Die Studentin

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Die Studentin – Besuche

Autor: Karl Kollar

Herr Hegel hatte gewartet, bis seine Frau auch erwacht war. »Na, wie fandest du unseren Engel gestern Abend?«, fragte er, gleich nachdem er ihr einen guten Morgen gewünscht hatte.

»Dir auch einen guten Morgen.« Frau Hegel holte tief Luft. »Ja, Julias Verhalten gestern war sehr vielversprechend.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »So langsam glaube ich auch wieder, dass wir es vielleicht doch noch schaffen können.«

»Jetzt darf aber wirklich nichts mehr dazwischen kommen.« Er verzichtete darauf, seinen Schwager namentlich zu erwähnen.

Doch seine Frau erkannte auch so sofort, auf was er anspielte. »Es ist doch gut ausgegangen«, seufzte sie.

»Hätten wir es eigentlich verhindern können?« Er runzelte die Stirn.

»Dann hätten wir ihr schon viel früher die Wahrheit über Frau Wiesl sagen müssen.« Sie holte tief Luft. »Und dann hätte sie vielleicht gleich abgebrochen.«

»Damit könntest du recht haben.« Er blickte auf seinen Wecker. »Ich glaube, wir sollten dann aufstehen.«

* * *

Es war das erste Mal, dass Frauke die ganze Nacht in Julias Zimmer geblieben war. Von sich aus hätte die Dienerin noch nicht danach gefragt, doch sie wurde von Herrn und Frau Hegel geradezu genötigt, die Studentin diese Nacht nicht allein zu lassen.

Der gestrige Abend hatte ihre gegenseitigen Gefühle gestärkt, und Frauke hatte es sehr genossen, ihre Freundin in den Armen zu halten, während Herr Hegel sie mit der Fernbedienung malträtierte. Sie hatte sich wirklich vorgenommen, einzuschreiten, wenn es für Julia zu anstrengend werden würde, doch sie hatte stets den Eindruck, dass die Studentin ihren Zustand jede Sekunde zu genießen schien.

Zuerst schien sie nervös zu sein, aber vermutlich nicht wegen Hegels, sondern eher aus Angst vor dem Unbekannten. Sobald sie aber erkannt hatte, was der Pflichtabend bei Hegels tatsächlich bringen würde, entspannte sie sich immer mehr. Selbst als sie realisiert hatte, dass ihr Professor die Quelle ihrer so süßen Qualen war, hielt sie das nicht davon ab, sich immer tiefer fallen zu lassen.

Frauke hatte sich schon bald neben sie gestellt und hatte sie umarmt. Doch selbst bei dieser Nähe hatte sie Schwierigkeiten zu erkennen, wann Julia einen ihrer ungezählten Orgasmen gehabt hatte. Sie war offensichtlich sehr stark darauf konditioniert, sich bei ihren Höhepunkten nichts anmerken zu lassen.

Lächelnd erinnerte sich die Dienerin an das, was ihre Freundin ihr von ihrer Pubertät und ihrer frühen Jugend erzählt hatte. Sie war auf dem Bauernhof nur durch einen Vorhang von ihren Brüdern getrennt gewesen, und deswegen durfte sie einfach keine Geräusche machen. Und genauso wenig hatte sie sich darauf verlassen können, dass der Vorhang stets ganz geschlossen war. Sie hatte schnell gelernt, sich nichts ansehen zu lassen und ihre Höhepunkte im Stillen zu genießen.

Vielleicht war das auch der Grund, warum Julia bisher keinen Partner hatte. Frauke war sich immer noch unsicher, ob Julia ihre Gefühle nur auf geschwisterlicher Ebene erwiderte, oder ob sie wirklich auch lesbische Gefühle für sie hegte. Zu viel war in den vergangenen Tagen passiert, als dass sie sich ihrer Gefühle sicher sein konnte.

Natürlich hatte sich Julia sehr für sie eingesetzt, aber genauso hatte sie ihr den Schlamassel auch erst verdanken.

Später am Abend hatte dann noch mitgeholfen, Julia aus ihren Kleidern zu befreien, um sie dann wieder in den Keuschheitsgürtel und in das Nachthemd zu stecken. Besonders hatte sich sie gefreut, als sie von Frau Hegel die Aufforderung bekommen hatte, in Julias Bett neben ihr zu übernachten. Von sich aus hätte sie es noch nicht gewagt, danach zu fragen.

Sie hatte immer wieder leicht über Julias so streng in dem Nachthemd verpackten Körper gestrichen, und sie war insgeheim sehr erleichtert darüber, dass ihr diese Erfahrungen weitgehend erspart geblieben waren, wenn auch aus anderen eher traurigen Gründen.

* * *

Es klopfte leise an Julias Tür, und gleich darauf steckte Frau Hegel den Kopf zur Tür herein.

Frauke hatte sofort ein schlechtes Gewissen, obwohl sie ausdrücklich die Erlaubnis dafür hatte, die Nacht neben Julia zu verbringen.

Doch Frau Hegel übersah es bewusst. Sehr leise trat sie ein, legte wie zur Bekräftigung noch einmal den Finger auf die Lippen und flüsterte. »Schläft sie noch?«

Frauke begann langsam zu der neuen Situation Vertrauen zu fassen. »Wie ein Murmeltier«, flüsterte sie mit einem deutlichen Grinsen im Gesicht.

»Geben sie ihr bitte diese Karte, wenn sie wach ist.« Frau Hegel reichte der Dienerin eine Karte sowie einen verschlossenen Umschlag. »Wir müssen sie dann aber trotzdem wecken. Sie muss heute wieder in die Uni.«

Frauke machte Anstalten, sich zu der noch Schlafenden zu drehen.

Doch Frau Hegel unterbrach sie. »Warten sie bitte noch einen Moment.« Sie holte tief Luft. »Ich wollte sie noch um einen Gefallen bitten.«

»Und was wäre das?« Frauke ahnte wegen des besonderen Tonfalls, dass es wohl etwas Schwieriges werden würde.

»Zunächst einmal wollte ich mich noch einmal bei ihnen bedanken.« Die Frau des Professors klang etwas erleichtert. »Sie waren gestern genau die Stütze, die Julia gebraucht hat.«

»Danke«, erwiderte Frauke mit einem Lächeln. »Ich wollte einfach gut auf sie aufpassen.« Es wurde deutlich, dass sie immer noch unsicher war wegen des gestrigen Abends. »Und was soll ich jetzt für sie tun?«

Wieder holte Frau Hegel tief Luft. »Sie könnten sie dazu bringen, sich nach dem Dildo für den Keuschheitsgürtel zu erkundigen.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Versuchen sie es so zu machen, dass sie glaubt, es wäre ihre Idee.«

Frauke runzelte die Stirn. »Sind sie sicher?«

»Ich glaube, sie ist in der Beziehung sehr neugierig.« Frau Hegel lächelte. »Ermutigend sie sie einfach. Reden sie ihr gut zu.«

»Und wenn sie sich nicht traut?« Frauke war weder von ihren Fähigkeiten noch von Julias Mut überzeugt.

»Zwingen dürfen wir sie nicht.« Sie verdrehte die Augen. »Aber ich bin mir sicher, dass sie es ausprobieren möchte. Wir müssen es ihr nur so leicht wie möglich machen.«

»Und wie lange soll sie ihn tragen?« Frauke realisierte nur nebenbei, dass sie selbst offenbar in dieses ‚wir‘ eingeschlossen war, und das freute sie sehr. »Die ganze Zeit, während sie in der Uni ist?« Sie war daran interessiert, für ihre Freundin möglichst gute Bedingungen auszuhandeln. Außerdem war sie fest entschlossen, einzuschreiten, wenn sie es für eine Überforderung hielt, denn natürlich wusste sie, worauf das alles hinaus laufen würde.

»Nein, auf keinen Fall.« Frau Hegel klang ein wenig empört. »Wir dürfen sie nicht überfordern.«

»Und an was dachten sie?« Frauke war ehrlich neugierig.

Frau Hegel begann ihren Plan zu erläutern. »Ich dachte mir, dass wir den Dildo vor dem Mittagessen anlegen, dann gemeinsam speisen, und danach nehmen wir ihn wieder ab.«

»Wird ihr Mann davon wissen?« Frauke runzelte die Stirn.

»Das ist nicht die richtige Frage, denn natürlich weiß er es.« Die Frau des Professors lächelte verschmitzt. »Viel wichtiger ist die Frage, ob Julia weiß, dass mein Mann es weiß?«

Frauke grinste. »Ich denke, ich habe es verstanden.«

»Nach dem Tag gestern dürfte sie eigentlich auch keine Bedenken mehr haben.« Frau Hegel blickte sich kurz im Zimmer um. »Wir müssten dann nur auf ihre körperlichen Reaktionen Rücksicht nehmen.«

Als Antwort grinste Frauke nur.

»Also dann wecken sie sie, und dann kommen sie bald zum Frühstück.« Frau Hegel verließ das Zimmer.

* * *

»Guten Morgen, du Schlafmütze.« Frauke strahlte Julia an, als diese ihre Augen öffnete.

Julia erwiderte den Gruß. »Ich habe überall Muskelkater. Was war denn gestern bloß los?« Sie gab sich unschuldig naiv, doch ihr Grinsen entlarvte sie sofort.

»Du warst wirklich gut auf dem Pferd.« Frauke gab ihr einen vorsichtigen Kuss auf die Stirn.

Julia wurde rot. »Ich dachte, das war ein Traum.« Sie stutzte. »Waren sie eigentlich zufrieden mit mir? Ich habe nach einiger Zeit überhaupt nichts mehr mitbekommen.«

Frauke nickte zunächst, dann blickte sie Julia fragend an. Sie wusste nicht, wie sie ihre Frage hätte formulieren müssen.

»Ich hatte so etwas nicht erwartet.« Sie zögerte. »Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit.«

»Aber du hast es doch genossen, oder?« Es lag etwas Zweifel in ihrer Stimme. »Ich hatte die Erlaubnis, es abzubrechen, wenn es für dich zu unangenehm gewesen wäre. Doch ich hatte nie den Eindruck, dass du dich unwohl fühltest oder gar Schmerzen hättest.«

Julia war verwundert. »Du hättest es beenden können?«

»Ich war von der Nachricht selbst auch erstaunt gewesen.« Sie strich mit der Hand zärtlich über das Nachthemd, dass Julia so streng an das Bett fesselte. »Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass du es als negativ empfandest.«

Julia erkannte langsam die Sorgen ihrer Freundin. »Nach dem ersten Mal war es mir egal. Ich konnte es ja ohnehin nicht beeinflussen.«

»Und wie fandest du es?« Frauke blickte ihr bei der Frage tief in die Augen.

Julia zögerte lange. »Schön… es war schön.« Sie holte tief Luft. »Es war anstrengend, aber schön.«

»Du wurdest bewundert, nicht nur von mir.« Frauke streichelte erneut über den so süß im Nachthemd gefangenen Körper.

»Meinst du, sie waren zufrieden mit mir?« Auf einmal war so etwas wie Zweifel und Unsicherheit in ihrem Gesicht zu sehen. »Sie hatten mir ja nicht gesagt, was sie von mir erwarteten.«

»Das werden wir sicher beim Frühstück erfahren.« Frauke war auf einmal etwas nachdenklich. »Du bist oft gekommen.«

Julia nickte leicht und lächelte, doch dann wurde sie ernst, denn sie sah einen Schatten in Fraukes Gesicht. »Was ist mit dir?«

»Ich darf nicht.« Sie blickte kurz an sich herunter.

Erst jetzt realisierte Julia, dass Frauke nur mit Keuschheitsgürtel und Keuschheits-BH bekleidet war und so neben ihr im Bett lag. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

»Ich will aber auch nicht«, seufzte Frauke. »Es erinnert mich zu sehr an mein erstes Mal.«

»Ich würde dich gern in die Arme nehmen und trösten.« Sie blickte ihrerseits an ihrem Körper herab. Insgeheim fand sie es ungerecht, dass sie selbst von Orgasmus zu Orgasmus getrieben wurde, während ihre Freundin nur zuschauen konnte und selbst nicht kommen durfte. Julia war sich sicher, dass der angegebene Grund nur vorgeschoben war, und dass etwas anderes dahinter steckte. Und sie war entschlossen, dies zu erforschen und zu ändern, auch wenn sie noch gar keine Ahnung hatte, wie das gehen konnte.

Sie versuchte sich aufzurichten. »Dann muss ich es ja gleich doppelt machen.« Sie ließ sich wieder in ihr Kissen sinken. »Kannst du mich aus dem Nachthemd befreien?«

»Aber gern.« Frauke griff zum Reißverschluss und zog ihn langsam auf. »Na dann wollen wir dich mal befreien.«

»Oh, ich trage es wieder?« Julia blickte an sich herunter. Das silberfarbene Metall leuchtete im Sonnenlicht. »Ich hatte schon gehofft, mit dem gestrigen Abend…« Sie sprach nicht weiter, aber es war ohnehin deutlich, was sie hätte sagen wollen.

Natürlich hatte sie erkannt, was die Studentin mit dem Seufzer eigentlich sagen wollte, doch sie wusste auch, dass alles so geplant war. Sie half ihrer Freundin die Arme aus den inneren Ärmeln zu ziehen, und bald darauf konnte Julia sich aufrichten und auf die Bettkante setzen. »Hier, das soll ich dir geben.« Frauke reichte ihr die Karte mit dem Umschlag.

Julia nahm beides in die Hand und öffnete zunächst die Karte, die auf der Vorderseite eine Blumenwiese mit blauem Himmel zeigte. Die Schrift erkannte sie sofort als die ihres Professors. 'Meine liebe Julia,' war dort zu lesen. 'ich möchte mich auch im Namen meiner Frau ganz herzlich für ihre tollen Leistungen gestern Abend bedanken. Es war sehr gut, und sie sind wirklich auf dem richtigen Weg. Alles Liebe, Winfried Hegel.' Er hatte nicht mit Professor unterschreiben. 'PS: Anbei noch ein kleines Dankeschön. Kaufen sie sich etwas Schönes davon.'

Frauke zeigte auf den Umschlag. »Was haben sie hinein getan?«

Julia öffnete den Umschlag und sah vier 50 Euro-Scheine. »Woh.« Auf einmal erschien ein Lächeln in ihrem Gesicht. »Ich weiß schon, was ich uns dafür kaufe.«

Es klopfte an der Tür.

Frauke schreckte auf. »Wir müssen uns beeilen. Wir sind zum Frühstück geladen.« Sie streichelte über Julias Schulter. »Und ich glaube, heute muss auch noch jemand in die Uni.«

Ein Ruck ging durch Julias Körper. »Ach ja, da war ja noch was.« Sie blickte an sich herunter. »Schade, wieder komplett verschlossen. Nur die Schenkelbänder fehlen noch.«

»Gut dass du mich daran erinnerst.« Frauke erhob sich und holte die entsprechenden Ringe und Ketten. Doch als sie vor ihrer Freundin stand, stutzte sie. »Willst du nicht besser erst ins Bad?«



»So, fertig.« Als Julia aus dem Bad kam, strahlte sie zwar, machte aber auch einen sehr nervösen Eindruck.

Frauke bemerkte es sofort. »Hast du so viel Angst vor dem Frühstück? Sie haben doch schon deutlich gemacht, was sie von deiner Leistung halten.«

»Nein, das ist es nicht.« Julia hatte etwas anderes auf dem Herzen. »Frauke?« Sie schluckte noch einmal. »Frauke, da wäre etwas, was ich Hegels eigentlich schon lange fragen wollte. Und jetzt nach diesem Abend hätte ich vielleicht endlich den Mut dazu.«

»Was möchtest du denn? Doch den nicht etwa den Dildo vom Keuschheitsgürtel ausprobieren.« Es war Frauke spontan herausgerutscht, und schon bereute sie ihre Frage, denn mit dieser plumpen Direktheit hatte sie sich gerade den Weg für ihren Spezialauftrag verbaut.

»Woher weißt du das?« Julia war verwundert. »Genau das beschäftigt mich schon so lange. Ich würde gern wissen, wie es sich anfühlt. Aber ich weiß nicht, wie ich danach fragen soll.«

Frauke musste trotz all ihrer Anspannung lachen.

»Was ist los?« Julia war verwundert. »Warum lachst du?«

»Genau das sollte ich dich heute fragen.« Frauke zeigte ein breites Grinsen. »Und ich bin erleichtert, dass du es mir so leicht machst.«

»Moment, verstehe ich das richtig?« Julia machte in diesem Moment einen sehr verwirrten Eindruck. »Hegels wünschen sogar, dass ich dieses Ding in mir trage?«

Frauke nickte, dann räusperte sie sich und ihre Stimme wurde etwas nüchterner. »Natürlich gibt es dabei noch viel zu beachten, wenn frau sich auf so ein Abenteuer einlässt.«

»Spielverderber.« Julia verdrehte die Augen. »Was ist es denn diesmal?«

»Naja«, Frauke holte tief Luft. »Unter anderem wirst du mit dem kleinen Geschäft größere Schwierigkeiten bekommen, insbesondere wenn du dich hinterher putzen möchtest.«

»Ja, das ist einzusehen.« Julia hatte die eigentlichen Probleme erkannt. »Und wann soll ich es also tragen? Und vor allem, wie lange darf ich?«

Frauke wiederholte den Vorschlag von Frau Hegel. »Es wird also nicht länger als eine Stunde dauern.« Mit einem kleinen innerlichen Seufzer realisierte sie, dass ihre Freundin ‚darf ich‘ gefragt hatte. Sie selbst hatte eigentlich eher an ‚müssen‘ gedacht.

»Nur?« Julia war ein wenig enttäuscht.

Frauke war über die Begeisterung von Julia nicht wirklich verwundert. »Du weißt, dass wir heute Mittag zu viert sein werden. Herr Hegel sagte, dass ihr heute beide schon vor dem Essen zurück seid.«

»Ach ja, es wird ja heute schon für die Messe umgebaut.« Erst jetzt erkannte sie, was die Worte von Frauke eigentlich bedeuteten. »Wird er wissen, was ich dann in mir trage?«

»Ich glaube, der Vorschlag stammt sogar von ihm.« Letzteres war nicht die Wahrheit, aber es war richtig, Julia auf alles vorzubereiten.

Julia musste schlucken. »Ich bin überrascht, dass er sich so sehr für mich interessiert.«

»Hegels setzen sehr große Stücke auf dich.« Frauke reichte Julia die Lacksachen, die sie für das Frühstück herausgelegt hatte. »Enttäusche sie nicht.«

Julia war sehr verwundert. »Ich wusste nicht, dass so etwas auch zu den Engeln gehört.« Langsam begann sie sich die Kleidungsstücke anzuziehen, die Frauke ihr reichte.

Es klopfte. Gleich darauf steckte Frau Hegel den Kopf zur Tür herein. »Mein Mann möchte daran erinnern, dass sie heute pünktlich in der Uni erwartet werden.« Als sie sah, dass Julia sich bereits anzog, lächelte sie. »Kommen sie bitte zügig zum Frühstück, damit wir nicht hetzen müssen.«

* * *

Obwohl Julia mit einem sehr mulmigen Gefühl die Treppe hinunter ging, war sie doch bemüht, der Bitte um Pünktlichkeit nachzukommen. Trotzdem konnte sie ihre Nervosität nicht unterdrücken.

»Kommen sie herein.« Herr Hegel saß schon am Tisch und hatte seine Studentin kommen sehen. »Meine Frau holt gerade den Kaffee.«

Julia wünschte ihrem Professor einen guten Morgen, und hinter ihr trat Frauke ebenfalls ins Esszimmer.

Auch sie begrüßte Herrn Hegel. »Wir haben darüber gesprochen, und sie ist mit allem einverstanden.« Ohne dass sie es beabsichtigt hatte, nahm sie damit etwas die Spannung aus der Luft.

»Dann können wir uns ja jetzt auf das Frühstück konzentrieren.« Herr Hegel deutete auf die noch freien Stühle. »Nehmen sie bitte Platz.« Auch ihm war es angenehm, das etwas intimere Thema so ausgenommen zu haben.

Frau Hegel kam mit dem Kaffee aus der Küche. Als Frauke die Kaffeekanne sah, fiel ihr ein, dass das Servieren eigentlich ihre Aufgabe war. Sie äußerte sich diesbezüglich.

»So genau müssen wir das nicht mehr nehmen.« Herrn Hegels Stimme zeigte, dass er außerordentlich gute Laune hatte. »Nach dem tollen Abend.« Er wollte noch kurz ein Zeichen geben, bevor sich die Frühstücksentspannung über den Tisch legte.



Julia war zu Beginn trotz der beruhigenden Worte noch sehr nervös, und nur langsam wurde sie ruhiger. Doch selbst am Ende des ausgiebigen Frühstücks hatte sie noch nicht genügend Mut angesammelt, um ihren Wunsch in Gegenwart ihres Professors zu äußern. Selbst als sie Frauke ermutigend ansah, zog sie es vor, noch zu schweigen.

»Wann werdet ihr heute zurück sein?« Frau Hegel blickte kurz auf die Uhr an der Wand.

»Ich denke, so gegen halb eins.« Herr Hegel lehnte sich zurück. »Dann wären wir noch pünktlich zum Mittagessen zurück.«

Frau Hegel war erleichtert. »Ich habe mit der Köchin dreizehn Uhr ausgemacht.«

»Ich wollte in der Stadt noch kurz etwas erledigen.« Julia fiel wieder ein, dass sie sich für heute noch etwas vorgenommen hatte. »Ich komme dann wohl etwas später.«

»Das wäre kein Problem.« Frau Hegel lächelte. »Sie ist flexibel. Ihr Blick fiel auf Frauke. »Frau Wiesl, sie essen natürlich mit uns.«

Frauke lächelte verlegen. »Danke.«

* * *

Der Zufall wollte es, dass heute eine Tram ausfiel und Julia zusammen mit Herrn Hegel deswegen an der Haltestelle ein wenig länger warten musste. Doch schon die erste Frage ihres Professors brachte sie in Verlegenheit. »Haben sie sich wegen des Dildos schon entschieden? Meine Frau hat mir diesbezüglich noch gar nichts gesagt.« Trotz des sehr intimen Inhaltes hatte er die Frage in einem Tonfall geäußert, als hätte er eine Fachfrage gestellt.

Julia keuchte vor Überraschung. So eine direkte Frage hatte sie nicht erwartet, und erst recht nicht von ihrem Professor. Sie war so überrascht, dass sie sogar vergaß, rot zu werden. Zunächst nickte sie nur. Dann begann sie leise zu sprechen. »So etwas war schon länger mein Traum, und ich wollte immer schon wissen, wie es sich anfühlt.« Sie fühlte eine Art Befreiung in sich. »Ich bin sehr überrascht, dass so etwas zu den Engeln gehört.«

Der Professor seufzte. »Ja, eigentlich verbieten sie, dass wir Männer so etwas wissen oder uns gar danach erkundigen.« Er machte eine bedeutsame Pause. »Aber natürlich muss es für diesen seligen Blick einen Grund geben.« Er blickte Julia kurz von oben bis unten an. »Sie werden ein toller Engel werden, da bin ich mir sicher.«

»Danke für das Vertrauen.« Julia war erneut überrascht, wieder eine neue Seite an ihrem Professor kennenzulernen. Wobei sie im Moment gar nicht wusste, in welcher Rolle sie Herrn Hegel gegenüberstand. War er noch ihr Professor, war er so etwas wie der Meister der Engel, oder war er schlicht ein Vertreter des männlichen Geschlechts?

»Auf dem Pferd gestern Abend haben sie eine tolle Leistung gezeigt.« Er sprach ihr noch einmal sein Lob aus.

Die Studentin wurde etwas nachdenklich. »Eigentlich konnte ich ja gar nichts machen.« Sie verzichtete darauf, den Satz fortzusetzen.

»Carolin wäre bestimmt stolz auf sie.« Seine Stimme wurde bewusst etwas trauriger. »Sie werden sie sicher gut vertreten.«

»Musste Carolin auch...« Erst jetzt realisierte sie, was sie gerade gesagt hatte. Sie korrigierte sich. »Durfte sie auch auf dem Pferd reiten?«

Der Professor musste sich kurz an die abgesprochene Geschichte erinnern. Er bemühte sich, mit dem gleichen traurigen Tonfall weiter zu machen. »Wir waren mit den Planungen schon sehr weit, aber dazu ist es leider nicht mehr gekommen.«

Julia schwieg einen Moment und dachte über die Worte nach. Sie war mittlerweile fest entschlossen, weiter auf Carolins Weg zu gehen und ein Engel zu werden – auch wenn sie immer noch nicht genau wusste, was dies genau bedeutete und was auf diesem Weg noch alles kommen würde. Und das eben geführte Gespräch hatte sie diesbezüglich noch weiter ermutigt.

Er räusperte sich. Etwas, dass er nur tat, wenn er etwas für ihn Wichtiges fragen wollte, so gut kannte Julia ihren Professor schon. »Jetzt, wo meine Frau es nicht hören kann, wie hat ihnen der gestrige Abend wirklich gefallen?«

Julia musste vor ihrer Antwort erst einmal husten. Zum Glück kam in diesem Moment die Straßenbahn, und so hatte sie etwas mehr Zeit, um über ihre Antwort nachzudenken.

Allerdings waren sie in der Tram nicht mehr allein, und so musste sich Julia ihren Antwort gut überlegen, um nichts verfängliches zu sagen. »Es hat mir sehr gut gefallen.« Julia hoffte, dass es neutral genug war. »Es war sehr anstrengend, aber mindestens doppelt so schön.« Trotzdem wurde sie ein wenig rot dabei.

»Wenn ich ehrlich bin, habe ich auch nichts anderes erwartet.« Der Professor lächelte. »Sie werden das ganz sicher schaffen.«

Julia hätte gern etwas nach Details zu ihrer Zukunft gefragt, doch das verbot sich in der Öffentlichkeit.

»Wie kommen sie mit ihrer neuen Wäsche zurecht?« Wieder war es der sehr fachliche Tonfall, der Julia irritierte.

Sie musste erst einen Moment überlegen, bis sie erkannte, dass er nur das Keuschheitsgeschirr meinen konnte, welches sie heute das erste Mal zur Uni trug. Sie war mehr als überrascht, dass er hier so direkt danach fragte. »Meine Frau hat mich gebeten, diesbezüglich ein Auge auf sie zu haben.«

»Ich habe mich daran gewöhnt.« Julia seufzte. »Ich hoffe, dass es keine Probleme geben wird.«

»Sie sollten wissen, dass meine Frau mir den Schlüssel für Notfälle mitgegeben hat.« Seine Stimme war dabei etwas leiser.

Julia war hin und her gerissen. Auf der einen Seite fand sie es beruhigend, dass sie so einen leicht erreichbaren Notausgang hatte, auf der anderen Seite sah sie ihren Professor vor ihr knien und an dem Schloss hantieren. Das war ein Vorstellung, welches sie möglichst nie real erleben wollte. Als Antwort lächelte sie nur.



In der Uni hatte sie die Gedanken an ihre besondere Unterwäsche schon weitgehend verdrängt. Sie folgte wie jeden Tag den Worten des Vortragenden und machte sich nebenbei noch Notizen.

Dass sie das Keuschheitsgeschirr trug, hatte sie sich mittlerweile als selbstverständlich verinnerlicht, und sie freute sich genaugenommen sogar über die besondere Probe, die Hegels ihr heute zumuteten. Sie empfand fast ein wenig Stolz, mit dieser besonderen Unterwäsche in der Vorlesung zu sitzen und sich wie jeden Tag zu benehmen.

Wenn sie ihren Gedanken etwas Freiraum ließ, dann kreisten diese um genau zwei Themen. Zum einen fanden diese sich in der Verkaufsstelle des Münchener Verkehrsverbundes MVV wieder, die sie heute Vormittag noch aufsuchen wollte.

Sie war nicht enttäuscht darüber, dass Frauke das kleine Tram-Modell kaputt gemacht hatte, im Gegenteil, sie hätte an ihrer Stelle sicher genauso gehandelt. Trotzdem wollte sie ihr heute ein neues Exemplar davon mitbringen. Sie hatte gelegentlich darüber nachgedacht, und mit ihrem neu verdienten Taschengeld sah sie nun keinen Grund mehr, der dagegen sprach.

Jetzt, wo sie Fraukes wahre Hintergründe kannte, ahnte sie um so mehr, wie wichtig ihrer Freundin dieses Symbol war. Es war der unerreichbare Traum von Freiheit. Und auch Julia sah sich einiges Tages in der Tram sitzen, neben Frauke, und gemeinsam würden sie die traurige Vergangenheit hinter sich lassen.

Das zweite Thema würde wichtig werden, sobald sie heute wieder ihre Wohnung betreten würde. Sie hatte mittlerweile etwas Angst vor ihrem eigenen Mut, und sie wusste nicht, was aufregender war: Der Gedanke an den Dildo, den sie bald an so prominenter Stelle tragen würde, oder dass ihr Professor davon wusste und sie ihm in diesem Zustand gegenübertreten musste.

Erfahrungen mit Männern hatte sie in dieser Beziehung noch nicht wirklich, und doch war sie nicht mehr Jungfrau. Trotzdem hatte sie vor diesem Abenteuer doch etwas Respekt. Außerdem war sie sich sicher, dass sie auch sofort um Befreiung bitten konnte, wenn sie es gar nicht aushalten würde. Hegels würden sicher auf ihre Gesundheit achten wollen, und doch wollte sie ihre Gasteltern nicht enttäuschen, nicht seit sie erkannt hatte, wie wichtig sie für das Professorenehepaar und ihre Ziele geworden war.

Der vergangene Abend hatte ihr ein wenig von der Zukunft offenbart, die auf sie wartete, wenn sie auf diesem Weg bleiben und ein Engel werden würde. Sie hatte keine Angst davor, wenn überhaupt, dann war es die Angst vor dem Unbekannten, doch sobald sie wieder etwas neues von den Engeln entdeckt hatte, wollte sie es auch nicht mehr missen.

* * *

»Guten Tag, Frau Hegel.« Die Köchin hatte das Haus betreten und fand die Frau des Professors wie üblich im Esszimmer.

Frau Hegel erwiderte die Begrüßung. »Wir werden heute zu viert sein. Macht das ein Problem?«

Die Köchin verneinte. »Ich hätte aber ein ganz anderes Anliegen.«

»Und zwar?« Frau Hegel horchte auf. Bisher gab es neben den Essensplänen eigentlich nichts zu besprechen.

Die Köchin spürte es. »Es ist für meine Tochter.« Sie wirkte ein wenig verlegen. »Sie hat mich beauftragt, danach zu fragen.«

»Und was möchte sie wissen?« Frau Hegel kannte Paula, da sie gelegentlich ihre Mutter in der Küche vertrat.

»Paula war doch letztes Wochenende bei ihnen und hat gekocht.« Es war der Köchin sichtbar unangenehm. »Und dabei hat sie etwas gesehen, über das sie gern mehr erfahren möchte.«

»Und was hat sie gesehen?« Frau Hegel versuchte, ihre Stimme weiterhin freundlich klingen zu lassen.

»Ich habe das früher auch das eine oder andere Mal gesehen.« Die Köchin holte tief Luft. »Es ist diese seltsame Tasche, die die Mädchen immer auf dem Rücken trugen und in der ihre Arme drin waren. Wissen sie, was ich meine?«

»Ja, ich weiß, was sie meinen.« Frau Hegels Miene entspannte sich ein wenig. »Sie meinen den Monohandschuh?«

»Wenn dieses Ding so heißt?« Sie lächelte, und auch bei ihr ließ die Anspannung etwas nach. »Paula hat ihrem Freund davon erzählt, und jetzt soll sie sich danach erkundigen.«

»Und wie hat sie sich das vorgestellt?« Frau Hegel hatte noch nicht erkannt, wie sie ihrer Köchin konkret helfen konnte.

»Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, was sie sich genau erwartet.« Die Frau zuckte mit den Schultern. »Aber jetzt wissen wir zumindest, wie dieses Ding heißt.«

»Wissen sie was?« Frau Hegel lächelte. »Wir wollten heute ohnehin einen Spaziergang machen. Wir kommen einfach bei ihnen vorbei, dann kann Paula sich den Monohandschuh ansehen und selbst ihre Fragen stellen.«

»Das wäre schön.« Die Köchin gab sich zufrieden. »Ich werde Paula gleich informieren, damit sie dann auch daheim ist. Heute Nachmittag sagten sie?«

Die Frau des Professors bejahte. »Eher am späten Nachmittag.«

»Paula wird sich freuen.« Sie griff zu ihrem Handy.

