Die Studentin – Entdeckungen
Autor: Karl Kollar
Obwohl es eigentlich Wochenende war, hatte es Frauke schon um sechs Uhr aus dem Bett getrieben. Hegels hatten angekündigt, heute ganz früh zu einer Hochzeit fahren zu wollen, und da sie sich in der Regel um das Frühstück zu kümmern hatte, war sie ebenfalls sehr früh aufgestanden.
Ihr Tag begann wie sonst auch zunächst unter der Dusche, wo sie damit beschäftigt war, sich auch unter ihrer stählernen Unterwäsche zu reinigen. Anfangs hatte sie noch über ihren Zustand geweint, doch mittlerweile hatte sie sich daran gewöhnt, und die nötigen Handgriffe, um sich überall zu säubern, waren ihr in Fleisch und Blut übergegangen.
Genauso hatte sie zu Beginn noch Probleme gehabt, in ihrer Metallkleidung die Nacht zu verbringen. Doch mittlerweile verzichtete sie sogar auf ein Nachthemd oder etwas ähnliches. Sie betrachtete ihren Zustand ganz nüchtern: Ihr Körper gehörte zum großen Teil nicht mehr ihr selbst.
Seufzend zog sie sich das hässliche Dienstbotenkleid an und ging dann nach einem prüfenden Blick in den Spiegel zum Esszimmer. Zügig deckte sie den Tisch für zwei Personen, dann machte sie sich daran, in der Küche den Kaffee zu kochen.
Sie versuchte ihren Ärger darüber zu verdrängen, dass sie sich jetzt den ganzen Tag um die neue Mieterin zu kümmern hatte. Sie hatte sich eigentlich schon seit langem auf ein freien Samstag gefreut.
Doch zu ihrer Überraschung gingen Hegels sogar darauf ein, als sie zum Frühstück erschienen und Platz genommen hatten. »Wir bedauern es sehr, dass wir ihnen den freien Tag kaputt machen.« Frau Hegel lächelte verlegen.
»Aber vielleicht können sie den Aufgaben auch etwas Positives abgewinnen.« Herr Hegel reichte der Dienerin ein dicht beschriebenes Stück Papier. »Der eine oder andere Punkt müsste ihnen eigentlich gefallen.«
Frauke nahm die Liste entgegen und legte sie zunächst unbesehen auf die Kommode.
»Warum haben sie nur für zwei Personen gedeckt?« Frau Hegel lächelte. »Möchten sie nicht mit uns frühstücken?«
»Danke für das Angebot, aber ich werde nachher mit Julia essen.« Frauke lächelte ebenfalls. »Im Moment schläft sie noch rief und fest.«
»Es war gestern wohl doch sehr anstrengend für sie.« Herr Hegel nahm einen Schluck Kaffee.
»Danke, dass sie die Nachtwache übernommen haben. Das haben wir wirklich übersehen.« Frau Hegel nahm einen kleinen Block aus der Tasche und machte sich eine Notiz. »Ich schreibe ihnen dafür zwei Punkte gut.«
»Danke, Frau Hegel.« Frauke war über die zusätzlichen Punkte sehr erfreut. »Ich war sehr verwundert, denn sie hat sich überhaupt nicht bewegt.«
»Sie wird sehr erschöpft gewesen sein.« Herr Hegel lehnte sich nachdenklich zurück. »Was meint ihr, wie oft musste sie wohl kommen?«
»Wie lange dauerte es?« Frau Hegel hatte Schwierigkeiten, ihre unbegründete Eifersucht zu verbergen.
»Es war fast eine Stunde.« Ein Anflug von schlechtem Gewissen des Professors war zu hören.
»Dann dürften es acht bis neun Höhepunkte gewesen sein.« Frau Hegel blickte kurz aus dem Fenster, um ihr Gesicht nicht zu zeigen.
»Geht das überhaupt?« Frauke begann zu ahnen, was Julia am gestrigen Abend 'erleiden' musste.
»Ich habe erst aufgehört, als sie die Augen für länger geschlossen hatte.« Jetzt war sein schlechtes Gewissen deutlich zu hören.
»Hat sie die Kamera eigentlich nicht bemerkt?« Frau Hegel blickte wieder auf den Tisch.
»Die ist gut getarnt.« Frauke gab ihre Erfahrungen von damals wieder. »Wenn man es nicht weiß, dann erkennt man sie nicht.«
»Fragen sie sie bitte, wie sie die Nacht überstanden hat, und ob sie es genießen konnte.« Herr Hegel war an einem gewissen Feedback durchaus sehr interessiert.
»Soll ich sie direkt fragen?« Frauke war ein wenig verwundert.
»Nein, natürlich nicht.« Frau Hegel nahm noch etwas Kaffee. »Aber vielleicht ergibt sich im Laufe des Tages einmal eine Gelegenheit, bei der sie nachhaken können.«
»Ich werde es versuchen.« Frauke erkannte langsam, welches Vertrauen Hegels in sie setzten, und so nach und nach gewann in ihr die Überzeugung die Überhand, dass sie sich dieses Vertrauens auch würdig erweisen musste.
Und in diesem speziellen Fall schaute sie dabei auch nicht auf eventuelle Pluspunkte. Irgendwie fühlte sie sich sowohl Julia als auch Hegels verbunden, und sie wollte der Studentin das auf sie wartende Schicksal so einfach wie möglich machen, wenn dies überhaupt möglich war.
Herr Hegel blickte zu der Liste. »Es steht mehr darauf, als sie eigentlich zeitlich schaffen können.«
»Und was sollen wir machen?« Frauke hatte sich schon länger überlegt, was sie mit dem freien Tag eigentlich hätte machen wollen, denn der Besuch der Hochzeit war schon lange angekündigt. Dies musste sie nun auf später verschieben
»Ich habe bei einigen Sachen keine Zeitvorgaben dazugeschrieben. Die sind dann weniger wichtig.« Herrn Hegels Miene zeigte so etwas wie eine Entschuldigung.
Frau Hegel blickte ebenfalls auf das dicht beschriebene Papier. »Machen sie es bitte von Julias jeweiliger Stimmung abhängig.«
»Außerdem soll sie ja auch noch für ihre Prüfungen lernen.« Herr Hegel lehnte sich zurück. »Einige der Sachen lassen sich bestimmt auch kombinieren. Aber lassen sie selbst darauf kommen.«
»Darf ich ihr gar nicht helfen?« Frauke nahm erst jetzt die Liste zur Hand.
»Doch, schon.« Herr Hegel klang ernst. »Aber es soll nicht wie Zwang herüber kommen. Sie soll alles freiwillig machen. Ich denke, sie bringt genügend Ehrgeiz und Neugier mit.«
Frauke überflog die Liste und nach ungefähr der Hälfte erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht. »Das könnte ein interessanter Tag werden.«
Frau Hegel sah abwechselnd Frauke und die Liste an. »Sie wissen ja, wofür die einzelnen Sachen sind. Sie können die Reihenfolge auch gern etwas abändern.«
Frauke dachte mit etwas Wehmut an die Zeit, als sie selbst vor den Aufgaben stand, an die sie jetzt dieses unschuldige, aber zugleich hochintelligente Mädchen heranführen musste. Bei jedem einzelnen Eintrag auf der Liste wusste Frauke, warum er wichtig war, und sie hatte auch schon eine Idee, wie sie es Julia jeweils verkaufen wollte.
»Bitte denken sie aber daran, dass sie auf keinen Fall Zwang ausüben dürfen.« Herr Hegel blickte Frauke ins Gesicht. »Sie soll das alles freiwillig machen beziehungsweise aus der Verpflichtung uns gegenüber. Falls sie sie doch nötigen müssen, berufen sie sich auf die Versprechen, die sie uns gegenüber gegeben hat. Und bitte keine körperliche Gewalt.«
Es tat Frauke weh, auf diese Weise an ihre Vergangenheit erinnert zu werden, doch da sie wusste, dass es einem höheren Zweck diente, seufzte sie nur und versprach es.
Sie wusste, was von Julia erwartet wurde, und obwohl sie selbst an dieser Aufgabe gescheitert war, war sie doch bereit, ein anderes Mädchen an dieses hohe Ziel heranzuführen. Denn insgeheim war sie von dem Schicksal, welches auf Julia wartete, mehr als fasziniert. Und auch wenn sie dies selbst nie zugegeben hatte, fühlte sie doch, dass Julia in der Lage war, dieses hohe Ziel vielleicht sogar zu erreichen.
»Frau Wiesel?« Der Professor blickte die Dienerin nachdenklich an.
Frauke wurde aus ihren Gedanken gerissen. »Ja bitte?«
Frau Hegel räusperte sich. »Wir verlassen uns auf sie. Enttäuschen sie uns bitte nicht.«
Frauke schluckte. »Ich werde mein Bestes geben. Ich werde sie nicht enttäuschen.« Insgeheim hatte sie sich schon einen Plan zurecht gelegt, nach dem sie vorgehen wollte. Und wenn sie sich nicht zu ungeschickt anstellen würde, dann würde Julia sogar Spaß dabei empfinden.
»Ach, und noch etwas.« Herr Hegel wartete, bis Frauke ihn ansah. »Bitte vereinbaren sie vorher ein Notsignal, wenn sie sich mit den Perlen beschäftigen und sie dann nicht mehr reden kann. Am Anfang ist das besonders wichtig.«
»Zum Beispiel?« Frauke war diesbezüglich ein wenig neidisch, denn für sie hatte es diese Option nicht gegeben.
»Drei mal Klopfen oder Summen vielleicht?« Herr Hegel stand auf. »Es gibt bestimmt ein paar Einträge, die sich kombinieren lassen, so dass ihnen dann auch noch einige freie Zeit bleiben wird.«
»Und wenn sie es gut machen, bekommen sie noch einmal zwanzig Pluspunkte«, ergänzte Frau Hegel.
Frauke stand der Mund offen. Seit Julia da war, hatte sie schon mehr Pluspunkte bekommen als in der gesamten Zeit zuvor. »Danke, Frau Hegel.« Sie wollte sich auf jeden Fall erkenntlich zeigen.
* * *
»Bist du sicher, dass wir das Richtige tun?« Herr Hegel ließ den Motor an.
»Wir haben nicht mehr so viel Zeit. Das Risiko müssen wir eingehen.« Frau Hegel schnallte sich an. »Ich denke, Frau Wiesl wird gut auf sie aufpassen.«
»Du bist in letzter Zeit sehr großzügig mit den Pluspunkten.« Herr Hegel lenkte das Auto vom Grundstück auf die Straße.
»Ich weiß, aber sie sind unser einziges Motivationsmittel.« Sie seufzte. »Und wenn es dazu dient, dass es Julia doch schafft, dann sind sie doch gut investiert.«
»Du weißt, was du Siegfried versprochen hast?« Er klang etwas nachdenklich.
»Ja, natürlich.« Sie wollte diesen Einwand nicht gelten lassen. »Wir legen über jeden einzelnen Pluspunkt Rechenschaft ab und begründen, warum wir ihn vergeben haben. Außerdem weiß er ja, was wir eigentlich vorhaben, und er unterstützt uns dabei ebenfalls.«
»Du meinst, wir schaffen es doch noch?« Herr Hegel seufzte. »Eigentlich hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben, doch Julia entwickelt sich sehr vielversprechend, insbesondere wenn ich sie mit den anderen Kandidatinnen vergleiche.«
»Erst hattest du Bedenken, weil sie deine beste Studentin ist.« Frau Hegel lächelte. »Mittlerweile bin ich der Meinung, dass sie beides schaffen kann, wenn wir sie nur ausreichend steuern.«
»Und wenn sie es nicht schafft?« Der Professor blieb skeptisch.
«Dann müssen wir aufgeben, und du bekommst eine sehr gute Studentin.« Frau Hegel vermied es, ihn bei diesem Satz anzusehen.
»Du hast recht, eigentlich können wir nicht verlieren.« Er klang erleichtert. »Aber trotzdem wäre es schön, wenn wir es doch noch schaffen würden.«
* * *
Langsam reifte in Frauke ein Plan, wie sie den Tag gemeinsam mit der Mieterin verbringen würde. Und der begann damit, dass sie Julia jetzt aufweckte.
Sie hatte sich alles Wichtige zurecht gelegt, voran natürlich die Liste, aber auch Antworten auf Fragen, die Julia vielleicht stellen würde. Obwohl sie sich sehr gut vorbereitet fühlte, klopfte ihr Herz doch laut, als sie Julias Zimmer betrat. Immerhin hatte sie sie seit der Orgasmusfolter diese Nacht nicht mehr gesehen. Und sie fragte sich, in welcher Stimmung sie jetzt sein würde.
Weil Julia die Notfallklingel nicht bedienen konnte, war die Alarmklingel mit dem Bewegungsmelder gekoppelt worden, und Frauke hatte ihr Nachtquartier in dem kleinen Überwachungsraum aufgeschlagen. Doch zur Überraschung aller hatte sich nichts getan.
Davon durfte sie nicht erzählen. Noch nicht.
* * *
Julia war noch nicht wach. Sie war vermutlich von der Orgasmusfolter so erschöpft, dass sie wortwörtlich wie ein Stein schlief. Frauke verließ ihren Platz am Fenster, stellte sich an ihr Bett und streichelte ihr zärtlich durch das Gesicht. »Julia, Schatz. Du musst aufstehen.«
Nur langsam öffnete die Studentin die Augen und blickte Frauke etwas verwundert an.
Die Dienerin lächelte. »Wir dachten, wir lassen dich noch schlafen.«
Julia blickte sich um. »Wie spät ist es denn?«
Frauke nannte die Uhrzeit.
»Oh, so lange schlafe ich sonst nicht.« Sie gähnte.
»Hast du überhaupt versucht, dich zu bewegen?« Frauke blickte fasziniert auf die Bettdecke, die noch genauso da lag, wie sie sie gestern hingelegt hatte.
»Ich weiß nicht.« Julia war verlegen. »Ist das schlimm?«
»Hegels sind schon zu der Hochzeit gefahren.« Die Dienerin lächelte. »Ich soll mich um dich kümmern.«
»Wie lange bist du schon hier?« Julia hatte eine Vermutung.
»Zwei«, war die kurze Antwort.
Julia brauchte einen Moment, dann erkannte sie, was Frauke damit sagen wollte. »Haben Hegels noch etwas gesagt?«
»Sie wünschen uns einen schönen Tag.« Die Dienerin lächelte vorsichtig. »Und wir sollen an die Liste denken.«
Das Stichwort 'Liste' elektrisierte Julia. »Warum sagst du das nicht gleich?« Sie wollte aus dem Bett springen, musste aber erkennen, dass sie noch festgeschnallt war. Sie versuchte ernsthaft an den Riemen zu ziehen, um sich zu befreien, doch schließlich erkannte sie, dass sie aufgeben musste. »Machst du mich bitte los?«
»Aber gern.« Frauke war von Julias Hilflosigkeit gepaart mit ihrer Unschuld sehr fasziniert. Trotzdem beeilte sie sich mit dem Losschnallen nicht. »Was möchtest du denn anziehen? Dann kann ich dir schon mal etwas heraussuchen, wenn du im Bad bist.« Sie erinnerte an Hegels Vorgaben. Sie hatte für das Wochenende die freie Kleiderwahl, sollte allerdings bedenken, dass sie einige Aufgaben zu erledigen hatten.
»Ich möchte wieder den Lackrock tragen.« Julia sah fasziniert zu, wie die Dienerin sie nach und nach vom Bett befreite.
»Hegels sind nicht da, du musst nicht.« Frauke hielt kurz in ihren Bewegungen inne.
»Ich weiß.« Julia lächelte. »Aber ich liebe diese Enge.«
»Wenn du meinst.« Frauke war ein wenig wehmütig, denn ihr stand es nicht zu, so über ihre Freiheit zu verfügen. Ihre Grenzen waren klar vorgegeben.
»Und du kannst schon mal die Perlen heraussuchen.« Julia blickte verlegen zum Fenster.
Frauke drehte sich verwundert zu Julia um.
»Ich habe mich schon gestern Abend darauf gefreut, bevor es losging.« Julia seufzte. »Und ich habe davon auch geträumt.«
»Aber erst solltest du frühstücken.« Frauke löste die letzten Riemen. »Ich habe dir extra etwas hergerichtet. Und während du frühstückst, erzählst du mir etwas von den Tieren.«
»Von den Tieren?« Julia war verwundert. »Welchen Tieren?«
»Bei euch auf dem Bauernhof.« Frauke lächelte verlegen. »Ich glaube, dass sie dir viel bedeuten.«
»Ja, damit könntest du recht haben.« Es war Julia eigentlich nicht recht, so an ihr Elternhaus erinnert zu werden. »Aber jetzt möchte ich erst einmal ins Bad.«
»Ja, natürlich.« Frauke erhob sich vom Bett und sammelte die Riemen ein.
»Hast du schon gefrühstückt?« Julia wollte sich erheben, stellte aber fest, dass sie sich nicht mit den Armen abstützen konnte.
»Ja, vorhin schon mit den Hegels.« Frauke schaute fasziniert zu, wie das immer noch sehr hilflose Mädchen mit dem Nachthemd kämpfte.
»Sie sind schon weg?« Endlich hatte sie es geschafft, auf der Bettkante zu sitzen.
»Ja.« Frauke war von Julias gefangenem Körper sehr fasziniert. »Sie sind schon vor einer Stunde losgefahren.«
»Schade«, seufzte Julia. »Ich wollte sie eigentlich noch etwas fragen.«
Frauke stutzte. »Was wolltest du sie denn fragen?«
»Ich wollte um Erlaubnis bitten, mehr von Carolin zu erkunden und nicht diese Liste abarbeiten.« Ob sie gegenüber Hegels diesen Mut aufgebracht hätte, wusste sie aber nicht.
Frauke holte tief Luft. »Also zum einen haben mir Hegels freie Hand gegeben, und ich soll dich bei allem unterstützen.« Sie räusperte sich. »Und dann schau doch mal auf die Liste: 'Carolins Handschuh, Carolins Perlennetz und Carolins Uniform für die Engel'. Und das Haus schauen wir uns auch an. Was willst du denn noch mehr?«
»Ja, du hast recht.« Die Studentin lächelte verlegen. »Das könnte ein schöner Tag werden.« Doch dann seufzte sie doch. »Aber ich wollte auch noch lernen.«
»Sie haben mir den Tipp gegeben, dass wir gewisse Aufgaben auch kombinieren dürfen.« Frauke war sich nicht sicher, ob es richtig war, diese Karte jetzt schon zu spielen, doch sie spürte insgeheim, dass Julia für diesen Gedanken sehr empfänglich sein dürfte. »Dann könnten wir etwas Zeit sparen.«
»Sicher?« Ein Grinsen erschien auf Julias Gesicht. »Das wäre sehr schön.«
»Jetzt erst mal raus aus dem Nachthemd.« Frauke trat an Julia heran und öffnete das Nachthemd, dann half sie ihr heraus. »Jetzt gehst du flink ins Bad, und dann ziehst du dir etwas Hübsches an.«
Julia wurde auf einmal hellhörig. »Egal was?« Sie befreite sich von dem Nachthemd und stand auf.
»Wir sind heute allein, hast du das vergessen?« Frauke blickte an ihr hoch. »Wenn du möchtest, dann kann ich dir etwas Passendes zu dem Rock aussuchen.«
»Oh ja, das wäre schön.« Julia ging zügig zur Tür des Badezimmers. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Ich glaube, ich könnte mich nicht entscheiden.«
»Beeile dich.« Frauke grinste. »Ich bin dann in der Küche und warte auf dich.«
Sie wartete, bis sich die Tür geschlossen hatte, dann ging sie an den zweiten Schrank und griff zielstrebig hinein. Die bisher fehlenden Lacktops hatten Hegels in der Nacht noch heimlich in den Schrank geschmuggelt und ihr diesbezüglich Bescheid gegeben. Sie sollte so tun, als wäre die Tops schon im Schrank gewesen, falls es Julia überhaupt auffallen würde.
Sie legte drei Stücke auf das Bett, dann ging sie langsam aus dem Zimmer. Sie lächelte. Entgegen ihrer bisherigen Erwartungen schien es doch noch ein schöner Tag zu werden.
* * *
Als Julia aus dem Bad kam, fiel ihr Blick sofort auf das Bett. Frauke hatte ihr den Lackrock bereitgelegt sowie drei Oberteile zur Auswahl. Julia begutachtete die Sachen. Es war zum einen ein blaues Lacktop mit Spaghetti-Trägern, dann ein schlichtes gelbes T-Shirt und eine aufwendig gearbeitete weiße Bluse mit langen Ärmeln. Natürlich waren alle aus dem faszinierenden Lack-Stoff. Sie musste nicht lange überlegen, dann entschied sie sich für die weiße Bluse. Diese passte besonders gut zu dem schwarzen Rock.
