treffen würde, sehr schwere Konsequenzen haben würde. »Bitte sage Frau Hegel, dass ich einverstanden bin.«

Frauke hatte eigentlich erwartet, dass sie innerlich jubeln würde, doch sie hatte in erster Linie Mitleid mit Julia, die noch nicht ahnte, was wirklich alles auf sie zukommen würde.

Es klopfte, und nach dem 'Herein' trat Frau Hegel ein. Julia sah sofort, dass sie ein Maßband, einen Zettel und etwas zu schreiben in der Hand hatte.

»Ich bin einverstanden.« Julia wiederholte ihre Zustimmung.

»Langsam, langsam, mein Kind.« Frau Hegel kam zum Bett. »Ich will ihre Zustimmung erst dann, wenn sie wissen, wie es sich anfühlt.«

»Aber das Maßband? Sie wollen doch bei mir maßnehmen.« Julia warf einen Blick auf den Zettel. »Das wird doch eine Maßanfertigung, ohne dass sie wissen, ob ich zustimme? Da ist doch etwas faul.« Ihre Stimme war aufgebracht, ohne dass sie es wirklich beabsichtigt hatte.

»Das Risiko müssen wir eingehen.« Frau Hegel führte diese Diskussion bei weitem nicht zum ersten Mal. »Sie sollen sich dagegen entscheiden dürfen, auch wenn wir viel Geld dafür ausgegeben haben.«

Julia blickte noch einmal zu Frauke.

»Außerdem hätten wir das Geld für Carolin auch ausgegeben.«

»Ich komme sehr gut damit zurecht.« Frauke streichelte Julia kurz über den Kopf. Sie verschwieg dabei allerdings, dass sie auch keine Alternative hatte.

Frau Hegel hatte die sehr zärtliche Geste bemerkt und griff sie auf. »Frauke wird sich dann um sie kümmern und ihnen bei allen Aspekten helfen.«

In Gedanken sah sich Julia schon auf dem Bett liegen, Arme und Beine an die Bettpfosten gebunden, und Frauke öffnete dann ihre eiserne Rüstung. »Du wirst dann meine Schlüsselherrin?« Erst nach dem sie es ausgesprochen hatte, wurde ihre klar, dass sie so offenbarte, sich mit dem Thema Keuschheit schon einmal befasst zu haben.

Frauke hatte schon den Mund geöffnet und wollte es gerade aussprechen, als sie von Frau Hegel unauffällig einen kleinen Hieb in die Seite bekam. »Ja, Frauke wird auf sie aufpassen.« Sie lächelte. »Ich bin froh, dass sie es uns so leicht machen.«

»Außerdem ist es ja vorrangig zu deinem Schutz.« Frauke lächelte.

Julia blickte auf die Gegenstände, die Frau Hegel immer noch in ihren Händen hielt. »Also bitte, messen sie mich aus.« Ohne dass sie dazu aufgefordert wurde, zog sie auch noch ihre Bluse aus. Zu ihrer eigenen Überraschung hatte sie überhaupt kein Problem damit, sich vor der Frau ihres Professors zu entblößen.

»Dann wollen wir mal.« Frau Hegel reichte Frauke Stift und Zettel, dann rollte sie das Maßband auseinander. »Bitte stehen sie auf.«

* * *

»Die Perücke macht eine ganz andere Person aus dir.« Frauke saß hinten im Auto neben Julia und blickte sie verwundert an.

»Das hoffe ich.« Ihrer Stimme war anzuhören, dass Julia sich bei weitem noch nicht sicher war, ob sie nicht doch erkannt werden würde. »Jetzt bitte links.« Sie waren mittlerweile in ihrem Heimatdorf angekommen, und sie gab ihrem Professor die Anweisungen, wie er zu fahren hatte.

Wieder blickte sie kurz heimlich zu Frauke, weil sie über sie verwundert war. Die ganze Zeit, während sie auf der Autobahn waren, hatte die Dienerin immer wieder schnell ihre Tränen weggewischt.

Die Studentin hatte es die ganze Zeit beobachtet, doch sie konnte sich zunächst keinen Reim darauf machen. Erst als Frauke sich aktiv für den schönen Ausflug bedankte und dabei extra erwähnte, dass sie so etwas zum ersten Mal erleben durfte, begann sie zu verstehen, was im Kopf der Dienerin vorzugehen schien.

Sehr gern hätte Julia die Hintergründe zu Frauke erfahren, doch sie war sich mittlerweile sicher, dass etwas Trauriges und vielleicht sogar Schmerzhaftes zu Tage treten würde, wenn sie in dieser Richtung weiter bohren würde. Deswegen verzichtete sie darauf, von sich aus nachzuhaken.


»Hier ist es.« Julia blickte vorsichtig durch das Seitenfenster auf den elterlichen Hof. »Dort auf der rechten Seite.«

Der Wagen blieb am Straßenrand zwischen zwei großen Bauernhöfen stehen. Herr Hegel stellte den Motor ab und schnallte sich ab.

Frau Hegel drehte sich nach hinten um. »Wir gehen ein paar Schritte, und sie kommen mit.« Sie sagte es in einem Ton, den Julia bisher noch nie von ihrer Vermieterin gehört hatte und dem sie einfach nicht zu widersprechen wagte.

Als sie die Tür öffnete, zitterte sie am ganzen Körper, und gleich nach dem Aussteigen blickte sie sich ängstlich um.

»Sie brauchen keine Angst zu haben, es wird sie keiner erkennen.« Herr Hegel blickte sich ebenfalls um. »Es scheint keiner da zu sein?«

»Um diese Zeit sind sie bestimmt alle auf den Feldern.« Julia war ein wenig erleichtert, weil sie auch keinen sonstigen Bekannten erblickte. Sie ärgerte sich, weil sie mitgefahren war, doch sie hatte es nicht gewagt, ihren Vermietern zu widersprechen.

Frau Hegel schien die Unsicherheit ebenfalls zu spüren. »Es wird sie wirklich keiner erkennen. Schauen sie sich doch einmal an.«

Julia blickte an sich herunter und musste unwillkürlich lachen. Sie sah wirklich aus wie das sprichwörtliche Mädchen aus der Stadt mit schicker weißer Bluse und einem dazu passenden fast bodenlangen Rock, der ihre Schuhe mit den hohen Absätzen gut versteckte. Darüber trug sie den besagten Mantel, bei dem im Moment aber alle restriktiven Reißverschlüsse offen waren.

So wäre sie nie im Dorf herumgelaufen.

»Außerdem tragen sie Sonnenbrille und Perücke. Wer sollte sie denn so erkennen?« Herr Hegel war ernsthaft bemüht, seiner Studentin die Angst zu nehmen.

»Waldi, der Hofhund wird mich erkennen.« Julias Stimme zeigte weiterhin ihre Angst. »Der lässt sich von so etwas nicht täuschen.«

»Aber sie sagten doch, dass er eingeschläfert werden musste.« Es tat Frau Hegel weh, Julia daran zu erinnern, doch jetzt würde es ihr vielleicht die Angst nehmen.

»Ja, sie haben Recht.« Julia wagte es jetzt das erste Mal, ihren Kopf zu heben. »Ich hoffe trotzdem sehr, dass mich keiner erkennt.«

»Und selbst wenn, wir können sie beschützen.« Herr Hegel ergriff die Hand seiner Frau. »Leben ihre Großeltern noch?«

»Mein Opa ist vor kurzem gestorben«, antwortete Julia mit leicht trauriger Stimme und senkte den Kopf.

»Dann möchten sie vielleicht sein Grab besuchen?« Frau Hegel war erleichtert, ein Ziel für den eigentlich improvisierten Spaziergang gefunden zu haben.

»Ja, das wäre schön.« Julia hob den Kopf wieder. »Ich war bisher nur ein einziges Mal da.«

Den Rest des Weges gingen sie schweigend. Immer wenn ihnen Passanten entgegen kamen, zuckte Julia zusammen, denn in dem kleinen Dorf kannte sie jeden. Doch zu ihrer Erleichterung wurde sie nie erkannt, und die Dorfbewohner grüßten eine ihnen völlig unbekannte Familie, Vater und Mutter mit offenbar zwei Töchtern.

Je näher sie dem Friedhof kamen, desto sicherer wurde Julia. »Es erkennt mich wirklich keiner.«

»Sie halten uns für eine Familie aus der Stadt, die einen Ausflug auf ein Dorf unternommen hat.« Frau Hegel lächelte.