* * *

Mit sehr viel Herzklopfen verließ Julia die Verkaufsstelle des Münchener Verkehrsverbundes. In ihrer Tasche trug sie erneut das Modell einer Straßenbahn, und sie freute sich schon sehr darauf, dieses wieder Frauke zu überreichen. Sie hatte ihr diesbezüglich nichts gesagt, doch sie wusste, dass Frauke sich darüber freuen würde.

Böse war sie ihr nicht, obwohl sie fremdes Eigentum zerstört hatte. Julia hatte viel mehr ein schlechtes Gewissen, weil sie der ursprüngliche Anlass für Fraukes Handlung gewesen war. Außerdem hätte Julia an ihrer Stelle bestimmt genauso gehandelt.

Sie wusste nun viel mehr über diese seltsame Dienerin, die nach einer schwierigen Jugend eigentlich im Gefängnis hätte sein müssen. Nur durch diesen besonderen Deal mit dem Bruder von Frau Hegel war es für sie möglich, wenigstens ein wenig in Freiheit zu leben.

Wegen dieser blöden und misstrauischen Nachbarn hätte Julia sie fast wieder ins Gefängnis gebracht, denn sie hatte von den besonderen Regeln, die für Frauke galten, nichts gewusst.

Sie hatte alles versucht, um ihrer Freundin zu helfen, und es hatte auch etwas genutzt, denn jetzt hatte Frauke neue und erst auf den zweiten Blick bessere Haftbedingungen bekommen. Wenn sie in ihrer Begleitung war, dann hatte Frauke das Recht, das Haus zu verlassen. Außerhalb des Grundstücks mussten sie lediglich mit einer Handschelle aneinander gekettet sein – das war ein Preis, den sie gern zu zahlen bereit waren.

Je näher sie ihrem aktuellen Zuhause kam, desto nervöser wurde sie. Auf der einen Seite freute sie sich auf das Abenteuer mit dem Dildo, doch genauso fragte sie sich immer wieder, wohin sie dieser Weg wirklich führen würde.

* * *

»Da seid ihr ja endlich.« Vater Sommer war etwas verärgert, weil er schon wieder wegen seine Söhne auf das Mittagessen warten musste. Diese Mahlzeit nahmen sie in der Regel zusammen ein, und er mochte es nicht, wenn er damit zu viel Zeit vertrödelte musste. »Was machen wir jetzt mit Julia?«

Die Mutter erläuterte noch einmal, was sie beschlossen hatten. Sie würden bei den Eigentümern des Hauses vorsprechen, und falls Julia dort wirklich wohnen sollte, dann würden sie ihre Lage schildern.

Michael hörte den Plänen atemlos zu. Gern hätte er seine Schwester gewarnt, doch er wusste nicht, wie er sie erreichen konnte.

Doch dann fiel ihm ein, dass Peter die Adresse herausgefunden hatte, und durch eine kleine List hatte er sich dieses Wissen ebenfalls angeeignet. Jetzt wusste er auch, wo seine Schwester vielleicht zu finden war. Doch auch er hatte das Problem, dass er nicht einfach dort klingeln konnte. Was hätte er sagen sollen? Doch da die Eltern ihre diesbezüglichen Pläne vorgestellt hatten, wusste er, dass er handeln musste. Sie wollten das Haus am Sonntag Nachmittag aufsuchen, und das bedeutete, dass er schnell handeln musste.

Er hatte sich dank seines alten Stadtplans von München schon herausgesucht, wo das Haus genau war, und langsam reifte ein Plan in seinem Kopf.

Er würde zunächst das Grundstück aufsuchen. Wenn er sehr viel Glück hatte, dann war seine Schwester vielleicht draußen, und dann konnte er mit ihr reden, ohne das Haus betreten zu müssen.

Insgeheim fragte er sich, welche Möglichkeiten seiner Schwester bleiben würden. Sie könnte sich natürlich verleugnen lassen, doch dann müsste die Bindung zu ihren Vermietern sehr stark sein. Und daran glaubte er nicht.

»Was bist du denn so nachdenklich?« Bernd stoß ihm den Ellenbogen in die Seite. »Freue dich doch.« Er bereitete seine Arme aus. »Bald können wir wieder mit erhobenem Kopf durch das Dorf gehen.«

Michael versuchte so etwas wie einen Protest. »Und an Julia denkst du überhaupt nicht?«

»Natürlich.« Bernd war genauso fixiert wie seine Brüder und die Eltern. »Sie weiß doch schon seit langem, welche Zukunft auf sie wartet.«

Peter fiel ein. »Ihre Flausen werden wir ihr noch austreiben. Sie wird zu ihrem Wort stehen.« Er gab sich empört. »Das wäre ja noch schöner.«

Michael hörte sich alles ruhig an. Er gab vor, mit allem einverstanden zu sein, doch in Wirklichkeit fühlte er sich in seinen Plänen immer mehr bekräftigt. Er musste Julia unbedingt warnen. Denn er war der einzige, der wusste, was Julia wirklich wollte. Sie wollte Architektin werden. Mit dem Hof hatte sie nichts am Hut. Und von dem arroganten Nachbarburschen hielt sie ebenso wenig wie er selbst.

* * *

»Da sind sie ja endlich.« Frau Hegel ließ schon an der Haustür durchblicken, dass sie über Julias Einkauf informiert war. »Wir können anfangen. Gehen sie bitte auf ihr Zimmer und warten sie auf uns. Ich sage Frau Wiesl Bescheid.«

Julia ging mit laut klopfendem Herzen langsam auf ihr Zimmer. Sie fragte sich, ob sie schon beginnen sollte, und sie kam zu der Überzeugung, dass sie sich zumindest schon ausziehen könne.

Als sie ihr Zimmer betrat, war sie ein wenig enttäuscht, denn es sah noch genau so aus, wie sie es heute verlassen hatte. Selbst die Lackkleidung, die sie anziehen wollte, lag noch an der Stelle, an der sie sie heute morgen herausgelegt hatte.

Doch dann musste sie innerlich über sich lachen, was hatte sie denn erwartet?



Sie musste nicht lange warten, als es an der Tür klopfte. Gleich darauf schob Frau Hegel und Frauke einen kleinen Servierwagen herein. »Ah, sehr gut. Sie haben sich schon ausgezogen.«

Julia blickte ganz verwundert auf das, was auf dem kleinen Wagen darauf stand. Sie war sich nicht ganz sicher, was sie eigentlich erwartet hatte, doch ein Kochtopf war sicher nicht dabei.

Frauke sah den verwunderten Blick der Studentin und lächelte. »Da ist warmes Wasser drin, und damit haben wir das Ding angewärmt.« Auch ihr war die leichte Anspannung anzusehen.

Julia wollte näher kommen, doch Frauke hielt sie zurück. »Bleib wo du bist.« In diesem Moment klang ihre Stimme unerwartet streng.

Die Studentin war durch den Tonfall beeindruckt. Sie blieb an ihrem Platz und sah zu, wie Frauke mit einer Augenbinde auf sie zu kam. »Bitte lass es zu.«

Julia war von der Spannung, die im Raum lag, sehr beeindruckt. Sie machte ihren Mund wieder zu und blieb stehen.

»Je weniger sie davon mitbekommen, desto leichter wird es für sie.« Frau Hegels ruhige Stimme sorgte dafür, dass Julia sich tatsächlich etwas entspannte. »Bitte lassen sie sich die Augen verbinden.«

Tief in sich focht sie einen schweren Kampf aus. Wer war nun stärker? Die Neugier oder die Angst – Julia wusste es nicht. Immer noch zweifelnd blickte sie auf die Augenbinde, mit der Frauke immer näher kam. Schließlich legte sie, so als ob sie aufgeben wollte, ihre Arme auf den Rücken und schloss danach die Augen.

»Das ist sehr freundlich von ihnen, doch ihre Hände würden uns da stören.« Die Stimme von Frau Hegel war ganz bewusst sie liebevoll und zärtlich. »Legen sie bitte ihre Hände auf die gegenüberliegende Schulter.«

Julia öffnete noch einmal kurz die Augen, weil sie einen Blick auf den Spiegel werfen wollte, nachdem sie der Aufforderung nachgekommen war.

»Jetzt geben sie ihr bitte noch einen zärtlichen Kuss, und dann legen sie ihr bitte die Augenbinde an.« Frau Hegel sprach etwas leiser.

»Du hast gehört, was sie gesagt hat?« Frauke blickte auf Julias leicht zitternden Körper.

Julia zwinkerte noch einmal kurz, doch als sie sah, wie nah ihre Freundin schon war, schloss sie sie sofort wieder. Erwidern konnte sie nichts mehr, und ihre Lippen waren leicht geöffnet.

* * *

Der Privatdetektiv Hans Reizig verließ sein Hotelzimmer und ging in die Lobby des luxuriösen Hotels, um dort auf den Chauffeur zu warten, der ihm abholen sollte. Die Familie seiner Auftraggeberin hatte ihm das Zimmer besorgt, und nun wartete er im besten Haus am Platz, wie er gestern bei der Ankunft feststellen konnte.

Eigentlich hatte er für Sehenswürdigkeiten nichts übrig, doch da er schon gestern angereist war, hatte er sich ein wenig in der norddeutschen Stadt umgesehen, die vor allem wegen ihres Domes und des tausendjährigen Rosenstockes berühmt war. Und es gab tatsächlich ein paar Gebäude, die einen zweiten Blick wert waren.

Das Zimmer war bis Montagmorgen gebucht, sogar ein Doppelzimmer, doch Susi, seine treue Sekretärin und Assistentin, hatte höflich wie immer abgelehnt. Er wusste, dass sie einen festen Freund hatte, und das respektierte er auch, wenn gleich er auch gern mit ihr flirtete. Doch zu seinem Bedauern blieb es stets dienstlich.

So lag ein ganzes Wochenende vor ihm, das er an diesem Ort verbringen musste oder durfte. Er machte eigentlich nie Urlaub, und erst das gute Zureden von Susi hatte ein Einlenken seinerseits bewirkt.



Hans erinnerte sich noch gut an den Brief, der an seine kleine Detektei gerichtet war. Er hatte noch nie Post vom padogenischen Konsulat erhalten, deswegen hatte Susi den Brief auch nicht wie sonst geöffnet, sondern ihn sofort zu ihm gebracht. »Chef, das dürfte etwas Wichtiges sein.«

Er war es gewöhnt, dass seine Post immer zuerst durch die Hände seiner Assistentin ging, und er wusste, dass er ihr in dieser Beziehung voll vertrauen konnte. Natürlich war Susi nicht ihr richtiger Name, doch das hatte ihn noch nie interessiert. Er nannte seine Assistentin und Sekretärin stets Susi.

Genau genommen wusste er noch nicht einmal, dass es dieses Konsulat gab. Der Brief hatte wegen des besonderen Absenders sofort seine volle Aufmerksamkeit erregt. Doch als er ihn geöffnet hatte, war er wieder etwas ernüchtert. Er war von seiner Klientin Tara Winthrop, die ihn vor einem halben Jahr zusammen mit ihrer Mutter aufgesucht hatte. Sie hatten ihn mit dem bisher wohl spannendsten und größten Job beauftragt, den seine kleine Detektei bisher gehabt hatte.

Mit dem Brief luden sie ihn nun zu sich in das Konsulat ein, damit er ihnen die Ergebnisse überreichen könne. Sie wollten vermeiden, dass die Erkenntnisse eventuell auf dem Postweg verloren gehen könnten, das hatten sie in dem Schreiben noch extra vermerkt.

Erst jetzt wurde ihm klar, dass er es offensichtlich mit der Frau und der Tochter des padogenischen Konsuls zu tun hatte. Sie hatten ihn zu sich in die kleine norddeutsche Kleinstadt gebeten, in der er jetzt ein Wochenende verbringen durfte oder musste.

* * *

Tara Winthrop, die Tochter des padogenischen Konsuls, wartete mit klopfendem Herzen in ihrem Zimmer auf die Schneiderin, die sich für heute angesagt hatte. Vor längerer Zeit hatte Tara ein besonderes Kleid bei ihr bestellt, und heute sollte es von ihr geliefert werden.

In ihrem Zimmer, welches sich im Privatflügel des Konsulatsgebäudes befand, war alles in Grautönen gehalten, selbst die Gardinen vor den Fenstern waren so dicht gewebt, dass das satte Grün der Bäume draußen nur als ein heller Grauton in ihr Zimmer drang. Tara hasste diese Farbtöne, doch da Onkel Herbert diese Art der Einrichtung empfohlen hatte, war es für die Konsulstochter Gesetz. Auch die Beleuchtung des Zimmers war an ihre Bedürfnisse angepasst. Das Licht war durch einen speziellen Filter rein weiß, und deswegen war sichergestellt, dass kein einziges Farbpartikel ihre Ruhe störte. Immer wieder trippelte sie zum Fenster, um nach dem Fahrzeug der Schneiderin Ausschau zu halten.

Doch selbst, wenn sie mit ihren Armen die dicht gewebten Gardinen hätte zurück ziehen können, würde sie von der Ankunft nichts sehen können, denn die meistens zugehängten Fenster gingen nach hinten hinaus, und der Parkplatz vor dem Konsulat war von hier aus nicht einsehbar.

In der Anfangszeit hatte Tara natürlich oft versucht, durch Sicht auf die sattgrünen Bäume vor dem Fenster etwas Farbe in ihr Zimmer zu bringen, doch mit der Zeit hatte sie diesbezügliche Versuche aufgegeben. Ihre Versuche wurden vom Wachpersonal sofort entdeckt und wieder rückgängig gemacht. Wenn sie Glück hatte, kam sie ohne eine Strafe davon.

Heute hatte es allerdings einen anderen Grund. Über ihrer dunklen Kleidung trug sie noch einen eng geschnürten Monohandschuh, und noch sagten ihr ihre Armmuskeln, dass sie die besondere Armhaltung noch eine Weile aushalten konnte. Denn für den Handschuh gab es einen besonderen Grund, der mit dem heutigen Abend zusammenhing.

Der Gong der Sprechanlage ertönte und gleich darauf hörte Tara die erlösenden Worte von Berta. »Tara, die Schneiderin ist eben auf den Hof gefahren. Ich schicke Jasmin zu ihnen.« Berta war Köchin, Dienstmädchen und Vertraute, also mehr oder weniger das Mädchen für alles. Und obwohl sie schon auf die Sechzig zuging, verstand sich Tara sehr gut mit ihr.

Tara war elektrisiert. Sie blieb stehen und horchte auf die näher kommenden Schritte ihrer kleinen Schwester.

Langsam öffnete sich die elektrisch angetriebene Tür zu ihrem Zimmer und Jasmin trat ein. »Was ist denn jetzt schon wieder?« Sie verdrehte die Augen, denn sie hasste es, ständig für ihre große Schwester da sein zu müssen. Sie steckte ihr Handy ein und ging auf Tara zu.

»Mein neues Kleid ist endlich fertig.« In Taras Augen war ein besonderes Glitzern zu sehen.

»Und deswegen möchtest du jetzt dein Training beenden?« Jasmin trat hinter ihre Schwester und öffnete unaufgefordert die Schnürung des Monohandschuhs sowie die Riemen, die den Handschuh an ihrem Körper fixierten. »Ich verstehe nicht, warum du dir das antust.« Sie schüttelte den Kopf.

»Ich habe es dir schon so oft gesagt, heute Abend darf ich Mutter vertreten.« Sie strahlte über das ganze Gesicht. »Und dabei möchte ich glänzen.«

»Soll ich die Schlüssel für deine Unterwäsche holen?« Jasmin versuchte, sich den Wünschen und Erwartungen ihrer Schwester anzupassen.

»Ja, bitte.« Tara trennte sich eher ungern von der Stahlunterwäsche, doch für das Kleid musste sie dies tun.

»Warum eigentlich?« Jasmin spottete. »Ist das neue Kleid so eng, dass die Wäsche aufträgt?« Die wahren Zusammenhänge kannte sie natürlich.

Tara überhörte den Spott. »Du weißt, dass ich die Enge gern mag, und auch warum.«

»Enge?« Jasmin stöhnte, denn sie war um so mehr gefordert, je hilfloser ihre Schwester war. »In dem Kleid wirst du völlig unbeweglich sein.« Sie erinnerte sich an die bisherigen Anproben sowie die Entwürfe, die sie zusammen besprochen hatten. Tara hatte sich dieses besondere Kleid zum Geburtstag von ihrem Vater gewünscht, und er war sofort bereit, die Schneiderin damit zu beauftragen.



Die Grundidee dieses Kleides ging auf einen Entwurf eines Holländers zurück, doch Tara wäre nicht Tara, wenn sie es nicht schaffte, für sich den Entwurf noch zwei Nummern strenger zu machen.

Das bodenlange Seidenkleid war über die ganze Körperlänge doppelt gearbeitet. Die innere Lage bestand zunächst aus einem Unterrock, der dank eingearbeiteter sehr starker Gummizüge wirklich hauteng an Taras Körper anlag und ihre Beine sehr eng aneinander presste.

Das entsprechende Oberteil war ein Korsett, welches genau für Tara Körper und ihre besonderen Bedürfnisse geschneidert war. Zumindest hatte sie das bei der letzten Anprobe schon einmal spüren dürfen, und die Schneiderin hatte versichert, dass sich an dem Korsett bis zur Fertigstellung nichts mehr ändern würde. Tara hatte es bewusst in Kauf genommen, dass dieses Kleid sie sehr bei der Atmung behindern würde, und genau darauf freute sie sich. Das Gefühl, für jeden Atemzug kämpfen zu müssen, war für sie genau das Gefühl, welches sie erleben wollte.

Die äußere Lage des Kleides lag genauso hauteng an, war aber nicht so gespannt wie das Unterkleid. Auf den ersten Blick würde ein Fremder vermuten, dass Tara kein Arme hatte, denn die Arme würden von diesem Oberkleid auf den Rücken gehalten. Dafür gab es in dem Oberkleid innen zwei eingearbeitete Handschuh, die bis zu den Oberarmen reichten und die dafür sorgten, dass Tara ihre Arme nicht mehr bewegen konnte. Auf diese Idee war sie besonders stolz. Natürlich hatte diese innenliegenden Ärmel auch Hüllen für ihre Finger und wenn das Kleid einmal zugenäht war, dann konnte sie kaum noch etwas von ihrem Körper bewegen.

Lediglich über ihrer Brust würde es einen herzförmigen Ausschnitt geben, damit sie ihre beiden Lieblinge präsentieren konnte, auch wenn es eigentlich keinen gab, den sie damit beeindrucken konnte.

Darüber setzte ein Halskorsett an, welche zwar nach außen aussah, als wäre es nur ein Spitzenkragen, doch es enthielt genauso strenge Korsettstangen wie das Korsett des Unterkleides. Entsprechend hielt es ihren Kopf in einer strengen Umklammerung und erlaubte ihr nur noch, geradeaus zu blicken. Tara freute sich schon sehr auf das Kleid.

Das Kleid wurde, wie es in ihrer Heimat üblich war, durch eine Naht im Rücken geschlossen, und wenn das Halskorsett geschlossen war, dann gab es kaum noch einen Körperteil, den Tara überhaupt noch bewegen konnte. So zumindest hatte sie es bei der Schneiderin bestellt. Und natürlich hatte ihr Vater es ohne Rückfrage bezahlt, obwohl der Kostenvoranschlag eine fünfstellige Summe war.

Dafür liebte Tara ihren Vater – er erfüllte ihr jeden Wunsch, und war er auch noch so ausgefallen.



»Es ist nicht nur die Enge.« Tara strahlte. »Ich muss darin eingenäht werden. Schnelles An- oder Ausziehen geht also nicht.«

Als Antwort seufzte Jasmin nur, dann reichte sie ihr den schwarzen Bademantel. »Jetzt zieh den bitte über, damit du nicht nackt durch das Konsulat läufst.«

Tara griff sich etwas eingeschnappt den Bademantel »Jetzt komm, wir wollen sie nicht warten lassen.« Sie ging zum Telefon, das an der Wand hing, und drückte einen Knopf. »Berta, kannst du uns bitte heraus lassen?«

Jasmin verdrehte wiederholt die Augen. Sie war von den Launen ihrer großen Schwester mehr als angewidert, doch sie kannte auch den traurigen Grund dafür. Und dass die Zimmertür ihrer großen Schwester von innen nicht zu öffnen war, daran hatte sie sich schon lange gewöhnt. Trotzdem bekam sie immer wieder eine Gänsehaut, wenn sie die Tür von innen sah. An der Stelle, wo sonst Klinke und Schlüsselloch waren, gab es bei dieser Tür nur eine freie Fläche. Und nur ein ganz dünner Spalt in der Wand verriet überhaupt, dass hier ein versperrter Ausgang war.

Sie selbst fand es gruselig, auf eigenen Wunsch hin so eingesperrt zu sein, doch Tara war damit sehr glücklich. Selbst wenn sie nicht diese extrem restriktiven Nachthemden tragen würde, war sie immer noch in ihrem Zimmer gefangen und deswegen nicht in der Lage, die Tür zu öffnen.

Trotzdem war Jasmin bereit, sie in ihrem schwierigen Alltag zu unterstützen. Normalerweise hätte sie sie angehalten, wenn sie nur im Keuschheitsgeschirr durch das Konsulat lief, doch heute war es eine Ausnahme – die Schneiderin wartete mit der seidenen Rüstung, wie Jasmin das neue Kleid heimlich zu nennen pflegte. Und im Ankleidezimmer ihrer Mutter war alles, was sie zusätzlich noch benötigten. Mitten in diesem Zimmer befand sich eine Art Reck, eine waagerechte Stange in großer Höhe, an der zwei lederne Manschetten befestigt waren. In ihrer Heimat spielten Korsetts noch eine wichtige Rolle, und jede Frau, die etwas auf sie hielt, hatte so eine Ankleide-Vorrichtung.

* * *

Hans hatte sich extra über das Land erkundigt, aus dem sie kamen, doch es gab nicht viel über Padogenien herauszufinden. Es war eine Monarchie und wurde von der Königsfamilie regiert. Der Adel hatte in dem stark landwirtschaftlich organisierten Land viel Macht. Es gab nur zwei Großstädte, der Rest des Staatsgebietes war ländlich geprägt.

Der König verstand es offenbar, sein Land weise zu regieren und stets soweit auf die Bedürfnisse der Landbevölkerung einzugehen, dass sie weitgehend zufrieden war. Die Beschreibung der Regierungsform las sich wie ein Märchen, doch er begriff schnell, dass sie anscheinend Realität war.

Er hatte seine Susi unter einem Vorwand in das Konsulat geschickt, und sie kam tatsächlich mit sehr interessanten Informationen zurück. Es war schon immer im Laufe der Geschichte so gewesen, dass der Adel nicht arbeiten musste, und dies auch oft nach außen zeigte. Doch in diesem Land war es für eine junge Adelige geradezu Pflicht, ihre Arbeitsunfähigkeit zu zeigen. Es gab spezielle Uniformen und dem Adelsstand entsprechende Farben, die den einzelnen Familien zugeordnet waren. Es war nicht ganz so wichtig, wie die jungen Damen die Unbenutzbarkeit ihrer Arme vorführten (es waren verschiedene Möglichkeiten angegeben), doch ganz wichtig war die Farbe, die sie trugen. Blau war dem niederen Adel vorbehalten, der Hochadel trug Grün und nur die Königsfamilie hatte das Anrecht, Rot zu tragen.

Susi hatte die Informationen in einem Papierkorb gefunden, als sie kurz allein gelassen wurde; es waren Reiseinformationen für diplomatisches Personal, und sie hatte es heimlich eingesteckt. Es hatte ihn zwar ein üppiges Mittagessen für seine Susi und sich gekostet, aber dann überreichte sie ihm stolz ihre Beute.

Gleichzeitig hatte sie auch die offiziellen Reiseempfehlungen mitgebracht, und es schien nicht angebracht zu sein, dieses Land besuchen zu wollen. Sie schotteten sich sehr stark ab und machten es Touristen bewusst schwer, sich bei ihnen wohl zu fühlen. Es gab vor allem keine Hotels, stattdessen musste man eine Einladung einer der Adelsfamilien vorweisen – und solche waren sehr schwer zu bekommen.

* * *

Gleich nach dem sehr langen Kuss legte Julia ihre Hände wieder auf ihre Schultern, und sie spürte, wie sich das weiche Leder der Augenbinde sich um ihren Kopf legte. Ein leises Stöhnen entglitt ihrem Mund, ohne dass sie es verhindern konnte.

Dadurch, dass sie jetzt nichts mehr sehen konnte, waren ihre anderen Sinne geschärft, und sie glaubte sogar, ihre Vermieterin am Parfüm zu erkennen. Auch erkannte sie sofort das Klappern des kleinen Schlüsselbundes.

Gleich darauf schienen sich mehrere Hände mit ihrem Keuschheitsgürtel zu beschäftigen, und Julia spürte, wie der bisher so stetige, aber nicht unangenehme Druck um die ihre Taille nachließ.

»Es ist schön, dass sie es uns so leicht machen.« Frau Hegel war der Glanz an Julias magischem Dreieck aufgefallen. »Wir machen es auch ganz vorsichtig. Nehmen sie es aus dem Topf, cremen es bitte ein und dann...« Sie sprach die Worte an Frauke nicht zu Ende.

Julia biss sich leicht auf die Lippen, sie hoffte so, ihre Gefühle unter Kontrolle halten zu können. Sie spürte, dass mit ihrer Nervosität auch gleichzeitig ihre Erregung anwuchs.

»Lassen sie es bitte zu.« Frau Hegel stellte sich hinter Julia und legte ihre Hände auf die der Studentin. Sie übte dabei keinen Druck aus – Julia sollte nicht das Gefühl haben, festgehalten zu werden.

Als sie die erste Berührung an ihrer empfindsamsten Stelle spürte, zuckte sie kurz zusammen und ein leichtes Stöhnen entglitt ihren Lippen, ohne dass sie es wollte.

»Dieser Moment ist der schwierigste.« Frau Hegels Stimme war bewusst leise und zärtlich. »Jetzt schieben sie es ganz langsam hinein.«

Es war Julia in keiner Weise unangenehm, jetzt, wo der erste Schreck vorbei war. Deutlich spürte sie in sich, wie der Dildo immer mehr Platz in ihrem Körper einnahm.



Es dauerte gar nicht lange, dann hörte sie wieder das kleine Schlüsselbund, und der Druck um ihre Taille war wieder da. Als nächstes spürte sie, wie Frau Hegel ihre Hände losließ und gleich darauf blickte sie in Fraukes neugierige Augen.

»Na, wie fühlst du dich?« Ihre Stimme war leise und ihr Tonfall ließ erkennen, dass sie nicht unbedingt eine Antwort erwartete.

Obwohl sie sich überhaupt nicht bewegt hatte, war Julia doch außer Atem. Sie keuchte leicht. »Es fühlt sich ungewohnt an.« Sie blickte sich verlegen um. »Und interessant.«

Frau Hegel schob schon den kleinen Wagen mit dem Topf zügig zur Tür. »Wenn sie sich daran gewöhnt haben, dann ziehen sie sich bitte an und kommen dann zum Mittagessen.«

An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Lassen sie sich bitte so viel Zeit, wie sie brauchen.« Sie zog die Tür zu sich heran. »Mein Mann und die Köchin wissen Bescheid, dass sie eventuell später kommen.«

Julia nickte nur. Noch zu sehr waren ihre Gedanken mit dem Eindringling beschäftigt, der sie bei jeder einzelnen Bewegung an seine Präsenz erinnerte.

Frauke ging zum Schrank. »Weißt du schon, was du zur Feier des Tages anziehen möchtest?«

Julia musste sich erst räuspern, bevor sie antworten konnte. »Ich dachte an etwas Feierliches? Den langen schwarzen Rock und die weiße Bluse?«

»Eine gute Wahl, mein Fräulein.« Frauke suchte die entsprechenden Sachen aus dem Schrank heraus und brachte sie zum Bett.



Julia ging mit zitternden Schritten vor den Spiegel. Sie blickte hinein, doch sie sah lediglich ihren in Stahlunterwäsche verhüllten Körper, und das war ein Anblick, an den sie eigentlich schon gewöhnt war. »Man sieht es gar nicht.«

»Das wäre aber auch noch schöner.« Frauke legte die Sachen auf das Bett, dann trat sie an Julia heran. »Wir sollten sie nicht unnötig warten lassen.« Trotzdem legte sie ihre Arme von hinten um Julias metallverhüllten Körper und streichelte sie zärtlich an den Stellen, an denen Julia es fühlen konnte. »Ich bin sehr stolz auf dich.«

Julia drehte sich in der Umarmung um, und gleich darauf versanken beide wieder in einem süßen Kuss.

* * *

Eigentlich benutzte Tara das Ankleidezimmer ihrer Mutter oft, doch heute war es etwas Besonderes. Sie stürmte direkt auf das Reck zu, streifte sich auf dem Weg dahin den Bademantel vom Körper und hängte sich wie so oft in die dafür vorgesehenen Manschetten. Den Hocker stieß sie weg und ließ sich dann in die Manschetten fallen. »Jetzt kannst du mich aufschließen«, strahlte sie ihre Schwester an. Sie wusste, dass sie sich selbst nicht wieder aus den Manschetten befreien konnte, doch das war ihr gleichgültig.

Gegenüber Fremden hielten die Schwestern sehr zusammen, und entsprechend zeigte Jasmin keinerlei sichtbare Reaktionen, als sie ihre Schwester von dem Keuschheitsgeschirr befreite.

Gleich darauf hing sie nackt an dem Reck, doch auch das war kein Problem. Zum einen waren die Gardinen zugezogen und zum anderen stand das Reck an einer Stelle, die durch das Fenster nicht zu sehen war. Das Ankleidezimmer war gemäß den Vorschriften aus ihrer Heimat eingerichtet worden.

»Sie ist bereit.« Jasmin trat neben ihre Schwester und blickte die Schneiderin ebenfalls erwartungsvoll an.

Die Schneiderin hatte inzwischen begonnen, ihre Tasche auszupacken, und nach und nach legte sie die einzelnen Teile des Kleides auf den dafür vorgesehenen Tisch.

Jasmin schaute neugierig auf die einzelnen Stücke und sie wunderte sich. »Das wird doch nie passen, das ist doch viel zu klein.«

Doch die Schneiderin lächelte nur hintergründig.

»Warte es ab.« Tara keuchte vor Anspannung, weniger wegen der ungewohnten Haltung. »Es sieht wirklich sehr eng aus.« Unwillkürlich leckte sie sich über die Lippen.



Ursprünglich wollte Tara ein Korsett haben, welches auf ihren Körper zusammen genäht wurde. Doch die Schneiderin hatte schon in der ersten Besprechung ihr Veto dazu eingelegt. Es kostete sie damals einige Mühe, um Tara von der Unmöglichkeit ihrer Forderung zu überzeugen. Es war einfach nicht möglich, Stoff unter so hoher Spannung zusammen zu nähen.

Natürlich war Tara enttäuscht, doch sie wusste, dass sie den Aussagen der Schneiderin vertrauen konnte. Schließlich war diese neben Onkel Herbert die einzige Fremde, die in das Geheimnis um Tara eingeweiht war, und dafür wurde sie geradezu fürstlich entlohnt. Auch deswegen bemühte sie sich gleich doppelt – einerseits um das in sie gesetzte Vertrauen nicht zu enttäuschen und andererseits war sie ehrgeizig, die Wünsche möglichst detailgetreu umzusetzen oder passende Alternativen vorzuschlagen.

»Warum wollen sie das denn so haben?« Die Schneiderin hatte genügend Mut gehabt, um nach Taras wahren Absichten zu fragen. »Was ist der wirkliche Grund?«

Tara hatte nicht verhindern können, dass sie ein wenig rot wurde. »Ich möchte es nicht mehr so einfach ablegen können.«

»Ja, so etwas dachte ich mir schon«, lächelte die Schneiderin. »Dann machen wir doch eine strenge Schnürung und verdecken diese durch eine Lage Stoff, die darüber genäht wird.«

»Wenn das möglich ist?« Tara hatte im Laufe der Zeit gelernt, auf die Ratschläge der Schneiderin zu hören, denn bisher wurde sie von ihr noch nie enttäuscht.