Und natürlich schloss sie auch den Rock vollständig, als sie sich auf den Weg zur Küche machte. Nur auf der Treppe zog sie sich den Reißverschluss ein wenig auf. Aber selbst dabei achtete sie darauf, dass sie keine unnötige Beinfreiheit hatte.
Und sie fühlte sich sehr wohl dabei, und sie war sogar stolz, dass sie sich so genau an ihr Ehrenwort halten konnte. Denn sie hatte schon lange keine Probleme mehr damit, dass der Rock ihr nur noch Schritte im Zentimeterbereich erlaubte.
Doch heute fand sie es fast ein wenig lästig, denn es kostete Zeit, mit dem Rock unterwegs zu sein.
Frauke stand an der Spüle, und als sie Julia erblickte, musste sie lächeln. »Ich war mir eigentlich sicher, dass du dich für das T-Shirt entscheiden würdest.«
Julia lächelte, während sie langsam zu dem Tisch hin trippelte. »Gefällt es dir trotzdem?« Sie setzte sich an den Tisch und blickte auf die Sachen, die Frauke ihr bereitgestellt hatte.
»Ja, natürlich.« Frauke nahm die Kanne und schenkte Julia den Kaffee ein.
»Schade, dass du schon gefrühstückt hast.« Julia suchte Fraukes Blick. »Aber magst du dich trotzdem zu mir an den Tisch setzen? Ich hätte da noch ein paar Fragen.«
Frauke hatte ein ungutes Gefühl, als sie der Bitte nachkam und sich zu Julia setzte.
Es dauerte einige Zeit, bis Julia zu reden begann. »Frauke, wie ist das mit dem Keuschheitsgürtel? Ich soll mich dafür entscheiden.« Sie stellte ihre Tasse ab. »Was würdest du mir raten?«
Frauke war einigermaßen überrumpelt. Julia schien sich schon ernsthaft mit der Frage befasst zu haben. »Du solltest dich ja erst entscheiden, wenn du ihn probiert hast.«
»Ja, das weiß ich.« Julia konnte nicht verhindern, dass sie in diesem Moment etwas ungeduldig klang. »Aber du, du trägst ihn. Was würdest du sagen, wenn du an meiner Stelle wärst?«
»Nun, er ist nicht unangenehm und ist kaum zu spüren.« Sie wollte trotz aller Verpflichtungen Hegels gegenüber zu Julia fair sein. »Aber du kannst dich dann gar nicht mehr berühren, dessen solltest du dir bewusst sein.«
»So wie letzte Nacht?« Julia blickte Frauke fast etwas verliebt an. »Ich wusste gar nicht, dass ich so oft kommen kann.«
Frauke war erleichtert. Das Gespräch nahm eine Wendung, die ihr vielleicht sogar ein paar zusätzliche Pluspunkte einbringen konnte. »Du hast es genossen?«
»Es war schön, nichts dagegen machen zu können und es einfach nur zu genießen.« Julia lehnte sich zurück.
»Es hat dir sofort gefallen?« Frauke war sich nicht sicher, ob es die richtige Frage war, doch sie war sehr neugierig, wie Julia diese Folternacht wohl empfunden hatte.
Julia blickte auf. »Nein, am Anfang war ich viel zu nervös. Erst nach dem dritten Orgasmus konnte ich mich richtig fallen lassen.« Sie wunderte sich, woher sie die Worte nahm.
»Dann wirst du mit dem Keuschheitsgürtel auch keine Schwierigkeiten haben.« Frauke war erleichtert. »Nur die Körperhygiene ist ein wenig umständlich, aber dabei werde ich dir helfen.«
»Warum wollte Carolin wohl unbedingt so einen Gürtel tragen?« Julia war verwundert.
»Ich glaube, es hängt mit den Engeln zusammen.« Frauke begann ein wenig zu schwitzen, denn sie fühlte, wie dünn das Eis wurde.
Julia blickte kurz auf die Liste, die Frauke schon bereit gelegt hatte. »Schaffen wir das alles? Ich wollte auch noch lernen. Nachdem er mir schon Tipps gegeben hat, was in der Prüfung dran kommt.«
Frauke runzelte die Stirn. »Hättest du das nötig, auf diese Weise zu schummeln?«
»Nein, sicher nicht.« Julia war nachdenklich. »Aber käme das wirklich als Schummeln herüber?«
»Was hat er dir denn gesagt?« Frauke ärgerte sich ein wenig über ihre Frage, doch jetzt musste sie sich ihr stellen.
»Letztendlich ist es das Thema dieses Semesters.« Julia schien über diese Begegnung mit ihrem Professor noch einmal nachzudenken. »Außerdem hat er mir nicht gesagt, was dran kommt. Er hat nur Fragen gestellt, die auffällig alle in die selbe Richtung gehen.«
»Du möchtest also lernen, wenn du den Handschuh trägst?« Frauke hoffte, die Worte richtig interpretiert zu haben.
»Immerhin wären es ja nur zehn Minuten.« Julia zuckte mit den Schultern. »Aber was sollte ich während der Zeit auch sonst machen?«
»Naja, du trägst ja auch noch die Perle.« Frauke warf ebenfalls einen Blick auf die Liste, obwohl sie den Inhalt mittlerweile schon gut kannte. »Und die Uniform sollen wir auch ausprobieren.«
Julia blickte noch einmal auf die Liste. »Was schätzt du, wie viel Zeit wird uns bleiben, wenn wir das alles machen wollen?«
Frauke gab sich nachdenklich. »Vielleicht eine Stunde, mehr sicher nicht.«
»Und wenn wir Sachen parallel machen?« Julia griff die Stimmung auf. »Perlen und Handschuhe lassen sich sicher zusammen tragen.«
»Sicher, das ist schon richtig.« Frauke lehnte sich zurück. »Aber ich sehe noch eine andere Möglichkeit, wie wir Zeit sparen können.«
»An was denkst du?« Julia blickte sehr interessiert auf die Dienerin.
Frauke blickte die Studentin verlegen an. »Wir könnten bei den einzelnen Abschnitten optimieren, wenn du ordentlich mitmachst und dich nicht dumm anstellst.« Sie hielt den Atem an, denn sie wusste nicht, wie Julia auf diesen doch eher frechen und belastenden Vorschlag reagieren würde.
»Versprochen, ich werde mich nicht dumm anstellen.« Julia blickte kurz auf die Liste. »Aber du musst mir auch helfen.«
»Das werde ich machen, versprochen.« Insgeheim war sie über die Art und Weise, wie Julia reagiert hatte, sehr erleichtert.
»In welcher Reihenfolge machen wir das?« Julia fixierte wieder die Liste.
»Ich dachte, dass wir mit den Perlennetz anfangen.« Frauke räusperte sich. »Das dürfte insgesamt am längsten dauern.«
»Weil ich mich zu Beginn dumm anstelle?« Julia wollte zeigen, dass sie mitdachte.
»Nein, so hatte ich das nicht gemeint.« Frauke lachte. »Das Geschirr anzulegen ist kompliziert, weil du es machen musst, ohne sehen zu können, was du tust.«
»Na dann lass uns doch anfangen.« Julia stand auf und begann, den Tisch abzuräumen.
»Aber das machen wir in deinem Zimmer.« Frauke fasste mit an.
»Muss ich mich dafür umziehen?« Julia blickte kurz an sich herunter.
»Für das Perlennetz?« Frauke dachte kurz nach. »Nein, warum fragst du?«
Julia lächelte verstohlen. »Ich würde gern viel von Carolin ausprobieren.«
Frauke grinste. »Das geht aber von unserer Zeit ab.«
»Na dann.« Julia trippelte zur Tür. »Lass uns anfangen.«
»Für den Handschuh wäre es günstig, wenn du ein kurzärmeliges Oberteil tragen würdest.« Sie blickte auf die Bluse, die Julia trug.
»Dann werde ich mich gleich umziehen.« Julia war schon fast aus der Küche heraus. »Dann verlieren wir nach dem Perlennetz nicht so viel Zeit.«
Frauke runzelte die Stirn. Es gab ihr einen Stich, als sie Julias Ehrgeiz bemerkte. Doch sie wusste, dass sie dieses Streben auf keinen Fall unterdrücken durfte. »Ich bin gleich bei dir.«
Julia ging zum ersten Mal mit wirklich klopfendem Herzen in ihre Wohnung. Sie war aufgeregt, denn sie spürte die Lust, aber auch die Last, die mit Carolins Leben offensichtlich verbunden war.
Die Orgasmen, die sie letzte Nacht bekommen hatte, waren mehr als intensiv gewesen, und sie wusste, dass sie so etwas zum ersten Mal erleben durfte. Es hörte einfach nicht auf, und sie kam immer immer wieder. Fast die halbe Nacht schwebte sie auf einer Wolke von Glück und Geborgenheit, und das Nachthemd und die Riemen, die sie zusätzlich auf dem Bett festhielten, waren eher wie Vertraute zu sehen.
Sie hatte sich früher schon berührt und auch zum Höhepunkt gestreichelt, doch das war nichts im Vergleich zu dieser Nacht.
Sie stutzte. Ob sie es wohl wieder erleben durfte, und ob sie Frauke von ihren Gefühlen erzählen durfte? Noch war sie sich nicht sicher, was sie von dieser seltsamen Dienerin zu halten hatte. Doch sie hatte ihr zu dieser gewaltigen Nacht verholfen, und deswegen war Julia bereit, ihr ein wenig das Herz zu öffnen.
Es hatte ihr einen Stich ins Herz gegeben, als sie erfahren hatte, dass Frauke ihr Geschenk nicht annehmen durfte. Sie hätte zwar gern gewusst, warum das so war, doch sie ahnte andererseits, dass etwas Trauriges zum Vorschein kommen würde, und davor wollte sie sich und Frauke bewahren.
Auf dem Bett lagen noch die anderen beiden Oberteile, und Julia musste nicht lange überlegen. Sie zog sich die Bluse aus und griff zu dem Lacktop, um sich dieses anzuziehen. Normalerweise hätte sie ihr nächster Weg zum Spiegel geführt, doch heute war sie dafür viel zu aufgeregt.
Als Frauke Julias Wohnung betrat, trug sie einen Puppenkopf, etwas zu Schreiben und einen Block. Sie ging zu der Sitzecke und stellte die Sachen auf den kleinen Tisch, dann drehte sie sich zu Julia um. »Hast du vorher noch Fragen?«
Julia blickte Frauke verwundert an.
Frauke schmunzelte. »Du bist so schwer zu verstehen, wenn du die Perle im Mund hast.«
»Ich hatte gestern kurz ein wenig Schmerzen im Kiefer.« Fast unbewusst versuchte Julia, das Unvermeidliche noch etwas hinaus zu zögern. »Ansonsten war das Tragen gar kein Problem.«
Frauke gab sich verständnisvoll. »Naja, nach einer gewissen Zeit machen sich die Muskeln im Kiefer bemerkbar.«
»Was kann man dagegen machen?« Julia wurde immer nervöser.
»Immer mal wieder den Ball im Mund tragen und gleich darauf wieder ablegen.« Frauke lächelte »Immer nur kurze Tragezeiten.« Sie selbst hatte damals damit überhaupt keine Probleme gehabt.
»Das könnte ich ja beim Lernen machen.« Julias Stimme zitterte.
»Du musst dabei nur auf deinen Speichel aufpassen.« Frauke hatte Julias Stimmung bemerkt.
»Warum?« Die Studentin blickte auf.
»Wenn der Mund offen steht, dann kannst du nicht schlucken.«
»Ja und?« Sie hatte in ihrer Nervosität die Zusammenhänge noch nicht erkannt.
»Der Speichel sammelt sich im Mund und wird herauslaufen.« Frauke hatte sich wegen des Sabberns damals immer furchtbar geschämt.
»Oh.« Julia keuchte. »Dann muss ich die Lippen fest um die Perle schließen.«
»Du solltest halt aufpassen, dass du die Bücher nicht voll tropfst.« Frauke seufzte. »Aber heute sollten wir etwas anderes machen.«
»Und zwar?« Julia blickte Frauke neugierig an.
»Du solltest in der Lage sein, dir das Perlennetz selbst anzulegen.« Frauke ging zum Schrank und holte ein Perlennetz heraus. »Das müssen wir üben.« Sie reichte Julia das Netz.
Julia nahm es in die Hand und blickte etwas unsicher auf die vielen Riemen. »Ich habe es ja schon einmal getragen, aber ich weiß noch nicht, wie man es anlegen muss.«
»Deswegen habe ich diesen Perückenständer organisiert, an dem wir das üben können.« Frauke zeigte auf den Kopf auf dem Tisch. Zusammen gingen sie zum Tisch und setzen sich.
»Wäre es nicht sinnvoller, dass gleich auf dem Kopf zu machen?« Julia runzelte die Stirn. »Wir wollen doch Zeit sparen.«
Doch Frauke wischte den Einwand beiseite. »Du sollst ja sehen können, wie die Riemen verlaufen und wo die Schnallen sind.«
»Ja, das leuchtet ein.« Sie nahm das Netz und legte es über den Perückenkopf.
»Du kannst dich an der Perle orientieren. Sie gehört in den Mund.« Frauke schaute fasziniert zu, als Julia versuchte, das Riemengewirr zu sortieren. »Als erstes solltest du den Hauptriemen schließen. Mach ihn so fest, dass es beginnt unangenehm zu werden, und gehe dann ein Loch zurück.«
Julia hatte die Schnalle schnell gefunden und genauso schnell geschlossen. »Kommt jetzt erst der Riemen unter dem Kinn oder der über dem Kopf?«
»Du solltest erst den Y-Riemen über den Kopf festmachen.« Frauke zeigte auf das entsprechende Lederband. »Das ist auch der Schwierigste.«
»Warum ist das schwierig?« Julia hatte die betreffenden Riemen sofort gefunden und geschlossen.
»Naja, dir ist schon bewusst, dass du es blind machen musst.« Frauke lächelte angespannt. »Du kannst ja nicht hinter deinen Kopf schauen.«
»Ja stimmt.« Erst jetzt erkannte Julia die Zusammenhänge.
»Deswegen kannst du das so üben.« Frauke wurde zunehmend nervöser.
»Ich könnte mich vor den Spiegel stellen.« Julia blickte sich im Zimmer um. »Dann könnte ich es doch sehen?«
»Ja, das könnte helfen.« Insgeheim hatte Frauke mit diesem Einwand gerechnet. »Aber du solltest es auch können, wenn kein Spiegel verfügbar ist.«
»Klar.« Julias Stimme zitterte deutlich.
»Aber es ist auch wichtig, den richtigen Sitz des Netzes zu prüfen.« Frauke rief die Sätze ab, die sie sich vorbereitet hatte. »Der Riemen, der über die Stirn läuft, sollte genau in der Mitte deines Gesichtes verlaufen. Und die beiden seitlichen Riemen sollten beide mit der selben Spannung getragen werden, weil sonst das Netz leicht verrutscht. Und nichts sieht schlechter aus, als wenn das Netz nicht ordentlich auf den Kopf sitzt.«
»Ja, verständlich.« Julias Hände zitterten, während sie die Riemen auf dem Kopf korrigierte.
»Und wenn du einen Spiegel zur Verfügung hast, dann solltest du dort dein Aussehen noch einmal prüfen.« Frauke holte tief Luft. »Für die Funktionalität ist es eigentlich unwichtig, aber wenn der Riemen nicht mittig auf der Stirn sitzt, sieht es falsch und ungepflegt aus.«
»Ungepflegt?« Julia runzelte die Stirn.
»Du hast recht, 'ungepflegt' ist das falsche Wort.« Frauke blickte fasziniert auf Julias Hände. »Eher nachlässig. Es ist ein Zeichen davon, dass du dich nicht um dein Aussehen kümmerst.«
»Ja, du hast recht, darauf sollte ich immer achten.« Sie wusste allerdings nicht, was die Zukunft diesbezüglich bringen würde. Doch sie wagte auch nicht, danach zu fragen, weil sie ahnte, dass sie die diesbezügliche Antwort nicht wissen wollte. Zumindest noch nicht.
Sie stand auf, holte die anderen mitgebrachten Sachen von der Kommode und legte sie vor Julia auf den Tisch.
Die Studentin hielt in ihren Bewegungen inne und blickte verwundert auf das Schreibzeug. »Wofür ist der Block?«
Frauke lächelte. »Damit du etwas aufschreiben kannst, wenn du die Perle trägst.«
»Verständlich.« Doch dann stutzte sie und blickte auf. »Frauke, wie kann ich mich denn dann verständlich machen, wenn ich dazu auch den Handschuh trage? Wie hat Carolin das gehandhabt?«
»Das weiß ich nicht.« Frauke seufzte leicht. »Aber du hast recht, mit Perle und Handschuh kannst nicht mehr so gut kommunizieren.«
»Aber was, wenn ein Notfall vorliegt?« In diesem Moment zeigte Julia echte Besorgnis. Es war zuerkennen, dass sie sich gedanklich schon mit der Zukunft vertraut gemacht hatte.
»Gut das du mich daran erinnerst.« Frauke holte tief Luft. »Drei mal 'kurz', ein bis zwei mal hintereinander.«
Julia war verwundert. »Wie, drei mal kurz?«
»Egal was. Klopfen, aufstampfen, stöhnen.« Frauke wusste, wie wichtig diese Vereinbarung war. »Es gilt als Notsignal, und es wird sich dann sofort jemand um dich kümmern.«
»Wie passiert das?« Julia runzelte die Stirn.
»Zunächst wird dir die Perle abgenommen, damit du dich äußern und sagen kannst, was dich bewegt.« In diesem Moment konnte sich die Dienerin sehr gut in Julia hineinversetzen.
»Egal was?« Julia blieb im gleichen Tonfall.
Frauke zögerte etwas. »Nun, es sollte schon ein ernster Grund vorliegen.«
»Woher soll ich wissen, ob es wirklich ein Notfall ist?« Julia fragte das Naheliegende.
»Mache dir darüber keine Gedanken.« Frauke seufzte wieder. »Wichtig ist vor allem, dass deine Gesundheit nicht gefährdet wird.«
»Hat Carolin es oft benutzt?« Julia dachte wieder an ihr Vorbild, dem sie nacheifern wollte.
»Das weiß ich nicht.« Frauke streichelte unbewusst den Perückenkopf, der noch das Netz trug. »Außerdem wirst du selten beides tragen.«
»Es sei denn ich bin besonders ehrgeizig.« Julia lächelte verlegen.
Frauke seufzte erneut. »Aber jetzt lass uns anfangen, sonst verbummeln wir zuviel Zeit.«
»Jetzt veräppelst du mich aber?« Frauke blickte verwundert auf Julias Kopf, der jetzt von dem Perlennetz geschmückt war.
Julia stutzte und blickte Frauke verwundert an. Dann griff sie sich den Block und schrieb darauf. »Warum? Was habe ich falsch gemacht?«
»Das ist es ja eben.« Frauke war mehr als erstaunt. »Nichts. Du hast es genau richtig gemacht.«
Wieder griff Julia zum Stift. »Du hast doch gesagt, dass ich mich nicht dumm anstellen soll, und dass ich mich beeilen soll, weil wir viel vorhaben.«
Frauke war verblüfft. »Magst es dir noch mal anlegen? Dann könnten wir diesen Punkt als sehr gut erledigt abhaken.« Sie griff zu dem Spiegel, den sie ebenfalls mitgebracht hatte, und reichte ihn Julia.
Julia war sehr fasziniert, als sie den Ball in ihrem Mund und die Riemen über ihr Gesicht sah. Ihre Augen leuchteten.
Frauke streichelte ihr sanft über den Kopf.
Julia lächelte um den Ball in ihrem Mund. Sehr zielstrebig öffnete sie sich das Geschirr und nahm es sich ab. Dann blickte sie Frauke triumphierend an. »Es ist doch einfacher, als es zuerst aussieht.« Sie sprach nicht weiter, sondern legte sie das Geschirr gleich noch einmal an.
Frauke kam es vor, als ob es jetzt sogar etwas schneller als beim ersten Mal war. »Perfekt.«
Julia versuchte ein Lächeln, dann nahm sie sich das Netz wieder ab. »Dann können wir diesen Punkt abhaken?« Sie reichte Frauke den Stift.