»Und wir sind Schwestern.« Julia ergriff Fraukes Hand und hielt sie fest. »Das machen Schwestern doch so, oder? Wir gehen Hand in Hand.« Sie spürte deutlich, dass Frauke diese Geste nicht gleichgültig war.

Erst auf dem Friedhof ließ Julia die Hand der Dienerin los und trat allein an das Grab ihres Großvaters. Frauke und ihre Vermieter hielten respektvollen Abstand.

Doch zu lange wollte sie nicht verweilen, sonst wäre es bestimmt aufgefallen, dass die fremde blonde Frau sich ausgerechnet für das Grab des alten Herrn Sommer interessierte. Das hätte vielleicht Fragen gegeben.

Für den Rückweg schlug Julia einen anderen Weg vor. »Er ist zwar ein klein wenig länger, aber dann kämen wir an unserer Weide vorbei. Ich würde gern einmal nach den Tieren schauen.

* * *

Michael Sommer stand auf der Weide und war gerade dabei, das Tor zu reparieren, als er sah, dass die Kuh Rosa sehr zügig vorn an den Zaun zur Straße gegangen war. Er blickte ihr verwundert hinterher, denn so etwas machten die Kühe seiner Eltern eigentlich nie. Nur seine Schwester hätte es vielleicht schaffen können, Rosa zu so etwas zu bewegen, denn diese Kuh war Julias Liebling gewesen.

Er musste lächeln, als er daran dachte, wie es zu der engen Bindung gekommen war. Das Kälbchen war genau an Julias Geburtstag zur Welt gekommen, und deswegen durfte sie es selbst aufziehen. Das hatte zu einer sehr starken Bindung zwischen den beiden geführt, und seit Julias Fortgang hatte sich anfangs sogar Rosas Milchleistung verschlechtert.

Und dass sie jetzt an den Zaun ging, konnte nur eine einzige Ursache haben, doch genau diese Erklärung war eigentlich unmöglich. Er ließ sein Werkzeug fallen und ging langsam auf die Kuh zu.

Beim Näherkommen sah er, dass sich vier Personen auf der Straße befanden, von denen eine an den Zaun herangetreten war und Rosa streichelte. Und beim Näherkommen glaubte er sogar Tränen in dem Gesicht zu erkennen.

Die Leute sahen alle aus wie typische Leute aus der Stadt, sehr vornehmes Gewand, was hier im Dorf eher am Sonntag getragen wurde, wenn überhaupt, aber nicht an einem Freitag kurz nach dem Mittagessen.

Auf einmal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, und plötzlich erkannte er seine Schwester. »Julia?« Trotz der Entfernung zwischen ihnen sprach er leise.

»Michael?« Seine Schwester blickte erschrocken auf. »Wie hast du mich erkannt?«

»Das war nicht ich.« Michael blickte verwundert auf das große Tier. »Rosa hat dich erkannt.«

Auf einmal wurde Julias Stimme weich. »Ja, Tiere lassen sich vom Äußeren nicht täuschen.« Sie wischte sich die Tränen weg und blickte ihren Bruder flehend an. »Bitte geh wieder und vor allem verrate mich nicht.«

»Was hast du denn hier gemacht?« Michael war sehr erstaunt, seine Schwester hier anzutreffen.

»Ich war bei Opa am Grab.« Julia blickte zu Boden.

»Man sieht sich.« Michael drehte sich um und ging wieder zu seiner Arbeit, als wäre nichts gewesen.

Julia schossen wieder die Tränen ins Gesicht, und sie streichelte Rosa noch einmal über das Fell, dann ging sie mit traurigen Schritten zurück zur Straße. Auf einmal spürte sie, wie sich ein Arm um sie legte.

»Schwestern müssen doch zusammenhalten.« Frauke reichte ihr ein Taschentuch.

Julia nahm es dankbar entgegen und wischte sich damit das Gesicht.

Den Rest des Weges bis zum Auto gingen sie schweigend. Erst am Auto lockerte Frauke ihre Umarmung.

Julia schluchzte noch einmal. »Das war schön. Danke dafür.« Es war allerdings nicht ganz klar, wofür genau sie sich bedankte.

»Warum haben sie heute eigentlich die zwei Vorlesungen geschwänzt?« Herr Hegel nahm den Schlüssel zur Hand.

Julia unterdrückte den Impuls zu fragen, wie er das erfahren hatte. Sie blickte ihn erschrocken an, denn sie hatte nicht erwartet, sich rechtfertigen zu müssen. »Ich... ich...« Sie stotterte zunächst. »Ich wollte mich endlich einmal genauer im Zimmer umsehen.« Doch schnell erkannte sie, dass dies nicht die richtige Begründung sein konnte. »Die erste Vorlesung war ausgefallen, und dann hätte ich noch eine Freistunde gehabt. Dann erst wären die beiden Vorlesungen gewesen.« Sie nannte die Fächer der beiden Vorlesungen und blickte ihren Professor an wie ein kleines Kind, dass bei Unfug ertappt wurde.

»Ja, das hätte ich genauso gemacht.« Herr Hegel öffnete das Auto. »Steigen wir ein und fahren zurück.«

Insgeheim war Julia sehr erleichtert. Durch die Frage hatte er alle ihre Gedanken an den elterlichen Hof vertrieben, und der Ausflug hatte ihr nebenbei auch gezeigt, dass ihre Tarnung wirklich belastbar war.

»Sie müssen noch den geänderten Vertrag unterschreiben.« Herr Hegel wartete, bis sich alle angeschnallt hatten. »Das machen sie bitte, bevor sie den Handschuh anprobieren.«

Trotz ihrer Anspannung musste Julia lachen. »Ja, natürlich. Umgekehrt geht es auch schlecht.«

* * *

Julia hatte es vor lauter Anspannung nicht mehr in ihrem Zimmer gehalten, seit Frau Hegel angekündigt hatte, dass sie nach dem Kaffee bei ihr vorbeikommen würde, um ihr das erste Mal Carolins Handschuh anzulegen. Sie war hinunter gegangen und hatte Frauke gefragt, ob sie ihr beim Tischdecken helfen könne.

Natürlich wusste sie, dass sie es damit nicht beschleunigen konnte, doch so war sie wenigstens ein wenig abgelenkt. Außerdem hoffte sie, die erste zarte Bindung an ihre neue 'Schwester' etwas verstärken zu können.

Sie hatte sich in Rekordzeit umgezogen und hatte sogar darauf verzichtet, sich auf dem Weg von ihrem Zimmer bis zur Treppe den Reißverschluss des Rockes ganz zu schließen, was ihr einen Eintrag in ihr schlechtes Gewissen einbrachte. Doch die Vorfreude auf Carolins Handschuh war stärker.

Nachdem Hegels sich gesetzt hatten, bekam sie die Änderung ihres Mietvertrages vorgelegt und musste die wenigen Sätze, die auf dem Blatt standen, erst lesen und dann unterschreiben. Damit verpflichtete sie sich, die Nacht immer im strengen Nachthemd zu verbringen und bekam dafür die Erlaubnis, den Mantel nur noch dann zu tragen, wenn sie es für sicher und richtig hielt. Ausnahmen von dieser Klausel waren möglich, mussten aber mit Hegels abgesprochen werden.

»Okay, das hätten wir.« Herr Hegel nahm Julia eines der beiden Schriftstücke wieder ab und steckte es sich in sein Jacket, nachdem er es zweimal gefaltet hatte. »Ihr Exemplar legen sie bitte zu ihrem Mietvertrag.« Er sah zu seiner Frau. »Jetzt hätte ich gern eine Tasse Kaffee.«

Julia blickte sich kurz im Raum um, und ihr Blick blieb auf der Kommode hängen. Jetzt war dort eine Fotografie in einem Rahmen aufgestellt, und Julia erkannte das Bild. Es zeigte das Mädchen im Handschuh von der Seite. Ihre Nervosität steig noch weiter, und sie hatte stellenweise Schwierigkeiten, ihre Tasse festzuhalten.

»Frauke, stellen sie das Bild bitte auf den Tisch, damit sich Julia nicht immer den Hals verdrehen muss.« Herr Hegel genoss sichtlich die Situation.

Frauke kam der Aufforderung nach, und Julia wurde noch eine Spur röter.

Durch die drei Bilder von Carolin wusste sie ungefähr, was auf sie zukommen würde, und sie fragte sich, ob es sich besser anfühlen würde, als bei den Straf- und sonstigen Aktionen ihrer Brüder. Sie hatten ihr oft die Arme auf den Rücken gebunden, doch bei diesen Aktionen hatte sie immer noch die Hände frei gehabt.