Eigentlich wollte sie das Korsett durchgängig bis zu den Waden haben, doch die Schneiderin konnte sie ebenso davon überzeugen, dass hier ein Minimum an Flexibilität erhebliche Vorteile für einen sehr langen Tragezeitraum bieten würde. Was die notwendigen Toilettengänge dazu betraf, hatte sie sich schon vor langer Zeit eine Lösung bei ihrer Frauenärztin legen lassen, so dass sie notfalls über mehrere Tage ohne Kleidungswechsel auskommen konnte. Dass das Korsett ihr die Bauchatmung nehmen würde und sie auf Brustatmung angewiesen sein würde, darüber wusste sie ebenfalls Bescheid. Sie freute sich darauf.

Sie hatte stets auf ihre Schneiderin gehört, und wenn diese gesagt hatte, dass sie noch nicht so weit sei, das ganz strenge Korsett zu tragen, dann hatte Tara es akzeptiert. Denn die Schneiderin war neben ihrer Mutter die einzige Person, von der Tara sich etwas sagen ließ.

Und das Korsett, welches sie jetzt unter ihrem Kleid tragen würde, war das ultimativ strengste, was für ihren Körper überhaupt möglich war. Sie hatte sich sehr gefreut, als sie beim Durchsprechen der Anforderungen dieses Mal für alle Punkte grünes Licht bekommen hatte.

Tara wollte anfangs auch eine Versteifung der Hüft- und Kniegelenke durch das Korsett, doch die Schneiderin überzeugte sie davon, dass ein sehr strenger Gummizug einen ähnlichen Effekt haben würde, aber noch ein gelegentliches Ausruhen ermöglichen würde. Doch Tara war erst überzeugt, als sie einmal einen Versuchsrock aus einem ähnlichen Material tragen durfte.

Auch die Arme hätten ursprünglich in das Korsett mit eingeschnürt werden sollen, doch die Schneiderin konnte sie sehr schnell davon überzeugen, dass das Miteinschnüren der Arme insgesamt auf Kosten der Strenge gehen würde. Stattdessen hatte sie ihr ein Bolero-Jäckchen schmackhaft gemacht, welches auf dem Rücken einen Monohandschuh enthalten würde. Natürlich hatte Tara es sofort mitbestellt, doch dafür musste die Schneiderin noch auf das passende Material warten.



»Es sieht so harmlos aus.« Tara Stimme zitterte etwas, als die Schneiderin mit einem Stückchen Stoff auf sie zu kam. Unbewusst leckte sie sich die Lippen.

»Harmlos?« Jasmin keuchte. »Du wirst dich darin fast gar nicht mehr bewegen können.«

»Ich weiß«, seufzte Tara. »Ich freue mich schon, wenn ich die eingeschränkte Atmung zu spüren bekomme.«

Es war der Schneiderin wichtig gewesen, ihrer Kundin die Folgen einer so strengen Korsettierung vor Augen zu führen. Sie hatte Tara sogar vor der Möglichkeit einer Ohnmacht gewarnt, die bei so einer strengen Schnürung nicht unwahrscheinlich war. Jasmin hatte deswegen entsprechende Anweisungen und diverse Mittelchen dafür bekommen.



Tara hatte die Augen geschlossen, als sie spürte, wie sich das Korsett langsam um ihre Taille legte und nach und nach immer strenger wurde. Ein Räuspern riss sie aus ihren Gedanken.

Berta stand in der Tür des Ankleidezimmers und hielt einen Block in der Hand. »Ich bitte darum, an die Ankunft des Detektiv erinnern zu dürfen, den sie für heute bestellt haben.«

»Ausgerechnet jetzt.« Tara entglitt ein leiser Fluch. »Wie viel Zeit haben wir noch?«

Berta warf noch einmal einen Blick auf ihren Block. »Der Chauffeur wird demnächst losfahren, um ihn abzuholen.«

»Dann wird er in einer halben Stunde wieder da sein.« Natürlich war Tara in die Planungen für diesen besonderen Tag eingeweiht, sie blickte deswegen fragend zur Schneiderin. »Schaffen wir das mit dem Kleid bis dahin?«

»Völlig unmöglich.« Die Schneiderin schüttelte mit dem Kopf. »Bis dahin sind wir noch nicht einmal mit dem Anziehen fertig.«

Tara gab sich pragmatisch. »Dann ist er eben der Erste, der das Kleid zu sehen bekommt.« Sie wusste, dass er extra in ihre Stadt angereist war, und gemäß den Sitten ihres Heimatlandes war es sehr unhöflich, ihn dann nicht zu empfangen.

»Bist du sicher?« Jasmin keuchte jetzt ebenfalls, denn auch sie war stets um das Ansehen des Konsulats nach außen hin bedacht.

»Du musst ihn dann etwas unterhalten, wenn er an kommt.« Tara wollte weder auf ihr Kleid verzichten, noch den Detektiv unverrichteter Dinge wieder wegschicken. Und das Dossier, welches sie und ihre Mutter bei ihm angefordert hatten, wollte sie sofort in den Händen haben.

»Und jetzt machen sie bitte weiter.« Ihr Blick fiel nebenbei auf die anderen Stücke, die die Schneiderin schon bereit gelegt hatte, und sie freute sich schon sehr, als sie den Unterrock erkannte. Eigentlich war Unterrock das falsche Wort, denn es war nur Schlauch, der ihre Beine über die ganze Länge streng aneinander presste. Es sah aus wie ein Hosenbein für ein Bein, doch Tara wusste, dass sie beide Beine darin unterbringen würde.

Und keiner würde dies sehen können, denn darüber kam dann noch das Oberkleid, und dessen Rock würde dann nur locker um ihre Beine schwingen.

* * *

Julia und Frauke waren schon auf der Treppe ins Erdgeschoss, als sie von Frau Hegel aufgehalten wurden. »Hier, das müssen sie glaube ich benutzen.« Sie reichte ihnen ein Paar Handschellen. »Die Schlüssel sind bei mir.« Sie erinnerte an die Auflagen, die ihr Bruder ihnen hinterlassen hatte.

Julia blickte etwas verlegen an sich herunter, als wolle sie ihr Aussehen kontrollieren. Sie trug den üblichen schwarzen doppellagigen Lackrock, dazu die weiße Lackbluse und darüber eine dunkelblaue Strickjacke.

Frauke erkannte sofort, was die Studentin bewegte. »Wir waren uns unsicher, wie viel Lack wir draußen zeigen dürfen.«

Frau Hegel blickte Julia musternd an, und gleich darauf entspannte sich ihre Miene. »Sehr gut ausgesucht. Das wird so gehen.«

Frauke nahm sich die Handschellen und legte sie sich und Julia um die Handgelenke.

Julia strahlte. »Jetzt sind wir für immer verbunden.«

»Für immer?« Frau Hegel runzelte die Stirn. »Die Schlüssel sind wie gesagt bei mir, und sie sollten bald wieder hier sein.«

Beide Frauen blickten verwundert auf.

»Es hat sich ein Überraschungsgast angesagt.« Frau Hegel gab sich geheimnisvoll.

Julia war noch dabei, das eben Gehörte zu verarbeiten.

»Wir haben Patricia zu uns eingeladen.« Frau Hegel lächelte. »Sie kann ihnen noch viel über die Engel erzählen.«

»Die Patricia?« Julia riss die Augen auf. »Die wir besucht haben?«

»Genau die.« Die Frau des Professors freute sich heimlich über Julias offen zur Schau gestellte Begeisterung. »Sie wird natürlich auch bei uns weiter trainieren wollen. Aber sie werden auch genügend Zeit zum Unterhalten haben.«

»Dann lass uns gehen.« Frauke drängte zur Tür.

»Eine Frage noch, dann will ich sie auch nicht länger aufhalten.« Frau Hegel spürte den Freiheitsdrang der beiden jungen Frauen. »Wie sind sie mit dem Dildo zurechtgekommen? War es positiv oder negativ?«

Julia musste sich erst noch einmal umsehen, so als wolle sie sich vergewissern, dass ihr Professor nicht in Hörweite war. Erst dann schluckte sie noch einmal und holte dann tief Luft. »Positiv, sehr positiv.« Sie machte eine lange Pause. »Das Tragen erfordert eine gute Planung, das habe ich jetzt verstanden.«

Frauke pflichtete ihr sofort bei. »Die Reinigung nach dem kleinen Geschäft ist sonst sehr umständlich.«

Frau Hegel bestätigte es. »Dieses Ding ist nur für kurze Zeiten gedacht. Aber es kann die Männer verrückt machen, wenn sie wissen, dass Sie damit gefüllt sind.« Sie grinste.

Julia realisierte erst spät, was ihre Vermieterin gerade gesagt hatte. »Haben sie auch...?«

Doch Frau Hegel lenkte ab. »Ich denke, ihr wollt dann spazieren gehen.«

Auch Frauke wurde das Thema unangenehm, sie zog an Julias Arm. »Sie hat recht, lass uns gehen.«

* * *

Hans war sehr nervös, als er in der luxuriösen Lobby des Hotels saß und auf den Chauffeur wartete, der ihm angekündigt war. Immer wieder blätterte er die Ergebnismappe durch, die er heute seiner Klientin übergeben sollte, und suchte erneut nach Fehlern, doch seine Susi hatte wirklich ihr bestes Können abgeliefert. 23 einzelne Dossiers hatten er und seine Helfer zusammengetragen – pro Mädchen ein kurzer Lebenslauf, und dann eine Aufzählung aller schlechter Angewohnheiten und Schwächen. ‚Suchen sie alles heraus, was man zu einer Erpressung nutzen kann.‘ Die Stimme der Tochter war völlig kalt, als sie den Auftrag dazu erteilte. ‚Graben sie in der schmutzigen Wäsche und finden sie alles.‘

Eines hatten die Zielpersonen alle gemeinsam. Sie waren für eine Weiterbildung auf einer Burg angemeldet. Doch um was es dort ging, dazu konnte er nichts in Erfahrung bringen. Es hätte ihn zwar interessiert, doch es war nichts herauszufinden. Es gab lediglich einige Hinweise auf Engel, doch allein damit konnte er nichts anfangen.

Und dann war da auch noch eine gewisse Julia Sommer. Sie stand nicht auf der Liste, doch er hatte erfahren, dass sie auch für den Lehrgang angemeldet werden sollte. Er war sich aber nicht sicher, ob er diese Information wirklich liefern sollte. Irgendetwas tief in ihm sagte ihm, dass er sein Wissen besser für sich behalten sollte. Er wollte nicht Verdacht kommen, sich nicht an den Auftrag zu halten. Andererseits hatte die Familie ihn so gut bezahlt, dass er sich ihnen gegenüber verpflichtet fühlte. Er beschloss, dies von der Stimmung abhängig zu machen.



Jetzt, wo die ganze Arbeit getan war und er wirklich einmal Zeit hatte, konnte er es sich leisten, über seine Klientin und ihren seltsamen Auftritt zusammen mit ihrer Mutter von vor einem halben Jahr nachzudenken. Er hatte sich immer wieder gefragt, warum sie wohl die ganze Zeit gestanden hatte, und warum sie nur Trippelschritte gemacht hatte.

Er hatte auch mit seiner Assistentin über die Erscheinung seiner Klientin gesprochen, gleich nachdem die Klienten gegangen waren.



Susi war mindestens genauso fasziniert wie ratlos wie. »Sie machte einen sehr verletzlichen Eindruck und trat zugleich aber sehr arrogant auf. Das sollte wohl ihre Unsicherheit überspielen.«

Hans stimmte ihr zu.

»Sie trug ein strenges Korsett darunter.« Susi flüsterte fast, als sie ihre Beobachtung schilderte.

»Wie hast du denn das heraus bekommen?« Er wunderte sich ein wenig, denn normalerweise war Susi genau das Gegenteil von neugierig.

»Ich habe ihr in das Cape geholfen, als sie sie wieder ging.« Irgendwie spürte sie den unausgesprochenen Vorwurf.

»Hätte das nicht die Mutter tun können?« Hans war über die neue Seite von Susi überrascht.

»Sie hatten das bei der Anmeldung extra gefragt.« Susi gab wieder, was sie mit der Familie schon am Telefon ausgemacht hatte. »Der Mutter schien es eher peinlich zu sein.«

»Und warum trug sie so etwas altmodisches wie ein Cape und keinen Mantel?« Der Detektiv fragte das Naheliegende.

»Ich glaube, sie hatte keine Wahl.« Susis Stimme wurde noch ein wenig leiser.

»Wie meinst du das?«

»Ich stand ja direkt neben ihr.« Sie holte tief Luft. »Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie ihre Arme nicht bewegen konnte.«

»Ja, das ist mir auch aufgefallen.« Hans dachte an seine diesbezüglichen Beobachtungen. »Doch warum?«

»Ich habe so etwas noch nie gesehen.« Susis Stimme zitterte. »Aber ich denke, die Ärmel des Kostüms waren an der Jacke seitlich festgenäht.«

»Bist du sicher?« Hans schnappte nach Luft.

»Nein«, gestand Susi. »Aber es gab nirgends einen Zwischenraum, und das geht eigentlich nur, wenn sie angenäht sind.«

»Das würde zumindest ihren steifen Auftritt erklären.« Auch deswegen war er sehr daran interessiert, diese faszinierende Dame wieder zu sehen.

Auf einmal hörte er neben sich ein Räuspern. »Herr Reizig?«

Hans blickte verwundert auf. Neben ihm stand ein Mann in einer Livree mit Chauffeurmütze in einer geradezu tadellosen Haltung. Besonders fielen ihm die weißen Handschuhe auf. Er erhob sich. »Ja, der bin ich.«

»Ich soll sie ins Konsulat bringen.« Der Mann stellte sich nicht vor, reichte ihm aber eine Visitenkarte des Konsuls.

Hans griff nach der Mappe und seinem Mantel, dann folgte er dem Herren, der langsam zum Ausgang ging.



Eine schwarze S-Klasse mit verdunkelten Scheiben stand auf dem Hotel-Parkplatz. Das Kennzeichen des Autos wies es als Diplomatenauto aus. »Bitte entschuldigen sie, aber direkt vor dem Eingang durfte ich nicht halten.« Der Chauffeur hielt ihm die Tür auf.

Hans kam es eher unwirklich vor. Er zog es vor zu schweigen.

Er nahm Platz, und gleich nachdem der Fahrer auch eingestiegen war, setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Hans bemerkte es aber nur, weil sich der Blick aus dem Fenster änderte. Er hörte weder einen Motor, noch spürte er ein Ruckeln beim Anfahren.

Durch die verdunkelten Scheiben konnte er nur wenig von der Stadt sehen, deswegen vertiefte er sich lieber in die Mappe und las sich die einzelnen Dossiers noch einmal durch.

* * *

Julia und Frauke genossen ihren ersten Spaziergang wirklich aus vollem Herzen. Sie hatte die kleinstmögliche Runde gewählt, doch bedingt dadurch, dass Julias innerer Rock ganz geschlossen war, kamen sie trotzdem nur sehr langsam voran.

Der Lackrock hatte ungewollt die richtige Wirkung. Es waren nur wenige Passanten unterwegs, und keiner davon achtete auf die Handschellen, die Julia und Frauke miteinander verbanden. Es fiel auch nicht weiter auf, weil sie sich bei den Händen hielten, und ein flüchtiger Blick ließ lediglich vermuten, dass es sich wohl um außergewöhnlichen Schmuck handeln musste.

Obwohl sie nur sehr langsam voran kamen, genoss Julia doch jeden einzelnen Schritt, den ihr der enge Rock nur erlaubte. Doch jedes Mal, wenn Frauke nachfragte, ob sie ihr die Lage etwas erleichtern dürfte, lehnte Julia stets ab. »Ich muss das doch üben.« Sie hatte mittlerweile sogar eine Technik gefunden, mit der sie trotz des engen Rockes einigermaßen zügig gehen konnte. Indem sie ihre Füße wie ein Model auf dem Catwalk voreinander stellte, konnte sie die durch den Rock vorgegebene Bewegungsfreiheit maximal ausnutzen und ihre Schrittlänge noch etwas steigern. Dies bedingte jedoch auch einen entsprechenden Hüftschwung, der jedem männlichen Beobachter überaus gefallen hätte, doch glücklicherweise war die Straße praktisch leer.

Nur am Grundstück der Nachbarn, die sie denunziert hatten, wurde Frauke etwas nervös, insbesondere als die Frau extra an den Gartenzaun kam, um das Paar genauer in Augenschein zu nehmen.

Julia gab sich gelassen. Sie hob ihre Hand und damit auch Fraukes Hand hoch und zeigte ihr die Handschelle. »Sie sehen, dass wir uns an die Vereinbarung halten?«

Doch zu ihrer Überraschung bat die Frau das Paar, näher zu kommen. »Mein Mann muss das nicht hören.«

Julia und Frauke blickten die Frau verwundert an.

»Was ist das für ein Material, das sie da so elegant tragen?« Ihre Stimme war etwas leiser, als sie sich nach Julias Kleidung erkundigte.

»Das ist Lack, und innen gefüttert mich Seide.« Julia war sehr überrascht über den Verlauf des Gesprächs. »Es trägt sich sehr angenehm.«

»Schade, zu meiner Zeit gab es so etwas nicht.« Sie seufzte. »Und selbst wenn, hätten es mir meine Eltern nie erlaubt.« Sie hob langsam ihre Hand und näherte sich Julias Gesicht. Als die Studentin nicht zurückwich, streichelte sie ihr zärtlich über die Wange. »Sie sind ein sehr mutiges Mädchen.«

Julia musste schlucken, bevor sie sich bedanken konnte.

* * *

»Hast du deine Tasche schon gepackt?« Frau Vogel betrat das Zimmer ihrer Tochter Patricia.

»Eigentlich schon, aber vielleicht sollte ich noch etwas zusätzlich einpacken?« Patricia zeigte auf die Tasche, die schon gut gefüllt, aber noch offen auf ihrem Bett lag.

»Handschuh? Perlennetz?« Die Mutter zählte auf. »Deine Ballettstiefel?«

»Ich habe alles, was ich trainieren möchte.« Doch dann wurde sie nachdenklich. »Warum haben Hegels mich eigentlich eingeladen?« Der Kontakt zu ihnen beschränkte sich bisher auf einzelne Begegnungen im Zusammenhang mit der Kirche.

»Du sollst Julia auf dem Weg zum Engel helfen und ihr beistehen.« Frau Vogel gab wieder, was sie mit Hegels abgesprochen hatte. »Sie wird bestimmt einige Fragen haben. Du kannst ihr alles sagen, was du weißt.«

»Wirklich alles?« Patricia runzelte die Stirn.

»Wirklich alles.« Die Mutter lächelte. Sie ließ durchschimmern, dass sie mehr über ihre Tochter wusste, als dieser recht war. »Das Nachthemd solltest du auf jeden Fall mitnehmen.« Frau Vogel zeigte auf das Bett, auf dem noch die seidige Hülle lag.

»Wenn es doch nur ein Nachthemd wäre.« Sie seufzte. »Es ist ein Gefängnis, wenn auch aus weicher Seide.« Sie sprach es nicht aus, doch es wurde auch so deutlich, dass sie trotz allem bereit war, seit jenem Ereignis jede Nacht auf diese Weise zu übernachten.

»Hat er es schon einmal gesehen?« Frau Vogel musste den Namen von Patricias heimlichen Freund nicht erwähnen.

»Wie denn?« Patricia wurde traurig. »Er darf doch nicht.« Sie verdrehte vor Traurigkeit die Augen. Ihr Vater hätte es nie erlaubt, dass ihr Freund neben ihr im Bett die Nacht verbringen würde. Mehr wäre aufgrund ihrer stählernen Unterwäsche ohnehin nicht möglich gewesen, doch das spielte in seinen Augen gar keine Rolle.

Die Mutter lächelte hintergründig, doch noch verriet sie nichts von ihrem kleinen Plan.

* * *

Frauke war noch dabei, die Tür von Julias Zimmer zu schließen, als Julia schon ihre Jacke ausgezogen hatte und sich jetzt aufmachte, das Pferd zu besteigen. Die Handschellen hatte ihnen Frau Hegel schon abgenommen.

Frauke war über den Eifer mehr als erstaunt.

Julia lächelte verlegen. »Ich möchte noch ein wenig lernen.«

»Du solltest dir den Rock öffnen«, grinste Frauke. »Damit kommst du leichter auf das Pferd.«

Julia musste trotz ihrer Anspannung lachen. »Du hast recht.« Sie beugte sich herab und begann, den Reißverschluss des inneren Rockes aufzuziehen. Doch dann hielt sie inne. »Darf ich mir den überhaupt selbst öffnen?«

In diesem Moment war Frauke amüsiert. »Du könntest um Erlaubnis fragen.«

Julia gefiel der Gedanke sehr, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wohin sie das Spiel führen würde. »Herrin, würden sie mir den Rock öffnen, damit ich auf das Pferd steigen kann?«

»Ich erfülle dir den Wunsch nur, wenn du mir auch etwas versprichst.« Ihr Tonfall hatte sich etwas verändert. »Bitte nenne mich nicht ‚Herrin‘…« Sie streichelte Julia liebevoll durch das Gesicht. »Ich möchte deine Freundin sein, und du kannst auch so vor mir Respekt haben.«

»Entschuldige bitte, Frauke.« Julia war jetzt noch verlegener. »Bitte würdest du mir den Rock öffnen und mich dann auf dem Pferd festschnallen? Ich habe Angst, dass ich sonst herunterfalle.«

»Mein tapferer Engel. Ich werde dich immer unterstützen.« Sie beugte sich herab und befreite Julias Beine von der Enge des Rockes.

Und kaum, dass Julia auf dem Sattel saß, griff Frauke zu ihren Beinen und schnallte sich an der Stange fest. »Damit du dich gar nicht erst an zu viel Freiheit gewöhnst.«

Julia hatte auf einmal eine sehr verträumte Stimme. »Du darfst mich immer und ganz gefangen nehmen.«

* * *

»Hier bist du.« Frau Hegel fand ihren Mann in seinem Arbeitszimmer. »Ich wollte dich über die Pläne für das Wochenende informieren.«

»Was liegt denn an?« Herr Hegel blickte etwas verwundert von seinem Buch auf.

»Die Tochter von Vogels wird uns besuchen.« Frau Hegel holte tief Luft. »Und sie bleibt das ganze Wochenende.«

»Was bezweckst du damit?« Er war sich wegen der Pläne seiner Frau noch nicht im Klaren.

»Patricia kann uns helfen, Julia auf die Prüfungen vorzubereiten.« Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. »Vorausgesetzt natürlich, es stört dich nicht, dass zwei Mädchen mit Kopfgeschirr und Monohandschuh im und um das Haus herum laufen.«

»Im Gegenteil.« Er lächelte. »Ich freue mich sehr über den Anblick.« Doch dann wurde er nachdenklich. »Weiß Frau Wiesl Bescheid?«

Seine Frau nickte. »Du hast recht, ich werde sie auf jeden Fall noch einweihen.«

»Du solltest sie oft einbinden.« Er blickte kurz auf das Buch, welches vor ihm lag. »Ich fürchte, dass sie sonst eifersüchtig werden könnte.« Es wurde deutlich, dass er über Julia mehr wusste, als es für einen Professor und seine Studentin üblich war.

»Ein wichtiger Aspekt.« Sie dachte kurz nach. »Ich glaube, sie könnte uns außerdem noch auch bei einem anderen Aspekt helfen.«

»Ich weiß zwar nicht, was du meinst, aber du scheinst es schon gut durchdacht zu haben.« Es war ihm am liebsten, wenn er gar nicht erst in die Pläne seiner Frau eingeweiht war. Ausnahme war lediglich alles, was die Engel betraf. Und er vertraute ihr.

* * *

»Das war ja klar.« Jasmin blickte ein wenig besorgt auf ihre Schwester, die noch in den Manschetten am Reck hing, aber offensichtlich gleich nach dem Zuschnüren des sehr strengen Korsetts in eine Ohnmacht gefallen war.

»Alles andere hätte mich auch gewundert.« Die Schneiderin gab sich gelassen. »Es ist ganz normal, wenn sie das erste Mal die Strenge des Korsetts spüren.«

Jasmin brauchte einen Moment, bis sie die ganze Situation erkannt hatte. »Wird das bei jedem Anziehen passieren?«

»Ich denke nicht. Die meisten Frauen gewöhnen sich sehr schnell an die Enge und die veränderte Atmung.« Die Schneiderin holte ein kleines Fläschchen aus ihrer Tasche. »Ich hatte ihnen dazu doch auch eine Broschüre zugesandt.«

»Ach ja, richtig.« Jasmin erinnerte sich an die Schreiben sowie die darin enthaltenen verschiedenen Empfehlungen, doch sie hatte nicht gedacht, dass diese so wichtig sein würden. »Wollen wir sie nicht erst von dem Reck befreien?«

Doch die Schneiderin widersprach. »Es ist besser, wenn sie noch ein paar Augenblicke in dieser Haltung verbleibt, bis sie wieder zu sich gekommen ist. Außerdem muss sie auch noch den Rock und die Stiefel anziehen.«



»Hervorragend.« Tara keuchte deutlich hörbar. »Genau so hatte ich mir das vorgestellt.« Sie war inzwischen von selbst aus ihrer kurzen Ohnmacht erwacht. »Aber danke, dass du dich so um mich sorgst.« Sie funkelte ihre Schwester an.

»Schön, dass du wieder da bist.« Jasmin blickte kurz zur Schneiderin. »Wir haben uns schon Sorgen gemacht.«

»Was kommt jetzt?« Tara warf einen diskreten Blick auf den Tisch, auf dem noch einige Gegenstände lagen.

»Jetzt wären doch die Ballettstiefel an der Reihe.« Jasmin drängte auf die besonderen Stiefel – sie hatte bemerkt, dass Tara bei den regelmäßigen vorbereitenden Übungen immer noch sehr wackelig auf diesen Stiefeln war.

Die Schneiderin hat deutlich gemacht, dass nur diese Ballettstiefel die passenden Beinkleider für diesen engen Rock wären.

Auch Jasmin drängte sie zu diesen Stiefeln, wenn gleich auch aus anderen Motiven. Sie ahnte, dass Tara dann langsamer unterwegs sein würde – etwas, das ihr sehr zu gute kam.

Die Schneiderin hatte es ihr gleich bei der ersten Besprechung angedeutet. »Bei so einem engen Rock können sie die Füße gar nicht voreinander stellen, so wie es die Models auf dem Catwalk machen.«

»Stimmt, die Füße sind viel zu lang dafür.« Tara hatte die Argumentation nachvollziehen können. »Was empfehlen sie mir stattdessen?«

»Ballettstiefel.« Die Schneiderin holte tief Luft. »Einer meiner Bekannten fertigt die auf Wunsch an.« Sie wagte dies nur deswegen vorzuschlagen, weil sie von Taras Finanzierung durch ihrem Vater wusste. Dadurch, dass die Stiefel einzeln angefertigt wurden, waren sie auch entsprechend teuer.

»Und was sind Ballettstiefel?« Tara hatte in der Kindheit gelegentlich Ballettunterricht bekommen, doch interessiert hatte es sie nie.

Die Schneiderin hatte ein Foto dabei gehabt. »Schauen sie bitte hier.«

Tara hatte sich das Foto lange betrachtet. Weniger wegen der Stiefel, sondern mehr wegen der ungewöhnlichen Körperhaltung, die sich dadurch ergab. Unbewusste hatte sie sich über die Lippen geleckt.



»Wollen wir dann mit den Stiefeln weiter machen?« Die Schneiderin war ein wenig nervös, denn sie hatte jetzt die richtigen Stiefel dabei. Tara hatte dieses Exemplar noch nicht getragen, aber der Schuster hatte ihr versichert, dass sie ganz sicher passen würden. Schließlich war die einzige Änderung, dass in diesem Paar jetzt auch noch seitlich ein paar Stahlstangen eingezogen waren, die dem Fuß zusätzlich halt geben würden.

Tara seufzte, denn sie erinnerte sich noch sehr gut an den Muskelkater, den sie nach den ersten Gehversuchen bekommen hatte. Dabei lag das aber weniger an den Stiefeln, sondern daran, dass sie Jasmin gebeten hatte, ihr die Beine mit einigen Gummibändern zusammen zu binden. Schließlich lächelte sie. »Gehen wir es an.«

* * *

»Können wir dann weiter machen?« Tara blickte geradezu hypnotisiert auf das Sofa, auf dem der Unterrock in Form einen engen Schlauches darauf wartete, ihre Beine zu umhüllen.

Jasmin griff zum Hocker, um ihn Tara hinzustellen, doch sie wurde sofort von der Schneiderin unterbrochen. »Es wäre bestimmt einfacher, wenn sie gleich an dem Reck verbleiben.«

Die Schneiderin war Taras Blick gefolgt und griff zu dem von ihrer Kundin fixierten Unterrock. Sie war selbst sehr gespannt, wie er passen würde. Sie hatte zwar schon oft strenge Korsetts angefertigt, und die Kundinnen waren auch stets zufrieden, doch so einen strengen Rock wollte bisher noch keine haben.

Bei den Vorbesprechungen wollte Tara noch über die ganze Länge des Rocks auch Korsettstangen eingearbeitet haben, doch die Schneiderin konnte sie mit etwas Mühe davon überzeugen, dass ein gewisses Maß an Gelenkigkeit die mögliche Tragedauer insgesamt sehr erhöhen wurde. Entgegen Taras Wunsch hatte sie statt einer durchgehende Schnürung sehr starke Gummizüge empfohlen, die in dem doppelwandigen Stoff eingearbeitet waren. An der Stelle auf Taillenhöhe, an der üblicherweise ein Reißverschluss saß, musste eine Naht zugenäht werden, dies hatte Tara sich ausdrücklich so gewünscht.

»Das ist doch viel zu eng.« Jasmin keuchte, als sie versuchte, zumindest ein Bein ihrer Schwester in die lange und enge Rockröhre zu bekommen. »Und dabei ist das erst ein Bein.«

»So geht das auch nicht.« Die Schneiderin holte ein sehr seltsam aussehendes kleines Metallgestell aus ihrer Tasche, das offenbar mit mehreren Gelenken zusammengefaltet war. »Sie brauchen auf jeden Fall diese Anzieh-Hilfe.«

Jasmin warf einen Blick auf den seltsamen Gegenstand, doch noch konnte sie nicht erkennen, wie er zu benutzen war. »Was ist denn das?«

»Schau bitte ganz genau hin.« Tara keuchte schon wieder leicht. »Ich will das Kleid oft tragen.«

»Sie müssen den Rock mit den unter diesen Rüschen versteckten Schlaufen über diese vier Stangen schieben«, sagte die Schneiderin, während sie vier Stangen von etwa 40 cm Länge zur Hand nahm, die in der Mitte offenbar jeweils aus zwei Teilen in eine Hülse zusammengesteckt waren, die wiederum mit einer Öse in der Mitte versehen war. »Sie trennen die Stangen in der Mitte, dann schieben sie sie in Hüfthöhe des Rocks jeweils nach oben und unten in die Schlaufen im Rock, unter den Rüschen. Dabei raffen sie den Rock von oben und von unten komplett über die Stangen, wie eine Strumpfhose beim Anziehen.«

Sie entfaltete das beiliegende Gestell zu einem Quadrat, das ein Stück weiter als Taras Hüften war und in den Ecken kleine Rollen besaß, über die vier dünne Stahlseile vom Inneren des Gestells zu vier Haken führten, währen die anderen Enden offenbar in einem Kasten an einer Seite endeten, welcher außen mit einer kleinen Kurbel versehen war. »Dann hängen sie die vier Haken dieses Gestells in die Ösen der Stangen ein und kurbeln hier an der kleinen Seilwinde. So lange, bis der Rock so weit auseinander gezogen ist, dass sie ihn bis über die Hüften ihrer Schwester bekommen, wenn sie sie in das Gestell mit dem Rock steigen lassen oder so lange sie am Reck hängt, ihr das Gestell mit dem Rock von unten über die Füße und dann über die Hüften ziehen können. Dann lösen sie die Seile, entfernen das Gestell und ziehen den Rock von den Stangen herunter nach oben zur Taille und nach unten zu den Füßen. Wenn sie dann die Verbindung der Stangen in der Mitte lösen, können sie die Teile aus den Rockschlaufen herausziehen.«

»Dann bin ich ja wirklich in dem Rock gefangen.« Taras Augen leuchteten, und ihre Stimme zeigte ihre Faszination.