»Oh, das darfst du auch gern selbst aufschreiben.« Frauke war über die gute Leistung mehr als erfreut.
Julia wunderte sich etwas. »Musst du mich nicht kontrollieren?« Sie griff zur Liste und mit einer feierlichen Geste setzte sie hinter das Perlennetz einen Haken.
»Doch schon, ich soll auf dich aufpassen.« Frauke lächelte. »Aber ich bin mir sicher, dass du nicht schummeln wirst.«
»Danke für das Vertrauen.« Julia fühlte in sich eine weitere Verpflichtung wachsen. Sie ahnte, dass Hegels ihr vertrauten, und dass sich dieses Vertrauen jetzt auch auf Frauke erweiterte. Sie nahm sich vor, dieses Vertrauen ebenfalls nicht zu enttäuschen. »Und das Notsignal darf ich jederzeit benutzen.«
»Jederzeit, wenn ein ernster Grund vorliegt.« Frauke lehnte sich kurz zurück.
»Und wenn ich mich täusche?« Julia wollte ganz sicher gehen.
»Mach dir darüber keine Gedanken und folge einfach deinem Herzen.« Frauke wiederholte die Worte, die ihr selbst gesagt worden waren. »Wenn du meinst, dass es wichtig ist, oder wenn du echte Schmerzen verspürst, dann melde dich. Das ist ganz wichtig.«
»Dann könnten wir weiter machen?« Julia warf einen Blick auf die Liste.
»Was meinst du?« Frauke fragte es, obwohl sie Julias Blick gesehen hatte.
»Mit der Liste.« Julia zeigte auf den zweiten Eintrag. »Das nächste wäre ja der Trainingshandschuh.«
»Darauf bin ich auch sehr gespannt.« Frauke lächelte. »Ich könnte wetten, dass du ihn ganz geschlossen tragen kannst.« Doch dann wurde sie unerwartet sehr ernst. »Du musst mir unbedingt etwas versprechen.«
»Und das wäre?« Julia war der Stimmungswechsel sofort aufgefallen.
»Du meldest dich sofort, wenn es weh tut.« Frauke blickte Julia ernst an. »Und zwar ganz ehrlich. Es ist in dem Moment gleichgültig, was Hegels von dir erwarten.«
Julia erkannte, dass Frauke sich in diesem Moment auf ihre Seite zu schlagen schien. »Ich verspreche es.«
Insgeheim fragte sie sich, was wohl noch alles auf sie warten würde. Sie war immer mehr bereit, Carolins Weg fortzusetzen. Denn sie ahnte, dass es ein aufregender Weg sein würde.
Frauke nahm sich den Block zur Hand und begann etwas darauf zu schreiben. Als sie Julias verwunderten Blick sah, lächelte sie. »Hier sollen wir den Zeitraum eintragen, in dem du den Handschuh getragen hast inklusive Start- und Endzeit.«
»Warum denn das?« Julia runzelte jetzt auch noch die Stirn. »Kontrollieren sie uns?«
»Nein... Ja... Nein...« Frauke stotterte ein wenig. »Es geht um deine Gesundheit. Sie möchten einen Überblick bekommen, wann du den Handschuhe wie lange getragen hast.«
»Das hört sich irgendwie wichtig an.« Die Studentin war sichtlich beeindruckt.
»Ja, das ist es auch.« Frauke hoffte, das die Worte, die Hegels ihr mitgegeben hatten, die richtige Wirkungen haben würden. »Carolin hat das immer mehr gesteigert, haben sie mir gesagt. Zu Anfang werden sich deine Muskeln schon nach fünf bis zehn Minuten bemerkbar machen.«
Julia dachte kurz nach. »Und was wird von mir erwartet? Welche Zeitspanne muss ich schaffen?«
»Vor allem ist wichtig, dass du es langsam steigerst.« Frauke grinste innerlich, denn Julia reagierte genauso wie vorhergesagt. »Sonst machst du dir die Muskeln irreparabel kaputt.« Sie machte eine Pause, um ihre Worte wirken zu lassen. »Aber die Besten schaffen zwischen zwei und drei Stunden. Spätestens dann muss unbedingt eine Pause gemacht werden.«
»Beim Lernen brauche ich meine Arme ja ohnehin nicht.« Julia schien schon weiter zu denken.
»Zum Umblättern?« Frauke legte den Stift wieder weg.
»Ja das stimmt allerdings.« Sie stutzte kurz. »Ich habe schon öfters mit der Nase umgeblättert, weil ich zu faul war, meine Hände zu bewegen. Ich glaube, dass läßt sich ausbauen.« Ihre Augen leuchteten.
»Aber das waren deine eigenen Bücher?« Frauke runzelte die Stirn.
»Ja, das stimmt.« Julia schmunzelte. »Du hast recht. Mit den kostbaren Büchern aus der Bibliothek sollte ich das lieber nicht machen.«
»Du wolltest doch auch beim Lernen die Perle tragen.« Frauke war sich unsicher, ob sie es ansprechen sollte.
»Und die High Heels wollte ich auch tragen.« Sie zögerte. »Ich glaube, dass wird so nichts. Ich muss mir dafür einen Plan machen.«
Frauke lächelte etwas unsicher. Ihr Blick fiel mehr oder weniger beabsichtigt auf den Trainingshandschuh.
»Du hast Recht.« Julia war dem Blick gefolgt. »Jetzt ist erst einmal der Handschuh dran. Müssen wir das anlegen auch erst an einer Puppe üben?«
»Nein.« lachte Frauke. »Im Gegensatz zu dem Perlennetz kannst du dir den Handschuh nicht selbst anlegen. Dafür brauchst du immer Hilfe.«
»Eigentlich schade.« Julia fiel in das Lachen ein.
»Du bist gern unabhängig?« Die Dienerin blickte Julia etwas verwundert an.
»Ich habe schnell gelernt, mich nicht auf andere zu verlassen.« Mit etwas Wehmut dachte sie an ihre Vergangenheit, in der sie schon öfters selbst für ihr Glück kämpfen musste.
»Für das erste Mal sollten fünf Minuten reichen.« Frauke schrieb wieder etwas auf den Zettel, auf dem bisher nur die Überschrift stand: 'Tragezeiten des Trainingshandschuhs'
»Nur?« Julia sah ein wenig enttäuscht aus. »So viel habe ich gestern schon geschafft.«
Frauke blickte Julia nur an.
»Schon gut, das machen wir.« Julia gefiel der Gedanke, sich Frauke zum Teil unterordnen zu dürfen. Sie stand auf und nahm sich die schon bereitliegende Lederhülle. »Der Handschuh ist etwas schwerer.« Sie blickte Frauke verwundert an.
»Kein Wunder! Die Verschlüsse sind ja auch doppelt vorhanden, und er ist auch überall doppellagig gearbeitet.« Frauke gab ihre eigenen Erfahrungen wieder. »Für das Training muss er nicht schön aussehen, sondern nur robust sein.«
Julia horchte auf. »Es gibt dann also auch schöne Handschuhe?« Sie hatte das Wort 'schöne' extra betont.
»Die schönen Handschuhe wirst du sicher noch kennen lernen. Jetzt lass uns erst einmal mit diesem hier anfangen.« Frauke nahm Julia den Handschuh aus der Hand und fingerte etwas daran herum. »Hier ist unter der Schnürung noch eine Lage extra Leder, damit es nicht zu Druckstellen auf der Haut kommt.«
»Wie vorsorglich.« Julia konnte nicht verhindern, dass sie ironisch klang. »Lass uns anfangen.« Sie legte ihre Arme auf den Rücken. »Meinst du, du bekommst ihn ganz geschlossen? Ich glaube, dass würde Hegels sehr freuen.«
Obwohl sich Frauke über diesen Ehrgeiz sehr freute, musste sie Julia doch bremsen. »Das ist der Trainingshandschuh, den du oft tragen wirst. Er sollte vor allem bequem sitzen.«
Nur langsam begriff Julia, was Frauke soeben gesagt hatte, und obwohl es ihr eigentlich schon klar war, wollte sie es noch einmal hören. »Was heißt das, 'oft tragen'?« Ohne das es ihr selbst bewusst war, nahm sie ihre Arme wieder nach vorn und strich sich die Haare aus dem Gesicht.
»Nun, Carolin hat ihn sehr oft getragen, natürlich immer mit ausreichenden Pausen.« Frauke gab wieder, was sie zu wissen glaubte.
»Stimmt, ich habe ja schon viele der Möbel gesehen.« Sie blickte sich kurz um. »Es war mir immer sofort klar, wo Carolin jeweils gesessen hatte.« Dass die Möbel in ihrem Zimmer alle diese seltsame Lehne hatten, war ihr schon so vertraut, dass es ihr erst jetzt wieder ins Auge fiel.
»Wenn ich Madame dann bitten dürfte?« Frauke hielt den Handschuh auf Höhe von Julias Händen.
Julia lächelte angespannt, dann legte sie ihre Arme wieder auf ihren Rücken. »Ich bin schon gespannt.« Sie keuchte, als sie erste Berührungen ihrer Haut mit dem Leder verspürte.
»Der Handschuh würde wieder herunter rutschen.« In Fraukes Stimme klang etwas Verlegenheit. »Ich glaube, ich lege dir erst die Halteriemen an.«
Die Studentin sah fasziniert an sich herunter und sah, wie sich langsam das Kreuz über ihrer Brust bildete. Sie keuchte vor innerer Anspannung.
Frauke glaubte, Julias Gedanken zu erkennen. »Es gibt auch noch Handschuhe mit einem anderen Verlauf der Riemen. Die sind dann für die geübten Mädchen, weil man sie noch viel strenger schnüren kann.«
»Na dann.« Julia war in diesem Moment nicht in der Lage, an die Zukunft zu denken. Sie war viel zu sehr in der Gegenwart und von dem Handschuh gefangen.
»Ich beginne jetzt mit der Schnürung«, sagte Frauke mit leiser Stimme, nachdem sie einige Momente auf Julias Rücken hantiert hatte.
»Wie weit wirst du schnüren?« Julia hatte Schwierigkeiten, sich klar zu äußern. »Und was hast du bis eben gemacht?«
»Du bist sehr neugierig.« Es reizte die Dienerin, Julia ein wenig zu necken. »Ich habe die Trageriemen wie vorgesehen festgeschnallt. Du kannst dir das gleich im Spiegel ansehen.« Sie versuchte ihre Stimme etwas strenger klingen zu lassen. »Und jetzt halte bitte deine Arme still.«
Julia hatte den Wechsel des Tonfalls durchaus bemerkt, und obwohl sie davon nicht beeindruckt war, spürte sie doch, dass es einfacher für Frauke sein würde, wenn sie sich nicht mehr bewegte.
»So, fertig. Ich muss nur noch die überstehende Schnur aufwickeln.« Die Dienerin klang sehr erleichtert. »Und um auf deine andere Frage zu antworten, er ist ganz geschlossen.«
»Aber...« Julia hatte Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden. »Er sitzt doch völlig locker.« Um dies zu demonstrieren, drückte sie ihre Arme aneinander.
»Ja, du hast recht, so geht das nicht.« Sie blickte etwas ratlos auf Julias Arme. »So macht das Training keinen Sinn.«
»Was machen wir nun?« Julia drehte sich um und blickte Frauke erwartungsvoll an.
»Ich bewundere dich.« Sie überhörte die Frage der Studentin. »Ich wäre froh gewesen, wenn ich ihn wenigstens so hätte tragen können.«
Zunächst war Julia stolz, erst nach kurzer Zeit realisierte sie, was Frauke eigentlich gesagt hatte. »Musstest du den Handschuh auch tragen? Warum du?«
Frauke wurde verlegen, denn sie hatte sich verplappert. Es war ausgemacht, dass sie Julia nichts von ihren eigenen Versuchen sagen sollte, deswegen suchte sie eine Ablenkung. »Ich habe Carolin, obwohl ich sie nicht mehr kennenlernen durfte, bewundert, und ich war neugierig. Ich wollte wissen, ob ich das auch können würde.«
»Und konntest du es?« Julia war fasziniert, eine neue Seite der Dienerin kennenzulernen.
»Selbst wenn ich jemand gefunden hätte, der mir damit geholfen hätte, hätte ich es nicht geschafft.« Sie ärgerte sich über ihren Fauxpas und hoffte, dass Julia nicht weiter nachhaken würde. »Ich schau mal, ob er sich noch etwas enger schnüren lässt.«
»Ja bitte.« Julia war dankbar, dass Frauke anscheinend ihrem Ehrgeiz etwas nachgab. »Es fühlt sich schön an.«
Frauke keuchte. »Was haben deine Brüder nur mit dir angestellt, dass du so gelenkig bist?«
»Erinnere mich bitte nicht an die alten Zeiten.« Julia seufzte. Sicher, sie war früher sicher eine Nervensäge gewesen, und sie hatte stets den Ehrgeiz gehabt, sich gegen ihre Brüder zu behaupten. Und auch das spielerische Fesseln der Arme auf den Rücken hatte sie damals mit stoischer Ruhe ertragen, auch wenn es nur Kindereien waren.
Früher hatte sie auch einmal vom Ballett geträumt, wie fast jedes junge Mädchen, und manchmal ganz heimlich hatte sie sich auf den Dachboden geschlichen, um dort in der kleinen Kammer vor dem großen aber zerbrochenen Spiegel zu tanzen. Im Nachhinein musste sie darüber lachen, denn natürlich war ihr schon damals klar gewesen, dass dieser Traum nie in Erfüllung gehen würde.
Aber eines hatte sie von beiden Ereignissen ihrer Kindheit behalten, ihre Gelenkigkeit. Und doch hätte sie nie gedacht, wofür sie jetzt diese Fähigkeiten brauchen konnte.
»Nein, so geht es einfach nicht.« Frauke fluchte leise.
»Was meinst du?« Julia wurde aus ihren Gedanken gerissen. »Warum?«
»Ich habe ihn wirklich ganz geschlossen, und er sitzt immer noch sehr locker.« Sie ärgerte sich, dass sie sich so sehr verschätzt hatten.
»Was machen wir jetzt?« Julia zog die Stirn in Falten.
»Für Notfälle haben Hegels mir eine Nummer hinterlassen, unter der sie zu erreichen sind, falls irgendwelche Probleme auftauchen sollten.« Sie nahm das Smartphone aus der Tasche, dass sie ihr für genau diese Zwecke gegeben hatten.
»Willst du sie bei der Hochzeit stören?« Der Tonfall der Studentin zeigte, wie wenig ihr dieser Gedanke gefiel.
»Nein, das nicht. Aber ich könnte ihnen eine Nachricht schicken.« Frauke gab wieder, was sie diesbezüglich mit Hegels ausgemacht hatte. »Und sie würden bei passender Gelegenheit eine Antwort schicken.«
»Bitte lass es uns versuchen.« Julia bekam auf einmal leuchtende Augen. »Es wäre schön, wenn wir die Zeit so gut wie möglich nutzen könnten.«
Frauke nahm das Handy zur Hand und tippte einige Zeit darauf herum. Schließlich legte sie es wieder weg. »Jetzt müssen wir die Antwort abwarten.«
Julia hielt es nicht einmal eine Minute aus. »Gibt es nicht etwas, was wir schon tun könnten?«
»Als nächstes wollte ich dir die Gymnastik-Übungen zeigen.« Frauke ging zur Kommode und holte den entsprechenden Zettel. »Schau sie dir schon einmal an.«
Julia blickte neugierig auf den Zettel und hatte nach einem kurzen Moment erkannt, was die jeweiligen Skizzen aussagten. »Wenn du mir den Handschuh abnimmst, dann kann ich sie gleich einmal ausprobieren.«
»Ist Ehrgeiz eigentlich ansteckend?« Frauke lachte, während sie die Riemen öffnete und der Handschuh langsam zu Boden fiel. Sie bückte sich, um ihn wieder aufzuheben.
»Danke.« Julia übersah die Spitze in Fraukes Worten, blickte stattdessen sehr konzentriert auf das Blatt und führte nacheinander die einzelnen Übungen aus. »Sie sind ja leicht zu merken.« Sie lächelte vorsichtig.
Nach einigen Übungen zeigte ein kurzes Piepen die Ankunft einer Nachricht an. Frauke nahm das Telefon zur Hand und schaute darauf.
Julias hielt in ihren Bewegungen inne. »Was sagen sie?« Ihre Stimme zitterte ein wenig.
Frauke blickte auf. »Sie sagen, wir sollen gleich mit dem strengen Handschuh beginnen.«
»Carolin hatte mehrere Trainingshandschuhe?« Julia fragte das Naheliegende.
»Natürlich.« Frauke ging zur Tür. »Sie musste es ja auch nach und nach trainieren.
Julia nickte nur.
Während Frauke weg war, piepste es noch einmal, und obwohl Julia sehr neugierig war, vermied sie es, direkt auf das Display zu schauen. Letzteres empfand sie doch als einen Vertrauensbruch, und so etwas wollte sie unbedingt vermeiden.
»Es kam noch eine Nachricht«, sagte Julia, kaum das Frauke die Tür wieder geöffnet hatte.
»Und was schreiben sie?« Frauke blickte in Julias Gesicht.
»Ich weiß nicht.« Julia zuckte mit den Schultern. »Ich habe mich nicht getraut, es zu lesen.«
Frauke blickte Julia lange an. »Du erstaunst mich immer wieder.« Sie legte den Handschuh, den sie in der Hand hielt, auf den Tisch, dann nahm sie sich das Handy zur Hand und blickte auf die Anzeige. »Sie beglückwünschen dich zu deinen Fähigkeiten.« Sie lächelte.
Julia strahlte. »Dann lass uns doch mit meinem Training beginnen.« Sie stand auf und legte ihre Arme auf den Rücken. »Bitte sehr, Madame, legen sie mir bitte den Handschuh an.«
»Bitte sage nicht 'Madame' zu mir.« Für einen kurzen Moment klang die Dienerin verärgert. »Wir beginnen das Training also gleich mit dem Handschuh Nummer Zwei.«
Julia hatte den kurzen Stimmungswechsel bemerkt und beschloss für sich, diese Art von Anrede in Zukunft zu vermeiden, auch wenn sie diesen ironischen Tonfall eigentlich recht gern mochte.
»Tut es weh?« Frauke hatte die Schnürung beendet und wickelte die übrig gebliebene Schnur auf.
»Du bist schon fertig?« Julia war überrascht.
»Ich kann auch 'schnell'.« Frauke erinnerte die Studentin an das Perlennetz.
»Nein, der Handschuh sitzt sehr bequem.« Julia hatte mit der ihr nun aufgezwungenen Haltung überhaupt keine Probleme und strahlte deswegen bis über beide Ohren.
»Du meldest dich sofort, wenn es weh tut, verstehst du?« Frauke klang in diesem Moment sehr ernst.
»Ja, natürlich.« Julia verdrehte die Augen. »Das mache ich.«
Frauke blickte immer wieder auf die Uhr. »Für die zweiten fünf Minuten würde ich dir gern zwei kleine Verschärfungen anlegen, wenn du damit einverstanden bist.«
»Hat Carolin die auch getragen?« Julias Stimme war leise.
»Das weiß ich nicht.« Frauke war es leid, zu wiederholen, dass sie Carolin nicht mehr kennenlernen durfte. »Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass sie es gemacht hat.«
Julia blickte wieder auf die Uhr. »Wie lange wirst du zum Anlegen brauchen?«
»Das geht schnell.« Frauke hatte schon zwei unterschiedlich lange Riemen in der Hand. »Warum?«
Julia strahlte. »Ich möchte die fünf Minuten ganz genießen.«
Innerlich verdrehte Frauke die Augen. »Du bist einfach unersättlich.« Sie lächelte. Sehr schnell führte sie die beiden Riemen in die dafür vorgesehenen Schlaufen ein und zog sie zu.
»Au, das tut jetzt doch etwas weh.« Julia versuchte, nicht wehleidig zu klingen.
»Das dachte ich mir.« Frauke lächelte. »Ich wollte dich nur einmal testen, ob du wirklich ehrlich bist.«
Julia brauchte einen Moment, bis sie realisierte, was die Dienerin gerade gesagt hatte. »Du bist ein Schuft.« Doch das Lächeln in der Stimme zeigte, wie sie es wirklich meinte.
»Ich wollte einfach sicher sein, dass du es auch ehrlich meinst.« Frauke versuchte eine Entschuldigung. »Hegels haben mir dazu geraten.« Letzteres war zwar gelogen, aber es betonte die Wichtigkeit des Augenblicks.