Bei diesem Handschuh wären ihre Finger unten in der Hülle gefangen, und sie würde ihre Arme nur noch wie einen Stock einsetzen können. Sie war insgeheim erleichtert, dass sie es gewöhnt war, mit leichten Restriktionen umgehen zu müssen. Für Carolins Aufgabe würde ihr dies sicher helfen.


Endlich hob Herr Hegel die Kaffeetafel auf, in dem er aufstand und den Raum verließ. Julia blickte Frau Hegel sehr erwartungsvoll an.

»Bitte gehen sie auf ihr Zimmer und ziehen sich ein bequemes Oberteil an, welches die Arme frei lässt.« Sie blickte kurz auf das Foto. »Sie könnten dann die Handschuhe schon einmal bereit legen.«

Julia folgte dem Blick und erkannte, dass das Mädchen auf dem Foto ein Art Spaghetti-Top trug.

»Und denken sie bitte daran, was sie bezüglich ihres Rockes versprochen haben.« Frau Hegel war sehr fasziniert von Julias freiwilliger Bereitschaft, sich in ihre Kleidung einzusperren. »Frauke, sie räumen in der Zwischenzeit den Tisch ab.« Sie blickte sie an und zwinkerte kurz in ihre Richtung.

Kaum waren Julias Schritte auf der Treppe zu hören, als Frau Hegel ihre Dienerin zu sich bat. »Sie kommen bitte mit und helfen mir.«

Als Frauke ein wenig verwundert auf den Tisch blickte, fuhr sie fort. »Das können sie später auch noch machen. Ich möchte, dass sie dabei sind. Falls Julia in dem Handschuh kommt, nehmen sie sie dann bitte in den Arm und streicheln sie. Dafür bekommen sie auch ein paar Pluspunkte.«

Frauke lächelte. »Sie meinen, dass es passieren könnte?«

»Ich rechne stark damit.« Frau Hegel blickte zum Treppenhaus. »So nervös war sie schon lange nicht mehr.«

»Sie haben sie ja auch ordentlich aufgeheizt.« Die Dienerin lachte und stellte das Bild wieder auf die Kommode.

»Vorsicht Frauke, das ist ganz dünnes Eis.« Doch dann lachte sie auch. »Doch sie haben schon Recht.«

»Wird sie auch eine Perle tragen?« Frauke konnte das Leuchten in ihren Augen nicht unterdrücken.

»Nein.« Frau Hegel widersprach. »Sie soll mir beschreiben können, wie sie sich fühlt.«


Oben an der Treppe blieb Julia stehen und beugte sich hinab, um sich den Rock zu schließen. Hatte Frau Hegel wirklich gewusst, dass sie vorhin geschummelt hatte? Warum hätte sie sie sonst noch mal ausdrücklich an ihre Selbstverpflichtung erinnern sollen? Auf jeden Fall nahm sie sich vor, ab jetzt grundsätzlich ehrlich zu bleiben. Ohne schlechtes Gewissen lebte es sich einfach leichter.

In ihrem Zimmer angekommen machte sie zunächst auf dem Schreibtisch Platz, dann ging sie zum Schrank und trug die Schublade mit den diversen Handschuhen auf den Schreibtisch. Ihre Hände zitterten, als sie den ersten Handschuh heraus holte und ihn genauer untersuchen wollte. Doch dann hielt sie inne, denn sie erinnerte sich wieder daran, dass sie sich noch ein anderes Oberteil anziehen sollte.

Sie blickte an sich herunter, und ihr fiel auf, dass sie auch noch die Straßenkleidung trug. Nach dem Spaziergang war sie so auf den Handschuh fixiert gewesen, dass sie ganz vergessen hatte, sich umzuziehen. Jetzt war sie erleichtert, dass sie diesbezüglich keinen Tadel bekommen hatte.

Sie befreite sich von dem Rock, dann ging sie zum ersten Schrank und machte sich auf die Suche nach einem geeigneten Kleidungsstück. Schnell hatte sie ein ebenfalls schwarzes Top gefunden und zog es über.

Als sie danach zum Lackrock griff, fiel ihr ein, dass sie das Top eigentlich hätte im zweiten Schrank suchen müssen. Sie zog sich den Rock an, schloss alle Reißverschlüsse und trat dann vor den zweiten Schrank. Doch so sehr sie auch suchte, sie fand nichts Entsprechendes. Alle Oberteile in diesem Schrank waren mit langen Ärmeln.

»Haben sie sich schon mit den Handschuhen vertraut gemacht?« Frau Hegel schloss die Tür hinter sich, nachdem auch Frauke eingetreten war.

»Nein.« Julia musste eingestehen, dass sie schon wieder einer Aufforderung nicht nachgekommen war. »Ich bin noch dabei, ein Lacktop zu suchen, habe aber bisher nichts gefunden.«

Frau Hegel drehte sich kurz zu Frauke und flüsterte. »Haben wir die vergessen?«

»Könnte schon sein.« antwortete Frauke in der gleichen Lautstärke. »Wie kommen wir da wieder heraus?«

»Ich lasse mir etwas einfallen.« Frau Hegel kam näher und blickte Julias Oberkörper an. »So geht es ja auch.« Insgeheim ärgerte sie sich sehr über diesen Fehler. In der aktuellen Situation konnte jede Kleinigkeit das so mühsam aufgebaute Kartenhaus zum Einsturz bringen.

Julia ging mit eiligen Schritten zum Schreibtisch und warf wieder einen Blick in die Schublade. »Ich wollte sie nach Farben sortieren.« Natürlich wusste sie, dass die Farbe sicher ein unwichtiges Kriterium war, doch sie wollte ihr Interesse bekunden.

»Das ist zwar möglich, aber nicht zielführend.« Frau Hegel kam ebenfalls zum Schreibtisch. »Es gibt zwei andere wichtige Kriterien, nach denen die Handschuhe unterschieden werden.« Sie hob den Handschuh auf, den Julia schon herausgenommen hatte. »Dies hier ist zum Beispiel ein Ledermeister-Handschuh zum Schnüren.«

»Es geht darum, wie sie zu schließen sind und wie die Halteriemen verlaufen.« Frauke kam näher. Auch sie war sehr gespannt, wie Julia auf die Handschuhe reagieren würde.

»So einen hat Carolin auf dem Foto getragen?« Julias Stimme wurde etwas leiser.

»Ja, das ist richtig.« Frau Hegel nahm es nebenbei zur Kenntnis, dass Julia das Mädchen auf dem Foto mit 'Carolin' bezeichnet hatte, obwohl sie ihr gesagt hatte, dass es von ihrer Tochter keine Fotos gebe. »Das ist aber ein Handschuh für Fortgeschrittene. Anfänger sollten mit einem anderen Handschuh anfangen.«

»Was genau sind die Unterschiede?« Eigentlich konnte Julia die Zeit nicht abwarten, doch sie wollte trotzdem Geduld zeigen.

»Der Handschuh kann entweder mit einem Reißverschluss oder mit einer Schnürung geschlossen werden.« Frauke nahm ein weiteres Exemplar aus der Schublade und legte es neben den ersten Handschuh, so dass Julia vergleichen konnte.

Julia blickte wortlos auf die beiden Handschuhe, die jetzt vor ihr lagen. Sie fragte sich, ob sie sich selbst für eine Variante entscheiden müsste.

»Der wichtige Unterschied ist, dass es bei der Schnürung noch möglich ist, den Handschuh vielleicht nicht ganz zu schließen.« Frauke blickte zu Julia und lächelte sie an.

»Verstehe.« Julia nahm den Blick auf. »Bei dem Reißverschluss gibt es diese Möglichkeit nicht.« Sie nahm den entsprechenden Handschuh in die Hand. »Entweder er passt oder...« Sie sprach nicht weiter, sondern legte den Handschuh wieder zurück.

»Es gibt noch einen ganz speziellen Trainingshandschuh, dieser hat einen Reißverschluss und eine Schnürung.« Frau Hegels Stimme war leise. Insgesamt war sie mit Fraukes Handlungen bis jetzt sehr zufrieden.

Julia schien laut zu denken. »Mit der Schnürung kann er angepasst werden und kann dann mit dem Reißverschluss schnell an- und abgelegt werden?«

»Genauso ist es.« Frau Hegel war mit den bisherigen Verlauf sehr erfreut. »Das wird ihre Hausaufgabe für morgen, wenn sie mit Frauke allein sind. Sie passen sich den Traningshandschuh für sich an und können ihn dann schnell an- und ablegen.«

Julia blickte verwundert auf.