»Nicht ganz.« Die Schneiderin musste widersprechen. »Das Ausziehen geht zur Not auch ohne das Gerät.«

»Schade.« Tara grinste ein wenig. Eigentlich hatten sie das alles schon mehrmals besprochen, doch sie liebte es, alle Details noch einmal vor Augen geführt zu bekommen, während sie diesen ultrastrengen Rock angezogen bekam.

»Wenn es sie beruhigt – die Gummizüge sind so stark, dass es sehr schwer wäre, den Rock ohne das Gestell über ihre Hüften herunterzuziehen. Besser geht es, die Stangen im oberen Bereich einzufädeln und den Rock so weit zu weiten, dass er über ihre Hüften gezogen werden kann.«

Tara lächelte selig.

»Wenn sie soweit sind, dann könnten wir dann weiter machen?« Die Schneiderin griff ein weiteres Mal in ihre Tasche und holte einige längere Seile heraus. »Wir müssen den Rock noch bis zu ihrer Taille nach oben ziehen.«

Wieder wurden kleine Karabiner in den oberen Rocksaum eingehängt, und danach warf die Schneiderin die Seile über die Reckstange. »Jetzt können wir den Rock langsam nach oben ziehen.«

Tara leckte sich die Lippen. »Dann könnte ich mir den Rock auch selbst anziehen?« Auf der einen Seite wusste sie, dass sie sich voll und ganz auf ihre Schwester verlassen konnte, doch andererseits liebte sie auch ihre Selbstständigkeit.

»Prinzipiell schon.« Die Schneiderin zeigte auf eine bestimmte Stelle am Rocksaum. »Allerdings muss er dann noch zugenäht werden, ein Reißverschluss ist hier nicht eingearbeitet.«

»Ich verstehe«, lächelte Jasmin. »Und das Ausziehen geht dann anders herum?«

»Wieso denkst du jetzt schon an das Ausziehen?« Tara keuchte. »Ich bin noch nicht einmal mit dem Anziehen fertig.«

Jasmin verdrehte die Augen. »Meinst du, ich will dass du da ewig drin steckst?

»Onkel Herbert hat versichert, dass bis zu zwei Tagen problemlos möglich wären.« Taras Augen leuchteten schon wieder.

Jasmin seufzte. »Und ich muss dich dann überall hin schieben.«

»Ich gehe schon selbst.« Ein wenig verletzter Stolz war zu hören.

»Wie denn, mit diesem Rock? »Jasmin war der Meinung, dass ihre Schwester sich überschätzte.

»Ich werde es dir beweisen.« Tara gab sich sehr zuversichtlich.



Es dauerte einige Zeit, bis die Schneiderin und Jasmin das Kleid über die Beine auf Taras Körper gezogen hatten. Sie hatten sehr viel Mühe damit, und Tara stellte erfreut fest, dass die Gummizüge doch wie gewünscht sehr stark waren.

Sie wurden von der Dienerin unterbrochen. »Ich wollte nur daran erinnern, dass der von ihnen beauftragte Detektiv in fünfzehn Minuten da sein wird.«

Jasmin blickte die Schneiderin erschrocken an. »Schaffen wir das?«

Die Schneiderin verneinte. »Völlig unmöglich. Bis dahin haben wir noch nicht einmal das Oberteil richtig angelegt, geschweige denn zugenäht.«

Tara musste nicht lange überlegen. »Dann ist er eben der Erste, der das Kleid zu sehen bekommt.«

»Aber Tara, bist du sicher?« Jasmin war von dem Eifer ihrer Schwester nicht begeistert. »Was soll er denken, wenn du dich ihm so völlig hilflos präsentiert?«

»Das ist mir so was von gleichgültig.« Sie drehte sich zur Schneiderin. »Machen sie bitte weiter und schließen bitte die zweite Lage. Ich bin sehr neugierig auf die Armtaschen.« Ihre Füße angelten nach dem Hocker, den Jasmin ihr sofort wieder unter ihre Füße schob. Kurz darauf stand sie wieder auf ihren Beinen und versuchte, das Gleichgewicht wieder zu gewinnen. »Bisher fühlt es sich an wie gewünscht. Und der Stoff ist auch wirklich belastbar?«

»Das ist der gleiche Stoff wie bei den Fallschirmen der Armee.« Die Schneiderin machte eine bedeutsame Pause. »Absolut reißfest, und nur anders eingefärbt.«

»Ich wusste, dass ich mich auf sie verlassen kann.« Tara versuchte ein paar Bewegungen in ihrer neuen Unterwäsche. »Es fühlt sich an wie gewünscht. Jetzt zeigen sie bitte meiner Schwester, wie das mit dem Oberteil funktioniert. Und dann schließen sie das Kleid.«

»Aber dazu muss ich sie in das Kleid einnähen?« Es wurde deutlich, dass die Schneiderin dies nicht erwartet hatte.

»Sie haben gehört, was meine Schwester gesagt hat. Widerspruch ist ungesund.« Jasmin wurde auf einmal sehr bestimmt. »Zeigen sie mir alles und dann nähen sie das Kleid zu. Schaffen sie das in einer Viertelstunde?«

Die Schneiderin schüttelte bedauernd mit dem Kopf. »Auf keinen Fall.«

»Machen sie es so, wie sie es sich wünscht.« Sie drehte sich von Tara weg. »Wenn sie ihren Willen nicht bekommt, dann wird sie unausstehlich.« Jasmin war zwar oft genervt von ihrer großen Schwester, doch da sie wusste, wie es wirklich um sie bestellt war, stand sie stets an ihrer Seite und versuchte, ihr das Leben so erträglich wie möglich zu machen.

Die Schneiderin seufzte. »Ich versuche mein Bestes.«

»Willst du ihn wirklich so empfangen?« Jasmin blickte zweifelnd auf ihre Schwester. »Du kannst ja dann keinen Finger mehr rühren.«

»Wir haben ihn extra kommen lassen« Tara gab sich kämpferisch. »Jetzt muss ich da auch durch.«

Eigentlich hatte ihre Mutter sie dazu bewegt, sich über die Konkurrentinnen zu informieren. Ihr selbst wäre es vielleicht egal gewesen. Sie war so von sich überzeugt, dass sie es auch ohne diese Hilfe geschafft hätte. Doch den Ehrgeiz ihrer Mutter hatte selbst sie nichts in den Weg zusetzen, deswegen hatte sie sich mit dem ganzen Vorhaben einverstanden erklärt.

* * *

Frau Hegel fand ihre Dienerin in der Waschküche, wo sie sich mit der frisch gewaschenen Wäsche befasste. »Frau Wiesl, hätten sie einen Moment Zeit für mich?«

Frauke legte das Wäschestück, dass sie gerade in der Hand hielt, in den Wäschekorb, der vor ihr stand. »Natürlich.«

»Sie empfinden ganz gewisse Gefühle für Frau Sommer?« Die Frau des Professors wollte die Dienerin hier bewusst überrumpeln.

Frauke wurde wie erwartet verlegen. »Ich glaube schon.« Sofort kam so etwas wie ein schlechtes Gewissen durch, vor allem natürlich wegen ihrer Vergangenheit und ihrem aktuell offiziellen Status als Strafgefangene.

Frau Hegel sprach im gleichen ruhigen Tonfall weiter. »Aus unserer Sicht können und dürfen sie sich ihrer Gefühle sicher sein, und ich möchte, dass sie sich auch weiterhin so liebevoll um Julia kümmern.«

»Aber?« Frauke hatte eine Ahnung, dass die eigentliche Mitteilung noch nicht zu Ende war.

»Heute wird uns ein anderes Mädchen besuchen – sie kennen sie schon, Patricia Vogel.« Frau Hegel holte tief Luft. »Sie wird das ganze Wochenende bleiben.«

»Das ist doch schön.« Frauke hatte offensichtlich noch nicht erkannt, was dies auch bedeutete.

»Sie wird einen sehr engen Kontakt zu Frau Sommer haben, und dieser wird ihnen scheinbar oft Grund zur Eifersucht geben.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Lassen sie mich ihnen aber versichern, dass all diese engen Kontakte und eventuelle Berührungen nur den Zweck haben, beide Mädchen auf ihre Zukunft als Engel vorzubereiten.«

Frauke hielt kurz die Luft an. »Danke, dass sie mir das vorher sagen.«

»Es gibt für sie keinen Grund zur Eifersucht, selbst, wenn Patricia im Bett neben Julia übernachten wird.« Diesen besonders heiklen Aspekt wollte sie unbedingt angesprochen haben.

Frauke schluckte. Mit einer Antwort hatte sie Schwierigkeiten.

»Beide Mädchen werden das Nachthemd tragen, das sie schon kennen.« Sie hoffte, dass sie die Stimmung von Frauke richtig deutete. »Sie sind damit sehr hilflos, und ich hoffe sehr, dass sie dies nicht ausnutzen werden.« Wieder machte sie eine Pause. »Ich würde mich nämlich sehr freuen, wenn sie diese beiden Nächte jeweils in Julias Zimmer auf dem Gästebett übernachten, so dass die Mädchen nie allein sind.«

»Ich habe Julia gern in den Schlaf gestreichelt, vielleicht darf ich das auch bei Frau Vogel?« Frauke hatte sich offensichtlich mit der ungewohnten Situation abgefunden.

»Fragen sie sie.« Frau Hegel lächelte verschmitzt. »Ich könnte mir aber denken, dass sie lieber von jemand anders in den Schlaf gestreichelt werden möchte.«

Frauke runzelte die Stirn. »An wen hatten sie dabei gedacht?« Ihren eigentlichen Verdacht wagte sie aber nicht auszusprechen.

»Ich verfolge noch einen anderen Plan, und bei dem könnten sie mir vielleicht auch helfen.« Sie blickte kurz zum Kellerfenster.

»Gern, Frau Hegel.« Frauke freute sich über das Vertrauen. »Was soll ich machen?«

»Ich habe für das Wochenende einen ganz bestimmten Gärtner bestellt.« Das Grinsen war deutlich im Gesicht von Frau Hegel zu sehen. »Seien sie bitte freundlich zu ihm, und falls er etwas benötigt, dann unterstützen sie ihn.«

Frauke hatte die Zusammenhänge noch nicht erkannt. »Aber sicher, ich werde ihm alles bringen, was er verlangt.«

»Er wird sicher auch ins Haus wollen.« Frau Hegel hatte diesen Satz mit einer besonderen Betonung ausgesprochenen.

»Da steckt doch mehr dahinter.« Frauke erschrak, als sie erkannte, dass sie gerade ihre Gedanken ausgesprochen hatte.

»Sie haben recht, da steckt wirklich mehr dahinter.« Frau Hegel legte ihre Hand auf die Schulter von Frauke. »Kommen sie bitte mit in die Küche, ich erkläre es ihnen unterwegs.«

* * *

Dass der Wagen des Konsulats zum Stehen gekommen war, hatte Hans so gut wie nicht bemerkt. Fast hätte er dem Chauffeur ein Kompliment gemacht wegen seiner sanften Fahrweise, doch dann nahm er doch Abstand davon.

Auf einmal wurde die Tür geöffnet und eine freundliche junge Stimme begrüßte ihn. »Herzlich willkommen im Konsulat, meine Schwester Tara erwartet sie.«

Er stieg aus und blickte sich um. Sofort fiel ihm die außergewöhnliche Architektur des Konsulats ins Auge. Obwohl er sehr neugierig auf seine Klientin war, blieb er einen Moment stehen. Und während er das Äußere der Villa betrachtete, ging ihm die Beschreibung wieder durch den Kopf, die Susi für ihn recherchiert hatte.



Villa Dyes in Hildesheim

Die Villa Dyes am Weinberg steht auf einem Gelände von etwa 30.000 qm, das seit dem 12. Jahrhundert von den Benediktiner-Mönchen des Godehardiklosters bewirtschaftet wurde. Im Zuge der Säkularisation wurde das Godehardikloster aufgelöst und die Klosterkammer vergab das Grundstück in Erbpacht an Gerhard Gottfried Dyes. Seine Witwe Johanne Charlotte erwarb das Gelände 1843 durch Kauf. Zunächst baute man das „Gartenhaus am Teich“. Dort wohnte später die Witwe des Friedrich Gottfried Dyes.

Der Erbauer Friedrich Gottfried, genannt Louis, lebte zunächst in Bremen, und die Villa diente nur als Sommersitz der Familie. Erst im Todesjahr seiner Frau Conradine im Jahre 1891 siedelte Louis ganz nach Hildesheim über.

Louis Dyes hatte die großbürgerliche Villa 1881 auf der Höhe seiner kaufmännischen erfolge erbauen lassen. Als Architekten konnte er den damals 34jährigen Gustav Schwartz, einem Schüler C.W. Hases, gewinnen. Als Vertreter des Historismus verfügte Schwartz über die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten der verschiedenen Baustile.

Der massive Baukörper aus Muschelkalk hat einen Sandsteinsockel. Die Türen- und Fensterstürze, Balustraden und Gesimse sind ebenfalls aus diesem Baustoff. Durch Türme, Zinnen, Erker und Balkone erhält der Bau seinen schlossartigen Charakter.

An der Frontseite im Osten erkennt man noch die halbkreisförmige Auffahrt vor dem Hauptportal mit Stufen und zwei flankierenden Laternen. Im Norden fällt ein runder Treppenturm ins Auge. Im Westen, an der Parkseite des Hauses, gibt es eine Veranda zwischen dem Rundturm und dem charakteristischen achteckigen „Dornröschenturm“.

Im Süden schließt sich der großen Terrasse die Orangerie an. Durch sie erreicht man über einen erhöhten Laufsteg das Gästehaus, das sogenannte „Schweizerhaus“. Es bildet durch seinen Schweizer Charakter den gewünschten Kontrast zum schlossartigen Haupthaus.

Das Gebäudeinnere überrascht mit einem neugotischen Kreuzgewölbe im ehemaligen Entree und Salon. Hochmodern, im Sinne der Erbauerzeit, war die ungewöhnliche Transparenz dieser Räume. Sie entstand durch Türen aus Eisenguss mit gotisierendem Maßwerk in Verbindung mit ornamentiertem Glas.

Im Parterre befinden sich, außer dem Salon, parallel dazu zwei weitere große repräsentative Räume: der holzgetäfelte Speisesaal und das Gartenzimmer. Intimere Räume sind in den Turmbauten das Herren- und das Damenzimmer. Auffallend im Erdgeschoss ist das Fehlen jeglicher Korridore.

In allen Räumen gab es Kamine, die mit Gas beheizt wurden. Die Räume des Erdgeschosses haben die enorme Höhe von 4,96m. Im 1. Obergeschoss waren Schlaf- und Ankleideräume und Kinderzimmer. Im Dachgeschoss schlief das Personal, das über eine eiserne Wendeltreppe nach oben und zu Küche und Wirtschaftsräume in den Keller gelangen konnte.

Der Park wurde von dem Gartenbaubetrieb Eilers, die auch den Park des Senators Hermann Roemer an der Schützenwiese errichteten, im englischen Stil angelegt. Ursprünglich ermöglichte eine breite Sichtschneise den Blick vom Haus nach Westen. Über drei Hangterrassen hinweg sah man den Mühlengraben und das Innerstetal. Heute ist leider alles zugewachsen.

(Anmerkung des Autors: Quelle dieses Textschnipsels: Hildesheimer Geschichte(n) von 815 – 1945)



»Gefällt ihnen unser Märchenschloss?« Eine junge Dame in Jeans und T-Shirt reichte Hans die Hand. »Ich bin Jasmin Winthrop, und ich bringe sie in den Salon, wo sie meine Schwester treffen werden.« Sie verdrehte die Augen. »Im Moment ist aber noch die Schneiderin bei ihr.« Sie drehte sich um und ging langsam voran in die wirklich repräsentative Villa. Hans folgte dem jungen Mädchen wortlos.

* * *

»Was hast du vor?« Herrn Vogel war aufgefallen, dass seine Tochter Patricia ihre kleine Reisetasche gepackt hatte.

Doch seine Frau antwortete für die Tochter. »Sie geht heute zu Hegels.«

»Und warum?« Herr Vogel runzelte die Stirn.

»Hegels haben ein Mädchen, das auch ein Engel werden möchte.« Frau Vogel machte eine bedeutsame Pause. »Ich bin mir sicher, dass sie sich bestimmt viel über die Zukunft austauschen wollen.«

»Mein kleines Mädchen.« Er streichelte seiner Tochter kurz über den Kopf, obwohl er wusste, dass sie diese Geste eigentlich nicht mochte. »Ich bin sehr stolz auf dich.« Doch dann stutzte er. »Und dein Konzert?«

»Da gehe ich natürlich auch hin.« Patricia gab sich stolz.

»Mute dir aber nicht zu viel vor.« Er wiederholte seine Geste.

»Keine Sorge, Papa.« Patricia lächelte. »Wir werden es gemütlich angehen.« Noch wusste sie allerdings nicht, wer auch bei Hegels sein würde.

»Ziehe dir aber bitte noch etwas über.« Er freute ihn sehr, mit welcher Begeisterung seine Tochter auf dem Weg zum Engel unterwegs war, doch genauso sorgte er sich um das Ansehen seiner Tochter im Ort.

»Keine Sorge.« Patricia lächelte. »Ich ziehe den leichten Sommermantel darüber. Von der Engelskleidung wird man nichts sehen.« Sie war es gewohnt, die außergewöhnliche Lackkleidung zu tragen, auch wenn sie ihr selbst nicht so viel bedeutete. Doch sie wusste, welche Wirkung sie damit auf die Männer haben würde, und das genoss sie sehr. Natürlich machte sie es nur, wenn sie auch gleichzeitig ihre Rüstung trug, die sie verlässlich schützte, und die es ihr erlaubte, sehr selbstbewusst aufzutreten.

* * *

Wie üblich ging Frau Hegel ans Telefon, als sie es zusammen mit Frauke in der Küche klingeln hörte. Eine Frau Sommer war am anderen Ende. »Wohnt bei ihnen eine Julia Sommer?«, fragte sie nach einer kurzen sehr nüchternen Begrüßung.

Bei Frau Hegel schrillten sofort die Alarmglocken, sie blickte Frauke mit aufgerissenen Augen an. »Warum möchten sie das wissen?«, fragte sie die Frau an der anderen Leitung.

»Ich bin ihre Mutter«, erklärte sie. »Und ich würde gern wissen, wo sich meine Tochter aufhält.«

Die Frau des Professors war noch nicht zu der gewünschten Auskunft bereit. »Woher haben sie unsere Telefonnummer?«

»Aus dem Telefonbuch«, erklärte Julias Mutter. »Die Adresse hat mir mein Sohn gegeben.«

»Und jetzt möchten sie ihre Tochter sprechen?« Frau Hegel wurde es unheimlich. Sie versuchte weiterhin, sich wegen Julia nicht festzulegen.

»Nein, das weniger.« Die Stimme der Frau ließ eine gewisse Enttäuschung hören. »Sie würde ohnehin nicht mit mir sprechen wollen.«

»Und was wollen sie dann?« Frau Hegel wurde unruhig.

»Wir würden sie gern besuchen und ihnen von unseren Problemen berichten.« Der Ernst des Anliegens war deutlich zu hören.

Frau Hegel war alarmiert. »Das passt uns eigentlich gar nicht.« Der Satz war mehr als ehrlich gemeint.

»Sie müssen uns verstehen. Es geht um die Ehre der Familie.« Sie berichtete von den Arrangements mit der Nachbarfamilie.

»Selbst wenn sie wirklich bei uns wäre, würden wir ihr diesbezüglich keine Vorschriften machen, was sie wann zu tun hat.« Frau Hegel versuchte resolut zu klingen, obwohl sie von ihrem Ablenkungsversuch nicht wirklich überzeugt war.

»Aber sie haben bestimmt Einfluss auf sie, und sie können bewirken, dass sie zu ihren Pflichten steht.« Frau Sommer ließ nicht locker.

»Das wiederum kann ich ihnen versprechen. Ich werde auf sie einwirken und sie an ihre Pflichten erinnern.« Frau Hegel hatte erkannt, was wirklich wichtig war.

Mit der Antwort gab sich Julias Mutter zufrieden. »Wir werden dann morgen bei ihnen vorbei kommen, mein Mann und ich. Ich hoffe, dass wir die Angelegenheit zur Zufriedenheit aller lösen können.«

»Das hoffe ich auch.« Frau Hegel versuchte ruhig zu bleiben, obwohl sie tief aufgewühlt war. Sie leitete die Verabschiedung ein, danach legte sie auf.

»Das klingt nach großen Problemen?« Frauke hatte mit Gespräch atemlos zugehört.

»Das passt uns gar nicht in den Kram.« Frau Hegel wiederholte kurz den Inhalt des Telefonats.

»Sie dürfen uns Julia nicht wegnehmen.« Frauke machte ein verzweifelte Gesicht, doch auf einmal hatte sie eine Idee. »Ich könnte Julia verstecken.«

»In ihrem Geheimversteck?« Frau Hegel lächelte. »Das wäre gut.«

»Sie wissen davon?« Frauke bereute es, dass sie ungewollt eines ihrer Geheimnisse verraten hatte, doch wenn sie so Julia und Hegels helfen könnte, war das wohl den Preis wert.

»Ich kenne das Haus schon lange.« Sie lächelte verschwörerisch. »Ich habe nur nicht alle Zugänge gefunden.«

»Warum haben sie mich nicht verraten?« Erst jetzt erkannte Frauke, was sie wirklich an Frau Hegel zu haben schien.

»Das möchte ich nicht unbedingt sagen.« Frau Hegel gab sich verlegen.

Frauke war überrascht, weil sie eine ganz neue Seite an ihrer Aufpasserin kennenlernte. »Und sie möchten, dass wir uns dort verstecken?«

»Ich möchte verhindern, dass sie Julia mit Gewalt mitnehmen.« Sie wurde nachdenklich. »Dann geben wir lieber vor, dass sie nicht da ist.«

»Und wenn Patricia für sie in dem Zimmer wäre?« Frauke sprach ihre Gedanken aus. »Und insgesamt vorgibt, sie zu sein?«

»Das könnte vielleicht funktionieren.« Frau Hegel griff die Idee auf. »Wir könnten dann vielleicht argumentieren, dass der Sohn sich verschaut haben müsste.«

»Aber wirklich los werden wir sie damit vermutlich nicht.« Frauke äußerte ihre Zweifel.

»Das ist richtig«, seufzte Frau Hegel. »Aber wir gewinnen damit vielleicht etwas Zeit.«

* * *

Das Oberteil von Taras Traumkleid entpuppte sich ebenfalls als ein enger Schlauch, aber bot im Vergleich zum Unterkleid wirklich Platz. Besonders fasziniert war Tara aber von den Ärmeln, eigentlich wären es oberarmlange Handschuhe, oft auch Opernhandschuhe genannt. Doch diese Handschuhe waren fest in das Kleid eingenäht. Innen bildeten sie eine lange Röhre für ihre Arme, und was Tara besonders faszinierte, selbst für jeden ihrer Finger war eine einzelne kleine Hülle vorhanden. Das Kleid nahm ihren Arme wirklich jegliche Bewegungsmöglichkeit. Und natürlich waren auch dort teilweise Gummizüge eingearbeitet, die dafür sorgten, dass der Stoff an fast allen Stellen hauteng anlag.

»Der Detektiv ist eben eingetroffen.« Jasmin betrat das Ankleidezimmer. In ihrer Stimme lag eine gewisse Dringlichkeit.

»Wir sind aber noch nicht fertig.« Die Schneiderin klang in diesem Augenblick etwas genervt. Eigentlich war sie die vielen Launen ihrer besten Kundin gewöhnt, doch heute kam es besonders ungelegen.

»Ich dachte, das Kleid ist schon fertig.« Manchmal merkte Tara, dass sie ihre jeweilige Umgebung wohl vor den Kopf gestoßen hatte, doch meistens war es ihr gleichgültig. »Streng genug wäre es jetzt ja.« Sie versuchte ihre Arme in den eingenähten Handschuhen zu bewegen, doch der Stoff zeigte kaum etwas von ihren Bemühungen.

»Ich bin froh, dass sie das bemerken.« Irgendwie war die Schneiderin erleichtert. »Aber ich habe die Abdeckung der Schnürung noch nicht geschlossen.«

»Wie lange wird das noch dauern?« Tara war sich schon bei der Bestellung bewusst gewesen, dass sie ihr Traumkleid nur zu bestimmten Gelegenheiten anziehen konnte, und das lag nicht nur daran, dass sie darin mehr als hilflos sein würde. Auch die Ankleideprozedur würde viel Zeit in Anspruch nehmen und musste deswegen gut geplant werden.

Mindestens noch eine Viertelstunde.« Die Schneiderin bemühte sich um einen freundlichen Tonfall.

Tara drehte sich mit dem ganzen Körper zu ihrer Schwester. »Kannst du zu ihm gehen und ihm sagen, dass ich noch beim Ankleiden bin? Er soll ein wenig warten.« Sie verdrehte die Augen. »Biete ihm etwas zu trinken an.«

Jasmin machte einen übertriebenen Knicks. »Sehr wohl, Madame.«

»Du kannst ihn etwas unterhalten.« Tara war bewusst, dass diese Verzögerung aus Sicht ihres Landes eine grobe Unhöflichkeit war, doch sie war bereit, dies in Kauf zu nehmen.

Jasmin begann, sich darauf zu freuen. Bedingt durch die Umstände hatte sie nur wenig Kontakte zu fremden Männern.

Die Schneiderin räusperte sich. »Entschuldigen sie bitte, aber wenn sie mir helfen und das Kleid halten, dann geht es auch schneller.«

Jasmin zögerte. »Ich sage ihm kurz Bescheid, und dann komme ich helfen.«

* * *

Dafür, dass Patricia nur das Wochenende bei Hegels verbringen wollte, war ihre Tasche geradezu riesig. Doch sie enthielt neben den wenigen Sachen, die sie für den Aufenthalt brauchte, auch noch die Sachen für das Konzert, welches sie am Samstagabend zu spielen hatte. Deswegen war die Tasche zwar groß, wog aber verhältnismäßig wenig.

Insgeheim freute sie sich sowohl auf das Wochenende bei Hegels, als auch auf die gemeinsame Zeit mit Julia als Paar für die Engelsausbildung. Sie war sich sicher, dass sie beide die Aufnahmeprüfung bestehen würden, auch wenn sie nur ungefähr wusste, was da von ihnen erwartet wurde.

Ein kurzes Hupen riss sie aus ihren Gedanken. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass die Schneiderin neben ihr im Auto fuhr und sie grüßte.

Patricia erwiderte den Gruß, dann setze sie ihre Schritte fort. Es war nicht mehr weit bis zu Hegels Haus, und sie wunderte sich, als das Auto der Schneiderin ebenfalls vor dem Haus hielt. Patricia beschleunigte ihre Schritte, und gerade als sie an Hegels Pforte ankam, fuhr auch die Schneiderin auf das Grundstück.

»Wollen sie auch zu Hegels?« Die Schneiderin blickte auf die große Tasche. »Oder wollen sie verreisen?«

Patricia lachte kurz. »Nein, das sieht nur so viel aus. Eigentlich ist in der Tasche kaum etwas drin, wenn man die Musiksachen weglässt.« Doch dann wandelte sich ihr Blick zu einer Frage, die sie jedoch nicht zu stellen wagte.

»Frau Sommer bekommt jetzt auch ihr Engelskorsett, und ich bin heute zur letzten Anprobe da.« Die Schneiderin hatte auch für Vogels Tochter eines anfertigen müssen. »Wie sind sie mit ihrem zufrieden?«

»Oh gut«, Patricia stellte ihre Tasche ab. »Ich habe es aber erst zwei Mal getragen.«

»Verständlich.« Die Schneiderin lächelte wissend. »Es ist ja auch sehr restriktiv.«

»Ja, das stimmt.« Patricia erwiderte das Lächeln. »Aber es fühlt sich schön an.«

»Haben sie wieder etwas zu tragen?« Frau Hegel kam aus dem Haus und begrüßte die beiden Frauen.

Die Schneiderin lächelte. »Nein, heute passt alles in die eine große Tasche.« Sie blickte zur Haustür. »Aber danke der Nachfrage.«

Erst jetzt sah die Frau des Professors, dass auch Vogels Tochter das Grundstück betreten hatten. »Das ist schön, dass sie es einrichten konnten, Patricia.«

»Meine Mutter hat ihnen von dem Konzert erzählt, das ich dieses Wochenende zu spielen habe?« Patricia war es wichtig, wirklich allen Verpflichtungen nachkommen zu können.

»Müssen wir sie fahren?« Frau Hegel gab zu verstehen, dass sie informiert war.

Patricia stutzte kurz. »Ich hatte mich auf einen längeren Spaziergang eingestellt.« Ein leichtes Lächeln glitt über ihr Gesicht. »Aber wenn sie mich fahren und vielleicht auch abholen, dann hätte ich mehr Zeit für Julia.«

»Mit dem Handel bin ich einverstanden.« Frau Hegel reichte ihr die Hand. »Willkommen bei uns.« Sie bat Patricia und die Schneiderin herein.

Patricia überreichte Frau Hegel ein kleines Schlüsselbund. »Bitte heben sie es gut auf. Sie wissen bestimmt, wofür es ist.« Trotzdem zwinkerte sie kurz mit den Augen.

* * *

Auf dem Weg zum Empfangssalon musste Jasmin erneut über das Kleid nachdenken, welches sich ihre Schwester bestellt hatte. Kleid war eigentlich das falsche Wort, denn in Wirklichkeit war es ein tragbares Gefängnis. Es bestand eigentlich nur aus einem doppelten engen Schlauch, der ihren Armen und Beinen nur noch winzigen Bewegungsspielraum ließ.

Doch Tara liebte es so, und auf dieses Kleid hatte sie lange hin gefiebert. Als vor kurzem die Schneiderin angerufen hatte und mitteilte, dass sie endlich den passenden Stoff auch noch in der gewünschten Farbe bekommen hatte, war Tara wie elektrisiert. Mit diesem Kleid würde sie sich eine lange gehegter Traum erfüllen.

Jasmin seufzte. Natürlich wusste sie, dass sie dann die Hauptarbeit haben würde, doch den Preis war sie gern bereit zu zahlen. Ihre Schwester hatte es schon schwer genug, und dieses kleine Opfer war sie gern bereit zu bringen.

Eigentlich war es ihre eigene Idee gewesen, die Ärmel mit in das Kleid zu integrieren, denn sie wusste, dass Tara viel zu gern mit Händen und Füßen redete, wenn sie den Beruhigungsball im Mund trug. Doch in Zukunft würde sie dann ganz auf ihre Schwester angewiesen sein, und darauf freute sich Jasmin sehr.



Der Detektiv stand vor der Bücherwand und schien den Inhalt zu begutachten.

Jasmin räusperte sich, nachdem sie den Salon betreten hatte. »Meine Schwester lässt ausrichten, dass es noch einen Moment dauert.« Sie empfand es bedingt durch ihre Herkunft als Unhöflichkeit, die sie ein wenig bedrückte.

Der Detektiv drehte sich um und blickte Jasmin wortlos an.

»Nehmen sie sich bitte etwas zu trinken.« Sie ging zu einem der Schränke und zeigte ihm die Bar. »Es dauert bestimmt nicht mehr lange.« Gleich darauf verließ sie wieder das Zimmer.

* * *

»Hallo Patricia.« Julia hatte Vogels Tochter sofort wiedererkannt, doch spontan vermisste sie etwas. »Heute ohne Perlennetz unterwegs?« Es platzte einfach aus ihr heraus und zeigte nebenbei die Faszination, die sie für Patricia empfand.

Auch Frauke begrüßte das für sie ebenfalls faszinierende Mädchen, welches sie erst kürzlich beim Spaziergang kennenlernen durfte.

»Oh, ich habe es dabei.« Patricia beugte sich verschwörerisch vor. »Aber es ist doch nicht ratsam, es zu tragen, wenn frau allein durch den Ort geht.«

Julia grinste, denn sie fühlte, wie das Eis sofort gebrochen war. »Ja, das ist einzusehen.« Langsam dämmerte es ihr, dass dieses Wochenende auch für sie sicher ein perlenreiches Wochenende werden würde. »Ich freue mich sehr.« Erst jetzt bemerkte sie die Schneiderin, die ebenfalls das Haus betreten hatte.