»Na dann.« Julia grinste. »Habe ich den Test bestanden?«
»Ja, hast du.« Frauke war erleichtert, dass ihre kleine Kompetenzüberschreitung so gut angekommen war. »Ich ziehe sie jetzt so fest, wie es eigentlich gehört.«
»Ich bitte darum.« Julia war in einer sehr fröhlichen, fast euphorischen Stimmung.
Frauke schmunzelte. »Du bist wirklich unersättlich.« Doch dann wurde ihre Stimme auf einmal ernst. »Julia, darf ich dich einmal um einen Gefallen bitten?«
Julia war der Stimmungswechsel nicht verborgen geblieben »Was möchtest du denn?«
»Darf ich dich einmal umarmen?« Sie sagte nichts weiter, doch ihr Blick sprach für sie. Seit sie ihre stählerne Unterwäsche tragen musste, hatte sie jeden körperlichen Kontakt vermieden, weil sie sich dessen schämte. Außerdem wollte sie jegliche Erregung verhindern, weil sie wusste, dass sie keine Erlösung finden würde. Doch jetzt mit Julia, die so stolz da stand, war es etwas anderes.
Julia war überrumpelt. Sie fand zunächst keine Antwort.
Frauke weinte, als Julia sich vor sie stellte und sie etwas unsicher ansah. »Ich habe mir immer eine kleine Schwester gewünscht, auf die ich aufpassen und die ich lieb haben kann.«
Julia schluckte. Sie hatte einen Kloß im Hals. »Bitte.« Mehr Worte brachte sie nicht zustande.
Frauke legte ihre Arme um Julia und drückte sie an sich.
Julia spürte deutlich die beiden Halbkugeln an Fraukes Körper und versuchte, ihre diesbezüglichen Gefühle zu ignorieren. »Bitte weine nicht.« Das Sprechen fiel ihr schwer. »Ich will dir gerne eine Schwester sein.« Nach einer kurzen Pause ergänzte sie den Satz. »Falls Hegels nichts dagegen haben.«
Frauke löste langsam die Umarmung. »Du hast recht, wir sollten uns professionell verhalten. Ich freue mich aber sehr über dein Verständnis.« Insgeheim hatte sie ein schlechtes Gewissen, denn Julia hätte sich gegen die Umarmung überhaupt nicht wehren können.
Es klingelte.
Frauke blickte auf. »Oh, wir sollen zum Mittagessen kommen.« Ein Schatten legte sich über ihr Gesicht.
Julia war etwas enttäuscht. »Ich habe noch zwei Minuten.«
»Eine Minute 45, um genau zu sein.« Frauke verwies auf die Uhr mit dem Sekundenzeiger.
Jetzt war es an Julia, die Augen zu verdrehen.
»Lass uns gehen.« Frauke drehte sich zur Tür. »Ich nehme dir den Handschuh in der Küche ab.«
Für einen kurzen Moment war Julia erschrocken, denn damit würde die Köchin ihren Handschuh zu Gesicht bekommen. Doch dann überwog der Stolz in ihren Gefühlen: Ja, sie würde schon jetzt einer fremden Person ihre Fähigkeiten zeigen. Außerdem hatte sie auch keine andere Wahl, denn es war ganz unmöglich für sie, sich selbst den Handschuh abzunehmen. Trotzdem überwog das Gefühl der Geborgenheit, denn sie hatte langsam begriffen, dass sie sich Frauke anvertrauen konnte. Und immerhin hatte sie auch Hunger.
Julia hatte eine etwas ältere Frau erwartet, doch zu ihrer Überraschung war die Köchin nur ein wenig älter als sie selbst. Sie war verwundert.
Die Köchin schien dies zu spüren. »Ich bin Paula. Ich bin für meine Mutter eingesprungen. Sie kann heute nicht.« Natürlich kannte sie den wahren Grund, doch dies wollte sie noch nicht zugeben.
Auch Frauke war von dem Anblick des jungen Mädchens überrascht, und Julia kam es vor, als machte sie einen sehr erleichterten Eindruck. Jetzt war sogar ein Lächeln im Gesicht der Dienerin zu sehen. »Ich bin Frauke, und das ist Julia. Sie trainiert noch.«
Die Köchin war von der Haltung der Studentin sehr beeindruckt. »Hast du keine Arme? Davon hat meine Mutter überhaupt nichts gesagt.«
Ohne dass es abgesprochen war, drehte sich Julia einmal um ihre Achse, um ihre Arme zu zeigen. »Eine Minute noch.« Sie lächelte glücklich.
»Und was trainierst du?« Paula konnte ihren Blick nicht von Julia abwenden.
»Das Tragen dieses Handschuhs.« Fraukes Blick zeigte fast so etwas wie Stolz.
»Das ist ein Handschuh?« Die Tochter der Köchin war verwundert.
»Meine ersten zehn Minuten.« Julia strahlte.
»Und du bist Frauke?« Paula wandte sich an die Dienerin.
Frauke bestätigte es.
»Ach?« Paula war verwundert. »Meine Mutter hat mich vor dir gewarnt. Aber ich verstehe nicht warum. Du bist doch nett.«
»Ich weiß«, seufzte Frauke. »Und ich habe auch Verständnis dafür.«
Erst jetzt realisierte Paula die Peinlichkeit der Situation. Sie zeigte auf den Herd. »Ich habe euch einen schönen Linseneintopf gekocht.«
Frauke blickte Paula etwas verwundert an.
»Okay, ich gebe zu, Mutter hat ihn gekocht.« Paula lächelte verlegen. »Ich muss ihn nur noch warm machen.« Ihr Blick fiel wieder auf Julia und ihre auf dem Rücken gefangenen Arme. »Wie willst du so denn essen? Das geht doch gar nicht.«
»Wir werden sie füttern«, lächelte Frauke.
Julia blickte sich verwundert um. Obwohl die Zeit schon lange abgelaufen war, machte Frauke keinerlei Anstalten, sie aus dem Handschuh zu befreien. Doch sie traute sich auch nicht, um ihre Befreiung zu bitten. Stattdessen sah sie zu, wie Frauke zügig den Tisch deckte und dabei immer wieder zu ihr herüber blickte.
Auch Paula schien Julia zu ignorieren. Sie war wieder an den Herd getreten und rührte immer wieder in dem Topf mit der Linsensuppe.
Es irritierte Julia sehr, dass sie anscheinend in diesem Moment nicht im Mittelpunkt stand.
»Mutter sagt, dass ich mit euch essen darf, wenn ich frage.« Paula blickte zwischen den beiden Frauen hin und her. »Seid ihr einverstanden?«
»Ja, natürlich«, lächelte Frauke, dann blickte sie zu Julia.
Die Studentin brauchte einen Moment, bis sie erkannte, dass auch sie ihre Zustimmung geben sollte. »Ja klar, ich habe auch nichts dagegen.«
Frauke war von der Situation positiv überrascht. Mit Paulas Mutter verstand sie sich überhaupt nicht, und sie gingen sich regelmäßig aus dem Weg. Um so leichter kam sie jetzt mit der Tochter zurecht, insbesondere weil Paula zumindest auf den ersten Blick auf ihrer Wellenlänge zu sein schien. Auch sie schien Julias Anblick im Trainingshandschuh zu genießen.
Sie nahmen Platz, und Paula begann, mit der Kelle die Teller zu füllen. »Die Suppe ist vielleicht noch etwas heiß.«
Julia blickte verwundert auf den Teller vor ihr. Sie wusste überhaupt nicht, was sie von der Situation halten sollte. Doch von einem war sie überzeugt: Sie würde von sich aus nicht um ihre Befreiung bitten, denn noch verspürte sie in den Armen überhaupt keine Schmerzen oder andere Anzeichen von Unwohlsein.
»Das riecht sehr lecker.« Frauke schnupperte über ihren Teller.
»Wie lange muss Julia denn noch trainieren?« Paula blickte sehr fasziniert auf Julias Platz.
»Du hast recht, wir sollten sie erlösen.« Obwohl Frauke die Tochter der Köchin überhaupt nicht kannte, fühlte sie doch eine gewisse Seelenverwandtschaft. Sie stand auf und trat hinter Julia. Sie zog den Reißverschluss auf und öffnete die Riemen, die den Handschuh an Julias Armen hielten.
Julia war sehr neugierig und warf sofort einen Blick auf die Schnürung. Als sie sah, dass zwischen den beiden Schnürleisten noch ein kleiner Spalt offen war, keuchte sie etwas. »Ich dachte, er wäre schon ganz geschlossen?« In ihrer Stimmung war deutlich ihre Enttäuschung zu hören.
Frauke schien damit gerechnet zu haben. »Für die ersten Tage wirst du erst einmal so trainieren. Wenn sich deine Muskeln daran gewöhnt haben, können wir es enger machen.«
»Da ist aber jemand sehr ehrgeizig.« Paula lächelte. »Und jetzt lasst es euch schmecken.«
* * *
»Ich dachte schon, du wolltest mich gar nicht heraus lassen.« Julia legte ihren Löffel weg und grinste Frauke an.
»Hegels haben mir erlaubt, dein Training ein klein wenig zu verlängern oder zu verkürzen, je nach dem, wie es dir geht.« Sie grinste ein wenig.
»Aber das schreibst du bitte auf.« Julia lächelte. »Danke für diesen besonderen Moment.« Das Sprechen fiel ihr schwer. »Ich war mir wirklich nicht sicher, ob ihr mich aus dem Handschuh befreien würdet. Und das fühlte sich schön an.«
Frauke nahm sich den Block zur Hand und schrieb etwas darauf. Dann hob sie ihren Kopf und lächelte. »Oh, wenn es dir gefallen hat, dann können wir das gern öfters machen.« Sie streichelte Julia über die Wange.
Paula erhob sich. »Ich danke euch für die nette Gemeinschaft.« Sie stellte das Geschirr zusammen. »Ihr könntet mir einen großen Gefallen tun.« Sie blickte die beiden Mädchen verlegen an.
»Und der wäre?« Frauke war ein wenig verwundert.
»Ihr würdet mir sehr entgegen kommen, wenn ihr die Spülmaschine ausräumen würdet, wenn sie fertig ist.« Sie blickte auf die entsprechende Stelle. »Mein Freund wartet auf mich.« Sie lächelte weiterhin verlegen und wurde etwas rot dabei.
»Das machen wir.« Frauke war es zwar nicht recht, noch mehr Aufgaben zu bekommen, doch sie spürte, dass sie der Tochter der Köchin damit einen Gefallen tat. Vielleicht würde sich das später noch einmal auszahlen.
Julia blickte mit etwas Stolz auf den Zettel, den Frauke geschrieben hatte. Dort stand sozusagen Schwarz auf Weiß, dass sie Carolins strengen Trainingshandschuh schon 15 Minuten getragen hatte. Und doch war auch ihr Ehrgeiz geweckt, denn sie hatte bei der Abnahme gesehen, dass die Schnürung des Handschuhs noch nicht ganz geschlossen war. »Und was machen wir als nächstes?«
»Wie wäre es mit einer kurzen Verdauungspause?« Frauke half Paula, das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine zu stellen.
Auch Julia beschloss, mit anzufassen. »Ja, du könntest recht haben.« Doch dann wurde sie nachdenklich. »Können wir uns das leisten?«
»Ich denke schon.« Frauke gab sich nachdenklich. »Wir haben ja schon viel geschafft.«
Julia bedankte sich bei Paula für das leckere Essen.
»Ich werde es meiner Mutter ausrichten.« Paula griff zu ihrer Jacke und zog sie sich an. »Danke für die Spülmaschine.«
»Viel Spaß mit ihm«, rief Frauke ihr hinter her.
»Danke.« An der Tür drehte sich die Tochter der Köchin noch einmal um.
Julia blickte auf die Uhr. »Sagen wir Pause bis 13 Uhr?« Sie ging zur Spüle und wusch sich die Hände.
»Klingt gut.« Frauke stellte die Spülmaschine an, dann blickte sie aus dem Fenster. Insgeheim war sie sehr erleichtert, weil das Mittagessen ganz anders verlaufen war, als sie es erwartet hatte. »Ich komme dann zu dir.«
* * *
Frauke blickte der Studentin hinterher und wunderte sich dabei ein wenig über sich selbst. Es war eigentlich nicht ihre Art, sich anderen Personen so weit zu öffnen, doch die besondere Situation mit Julia hatte es einfach mit sich gebracht. Und ihr Gegenüber hatte auch genau ihren Nerv getroffen. Schon immer hatte Frauke sich eine Schwester gewünscht, doch sie musste allein aufwachsen. Und ihre Mutter hatte so gut wie nie Zeit für sie. Als die Studentin so schutzbedürftig vor ihr stand und sie erwartungsvoll anblickte, hatte sie einfach nicht mehr die Kraft, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. In diesem Moment sah sie in Julia die kleine Schwester, die sie sich schon immer so sehnsüchtig gewünscht hatte. Und natürlich war sie erleichtert, dass Julia genau so reagiert hatte, wie sie es gehofft hatte.
Trotzdem tat es ihr weh, zu wissen, was Hegels mit Julia vor hatten. Sie fühlte, dass sie in einem Zwiespalt steckte. Sie war gegenüber Hegels verpflichtet und doch wollte sie Julia beistehen und es ihr nach Kräften so einfach wie möglich machen. Auch wenn sie wusste, dass es sie viel Kraft kosten würde.
* * *
Gedankenverloren betrat Julia ihre Wohnung, ging zielstrebig auf das Bett zu und ließ sich einfach darauf fallen. Ihr Blick richtete sich nach oben, und sie begann zu träumen.
Sie war verzaubert von den neuen aufregenden Gefühlen. Sie war in dem Handschuh gefangen gewesen, und Frauke hatte zunächst keine Anstalten gemacht, sie daraus zu befreien. Es waren zwar nur fünf Minuten, doch sie fand es mehr als spannend, nicht zu wissen, was kommen würde.
Genauso spannend war es, mit dem Handschuh der Tochter der Köchin gegenüber zu treten.
Etwas hatte sie irritiert. Paula war über den Handschuh zwar verwundert, weil sie so etwas noch nie gesehen hatte, aber sie schien zu wissen, dass sie Julia so etwas zu machen hatte. Ihre Mutter schien sie entsprechend vorbereitet zu haben.
Und über Frauke war sie ebenfalls verwundert. Es war das erste Mal, dass die Dienerin so offen ihre Gefühle gezeigt hatte. Und Julia war von der Bitte sehr gerührt. Und auch von den Tränen war sie berührt. Sie hatte sofort gespürt, dass Frauke es ehrlich gemeint hatte und sich ihr geöffnet hatte. Sie wusste, dass dazu ein gewisses Vertrauen nötig war, und sie war bemüht, dieses nicht zu enttäuschen.
Auch war sie erleichtert darüber, dass sie schon mehr als die halbe Liste geschafft hatten und jetzt nur noch wenig Sachen übrig waren.
Vor allem war sie auf die Kirchenhandschuhe neugierig. Sie hatte darüber schon im Tagebuch gelesen, hatte dies aber zunächst für nicht so wichtig gehalten. Doch jetzt war sie sehr gespannt, was es mit diesen Handschuhen wirklich auf sich haben würde. Denn Carolin hatte mit großem Respekt von ihnen geschrieben, das wurde ihr im Nachhinein immer deutlicher.
Das Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. »Komm herein.« Dass jemand an ihre Tür klopfte und auf ihre Erlaubnis zum Eintreten wartete, war immer noch sehr ungewohnt für sie. »Was machen wir als nächstes?« Julia richtete sich auf dem Bett auf.
»Die Uniform der Engel sollten wir unbedingt heute noch ausprobieren.« Frauke legte die mitgebrachte Sachen auf den Tisch, dann warf sie einen Blick auf die Liste.
»Was hat es eigentlich mit diesen Engeln auf sich?« Die Studentin wollte ihr Wissen vervollständigen, denn aus dem Tagebuch hatte sie bisher nichts konkretes erfahren.
»Das sollen Hegels dir selbst sagen.« Frauke zuckte mit den Achseln. »Ich selbst weiß nur sehr wenig darüber.« Letzteres war nicht einmal gelogen. »Na, dann lass uns mal die Uniform probieren.« Sie ging zum dritten Schrank und öffnete ihn. Sie nahm die Sachen heraus und legte sie neben Julia auf das Bett. Dass sich Julia in der Zwischenzeit schon ausgezogen hatte, konnte sie nicht mehr überraschen.
»Das geht so nicht.« Julia ließ ihre Hände sinken. »Die Bluse ist zu eng.«
Frauke war nur im aller ersten Moment verunsichert. »Schau mal, oben herum passt sie doch.«
»Ja, ich kann sie aber nicht zuknöpfen.« Doch dann stutzte sie und blickte Frauke fragend an. »Da fehlt noch etwas?«
Frauke musste nicht lange überlegen. »Du hast recht, da fehlt wirklich noch etwas. Du musst ein Korsett darunter tragen.« Frauke ging wieder zum Schrank.
»Ein Korsett?« Julia war verwundert. »So etwas habe ich noch nie getragen.« Doch ihre Neugier war erwacht. »Wo wäre es denn?«
»Hier ist es.« Sie griff in eines der Fächer und nahm etwas heraus, dann ging sie wieder zum Bett und reichte ihr das mitgebrachte Kleidungsstück.
»Neugierig wäre ich ja schon.« Julia nahm es mit leuchtenden Augen in die Hand.
»Wir sollen die Uniform ja ausprobieren.« Frauke hatte Mühe, ihre eigene Faszination zu verbergen.
»Du meinst...« Julia begann, sich die Bluse wieder auszuziehen. Es lag in ihrem Naturell, dass sie auch gegenüber Frauke keine Scheu hatte, sich vor ihr zu entblößen.
»Du willst doch sicher wissen, wie es sich anfühlt, wenn du die Bluse und die Handschuhe trägst.« Frauke lächelte leicht.
»Und wie es ist, wenn ich darin eingesperrt bin.« Sie legte die Bluse neben sich und griff sich das Korsett. Sie wollte es sich umlegen, doch dann stutzte sie. »Ist das so überhaupt richtig? Bitte hilf mir.«
»Ein solches Korsett sollte man immer mit einer Hilfsperson anziehen.« Die Dienerin gab wieder, was sie wusste. »Es muss im Rücken geschnürt werden, und wir müssen mindestens zwei Zentimeter aus dir heraus holen.«
»Bitte was?« Julia hielt in ihren Bewegungen inne.
»Hast du es nicht gesehen?« Frauke zeigte auf die Bluse. »Die beiden Verschlussleisten waren noch zwei Zentimeter auseinander.«
»Stimmt.« Julia Stimme zitterte ein wenig. »Jetzt wo du es sagst.«
»Aber dafür sind die Korsetts ja auch gemacht.« Sie legte das Korsett um Julias Bauch und zog die beiden Hälften zueinander. »Du bist aber sehr schlank.«
»Naja, ich glaube, meine Brüder haben mich stets auf Trab gehalten.« Sie grinste. »Und während der Uni musste ich sparen.«
»Wollen wir trotzdem versuchen, es streng anzulegen?« Frauke hatte auf einmal eine Idee.
»Du machst mich neugierig.« Julia blickte an sich herunter. »Was heißt 'streng'?«
»Ich bemühe mich, das Korsett ganz zu schließen.« Frauke war sich unsicher, ob es wirklich richtig war.
»Na dann mach mal.« Julias Stimme wurde etwas leiser. »Ich bin schon sehr gespannt, wie es sich anfühlen wird.«
Nach einiger Zeit war von Frauke auf einmal ein 'Fertig' zu hören. »Ich denke, das müsste für die Bluse reichen.«
»Ist das Korsett ganz geschlossen?« Julias Stimme war leise.
»Nein, ein Spalt von zwei Zentimetern ist noch offen.« Frauke bedauerte es ein wenig, dass sie in Julia falsche Hoffnungen geweckt hatte.
»Es fühlt sich trotzdem schön an.« Julia keuchte. »Darf ich es mal anfassen?«
Im ersten Moment wollte Frauke über die seltsame Frage lachen, doch dann erkannte sie blitzschnell die Gelegenheit, Julias Gedanken gleich in die richtige Richtung zu lenken. »Ja, darfst du gern. Aber gewöhne dich nicht daran.«
»Was meinst du?« Julia legte ihre Hände auf das Korsett und strich verwundert darüber. In diesem Moment war sie regelrecht verzaubert.