»Wir hatten ihnen doch gesagt, dass wir auf morgen auf einer Hochzeit eingeladen sind.« Frau Hegel war sich nicht ganz sicher, in wie weit sie Julia schon über die Pläne für das Wochenende informiert hatte. »Die Hochzeit eines Oberengels.«

»Stimmt, das hatten sie gesagt.« Julia gab sich verlegen. »Und mit welchem Handschuh sollte ich anfangen?«

»Der zweite Unterschied ist der Verlauf der Halteriemen, und für Anfänger ist der X-Riemen der bessere.« Frau Hegel griff in die Schublade und zog recht zielstrebig einen weiteren diesmal schwarzen Handschuh heraus. »Der heißt so, weil die Riemen über der Brust ein Kreuz bilden. Mit dem hier fangen wir an.« Sie legte die Lederhülle vor Julia auf den Tisch.

Julia schluckte. Jetzt würde es also losgehen. Bis jetzt konnte sie den Moment nicht erwarten, doch auf einmal hatte sie Angst vor dem Kommenden. Sie nahm den Handschuh in die Hand, um ihn scheinbar genauer zu betrachten. Stattdessen wollte sie aber nur noch etwas Zeit gewinnen.

»Sollen wir dir vorher die Arme auf dem Rücken zusammenbinden? Das macht es vielleicht etwas einfacher.« Frauke hatte das Zögern auch bemerkt, und es hatte sie an ihre eigenen Versuche erinnert.

»Nein, das wird nicht nötig sein.« Julia ließ den Handschuh auf den Tisch fallen, dann legte sie ihre Arme auf den Rücken. Ihre Ellenbogen berührten sich fast. Sie drehte sich um, so dass sie ihre Arme zeigen konnte.

»Super, Schwesterchen, bleib bitte gleich so.« Frauke griff sich den Handschuh und trat neben Julia. »Zeig mir deine Arme, halte still und lächle.«

In diesem Moment war Julia wie gelähmt. Sie hätte es gern noch etwas hinausgezögert, doch sie konnte sich jetzt quasi nicht mehr bewegen. Mit Gänsehaut fühlte sie, wie Frauke langsam die Lederhülle an ihren Armen empor zog.

Frau Hegel war hinzugetreten und fasste hier und da mit an, hielt sich ansonsten aber weitgehend zurück.

»Zuerst werden wir die Riemen anlegen.« Frauke trat vor Julia und lächelte sie an, während sie für den richtigen Verlauf der Riemen sorgte.

Frau Hegel nahm die Enden entgegen und führte sie sofort in die ansprechend wartenden Schnallen ein. »Wenn die Schnürung geschlossen ist, ziehen wir die Riemen noch einmal nach.«

Frauke machte sich daran, die Schürung auf Julias Rücken zu schließen.

Was sie genau tat, konnte Julia nicht erkennen, doch sie spürte deutlich, wie sich ein leichter Druck immer weiter über ihre Arme legte und dabei immer weiter nach oben wanderte. Sie biss sich auf die Lippen, um ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Noch war die Angst vor dem Unbekannten größer als ihre Erregung. Immer fester legte sich das Leder um ihre Arme, und dabei war es doch nicht unangenehm, im Gegenteil, Julia war dabei, sich zunhehmend wohl zu fühlen.

»So, fertig.« Fraukes Stimme war ungewohnt leise. Sie trat ein paar Schritte zurück.

»Ziehen sie bitte jetzt noch die Riemen nach.« Frau Hegel war von Julias veränderter Erscheinung ebenfalls sehr beeindruckt. »Mindestens ein Loch auf jeder Seite sollte es noch enger werden.«

»Kann ich meine Arme jetzt entlasten?« Die Formulierung kam Julia zwar etwas komisch vor, doch sie wusste es in dem Moment nicht besser auszudrücken.

»Momentchen noch.« Frauke trat wieder hinter Julia und zog die Riemen noch etwas fester.

Julia stöhnte leicht, als sie spürte, dass die Riemen den Druck auf ihren Körper etwas erhöhten.

»Geht es so?« Frauke hatte das Stöhnen auch bemerkt und wollte sicher gehen, dass es Julia gut ging.

»Es passt schon.« Julia keuchte und war um eine glaubwürdige Stimme bemüht. »Es ist ein sehr angenehmer Druck.«

»Jetzt möchten sie sich sicherlich im Spiegel betrachten.« Frau Hegel ließ ihren Blick durch das Zimmer wandern.

Schon bei den ersten Schritten merkte Julia, dass ihr jetzt ihre Arme fehlten, die sie sonst als Balancierhilfe genommen hatte. Sie äußerte dies.

»Ja, das ist richtig.« Frau Hegel hatte Schwierigkeiten zu antworten, so sehr war sie von Julias neuer Erscheinung fasziniert. »Ich empfehle ihnen, das Gehen mit dem Rock und dem Handschuh möglichst oft zu üben.«

Julia nickte, dann trat sie vor den Spiegel und blickte hinein. »Das sieht toll aus«, sagte sie leise, nachdem sie begonnen hatte, sich zu drehen. Ein leichtes Stöhnen war zu hören.

»Mein Mann lässt ausrichten, dass er sie sehen möchte, wenn wir mit ihnen fertig sind.« Frau Hegel sprach weiterhin mit leiser Stimme.

»Sind sie sicher?« Julias innere Spannung wechselte auf einmal zu Unsicherheit. »Mit dem Handschuh, wirklich?« Es war ihr deutlich anzuhören, wie wenig sie sich mit dem Gedanken anfreunden konnte, sich so ihrem Professor zeigen zu müssen.

»Er sgte etwas von einem 'Trainingsplan' und dass er sehen möchte, wo er sie 'abholen' kann.« Der Tonfall blieb unverändert.

Julia wurde langsam wieder nüchtern, und sie begriff, dass sie offenbar schon einige Schritte auf Carolins geheimnisvollem Weg gegangen war, ohne dass es ihr wirklich bewusst geworden war. Sie warf noch einmal ein Blick in den Spiegel und verzog auf einmal das Gesicht.

Frauke hatte dies sofort bemerkt. »Was ist los? Was gefällt dir nicht?«

»Ich würde mich gern noch einmal kämmen.« Normalerweise legte sie wenig Wert auf ihr Äußeres, doch jetzt war es eine willkommene Gelegenheit, um das Unvermeidliche noch etwas hinauszuzögern.

»Das mache ich doch gern.« Frauke griff zu der bereitliegenden Bürste und strich Julia damit nach deren Anweisungen durch ihr Haar.

Frau Hegel beobachtete dies nicht ohne Stolz. »Ihr zwei ergänzt euch gut.« Sie nahm sich den kleinen Block zur Hand und schrieb etwas hinein. Als sie Fraukes neugierien Blick bemerkte, fügte sie ein 'Fünf Extrapunkte, sie machen das sehr gut.' hinzu.

Frauke machte einen Knicks und kam ihrerseits ins Grübeln. Seit sie sich um Julia zu kümmern hatte, hatte sie schon sehr viel Pluspunkte bekommen, mehr als in all der Zeit davor. Sie begann Julia nicht mehr als Störenfried zu betrachten, der sie aus ihrem Zimmer vertrieben hatte, sondern als die kleine Schwester, um die sie sich zu kümmern hatte. Und die in dem Handschuh wirklich zum Anbeißen süß aussah.

Sie freute sich schon sehr auf den morgigen Tag, vor allem weil sie den Auftrag hatte, für Julia den Trainingsmonohandschuh anzupassen. Und sie hatte schon eine Idee dazu.

Auf einmal schrie Julia auf.

»Was ist los?« Frau Hegel sah sie besorgt an.

»Ich habe mir den Rock ganz geschlossen.« Julia keuchte.

»So wie es sein soll.« Frauke strich ihr weiter mit der Bürste durchs Haar. Auch sie war von Julias jetziger Erscheinung sehr fasziniert. »Was ist damit?«

»Wenn Herr Hegel mich sehen will, muss ich doch Treppensteigen.« Ihre Stimme zeigte ihre ernste Besorgnis.

Zunächst war Frauke amüsiert und fasziniert von Julias Sorgen. »Dann musst du halt hinunter hüpfen.«

»Frauke, bitte.« Frau Hegel war über Fraukes Antwort nicht erfreut.

Frauke entschuldigte sich. »Natürlich helfen wir dir dabei.«

»Aber unten nach der Treppe macht ihr ihn bitte wieder zu.« Julias Stimme war leise. »Schließlich habe ich das versprochen.« Dabei fragte Julia sich, was sie machen würde, wenn der Reißverschluss noch offen wäre und sie eine Perle tragen würde. Dann könnte sie es nicht mehr reklamieren.