* * *

Einen kostenlosen Drink hatte Hans bisher nur selten abgelehnt. Langsam und würdevoll ging er zu dem Schrank, den ihn die Schwester seiner Klientin gezeigt hatte.

Er öffnete langsam die Tür zur Bar und blickte hinein. Er kannte sich bei den Spirituosen zwar nicht gut aus, doch er sah auf den ersten Blick, dass die Bar wirklich gut sortiert war. Neben vielen ihm bekannten Marken sah er auch einige Flaschen, deren Etikett er gar nicht entziffern konnte. Er vermutete dass es wohl Spezialitäten aus Padogenien waren.

Er wollte sich erst einen Whisky einschenken, entschied sich dann aber doch für ein alkoholfreies Getränk. Er ahnte, dass er für die Begegnung mit Tara Winthrop einen klaren Kopf brauchte. Er schenkte sich einen Orangensaft ein, verdünnte ihn noch mit ein wenig Wasser, dann schloss er die Bartür und setzte sich in einen der bereitstehenden Sessel. Der Salon war sehr rustikal eingerichtet, und doch spürte er, dass sich Besucher hier willkommen fühlten konnten.

* * *

»Ich bringe das weiße Korsett zur Anprobe.« Die Schneiderin war sichtlich verunsichert wegen der Anwesenheit von Patricia und Frauke.

»Können wir das nicht verschieben?« Julia blickte ein wenig unschlüssig umher.

Frauke sah es ähnlich, denn auch sie freute sich sehr auf das Wochenende mit Vogels Tochter. »Dafür haben wir doch jetzt gar keine Zeit.«

Die Schneiderin räusperte sich. »Entschuldigung, aber wenn sie es bis nächste Woche brauchen, dann müssen sie es heute probieren.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Mir fehlt sonst die Zeit zum Ändern.«

Frauke bereute ihren vorlauten Einwand, doch zurücknehmen wollte sie ihn auch nicht.

Frau Hegel räusperte sich. »Mir wäre es auch sehr wichtig, dass die Anprobe heute stattfindet.«

»Wenn sie möchten, dann helfe ich ihnen bei der Anprobe.« Patricia stellte ihre Tasche zu Boden. »Das weiße Korsett ist sehr wichtig für die Engel.« Sie hatte die Situation erkannt und hoffte, so eine Brücke bauen zu können.

Julia zögerte noch etwas, doch sagen tat sie nichts.

Die Schneiderin öffnete die Tasche, holte ein dickes weißes Bündel Leder heraus und reichte es Julia.

Julia nahm es in die Hand und rollte es auseinander. »Ein weißes Korsett, tatsächlich...« Sie war sichtlich fasziniert, obwohl es klang, als ob sie es nicht geglaubt hätte.

»Hast du schon einmal farbige Engel gesehen?« Auch Frauke war von dem Anblick fasziniert. »Es strahlt Unschuld aus.«

Julia schüttelte den Kopf. »Engel sind immer weiß.« Doch dann grinste sie. »Ich wusste nur nicht, dass sie ein so strenges Korsett tragen müssen.«

»Tragen dürfen.« Patricia lächelte. »Du weißt wirklich noch nicht viel. Aber dafür bin ich hier.« Sie streckte ihre Hand aus. »Darf ich mal?«

Julia gab ihr das Korsett.

»Es ist sogar kleiner als meines.« Patricia war sichtlich fasziniert. »Aber sehr schwer. Sicher wegen der Korsettstangen.« Es wurde ihr klar, dass sie ihr eigenes Korsett so genau noch gar nicht bewundert hatte. »Sind die Stangen eigentlich Knochen oder Stahl?«

»Weder noch.« Die Schneiderin lächelte. »Es ist eine neue Art von Kunststoff und leichter als die Stahlstangen. Sehr gut geeignet für Korsetts.«

»Und dann wiegt es trotzdem so viel?« Patricia wunderte sich, doch sie gab der Schneiderin das Lederbündel wieder zurück.

»Es ist das Leder, welches so schwer ist. Es sind überall mindestens zwei Lagen.« Die Schneiderin zeigte einen Rand des Korsetts.

Patricias Blick entspannte sich. »Und natürlich auch wegen der Länge. Es reicht vom Kinn bis unterhalb der Hüften.«

Julia zuckte zusammen. »Dann kann ich mich ja nicht mehr hinsetzen.«

»Ja das ist richtig.« Die Schneiderin verteidigte ihre Arbeit. »Aber das wurde auch so bestellt. Nur das Halskorsett ist abnehmbar.«

»Lassen sie uns nach oben gehen.« Frau Hegel ging langsam zur Treppe und vergewisserte sich, dass die anderen ihr folgten.



Genauso schnell, wie sich Julia ausgezogen hatte, wurde sie von Frau Hegel von ihrer besonderen Unterwäsche befreit. Die Schneiderin hatte inzwischen ihre Tasche ausgepackt und stand mit dem Korsett bereit.

Und nicht minder schnell wurde sie von den drei Frauen in das Korsett eingeschnürt. Es ging so schnell, dass sie nicht einmal dazu kam, ihre steigende Erregung wahrzunehmen. Lediglich ihr Keuchen verriet ihre Anspannung. Zu keiner Zeit empfand Julia es negativ, und erst, als sie Fraukes Hände auf dem weißen Leder sah, aber nichts davon spürte, begriff sie, dass die Frauen schon fertig waren.



»Ich bewundere sie.« Die Stimme der Schneiderin strahlte ehrliche Bewunderung aus. »Ich wäre in so einem Korsett völlig hilflos.«

Julia blickte etwas unsicher an sich herunter. »Es ist wichtig für die Engel, vermute ich.«

»Sie müssen in der Lage sein, dieses Korsett tragen zu können.« Frau Hegel wollte Julias Gedanken in die richtige Richtung lenken. »Es ist Teil der Prüfung, die sie ablegen müssen.«

»Ich muss eine Prüfung ablegen?« Julias musste wieder an ihren Albtraum denken.

Patricia kam ihr zu Hilfe. »Es ist nicht so schlimm wie es sich anhört. Es ist halt aufwendig.« Sie blickte zu Frau Hegel und zur Schneiderin. »Wenn sie erlauben, würde ich auch gern beim Ausprobieren helfen.« Sie erinnerte sich noch an den Moment, an dem sie ihr eigenen Korsett bekommen hatte. Ein wenig bedauerte sie Julia, weil diese nur so wenig Zeit hatte, sich an die besondere Strenge des Korsetts zu gewöhnen. Doch da sie wusste, was ihre Mutter von ihr erwartete, war sie bereit, Julia bei diesen Momenten zu unterstützen.

Außerdem wusste sie, dass Julia ihre Partnerin werden würde, und sie war bemüht, viel Vertrauen aufzubauen, denn sie wusste, dass dies wichtig war.

»Und das Korsett gibt es auch noch vom Kinn bis zu den Knöcheln?« Julia keuchte erneut, als sie dies fragte.

»Ich musste oder besser durfte einmal so eines anfertigen.« Die Schneiderin war sichtlich bewegt. »Und ich kann nur sagen, dass die betreffende Dame sehr zufrieden war.«

»Ich fühle Geborgenheit.« Julia wollte ihre Gefühle aussprechen. »Ich weiß, dass mir so nichts passieren kann.«

»Nur weglaufen kannst du nicht mehr.« Frauke war sichtlich fasziniert.

Julia wollte ihrer Freundin das Gegenteil beweisen, doch sie stellte fest, dass sie ihre Beine nur noch sehr eingeschränkt bewegen konnte. Enttäuscht gab sie auf. »Trotzdem, es fühlt sich schön an.«

»Es ist wichtig, dass sie jetzt ganz ehrlich sind.« Die Stimme der Schneiderin wurde auf einmal sehr ernst. »Es ist wichtig, dass sie jetzt wirklich die Wahrheit sagen. Wenn es irgendwo drückt oder zwickt, dann müssen sie es jetzt sagen.«

Bedingt durch die Vorrede musste Julia erst einmal schlucken, bevor sie antworten konnte. »Ich verspreche es.«

»Es ist ganz wichtig«, ergänzte Frau Hegel. »Jetzt können wir noch etwas ändern lassen.«

Julia erkannte, was die Worte bedeuteten. Doch sie musste sich selbst eingestehen, dass die Schneiderin ihr Handwerk wirklich gut verstand. Doch dann dämmerte ihr noch etwas Anderes. So schön, wie sich das Korsett jetzt anfühlte, würde es sich auch in Zukunft anfühlen, wenn sie vielleicht in einer weniger bequemen Lage sein würde. Sie hatte zwar keine Idee, wie es noch strenger werden könnte, doch sie musste eingestehen, dass das Korsett bisher sehr bequem saß.

»Bitte versuchen sie mal eine Kniebeuge.« Die Schneiderin hatte sich einen Notizblock und etwas zu Schreiben in die Hand genommen.

»Das wird nicht gehen.« Julia schüttelte den Kopf.

Patricia hatte bisher schweigend zugeschaut, doch jetzt mischte sie sich ein. »Ein Engel widerspricht nicht. Er macht stets das, wozu er aufgefordert wurde.« Sie holte tief Luft. »Und wenn es demütigend zu sein scheint, dann ist das auch so gewünscht.«

Frau Hegel musste erst einmal Luft holen, bevor sie zu einer Antwort fähig war. So einen Satz hätte sie selbst nicht gesagt, auch wenn er der Wahrheit entsprach.

Julia kam ihr zuvor. »Oh ja, Entschuldung. Das ist alles noch so neu für mich.«

Doch die Schneiderin konnte sie beruhigen. »Es soll sie aber nicht demütigen. Vielmehr möchte ich sehen, wie sich das Korsett verhält, wenn sie es wirklich belasten.«

Jetzt erkannte Julia die Zusammenhänge. »Ja, natürlich.« Sie versuchte eine Kniebeuge, doch sie stellte fest, dass sie sich bedingt durch das lange Korsett nicht mehr viel bewegen konnte. Trotzdem versuchte sie mit aller Kraft, dem Wunsch der Schneiderin nachzukommen.

»Streng dich ruhig an.« Patricia versuchte die Studentin zu ermutigen. »Du kannst dich auf die gute Arbeit verlassen.«

Doch die Schneiderin widersprach. »Noch sind die Nähte nur einfach genährt. Wenn ich fertig bin, sind alle wichtigen Stellen mindestens doppelt genäht, damit das Korsett auch wirklich belastbar ist.«

Frauke hatte bisher atemlos zugesehen, doch jetzt konnte sie ihre Neugier nicht mehr im Zaum halten. »Die Männer wollen das so?«

Frau Hegel war über die Frage nicht verärgert, ganz im Gegenteil, sie lächelte. »Die Männer kennen sich mit dem weiblichen Körper nicht aus. Nein, das sind Erfahrungen von Frauen, die seit vielen Generationen so weiter gegeben werden.«

»Und warum muss es so streng sein?« Frauke war auf der einen Seite fasziniert, andererseits sorgte sie sich um Julia.

»Es erleichtert die richtige Haltung, und verhindert nebenbei auch ungebührliches Benehmen.« Patricia gab wieder, was sie schon von ihrer Mutter erfahren hatte. »Das Korsett ist so streng, dass die Trägerin sich vorher jede Bewegung gut überlegt, damit es keine unnötige Anstrengung ist.«

Julia keuchte trotz ihres Lächeln. »Klingt plausibel.« Sie blickte verliebt zu Frauke, während sie zur zweiten Kniebeuge ausholte.

Frauke erwiderte den Blick sehr fasziniert. »Wenn du dazu noch den Handschuh trägst…« Sie machte einen Kussmund.

Julia verdrehte verliebt die Augen.

* * *

Peter Behrens stand vor Hegels Grundstück, weil er sich schon einmal die Arbeit ansehen wollte, die sie von ihm erwarteten. Auch wollte er in Erfahrung bringen, ob er eventuell noch eigene Gartengeräte mitzubringen hatte. Er hatte gerade geklingelt, doch als er sah, wer die Haustür öffnete, erstarrte er.

»Was machst du denn hier?« Patricias Herz begann auf einmal laut zu schlagen.

»Ich soll hier im Garten arbeiten.« Er war noch sehr verwundert. »Und jetzt wollte ich mir ansehen, was zu tun ist.«

Frau Hegel war ebenfalls an die Tür gekommen und begrüßte den Hobbygärtner. »Naja, sie werden doch sicher auch mit uns zu Abend essen wollen.«

Peter realisierte erst nach einer gewissen Zeit, dass sie gerade dabei war, ihm und Patricia eine Brücke zu bauen. »Es ist gar kein Zufall…« Er war ein wenig enttäuscht. »Du hast sie darum gebeten?«

»Sie wusste nichts davon.« Frau Hegel musste Patricia in Schutz nehmen. »Ihre Mutter hat mich darum gebeten.«

»Dann haben sie gar keine Gartenarbeit?« Peter wusste immer noch nicht, was er von der neuen Situation halten sollte.

»Doch schon, das Staudenbeet wollte ich immer schon mal umsetzen.« Sie deutete in eine bestimmte Richtung. »Aber die Arbeit wird sie sicher nicht das ganze Wochenende ausfüllen.«

»Du arbeitest hier?« Patricia begann zu begreifen, dass ihr heimlicher Freund wirklich die Wahrheit gesagt hatte.

»Ich werde für das ganze Wochenende bezahlt.« Peter blickte verliebt zu Patricia. »Dann will ich mich auch nützlich machen.«

»Das höre ich gern.« Frau Hegel griff den Gedanken auf. »Wenn sie mit der Arbeit fertig sind, dann könnten sie Frau Wiesl bei der Betreuung der Engel helfen.«

»Frau Wiesl?« Peter runzelte die Stirn. »Wer ist das?«

»Eine Freundin unseres Engels.« Sie deutete mit der Hand nach oben. »Sie sind gerade in ihrem Zimmer.«

Peter beschloss, nicht weiter nachzufragen. Stattdessen begann er sich auf die Aussicht zu freuen, fast ein ganzes Wochenende mit Patricia verbringen zu dürfen.

»Natürlich möchte Patricia auch für die Engel trainieren.« Frau Hegel streichelte der Tochter von Vogels leicht über den Kopf. »Schaust du einmal nach ihnen?«

»Ich bringe eben mal meine Tasche nach oben.« Patricia war sensibel genug, um zu spüren, dass Frau Hegel mit ihrem Freund allein sein wollte. Sie ging zügig nach oben.



»Ja, dass sie trainieren will, überrascht mich nicht.« Peter seufzte. »In der Richtung ist sie ja sehr ehrgeizig.« Er seufzte erneut. »Auch wenn sie mir nicht erklären kann, warum sie das macht und so viel auf sich nimmt.«

Frau Hegel fragte sich, ob er über ihre besondere Unterwäsche Bescheid wusste. Sie versuchte eine indirekte Frage. »Sie bringt dafür große Opfer.«

»Ja, ich weiß.« Peter verdrehte die Augen. Doch dann wurde er stutzig. »Warum trägt sie so etwas?« Er hoffte sehr, dass er vielleicht von Frau Hegel eine Antwort bekommen würde.

»Es verleiht ihr Sicherheit. Mit dieser Rüstung weiß sie, dass ihr nichts passieren kann.« Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie wirklich über das gleiche Thema sprachen.

»Sie trägt ja auch gern diese seltsame Armhülle auf dem Rücken.« Er erinnerte sich an die heimlichen Treffen an der Grundstücksgrenze.

»Sie meinen den Monohandschuh?« Frau Hegel war überrascht, dass er den Handschuh offensichtlich schon gesehen hatte.

»Mo-no-hand-schuh?« Er sprach das Wort Silbe für Silbe aus, dann glitt ein Lächeln über sein Gesicht. »Das ist ein passender Name. Ich verstehe nur nicht, was sie daran so toll findet. Es macht sie doch so hilflos.«

»Aber es verleiht ihr eine besondere Haltung.« Frau Hegel machte einen verträumten Eindruck. »Und sie erweckt damit einen Beschützerinstinkt. Oder nicht?« Sie lächelte.

Peter bestätigte es. »Aber sie präsentiert sich dann auch besonders aufreizend.«

Die Frau des Professors horchte auf. »Es gefällt ihnen also?«

Er war verlegen. »Ja, ich möchte sie dann immer sofort in den Arm nehmen. Leider sind wir ja nie allein, wenn sie ihn trägt. Aber sie präsentiert sich damit auch besonders aufreizend.«

»Versuchen sie sie zu unterstützen.« Frau Hegel hoffte, den richtigen Ton zu benutzen. »Sie macht etwas, was nicht einfach für sie ist. Und sie kann dabei jede Unterstützung gebrauchen.«

»Aber warum tut sie sich das an?« Er wollte zeigen, dass er sich wirklich für sie und ihre Beweggründe interessierte.

»Das lässt sich nicht so einfach erklären.« Frau Hegel seufzte. »Es ist eine wichtige Tradition der Familie, und alle sind stolz auf Patricia, weil sie sich als einzige der drei Töchter darauf eingelassen hat.«

»Das beantwortet aber nicht meine Frage.« Er fragte sich, woher er den Mut nahm.

»Warten sie einfach ab, dann werden sie es auch verstehen.« Sie holte tief Luft. »In gut einer Woche werden sie es erfahren.«

»Schon wieder dieser Termin.« Peter sah sehr nachdenklich aus. »Pat hat mir mehrmals erzählt, dass das Wochenende sehr wichtig für sie ist, aber sie wollte mir nicht sagen, worum es geht.«

»Sie möchte ein Engel werden, genauso wie unsere Julia.« Sie sprach das aus, was sowieso schon bekannt sein durfte.

»Was hat es mit diesen Engeln auf sich?« Seinem Tonfall war zu entnehmen, dass er diese Frage nicht zum ersten Mal stellte.

»Warten sie einfach noch diese Woche ab, dann werden sie es erfahren.« Sie hoffte, dass ihm die Antwort ausreichen würde.

Als Antwort runzelte Peter die Stirn.

»Sie werden sie doch begleiten, oder?« Frau Hegel sah eine weitere gute Gelegenheit.

»Ich weiß es nicht.« Peter zuckte mit den Schultern. »Sie hat mich bisher nicht gefragt.«

»Hätten sie denn Zeit?« Frau Hegel wunderte sich ein wenig.

»Ich könnte es mir einrichten. Aber sind sie sicher, dass es wirklich richtig ist?« Er verwies auf die schwierige Familiensituation.

»Ja, da könnten sie allerdings recht haben.« Doch insgeheim musste sie innerlich lächeln.

* * *

Die ersten Bewegungen in ihrem neuen Traumkleid hatte Tara sich ganz anders vorgestellt. Doch da der Detektiv im Salon wartete, führten ihre Schritte sie vom Ankleidezimmer direkt zum Fahrstuhl, der gleich neben dem Ankleidezimmer die einzelnen Stockwerke der Villa miteinander verband. Sie wusste, dass sie mit dem Rock auf keinen Fall Treppensteigen konnte, und wenn der Lift abgeschaltet war, dann war sie im den jeweiligen Stockwerk gefangen. Der Fahrstuhl war gemäß den Gepflogenheiten ihres Heimatlandes eingerichtet, und so konnte sie leicht den Knopf für das Erdgeschoss mit der Nase betätigen.

Sie hatte dem Detektiv damals beim Auftragen extra eine Broschüre über die Gepflogenheiten in ihrem Land mitgebracht, und sie hatte deswegen erwartet, dass er sie auch lesen würde. Immerhin wurde darin Pünktlichkeit als eine der ganz großen Tugenden ihres Landes gelobt. Doch jetzt war sie es selbst, die unpünktlich war. Sie versuchte ihren Ärger darüber nicht zu zeigen.

Den anderen Aspekt hatte sie verschwiegen, wenn er doch aus Sicht ihres Landes viel wichtiger war. Eine Adelige ihres Landes hatte das Privileg, Fesseln tragen zu dürfen, um so ihren Status deutlich zu machen. Natürlich wurde es anders formuliert und auch betrachtet, aber letztendlich lief es auf das gleiche hinaus.

Tara war insgeheim sehr fasziniert von dieser Regel, denn obwohl sie eine Bürgerliche war, kam sie bedingt durch das Amt ihres Vaters von Zeit zu Zeit zu dem Vergnügen, an diesem Privileg ebenfalls teilzunehmen. Und es störte sie überhaupt nicht, dass sie dabei nur violette Fesseln tragen durfte. Doch leider gab es dafür auch noch einen ganz anderen Grund, und der war wesentlich unerfreulicher.

Der eigentlich sehr kurze Weg in den Salon dauerte sehr viel länger, als sie es eigentlich erwartet hätte. Natürlich lag das daran, dass sie wegen des sehr strengen Gummizuges ihre Beine fast gar nicht mehr bewegen konnte. Ihre ersten Schritte in dem Traumkleid hatte sie sich eigentlich anders ausgemalt, doch jetzt war sie bemüht, in dem ultrastrengen Kleid so schnell wie es noch möglich war, vorwärts zu kommen. Sie war froh, dass ihre Stiefel so hohe Absätze hatten, dass sie quasi auf Zehenspitzen lief. Dadurch war die tatsächliche Auflagefläche der Schuhe so kurz, dass sie ihre Füße selbst in dem so engen Rock voreinander stellen konnte und so überhaupt noch kleine Schritte machen konnte, mit denen sie noch einigermaßen voran kam.

Auf das Kleid, welches sie jetzt so stark behinderte, hatte sie schon sehr lange gewartet und entsprechend daraufhin gefiebert. Als der erste Kostenvoranschlag der Schneiderin gekommen war, war sie völlig niedergeschlagen, denn die Summe belief sich auf einen fünfstelligen Betrag. Trotzdem hatte sie es gewagt, ihrem Vater das Schreiben zu zeigen. Sie war sehr überrascht, als er ankündigte, alles bezahlen zu wollen.

Tara wollte es zuerst nicht glauben, und erst, als er seine Tochter darauf aufmerksam machte, dass der von ihr gewünschte Stoff so teuer war und die Schneiderin nur ihren gewöhnlichen Stundenlohn berechnet hatte, begann sie langsam wieder Hoffnung zu haben.

Vorausgegangen waren mehrere Beratungen mit der Schneiderin, in denen es darum ging, welche von ihren vielen sehr restriktiven Ideen umsetzbar sein würde. Sie vertraute der Schneiderin, denn sie war neben Onkel Herbert die einzige, die in Taras Geheimnis eingeweiht war. Entsprechend war sie sehr bemüht, das in sie gesetzte Vertrauen nicht zu enttäuschen, und ehrgeizig, die Wünsche möglichst detailgetreu umzusetzen oder passende Alternativen vorzuschlagen.

Ursprünglich wollte sie das Korsett für dieses Kleid durchgängig bis zu den Waden haben, doch die Schneiderin konnte sie davon überzeugen, dass hier ein Minimum an Flexibilität erhebliche Vorteile für einen sehr langen Tragezeitraum bieten würde. Was die dazu notwendigen Toilettengänge betraf, hatte sie sich schon vor langer Zeit eine Lösung bei ihrer Frauenärztin legen lassen, so dass sie notfalls über mehrere Tage ohne Wechsel der Kleidung auskommen konnte.

Dass das Korsett ihr die Bauchatmung nahm und sie auf Brustatmung angewiesen sein würde, darüber wusste sie ebenfalls Bescheid. Sie hatte stets auf ihre Schneiderin gehört, und wenn diese gesagt hatte, dass sie noch nicht so weit sei, das ganz strenge Korsett zu tragen, dann hatte Tara es akzeptiert. Denn die Schneiderin war neben ihrer Mutter die einzige Person, von der Tara sich etwas sagen ließ.

Und das Korsett, welches jetzt in dem Kleid eingearbeitet war, war das ultimativ strengeste, was für ihren Körper überhaupt möglich war, und sie hatte sie sehr gefreut, als sie beim Durchsprechen der Anforderungen dieses Mal für alle Punkte grünes Licht bekommen hatte.

Anfangs wollte sie auch noch eine Versteifung der Hüft- und Kniegelenke durch das Korsett, doch die Schneiderin überzeugte sie davon, dass ein sehr strenger Gummizug einen ähnlichen Effekt haben würde, aber noch ein gelegentliches Ausruhen ermöglichen würde. Doch Tara war erst überzeugt, als sie einen Versuchsrock aus dem vorgeschlagenen Material tragen durfte.

* * *

Patricia war immer noch etwas unsicher darüber, ob Hegels wirklich mit ihrer Übernachtung gerechnet hatten. Doch als sie Julias Zimmer betrat, sah sie sofort, dass das Bett wirklich genug Platz für zwei Personen bieten würde.

»Ich wollte meine Tasche hochbringen.« Patricia war noch sehr unsicher, wie sie Julia begegnen sollte. »Wo werde ich schlafen?«

»Wirst du auch hier übernachten?« Julia fühlte eine gewisse Verbundenheit zu Vogels Tochter.

»Ich denke schon?« Patricia stellte ihre Tasche neben sich.

Frauke schien eingeweiht zu sein. »Du hast das Engelsnachthemd dabei?«

»Ja, ich musste es einpacken«, seufzte Patricia. Es wurde deutlich, dass sie sich wegen dem Nachthemd etwas schämte. Sie beugte sich zu ihrer Tasche hinunter und öffnete sie.

»Kein Grund, sich zu schämen«, lächelte Frauke. »Julia freut sich schon darauf, dass du neben ihr liegen wirst.«

Patricia griff in die offene Tasche und holte das Nachthemd heraus. Erst als sie es in der Hand hatte, erkannte sie, dass Julias Nachthemd auf dem Bett lag. Mit ein wenig zitternden Beinen trat sie darauf zu und legte ihres daneben.

»Bei dir sind die Schnallen auch unsymmetrisch angebracht.« Julia hatte es bei ihrem Nachthemd zwar wahrgenommen, hatte es aber eher für Zufall gehalten.

»Das hat einen ganz bestimmten Zweck«, grinste Frauke. »Legt die beiden Nachthemden einmal direkt nebeneinander.

»Jetzt sehe ich es.« Julia war fasziniert. »Die Schnallen passen zueinander.«

»Wenn man durch die Schnallen eine Schnur zieht und diese festspannt, dann seit ihr in der Nacht unzertrennlich.« Es fiel Frauke nicht leicht, auf diese Tatsache hinzuweisen.

Julia hatte noch ein anderes Detail entdeckt. Wie auch bei ihrem Nachthemd war an dem Kragen, der in Wirklichkeit ein Halskorsett war, der kleine Schriftzug ‚ANGELARVM ARCANUM‘ aufgenäht.

* * *

Jasmin öffnete die Tür zum Salon und trat ein. Sie hielt die Tür auf und blickte nach draußen in den Korridor. Langsam, sehr langsam näherte sich dort ihre Schwester dem Salon.

Hans war sofort aufgestanden - einerseits aus Höflichkeit, aber noch viel mehr, weil ihm sofort an der Gestalt Taras einige Sachen aufgefallen waren. Obwohl sie sich sehr hektisch bewegte, kam sie nur zentimeterweise voran, und Hans konnte erkennen, dass sie so gut wie keine Beinfreiheit hatte. Doch was ihn am meistens verwunderte war, das der Rock keine Anzeichen von Spannung zeigte, obwohl er sehr eng zu sein schien.

Ebenso nahm er ein schnelles Atmen war, und als er an der Gestalt von Tara emporblickte, war es ihm sofort klar, dass sie offensichtlich ein Korsett darunter trug. Ein strenges Korsett, denn ihr Oberkörper zeigte, dass sie nur noch mit dem Brustkorb atmen konnte.

Noch etwas störte ihn an dem Anblick, doch einige Zeitlang erkannte er nicht, was es war.

Jasmin hatte die bei Salontür wieder geschlossen und trat jetzt zu ihnen heran. Sie räusperte sich. »Bitte halten sie meine Schwester nicht für unhöflich, aber sie kann ihnen nicht die Hand reichen.« Stattdessen reichte sie ihm selbst die Hand. »Im Namen von uns Schwestern möchte ich sie noch einmal herzlich im Konsulat begrüßen.« Sie strahlte dabei eine Routine und Sicherheit aus, die ihn vermuten ließ, dass sie oft so Gäste begrüßte.

Hans konnte nur schlucken. Jetzt realisierte er, was ihm bisher bisher entgangen war. Taras Arme waren in diesem Kleid nicht sichtbar.

Tara kam langsam näher, und sie entschuldigte sich sofort. »Bitte verzeihen sie mir, dass ich sie habe warten lassen.« Das Oberteil ihres Kleides zeigte an, dass sie versuchte Luft zu holen. »Aber ich habe seit einem halben Jahr auf dieses Kleid gewartet, und heute wurde es endlich geliefert.« Sie keuchte ein wenig, dann drehte sie sich langsam einmal um sich selbst.

Hans erkannte jetzt, was dieses Mal mit Taras Armen passiert war. Auf ihrem Rücken war deutlich zu sehen, dass sie in dem Kleid integriert waren. Es war ihr praktisch unmöglich, ihre Arme zu bewegen.

»Ich habe es mir selbst ausgedacht.« Tara strahlte bis über beide Ohren, als sie sich wieder zu ihm gedreht hatte. »Gefällt es ihnen?«

»Tara!« Jasmin protestierte. »Zieh ihn da nicht mit hinein.«

Er ahnte, dass sich eine weitere Frage zu dem Kleid verbot, genauso wie eine Frage nach dem Kostüm, welches sie in damals in seiner Kanzlei getragen hatte. Er hätte zu gern gewusst, ob die Ärmel der Jacke angenäht waren, doch als er sie jetzt in diesem Schlauchkleid sah, wurde ihm bewusst, dass die Antwort ‚Ja‘ lautete, auch wenn er überhaupt nicht verstand warum.

»Setzen wir uns doch bitte dort an den Kamin.« Tara versuchte ihren Kopf zu drehen, um mit ihrem Blick ihre Aussage zu bekräftigen, doch mehr als ein Zucken mit dem Kopf brachte sie nicht zustande. Sie musste sich mit dem ganzen Körper drehen und konnte erst dann in die entsprechende Richtung blicken.

Hans war mehr als fasziniert. Zuerst hatte er das Spitzengewebe nur für einen hohen Kragen gehalten, der fast bis an ihr Kinn heran reichte, doch so langsam erkannte er, dass sie tatsächlich ein restriktives Halskorsett trug, welches die Bewegungen ihres Kopfes drastisch einschränkte.

Langsam ging Hans hinter Tara her und genoss jeden Moment den Anblick, den ihm von hinten bot. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauten. Das, was dieses junge Mädchen ‚Kleid‘ nannte, war in Wirklichkeit ein sehr restriktives Gefängnis, welches ihr nur noch ganz wenig Bewegungsspielraum in den Beinen ließ, und die Arme waren vollständig in dem schlauchähnlichen Seidenkleid eingeschlossen. Bei jedem Schritt von ihr zeigte sich ein Zucken in den Armen und machte so deutlich, dass sie völlig in dem Kleid gefangen war.

Er hatte große Mühe, seine Faszination zu verbergen. Was würde er dafür geben, wenn seine Susi einmal in so einem Kleid zum Dienst kommen würde. Doch dann verwarf er den Gedanken wieder. In dem Kleid würde sie überhaupt nichts tun können, und damit wäre ihre Anwesenheit zwar reizvoll, aber auch nutzlos. Und es gab genug Arbeit, die erledigt werden musste.

Ohne das Tara etwas gesagt oder angedeutet hatte, trat ihre Schwester auf sie zu und half ihr, sich auf das kleine Sofa zu setzen. Erst dann nahm sie selbst auch Platz.

Hans war noch dabei zu überlegen, ob er sich auch einfach setzen dürfe, als er von Tara angesprochen wurde. »Setzen sie sich doch bitte auch, Herr Reitzig.« Sie versuchte zu dem Sesseln zu blicken, doch sie stellte fest, dass sie ihren Kopf nicht mehr so weit drehen konnte.

Jasmins Augen waren die ganze Zeit auf ihre Schwester gerichtet, und den kurzen Versuch schien sie bemerkt zu haben. Sie drehte sich kurz zu Hans und deutete ihrerseits auf den Sesseln, der neben dem Sofa stand.