»Du wirst die Kirchenhandschuhe tragen.« Frauke versuchte, ihre Stimme geheimnisvoll klingen zu lassen. »Oder du trägst die Arme in Carolins Handschuh.«
»Ach so. Darauf freue ich mich ja auch schon.« Julia strahlte. »Die Handschuhe wollten wir ja auch noch ausprobieren.« Doch dann stutzte sie. »Wenn ich die Kirchenhandschuhe trage, kann ich meine Hände auch nicht mehr benutzen?«
»Warte es einfach ab.« Frauke lächelte, dann reichte sie ihr die Bluse. »Jetzt lass uns noch einmal die Bluse probieren.«
»Ich bin gespannt, ob sie jetzt passt.« Julia drehte sich um und nahm Frauke das Kleidungsstück aus der Hand. »Sie sieht so edel und verletzlich aus.«
»Das ist ein Stoff ähnlich der Fallschirmseide.« Frauke gab ihre eigenen Erfahrungen wieder. »Du wirst sie nicht zerreißen können, selbst wenn du dich anstrengst.«
»Und dazu sind es auch noch alles Dreifachnähte.« Julia blickte die Bluse fasziniert an. »Bitte schließe mich darin ein.« Sie reichte Frauke das Oberteil, dann hielt sie die Arme längs am Körper.
Als Frauke ihr die Bluse hin hielt, steckte sie ihre Arme in die Ärmel. Sie wusste schon, dass die Ärmel bis zum Ellenbogen fest mit der Bluse verbunden waren und nur auf diese Weise anzuziehen waren. Sie schaute Frauke zu, wie diese die Bluse langsam an ihr empor zog.
»Lässt sie sich jetzt schließen?« Julia hielt innerlich den Atem an, wollte sich dieses aber nicht anmerken lassen.
Frauke hatte bemerkt, dass Julia die Augen geschlossen hatte. Schnell griff sie zu den Reißverschlussteilen, steckte sie am Ende zusammen und zog den Schieber dann zügig nach oben. »So, fertig. Komm mit zum Spiegel.« Sie führte das Mädchen langsam vor den Spiegel. »Jetzt kannst du die Augen öffnen.«
Es war der erste von vielen weiteren kritischen Momenten, den Julia jetzt vor sich hatte. Würde ihr die Bluse passen, und könnte sie Hegels so wie von ihnen erwartet in die Kirche begleiten? Ohne das sie es ausgesprochen hatten, fühlte sie doch, dass es ihnen sehr viel bedeutete.
Schließlich öffnete sie die Augen und blickte ihr Gegenüber im Spiegel an. »Wahnsinn! Ich wusste gar nicht, dass ich eine so schmale Taille habe.«
»Das macht das Korsett.« Frauke streichelte ihr von hinten zärtlich über den Bauch. »Und du siehst, dass die Bluse ganz locker sitzt.«
»Echt faszinierend. Ich könnte mich ganz unbeschwert bewegen.« Sie wollte ihre Arme heben, doch da bemerkte sie die festgenähten Ärmel. »Aber die Engel müssen sich anscheinend gar nicht so sehr bewegen, sehe ich das richtig?«
»Ja, damit könntest du recht haben.« Frauke schaffte es nicht, ihr Grinsen zu unterdrücken. »Du wirst ja außerdem noch die Kirchenhandschuhe tragen.«
»Können wir die Handschuhe gleich dazu ausprobieren?« Julias Augen leuchteten, als sie Frauke ansah.
»Nein.« Frauke hatte Mühe, sich zu beherrschen. »Für das erste Mal ist es besser, wenn du deine Arme frei bewegen kannst, damit du die Handschuhe genau untersuchen kannst.«
»Sind sie denn so besonders?« Julia hob ihre Arme, um den Reißverschluss der Bluse zu öffnen, doch sie stelle zu ihrem Erstaunen fest, dass sie nicht an den Schieber heran kam. Langsam drehte sie den Kopf und blickte Frauke an. »Ich bin in der Bluse eingesperrt?« Ihre Stimme war sehr verwundert.
»Nein«, widersprach Frauke. »Noch habe ich den Schieber nicht abgeschlossen.« Ein Lächeln glitt langsam über ihr Gesicht.
»Ein sehr faszinierendes Kleidungsstück. Es sieht so unscheinbar und unschuldig aus, und doch nimmt es mir fast den gesamten Bewegungsfreiraum.« Julias Begeisterung war deutlich zu hören.
»Und deine Hände werden bald durch diese Handschuhe versorgt.« Frauke hielt ein schwarzes Bündel hoch.
»Du machst mich wirklich neugierig.« Julia stutzte. »Ich muss dich jetzt bitten, mich wieder aus der Uniform heraus zu lassen.«
»Bitten kannst du natürlich.« Frauke grinste jetzt noch mehr. »Aber es wird dir nichts nutzen.«
»Wie meinst du das?« fragte Julia und runzelte die Stirn, obwohl sie die Antwort wusste oder zumindest ahnte.
»Du willst sicherlich noch den dazu gehörenden Rock anziehen?« Sie hob das entsprechende Kleidungsstück vom Bett hoch und reichte ihn der Studentin. Auf Julias Bitte hingegen ging sie nicht ein.
»Und mir damit auch noch die Beinfreiheit nehmen?« Ihre Stimme war sehr leise. »Eigentlich kenne ich den ja schon.« Julia hatte den Rock wiedererkannt als das Kleidungsstück, welches sie auch schon zur Uni getragen hatte. Und sofort waren ihr die Konsequenzen klar. »Mit der Bluse komme ich dann aber nicht mehr an den Reißverschluss. Kannst du mir helfen? Ich habe keine Lust, die Bluse wieder auszuziehen.« Sie grinste Frauke an.
»Natürlich.« Die Dienerin lächelte ebenfalls. »Sie sind mir zu sauer, sagte der Fuchs zu den Trauben, an die er nicht heran konnte.« Sie zögerte einen Moment, dann half sie Julia, den engen Rock anzuziehen.
Julia keuchte bei der Erkenntnis, jetzt weder ihre Arme noch ihre Beine vernünftig bewegen zu können. Trotzdem drehte sie sich sehr gespannt vor den Spiegel und bestaunte ihr Aussehen. »Es sieht eigentlich sehr brav und elegant aus.«
»Mein kleiner Engel.« Frauke stand neben ihr und streichelte ihr zärtlich über den Kopf. »Hier wäre noch etwas sehr Wichtiges.« Sie griff zu einem schwarzen Stoffbündel und reichte es der Studentin.
Julia nahm das Bündel in die Hand und bewegte es in ihren Händen. »Das sind die Kirchenhandschuhe?« Sie glaubte, es erkannt zu haben und blickte Frauke fragend an.
Frauke bestätigte es.
»Sie sind wieder etwas Besonderes?« Julia fingerte etwas damit herum und versuchte, sie zu trennen.
Frauke sah dem Treiben zunächst zu, denn Julia sollte sich davon überzeugen, dass die Handschuhe nicht zu trennen waren. Erst nach einer gewissen Zeit ging sie dazwischen. »Die Handschuhe gehören so. Du musst sie zusammen anziehen.«
Jetzt hatte Julia die Zusammenhänge auch erkannt. »Wenn ich die anziehe, kann ich mich gar nicht mehr bewegen.« Ihre Stimme zitterte leicht.
»Du übertreibst.« Frauke lächelte ein wenig.
»Also bitte, gehen wir es an.« Sie hatte es zwar noch nicht ganz verstanden, doch ihre Neugier hatte schon die Oberhand gewonnen. »Zeige mir bitte, wie ich die Handschuhe tragen muss.« Mit einem leichten Leuchten in den Augen reichte die Studentin der Dienerin das Bündel.
Frauke nahm die Handschuhe, sortierte sie und hielt Julia zunächst die eine Öffnung hin. »Schlüpfe hier mal rein.« ermutigte sie sie. »Erst die eine Hand, und wenn der Handschuh gut sitzt, dann kommt die andere Hand dazu.«
»Warte mal.« Julias Stimme klang auf einmal sehr aufgeregt, denn sie hatte ein bisher nicht beachtetes Detail entdeckt. »Was machen die Riemen an den Handgelenken?«
Doch Frauke grinste nur. »Rate doch einmal.«
»Du hast recht.« Julia war die Wirkung der Riemen sofort klar, sie schluckte sichtbar. »Ich könnte sonst meine Hände einfach herausziehen.«
»Genau das werden die Riemen verhindern.« Frauke hatte große Mühe, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten.
»Irgendwie sehr raffiniert.« Julia schob ihre zweite Hand in den von Frauke aufgehaltenen Handschuh. »Es fühlt sich an wie ein ganz normales Paar Handschuhe.«
»Und das ist es ja eigentlich auch.« Auch Fraukes Stimme wurde etwas leiser.
»So etwas habe ich noch nie gesehen.« Julia war fast nicht zu verstehen. Fasziniert blickte sie auf ihre Hände, die jetzt beide von dem schwarzen Stoff bedeckte waren. Sie wusste nicht genau, ob die beiden Handschuhe zusammengenäht oder -geklebt waren. Aber das war letztlich auch unwichtig, wie sie sich selber eingestand.
Doch dann kamen in ihr Gewissensbisse auf. Dürfte sie so etwas in der Kirche überhaupt tragen? Im Gottesdienst, so kämpfte sie mit sich selbst, war es doch etwas anderes als bei einem einfachen Spazierengehen. In ihr kämpften ihre gute Erziehung mit ihrer Neugier und Lust, und sie blickte Frauke sehr erstaunt an. »Aber das geht doch nicht. So etwas kann ich doch nicht im Gottesdienst tragen.«
Frauke bemühte sich, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. »Carolin hat die Handschuhe oft getragen. Und in der Gemeinde nimmt auch keiner Notiz davon.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause »Hegels würden sich sehr darüber freuen.«
Julia schien tief in ihre Gedanken versunken. Schließlich hob sie ihren Kopf. »Bitte, du kannst die Riemen zumachen.« Sie lächelte. »Das kann ich ja nicht selbst machen.«
Frauke trat näher und versuchte, nicht zu zittern, als sie der Studentin die Riemen um die Handgelenke schloss. Sie wollte möglichst nicht zeigen, wie sehr sie der Moment bewegte. »Hegels haben gesagt, dass ich dich noch auf etwas vorbereiten soll.«
»Wird es etwa noch strenger?« Julias Augen leuchteten. »Vielleicht noch ein Halskorsett?«
»Ja, das könnten wir noch probieren.« Frauke war sehr von Julias Wesen gefangen. »Aber darum geht es nicht.«
»Was ist es dann?« Julia blickte Frauke in Gedanken versunken an.
»Es...« Frauke fiel es schwer, den Satz auszusprechen. »Es wird morgen in der Kirche noch ein anderes Mädchen geben, welches auch diese Uniform trägt.«
Julia glaubte, sich verhört zu haben. »Wirklich die gleiche?« Sie blickte an sich herunter.
»Ja, genau die gleiche.« Frauke war froh, es ausgesprochen zu haben.
Julia war verwundert. »Darf ich mich mit ihr unterhalten?«
»Natürlich.« Die Dienerin lächelte, denn genau diese Frage hatten Hegels vorhergesagt. »Aber bitte erst nach dem Gottesdienst.«
Julia erkannte auf einmal das ganze Bild, und sie verstand, was von ihr erwartet wurde. »Natürlich, das werde ich machen.«
»Außerdem wird Frau Hegel neben dir sitzen.« Sie wusste, dass sie in diesem Moment nicht die Wahrheit sagte, doch noch hoffte sie, dass der bewusste Kelch an ihr vorbei gehen würde.
»Warum denn das?« Julia runzelte die Stirn.
»Jemand muss dir ja das Gesangbuch aufschlagen und halten.« Frauke grinste. »Oder kannst du die ganzen Lieder auswendig?«
»Ja klar.« Julia blickte auf ihre Hände. »Danke schon einmal.« Doch dann wurde sie nachdenklich. »Es ist also eine Uniform. Aber wofür?«
»Du wirst es bald erfahren.« Auch die letzte Frage kam nicht unerwartet. »Gewöhne dich einfach erst einmal daran.«
»Seltsam. Ich habe mich noch nie so auf einen Gottesdienst gefreut.« Doch dann glitt ein Schatten über ihr Gesicht. »Ich bin ja ziemlich hilflos. Wird mir auch nichts passieren?«
»Ganz sicher nicht. Sie werden auf dich aufpassen.« Frauke streichelte ihr über den Kopf. »Und Montag bekommst du ja schon deinen Schutzgürtel.«
»Schutzgürtel?« Julia runzelte die Stirn.
»Ja.« Frauke blickte an sich herunter. »Irgendwelche Vorteile muss diese Stahlunterwäsche ja haben.«
Julia blickte Frauke lange an, doch dann entschied sie sich dafür, die Frage, die ihr auf der Zunge lag, doch nicht zu stellen. Sie ahnte, dass etwas Trauriges zum Vorschein kommen würde, und das wollte sie vermeiden. »Ist die Uniform dann vollständig?«
Frauke lächelte erleichtert. »Ich denke schon.«
Julia blickte noch einmal an sich herunter. »Was ist mit Schuhen? Die sieht man ja nicht unter dem Rock.«
»Wenn du meinst«, antwortete Frauke ein wenig rätselhaft. »Ziehe an, was du möchtest.« Natürlich wusste sie, was dann morgen passieren würde, doch es war mit Hegels abgesprochen, dass sie Julia in diese Falle tappen lassen wollten.
»Kommst du morgen auch mit?« Julia strahlte die Dienerin an.
»Nein, ich darf nicht.« Frauke konnte es nicht verhindern, dass ein Schatten auf ihr Gesicht fiel. »Und bitte frage nicht, warum.«
Für einen kurzen Moment trat eine Wand zwischen die beiden, die Julia dann gleich wieder einriß. »Was müssen wir noch machen?« Sie versuchte, einen Blick auf die Liste zu werfen.
»Wir sollen die Schränke untersuchen und ich soll dir seltsame Gegenstände erklären.« Letztendlich las sie das vor, was auf dem Zettel stand. »Jetzt dürftest du dir wieder etwas Bequemes anziehen.« Sie trat vor und öffnete Julia die Handschuhe, dann schaute fasziniert zu, wie die Studentin sich aus ihrem Handgefängnis befreite.
»Die Uniform würde ich gern noch einen Moment anbehalten.« Julia strahlte. »Und danach ich kann mir anziehen, was ich möchte?«
»Von mir aus gern«, lächelte Frauke. »Wir sind heute ganz unter uns.«
Julia griff sie zu dem doppellagigen Lackrock, der noch auf dem Bett lag und streichelte ihn fast zärtlich.
Frauke grinste, als sie dies sah. »Ich sagte doch, dass du dir etwas Bequemes anziehen sollst.«
Julia grinste ebenfalls. »Das ist es doch, oder nicht?«
Frauke seufzte etwas übertrieben. »Ich habe gern etwas Beinfreiheit, wenn ich schon die Wahl habe.«
Doch die Studentin ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. »Ach, ich finde das mit dem Rock sehr faszinierend.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Und wenn ich das richtig verstanden habe, dann ist Carolin ja fast immer damit herumgelaufen.«
»Naja, gelaufen ist ja wohl falsch.« Frauke war dabei, die Uniform wieder auf den Kleiderbügel zu hängen und in dem Schrank zu verstauen.
Julia blickte Frauke verwundert an, erst nach einem kurzen Augenblick erkannte sie das Wortspiel. »Ach so meinst du das.« Sie zog sich den Rock an und beugte sich hinunter, um die Reißverschlüsse zu kontrollieren. »Dazu möchte ich eines der Tops tragen. Ich verstehe immer noch nicht, wie ich die übersehen konnte.«
Im ersten Moment wollte Frauke dem Impuls nachgeben und das Missgeschick zu erklären, doch dann besann sie sich und lächelte nur. »Ist ja kein Wunder bei so vielen neuen Sachen.«
Julia trippelte langsam auf die drei jetzt offen stehenden Schränke zu. Nur ganz nebenbei bemerkte sie, wie vertraut sie schon mit der Enge des Rockes war, denn es störte sie überhaupt nicht mehr. Im Gegenteil, sie kam mit der ihr verbleibenden Beinfreiheit sehr gut zurecht.
Sie stellte sich vor den ersten Schrank und schaute sehr neugierig in die einzelnen Fächer. Sie griff zu einem der einfachen Halskorsetts und hielt es hoch. »Was ist das hier?« Sie glaubte, so etwas schon einmal in der Hand gehabt zu haben.
»Das Ding müsstest du doch eigentlich noch kennen.« Frauke hatte die Uniform wieder in den Schrank gehängt und war jetzt neben Julia getreten. »Das Halskorsett hattest du doch schon ausprobiert.«
»Ach ja richtig.« Julia war ein wenig verlegen. »Jetzt wo du es sagt. Ich erinnere mich. Und es fühlte sich schön an.« Sie griff wieder in den Schrank. »Gut, und was ist das hier?«
»Oh, die gnädige Frau hat Geschmack.« Frauke lächelte. »Das ist ein strenges Halskorsett. Es wird dir bis zur Nase reichen, wenn du es richtig angelegt hast.«
Julia hielt sich das Halskorsett vor das Gesicht und betrachtete es aufmerksam. »Dann muss ich nicht nur meinen Kopf still halten, sondern auch meinen Mund.« Sie lächelte über ihren Scherz.
»Könnte man so sehen.« Frauke bestätigte Julias Annahme.
»Hier sind eigene Schuhe mit...« Julia hielt inne und nahm einige der Highheels heraus. »Mit ewig langen Absätzen. Kann frau darauf überhaupt laufen?«
Frauke zuckte nur mit den Achseln. Mit den Schuhen hatte sie selbst viele Probleme gehabt.
»Aber wenn sie so prominent in Carolins Schrank stehen, dann bedeutet es, dass sie sie auch getragen hat.« Julia versuchte mitzudenken. Sie betrachtete sich den Schuh in ihrer Hand, dann stellte sie ihn wieder zurück und griff zu einem anderen Schuh, der daneben stand. »Und was ist das hier? Ein Mordinstrument?«
Frauke lachte trotz der Anspannung. »Ein Mörderstiefel ist es auf jeden Fall.« Doch dann wurde sie wieder ernst. »Das sind Ballettstiefel.«
Julia drehte den Stiefel in ihren Händen. »Eigentlich klar, wo der Name her kommt.« Doch auf einmal wurde sie nachdenklich. »Muss ich damit auch zurecht kommen?«
»Das weiß ich nicht.« Bis zu diesen Stiefeln war Frauke nicht gekommen. »Aber ich könnte mir gut vorstellen, dass Hegels sich darüber freuen würden.«
»Na gut.« Julia keuchte. »Ich werde sie auf jeden Fall einmal probieren.«
»Aber nicht heute. Es steht nicht auf der Liste.« Frauke wusste wirklich nicht, was bei dieser Art von Fußbekleidung zu beachten war, und deswegen wollte sie die Verantwortung auf keinen Fall übernehmen.
»Du hast recht.« Julia ging darauf ein. »Es wäre besser, erst Hegels zu fragen.«
Sie zog die nächste der Schubladen auf und blickte auf ein Gewirr von Lederriemen, zwischen denen rote und blaue Bälle zu sehen war. »Perlennetze?« Julia war verwundert. »Carolin hatte offenbar mehrere davon?«
»Anscheinend.« Etwas Besseres wusste Frauke nicht zu antworten.
»Naja, kommt Zeit...« Sie setzte das Sprichwort nicht fort, stattdessen ging sie zum dritten Schrank. Bei dem gab es mehr Schubladen. Sie zog eine davon auf. »Was ist das hier?«
Frauke keuchte. Es war ihr nicht bewusst gewesen, dass die Dildos für den Keuschheitsgürtel schon jetzt im Schrank waren. Insgeheim vermutete sie noch einen Fehler. »Oh, das willst du gar nicht wissen.«
Julia hielt den Gegenstand vor sich. »Es sieht aus wie ein Tannenbaum aus Kugeln. Oder wie ein Schneemann.«
»Du hast vielleicht eine Phantasie.« Frauke konnte sich trotz ihrer Anspannung ein Lachen nicht verkneifen.
»Und wo gehört das hin?« Julia blickte die Dienerin ratlos an.
Frauke beugte sich vor und flüsterte ihr etwas ins Ohr.
Julia wurde rot. »Bist du sicher?«
Frauke verzog das Gesicht. »Ich bin mir sicher.«
»Wirklich?« Julia wollte es nicht glauben. »Wenn ich das in mir trage, wie soll ich denn dann noch gehen?« Sie schüttelte ungläubig den Kopf.