Insgeheim fragte sie sich, wie es wohl sein würde, wenn sie den geschlossenen Rock, die Perle und den Handschuh tragen würde. Dann könnte sie nichts mehr ändern und könnte auch nicht mehr um Änderungen bitten. Sie bekam eine Gänsehaut, gleichzeitig freute sie sich aber auf dieses Abenteuer. Ob sie Frauke wohl fragen könnte, dies einmal mir ihr auszuprobieren? Vielleicht würde sie dazu noch das Halskorsett tragen?

Doch dann stutzte sie. Ob sie wirklich den Mut aufzubringen, sich der Dienerin so drastisch auszuliefern? Sie kam ins Grübeln. Morgen würde sie fast einen ganzen Tag mit Frauke allein sein. War ihr Vertrauen in die seltsame Dienerin und ihre angehende Schwester wirklich schon so ausgeprägt, dass sie sich dieses Niveau von Hilflosigkeit wirklich zutraute?

Sie beschloss insgeheim, es erst einmal langsam anzugehen. Sie wollte es in der Hand behalten, wann sie wie viel Kontrolle abgab. Denn noch wusste sie nur so wenig von Frauke, dass ein weitergehendes Vertrauen noch nicht gerechtfertigt war.

Doch jetzt war es Zeit, sich dem Unvermeidlichen zu stellen. Sie drehte sich um und ging langsam und vorsichtig in Richtung der Zimmertür, die Frau Hegel schon aufhielt. Zu ihrer Erleichterung bemerkte sie, dass sie mit jedem Schritt sicherer wurde.

Bis zur Treppe hatte sie herausgefunden, dass sie ihre auf dem Rücken zusammengefassten Arme weiterhin zum Balancieren einsetzen konnte, es waren lediglich andere Bewegungsabläufe notwendig.


»Guten Tag, Herr Professor Hegel. Erlauben sie, dass ich mich bei ihnen vorstelle?« Sie versuchte einen Knicks, der ihr zu ihrem eigenen Erstaunen sogar leidlich gelang. Die volle Anrede benutzte sie nur äußerst selten, seit ihr Professor ihnen allen die kurze Version angeboten hatte.

»Guten Tag, Frau Sommer.« Herr Hegel lächelte, dann sprach er in der gleichen Freundlichkeit weiter. »Ich freue mich, dass sie meinem Rat gefolgt sind und jetzt den Handschuh tragen.«

»Es ist wesentlich leichter, als ich es erwartet hatte.« Julia versuchte ein Lächeln, doch sie war immer noch sehr angespannt.

»Habt ihr den Handschuh abgeschlossen?« Herr Hegel wandte sich an seine Frau, die gleich nach Julia das Wohnzimmer betreten hatte.

»Nein. Ich dachte, dass das hier nicht nötig sein würde.« Sie lächelte ihn ebenfalls sehr glücklich an.

»Wofür denn das?« Julia war über die Frage innerlich empört, doch davon wollte sie erst einmal noch nichts zeigen. »Ich kann doch meine Arme ohnehin nicht mehr benutzen.«

»Das ist schon richtig, Julia.« Herr Hegel bat seine Studentin, näher zu kommen. »Aber sie könnten jemanden dritten bitten, sie aus dem Handschuh herauszulassen.«

»So etwas trauen sie mir zu?« Jetzt war Julia richtig empört, allerdings weil sie mit Vorwürfen aus einer Richtung konfrontiert wurde, die sie gar nicht erwartet hatte.

»Nun ja.« Er bat Julia, sich mit dem Rücken zu ihm zu drehen. »Carolin hat das immer versucht.«

»Ach so«, seufzte sie. »So hatte ich das nicht gemeint.« Sie hatte das Gefühl, sich schon wieder entschuldigen zu müssen.

»Zeigen sie mir einmal ihre Schuhe.« Herr Hegels Miene zeigte reges Interesse.

Julia drehte sich wieder um und versuchte, jeweils auf einem Bein zu stehen und dabei ihre Schuhe zu zeigen. Es waren die flachen Treter, mit denen sie eigentlich immer unterwegs war.

»In Zukunft tragen sie bitte zu dem Handschuh Schuhe mit hohen Absätzen.« Er wandte sich an seine Frau. »Von Carolin müssten doch noch entsprechende Schuhe da sein, damit wir das Wochenende überbrücken können.«

»Ja gewiss.« Seine Frau versprach, sich gleich auf die Suche zu machen.

»Montag fahren wir in die Stadt, passende Schuhe kaufen.« Herr Hegel blickte zwischen seiner Frau und Julia hin und her.

»Warum denn?« Julia war der Meinung, dass sie ihre Schuhe selbst auswählen durfte. »Davon stand nichts im Vertrag.«

»Elisabeth, magst du es ihr erklären? Ich denke, das ist Frauensache.« Bewusst oder unbewusst schaffte er es, so eine weitere Verbindung zwischen den Frauen zu ziehen.

»Julia«, Frau Hegel räusperte sich. »Wenn sie High Heels tragen, wird ihr ganzer Körper gestreckt und das Tragen des Handschuhs wird ihnen noch viel leichter fallen.«

Julia lächelte erleichtert. »Na, dann mache ich das gern.«

»Spüren sie schon etwas in den Armen?« Herr Hegel wandte sich mit dem Blick wieder seiner Studentin zu.

»Nein, bisher nicht.« Julia kannte diese Haltung schon lange, und es gab für sie keinen einzigen Grund zur Beschwerde.

»Darf ich sie einmal anfassen?« Herr Hegel lächelte Julia an.

»Gern.« Es war das aller erste Mal, dass ihr Professor ihr gegenüber so etwas äußerte.

»Ich möchte sehen, wie angespannt oder locker ihre Muskeln sind.« Langsam strichen seine Hände über ihre Arme.

Julia blickte zu Boden, sonst hätte sie bemerkt, wie sehr die Augen ihres Professors leuchteten. Nur nebenbei ging ihr durch den Kopf, dass sie gerade eine ganz neue Seite ihres Professors entdeckte.

»Sie haben wirklich Potential.« Er war mit der Inspektion ihrer Arme sehr zufrieden. »Sie könnten nicht nur eine gute Architektin werden, sondern auch ein guter...«

In diesem Moment bekam seine Frau einen Hustenanfall und er konnte nicht weitersprechen.

Julia hätte gern gewusst, was er hätte sagen wollen, doch sie spürte, dass es unangebracht war, diesbezüglich nachzufragen. Trotzdem war sie über die Anerkennung ihre Professors sehr erfreut und stolz.

»Jetzt nehmt ihr bitte den Handschuh wieder ab, dann entwerfen wir den Trainingsplan.« Die Stimme von Herrn Hegel war etwas leiser.

Zuerst wollte Julia protestieren, doch dann sah sie, wie Frauke einen Finger auf ihre Lippen legte.

Herr Hegel hatte Julias Reaktion trotzdem wahrgenommen. »Sie wollten sich doch Carolins Aufgabe stellen.«

Julia nickte.

»Dafür müssen sie einiges üben, und dafür würden wir einen Plan ausarbeiten.«

Frauke war schon dabei, die Schnürung zu öffnen, als Julia an sich herab blickte und sehr erstaunt war. So groß hatte sie ihre beiden Lieblinge noch nie gesehen. Doch als sie gleich darauf ihre Arme wieder bewegen konnte, sah es wieder normal aus.

»Sie sollten immer nach der Abnahme des Handschuhs ein paar Gymnastikübungen machen.« Herr Hegel stand auf und ging zum Schrank. »Frauke, können sie ihr morgen etwas dazu zeigen?«

Frauke versuchte ein höfliches Stöhnen. »So langsam brauche ich eine Liste.«

»Die können sie bekommen.« Frau Hegel lächelte. »Es steht ja einiges an für sie zwei an.« Sie verließ den Raum.

»Ich möchte dann mit ihnen noch den Trainingsplan ausarbeiten.« Der Professor bat Julia, sich zu setzen. »Ich möchte festlegen, wie lange sie den Handschuh täglich tragen dürfen.« Er hatte jetzt einen Block in der Hand und kam wieder zum Tisch.

»Sie meinen 'minimal tragen müssen'?« Julia dachte an das Naheliegende.

»Nein«, lächelte Herr Hegel. »Ich meinte 'maximal tragen dürfen'.«

»Warum das denn?« Julia war sichtlich verwundert.