Hans kam der Bitte nach und setzte sich zu den beiden Schwestern. Er hatte es zwar gehört, aber er wollte es nicht glauben. »Dieses Kleid haben sie sich selbst ausgedacht?« Er hatte etwas Zweifel im Blick.

Doch Tara verstand den Blick anders als er eigentlich gemeint war. »Nun ja, die Grundidee geht auf einen Holländer zurück. Ich habe viele von seinen Ideen aufgegriffen und kombiniert.«

Hans wollte erst widersprechen und seine Frage korrigieren, doch entdeckte er den Stolz in Taras Augen. Er beschloss, dieses Thema nicht weiter zu verfolgen.

Er wusste, dass Susi auch sehr enge Klamotten mochte, doch dies war kein Vergleich zu dem Anblick, den die Konsulstochter hier bot. Sie konnte ihre Arme oder Beine nur minimal bewegen, trug offensichtlich ein sehr strenges Korsett, und sogar der Hals war durch ein Halskorsett in seiner Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Die junge Frau konnte sich wirklich kaum noch bewegen, und gerade deshalb fragte er sich, wie dies zu der Biographie und insbesondere zu ihrem Doktortitel passte, die Susi und er über sie herausgefunden hatten.

»Haben sie die Ergebnisse dabei?« Tara kam ohne weiteres Zögern sofort zum eigentlichen Zweck des Besuches.

Er hatte die Mappe die ganze Zeit in seiner Hand gehalten, er hob kurz die Hand, um sie Tara zu reichen, doch dann stutzte er. Wie sollte Tara die Mappe denn entgegen nehmen?

»Geben sie die Mappe bitte meiner Schwester.« Tara lächelte verlegen. »Mit meinem neuen Kleid kann ich sie ihnen leider nicht abnehmen.«

Es kam selten vor, dass Hans mit seinen Nerven nicht bei der Sache war, doch heute zitterte er, als er die Mappe Jasmin reichte.

Tara übersah es höflich. Sie drehte sich andeutungsweise kurz zu ihrer Schwester. »Kannst du bitte davon Kopien machen und es in die Maschine einspannen?« Sie lächelte verlegen. »Ich möchte es heute Abend noch lesen.«

Jasmin verdrehte deutlich sichtbar die Augen, doch dann bestätigte sie die Anweisung ihrer Schwester.

Hans räusperte sich. »Da wäre aber noch etwas.« Er machte eine bedeutsame Pause. »Ich weiß aber nicht, ob es wirklich wichtig ist.« Es reizte ihn, noch mehr über seine Klientin zu erfahren, deswegen versuchte er unauffällig seinen Aufenthalt zu verlängern.

»Erzählen sie bitte.« In diesem Moment wirkte Tara zunächst etwas gelangweilt und ungeduldig.

Hans holte tief Luft. »Ich habe erfahren, dass noch ein Mädchen für den Engelslehrgang angemeldet werden soll.«

Tara richtete sich auf. »Erzählen sie bitte, was haben sie erfahren?« Ihre Miene zeigte auf einmal großes Interesse.

»Sie heißt Julia Sommer und wohnt im Moment bei einem Professoren-Ehepaar in München Grünwald.« Er zögerte ein wenig.

»Was wissen sie alles über sie?« Tara wirkte auf einmal sogar angespannt.

»Nicht viel«, musste Hans eingestehen. »Mein Kollege aus München hat das in Erfahrung gebracht. Er hat nur herausbekommen, dass sie wohl seine Studentin ist. Eigentlich war dort nur Patricia Vogel zu beobachten, doch über die Familie hatte er von dem anderen Mädchen erfahren.«

Die Mutter hätte getobt – immerhin hatte sie den Auftrag maßgeblich vorangetrieben. Doch Tara an sich war weniger ehrgeizig. »Gibt es sonst noch etwas wichtiges?«

Hans verneinte zuerst, doch dann hielt er inne. »Ich würde schon gern noch etwas fragen, wenn sie es mir erlauben.« Er hatte einen ersten Verdacht wegen Taras Kleid, und dem wollte er versuchsweise nachgehen.

Tara war die Anwesenheit eines fremden Mannes nicht unangenehm, deswegen bat sie ihn, seine Fragen zu stellen.

»Wie lange brauchen sie zum Anziehen dieses Kleides?« Er war so fasziniert davon, dass er es riskierte, wegen Indiskretion hinausgeworfen zu werden.

Jasmin schien sich verschluckt zu haben, sie musste husten.

Tara lächelte nur. »Das kann ich nicht sagen, weil es heute erst geliefert wurde und heute die Schneiderin selbst dabei war.« Es freute sie insgeheim, dass der fremde Mann so ein Interesse an ihrem Kleid zeigte.

»Es muss an mehreren Stellen zugenäht werden, das macht es sehr aufwendig.« Jasmin antwortete ungefragt. »Ich denke mal, dass ich so zwei Stunden brauchen werde.« Sie dachte weiterhin darüber nach, dass Tara dabei in der Regel schon eine dieser Perlen im Mund trug, um sie an das Schweigen zu erinnern, welches bei der Ankleideprozedur erwünscht war. Doch sie hütete sich, diese Gedanken auszusprechen.

Hans ahnte, dass es für dieses strenge Kleid einen Grund geben musste, doch er traute sich nicht, so direkt danach zu fragen. Aber er wollte zumindest zeigen, dass er von diesem Entwurf sehr beeindruckt war. »Es ist sehr bewundernswert, wie gut sie mit diesen vielen Einschränkungen zurecht kommen.« Deutlicher wollte und konnte er nicht werden.

Tara gab sich gelassen. »Oh, das bin ich gewöhnt.« Doch dann lächelte sie. »Es ist allerdings das erste Mal, dass ich nur ein Kleidungsstück tragen muss, um so stark eingeschränkt zu sein.«

Es zerriss Hans in der Luft, doch er weigerte sich, seinem inneren Gefühl zu folgen und nach dem ‚Warum‘ zu fragen. Doch dann hatte er eine Ahnung. Es war ihm wieder eingefallen, was er in der Broschüre über Padogenien gelesen hatte, und so langsam glaubte er die Zusammenhänge erkannt zu haben. »Ihre Eltern sind bestimmt stolz auf sie, dass sie den Traditionen ihres Heimatlandes so genau folgen.«

»Sollte man meinen«, seufzte Jasmin. »Sollte man meinem.«

Erst jetzt fiel Hans auf, dass Jasmin in keiner Weise eingeschränkt war. Er fragte sich, ob es einen Grund gab, warum die beiden Schwestern so offensichtlich ungleich behandelt wurden.

Tara war über den sich anbietenden Themenwechsel sehr dankbar. »Waren sie schon einmal in unserem Land?«

»Ich habe mich darüber informiert«, antwortete Hans ganz offen. »Doch dorthin gereist bin ich noch nicht.«

»Es ist kein gastfreundliches Land.« Tara seufzte. »Zumindest nicht für Touristen.«

»Ich wüsste auch nicht, wer mich einladen sollte.« Er wollte zeigen, dass er sich mit den Gepflogenheiten dieses seltsamen Landes befasst hatte.

»Ja, manchmal sind sie sehr streng.« Tara seufzte. »Ich bin froh, dass ich hier so viele Freiheiten habe.«

Wieder musste Jasmin husten.

Tara blickte verärgert zur Seite. »Du weißt genau, was ich eigentlich meine.«

»Du hast ja recht.« Jasmin entschuldigte sich. »Aber denke doch einmal an heute Abend.«

Hans blickte beide Schwestern nur an – die Frage stand im Raum, doch er traute sich nicht, sie zu stellen.

Tara lachte. »Heute Abend muss ich meine Mutter bei einem Empfang vertreten.« Es wurde aus ihrer Aussage nicht klar, ob sie sich darüber freute, oder ob es nur eine lästige Pflicht war.

»Wir erwarten ein frisch verheiratetes Paar aus dem padogenischen Hochadel.« Jasmin fühlte sich genötigt, die Worte ihrer Schwester etwas zu präzisieren. »Und während sie hier im Konsulat sind, gelten auch für uns Schwestern die strengen Regeln aus unserem Heimatland.«

Hans blickte erneut auf Taras Kleid und er fragte sich, ob es wirklich noch etwas strengeres geben könnte, doch er hütete sich, etwas in der Art zu äußern.

* * *

Frau Hegel klopfte an die Tür zu Julias Zimmer und nach dem ‚Herein‘ fragte sie noch, ob sie Peter mitbringen dürfe. »Es gäbe etwas wichtiges zu besprechen.«

Von den drei Frauen hatte keine etwas dagegen.

Die Frau des Professors trat ein und hinter ihr betrat auch der Hobbygärtner das Zimmer. Als Frau Hegels Blick auf das Bett und die nebeneinanderliegenden Schlafsäcke fiel, musste sie lächeln. »Sie haben es also entdeckt?«

Julia und Patricia waren verlegen.

»Wir werden in der Nacht sehr nahe beieinander liegen.« Patricia blickte unsicher zwischen Frau Hegel und ihrem Freund hin und her.

»Da passt kein Blatt dazwischen.« Frauke war ähnlich verunsichert.

»Es wäre gut, wenn sie sich gleich daran gewöhnen.« Es sah zunächst so aus, als wäre der Satz für Julia und Patricia gedacht, doch tatsächlich blickte Frau Hegel Frauke und Peter an.

Zunächst kam von beiden noch keine Antwort.

Frau Hegel sprach mit der gleichen ruhigen Stimme weiter. »Julia und Patricia werden als Engel oft eine sehr große Nähe zueinander erfahren. Trotzdem sind sie nur Engel und dürfen selbstverständlich eine Beziehung zu einem anderen Partner haben.«

Peter und Frauke blickten sich verwundert an. Noch war keiner von beiden zu einer Antwort fähig. Frauke sprach das aus, was wohl beide dachten. »Wir sollten uns kennenlernen, wenn wir so viel miteinander zu tun haben werden.«

Peter blickte sehr verunsichert zu Patricia. Er war erleichtert, als sie ihn ansah und lächelnd nickte.

Er reichte Frauke die Hand. »Peter Behrens. Für dich natürlich Peter.«

Frauke erwiderte die Geste. »Frauke Wiesl, dito.«

»Sie werden das ganze Wochenende genügend Zeit haben, sich genauer kennenzulernen«, ergänzte Frau Hegel. »Und wenn sie erkannt haben, dass es wirklich keinen Grund zur Eifersucht gibt, dann schaffen sie es bestimmt, ihren Partnern in jeder Situation beizustehen und ihnen Kraft zu geben. Denn die werden sie brauchen.«

Sowohl Frauke als auch Peter blickten beide sehr ehrfürchtig drein. Nur langsam stimmten sie zu.

»Und natürlich dürfen sie sich auch gegenseitig helfen, wenn sie sehen, dass es Probleme gibt.« Frau Hegel sprach weiter. »Sie sollten dann nicht erst um Erlaubnis fragen müssen.«

»Eine verschworene Gemeinschaft sozusagen?« Peter sprach seine Gedanken aus.

»Ja, das trifft es sehr gut«, bestätigte Frau Hegel.

»Was werden meine Eltern nur dazu sagen?« Patricia seufzte tief.

Peter seufzte ebenfalls. »Ja, das könnte allerdings noch ein Problem werden.«

»Wenn sie sich einig sind und wirklich zusammenhalten, dann …« Frau Hegel sprach allerdings nicht weiter.

Frauke verstand es immer weniger. »Bitte entschuldigen sie, aber worum geht es gerade?«

Frau Hegel nahm Frauke beiseite und brauchte sie mit wenigen Worten auf den aktuellen Stand.

Frauke lächelte. »Romeo und Julia in Grünwald. Ich verstehe. Dann hoffen wir mal, dass die Liebe wirklich stark genug ist.« Dabei sah sie allerdings Julia an.

»Es gibt wegen den Engeln keinen Grund zur Eifersucht.« Frau Hegel wollte es noch einmal deutlich betonen. »Und sie machen es ihren Partnern leicht, wenn sie dies aktiv unterstützen.«

»Das klingt trotzdem irgendwie seltsam.« Frauke sprach leise.

Auch Peter stöhnte. »Nicht noch eine Baustelle.« Doch dann formte sich eine Idee in seinen Gedanken. Eine sehr verwegene Idee, doch sie ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

»Wenn sie möchten, können sie ebenfalls bei uns übernachten« Frau Hegel erklärte, dass sie noch ein weiteres Gästezimmer hatten.

Doch Peter lehnte ab. »Ich weiß dich ja in guten Händen.«

»Aber sie sollten zumindest so lange bleiben, bis sie eingeschlafen sind.« Frau Hegel versuchte noch ein wenig zu handeln.

* * *

Die Dienerin klopfte an der offenen Tür des Salons und wartete, bis sie die Aufmerksamkeit der Schwestern hatte. »Ich bitte an den Besuch des Herzogspaares erinnern zu dürfen.«

Tara freute sich schon sehr auf diesen Termin, auch wenn sie sich nach außen hin eher mürrisch gab. Es kam nicht allzu oft vor, dass sie ihren geliebten violetten Handschuh in Gegenwart von Fremden tragen durfte. Umso mehr freute sie sich auf den heutigen Abend, bei dem sie eine echte Herzogin aus Padogenien kennenlernen durfte.

Hans war sensibel genug, um sich als nächstes höflich zu verabschieden. Er stand auf.

Tara bedankte sich noch einmal für die geleistete Arbeit. »Nun, wir möchte ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.«

Jasmin erhob sich wieder. »Der Fahrer wird sie wieder zum Hotel bringen.«

Tara räusperte sich.

Jasmin erkannte sofort, was ihre Schwester ausdrücken wollte. »Sie können ihm natürlich auch ein anderes Ziel nennen.«

Hans lächelte verlegen. »Am liebsten würde ich zu Fuß gehen.«

»Das ist auch kein Problem.« Tara lächelte. »Genießen sie unser kleines Städtchen.« Sie wusste, dass er aus dem Süden von Deutschland angereist war.

Hans räusperte sich kurz. »Mir wurde noch etwas versprochen.« Er wollte nicht direkt nach seiner Bezahlung fragen.

»Ach ja, richtig.« Tara lächelte verlegen. »Jasmin, kannst du bitte den Umschlag holen? Er müsste auf Vaters Schreibtisch liegen.«

Mit einem warnenden Blick auf ihre Schwester verließ Jasmin den Raum.



Für einige lange Momente war Hans mit dem faszinierenden Mädchen allein. Es kostete ihn viel Kraft, ruhig stehen zu bleiben, auch wenn er sie gern einmal angefasst hatte, um noch den letzten Zweifel zu beseitigen. Er war sich sicher, dass sie unter dem Kleid auch noch ein Korsett trug und das hätte er gerne ertastet.

Doch Tara war genauso angespannt. Es reizte sie, sich von dem gut aussehenden jungen Mann anfassen zu lassen. Sie erkannte die besondere Gelegenheit sofort, trotzdem war sie noch unentschlossen, ob sie es riskieren könne. Schließlich war die Versuchung größer – und außerdem wäre es eine tolle Einweihung für das neue Kleid. »Würden sie mir bitte beim Aufstehen helfen?« Sie wusste nicht mehr, wann sie zuletzt die Hand eines Fremden auf ihrem Körper gespürt hatte.

Hans kam näher und legte ihr zunächst nur die Hand auf die Schulter, um sie so hochziehen zu können.

»Würden sie mich bitte kurz einmal umarmen?« Sie blickte zu Boden, als sie diesen Wunsch aussprach. Sie wusste, dass sie sowohl gegen jede Etikette als auch gegen den Rat ihrer Ärzte handelte, doch diesen Moment wollte sie für sich genießen.

Trotz seiner Anspannung kam Hans dem Wunsch nur zögernd nach. Doch kaum hatte seine Hand den Stoff berührt, als er ein Zittern in ihrem Körper spürte.

Sie hatte die Augen geschlossen, als der Orgasmus durch ihren Körper jagte und sie sich vertrauensvoll in seine Hände schmiegte.

»Was machen sie denn da?« Jasmin kam mit dem Umschlag zurück, und der Ärger stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.

Hans war der Meinung, nichts Falsches getan zu haben, er hielt Tara weiterhin fest, insbesondere weil er von ihr noch keine anderes Signal bekommen hatte. Der Moment war viel zu schön, um ihn jetzt schon zu beenden. Außerdem, aber das war ihm jetzt schon wieder ganz unwichtig, hatte er das wirklich sehr strenge Korsett unter ihrem Kleid gespürt.

Jasmin funkelte sie ihre Schwester böse an. »Kann man dich nicht mal eine Sekunde allein lassen?«

Hans war sehr verunsichert, weil er Jasmins Reaktion nicht wirklich nachvollziehen konnte. »Ihre Schwester hatte einen Schwächeanfall, und sie bat mich, sie festzuhalten.« Er konnte nicht verhindern, dass er dabei rot wurde, denn er wusste, dass sich etwas ganz anderes ereignet hatte. Er war noch tief beeindruckt davon, dass Tara einfach so in seinen Armen gekommen war.

»Aber jetzt können sie wieder loslassen.« Jasmins Blick zu ihrer Schwester war noch nicht wieder freundlicher geworden. »Nicht wahr, Tara?«

Tara versuchte zu Boden zu blicken. »Ja, natürlich.«

Hans war insgeheim fasziniert davon, wie streng das Halskorsett doch gearbeitet war. Jetzt, wo er es direkt vor Augen hatte, erkannte er auch den Grund. Von weitem hatte es so ausgesehen, als würde Tara nur einen Spitzenkragen tragen und zwischen der Spitze würde ihre Haut durchschimmern. Doch jetzt aus der Nähe erkannte er, dass es ein hautfarbener Stoff war. Stellenweise glaubte er sogar entsprechende Korsettstangen erkannt zu haben.

* * *

Patricia hatte lange über das nachgedacht, was Hegels offenbar von ihr erwarteten. Sie sollte mithelfen und mit ihrer eigenen Erfahrung dazu beitragen, aus Julia ebenfalls einen Engel zu machen. Sie hatte diesbezüglich ein langes Gespräch mit Frau Hegel geführt und sich am Ende noch etwas Bedenkzeit ausgebeten.

Eigentlich mochte sie solche Kungeleien überhaupt nicht, doch es gab viel, was dafür sprach.

Zum einen ging es um die Engel, und allein das war es eigentlich schon wert. Und dann war da auch noch die Aussicht, ein ganzes Wochenende mit ihrem Freund zusammen sein zu können. Natürlich hatte er im Garten zu arbeiten, aber er sollte dieser Frauke auch helfen, zusammen auf sie und Julia aufzupassen.

Insgesamt überwogen die Vorteile, und so beschloss Patricia für sich, gute Miene zum vielleicht bösen Spiel zu machen. Doch ihr bisheriger Eindruck von Julia war, dass sie sich bestimmt gut für einen Engel eignete, auch wenn sie gewisse nicht ganz unwichtige Fragen noch nicht klären konnte. Sie fragte sich, ob es dazu dieses Wochenende kommen würde. Sie selbst empfand keine Scheu, in Gegenwart von anderen kommen zu müssen, doch sie wusste nicht, wie ihre zukünftige Partnerin darüber dachte.

Sie lächelte. Sie wusste auch nicht, wie Peter darüber denken würde, wenn er es denn einmal mitbekommen würde. Gekommen war sie schon mehrmals in seinen Armen, allerdings ohne dass sie sich etwas davon anmerken ließ. Doch da waren sie jeweils auch allein gewesen.

* * *

Den Weg zur Eingangsportal ging Hans schweigend hinter Jasmin her. Doch an der Tür drehte sie sich zu ihm um. »Warum haben sie meine Schwester angefasst?« Vorbei war alle Höflichkeit, es klang nur noch Ärger und Wut in ihrer Stimme.

Hans war sichtlich verunsichert. »Sie hat mich darum gebeten.«

Jasmin hörte fast nicht zu. »Und warum haben sie sie in den Arm genommen?«

Hans fühlte sich zu Unrecht angeklagt. »Auch darum hat sie mich gebeten.«

Jasmin beruhigte sich ein wenig. »Sie haben also nicht meine Abwesenheit benutzt, um sie zu bedrängen?«

»Das würde ich nie wagen.« Er versuchte ein versöhnendes Lächeln. »In ihrer Hilflosigkeit weckte sie den Beschützerinstinkt in mir.«

»Ja, das stand zu befürchten.« Die Konsulstochter gab sich mit seiner Antwort zufrieden.

»Ich dachte erst, dass sie Kreislaufprobleme hat, denn sie zitterte.« Hans versuchte weiterhin, sich zu rechtfertigen.

Jasmin verdrehte die Augen. »Das Zittern hatte andere Ursachen.« Es wurde deutlich, dass sie genau wusste, was mit ihrer Schwester wirklich passiert war. »Das neue Kleid schützt sie leider nicht vor ungewollten Berührungen.«

Sie dachte einen Moment nach. Jeder im Haus, selbst der Chauffeur, wusste, dass eine Berührung von Tara verboten war, weil es ihr gesundheitliche Probleme verursachte. Das zumindest war die offizielle Begründung. Tara hatte in der Anfangsphase sich oft provozierend verhalten, um Berührungen zu erzwingen, doch mittlerweile wussten alle Angestellten Bescheid, und wann immer es Probleme zu geben schien, wurde sie, die Schwester, zu Hilfe genommen.

Jasmin und die Eltern waren die einzigen, bei denen es nicht passierte. »Nein, sie hatte einen Orgasmus.« Sie hatte schon lange keine Scheu mehr, so offen über ihre Schwester zu sprechen, wenn sie nicht dabei war.

Hans war sehr verwundert. Zu einer Antwort war er noch nicht fähig.

»Ich hätte nicht gedacht, dass sie die Gelegenheit so schamlos ausnutzen würde.« Sie sprach mehr zu sich selbst.

Hans erkannte erst langsam den ganzen Vorwurf. »Ich habe doch gar nichts gemacht. Sie hat mich nur gebeten, ihr beim Aufstehen zu helfen.«

»Und da haben sie sie angefasst.« Jasmin war zunächst sehr erbost, doch dann beruhigte sie sich wieder. »Entschuldigen sie bitte, sie konnten das nicht wissen.« Sie holte tief Luft. »Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass sie diese Gelegenheit nutzen würde.«

Hans war ein wenig erleichtert, als er erkannte, dass sich der Ärger der Konsulstochter eher auf ihre Schwester Tara als auf ihn bezog.

* * *

Frau Hegel nahm zunächst Patricia beiseite, als sie zu viert die Treppe herab kamen. »Wir würden sie gern um einen kleinen Gefallen bitten.«

Patricia fühlte gegenüber Hegels eine große Dankbarkeit, seit sie erkannt hatte, dass sie ein ganzes Wochenende mit ihrem Freund verbringen konnte. »Alles, was sie wünschen.«

»Unsere Köchin hat mich um Hilfe gebeten.« Sie hielt kurz inne. »Aber dafür müssten sie ihren Handschuh tragen.«

Patricia war sich nicht sicher, ob sie sich nicht verhört hatte. »Sie meinen den Monohandschuh?« Sie trug den Handschuh sehr gern, doch sie verstand noch nicht, wie sie damit Hegels würde helfen können.

»Ja, genau.« Frau Hegel räusperte sich. »Paula, die Tochter der Köchin, hat das bei uns gesehen, und jetzt möchte sie es ihrem Freund zeigen.«

»Das mache ich doch gern.« Ein breites Lächeln erschien auf Patricias Gesicht, denn sie hatte erkannt, worin der eigentliche Inhalt des Gefallen bestand. »Wann kommen sie vorbei?«

Doch Frau Hegel hatte noch nicht alles erklärt. »Wir gehen zu ihnen.«

Patricia verzog ein wenig das Gesicht. »Mit dem Handschuh darf ich aber nicht auf die Straße.«

Doch Frau Hegel lächelte nur. »Auch dann nicht, wenn sie darüber einen Umhang tragen?«

»Und der Handschuh ist dann nicht zu sehen?« Sie war hin und her gerissen, denn sie wollte Hegels sehr gern helfen. Doch genauso wollte sie sich an die Regeln halten, die ihre Eltern und zum Teil auch der Bund für die Öffentlichkeit erlassen hatten.

»Wenn wir uns treffen, dann suchen wir uns ein verschwiegenes Eck.« Frau Hegel gab sich verschwörerisch. »Und dann lassen sie Paula und ihren Freund schauen.«

Patricia zögerte noch.

»Natürlich nur, wenn sie sich sicher fühlen.« Frau Hegel versuchte, auf Patricia einzugehen. »Wir wollen sie nicht dazu zwingen.«

Patricia schwieg weiterhin. Sie wollte weder die Regeln des Bundes brechen, noch wollte sie Hegels enttäuschen.

Frau Hegel holte noch einen Trumpf hervor. »Ich glaube, diese Paula möchte so einen Handschuh für ihren Freund tragen.«

»Dann sollten wir sie unterstützen.« Ein vorsichtiges Lächeln glitt über Patricias Gesicht.

»Ich freue mich, dass sie einverstanden sind.« Frau Hegel war sichtlich erleichtert. »Julia und Frauke werden auch dabei sein. Natürlich nur, wenn sie der Anblick einer Handschelle nicht stört.«

»Handschelle?« Patricia war sehr verwundert.

»Das ist eine lange Geschichte.« Frau Hegel lächelte ein wenig verlegen. »Fragen sie morgen einmal danach.«



Auch Julia und Frauke waren sehr angetan von dem Gedanken, heute noch einmal nach draußen zu kommen. »Aber wie machen wir das mit den Handschellen, wenn du doch den Handschuh trägst?« Frauke gab sich besorgt.

»Ich habe schon darüber nachgedacht.« Frau Hegel hatte die offenen Handschellen schon in der Hand. »Stellen sie sich einmal nebeneinander.«

Frauke und Julia kamen der Aufforderung nach.

Frau Hegel gab Frauke die nächste Anweisung. »Jetzt legen sie den Arm um Julias Körper.«

Frau Hegel trat näher und befestige die eine Handschelle an Fraukes Handgelenk, und dann befestigte sie dir andere an Julias Gürtel.

Patricia lächelte, als sie mit Umhang und Monohandschuh auf sie zu kam. »Ich stelle jetzt keine Fragen, wenn ihr mir morgen das Warum erklärt.«

Frauke und Julia blickte sich verwundert an.

»Eure Frau Hegel hat mich vorgewarnt« Patricia gab sich verschwörerisch.

»Julia, hier wäre der Umhang für sie.« Frau Hegel legte ein großes Stofftuch um Julias Schultern und fixierte es mit einer Nadel. »Jetzt können wir gehen.«

* * *

Erst als er vor dem Konsulat stand, fiel ihm ein, dass er eigentlich gar nicht wusste, wo er in dieser Stadt war. Doch diese Tara hatte ihn so sehr in den Bann gezogen, dass er noch einige Zeit in der Nähe des Grundstücks bleiben wollte. Gegenüber hatte er bei der Hinfahrt ein kleines Café entdeckt, vielleicht hatten sie noch einen Platz mit Blick auf das faszinierende Konsulatsgebäude.

Immer wieder musste er über diese faszinierende Frau nachdenken, die ihr neues Kleid das erste Mal ausführte, soweit glaubte er das verstanden zu haben. Und doch war es kein Kleid, sondern ein langer Schlauch, der sowohl ihren Armen als auch ihren Beinen jegliches Freiheit nahm.

Von so einer Frau hatte er immer wieder geträumt, doch nie war er ihr so nahe gekommen wie an diesem Nachmittag, der so unspektakulär begonnen und mit einem Orgasmus in seinen Armen geendet hatte.

Vielleicht hätte er noch ein paar Worte mit dem aus dem Chauffeur wechseln können, doch er ahnte, dass dieses Personal äußert verschwiegen sein würde.

Er erinnerte sich noch deutlich an das Auftreten der Mutter bei dem damaligen Besuch, und damals hatte er den Eindruck, dass die Mutter die treibenden Kraft war. Doch seit der Begegnung heute hatte er seine Ansicht geändert. Diese junge Frau strahlte trotz dieses fesselnden Kleides so viel Energie und Selbstbewusstsein aus, dass er sich nicht mehr sicher war, wer eigentlich die treibenden Kraft in dieser Familie war.

* * *

»Ich dachte, du wolltest dir die Mappe mit den Dossiers ansehen?« Jasmin wusste natürlich über den Auftrag Bescheid, auch wenn sie selbst solche Maßnahmen eher ablehnte.

»Es sind nur wenig Seiten.« Tara wollte ihre Ruhe haben. »Die solltest du doch in die Lesemaschine einspannen.«

Jasmin verdrehte die Augen. »Wie bist du bloß an diesen Apparat gekommen?« Natürlich kannte sie die Geschichte der ‚Lesehilfe‘.

»Den hat mir Onkel Herbert empfohlen.« Tara verdrehte ebenfalls die Augen.

Jasmin war es gewöhnt, von den Sachen, die Tara lesen wollte, Kopien zu machen, und diese dann in die Maschine einzuspannen. Trotzdem sträubte sie sich auch gern ein wenig.

Die Maschine war ein Import aus Padogenien, denn dort hatte jedes adelige Haus mindestens eine solche Lesehilfe. Es gab sie in verschiedenen Größen – Tara besaß die kleine Ausführung, die 25 Blätter bedienen konnte. Es gab sie auch für 50 und für 100 Seiten, doch diese kamen wegen ihrer Größe für einen so weiten und aufwendigen Transport nicht infrage.

Die jeweilige Prinzessin war so in der Lage, zwischen 50 und 200 Seiten zu lesen und immer, wenn sie umblättern wollte, musste sie nur eines der beiden Pedale treten.

Taras Exemplar war von dem Hausmeister des Konsulats noch mit einen Motor versehen, so dass sie mittels zwei kleinen Druckknöpfen hin und her blättern konnte, selbst wenn ihre Arme und Beine fixiert sein sollten. Der Schalter zum Umblättern konnte flexibel in Taras jeweiliger Reichweite angebracht werden.

Genau genommen war Jasmin sogar froh über diesen Auftrag, denn sie selbst wollte mit den Engeln nichts zu tun haben. Sie hatte auch nie verstanden, warum Tara sich mit ihrem besonderen Alltag gerade dafür gemeldet hatte.

Im Gegenteil, sie hielt allenfalls sich selbst für besser geeignet, so ein Engel zu werden, doch ihre Mutter war anderer Meinung gewesen, dies hatte sie ihr gleich zu Beginn des Entscheidungsprozesses und der Bewerbung gesagt.

Und da das Konsulat für die Betreuung der Angehörigen einen recht ordentliches Budget vorgesehen hatte, konnte Jasmin für sie zurücktreten, und die Unterstützung ihrer Schwester wurde ihr mit einem eigenen Auto und diversen anderen Vorteilen versüßt.



Die Lesemaschine sah von vorn aus, wie ein großer Notenständer, der vor schmalen Kommode steht. Jasmin hatte die Dossiers schon kopiert und spannte sie jetzt auf die einzelnen Trägerplatten ein. Zu ihrer Erleichterung benutzte Tara die Maschine nicht so häufig. Für ihr Studium suchte sie oft Orte in der Öffentlichkeit auf, da sie paradoxerweise dort in Ruhe lesen konnte.

Vor dem ‚Notenständer‘ stand eine Art Barhocker, an den sich die jeweilige Prinzessin anlehnen konnte. Unten an dem Ständer waren die Pedale angebracht, mit denen die Prinzessin das Umblättern veranlassen konnte, ohne dafür eine Dienerin zu bemühen.

Der König selbst hatte sich diese Maschinen ausgedacht, um die Bildung unter seinen adeligen Damen zu fördern.

Die einzelnen Seiten waren jeweils durch Plastikfolien im Rahmen geschützt, so dass auch eine Prinzessin mit einer Perle im Mund (und das kam oft vor) die Seiten mit ihrem zwangsläufig auftretenden Speichel nicht beschmutzen konnte. Jasmin war es gewohnt, die Folien regelmäßig zu putzen.

* * *

Hans hatte in dem kleinen Café tatsächlich einen freien Platz mit gutem Blick auf das Konsulat bekommen. Doch während er auf das Haus schaute, tat sich lange Zeit nichts, so dass er Gelegenheit hatte, dass soeben Erlebte noch einmal zu durchdenken.