Frauke griff den Gedanken auf. »Naja, große Schritte wirst du ohnehin nicht machen können.« Dass sie eigentlich einen Witz machen wollte, ging völlig unter.
»Du spinnst, wirklich.« Julias Stimme zeigte ihre Empörung. »Das kannst du doch nicht ernst meinen.«
Frauke schwieg.
»Du meinst es ernst.« Sie schluckte.
»Ich glaube, Carolin hat es mit Begeisterung getragen.« Letzteres war sehr unfair, doch Frauke wollte sich damit nur aus der Situation retten.
Julia nahm das Ding in die Hand und schien es abzuwiegen. »Es ist recht schwer. Ich bin wirklich gespannt, wie sich so etwas anfühlt. Wird das keine hygienischen Probleme machen?«
Frauke wurde es zuviel. »Das besprichst du am besten mit Frau Hegel. Sie wird dir sicherlich sagen können, wie Carolin damit umgegangen ist.« Insgeheim hoffte sie, dass Hegels auch auf diese Fragen Antworten bereit haben würden. Sie selbst war sehr froh, dass dieser Teil der Engel an ihr vorüber gegangen war.
»Ich freue mich schon darauf, wenn ich das einmal tragen darf.« Julias Stimme war leise.
»Du...« Frauke war fassungslos. »Du freust dich darauf?«
»Ja, warum?« Julia war verwundert. »Ist das falsch?«
»Nein, natürlich nicht.« Frauke hatte Probleme, ihre Fassung zu wahren. »Du wirst Hegels damit sicher eine Freude machen, wenn du so genau in Carolins Fußstapfen trittst.«
Julia seufzte. »Es sind trotzdem große Spuren, die ich auszufüllen habe.« Ein wenig Zweifel waren in ihrer Stimme zu hören.
»Ich bin mir sicher, dass du Hegels nicht enttäuschen wirst.« Sie nahm Julia den Metallkugeldildo wieder aus der Hand und legte ihn zurück in die Schublade. Fast nebenbei bemerkte sie, dass Julia anscheinend wirklich fest entschlossen war, Carolins Weg zu gehen.
Julia warf noch einen Blick in den Schrank. Sie schob das Engelskostüm beiseite und keuchte auf einmal. »Was ist denn das hier?«
»Das sind die Stiefel, die zu dem Engelskostüm gehören.« Frauke ärgerte sich, dass sie daran nicht gedacht hatte.
»Eigentlich schade.« Julia war ein wenig enttäuscht. »Unter dem langen Rock sieht man die doch überhaupt nicht.«
»Sie sind auch sehr kompliziert anzuziehen.« Frauke keuchte ein wenig.
Julia nahm einen Stiefel heraus und hielt ihn gegen ihr Bein. »Der Stiefel reicht mir ja fast bis in den Schritt?«
Frauke war von dem Moment gefangen. »Bitte achte auf den Absatz.«
Julia kam der Aufforderung nach. »Ja okay. Aber trotzdem sind sie sehr lang.« Sie drehte ihn vor sich hin. »Und sie haben keinen Reißverschluss. Sie müssen offenbar über das ganze Bein geschnürt werden.«
Frauke lächelte. »Das meinte ich, als ich 'kompliziert' sagte. Es dauert lange, wenn er gut sitzen soll.«
»Verständlich.« Julia klang verträumt. »Könnte ich ihn einmal anprobieren?«
»Ich glaube nicht, dass dafür die Zeit reicht.« Frauke versuchte eine Ausrede. »Ich wollte dir doch auch noch das Haus zeigen.«
Julia stellte den Stiefel nachdenklich wieder in den Schrank. »So etwas macht mich immer sehr neugierig. Aber das Haus zu besichtigen ist auch schön.« Insgeheim hoffte sie, in den anderen Räumen noch etwas mehr über Carolin und ihr geheimnisvolles Leben zu erfahren.
»Die Uniform solltest du aber wieder ausziehen.« Frauke blickte Julia an.
Julia lächelte. »Ich glaube, bei der Bluse könnte ich etwas Hilfe gebrauchen.«
»Es galt ja lange Zeit für eine adelige Dame als unschicklich, sich selbst um die Kleidung zu kümmern.« Frauke lächelte. »Sie hatte viele Dienerinnen, die sich dann darum zu kümmern hatten.«
»Und ich habe niemanden.« Julia setzte eine künstliche Schmollmiene auf.
»Und ich?« Frauke war ehrlich unsicher, wie sie diese Aussage werten sollte.
»Du bist meine Freundin, nicht meine Dienerin.« Es war der Studentin wichtig, dies deutlich zu machen.
»Dann erlaube bitte, dass ich dir mit der Bluse helfe.« Frauke trat an Julia heran. »Ich habe gehört, dass sie die Bewegungsfreiheit ein klein wenig einschränkt.«
»Armfreiheit wird oft überschätzt.« Julia grinste, während sie zusah, wie Frauke ihre Bluse öffnete.
»Was möchtest du denn anziehen?« Frauke blickte sich um.
Julia blickte auf das Bett. »Ich dachte an den schönen Rock und das Top.«
»Du bist wirklich unersättlich.« Frauke zog Julia die Bluse aus und legte sie wieder zusammen.
Julia blickte Frauke etwas verunsichert an. »Sollte ich mich zurück halten?« Sie griff sich die beiden Sachen und begann sich anzuziehen.
»Nein, nein, das ist schon in Ordnung.« Frauke merkte, dass ihr Spott falsch ankommen könnte. »Ich bin nur von deinem Ehrgeiz fasziniert.« Sie wollte das Thema wechseln. »Wir müssen nur vorher noch kurz in die Küche.«
»Warum denn das? Die Küche kenne ich doch schon.« Julia wunderte sich ein wenig.
»Darf ich dich an das Versprechen erinnern, das wir Paula gegeben haben?« Frauke wartete, bis Julia angezogen war, dann ging sie zur Tür. »Kommst du?«
Julia keuchte ein wenig. »Jetzt hetzte mich nicht so.« Sie beugte sich herunter, um sich die Reißverschlüsse des Rockes zu schließen.
Als Frauke das sah, verdrehte sie die Augen, doch sie sagte nichts.
Julia betrat die Küche, und sofort zwei fielen ihr zwei Sachen auf: Die offene Spülmaschine und ihr Trainingshandschuh, den Frauke schon auf den Tisch gelegt hatte.
»Ich weiß aber nicht, wo das Geschirr hingehört.« Den Handschuh auf dem Tisch versuchte sie tapfer zu ignorieren.
»Du räumst die Maschine aus, und ich stelle es weg.« Frauke lächelte. »Dann sind wir schnell damit fertig.« Es war ihr nicht entgangen, dass Julia immer wieder zu dem Handschuh sah.
Julia stellte sich vor die Maschine. »Ich wusste gar nicht, dass man für Eintopf so viel Geschirr braucht.« Sie begann mit dem Ausräumen.
»Ich glaube, sie hat das gesammelt.« Frauke nahm das Geschirr entgegen und stellte es an seinen jeweiligen Platz.
Julias Blick fiel zwischen dem Geschirr immer wieder auf den Handschuh, der auf dem Tisch lag. 'Beeil dich, Julia!', schien er zu rufen. 'Ich will deine Arme umschlingen.' Schließlich hielt sie es vor Anspannung nicht mehr aus. »Frauke, warum hast du den Handschuh mitgebracht?«
Frauke lächelte. »Ich dachte, du wolltest die Zeit gut nützen und Sachen kombinieren.« Sie erzählte von ihrem Plan. »Die Stockwerke schauen wir uns an, während du den Handschuh trägst, und im Treppenhaus machst du die Gymnastik. Dann kannst du gleich einmal prüfen, ob du dir die Übungen schon gemerkt hast.«
»Das ist ein sehr schöner Plan.« Doch dann blickte sie verlegen zu Boden. »Kannst du bitte den Zettel mitnehmen?«
Frauke lächelte. »Oh! Da hat jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht.«
»Wann hätte ich das denn machen sollen?« Julia war zunächst empört, doch dann erkannte sie, dass Frauke nur einen Scherz gemacht hatte. Sie grinste. »Ja, Frau Lehrerin, ich bin eine schlechte Schülerin. Bitte legen sie mir zur Strafe den Handschuh an.«
»Ts ts ts.« Frauke schüttelte den Kopf. »Schon wieder so ungeduldig.« Sie streichelte Julia über den Kopf. »Ich werde ihn dir anlegen, wenn du den Rock wieder ganz geschlossen hast.« Auf einmal wechselte ihr Tonfall. »Oder dachtest du, dass ich ständig an deinem Rock herumfummle?«
Julia war sowohl verlegen als auch amüsiert. Ihr gefiel der Gedanke, auf diese Weise an ihre Selbstverpflichtungen erinnert zu werden.
Frauke lächelte. Julia reagierte genauso, wie Frau Hegel es vorhergesagt hatte. Von ihr hatte sie auch den Tipp mit dem Handschuh bekommen. Es gab im Haus nur wenige Räume, die trotz des Handschuhs geöffnet werden konnten, und so war es Frauke möglich, die kritischen Räume auszulassen. Denn ein einige wenige Räume durfte sie Julia auf keinen Fall zeigen.
Julia hielt den Atem an, seit sie das Leder des Trainingshandschuhs auf ihren Armen spürte. Mit einem 'Ratsch' schloss Frauke den Reißverschluss des Handschuhs, und obwohl es eigentlich ein leises Geräusch war, dröhnte es Julia in den Ohren.
Gerade hatte sie sich den Rock wieder ganz geschlossen, nachdem sie die Stufen der Kellertreppe hinab gestiegen war. Jetzt blickte sie sich um. Sie sah eine Tür, die mit 'Heizung' beschriftet war, und eine andere trug die Aufschrift 'Vorräte'.
Frauke ging zu letzterer Tür und öffnete sie, dann wartete sie, bis Julia näher gekommen war. »Der Vorratskeller«, lächelte sie, als Julia neugierig eingetreten war.
Julia blickte sich kurz um und wurde sofort von einem großen Gegenstand angezogen, der ganz am Ende des Raumes an der Wand lehnte. Farbe und Form ließen darauf schließen, dass es eine Badewanne war, die nicht eingebaut war, und die aus Platzgründen aufrecht an der Wand lehnte.
»Was ist denn an einer ungenutzten Badewanne so spannend?« Frauke war das Interesse der Studentin nicht entgangen.
»Na dann schau doch mal genauer hin.« Julia hätte das weiße Porzellan jetzt gern angefasst, doch ihre Arme waren in dem Handschuh gefangen. Sie versuchte ihre Beobachtung mit den Armen zu zeigen. »Siehst du hier diese besondere Form in der Rückenlehne?«
»Tatsächlich, jetzt wo du es sagst.« Frauke strich mit der Hand über das glatte Material. »Diese Wanne hat eine Aussparung für die Arme.« Sie war selbst auch sehr überrascht, denn sie wusste selbst auch nichts davon. Natürlich wusste sie, dass hier eine nicht eingebaute Badewanne stand, doch die besondere Form war ihr bisher nicht aufgefallen.
Julia stand ehrfürchtig vor der Wanne und vor ihrem geistigen Auge formten sich seltsame Bilder. Ein junges Mädchen, ganz nackt, trug jedoch einen Handschuh aus Plastik. »Es scheint, als wäre Carolin nicht mehr dazu gekommen.« Sie drehte sich zu Frauke und lehnte sich an sie. »Es ist so traurig.«
Frauke wusste in diesem Moment nicht, was sie sagen sollte. Wieder legte sie ihre Arme um Julia und drückte sie leicht an sich.
»Ich werde viel üben.« Julia schluchzte leicht. »Es scheint sehr faszinierend für Carolin gewesen zu sein.«
»Was gibt es hier noch zu sehen?« Julia hob ihren Kopf und blickte der Dienerin ins Gesicht.
»Es gibt noch zwei Räume, die im Moment aber nicht genutzt werden, soweit ich weiß.« Frauke ging voran und öffnete die Türen. »Der eine sollte einmal als Archiv dienen, und der andere war gedacht zum Trocknen der Wäsche.«
Julia warf jeweils einen Blick in die jetzt leeren Räume, dann schritt sie langsam zur Treppe. Vor der ersten Stufe blieb sie stehen und blickte zunächst an sich herunter, dann lächelte sie und hob ihren Kopf in Richtung der Dienerin.
»Du erwartest doch nicht etwa, dass ich jetzt ständig an deinen Beinen herum fummle?« Frauke versuchte, ihre Stimme etwas empört klingen zu lassen. »Das machst du hübsch selbst.«
Julia seufzte gespielt. »Ja, ich weiß. Und meine Gymnastik werde ich auch machen.« Trotzdem stöhnte sie, als sie das Ratschen des Reißverschlusses hörte, welcher den Handschuh auf ihrem Rücken festhielt.
Die Räume im Erdgeschoss kannte Julia eigentlich alle schon. Jetzt nutzte sie die Zeit, um sich etwas genauer umzusehen und vielleicht noch die eine oder andere Besonderheit von Carolin zu entdecken. Doch außer den Rückenlehnen einzelner Stühle und des besonderen Sessels gab es nichts, was ihr diesbezüglich aufgefallen wäre.
An der Treppe wiederholte sich das Spiel mit dem Handschuh, und zu ihrer Überraschung gab es im Obergeschoss nur ein Zimmer, welches sie noch nicht kannte. Dies war das Arbeitszimmer des Professors, in welches sie aber nur einen kurzen Blick hinein warf. Irgendwie hatte sie dabei ein schlechtes Gewissen. Und natürlich hatte sie auch an dem Schlaf- und dem Ankleidezimmer von Hegels kein Interesse.
So kam es, dass sie schon bald wieder an der Treppe Richtung Dachgeschoss stand und Frauke bittend ansah. »Das waren jetzt noch keine zehn Minuten. Ich möchte den Handschuh noch anbehalten.«
Frauke grinste sie an. »Wie du willst.« Doch sie machte keinerlei Anstalten, ihr den Rock zu öffnen.
»Wie soll ich denn so die Treppe hinauf kommen?« Julia blickte erst auf ihren Rock, dann blickte sie zu Frauke.
»Dann mache ihn dir doch auf«, schlug Frauke mit bewusst naiver Stimme vor.
Julia keuchte ein wenig und versuchte, sich mit ihren gefangenen Händen nach unten zu beugen. Sie kam auch bis zu dem bewussten Reißverschluss, doch sie schaffte es trotz heftiger Bemühungen nicht, den Schieber zwischen ihre Finger zu bekommen.
Schließlich erkannte sie, dass sie aufgeben musste. »Okay, du hast gewonnen. Lässt du mich bitte aus dem Handschuh heraus, damit ich mir den Rock öffnen kann?«
»Natürlich!« Frauke kam zu ihr, und das Abnehmen des Handschuhs wiederholte sich. »Stell dir jetzt bitte einmal vor, du würdest jetzt auch noch die Perle tragen.«
»Ja, was ist dann?« Julia war von ihrer kleinen Niederlage noch sehr in den Bann gezogen.
»Naja, dann könntest du mich auch nichts mehr fragen oder um Befreiung bitten.« Frauke genoss den Moment.
»Ja, du hast Recht.« Julia war auf einmal sehr nachdenklich. »Und es wäre kein wirklicher Notfall. Ich wäre also ganz hilflos und im Haus gefangen.« Ihre Stimme wurde leiser. »Carolin scheint diesen Zustand sehr gemocht zu haben.«
»Jetzt komm hoch, ich habe dir noch zwei spannende Sachen zu zeigen.« Sie schritt die Stufen der Treppe voran.
Oben an der Treppe blieb Julia stehen und schloss sich gleich wieder den Rock. »Wenn ich dich dann bitten dürfte? Ich darf noch fünf Minuten extra.«
Frauke verdrehte erneut die Augen. »Ich hoffe sehr, dass dein Ehrgeiz nicht ansteckend ist.«
»Jetzt lass mich doch die Zeit nutzen.« Julia ärgerte sich ein wenig über die Dienerin.
»Ich hätte darauf bestehen sollen, dass du auch eine Perle trägst, dann hätte ich jetzt meine Ruhe.« Frauke grinste deutlich, um ihre Aussage als Scherz zu markieren.
»Ein sehr interessanter Gedanke.« Julia lächelte Frauke verträumt an. »Ob Carolin das auch so gemacht hat?«
»Es könnte schon sein.« Frauke wusste natürlich, was mit Hegels als Ziel abgesprochen war. »Aber denke immer dran, dass du ausreichend Pausen machst.«
»Was gibt es hier zu sehen? Dein Zimmer kenne ich schon«, Julia blickte auf die entsprechende Tür. »Und die Bibliothek habe ich auch schon gesehen.«
»Hier sind noch das Arbeitszimmer von Frau Hegel und ein winziges Bad.« Zwischen den Zeilen war zu hören, dass Frauke das Bad mitbenutzen durfte. »Aber das Schönste ist hier.« Sie öffnete eine schmale Tür und trat beiseite, damit Julia in den Raum blicken konnte.
Doch zu ihrer Überraschung war der Raum vollkommen leer und maß nicht einmal zwei Quadratmeter. Lediglich eine schwarze Eisenleiter an der Wand war zu sehen.
Auf den zweiten Blick erkannte Julia, dass von oben Licht herein fiel. Sie betrat den Raum und blickte nach oben. Durch ein Fenster konnte sie den Himmel erkennen.
»Erinnerst du dich an das Dachrondell auf dem Haus?« Fraukes Stimme zeigte Begeisterung. »Hier geht es hinauf.« Sie trat neben Julia und fasste an die Leiter. »Dort oben bin ich sehr gern, denn dort kann ich sehr schön träumen.«
Julia blickte Frauke verwundert an. »Dann lass uns doch mal hinauf schauen.«
»Du kannst gern einmal hinauf gehen, doch bei mir dauert das zu lange.« Ohne Julias Frage abzuwarten, trat sie an die Leiter, fasste die seitlichen Stangen an und hob ihren Körper unter Keuchen auf die erste Sprosse. »Ich bekomme wegen der Schenkelbänder meine Beine nicht weit genug auseinander. Ich muss mich an der Leiter hochziehen.« Wieder keuchte sie. »Und das dauert seine Zeit.«
In Julia überschlugen sich die Gefühle. Einerseits war sie entsetzt über die Mühen, die Frauke hier für ihre Träume auf sich nahm, andererseits beschäftigte sie der Gedanke, dass sie selbst vermutlich bald genau so hilflos sein würde. »So viel Mühe nimmst du auf dich? Die Aussicht da oben muss sehr schön sein.«
»Ja, die Aussicht ist es wirklich wert, sich vorher so zu plagen.« Frauke sprach ein wenig leiser. Sie ließ sich langsam von der Leiter wieder auf den Boden gleiten.
»Werde ich die Schenkelbänder auch tragen müssen?« Auch wenn diesbezüglich bisher nichts angekündigt war, ahnte Julia doch, welche außergewöhnliche Zukunft auf sie warten würde. Und zu ihrem eigenen Erstaunen hatte sie davor keine Angst. Respekt ja, aber keine Angst.
»Wie wäre es, wenn du deine noch vorhandene Beinfreiheit jetzt ausnutzt und dir die Aussicht einmal anschaust?« Frauke lächelte Julia verträumt an. Es tat ihr gut, ihre Schätze mit Julia teilen zu dürfen. »Dafür müsste ich dir allerdings den Handschuh abnehmen.«
»Oh ja, ein schweres Opfer.« Julia wartete, bis sie ihre Arme wieder bewegen konnte, dann beugte sie sich zu ihrem Rock herunter.
»Mach ihn ganz auf, sonst geht es nicht.« Frauke ahnte die noch nicht gestellte Frage.
Julia seufzte ein wenig, dann zog sie sich den Reißverschluss ganz auf. Gleich darauf stieg sie die senkrechte Leiter hinauf.
»Bleib nicht zu lange oben«, rief Frauke ihr hinterher. »Ich habe dir noch etwas Spannendes zu zeigen.«
Julia stieß mit der Hand die gläserne Abdeckung auf, dann kletterte sie weiter hoch und stand schließlich atemlos auf der runden Plattform auf dem Dach. »Was für eine Aussicht«, rief sie zu Frauke hinunter.
Im Süden sah sie die Kette der Alpen und im Norden erkannte sie die Stadt München mit ihrer charakteristischen Silhouette. »Jetzt verstehe ich, dass du gern hier oben bist.«
»Jetzt komme bitte wieder herunter.« Frauke grinste. »Du hast noch vier Minuten Handschuh übrig.«
Julia lachte. »Schon gut, ich komme.« Sie machte sich wieder an den Abstieg. »Was gibt es denn noch interessantes? Eigentlich habe ich doch jetzt alles gehen.«
»In diesem Haus gibt es ein System von Geheimgängen.« Frauke ließ die Katze aus dem Sack.