»Nun ja, sie sind auch eine sehr gute Studentin, und ich möchte nicht, dass sie ihr Studium vernachlässigen.« Herr Hegel blickte kurz zu Frauke, die etwas unsicher an der Tür stand. »Und sie können mir nicht erzählen, dass sie mit dem angelegten Handschuh gut lernen können. Das hat Carolin auch nicht geschafft.«

»Nein, das stimmt.« Julia wurde rot. »Lernen geht damit nicht.« Doch tief in ihrem Inneren war ein Gedanke geboren. Der Wunsch nämlich, trotz angelegtem Handschuh lernen zu können. Doch noch hatte sie keine Ahnung, wie sie diese Idee umsetzen konnte.

* * *

Frau Hegel kam zurück. »Wir möchten dann noch das Wochenende besprechen.« Sie reichte Frauke eine Liste. »Ich habe ihnen hier aufgeschrieben, was für den Samstag alles wichtig ist.«

Die Dienerin warf einen Blick auf die Liste. Ihrer Miene war dabei nicht zu entnehmen, ob sie es für einfach oder schwer hielt, alles abzuarbeiten.

»Mein Mann und ich sind morgen auf einer Hochzeit eingeladen, falls wir das noch nicht gesagt hatten.« Sie blickte kurz zu ihrem Mann. »Ich denke, es steht genug auf der Liste, so dass sie beide sich nicht langweilen werden.«

»Ich erlaube ihnen, mit der Perle, dem Halskorsett und dem Handschuh zu trainieren.« Sie blickte kurz zu ihrem Mann. »Aber bitte nacheinander, nicht gleichzeitig.«

Julia und Frauke entglitt fast gleichzeitig ein 'Schade!' und beide mussten lachen.

»Bitte halten sie sich daran und teilen sie sich die Zeit gut ein.« Herr Hegels Stimme wurde ernst. »Und ich möchte meine Studentin auch an die demnächst anstehenden Prüfungen erinnern.«

»Ich habe Berta Bescheid gesagt, sie wird vorbei kommen und für euch kochen.« Frau Hegel blickte aus dem Fenster. »Ihr müsst euch also nicht um das Mittagessen kümmern.«

»Beim Frühstück werden wir noch hier sein«, ergänzte ihr Mann. »Falls sie also bis dahin noch Fragen hätten, stellen sie sie ruhig. Wir werden um acht Uhr losfahren.«

»Du wolltest noch wegen Sonntag fragen«, erinnerte Frau Hegel ihren Mann.

»Ach ja.« Herr Hegel lächelte kurz, dann wurde er wieder ernst. »Frau Sommer, wir würden sie bitten, uns am Sonntag in den Gottesdienst zu begleiten. Welcher Religionsgemeinschaft gehören sie an?«

Julia wurde rot, denn seit sie den elterlichen Hof verlassen hatte, hatte sie keine Kirche mehr von innen gesehen. Sie äußerte dies. Insgeheim war sie über die Einladung sogar erfreut, denn ihre bisherigen Sonntage verliefen eher einsam und langweilig.

»Dann haben sie sicher keine Probleme, wenn sie uns begleiten.« Herr Hegel erklärte, dass die evangelische Kirche besucht werden würde. »Sie können ja bei all den Zeremonien einfach sitzen bleiben.« Er holte tief Luft. »Wären sie bereit, Carolins Engelsuniform anzuziehen?«

Sofort fielen Julia das kleine Schlüsselbrett mit den drei Schlüsseln ein, und wieder begann sie nervös zu werden.

»Du bist schon wieder unfair, Winfred.« Seine Frau unterbrach ihn. »Julia weiß doch gar nicht, worum es sich dabei handelt.«

»Du hast Recht, Elisabeth.« Er wandte sich an Frauke. »Würde sie bitte Julia morgen auch die Engelsuniform zeigen und anprobieren?«

Frauke nahm den Stift, den Frau Hegel ihr reichte, und schrieb etwas auf ihre Liste. »Auch die Kirchenhandschuhe?« Sie erschauderte bei dem Gedanken an dieses deutliche Symbol einer Blasphemie, zumindest hatte sie es damals die ganze Zeit so empfunden.

»Ja, diese Handschuhe bitte auch.« Herr Hegel lehnte sich zurück. »Wir erwarten dann Sonntag morgen ihre Entscheidung. Und seien sie versichert, wir sind nicht enttäuscht, wenn sie 'nein' sagen.«

Julia hatte so langsam Schwierigkeiten, die Sachen auseinander zu halten, zu denen sie aufgrund der Miete verpflichtet war und denen, die sie freiwillig leisten wollte, weil sie für sich schon beschlossen hatte, Carolins Erbe anzutreten. Vor allem hatte sie dies Hegels gegenüber noch nicht geäußert.

Frau Hegel sprach das nächste Thema an. »Sie wollen heute Nacht den Schmetterling ausprobieren?«

Julia wurde rot und senkte den Kopf. Eine Antwort gab sie noch nicht. Zu ihrer Erleichterung stand Herr Hegel auf und verließ das Wohnzimmer.

Frau Hegel wiederholte ihre Frage.

Frauke kam zu Julia und strich ihr über den Kopf. »Trau dich ruhig, ja zu sagen.« Es wird schön sein.

Julia hatte etwas Angst vor ihrem eigenen Mut. »Ich glaube schon.« Es war letztendlich die Angst vor dem Unbekannten, die sie zögern ließ.

»Sie wissen, dass wir sie dafür auf dem Bett festbinden wollen?« Natürlich war es eine sehr heikle Frage, aber sie mussten Julia das scheinbare Gefühl geben, dass sie bei allem, was ihre Zukunft betraf, mitbestimmen durfte.

»Ja, das hatten sie gesagt.« Julia merkte, wie sehr ihre Stimme zitterte.

»Und sie sind damit einverstanden?« Frau Hegel hakte nach. Bisher hatte fast jedes Mädchen auf die gleiche Weise reagiert.

»Ich muss ja wohl.« Julia wollte nicht widersprechen, aber auch nicht zugeben, dass sie sich darauf freute.

»Julia, es wird sie hier niemand zu irgendetwas zwingen.« In diesem Moment war ihre Stimme sehr ernst. »Wenn sie es nicht möchten, respektieren wir ihr 'nein' natürlich.« Natürlich war sie sehr gespannt, wie Julia auf die süße Folter reagieren würde.

Julia kam ernsthaft ins Grübeln. Sie blickte aus dem Fenster, dann zu Frauke, die ihr aufmunternd zunickte und ein 'es ist schön' zuflüsterte.

Julia dachte nach. Sie würde sich nicht mehr selbst berühren können, denn in diesem Nachthemd waren ihre Hände gefangen. Keine Chance, ihr Paradies erreichen zu können.

Letztendlich würde der Schmetterling die einzige Möglichkeit sein. Es störte sie nur ein wenig, dass sie sich so einer Maschine auslieferte. Eine Maschine, von der sie durch Frauke erfahren hatte, dass sie sie 'foltern' würde. Ihre 'Schwester' hatte sie diesbezüglich schon gewarnt, dass dieses Teufelsding sich oft zu früh wieder abschaltete und ihr den Höhepunkt zunächst vorenthalten würde. Es störte sie vor allem, dass sie keinen Einfluss darauf haben würde.

Frau Hegel beobachtete Julia, und wie bei all den anderen Mädchen zuvor schaffte sie es auch hier, den richtigen Zeitpunkt abzupassen, den Zeitpunkt, an dem die Mädchen abgewogen hatten und nur noch den letzten Anstoß brauchten, um sozusagen über die Klippe gestoßen zu werden. Unauffällig inspizierte sie Julia Gesichtsausdruck, und schließlich war sie der Meinung, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war. »Wenn sie das wünschen, werden wir sie danach später in der Nacht wieder losbinden, damit sie frei erwachen können.«

Julia kam erneut ins Grübeln. Ob sie es einmal erleben wollte, wie es war, wenn sie in festgebunden aufwachen würde? Sie war sich diesbezüglich sehr unsicher. Ihre Brüder hätte sie nie darum bitten können, denn die hätten sie ganz sicher vergessen. »Ich würde schon gerne einmal so aufwachen, aber wie lange müsste ich dann warten?«

Frauke hatte auf einmal eine Idee: »Schwesterchen, das besprechen wir morgen.« Sie lächelte geheimnisvoll.