Immer wieder ging ihm durch den Kopf, dass er die Konsulstochter in den Armen halten durfte, während sie einen Höhepunkt hatte. Er hatte noch nicht erkannt, was dafür der eigentliche Auslöser war, doch er war von der so ultrahilflosen Gestalt mehr als fasziniert.

Es war der Widerspruch, der ihn so sehr beschäftigte. Die Frau strahlte sehr viel Selbstbewusstsein und Stärke aus, und trug doch eine Kleidung, die sie sehr einschränkte und ihr fast alle körperlichen Freiheiten nahm. Was ihn aber noch mehr beschäftige, war Taras Aussage, dass sie dieses Kleid, so wie sie ihr Gefängnis selbst nannte, sich selbst ausgedacht und nach ihren Anweisungen von einer Schneiderin hatte maß anfertigen lassen.

Auf einmal wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Vor dem Grundstück des Konsulats hatte ein Taxi gehalten, und der Fahrer war sehr hektisch bemüht, sich abschließend um seine Passagiere zu kümmern. Er musste ein sehr großzügiges Trinkgeld bekommen haben. Er öffnete zunächst die Tür hinter seinem Sitz, und ein gut aussehender junger Mann in Anzug stieg aus.

Der Fahrer ging um das Auto herum und öffnete die hintere Beifahrertür. Doch erst als der junge Mann sich in das Fahrzeug hinein gebeugt hatte, konnte seine Begleiterin ebenfalls aussteigen.

Hans erinnerte sich daran, dass von einem Besuch eines Herzogspaares die Rede war, und als er sah, dass Jasmin und ein weiterer Herr aus dem Konsulat herauskamen, ahnte er, dass dies der erwartete Besuch war.

Die junge Frau trug ein langes Kleid und einen Umhang. Mittlerweile ahnte Hans, warum sie den Umhang trug, und warum sie nie ihre Arme benutzte. Jetzt wurde ihm auch klar, was eben passiert war. Ihr Begleiter musste erst ihren Sicherheitsgurt lösen und ihr dann beim Aussteigen helfen.

* * *

Frau Hegel hatte den Stadtpark als Treffpunkt ausgewählt, weil er zwischen ihren Häusern lag und weil er die eine oder andere verschwiegene Nische zum Verweilen bot. Aus diesem Grund war der Park auch bei Liebespaaren sehr beliebt.

Paula und ihr Freund warteten. »Vielen Dank, dass sie uns das erlauben.« Paula war sichtlich erregt.

»Ich dachte mir, dass wir in eine der Nischen dort gehen.« Frau Hegel zeigte auf eine Heckengruppe, die von außen nicht einsehbar war. »Peter, sie passen bitte auf, ob Fremde kommen und warnen uns dann.«

Doch es bedurfte noch eines ermutigenden Blickes von Patricia, bis Peter der Aufforderung nach kam. Er selbst konnte diesem Handschuh noch gar nichts abgewinnen.

Patricia blickte sich zunächst misstrauisch um, doch dann entspannte sich ihre Miene nach und nach. »Ich glaube, sie können mir den Umhang abnehmen.«

Frau Hegel kam der Bitte zügig nach, und gleich darauf konnten zwei stolze Engel ihre Handschuhe vorführen.

Paula und ihr Freund waren beide sichtlich fasziniert.

Frau Hegel ahnte, dass sie selbst vermutlich nicht den Mut aufbringen würde zu fragen. »Wenn sie möchten, dürfen sie den Handschuh gern einmal anfassen.«

Doch es bedurfte noch ein paar ermutigende Blicke, bis sich Paula und ihr Freund sich dies wirklich trauten.

»Das ist so faszinierend.« Die Stimme von Paulas Freund hatte etwas Ehrfürchtiges.

»Wie lange lässt sich das so tragen?« Auch Paulas Stimme war leiser geworden.

»Es kommt auf das Training an.« Patricia selbst gab Auskunft. »Zu Anfang sicher nicht länger als fünf Minuten, doch wenn sie die Haltung gewöhnt sind, ist ein Tragen bis zu einigen Stunden durchaus möglich.«

»Und was kostet so ein Handschuh?« Paulas Freund zeigte großes Interesse, während Paula selbst daneben stand und sich auf die Lippen biss.

Frau Hegel seufzte. »Diese Handschuhe aus Leder sind sehr teuer.« Doch dann stutzte sie. »Wenn sie möchten, kann ich ihnen die Schnittmuster dafür zukommen lassen. Dann können sie vielleicht mit anderen Materialien anfangen.« Sie wusste, dass die Familie von Paula oft Sachen selbst machte.

Paula drehte sich sehr verliebt zu ihrem Freund. Mit großen Augen blickte sie ihn an. »Verstehst du nun, wie das geht mit nur einem Handschuh?«

Der Freund flüsterte ihr etwas ins Ohr, dann versanken sie in einen langen Kuss...

Frau Hegel gab den anderen ein Zeichen. Still und heimlich gingen sie weiter, nachdem die Monohandschuhe wieder unter den Umhängen verschwunden waren.

* * *

Etwas wehmütig schlich Tara sich in Richtung ihres Zimmers. Sie wusste, dass ihre Schwester ihr böse war, weil sie die Gelegenheit einfach so missbraucht hatte. Doch sie wusste andererseits, dass der Zorn ihrer Schwester nicht lange anhalten würde. Außerdem lag der nächste Termin sehr nahe. Normalerweise hatte sie nicht so einen vollgestopften Freitag, doch heute kamen gleich zwei außergewöhnliche Termine zusammen - zum einen der Empfang des Detektiv, der so ein schönes Ende gefunden hatte, und jetzt galt es ihre Mutter beim Empfang des Herzogspaares zu vertreten.

Der Arzt hatte es bei einer Routineuntersuchung ihrer Mutter festgestellt, und es hatte sich als harmlos herausgestellt, doch jetzt sollte sie noch für ein paar Tage zur Beobachtung in der Klinik bleiben. Er hatte sich persönlich dafür eingesetzt, weil er den sonstigen Ehrgeiz der Familie kannte. Er wusste, dass er besonders streng sein musste, weil sich die Frau des Konsuls sonst nicht daran halten würde.

Tara wusste davon, weil er sie ins Vertrauen gezogen und die Wichtigkeit des Aufenthalt betont hatte.

An sich konnte es Tara egal sein, denn ihre Umgebung war eingespielt und kannte sich auch ohne die Anwesenheit der Mutter aus.

Sie wusste auch nicht, ob sie sich über die Verpflichtung heute Abend freuen oder ärgern sollte. Natürlich war es spannend, eine Adlige aus der Heimat kennen zu lernen, auch wenn sie wusste, dass ein längerfristiger Kontakt nicht geboten war. Wenn sie wieder einmal in der Heimat sein würde, dann würde dieser Abend keine Bedeutung haben. Die Gesetze ihres Landes waren in dieser Richtung sehr streng.

Sie seufzte. Seit sie drei Jahre alt war, wohnte sie zusammen mit ihrer Familie und dem Personal in dieser norddeutschen Kleinstadt, und Deutsch als Sprache war für sie genauso selbstverständlich wie die Sprache ihre Heimatlandes – mit ihrer Mutter sprach sehr oft auf Padogenisch.

Sie war es gewohnt, dass die deutsche Sprache in fast allen Aspekten sehr viel reicher war als ihre eigentliche Muttersprache. Nur wenn es an die Kleidung der Prinzessinnen ging, wurde es umgekehrt. Für das deutsche Wort ‚Monohandschuh‘ gab es in der anderen Sprache bis zu sechs unterschiedliche Begriffe, und die hingen mit dem Status der Trägerin zusammen.

Es gab ihr außerdem immer einen Stich, wenn sie eine Frau in rotem Leder auf der Straße sah. Rotes Leder war der königlichen Familie vorbehalten, und ein Verstoß dagegen wurde streng bestraft.

Ein einziges Mal war sie bisher im Palast eingeladen gewesen, und sie träumte sich immer wieder zurück zu diesem beeindruckenden Erlebnis.

* * *

Schon vor einem Jahr war ein Brief aus der Heimat gekommen, der die Ankunft des Herzogs und seiner Frau ankündigte. Der Besuch in Deutschland stellte den Abschluss der Flitterwochen dar – gewünscht hatte sich das die Herzogin, deren Eltern deutsche Wurzeln hatten.

An sich waren solche Empfänge für das Konsulat nichts Ungewöhnliches, es gab in der Regel einmal pro Monat ein solches Ereignis.

Spannend wurde es erst, als zwei weitere unerwartete Ereignisse zusammentrafen. Vor einem Monat ungefähr traf der Brief des Herzogs ein, der eine besondere Bitte enthielt. Und vor zwei Wochen wurde die Mutter zur Beobachtung ins Krankenhaus geschickt. Und letzteres bedeutete, dass Tara die Rolle ihrer Mutter zu übernehmen hatte, mit allen Konsequenzen.

Wichtiger jedoch war der Brief des Herzogs, der in einem eigentlich nicht üblichen Ton anfragte, ob es möglich sei, während des Aufenthaltes im Konsulat und des geplanten Essens die vollständigen Regeln ihres Heimatlandes gelten zu lassen. Er hatte zwei Begründungen angegeben, zum einen war das Ehepaar direkt nach ihrer Rückkehr aus Deutschland zum König eingeladen, deswegen wünschte sich das Paar einen Empfang gemäß allen Regeln, die am Hof des Königs galten. Es wäre so eine Art Generalprobe.

Weiterhin würde die zukünftige Herzogin für einen Backprayer trainieren. In dem Brief wurde an dieser Stelle allerdings der padogenische Begriff benutzt, den auch der Vater erst nachschlagen musste, obwohl er sich sonst mit den Vorschriften, Sitten und Gebräuchen seines Landes sehr gut auskannte.

Bisher hatte Tara die Anfrage als uninteressant abgetan, doch mit der Einweisung ihrer Mutter ins Krankenhaus wurde es plötzlich ernst für sie, und sie begann sich zu informieren, was die ‚Etikette am Hof des Königs‘ eigentlich genau bedeutete.

Und je mehr sie in der hauseigenen Bibliothek recherchiert hatte, desto mehr freute sie sich auf den Besuch des Herzogspaares, denn es gab einige aus ihrer Sicht sehr faszinierende Regeln. Alle adeligen jungen Damen hatten bei allen offiziellen Anlässen den ihrem Rang entsprechenden Monohandschuh zu tragen. In Gegenwart anderer Männer hatten sie zudem eine Perle im Mund zu tragen.

Und genau danach hatte der Herzog für seine junge Frau gefragt. Tara wusste sofort, dass dann alle diese Regeln auch für sie gelten würde. Mit ihrer Mutter hatte sie auch über den Backprayer gesprochen. Die Mutter kannte den Begriff zwar, aber ihre Reaktion zeigte deutlich, dass es etwas war, was sich intim zwischen zwei Liebenden abspielte und normalerweise das Schlafzimmer nicht verließ.

Das hatte Tara erst recht neugierig gemacht, und sie hatte sich deswegen auch in den einschlägigen Quellen informiert. Deswegen war sie umso mehr neugierig auf die Herzogin. Als sie dann noch erfahren hatte, dass ihre Mutter ins Krankenhaus musste und sie sie deswegen sie vertreten musste, war sie sehr glücklich. Zum einen freute es sie, dass sie formal ihre Mutter vertreten durfte, zweitens hatte das Paar nach den Sitten des Heimatlandes nachgefragt, und Tara wusste, dass sie somit ebenfalls einen Monohandschuh zu tragen hatte. Und drittens hoffte Tara, wenn sie mit der Herzogin allein war, sie etwas über den Backprayer ausfragen zu können. Unter Frauen allen war man schon eher bereit, über Details aus dem Schlafzimmer zu sprechen.



Jasmin wartete schon auf ihre Schwester. Sie wusste natürlich auch von dem Besuch des Herzogspaares und war bemüht, ihren Vater nach Kräften zu unterstützen. Die Eltern der Braut stammten aus Deutschland, und deswegen machten sie ihre Hochzeitsreise in dieses Land. Es war die Hauptaufgabe des Konsulats, sich um Reisende des Heimatlandes zu kümmern.

Der Groll gegen ihre unvorsichtige Schwester war schon so gut wie verflogen.

Das bodenlange Abendkleid lag schon bereit, ebenso das dazugehörige Korsett und der violette Monohandschuh. Jasmin hoffte, dass sie nicht zu viel Zeit für das Ausziehen des neuen Kleides brauchen würde. Immerhin hatte ihr die Schneiderin gezeigt, welche Nähte sie zu öffnen hatte, und sie hatte ihr auch ein entsprechendes Werkzeug dagelassen.

Mit dem ‚normalen‘ Korsett kannte sie sich gut aus und konnte es auch schnell anlegen. Immerhin galt auch in Padogenien eine schlanke Taille als schick, und jede junge Frau, nicht nur die adeligen, achtete sehr darauf. Genauso waren die Schneiderinnen alle darauf eingestellt, Korsetts für die meist jugendliche Kundschaft zu erstellen.

Außerdem waren die beiden Schwestern gut aufeinander eingespielt. Tara freute sich sehr auf den heutigen Abend.

* * *

Tara war nach der formalen Begrüßung durch ihren Vater zum ersten Mal allein mit der Herzogin. »Hoheit, dürfte ich euch eine Frage stellen?« Sie blickte aus dem Fenster des Gäste-Appartements, um nicht die ganze Zeit auf die besondere Halskette der Herzogin zu starren. Denn die Halskette war nichts anderes als ein Ballknebel, der im Moment um ihren Hals baumelte. Natürlich wusste Tara, was es damit auf sich hatte. Wenn mindestens ein fremder Herr anwesend war, dann würde es von der entsprechenden Dame erwartet zu schweigen. Und die jungen adeligen Damen wurde dafür ein Hilfsmittel angeboten. Erst wenn eine Frau das erste Mal Mutter geworden war, durfte sie auf den Ball in ihrem Mund verzichten. Schweigen wurde aber trotzdem von ihr erwartet.

»Ja natürlich«, lächelte die Herzogin. »Aber nur unter einer Bedingung…«

Tara war sichtlich verunsichert. »Und die wäre?«

Die Herzogin lächelte weiter. »Sie nennen mich ab sofort bei meinem Vornamen. Ich bin Maria.« Sie holte tief Luft. »Meine Eltern stammen aus Deutschland, deswegen haben sie auf einem deutschen Namen bestanden.«

»Sehr gern, Maria.« Tara zögerte. »Es ist aber eine sehr heikle Frage, die ich ihnen stellen möchte.«

»Nur zu, trauen sie sich ruhig. Ich beiße nur höchst selten.« Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht.

»Bei der Anmeldung hat ihr Mann gesagt, sie trainieren für einen Backprayer?« Tara keuchte etwas, denn die Frage hatte sie Kraft gekostet.

Die Herzogin war für einen Moment sprachlos. »Das ist allerdings eine heikle Frage. In unserer Heimat wäre es undenkbar so etwas zu fragen. Aber da hätte es mein Mann sicher auch für sich behalten. Es war meine Idee, ihn das fragen zu lassen.«

Tara hörte aufmerksam zu, und sie erkannte sofort das große Vertrauen, welches das Ehepaar in das Konsulat setzte.

»Es ist eine besondere Form des ‚Monohandschuhs‘.« Herzogin Maria benutzte hier das padogenische Wort für den Monohandschuh des Hochadels.

»Er wird besonders eng geschnürt?« Tara legte stets sehr viel Wert darauf, dass die Handschuhe, die sie trug, gut geschnürt waren.

»Nein, die Armhaltung ist das Besondere.« Herzogin Maria grinste. »Die Arme liegen parallel auf dem Rücken, aber die Hände oben am Hals, und die Ellenbogen berühren sich.« Sie seufzte. »Bei mir geht das leider noch nicht, aber ich arbeite daran.«

Tara starrte die Herzogin mit offenen Augen an. Die alles entscheidende Frage zu stellen traute sie sich aber nicht.

»Die Cousine meines Mannes hat mir den Tipp gegeben.« Die Stimme der Herzogin wurde etwas leiser. »Die Vereinigung der Eheleute ist dann besonders intensiv, wenn sie verstehen, was ich meine.« Wieder benutze sie das Wort, welches im dortigen Hochadel gebräuchlich war.

Tara hatte Mühe, ihre Begeisterung im Zaume zu halten.

»Ich glaube, ich habe irgendwo eine Zeichnung.« Sie griff zu der kleinen Tasche und holte einen kleinen Zettel heraus. »Ich habe das immer bei mir, damit es mich daran erinnert, was ich schaffen möchte.«

Tara nahm die Zeichnung ehrfürchtig in die Hand. »Darf ich davon eine Kopie machen lassen?«

»Das ist aus einem Buch.« Die Herzogin dachte kurz nach. »Sie müssten es eigentlich auch hier in der Bibliothek haben, denn ist es das ärztliche Standard-Werk.«

Tara wusste sofort, welches Buch gemeint war. »Das habe ich nicht gelesen, weil es in padognisch geschrieben ist.«

»Es gibt dort ein Kapitel über die eheliche Pflichten des Adels.« Die Stimme der Herzogin wurde etwas leiser.

Tara war verwundert.

Die Herzogin wurde rot. »Naja, eigentlich steht es im Kapitel, welches sich mit der Langeweile in der Beziehung befasst. Aber Cla‘ara, die Cousine meines Mannes, schwört darauf. Normal mag sie schon lange nicht mehr.«

»Und wie lange könnte ich das tragen?« Tara war mehr als fasziniert von den Worten der Herzogin.

»Also wenn es gut trainiert ist, soll es für eine komplette Liebesnacht ausreichen.« Maria wurde noch leiser. »Es wäre aber wichtig, dass der Mann die Haltung vor dem Einschlafen wieder löst.«

»Und wenn er das nicht macht?« Tara fragte es, ohne über ihre Worte nachzudenken.

»Dann gibt es nächsten Tag mindestens heftigen Muskelkater.« Die Herzogin grinste.

»Ich verstehe.« Tara saugte begierig jedes Wort auf.

»Wenn mein Mann mich zum Abendessen holt, werde ich es ihnen zeigen.«

In diesem Moment klopfte es.

Die Herzogin überfiel ihren Mann, kaum dass er das Zimmer betreten hatte. »Schatz, ich möchte Tara gern zeigen, wie weit ich schon mit dem Backprayer bin.« Sie benutzte wieder das padogenische Wort dafür.

Der Ehemann war sichtlich stolz auf seine Frau, denn auch für den Mann versprach diese Haltung eine besondere Liebesnacht. Die Herzogin legte ihre Arme auf den Rücken, und der Ehemann hielt die Arme dann so, wie es für das Gebet auf dem Rücken nötig war.

»Von vorn sieht man dann gar keine Arme.« Tara war sichtlich fasziniert, als sie einmal um die Herzogin herum schritt.

»Ich brauche noch ein wenig, dann bin ich bereit für das Venuskorsett.« Die Begeisterung der Herzogin war deutlich zu hören.

»Venuskorsett?« Tara hatte diesen Begriff zwar schon einmal gehört, doch noch konnte sie ihn nicht einordnen.

»Ein Überbrustkorsett, welches dann die Arme in der Haltung des Backprayers mit einschließt«, erklärte der Mann.

»Nur noch die Finger schauen oben aus dem Korsett heraus.« Die Herzogin strahlte, als sie dies sagte. »Ich freue mich schon sehr.«

Der Mann schaute auf die Uhr. »Ich denke, wir müssen dann los. Maria muss sich noch umziehen.« Es war eigentlich die Botschaft an Tara, das Zimmer zu verlassen.

Doch Maria zögerte. »Aber es fehlt doch bloß noch der Monohandschuh.«

Darauf ging ihr Partner nicht ein. »Eben. Verabschiede dich von deiner Freundin und dann komm.« Er verließ das Zimmer.

Maria drehte sich zu Tara um und blickte sie mit einem Bedauern an. »Sie haben gehört.«

Tara lächelte. »Kein Problem.« Sie war der Herzogin sehr dankbar, denn sie hatte von einer neuen Haltung erfahren, die sie selbst auch sofort ausprobieren wollte. Gleichzeitig wurde sie noch einmal daran erinnert, dass sie sich sofort um ihre eigenen Perle zu kümmern hatte.

* * *

Herr Hegel empfing die kleine Gruppe schon an der Haustür. Er nahm seine Frau beiseite. »Jetzt müssen wir es ihr sagen.«

Frau Hegel verzog das Gesicht, doch sie musste ihrem Gatten recht geben. »Julia, kommen sie einmal bei uns vorbei, wenn sie den Handschuh abgelegt haben.«

Frauke blickte Frau Hegel kurz an.

»Ja, Frau Wiesl.« Frau Hegel nickte sorgenvoll. »Sie kommen bitte mit.«



»Was ist denn los?« Julia war sehr verwirrt, als sie zusammen mit den anderen ihr Zimmer betrat. »Sie sahen sehr besorgt aus.«

Frauke musste schlucken, bevor sie antworten konnte. »Es gibt auch große Sorgen.«

Julia gab sich pragmatisch. »Lass mich bitte aus dem Handschuh heraus. Ich will sofort zu ihnen gehen.« Erst jetzt realisierte sie, dass auch Patricia und Peter ihr Zimmer betreten hatten. »Macht es euch in der Zwischenzeit bequem.«



»Kommst du mit, Frauke?« Julia stand schon in der Tür, sie trug noch ihr Straßenoutfit, lediglich den Handschuh hatte sie abgelegt.

Frauke erhob sich seufzend. Sie hätte es Julia gern erspart, doch sie sah ein, dass sie es wissen musste. »Ich komme.« Als sie an der Tür war, drehte sie sich noch einmal kurz zu Patricia und Peter um. »Haltet euch bereit, es kann sein, dass wir euch gleich noch einmal sprechen müssen.«

Patricia hatte den Ernst der Situation begriffen, ohne dass sie jedoch den Grund dazu kannte. Sie ergriff Peters Hand und blickte ihn besorgt an.



Hegels erwarteten sie schon im Wohnzimmer. »Nehmen sie bitte Platz.« Er deutete auf das noch freie Zweiersofa.

Beide Frauen kamen der Aufforderung nach. Als Julia die besorgten Gesichter ihrer Gasteltern sah, ergriff sie unwillkürlich Fraukes Hand und hielt sie fest.

Frau Hegel ergriff mit leiser, aber doch bewegter Stimme das Wort. »Julia, ihre Eltern haben bei uns angerufen.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Sie werden am Sonntag bei uns vorbei kommen und uns besuchen.«

Julia wurde auf einmal kreidebleich. Sie stotterte und wusste nicht, was sie antworten sollte.

Es war Herr Hegel, der die richtigen Worte fand. »Wir müssen sie empfangen und anhören, das gebietet die Höflichkeit.« Wieder machte er eine deutliche Pause. »Aber seien sie vergewissert, dass wir sie nicht so einfach gehen lassen.«

»Sie müssen bei uns bleiben.« Auch Frau Hegel positionierte sich eindeutig auf Julias Seite. »Wir lassen sie nicht gehen.«

»Aber wie...« Julia stotterte noch mehr. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass sie sich die vergangenen Tage alles andere als vorsichtig verhalten hatte, als sie so besorgt um Fraukes Zukunft war.

»Sie müssen dir gefolgt sein.« Frauke sprach das offensichtliche aus.

Bei Julia liefen die ersten Tränen. »Ich will sie nicht sehen.« Sie klang aber alles andere als überzeugend.

Frauke räusperte sich, doch bevor sie weiter sprach, holte sie sich bei Hegels noch die Zustimmung ein. »Wir haben uns da etwas ausgedacht.«

Julia horchte auf. »Wie...«

Frauke streichelte Julia erst einmal über das Gesicht, bevor sie weiter sprach. »Wir verstecken dich in meinem ...«

In diesem Moment hustete Frau Hegel.

Frauke bemerkte, dass sie fast ihr Geheimversteck gegenüber Herrn Hegel verraten hätte. Es war ihr nicht bekannt, ob er es nicht doch wusste, aber sie wollte es zumindest von sich aus nicht verraten. »Wir werden dich gut verstecken.«

Julia blickte mit verweinten Augen auf. »Aber wenn sie doch wissen, dass ich hier bin?« Sie schluchzte.

»Auch dazu habe ich eine Idee, doch dazu brauchen wir Patricia und Peter.« Frauke blickte nervös umher. »Ich habe sie schon vor gewarnt.«

»Ich gehe sie holen.« Herr Hegel erhob sich.



Patricia und Peter betraten das Wohnzimmer und nahmen am Wohnzimmertisch Platz. Von Frau Hegel wurden sie über die bisherigen Vorkommnisse unterrichtet.

»Das verstehe ich gut.« Peter gab sich nachdenklich. »Und was erwarten sie jetzt von uns?«

Frau Hegel blickte zu Frauke. »Wollen sie bitte ihren Plan noch einmal erklären?«

Frauke holte tief Luft. Die Anspannung war ihr deutlich anzusehen. »Hegels werden morgen die Eltern von Julia empfangen und sie auch durch das Haus führen.«

»Ja und?« Patricia blickte unsicher umher.

»Sie glauben nur, dass ihre Tochter bei uns ist.« Frau Hegel erläuterte die Details. »Wir zeigen ihr das Zimmer, welches wir an eine Studentin vermietet haben.« Sie blickte zu Patricia und Peter. »Es wäre gut, wenn wir sie dann zusammen bei einer pikanten Situation ‚ertappen‘ könnten.«

»Zusammen?« Patricia runzelte die Stirn.

»Sie und Herrn Behrens natürlich.« Die Frau des Professors lächelte vorsichtig. »Glauben sie, ein wenig schauspielen zu können?«

Patricia und ihr Freund blickten sich ungläubig an. Sagen taten beide noch nichts.

»Sie würden uns einen großen Gefallen tun«, ergänzte Herr Hegel.

Patricia hatte erkannt, was von ihnen beiden erwartet wurden. Sie legte ihre Hand auf seinen Schoß. »Ich glaube, das kriegen wir hin.«

»Aber glauben sie, dass sich ihre Familie davon abbringen lässt?« Peters Miene entspannte sich ebenfalls ein wenig.

»Wir leugnen ja nicht, dass wir an eine Studentin vermieten.« Herr Hegel hatte den Plan auch schon verinnerlicht. »Es ist eben nur nicht Julia Sommer.«

»Und wo wirst du zu der Zeit sein?« Patricia blickte zu Julia, während sie die Hand ihres Freundes streichelte.

Frau Hegel mischte sich ein. »Es ist besser, wenn sie das gar nicht wissen. Dann können sie es auch nicht versehentlich ausplaudern.«

»Ich danke ihnen, dass sie uns helfen wollen.« Herr Hegel erhob sich. »Wir werden uns auch erkenntlich zeigen.«

* * *

Auf das Abendessen mit der Herzogin freute sich Tara schon die ganze Zeit, seit sie davon erfahren hatte.

Selbst die Dienerin Berta hatte sich zusammen mit Taras Vater über die Pflichten informiert, die von einer entsprechenden Dienerin am Königshof erwartet wurden.

Doch noch gab Berta sich zweifelnd. »Ich weiß nicht, ob ich das wirklich hinbekomme.«

»Es ist ja nur ein Rollenspiel.« Der Konsul versuchte, sie zu beruhigen. »Und wenn sie etwas falsch machen, dann korrigieren sie es einfach.«

»Und wenn ich es gar nicht erst bemerke?« Die Dienerin blieb skeptisch.

»Der Herzog wird es ihnen dann schon sagen.« Er zeigte ihr den entsprechenden Abschnitt aus dem langen Brief. »Es ist dem Herzogspaar durchaus bewusst, dass wir hier uns anders benehmen und vor allem lange nicht so streng, wie es am Königshof gehandhabt wird.«

»Aber ich habe nichts passendes zum Anziehen?« Es war für Berta immer noch nicht vorstellbar, einer Adeligen aus ihrer Heimat so nah zu kommen.

Der Konsul wischte den Einwand weg. »Bleiben sie einfach so wie sie sind.«

Berta war noch verunsichert.

»Es ist ja nur eine Probe für die Herzogin.« Konsul Winthrop machte eine bedeutsame Pause. »Wichtig ist eigentlich nur, dass sie bei dem Umgang mit den Perlen und dem Handschuh sicher sind.«

Berta war immer noch nicht überzeugt.

»Der Herzog hat uns hier noch einmal die wichtigsten Tischregeln zusammengefasst.« Er zeigte ihr die entsprechenden Stellen aus dem Brief. »Er wünscht außerdem, dass sie erst Tara bedienen und dann die Herzogin.«

»Umgekehrt wäre es angebrachter.« Sie verzichtete aber darauf zu erwähnen, dass die Herzogin in der dortigen Hierarchie weit über Tara stand.

Der Konsul hatte insgeheim mit diesem Einwand gerechnet. »Die Herzogin möchte sich auf eine Begegnung mit der Königstochter vorbereiten. Und da steht sie eben an zweiter Stelle.«

Berta schwieg für einen Moment.

Er spürte, dass er so gut wie gewonnen hatte. »Und wenn sie den Mädchen die Perle aus dem Mund nehmen, sollten sie für jede Dame ein neues Tuch zur Hand haben, um die Perle zu trocknen und den Mädchen den Mund abzuwischen, wenn sie es wünscht.«

»Und woran erkenne ich das?« Sie versuchte ihre Skrupel zu verdrängen.

»Sie macht eine Geste mit den Augen.« Der Konsul lächelte. »Dazu müssen sie ihr natürlich ins Gesicht schauen.«

Berta wurde langsam zuversichtlicher.

»Ich mache ihnen eine Kopie des Briefes.« Dies hatte er sich schon zu Beginn des Gesprächs vorgenommen. »Dann können sie alles noch einmal in Ruhe nachlesen.«

* * *

Berta hatte sich wirklich gut vorbereitet. Sie hatte den Brief mehrfach gelesen und hatte wegen einiger Aspekte sogar einmal Jasmin zur Hilfe genommen, um ihrerseits mit ihr zu üben.

Es gab viele versteckte Details, die von ihr erwartet wurden. So musste sie sich zum Beispiel beim Abnehmen der Perle merken, in welchem Loch der jeweilige Riemen geschlossen war. Die Hoheit erwartete, dass ihr die Perle dann auch in der gleichen Strenge wieder angelegt werden würde.

Der Handschuh wurde erst kurz vor dem Auftragen des ersten Ganges abgenommen, und natürlich musste die jeweilige Dienerin aufpassen, dass sie die Handschuhe nicht verwechselte oder gar einer Dame einen Handschuh anlegte, der ihr gemäß ihres Ranges überhaupt nicht zustand.

Für die Perle gab es noch strengere Regeln. Erst nach dem Servieren der Speisen und eventuell nach dem Tischgebet wurde die Perle abgenommen. Und sobald der Ranghöchste – in diesem Fall natürlich der König – mit seinem Essen fertig war, mussten auch alle anderen aufhören, und die inzwischen von den Dienern abgetrockneten Perlen wurden noch vor dem Abräumen des Geschirrs wieder angelegt.



Tara empfand es überhaupt nicht als richtig, vor der Herzogin bedient zu werden, und erst gutes Zureden ihres Vaters bewirkte, dass sie es akzeptierte – schließlich war es der ausdrückliche Wunsch der jungen Braut.

Mit der Perle im Mund an sich hatte sie keine Probleme, nur das Sabberverbot forderte die Konsulstochter doch ein wenig.

Sie musste sich fast die ganze Zeit sehr darauf konzentrieren, die Lippen fest um die Perle gedrückt zu halten. Normalerweise hätte sie sich in dieser Situation gern gehen lassen, doch heute war das nicht angebracht.

Eigentlich mochte sie diesen Zustand, in dem sie nicht antworten konnte und zu schweigen hatte. Die Perle im Mund steigerte allerdings auch ihre Erregung, und war dann leicht möglich, dass sie ganz gleich bei welcher Gelegenheit einfach so zur Explosion kam.

Die Regeln ihres Heimatlandes hatten sie schon immer fasziniert, zumal sie wusste, dass es für Konsulatsangehörige Momente gab, in denen diese Regeln auch für sie selbst galten. Heute war so eine Gelegenheit, und Tara fieberte schon lange darauf, endlich ein Mitglied des Hochadels kennenzulernen. Als sie dann erfuhr, dass ihre Mutter während des Besuchs nicht anwesend sein würde, und sie, die älteste Tochter des Konsuls, sie zu vertreten hatte, war ihre Vorfreude riesengroß.