Julia wäre fast von der Leiter gefallen. »Geheimgänge? Jetzt machst du Witze.« Sie schüttelte den Kopf. »Das wäre mir doch aufgefallen.«
»Ich glaube, dass die Gänge früher zur Bedienung der Öfen gedient haben, so wie es auch in vielen Schlössern zu sehen ist.« Frauke gab ihre Vermutung wieder. »Damit musste die schmutzige Kohle gar nicht erst durch das saubere Haus getragen werden.«
»Ja, das klingt sehr plausibel.« Doch dann stutzte Julia. »Aber wir haben doch überall die Heizkörper. Die Öfen sind doch gar nicht mehr da.«
»Genau.« Frauke bestätigte ihre Beobachtungen. »Ich vermute, dass einer der Vorbesitzer einem Spleen gefolgt ist und die Heizwege dann zu Geheimgängen umgebaut hat.«
»Und im Keller gibt es einen geheimen Raum, in dem früher die Kohle gelagert wurde und dessen Tür nach außen später zugemauert wurde, so dass er nur über die Geheimgänge zu erreichen ist.« Julia lächelte verträumt.
»Ja, das ist richtig.« Frauke bestätigte Julias Worte, doch dann hielt sie vor Erstaunen inne. »Woher weißt du das?«
»Ich wäre wohl eine schlechte Studentin der Architektur, wenn ich nicht von selbst darauf kommen würde.« Julia erkannte, dass Frauke ein wenig enttäuscht war. »Außerdem habe ich schon viele Grundrisse von alten Villen studiert. Dass es das hier auch gibt, habe ich sogar erwartet.«
»Und da dachte ich, dass ich dir etwas neues zeige.« Die Enttäuschung war deutlich in Fraukes Worten zu hören. »Aber vielleicht magst du mir trotzdem helfen. Ich habe nämlich noch nicht alle Mechanismen zum Öffnen gefunden.«
»Sehr gern.« Julias Augen blitzten auf. Doch dann schlich sich ein anderer Gedanke in ihre Überlegungen. »Wissen Hegels eigentlich über die Gänge Bescheid?«
»Meiner Meinung nach ja.« Frauke schien nachzudenken. »Aber ich glaube, es hat sie nie wirklich interessiert.«
»Und bei was brauchst du nun meine Hilfe?« Julia beugte sich hinunter, um sich den Rock treppengerecht zu schließen, dann richtete sich wieder auf und blickte verlangend auf den Handschuh.
»Du bist wirklich unersättlich.« Frauke lächelte, dann legte sie Julia den Handschuh wieder an. »Ich weiß, wie ich durch den Geheimgang in dein Zimmer komme, aber ich weiß nicht, wie ich sie öffnen könnte, wenn die Tür mal zugefallen ist. Dann muss ich durch die normale Tür gehen.«
»Jetzt wird mir einiges klar.« Julia lächelte. »Die Straßenbahnen. Wie bist du überhaupt darauf gestoßen?« Sie ging langsam die Treppe hinunter.
»In der Bibliothek habe ich einmal ein altes Tagebuch gefunden.« Frauke erzählte von ihrem Zufallsfund, als sie etwas Trivialliteratur suchte. »Und dort waren die Mechanismen beschrieben. Allerdings fehlten ein paar Seiten.«
»Ist ja spannend.« Julia grinste. »Wie in den alten Edgar Wallace-Filmen.« Sie erzählte, dass sie diese immer mit ihren Brüdern ansehen musste. »Dann lass uns gehen.« Am Ende der Treppe wartete sie, bis Frauke ihr den Handschuh wieder gelöst hatte, dann beugte sie sich herunter und schloss sich wieder den Rock. Dann begann sie sofort in Richtung ihres Zimmers zu trippeln.
»Haben die gnädige Frau nicht etwas vergessen?« Frauke hielt den Handschuh hoch. »Du hast noch drei Minuten.«
»Können wir das nicht überspringen?« Julia verdrehte die Augen, als sie zielstrebig ihre Zimmertür öffnete.
»Wer bist du, und was hast du mit Julia gemacht?« Frauke lächelte Julia an. »Was werden Hegels sagen, wenn sie erfahren, dass wir nicht die ganze Zeit trainiert haben?«
»Immer wenn es so spannend ist.« Seufzend blieb sie mitten im Zimmer stehen und legte ihre Arme auf den Rücken.
»Soll ich noch eine Perle holen?« Wieder war das Ratschen zu hören, mit dem der Handschuh auf Julias Rücken fixiert wurde. »Wenn dir das für die letzten zwei Minuten nicht zu lächerlich ist?«
»Weiß du, ich würde das gern ausprobieren wollen.« Julia war auf einmal leise. »Ich habe mich nur nicht zu fragen getraut.«
Julia hatte noch nicht ausgesprochen, als schon eine Perle vor ihren Lippen wartete. Gerade als sie mit der nächsten Frage beginnen wurde, schob Frauke ihr den Ball in den Mund.
»Weißt du, ich kann auch 'schnell'.« Dass sie die Perle für alle Fälle in einer Tasche ihres Kleides bereitgehalten hatte, behielt sie lieber für sich.
Julia hätte jetzt gern ihre aus ihrer Sicht völlige Hilflosigkeit genossen. Sie hatte den Rock ganz geschlossen, und ihre Arme waren im Rücken im Handschuh gefangen. Und ihr Mund war mit einer von Carolins Perlen verschlossen. Doch stattdessen sah sie Frauke zu, die ihr beschrieb, wo sich in ihrem Zimmer die Tür zum Geheimgang befand.
Julia war elektrisiert, denn sie hatte erkannt, wo sich der Mechanismus zum Öffnen befinden würde. Sie trippelte langsam vor die kleine Kommode, die in der Nähe der Tür stand.
»Ja, du hast Recht.« Frauke war ihren Bewegungen mit den Blicken gefolgt. »Dieses Möbel passt hier nicht herein, aber es ist an der Wand festgeschraubt. Deswegen haben Hegels es hier stehen lassen.
Julia stöhnte so laut in die Perle, dass es Frauke mit der Angst zu tun bekam. Sie trat auf Julia zu und nahm ihr die Perle wieder ab. »Was ist los? Ist dir nicht gut?«
Julia war froh, ihre Stimme wieder bekommen zu haben.
»Klingelt es nicht bei dir?« Julia versuchte, sich von dem Handschuh zu befreien. »Hier muss der Mechanismus versteckt sein.« Sie ließ sich auf die Knie fallen und versuchte, die kleine Kommode mit ihren verpackten Händen zu berühren.
»30, 29, 28...« Frauke zählte langsam die verbleibenden Sekunden herunter. Erst als sie bei Null angekommen war, öffnete sie den Reißverschluss und die Riemen, die Julias Arme noch gefangen hielten.
»Endlich.« Julia lachte. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so aufregend sein würde.«
»Was genau meinst du jetzt?« Frauke runzelte die Stirn.
»Ach egal.« Julia wandte sich wieder dem Kleinmöbel zu. »Irgendwo muss hier der Mechanismus versteckt sein.«
Frauke kniete sich neben Julia. Gemeinsam schauten sie sich die kleine Kommode genauer an. In der übertrieben breiten Zierliste fanden sie schließlich zwei kleine Knöpfe, die sich ein klein wenig von ihrer Umgebung unterschieden.
»Was meinst du?« Julia blickte Frauke abenteuerlustig an.
Frauke drückte einen der Knöpfe, doch es tat sich nichts. Julia drückte auf den anderen, doch wieder tat sich nichts.
»Vielleicht zusammen.« Sie blickten sich kurz an. Gemeinsam drückten sie und hörten auf einmal ein kurzes Rumpeln.
»Na also.« Julia stand auf und blickte Frauke lächelnd an. »Kommst du?«
Frauke hatte Mühe, hinterher zu kommen. »Hey, eigentlich wollte ich dir die Gänge zeigen.«
»Ich finde es schön, dass sie in diesem Haus erhalten geblieben sind.« Julia drehte sich zu Frauke um. »Es zeigt, dass das Haus schon eine lange Geschichte hinter sich hat. Es dürfte aus der Kaiserzeit stammen.«
»Soweit ich weiß, hat es zuletzt einer jüdischen Familie gehört.« Frauke seufzte. »Bis in die vierziger Jahre.«
»Ich verstehe, was du sagen willst.« Julia seufzte ebenfalls. »Ein trauriges Kapitel.«
Frauke schwieg, während sie Julia durch den schmalen Gang folgte. Sie grübelte darüber nach, ob sie der Studentin schon von dem Schatz erzählen durfte, doch dann beschloss sie, ihren Fund noch etwas für sich zu behalten. Außerdem war es noch genauso unklar, ob es überhaupt noch ein Schatz war, oder ob er schon von anderen gefunden worden war.
»Es wundert mich, dass es hier drin so sauber ist?« Julia blieb kurz stehen. »Ich hätte hier eigentlich viel Staub und Spinnweben erwartet.«
»Oh, die gab es hier auch.« Frauke lachte. »Doch ich habe hier gründlich geputzt, damit ich mich nicht durch Schmutz auf dem Kleid verrate.«
Julia war überrascht. »Oh!«
Bei dieser Putzaktion hatte Frauke den so sorgfältig versteckten Brief gefunden. Er war datiert auf 1935, und die damaligen Bewohner des Hauses schienen die traurigen Zeichen der Zeit schon erkannt zu haben. In dem Brief beschrieben sie, dass sie alle ihre Wertsachen flüssig gemacht hatten, und das Geld und den Familienschmuck anschließend nahe einer Berghütte in den Alpen vergraben hatten. Mit dem Geld aus dieser zeit würde Frauke zwar nichts mehr anfangen können, aber der Schmuck würde hoffentlich auch einen gewissen Wert darstellen.
Der Weg dorthin war in dem Brief genau beschrieben, und Frauke war festentschlossen, gleich nach ihrer Enttassung diese Stelle aufzusuchen und nach dem Schatz zu suchen. Doch bislang mochte sie keinem davon etwas erzählen, insbesondere weil sie sich dabei wie ein Dieb fühlte.
»Hier ist eine Treppe?« Julia stand sehr verwundert vor einer Wendeltreppe aus Metall.
»Ja logisch.« Frauke hoffte zumindest, dass ihre diesbezügliche Vermutung richtig war. »Damit wurden das Holz und die Kohlen zu den Öfen gebracht. Die wurden von der Rückseite beladen und befeuert, was Aufgabe des Hauspersonals war.«
»Das ist wirklich faszinierend.« Julia war begeistert.
»Und es erlaubt mir einige Freiheiten.« Frauke lächelte. »Darf ich dir das Liebesnest zeigen?«
»Der alte Vorratsraum wurde vom damaligen Hausherrn zu einem geheimen Rückzugsort ausgebaut.« Julia äußerte jetzt ihrerseits ihre Vermutung.
»Du kannst einem aber auch jede Überraschung verderben.« Frauke lachte trotzdem und führte Julia über zwei Stockwerke in den Kellergang.
»Hier ist es. Komm herein.« Sie öffnete eine Tür.
Julia hatte sich insgeheim darauf vorbereitet, dass sie von der Tür ein schreckliches Quietschen hören würde. Doch zu ihrer Überraschung ließ sich die Tür ganz geräuschlos öffnen. Sagen tat sie allerdings nichts.
Frauke hatte trotzdem erkannt, was die Studentin bewegte. »Ich habe mir extra einmal die Ölkanne aus der Werkstatt geliehen und habe die Schaniere geölt.« Sie lächelte stolz.
Der Raum war nicht groß, gerade mal drei mal drei Meter. Die Hälfte des Raumes wurde von einer großen Matraze eingenommen. Julia vermutete zumindest, dass es eine Matratze war, denn sie war mit einem roten samtähnlichem Stoff bezogen. Große und kleine Kissen in dezenten Rottönen vermittelten sofort einen sehr gemütlich, fast erotischen Eindruck.
Neben der Tür stand noch ein kleines Regal, und entlang der Wände war in Hüfthöhe ein schmales Brett, auf dem viele Kerzen standen. »Stell dir vor, jetzt wären die Kerzen an.« Frauke flüsterte.
Julia hatte keine Probleme, sich dieses vorzustellen, denn durch das winzige Lüftungsfenster fielen ansonsten nur ein paar wenige Lichtstrahlen herein.
Ein paar Zeitschriften lagen im Regal, bei denen Julia auf den ersten Blick sah, dass sie schon länger veraltet waren. Sie begriff die Zusammenhänge sofort, doch sie hütete sich, ihre Vermutung zu äußern, denn sie wollte Frauke nicht weh tun.
Auch zwei Bücher standen daneben - eines davon war 'Es muss nicht immer Kavier sein' von Johannes Maria Simmel. Das zweite Buch war 'Herr der Ringe' von J. R. Tolkien. Und beide Bücher machten einen sehr ausgelesenen Eindruck. 'Sag mir, was du liest und ich sage dir, wer du bist.', dachte Julia bei sich, doch sie hütete sich, etwas in dieser Richtung zu sagen. Doch dann verwarf sie ihre Gedanken, denn Frauke hatte bezüglich der Auswahl bestimmt keine Wahl gehabt. Vermutlich hatte sie die Bücher in irgendeiner 'zu verschenken'-Kiste gefunden. Und da sie offensichtlich keinen Besitz haben durfte, hatte sie sich vermutlich nur die Bücher aufgehoben, die ihr besonders wichtig waren.
Es irritierte Julia etwas, dass sie kein Geschirr in irgendwelcher Art vorfand. »Kaum zu glauben, dass hier einmal Kohlen gelagert wurden.« Julia blickte sich um. »Es sieht alles so neu aus.«
»Das täuscht.« Frauke grinste. »Aber ich habe alles so nach und nach in die Wäsche geschmuggelt. Immer nur so viel, dass es nicht auffiel.«
»Ach so.« Julia war beeindruckt. »Und bist du oft hier unten?«
»Eigentlich eher in den Wintermonaten.« Frauke seufzte und ihre Stimme wurde sentimental. »Ich träume immer davon, dass ich mich hierher mit meiner kleinen Schwester zurückziehen kann.«
»Verstehe.« Julia hatte den eigentlichen Wink durchaus erkannt, doch noch war sie nicht bereit, Frauke auf diesem Weg zu folgen. Zu viel Neues und Aufregendes lag noch vor ihr, als dass sie jetzt schon eine Beziehung eingehen wollte, und sei es auch nur eine schwesterliche. »Ich muss auch noch lernen.« Julia versuchte eine Ablenkung. »Wie wäre es, wenn wir uns dazu auf die Terrasse setzen?«
Frauke zuckte ein wenig zusammen. »Wie wäre es vorher mit einem Tässchen Kaffee?«
»Das ist eine gute Idee.« Julia war erleichtert, das heimliche Liebesnest verlassen zu können.
»Sehr spannend, diese Geheimgänge.« Julia ließ sich auf den Küchenstuhl fallen.
Frauke machte sich daran, Kaffee zu kochen. »Ich denke, wir haben den Tag gut genutzt.«
Julia warf einen Blick auf die Liste. »Was steht jetzt noch aus?«
Frauke nahm Tassen aus dem Schrank. »Wenn ich das richtig sehe, dann haben wir alles erledigt.« Sie warf ebenfalls einen Blick auf die Liste. »Du möchtest noch lernen, wenn ich das richtig verstanden habe.«
»Ja, das ist richtig.« Julia seufzte. »Können wir uns den Kaffee mit auf die Terrasse nehmen?«
»Ich glaube, die Stühle stehen nicht draußen, und ich weiß nicht, wo sie sind.« Frauke versuchte eine erste Ausrede. Es war ihr nicht gestattet, das Haus zu verlassen, wenn Hegels nicht in der Nähe waren. Doch sie schämte sich deswegen, und deshalb wollte sie dies Julia gegenüber nicht zugeben.
Julia spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. »So ein Quatsch. Ich habe sie doch draußen stehen sehen.«
»Ich darf aber nicht hinaus.« Frauke versuchte, ein wenig deutlicher zu werden.
»Was ist denn schon dabei, wenn wir zusammen auf der Terrasse sitzen?« Julia begann sich über Frauke zu ärgern.
»Aber die Nachbarn könnten mich sehen.« Frauke brachte ihr nächstes Argument vor.
Julia platzte fast der Kragen. »Wenn du nicht mit hinaus kommst, dann sage ich Hegels, dass du mich nicht hast trainieren lassen.« Sie holte tief Luft. »Und ich lasse dich auch nicht mehr aus dem Fenster schauen.«
»Das meinst du nicht ernst oder?« Frauke erkannte an Julias Gestik, dass sie es wirklich Ernst zu meinen schien.
»Doch.« Julia versuchte hart zu bleiben. »Es ist doch nicht schlimm, wenn wir zusammen auf der Terrasse liegen und du mich abhörst.«
In Frauke arbeitete es heftig. Was war jetzt wirklich wichtiger?
»Bitte sage Frau Hegel nicht, dass ich draußen war. Das darf ich nämlich nicht.« Sie blickte zu Julia, die neben ihr im zweiten Liegestuhl lag. Neben ihr lag ein Stapel Bücher, und in einem davon las sie gerade.
»Wer hat dir das verboten?« Sie ließ das Buch kurz sinken.
»Darüber möchte ich nicht reden.« In diesem Moment fuhr eine Straßenbahn am Grundstück vorbei und sorgte für etwas Ablenkung. Frauke seufzte. »Von hier aus sieht man sie besonders gut.«
»Na siehst du«, lächelte Julia. »Und das wolltest du dir entgehen lassen.«
Frauke seufzte tief. Nur langsam begann sie sich an die neue Situation zu gewöhnen. Immerhin war sie nicht allein draußen, sondern in Begleitung von Julia. Natürlich wusste sie, unter welchen Bedingungen sie aus dem Haus gehen durfte, doch davon war in diesem Moment keine einzige auch nur annähernd erfüllt.
Auf einmal sprang Julia auf. »Ich habe eine Idee.« Sie öffnete sich den Reißverschluss ihres Rockes ein Stück, dann lief sie ins Haus zurück.
»Warte, Julia.« Frauke schreckte auf. »Du darfst mich hier nicht...« Doch zu ihrem Entsetzen war Julia schon außer Hörweite. »... allein lassen.«
Sie hatte sich gerade von dem Schrecken erholt, als sie sah, dass einer der Nachbarn am Zaun stand und Fotos machte. Er schien sich für das gesamte Grundstück zu interessieren, was Frauke etwas seltsam fand. Sie wünschte ihm einen Guten Tag, doch der Gruß wurde nicht erwidert.
»Wir machen ein Spiel daraus.« So schnell, wie Julia verschwunden war, stand sie auch wieder neben Frauke und reichte ihr den Trainingshandschuh und ein leichtes Halskorsett. »Du legst ihn mir an und stellst mir dann die Übungsfragen. Wenn die Antwort falsch ist, dann muss ich ihn wieder ablegen.«
»Und wofür ist das Halskorsett?« Frauke schüttelte den Kopf.
Julia strahlte bis zu den Ohren. »Das ist für die zweite Runde.«
Frauke stand auf. »Na dann. Bitte mein Fräulein, würden sie bitte die Arme auf den Rücken legen.«
* * *
»Hast du die Fotos machen können?« Die Nachbarin empfing ihren Mann schon an der Haustür.
»Sie hat mich gesehen und mich gegrüßt.« Er nahm den Chip aus der Kamera und reichte ihn seiner Frau. »Willst du da wirklich anrufen?«
»Er hat uns ausdrücklich dazu aufgefordert.« Die Frau suchte die Visitenkarte heraus. »Und außerdem haben Hegels uns gebeten, heute ein besonderes Auge auf das Haus zu haben.«
»Na wenn du meinst.« Der Mann gab sich nachdenklich. »Ich glaube nicht, dass es so wichtig ist.«
»Lass mich nur machen.« Die Frau wählte die lange Nummer und wartete, bis sich ihr Gegenüber meldete.
»Buchelberger. Was gibt es?« Er klang besorgt, denn er hatte dieses Handy nur für einen einzigen Zweck vorgesehen.
»Sie haben gesagt, wir dürften sie jederzeit anrufen.« Die Stimme der Nachbarin zitterte leicht.
»Und weswegen rufen sie an?« Herr Buchelberger wusste auch von der Abwesenheit des Ehepaars Hegel.