Julia holte tief Luft. »Also gut, ausgemacht. Ich möchte 'es' diese Nacht erleben.« Es kostete sie Kraft, es auszusprechen. »Und dann in Freiheit aufwachen.« Sie wusste nicht, ob sie es fordern konnte, sie probierte es einfach. Sie war froh, dass ihr Professor in diesem Moment nicht anwesend war. In seiner Gegenwart hätte sie sich das nicht getraut, denn es war schon eine sehr intime Entscheidung. Doch sowohl zu Frau Hegel als auch zu Frauke hatte sie mittlerweile genügend Vertrauen aufgebaut. Und es versprach, ein sehr aufregendes Abenteuer zu werden.

* * *

»Ach hier bist du.« Frau Hegel fand ihren Mann in seinem Arbeitszimmer. »Ich wollte dir etwas vorschlagen.«

»Wo sind die beiden?« Herr Hegel blickte von seinen Papieren auf.

»Ich habe sie auf ihre Zimmer geschickt, sie sollen sich für das Abendessen umziehen.« Frau Hegel blickte auf die kleine Uhr auf dem Schreibtisch. »Wollen wir Frauke nicht anbieten, ob sie wieder mit uns essen möchte?«

»Meinst du wirklich, dass sie schon soweit ist?« Der Professor runzelte die Stirn. »Du weiß doch noch, warum sie in dem jetzigen Zustand ist.«

»Mir geht es ja auch darum, dass sie mit Julia zusammen sein kann und weniger, dass sie bei uns am Tisch sitzt.« Frau Hegel seufzte. »Wir laden sie heute einmal ein und sehen, wie sie es aufnimmt. Das Angebot können wir ihr dann immer noch machen.«

»Was versprichst du dir davon?«, fragte Herr Hegel.

»Eine engere Bindung zwischen Frauke und Julia.« Sie seufzte wieder. »Über Frauke haben wir viel besseren Zugriff auf sie als direkt.«

Er nickte. »Frauke wird alles machen, wenn wir ihr nur genügend Pluspunkte dafür geben.«

Frau Hegel lächelte. »Ich wusste gar nicht, dass du so ein mieser Erpresser sein kannst.«

Er grinste. »Das 'mies' verbitte ich mir.«

* * *

Frauke kam zur vereinbarten Zeit ins Esszimmer, um den Tisch zu decken. Zu ihrer Überraschung war Frau Hegel schon da und stellte bereits das Geschirr heraus.

»Frauke, ich möchte, dass sie heute den Tisch für vier Personen decken.« Frau Hegel lächelte ihre Dienerin an.

»Sie bekommen noch Besuch?« Frauke fragte das Naheliegende.

»Nein. Sie werden mit uns essen.« Frau Hegel holte tief Luft. »Natürlich nur, wenn sie einverstanden sind.«

»Das geziemt sich einer Dienerin aber nicht.« Frauke liebte diese altmodische Formulierung.

»Das ist schon richtig. Aber was ist das für eine Familie, bei der die zwei Töchter des Hauses in getrennten Zimmern essen?«

Frauke stand der Mund auf. Nur langsam begriff sie, dass sie durch Julias Anwesenheit im gesellschaftlichen Ansehen geradezu drastisch gestiegen war.

»Wir wissen, warum sie bisher immer allein essen wollten und wir hatten auch nichts dagegen.« Frau Hegel hatte sich einige Argumente bereit gelegt, denn sie wollte ihre Dienerin nicht überreden, sondern überzeugen. »Doch jetzt könnten sie so ihre Bindung zu Julia verstärken. Insbesondere nach dem sie schon festgestellt haben, dass sie 'Schwestern' sind. Sind sie also einverstanden?«

Frauke hatte Mühe mit der Antwort, denn sie war sehr damit beschäftigt, ihre Tränen zurück zu halten. »Ja, ich bin einverstanden.«

»Ich denke, wir werden eine glaubhafte Familie abgeben.« Frau Hegel lächelte.

* * *

»Das war lecker.« Herr Hegel wischte sich noch einmal den Mund ab. »Haben sie zu Morgen noch Fragen, bevor wir uns zurückziehen?«

Frauke und Julia blickten sich an. Die vor kurzem erst erstellte Liste lag zwischen ihnen.

»Das ist eine ganze Menge. Und teilweise sogar richtig zeitaufwendig.« Frauke zeigte auf einige Einträge.

»Wir haben die Punkte inzwischen schon nach ihrer Wichtigkeit geordnet, sie sollten also oben anfangen.« Herr Hegel blickte zwischen den beiden Mädchen hin und her.

Auch Julia hielt ihren Blick auf die Liste gerichtet, und auch ihr dämmerte, dass nicht viel freie Zeit übrig bleiben würde. Sie hatte sich den ersten Tag des Wochenendes eigentlich anders vorgestellt.

»Es ist nicht so schlimm, wenn sie nicht alles von der Liste schaffen.« Frau Hegel streichelte die Hand ihres Mannes. »Aber sie sollten auf jeden Fall oben anfangen.«

Julia warf einen Blick auf den Beginn der Liste. Als erste Position war 'Umgang mit dem Perlennetz' angegeben, und sie wusste sofort, dass sie sich darauf freuen würde.

»Also, haben sie noch Fragen?« Herr Hegel wiederholte seine Frage.

Beide Mädchen schüttelten den Kopf.

»Dann wünsche ich ihnen eine Gute Nacht.« Er erhob sich und verließ das Zimmer.

Frauke warf einen Blick auf die Uhr und drehte sich dann zu Julia. »Ich komme gegen 21 Uhr vorbei, um dich für die Nacht fertig zu machen. Bist du damit einverstanden?«

Julia musste einmal schlucken, bevor sie ihre Zustimmung geben konnte.

»Bis dahin kannst du ja noch etwas lernen.« Frauke stand ebenfalls auf und begann, das Geschirr zusammenzustellen.

* * *

Als Julia aus dem Bad kam musste sie schlucken, denn sie sah sofort, dass Frauke schon alles vorbereitet hatte. Sie sah einen Haufen Lederriemen auf dem Bett liegen, und darauf lag das Nachthemd. Was damit passieren würde, hatten sie schon ausführlich besprochen, und Julia hatte sich damit einverstanden erklärt. Die Dienerin stand wie von Julia erwartet am Fenster.

»Ich dachte schon, du wirst gar nicht mehr fertig.« Frauke neckte sie ein wenig. Immerhin konnte sie drei Straßenbahnen nachsehen, während Julia im Bad war. Sie hatte auch bewusst nicht gedrängelt, denn sie hatte sich an die Zeit erinnert, als sie selbst auch in der Situation gewesen war.

»Was genau hat es eigentlich mit Carolins Kirchenhandschuhen und der Uniform auf sich?« Julia war zum dritten Schrank gegangen und hatte ihn geöffnet.

Frauke wollte gerade mit der Antwort beginnen, als auf einmal ein Grinsen in ihrem Gesicht erschien. »Einen Augenblick, Frau Sommer. Kann es sein, dass sie gerade etwas Zeit schinden wollen?«

Julia drehte sich wieder zum Bett um und gab sich ein wenig trotzig. »Naja, einen Versuch war es wert.« In Wirklichkeit wollte sie ihre zunehmende Nervosität überspielen.

Wie gestern auch schon musste sich Julia ganz ausziehen, doch schon als Frauke in die Nachttischschublade griff, begann ihr Herz schneller zu schlagen.

»Hast du so etwas schon einmal benutzt?« Frauke versuchte zu verbergen, dass sie von Julias nacktem Körper sehr fasziniert war.

Eine direkte Antwort blieb Julia schuldig, doch ihr Gesicht sprach in diesem Moment Bände.

»Na, dann weißt du ja, wie es geht.« Frauke reichte Julia den kleinen Vibrator in Form eines Schmetterlings. »Ich bereite schon mal die Riemen vor.« Sie spürte, dass Julia sich damit am liebsten ungestört beschäftigt hätte. In dem sie sich mit den Riemen befasste, konnte sie ihr zumindest teilweise den Rücken zudrehen.


»So, fertig.« Julia stand neben dem Bett und hatte das Nachthemd schon bis zu den Hüften hochgezogen. Von dem Schmetterling war nur noch ein Stück Kabel zu sehen mit einem kleinen Stecker am Ende.

»Jetzt weißt du ja, worauf es ankommt.« Frauke sprach unbewusst etwas leiser. Sie freute sich darüber, Julia schon wieder so hübsch verpacken zu dürfen. Und sie wusste aus eigener Erfahrung, wie sicher das Nachthemd die Trägerin gefangen halten konnte, auch wenn es so harmlos aussah.

Wenig später lag Julia auf dem Bett und sah fasziniert zu, wie sie von ihrer 'Schwester' nach und nach mit langen Riemen auf dem Bett fixiert wurde.

Frauke schnallte ihr jeweils einen Riemen um ihre Füße, ihre Taille und einen oberhalb ihrer Brüste über das Nachthemd. Dann fädelte sie seitlich jeweils zwei lange Riemen durch die schon geschlossenen Riemen und verband damit erst ihre Füße und dann ihren Brustriemen mit den Bettpfosten. Die Riemen von Julias Taille fädelte sie seitlich an der Matratze vorbei um das Bettgestell. Dann zog sie alle Riemen sanft, aber bestimmt an, bis Julia sich in ihrem Nachthemd wirklich nicht mehr rühren konnte.

»Und du machst mich auch wieder los?« Julias Stimme zeigte, wie nervös sie war.

»Ich habe mir extra den Wecker gestellt, damit ich es nicht verpasse.« Frauke blickte kurz auf.

Auf einmal wurde Julia klar, dass Frauke extra wegen ihr mitten in der Nacht noch einmal aufstehen würde, und sie schämte sich wegen ihres Egoismus. Sie beschloss, in der nächsten Nacht festgeschnallt zu bleiben, es sei denn, es würde heute zu unangenehm werden.

»Und jetzt genieße es, mein neues kleines Schwesterchen«, sagte Frauke, und gab Julia einen Kuß auf die Stirn. »Und schlaf danach gut. Ich werde Dich dann nachts befreien.« Damit löschte sie das Licht und verließ das Zimmer.

Julia hatte vor Aufregung keine Worte mehr gefunden.


Es fiel ihr schwer, es vor allem sich selbst einzugestehen, aber vor dem Schlafengehen schickte sie gern ihre Hände auf eine Expedition zu ihren empfindsamsten Körperstellen. Sie war immer noch geprägt vom Bauernhof, auf dem sie dies unbemerkt von ihren Brüdern tun musste, denn sie war nur höchst selten wirklich allein in ihrem Zimmer.

Eine Perle würde sie bestimmt nicht brauchen, denn sie war konditioniert darauf, es im Stillen zu genießen. Doch sie hatte sich noch nie einer Maschine so ausgeliefert.

Auch in der WG bei ihrer Freundin hatte sie dies nicht geändert. Und die zwei Abende, die sie allein in der Wohnung war, nutzte sie lieber zum Lernen, statt sich jemand Unbekannten aus der Kneipe mitzubringen. Angebote hätte es viele gegeben, doch sie hatte genauso schnell gelernt, resolut 'nein' zu sagen.

Es tat ihr sehr weh, beim Einschlafen ihre Hände nicht mehr benutzen zu können, doch das Nachthemd war in dieser Richtung mehr als unerbittlich. Sie konnte gerade einmal ihre Finger ein wenig beugen, mehr ließ das Nachthemd wegen der eingearbeiteten Fingerhandschuhe einfach nicht zu. Und Julia hatte sich mit ihrer Unterschrift gerade erst dazu verpflichtet, weil ihr so der restriktive Mantel erspart blieb.

Frauke hatte ihr noch gesagt, dass es ungefähr zehn Minuten dauern würde, bis es begann, und diese Zeitspanne kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Sie war viel zu aufgeregt, um schon an Schlafen denken zu können.

Sie nutzte die Zeit, um etwas über diesen Tag nachzudenken. Sie war sehr erleichtert, dass sie Carolins Handschuh leicht tragen konnte und kaum noch Training brauchte. Dass sie damit freiwillig auf viel Geld verzichtete, war ihr gleichgültig, denn sie wollte ihre Gasteltern nicht durch falschen Ehrgeiz verärgern. Denn insgeheim war sie sich sicher, dass dieser Handschuh nur der Anfang war.

Es fing so langsam an, dass sie es zuerst gar nicht bemerkte - Die Signale, die ihr Intimzentrum aussandte, waren noch nicht stark genug, um sie in ihren Gedanken zu stören. Nur langsam schafften sie es, die anderen Gedanken zu vertreiben und erst nach einiger Zeit realisierte Julia, das 'es' schon losgegangen war.

* * *

»Wie läuft es?« Frau Hegel betrat den kleinen Überwachungsraum.

»Ich verstehe es nicht.« Herr Hegel hielt den Blick auf den Monitor gerichtet, während er mit leiser, aber sehr erregter Stimme sprach. »Ich kann ihr überhaupt nichts ansehen.«

»Ist sie denn überhaupt schon einmal gekommen?« Seine Frau setzte sich neben ihn.

Es war wirklich schwer zu sagen. »Sie hat so gut wie keinen Anhaltspunkt dafür geliefert.«

»Eigentlich ist das ja gut, wenn man es ihr nicht ansieht.« Sie lächelte. »Ich vermute mal, es liegt an der Weise, wie sie aufgewachsen ist. Wenn sie mit fünf Brüdern im gleichen Zimmer nur durch einen Vorhang getrennt übernachten musste, dann gibt es nur wenig Privatsphäre.«

»Und sie musste es verbergen, wenn sie mit ihrem Körper spielte.« Herr Hegel lehnte sich zurück. »Für uns wäre das ja ein ungeheures Glück. Für die Prüfung wäre sie so ja schon richtig vorbereitet.«

»Ja, die eine Prüfung«, erwiderte seine Frau. »Aber bei all den Anderen sehe ich eher schwarz. Hast du sie jetzt schon einmal unterbrochen?«

»Nen, ich finde einfach keinen geeigneten Zeitpunkt zum Abbrechen.« Er seufzte tief. »Ich habe sogar die Deckenkamera dazu genommen, doch es ist ihr einfach nicht anzusehen.«

Frau Hegel lachte. »Du fühlst dich gekränkt« Sie streichelte ihm über den Kopf. »Doch eigentlich ist sie doch schon perfekt. Man sieht es ihr einfach nicht an. Was wollen wir eigentlich mehr?«

»Ich hatte es mir schwieriger vorgestellt.« Er lächelte.

»Warte es ab, wenn wir sie für die anderen Prüfungen vorbereiten müssen. Dort wird sie mehr Schwierigkeiten haben.« Sie blickte etwas nachdenklich auf den Monitor. »Ich denke nicht, dass sie die Exhibitionistin ist, die sie eigentlich sein müsste.«

»Stimmt. Es ist ja nur eine Prüfung von vielen.« Bisher waren ihre Zöglinge meistens an dieser Prüfung gescheitert, bei Julia wären eher die anderen Prüfungen kritisch. »Vielleicht schaffen wir es ja doch noch, wenn wir sie nur gut genug vorbereiten.«

»Du meinst, dass wir es schaffen könnten.« Frau Hegel wollte den Optimismus ihres Mannes noch nicht teilen.

»Wir müssen sie eben motivieren und sie immer belohnen.« Er ergriff ihre Hand. »Und gib Frauke weitgehend freie Hand. Ich denke, sie könnte einen sehr positiven Einfluss auf Julia haben.«

»Ich muss das aber erst mit Siegfried besprechen.« Sie seufzte.

»Ob er wirklich damit einverstanden ist?« Er war skeptisch. »Er hat seine Kompetenzen jetzt schon sehr weit überschritten.«

»Ich werde mit ihm reden.« Sie lehnte sich ebenfalls zurück. »Wir müssen ihm versichern, dass wir auf Frau Wiesl gut aufpassen.«

»Müssen wir deswegen ihre Regeln verändern?« Er blieb skeptisch.

»Ich denke, das sollte nicht nötig sein.« Doch ihre Stimme zeigte ihre diesbezügliche Unsicherheit.

»Wie viele Pluspunkte hast du jetzt eigentlich schon vergeben?« Er machte keinen Hehl daraus, dass er mit diesem Motivationssystem nicht einverstanden war.

»Oh das sind viele, vor allem seit Julia da ist.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Aber ich glaube, die Pluspunkte allein sind es gar nicht mehr. Ihre neue Rolle scheint ihr zu gefallen – sie scheint Julia wirklich gern zu haben, vielleicht verliebt sie sich sogar ein bisschen.« Sie warf nochmal einen Blick auf den Monitor. »Auf jeden Fall gefällt es ihr, eine Leidensgenossin zu haben, und ihr das 'anzutun', was sie selbst durchlitten hat, und woran sie gescheitert ist. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass sie Julia helfen will, die Aufgabe zu bewältigen, die sie selbst nicht geschafft hat, um so mit sich selbst ins Reine zu kommen.«

»Meinst du? Dabei würden wir ja wirklich alle gewinnen – besser könnte es gar nicht sein.« Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht »Und es hilft meinem schlechten Gewissen…«