»Sie ist draußen.« Sie keuchte. »Allein, ganz allein.« Sie holte tief Luft. »Mein Mann hat Beweisfotos gemacht.«
»Danke dass sie mich sofort informiert haben.« Er legte auf, dann zog er seine Stirn in Falten. Sollte sein Privatexperiment jetzt doch noch scheitern?
* * *
»So macht das aber keinen Spaß.« Frauke legte den dritten Bogen aus der Hand. »Du weißt ja wirklich alles.«
»Ja, das hatte ich mir auch anders vorgestellt.« Julia seufzte. »Jetzt ist wohl erst einmal eine Pause angesagt.«
Frauke grinste sie an. »Meinst du Pause vom Lernen oder Pause vom Handschuh?«
»Am besten wohl von beidem.« Julia versuchte langsam aufzustehen, doch erst als Frauke sie an der Schulter hochzog, schaffte sie es. »Die Liege mit der Aussparung ist wirklich sehr bequem. Der Handschuh stört überhaupt nicht.«
Frauke blickte auf die Uhr und wurde bleich. »Sch...eibenkleister!«
»Was ist?« Julia blickte sich verwundert um.
»Das waren zwanzig Minuten.« Die Dienerin war auf einmal sehr verlegen. So schnell wie sie konnte, befreite sie Julia von dem Handschuh.
Doch Julia gab sich cool. »Schreibe zwei mal zehn Minuten auf.« Sie grinste. »Das ist ja nicht gelogen.«
»Nur die Pause passt nicht.« Frauke hatte sich den bereitgelegten Block zur Hand genommen und begann zu schreiben. »Wie geht es deinen Armen?«
Ohne dass es ihr recht bewusst war, hatte sie schon mit den vorgeschlagenen Bewegungen begonnen. »Ein wenig spüre ich es jetzt schon. Wir sollten jetzt auch doppelte Pause machen.«
»Und weswegen hast du das Halskorsett mitgebracht?« Frauke war über Julias Ehrlichkeit sehr erleichtert.
»Du kannst vielleicht Fragen stellen.« Julia grinste. Kaum hatte sie ihre Gymnastik beendet, als sie schon nach dem Halskorsett griff und es sich anlegte.
»Kriegst du es allein zu?« Frauke lächelte verschmitzt. »Ich habe keine Lust, noch einmal aufzustehen.«
Julia keuchte, und es war nicht klar, ob es gespielt war oder ob sie es ernst meinte. »Ich versuche es.«
»Du bist wirklich unersättlich.« Frauke blickte von ihrem Liegestuhl an Julia herunter. »Wenn du jetzt noch den Rock ganz schließen würdest, wäre es perfekt.«
»Verdammt, warum sagst du mir nicht eher, dass ich hier die ganze Zeit halb nackt herum laufe.« Kaum hatte sie das Halskorsett geschlossen, als sie sich auch schon herunter beugte und sich den Reißverschluss am Rock ganz schloss. »Uih, jetzt merke ich das Halskorsett doch recht deutlich.« Sie griff wieder zu dem Buch, welches sie bereit gelegt hatte, und las weiter darin.
Frauke blickte in den Himmel und döste ein wenig vor sich hin. Als Julia wieder einmal von ihrem Buch aufsah, blickte sie sie mit verträumten Augen an. »Ich liebe es, hier draußen zu sitzen und den Wolken zuzusehen.« Sie seufzte. »Das sind kostbare Momente.«
»Warum eigentlich?« Julia runzelte die Stirn. »Du könntest doch jederzeit von hier aus auf die Straßenbahn und den Himmel sehen.«
»Ich würde dir gern die Wahrheit sagen.« Fraukes Tonfall wurde ein wenig ernster. »Aber ich glaube, dazu ist es noch zu früh.«
Julia spürte, dass sie einem weiteren Geheimnis auf der Spur war. Sie blickte Frauke lange an. Schließlich äußerte sie ihre schon länger gehegte Vermutung. »Du bist hier gefangen.«
Fraukes Stimme war auf einmal ganz ernst. »Julia, du bist ganz nah dran, aber ich bitte dich um Verständnis, dass ich noch nicht darüber reden möchte.« Sie holte tief Luft. »Ich schäme mich meiner Vergangenheit sehr.« Eine Träne rollte über ihre Wange. »Ich hatte gehofft, in dir die Schwester zu bekommen, die ich mir immer gewünscht habe. Doch wenn du jetzt weiter fragst, dann wird es sehr weh tun. Für uns beide.«
Irgendwie hatte sich eine unsichtbare Wand zwischen die beiden Liegestühle geschoben. Beide schwiegen eine Weile.
»Frauke?« Julia klang auf einmal sehr schüchtern.
»Ja?« Die Stimme klang noch sehr brummig.
»Du darfst mir nicht länger böse sein. Das war nicht so gemeint. Ich will dir gern eine Schwester sein. Und ich werde auch nicht mehr weiter fragen.« Es kostete sie sehr viel Kraft, ihre Neugier im Zaum zu halten, doch sie spürte, dass sie sonst Frauke zur Feindin haben würde. Und so viel war ihr auch jetzt schon klar, das wollte sie auf keinen Fall.
Frauke blickte ihr Gegenüber nur lange an. Es war deutlich zu sehen, dass sie noch ein wenig verstimmt war.
Julia versuchte ein schüchternes Lächeln. »Wie wäre es, wenn zur Abwechslung ich mich einmal um das Abendessen kümmere?«
»Das ist ein schöner Gedanke, aber ich hätte einen Gegenvorschlag.« Frauke richtete sich auf. »Was meinst du, wie lange wird Vorbereiten und Essen dauern?«
Die Studentin zuckte mit den Schultern. »Naja, vielleicht jeweils 10 Minuten?«
»Du möchtest doch sicher noch etwas mit dem Handschuh trainieren?« Jetzt war es an Frauke zu grinsen. »Mit etwas Gymnastik zwischendurch? Das mit dem Reißverschluss ist eine feine Sache, denn damit lässt sich der Handschuh schnell an- und ablegen.«
»Aber beim Essen werde ich ihn nicht tragen.« Julia wagte einen Blick in die Zukunft.
»Hmmm...« Fraukes grinste jetzt noch mehr. »Ich dachte mir das genau andersherum.« Sie stand auf. »Lass uns in die Küche gehen.«
Julia kam der Aufforderung nach. »Was meinst du?« Sie bemerkte, dass ihre Stimme ungewollt zitterte.
»Beim Vorbereiten wirst du Handschuh und Perle tragen.« Frauke war ein wenig angespannt, denn in diesem Moment sagte sie Julia nicht alles von dem, was sie vor hatte. »Und erst beim Essen werde ich dir die Perle abnehmen und dich füttern.«
»Eigentlich ist das ein sehr verlockender Gedanke.« In Julia arbeitete es. »Mein Rock bleibt zu. Und das Halskorsett bleibt auch angelegt.«
»Wie du meinst...« Frauke war fasziniert davon, dass Julia offensichtlich Spaß daran hatte, sich ganz selbstständig mit Restriktionen zu umgeben.
»Das werden sehr interessante und spannende zwanzig Minuten.« Julia grinste.
»Ich werde mich auch beeilen.« Frauke wusste in diesem Moment allerdings schon etwas mehr als Julia.
»Oh!« Julia glaubte, die Möglichkeiten erkannt zu haben. »Du kannst dir ruhig Zeit lassen.«
»Das könnte dir so passen«, grinste Frauke. »Wir werden uns genau an die Vorschriften halten.«
Julia gefiel diese Stimmung. »Dann könnte ich doch gleich einmal mit dem Perlennetz üben.«
»Gute Idee.« Frauke fand ebenfalls Gefallen an dieser Idee, denn es gab ihr nebenbei die Gelegenheit, etwas Bestimmtes unbemerkt von Julia vorzubereiten. »Holst du es?«
»Gern.« Julia lief mit klopfenden Herzen zur Treppe. Oben angekommen dachte sie für einen kurzen Moment daran, dass sie jetzt mit dem Rock schummeln könnte. Doch dann verwarf sie den Gedanken, denn es würde Frauke bestimmt auffallen, wenn sie zu früh mit der Perle zurück kommen würde.
Stattdessen hatte sie noch einen besseren Gedanken. Sie würde sich das Perlennetz schon in ihrem Zimmer anlegen. Den Spiegel zu benutzen empfand sie nicht als Schummelei, denn Frauke hatte ihn als erlaubtes Hilfsmittel benannt. Nur wenn kein Spiegel zur Verfügung stand, sollte sie in der Lage sein, den Sitz der Riemen mit den Händen überprüfen.
Ihr Herz klopfte laut, als sie mit angelegter Perle in die Küche zurück kam, und als sie sah, dass Frauke ihren Handschuh schon in der Hand hielt, ging ihr Atem sehr heftig. Sie blickte Frauke fragend an, und als diese anerkennend nickte, legte sie ihre Arme auf den Rücken.
»Es ist wirklich sehr einfach.« Frauke zog den Handschuh an Julias Armen empor, legte sie Riemen über ihre Brust und schloss anschließend den Reißverschluss. »Setze dich bitte hier hin.« Sie führte Julia die wenigen Schritte zu dem Stuhl, den sie dafür bereitgestellt hatte.
Frauke hatte den Tisch schon mit dem Geschirr gedeckt, jetzt ging sie zum Kühlschrank und öffnete ihn. »Was möchtest du denn essen? Wurst, Käse, Quark?« Dabei versuchte sie ein harmloses Lächeln. Innerlich hingegen war sie hoch angespannt.
Julia erstarrte auf einmal, denn erst jetzt realisierte sie ihren Gesamtzustand. Den Rock hatte sie sowieso schon ganz geschlossen, und das Halskorsett trug sie auch noch. Jetzt war sie schon so gut wie bewegungsunfähig, und reden konnte sie wegen der Perle in ihrem Mund auch nicht mehr.
Zugleich war sie doch sehr glücklich, denn sie spürte, dass Frauke sich über ihren Auftritt sehr freute. Und das wiederum ließ die Studentin sich ebenfalls freuen, vor allem als sie bemerkte, dass sie wegen des Halskorsetts nicht einmal ihren Kopf vernünftig bewegen konnte.
»Soll ich dich überraschen?« Frauke genoss den Moment von Julias 'Erwachen' sehr.
Julia versuchte ein Nicken, doch als auch das nicht gelang, versuchte sie ein Lächeln. Doch was als nächste geschah, ließ ihr für einen kurzen Moment das Blut in den Adern erstarren. Etwas Dunkles legte sich vor ihre Augen, und sie erkannte sofort, dass Frauke ihr jetzt auch noch das Sehen genommen hatte.
»Vertrau mir.« Fraukes Stimme strahlte gewisse Anspannung aus, denn sie war sich selbst auch nicht sicher, wie Julia auf diese Verwandlung reagieren würde.
Das Herz der Studentin schlug auf einmal sehr laut. Sie realisierte sehr schnell, dass sie nur noch ihre Ohren und ihre Nase übrig hatte, um zu erfahren, womit Frauke sich gerade beschäftigte.
Sie hörte das Klappern von Geschirr und das Klappern von Schranktüren. Auch die Kühlschranktür erkannte sie. Und es begann nach Käse zu riechen.
Auf einmal spürte sie, wie sich ihr Handschuh löste. »Zeit für deine Gymnastik.«
'Es ist wohl zu spät zu sagen, dass ich sie noch nicht auswendig gelernt habe', dachte Julia bei sich. Sofort machte sie die Bewegungen, die sie sich schon gemerkt hatte.
»Gut, danke.« Fraukes Stimme war leise. »Ich lege dir nun den Handschuh wieder an.«
Julia spürte die vertrauten Berührungen, und es kam ihr sogar vor, als würde Frauke sich beeilen.
»Ich werde dir jetzt die Augenbinde abnehmen, damit ich dir das Perlennetz abnehmen kann.« Frauke hatte ein Grinsen in der Stimme. »Mit der Perle im Mund ist Füttern sehr umständlich.«
Julia versuchte ein Lächeln, um zu zeigen, dass sie es verstanden hatte. Und auch, um ein wenig über den Witz zu schmunzeln.
»Ich möchte, dass du deine Augen geschlossen hältst.« Fraukes Stimme war nur eine Nuance strenger.
Julia lächelte wieder. Gleich darauf spürte sie, wie sich der Druck um ihren Kopf leicht verringerte. Und als sie spürte, dass Frauke an der Perle zog, öffnete sie ihren Kiefer etwas weiter. »Danke Frauke«, Julias Stimme klang sehr bewegt. »So etwas Schönes habe ich bisher noch nicht erlebt.«
Doch zu ihrer Überraschung legte Frauke ihr nur einen Finger auf den Mund. »Ts ts ts... Wer hat denn gesagt, dass du reden darfst?«
Gern hätte Julia in diesem Moment ihr Herz ausgeschüttet, doch sie musste sich Fraukes Willen beugen. Und letzteres war nicht nur aufregend, sondern es gefiel der Studentin auch außerordentlich gut. Sie spürte, dass Frauke ihr wieder die Augenbinde angelegt hatte. Für einen kurzen Moment verspürte sie Erleichterung, denn sie konnte sich jetzt darauf konzentrieren, kein Wort zu sagen.
Frauke hatte für sie beide je eine Scheibe Brot mit Quark und eine mit Käse vorbereitet. Und die Stücke für Julia hatte sie extra klein geschnitten, damit sie sich möglichst lange mit Julias völlig hilflosem Körper befassen konnte. Bei ein paar wenigen Stücken neckte sie sie ein wenig, in dem sie das Brot wieder zurück zog, bevor Julia zubeißen konnte.
Doch wenn Julia sich beschweren wollte, legte sie ihr nur wieder den Finger auf den Mund.
»Und nun kommt der Nachtisch.« Frauke hatte sich ganz spontan zu diesem Schritt entschlossen. Zu sehr war sie von dem hilflosen und doch so verführerischen Körper der Studentin angezogen. Trotzdem wollte sie ihr nichts aufdrängen. »Bitte lasse deinen Mund geschlossen.«
Julia hatte auf einmal eine Ahnung, was kommen würde. Und sie freute sich darauf.
Frauke beugte sich zu Julia hinüber. Sehr vorsichtig näherte sich Frauke ihrem Kopf und suchte einen kurzen Kontakt ihrer Lippen. Sie wollte Julia auf jeden Fall eine Rückzugsmöglichkeit bieten. Doch zu ihrer großen Erleichterung schien Julia auf diesen ersten Kuss geradezu gewartet zu haben. Sie drängte sich an Fraukes Lippen und gemeinsam versanken sie in der Tiefe ihres ersten Kusses.
* * *
Julia lag auf ihrem Bett und blickte in den Himmel. Den Himmel, den sie vor ihren Augen sah und in dem sie sich jetzt auf einer Wolke schweben sah.
Frauke hatte sie noch lange nach dem Kuss in ihren Armen gehalten. Langsam hatte Frauke die verschiedenen Restriktionen wieder gelöst, und gemeinsam hatten sie danach die Küche aufgeräumt.
Sie hatten beide lange geschwiegen und sich nur noch mit Blicken unterhalten. Keine von Beiden schien die Stille als Erste unterbrechen zu wollen.
Erst als nur noch die Liste auf dem Tisch lag, hatte es Julia gewagt, wieder ein Wort zu sagen. »Eigentlich ist alles erledigt.« Sie hatte dabei geradezu geflüstert.
»Ich hoffe, sie werden mit uns zufrieden sein.« Frauke hatte auf einmal etwas nachdenklich ausgesehen. »Ein Punkt wäre allerdings noch offen.«
Julia hatte noch einmal auf die Liste geblickt. »Es ist doch alles abgehakt.« Sie hatte sie in die Hand genommen und herumgedreht. »Da steht auch nichts.« Sie hatte Frauke ratlos angeblickt.
Frauke hatte gelächelt. »Du wolltest doch noch die Lackbettwäsche aufziehen.«
Julia war sofort aufgesprungen. »Warum sagst du das nicht gleich?« Sie war elektrisiert gewesen. »Lass uns gehen.«
Jetzt lag sie auf ihrem Bett und wartete auf Frauke. Die Bettwäsche hatte sie schon allein aufgezogen, zu sehr kannte sie die nötigen Handgriffe, als dass sie es für nötig gehalten hätte, auf die Dienerin zu warten.
Neben ihr lag das strenge Nachthemd, das sie gleich tragen würde. Auch den Schmetterling aus der Schublade hatte sie daneben gelegt. Doch zu dem Vibrator wollte sie Frauke noch etwas fragen, denn sie hatte trotz ihrer Intelligenz nicht heraus gefunden, wie man dieses Gerät hätte anschalten können.
Auch im Bad war sie schon gewesen, und sie hatte sich auch schon ganz ausgezogen. Es war ein sehr aufregendes Gefühl, als sie sich mit ihrer nackten Haut das erste Mal auf das Lacklaken setzte.
Jede weitere Bewegung auf dem neuen Material wurde zu einem Abenteuer, und Julia genoss jeden einzelnen Kontakt mit dem so aufregend glatten und glänzenden Material. Bis vor ein paar Tagen hatte sie überhauptnicht gewusst, das es so etwas überhaupt gab.
So ganz langsam schob sie ihre Beine unter die Bettdecke, sehr langsam, zentimeterweise.
»Mir scheint, du möchtest schummeln.« Frauke stand auf einmal vor ihrem Bett und blickte sie mit deutlich gespielter Empörung an.
Julia schreckte hoch, reflexmäßig zog sie sich die Decke über den Oberkörper. Als sie den glatten Stoff auf ihrer Haut spürte, konnte sie ein Stöhnen nicht unterdrücken.
Doch Frauke zog ihr die Bettdecke wieder weg. »Schummeln ist nicht erlaubt, mein Fräulein.« Sie griff sich das Nachthemd und hielt es hoch. »Sie wissen doch, zu was sie sich verpflichtet haben.«
»Ja, Frauke.« Julia setzte ein verlegenen Lächeln auf. »Bitte helfen sie mir mit dem Nachthemd.« Auf einmal hatte sie eine Idee. »Ich weiß immer noch nicht, wie ich es mir allein anziehen könnte.«
»Jetzt mach mal halblang.« Frauke lächelte. »Warst du schon im Bad?«
»Alles erledigt.« Sie blickte auf den Nachttisch, wo sie den Schmetterling schon bereit gelegt hatte. »Wirklich alles.« Doch dann wurde sie verlegen. »Weißt du, wie man das Ding anschaltet?« Sie konnte nicht verhindern, dass sie rot dabei wurde.
Auch Frauke war neugierig darauf, denn sie wollte Julia ebenfalls eine unvergessliche Nacht bereiten. Sie nahm sich das Gerät in die Hand und begutachtete sowohl den Schmetterling als auch den Batteriekasten, doch nirgends war ein entsprechender Schalter zu sehen. Etwas ratlos setzte sie sich auf das Bett. »Ich weiß es auch nicht, ehrlich.«
»Er kann sich doch nicht von selbst einschalten.« Julia ahnte nicht, wie nah sie an der Wahrheit dran war.
»Nein, sicherlich nicht.« Frauke seufzte. »Ich fürchte, wir müssen diese Nacht darauf verzichten.«
Wie in einem Reflex horchte Julia auf. »Hast du gerade 'wir' gesagt?«
Frauke fiel wieder ein Schatten vor das Gesicht. »Jetzt ist Schluss mit der Plauderstunde, lass dir das Nachthemd anziehen.«
Jetzt war Julia in der Lage, erste Vergleiche anzustellen, und deswegen wusste sie, dass sie in dem Nachthemd noch hilfloser sein würde als mit Handschuh, Rock und Halskorsett. Allerdings fehlte ihr mittlerweile etwas der Druck des Korsetts, das sie wegen der Bluse getragen hatte. Sie nahm Frauke das Nachthemd aus den Händen und zog es sich an den Beinen hoch. Dann blickte sie ihr Gegenüber an.
Die Dienerin fasste zu, und gleich darauf zeigte Julia das Ratschen des Reißverschlusses, dass sie nun in das Nachthemd eingesperrt war.
»Frauke?« Julia ließ einfach ihr Herz sprechen.
»Ja?« Frauke war schon wieder von Julias unschuldiger Art fasziniert.
»Magst du deiner Schwester noch einen Gute-Nacht-Kuss geben?« Sie lächelte.
Frauke beugte sich zu Julia hinunter und blickte ihr verliebt ins Gesicht. »Nur einen?« Dann lächelte sie ebenfalls, und ihre Lippen trafen sich.