Sie wusste schon genau, welches Abendkleid sie anziehen wollte, und auch das Tragen des Monohandschuhs hatte sie zusammen mit Jasmin schon wieder geübt. Es störte sie auch überhaupt nicht, dass sie als Angehörige des diplomatischen Dienstes nur ein violettes Exemplar tragen durfte.

Sie kannte einige der Regeln, die im Zusammenhang mit diesen Monohandschuhen galten, und sie wusste, dass Rot allein der Kronprinzessin vorbehalten war. Sie war deswegen auch sehr gespannt, welche Farbe der Handschuh der Herzogin haben würde. Sie selbst tippte auf Blau, die Farbe des niederen Adels, während Berta überzeugt war, dass das Herzogspaar dem Hochadel angehörte und deswegen Grün die richtige Farbe sein würde.



Sie war sehr nervös, als sie zusammen mit ihrem Vater den festlich gedeckten Saal des Hauses betrat. Schon der Vorbesitzer hatte dieses große Zimmer sehr prunkvoll eingerichtet, und das das Konsulat hatte die Einrichtung einfach übernommen.

Heute brannten ausnahmsweise alle Kerzen, und diese gaben dem Raum zusätzlich eine feierliche Atmosphäre. Berta hatte sich extra Jasmin und den Gärtner zu Hilfe geholt, um die vielen Kerzen zügig anzünden zu können. Sie trug schon das Kleid, welches sie normalerweise Sonntags zur Kirche anzog.

Auch Tara und ihr Vater hatten sich schon umgezogen. Der Konsul trug seinen Dienstfrack, an dem wie üblich ein paar Orden angebracht waren, und Tara trug das hochgeschlossene und langärmelige Abendkleid in einem dunklem Violett, auf dem sich die helleren Riemen des Handschuhs deutlich abzeichneten.

Natürlich trug Tara auch schon die farblich zum Handschuh passende Perle in ihrem Mund, Jasmin hatte sie ihr anlegt, gleich nach dem die Kerzen angezündet waren.

Der Konsul verfolgte das Geschehen um seine Tochter mit Sorgen, denn er wusste, wie sie normalerweise auf diese besonderen Gegenstände reagierte. Er kannte die Symptome und konnte eventuell anwesende Personen meistens geschickt von den Sorgen seiner Tochter ablenken. Doch für die heutigen Abend hatte er wirklich große Bedenken, was der Handschuh und die Perle mit seiner Tochter anrichten würden.



Bei der Suppe hielten sich alle noch an die bis dahin abgesprochenen Regeln. Berta nahm den beiden Damen erst die Perlen aus dem Mund und legte sie dann auf die Anrichte auf das Tuch, was sie für diesen Zweck dort hin gelegt hatte. Erst danach befreiten sie die Damen von ihren Handschuhen, so dass dann das gemeinsame Essen weitgehend schweigend beginnen konnte.

Erst nach der Suppe fiel Berta auf, dass für diesen Zeitraum noch nichts ausgemacht war und sie blickte unauffällig zum Konsul, um vielleicht eigene Hinweise zu bekommen.

Doch Taras Vater war genauso ratlos. Er deutete Berta lediglich an, dass sie abräumen könne und den Hauptgang bringen könne.

Der Herzog schien Bertas Zögern auch zu spüren. »Ich glaube, das sparen wir uns.« Er blickte seine Frau verliebt an. »Sie haben alles vorbereitet, dann wollen wir es auch nicht kalt werden lassen.«

Es war der Herzogin anzusehen, dass sie gern wieder die Perle im Mund getragen hätte, doch sie wagte es nicht, ihrem Mann zu widersprechen. Sie zwang sich ein leichtes Lächeln ins Gesicht.



Gleich nach dem Hauptgang, der Herzog hatte nur noch gewartet, bis jeder am Tisch fertig geworden war, bat er Berta, den Damen die Handschuhe wieder anzulegen. »Bis zum Nachtisch können wir uns etwas Zeit lassen.«

Ein Lächeln glitt über das Gesicht des Konsuls, welches jedoch nur seine Besorgnis verbergen sollte. Bisher hatte sich seine Tochter sehr unter Kontrolle gehabt, und je länger das Essen jetzt dauerte, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass bei ihr wieder passieren würde. Er hatte sich deswegen auch einige Themen herausgesucht, die er jetzt ansprechen konnte.

Tara focht innerlich einen Kampf aus. Sie versuchte, ihre immer stärker werdende Erregung zu unterdrücken, und paradoxerweise half ihr Berta, indem sie den Handschuh dieses Mal besonders streng zusammenschnürte. Die ungewohnte Beanspruchung der Muskeln bewirkte tatsächlich eine Ablenkung von ihren eigentlich üblichen Gefühlen bei dieser Gelegenheit. Doch sie war Berta deswegen nicht böse, ganz im Gegenteil, sie versuchte, sie durch leises Schnurren zu noch mehr Strenge zu ermutigen.



Eigentlich hatte Tara nur Smalltalk erwartet, doch schon die zweite Frage ihres Vaters hatte ihr besonderes Interesse geweckt. Der Konsul hatte nach der jüngeren Schwester des Herzogs gefragt – ob sie noch auf dem Internat wäre und ob sie immer noch diese Sportler-Karriere anstreben würde.

Der Herzog lächelte kurz. »Sie ist natürlich schon in festen Händen, und die Vermählung findest bald statt.« Er berichtete davon, dass seine Schwester aktuell im Internat lebt und dort ein besonderes Studium begonnen hatte. Es handelte sich jedoch nicht um ein reines Sportstudium, sondern um eine Manager-Akademie, bei der Sportausbildung, insbesondere in Ballett, aus verschiedenen Gründen eine besondere Rolle spielte. Er hatte sich in der Vergangenheit gelegentlich mit seinem zukünftigen Schwager über die Zukunft ausgetauscht.

»Luisaa und Sport?« Die Herzogin musste lachen. »Sie sitzt doch immer nur still in der Ecke und rührt sich nicht.«

Der Herzog erkannte sofort, dass er hier etwas erklären musste. »Schatz, wie oft hast du Luisaa bisher gesehen?«

Die Herogin musste nachdenken. »Ich glaube, erst einmal. Es war bei der Geburtstagsfeier deines Vaters.«

»Genau.« Der Herzog holte tief Luft. »Denn die meiste Zeit ist sie im Internat.« Er nannte einen Namen, der Tara allerdings nichts sagte.

Taras Vater schien es zu kennen. »Haben sie immer noch so strenge Regeln?«

Der Herzog nickte. »Streng, konsequent und ausdauernd.«

Beide Frauen blickte neugierig auf.

»Sie haben eine bemerkenswerte Philosophie.« Der Herzog holte tief Luft. »Sie vergleichen es gern mit einem Jagdfalken, der in den Ruhephasen eine Lederhaube trägt.« Er hielt kurz inne, so als wolle er seine Worte besonders wirken lassen. »Aber wenn die Haube abgenommen wird, dann weiß er, dass nun Höchstleistungen erbringen muss.«

Es kam keine Antwort, weder vom Konsul noch von den beiden Damen.

»Der Vergleich ist natürlich nicht ganz passend, aber die Leiterin des Internats legt großen Wert darauf, dass die Mädchen ihre Energien auf das Ballett und die anderen Sportarten konzentrieren.« Er machte erneut eine Pause. »Deswegen tragen sie in ihrer freien Zeit eine spezielle Uniform, die ihnen nur minimale Freiheiten erlaubt und sie zwingt, sich ganz auf die Übungen zu fokussieren.«

»Was ist das für eine Uniform?« fragten Tara und die Herzogin fast gleichzeitig.

»Ich dachte mir schon, dass euch das interessiert.« Ein Lächeln glitt über das Gesicht des Herzogs. »Im Internat tragen sie meistens ein langes Kleid, bei dem die Ärmel weitgehend fest genäht sind. Und das Beinteil des Kleides schränkt die Bewegungsfreiheit der Beine stark ein.«

Beide Damen seufzten.

»Ich habe sie öfters mal besuchen dürfen, und sie war sehr stolz auf ihre Uniform.« Er seufzte. »Aber sie konnte sich wirklich nur sehr langsam und mühsam bewegen. Das aber tat sie sehr aufrecht, mit großer Körperspannung und Eleganz.«

»Das kann ich mir gut vorstellen«, antwortete Tara verträumt, während die Herzogin nur seufzte und ihren Mann schmachtend ansah.

»Schatz, möchtest du nicht noch etwas trainieren?« Der Herzog blickte auf die Perle, die noch neben dem Teller der Herzogin lag.

Die Herzogin verzog das Gesicht. »Gerade jetzt, wo es so spannend ist.« Sie setzte eine Schmollmiene auf.

»Genau deswegen. Jetzt wäre die Versuchung besonders groß.« Der Herzog gab Berta das verabredete Zeichen.

Die Dienerin trag hinter die Herzogin und legte ihr wie verlangt den Ballknebel an.

Tara und der Konsul blickten dem Schauspiel verwundert zu, doch sie wagten es nicht, eine Frage zu stellen.

Natürlich hatte der Herzog die Blicke bemerkt. »Sie möchte das Tragen der Perle üben, oder besser gesagt, das Schließen der Lippen um die Perle.«

Tara erkannte die Zusammenhänge sofort. Es ging darum, den Speichelfluss trotz des Balles im Mund unter Kontrolle zu halten, denn der durch den Ball geöffnete Mund verhinderte das Schlucken.. Etwas, was ihr selbst nie besonders leicht fiel. Sie wartete, bis Berta mit der Herzogin fertig war, dann wandte sie sich an die Dienerin und bat um die gleiche Behandlung.

Doch der Herzog widersprach. »Es kann vorkommen, dass die Königstochter noch etwas reden möchte, während die anderen Damen schon zu schweigen haben. Auch darauf möchte mein Schatz sich vorbereiten.«

Tara brauchte einen Moment, bis sie sich mit der neuen Situation abgefunden hatte. So langsam fiel ihr der eindringliche Blick der Herzogin in ihre Richtung auf. »Sie möchten, dass ich noch mehr zu der Schwester frage?«

Die Herzogin bestätigte Taras Vermutung mit einem Nicken.

Ohne das Tara noch etwas sagen musste, fuhr der Herzog fort. »Ich hatte sogar um einen Termin bei der Direktorin gebeten und habe mir ihre Methoden und Konzepte erzählen lassen.« Er nahm einen Schluck Wein. »Sie hatte mich durch das Internat geführt und mir in den einzelnen Räumen die jeweiligen Hintergründe dazu erklärt.«

»Klingt spannend«, keuchte Tara.

»Sie sollen dort zu einem sehr bewussten Leben erzogen werden, bei dem sie bei jeder Tätigkeit Höchstleistung erbringen sollen, aber gleichzeitig an jeder gewöhnlichen oder nachlässigen Tätigkeit gehindert werden.« Der Herzog gab die Konzepte der Direktorin wieder.

»Und wie erreichen sie das?« Tara fühlte in sich eine gewisse Anspannung.

Der Herzog lächelte. »Sie bekommen für jede gewünschte Tätigkeit die maximal nötige Bewegungsfreiheit, die ihnen aber sofort genommen wird, wenn sie sie nicht benötigen, damit sie nur bewusste Leistungen erbringen.«

Tara keuchte erneut, und auch die Augen der Herzogin begannen zu leuchten.

»Wir waren gerade in der Ballettstunde, und kaum das die Musik verstummt war, als die Mädchen ihre Ballettschuhe auszogen und dann geduldig darauf warteten, von den Betreuerinnen in einen sehr strengen Monohandschuh und einen Humpelrock gekleidet zu werden. Zuvor bekamen sie noch sein strenges Sportkorsett über ihr Trikot geschnürt, und ein Halskorsett wurde ihnen angelegt, um ihre Köpfe ruhig zu halten. Die Betreuerinnen halfen ihnen dann noch, in Schuhe mit sehr hohen Absätzen zu schlüpfen.« Der Herzog strich seiner Frau zärtlich über das Gesicht. »Es ist sehr schön, eine so flexible Frau in einen Monohandschuh zu schnüren.«

Obwohl die Herzogin ihre Lippen konzentriert um den Ball in ihrem Mund presste, schaffte sie es trotzdem, ihm mit den Augen einen Liebesgruß zuzusenden.

»Dann waren wir im Speisesaal.« Der Herzog erzählte weiter. »Der hohe Tisch und die hohen Stühle waren mir sofort ins Auge gefallen.«

Tara runzelte die Stirn, doch sie traute sich nicht, den Herzog zu unterbrechen.

»Die Mädchen betreten den Speisesaal mit angelegtem Monohandschuh und müssen sich dann auf die Stühle setzen, wo ihnen sofort die Beine nach hinten hoch genommen und an dem jeweiligen Stuhl unter der Sitzfläche festschnallt werden. Erst dann werden ihnen die Handschuhe und die Halskorsetts abgenommen. Die Regeln beim Essen sind so ähnlich wie hier bei uns heute Abend.« Der Herzog machte eine kurze Pause. »Nach dem Mittagessen werden die Monohandschuhe wieder angelegt, und die Mädchen bekamen die Lederhauben mit Öffnungen für Augen, Mund und Ohren angelegt, die sei nachmittags im Unterricht in den Klassenzimmern tragen sollten.«

»Aber wozu soll so eine Haube gut sein, wenn sie gar nicht einschränkt?« Tara wunderte sich.

»Oh, das wird flexibel gehandhabt, « erklärte der Herzog. »Nach dem Mittagessen haben die Mädchen eine Pause, und dann dürfen sie sich aussuchen, ob sie sich in kleinen Gruppen unterhalten wollen, sich zu einer Ruhepause hinlegen wollen, oder einen Spaziergang im Garten machen. Jeweils natürlich weiter in ihrer Uniform.« Wieder unterbrach er kurz, um seine Worte wirken zu lassen.

Der Atem seiner Zuhörerinnen schien etwas schneller zu gehen.

»Bei denen, die sich unterhalten wollen, wird an den Hauben nichts verändert.« Der Herzog setzte seine Beschreibung fort. »Die, die sich hinlegen wollen, bekommen Augen- und Ohrenpolster sowie eine Mundabdeckung an ihre Hauben geschnallt, damit sie ungestört ruhen können. Mädchen, die Spazieren gehen wollen, werden in Dreiergrüppchen nebeneinander zusammengefasst. Alle bekommen die Mund- und Ohrenabdeckungen angelegt, und die äußeren beiden zusätzlich eine Augenbinde. Die Enden ihrer Monohandschuhe werden mit einer kurzen Kette verbunden, und das mittlere Mädchen, das als einziges sehen kann, muss seine Kameradinnen führen. Die anderen beiden müssen sich ohne Seh- und Hörsinn ganz auf ihre Führerin einstellen, indem sie sie möglichst an den Schultern berühren und auf den Zug an ihren Handschuhen achten.«

Der Blick der Konsulstochter hatte sich gewandelt, jetzt lag wieder Bewunderung und Neid in ihrem Blick. Es ärgerte sie ein wenig, von einem Alltag zu erfahren, der wesentlich strenger war als ihr eigener. »Und was für eine Rolle spielen die Hauben im Unterricht?«

Der Herzog erzählte weiter. »Wie ich schon sagte, die Sinne und Wahrnehmungen der Mädchen sollen einzeln geschärft werden. Im Unterricht müssen sie beispielsweise mit ihren Augenbinden Diskussionen führen, ohne ihre Gesprächspartner sehen zu können. Dabei lernen sie, auf jede Nuance zu hören. Oder sie müssen mit Ohrenpolstern, aber ohne Augenbinde einen Film über ein Gespräch anschauen und die Emotionen der Personen herausfinden. Sofern keine verbale Beteiligung erwartet wird, tragen die Mädchen ihre Mundabdeckungen, wenn sie nicht schreiben müssen, ihre Monohandschuhe. Wenn sie schreiben, dürfen sie nur eine Hand benutzen, mit der anderen müssen sie eine Schlaufe hinten im Rücken an ihrem Korsett festhalten. Der Unterricht ist natürlich sehr variabel, aber wie gesagt, sie bekommen dafür jeweils nur die unbedingt notwendigen Freiheiten.«

Tara keuchte. Ihr Puls ging schneller. »Und wie übernachten die Mädchen?«

»Das hatte ich auch gefragt« lächelte der Herzog. »Sie hat mich dann in den Schlafsaal geführt, und zu ihrer Überraschung lag tatsächlich ein Mädchen auf dem Bett. Ich hatte große Mühe, mich von dem Anblick loszureißen.«

»Warum?«, keuchte Tara.

»Sie war in ein Ganzkörperkorsett geschnürt und trug dazu noch einen Monostiefel. Ihre Arme waren noch einmal extra in Armkorsetts geschnürt und an dem Ganzkörperkorsett befestigt. Dazu trug sie Fausthandschuhe und eine sehr strenge Kopfhaube. Sie schien zu schlafen, denn sie schien uns nicht zu bemerken.« Er machte eine Pause. »Leider hat die Direktorin darauf bestanden, den Schlafsaal sofort wieder zu verlassen.«

Ohne das der Konsul etwas gesagt oder gedeutet hätte, trat Berta auf Tara zu und schob ihr die Perle wieder in den Mund. Die Konsulstochter war darüber so verblüfft, dass sie auf jegliche Gegenwert verzichtete.

»Es gab dann noch eine Überraschung für mich.« Der Herzog setzte ein geheimnisvolles Grinsen auf.

»Jetzt machen sie es aber spannend.« Der Konsul hatte sich bisher zurückgehalten, doch jetzt waren ihm die großen Augen seiner Tochter aufgefallen.

»Meine Schwester wartete im Büro der Direktorin auf mich. Ich hätte sie fast nicht wieder erkannt.« Er machte eine bedeutsame Pause. »All ihre Bewegungen waren aufrecht und von kontrollierter Anspannung – nichts von dem, was ich eigentlich von kannte, war noch übrig. Kein Schulterhängen und vor allem keine nachlässigen Bewegungen – stattdessen strahlte sie eine Autorität aus, die mir fast den Atem genommen hatte. Erst als sie mich begrüßte, erkannte ich sie auch als meine Schwester wieder.«

»Faszinierend.« Der Konsul war von der Schilderung sehr berührt.

»Warten sie ab, das beste kommt ja erst noch.« Der Herzog streichelte seiner Frau noch einmal zärtlich über die Wange. »Bitte nicht eifersüchtig sein.« Dann wandte er sich wieder an Tara und ihren Vater. »Erst als ich an ihrem Körper herab blickte, erkannte ich die eigentlichen Besonderheiten ihres Auftritts. Zum einen schien sie ein sehr strenges Korsett zu tragen, was mich aber wenig verwunderte. Doch als mein Blick auf ihre Füße fiel, musste ich mich doch wirklich hinsetzen, so verblüfft war ich.«

Tara ließ ihre Augen rollen, sie hoffte, dass ihr Vater und vielleicht auch der Herzog es bemerken würden.

»Sie trug wadenlange Ballettstiefel ohne Absätze.« Der Herzog wurde bei diesen Worten leiser. »Die Direktorin erzählte dann mit sichtbarem Stolz, dass Luisaa die beste Schülerin ihres Jahrgangs sei.«

Berta räusperte sich. »Wären sie dann bereit für den Nachtisch?« Sie hatte Taras wachsende Erregung bemerkt und hoffte, dass das Eis erst einmal für etwas Abkühlung sorgen würde.

Es war der Herzogin anzusehen, dass sie gern noch mehr über Luisaa erfahren hätte, doch der strenge Blick ihres Ehemannes bewirkte, dass sie ihre Lippen verschloss, kaum das Berta ihnen die Perlen abgenommen hatte.

Tara hätte ebenso gern noch ein paar Fragen gestellt, doch die Blicke von Berta und ihrem Vater hielten sie davon ab, auch wenn die Gründe dafür unterschiedlich waren.

* * *

Patricia holte einen Gegenstand aus ihrer Tasche, der Julia sehr bekannt vor kam.

»Was hast du denn damit vor?« Julias Stimme zitterte leicht, den sie hatte den Dildo sofort wiedererkannt.

»Du weißt, was das ist und wie man das trägt?« Sie formulierte es wie eine rhetorische Frage.

»Du musst so etwas auch tragen?« Julia stutzte, als sie Patricias Miene sah. »Du willst es tragen?«

Es klopfte. Frau Hegel trat. Sie ging auf Patricia zu und hielt ein kleines Schlüsselbund in der Hand. »Sie hatten darum gebeten, dass ich sie vor der Probe noch einmal aufschließe?« Sie ging auf das Mädchen zu und kniete vor ihr nieder.

»Ich mag mich und den Gürtel kurz sauber machen.« Sie erkannte, dass sie die drei Frauen sehr verwundert ansahen, deswegen schob sie eine Erklärung hinterher. »Beim Musizieren ist es wichtig, dass ich mich körperlich wohl fühle.



Als sie aus dem Bad kam, nahm sie sich den Dildo zur Hand und wärmte ihn mit den Händen ein wenig auf.

Frauke und Julia waren sehr verwundert. »Hast du den vorher auch schon getragen?«

Patricia lächelte. »Nein, natürlich nicht.« Sie klinkte den Dildo in das Schrittblech und zog beides zusammen dann langsam an den dafür vorgesehenen Platz. »Aber das Geigenspielen fällt mir damit sehr viel leichter.«

Beide Frauen waren über den 'coolen' Auftritt sehr fasziniert.

»Und wenn du mal musst?« Julia dachte an all das alles, was ihr heute Vormittag so durch den Kopf gegangen war.

»Ich habe alles nötige dabei.« Sie wirkte stolz, als sie die Bewunderung realisierte. »Und ich weiß ja, dass ich nach der Probe gleich wieder unter der Dusche stehen kann.«

»Wissen deine Eltern das?« Julia war immer noch hin und weg, und so langsam begann sie, den Dildo mit anderen Augen zu sehen.

»Meine Mutter weiß es.« Patricia schmunzelte. »Mein Vater freut sich lediglich, dass ich immer so leidenschaftlich spiele.«

»Verständlich«, grinste Julia.



Patricia legte ihre Tasche auf die Rückbank, dann setzte sie sich neben Frau Hegel, die sogleich den Motor an ließ. Die Hobbymusikerin war noch etwas betrübt, denn sie hatte sich gerade erst von ihrem Freund verabschiedet. Er hatte sie natürlich gefragt, ob er sie begleiten dürfe, doch Patricia musste mit schwerem Herzen ablehnen. »Es wäre nicht gut, wenn man uns zusammen sieht«, hatte sie ihm zwischen zwei Küssen mit trauriger Stimme erklärt.

»Haben sie alles, was sie brauchen?« Frau Hegel hatte vor dem Verlassen des Grundstücks den Wagen noch einmal angehalten.

Patricia warf noch einmal einen Blick auf ihre Tasche. »Ich denke, ich habe alles.«

»Ich bin sehr froh, dass sie uns helfen wollen.« Frau Hegel fuhr los, gleich nachdem sie sich wegen des Verkehrs umgeschaut hatte. »Sie sind sehr pflichtbewusst.«

Patricia zuckte mit den Schultern. »Ich wurde so erzogen.«

»Das ist nicht bei jedem so.« Die Frau des Professors wollte ihr Lob eingeordnet wissen.

»Es ist auch nicht immer einfach«, seufzte Patricia.

»Für die Engel wurden sie auch ausgesucht.« Es klang sehr viel Bewunderung in der Stimme mit.

Doch da kam ein leiser Widerspruch. »Nein, das war schon mein eigener Wunsch.«

Frau Hegel blickte sich verwundert um.

»Früher, als es noch erlaubt war, haben mich meine Eltern oft zu vielen Sitzungen mitgenommen«, erzählte sie mit begeisterter Stimme. »Ich habe zwar überhaupt nicht verstanden, was da vorgeht, aber ich war sehr begeistert von den Kostümen.« Sie holte tief Luft. »Ich war mir schon bald sicher, dass ich auch ein Engel werden wollte.«

Frau Hegel konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Und als sie erfahren haben, um was es wirklich geht?«

Patricia schwieg zunächst. »Es ist ja nichts Negatives.« Sie grinste. »Es wird nur auf die Dauer sehr anstrengend.«

»Ein Engel bracht eine sehr gute Kondition«, seufzte die Frau des Professors.

»Oh ja.« Patricia klang zunächst begeistert, doch dann wurde ihre Stimme traurig. »Doch dann ist mir Peter über den Weg gelaufen.« Das Bedauern war deutlich in ihrer Stimme zu hören.

»Aber ein Engel darf doch einen Partner haben?« Frau Hegel ahnte zwar, um was es ging, doch sie wollte es nicht selbst aussprechen.

»Ja, natürlich.« Patricia seufzte. »Aber eine Vogel und ein Behrens, das geht gar nicht.« Sie erinnerte an den alten Familienzwist.

Den Rest der Fahrt schwiegen sie.



»Vielen Dank für's Herfahren.« Patricia bedankte sich bei ihrer Gastgeberin.

»Kein Problem.« Frau Hegel winkte ab. »Wann muss ich sie wieder abholen?«

Patricia musste kurz nachdenken. »Die Generalprobe ist gegen 23 Uhr aus.«

»Dann werde ich hier wieder warten.« Frau Hegel wartete, bis Patricia ihre Tasche aus dem Auto genommen hatte und die Tür geschlossen hatte, dann fuhr sie zurück zu ihrem Haus.

* * *

Berta hatte den Nachtisch aufgetragen und wartete auf das Signal des Herzogs, bevor sie Tara und der Herzogin die Perlen abnahm. Diesmal hatte sie das Handtuch gleich zur Hand und rieb die Bälle trocken, kaum dass sie den jeweiligen Mund verlassen hatten. Auch das Abwischen des Mundes ging dieses Mal wesentlich würdevoller vonstatten.



Die Herzogin war mit dem Abendessen sehr zufrieden. Am Schluss des Essens nahm ihr Mann ihr den Ball noch einmal aus dem Mund, und seine Frau bedankte sich bei allen für die vorzügliche Leistung. Sie sei jetzt etwas zuversichtlicher, was ihre baldige Begegnung mit der königlichen Familie betreffen würde.

Sie bat ihren Mann, sie auch noch einmal kurz aus dem Handschuh heraus zu lassen, denn sie wollte sich bei Tara und auch bei Berta für die tolle Leistung mit einer Umarmung bedanken.

»Wir danken für das schöne Abendessen.« Auch der Herzog bedankte sich noch einmal für den schönen Abend, dann wandte er sich an seine Frau. »Wir müssen uns dann umziehen.«

»Ziehen sie sich schon zurück?« Der Konsul war ein wenig verwundert.

Die Herzogin lächelte. »Nein, wir haben Theaterkarten.«

* * *

Peter war es eigentlich unangenehm, in einem fremden Haus zu sein, doch er verfolgte einen Plan, und deswegen wollte er sich als erstes mit Frau Hegel darüber austauschen. Er fing sie im Hausflur ab, gleich nachdem sie den Wagen abgestellt hatte. »Frau Hegel, hätten sie kurz Zeit für mich?«

»Herr Behrens?« Frau Hegel war ein wenig verwundert.

»Sie kennen sicherlich unsere Situation.« Er zögerte etwas. »Patricias und meine.«

Frau Hegel war unsicher. »Der alte Familienzwist?«

»Ja, genau.« Peter nickte. »Ich habe dazu eine Idee, aber ich weiß nicht, ob das wirklich so geht.« Er zögerte. »Zumal ich dazu Hilfe brauche.«

»Was haben sie denn vor?« Die Frau des Professors gab sich interessiert.

»Darf ich ihnen meinen Plan erklären?« Peters war noch zurückhaltend.

* * *

Jasmin war empört. »Wieso willst du dich schon wieder umziehen?«

Tara lächelte nur. »Du meinst, wieso muss du mir schon wieder dabei helfen?«

Jasmin gab sich kurz etwas trotzig.

»Bitte Jasmin.« Tara flehte ihre Schwester an.

»Naja es wird ja bezahlt.« Sie bekam von ihrem Vater extra Taschengeld dafür, dass sie sich um ihre Schwester kümmerte. In der Woche war wenig zu tun, aber die Wochenenden konnten richtig anstrengend werden. »Und was willst du jetzt anziehen?« Das Nachthemd konnte es noch nicht sein, denn das war fest mit dem Bett verbunden. Im Prinzip war es ein weiteres doppelt gearbeitet Laken, welches aber ganz um die Matratze geschlossen war.

»Den leichten Trainingsanzug.« Tara war ein wenig verlegen, denn normalerweise mutete sie ihrer Schwester nicht zu, ihr gleich viermal an einem Nachmittag beim Umziehen zu helfen.

»Na meinetwegen.« Jasmin ging zum Schrankwand und öffnete gezielt eine Tür. In der gesamten Wand gab es nur wenige Kleidungsstücke, die man als normal bezeichnen konnte. Entweder waren die Ärmel am Körper angenäht, oder sie bildeten nur einen einzelnen Ärmel auf dem Rücken.

Genauso war es mit den Röcken und Hosen, die dort aufbewahrt wurden. Die Röcke waren entweder selbst sehr eng oder verfügten über einen zweiten sehr engen Unterrock. Bei den Hosen waren meistens die Beine mindestens bis zu den Knien zusammen genäht. Bei einigen eher legeren Stücken bestand das Beinteil auch nur aus einer Röhre, die die Beine der Trägerin bis zu den Knöcheln aneinander presste.

Tara empfand so etwas wie eine Hassliebe gegenüber ihrer Gymnastikkleidung. Sie wusste, dass sie regelmäßig Gymnastik machen musste, Onkel Herbert hatte ihr eingeprägt, dass es für ihre Verfassung sehr wichtig war. Zum Glück hatte er aber auch diverse Vorschläge für die entsprechende Kleidung.

Entweder wurde ihre Arme auf dem Rücken in Form eines Monohandschuhs zusammengehalten oder die Arme waren in inneren Ärmeln längst am Körper fixiert. Dass sie sich selbst an verbotenen Körperstellen berühren konnte, war mit den Kleidern stets ausgeschlossen.

Anfangs hatte Tara sich gegen die Kleidung gewehrt, doch nur ein einziges Mal war sie in der Lage gewesen, ihre Arme aus den Restriktionen zu befreien. Der nächste Anzug dieser Art hatte die Schwächen ausgemerzt, und so langsam verwandelte sich das Gefühl von Gefangenschaft um in Geborgenheit. Tara wusste, dass sie sich dieser Kleidung anvertrauen konnte, weil sie diese vor sich selbst schützte.

Es ging sogar soweit, dass sie die Kleidung sogar in ihrer Freizeit trug, wenn sie weder für ihr Studium noch für die Kanzlei etwas zu tun hatte.

Auch bei Jasmin war diese Kleidung beliebt, denn sie war einfach anzulegen und bei weitem nicht so kompliziert wie die sonstige Kleidung.



Das Beinteil des »bequemen« Gymnastikanzugs hatte Tara sich schon selbst angezogen, und ihre Beine wurden in einem Monostrumpf zusammengehalten. Damit im Raum umher zu hopsen, bereitete ihr überhaupt keine Probleme. Im Gegenteil, wenn sie ruhig sein sollte, musste man sie mehr oder weniger fixieren.

Der Stuhl in ihrem Studierzimmer hatte entsprechende Riemen, mit denen sie sich meistens sogar selbst an den Stuhl fesselte. Natürlich hatte alle Schnallen auch die entsprechenden Ösen, um dort auch Schlösser anzubringen, doch diese Möglichkeit nutzte sie eher selten. Es reichte ihr meistens, wenn sie die Strenge der Lederriemen spürte.

Jasmin griff sich das passende Oberteil des Gymnastikanzugs. Eigentlich, so meinte sie einmal, wäre Gymnastikanzug der ganz falsche Name, denn als sie ihn früher einmal aus Neugier selbst ausprobierte, konnte sie sich darin kaum noch bewegen, und so elegant hopsen wie ihre Schwester konnte sie erst recht nicht. Schon beim zweiten Hopser war sie umgefallen. Und dabei hatte sie noch die Arme frei, um damit balancieren zu können.

Tara liebte das Oberteil, denn es hielt ihre Arme wie in einem Monohandschuh auf dem Rücken zusammen. Damit war sie noch sehr beweglich, da ihre Arme zwar eingeschränkt waren, sie sie aber doch relativ weit bewegen konnte. Tara wartete, bis Jasmin die Jacke geöffnet hatte, dann hopste sie heran, legte ihre Arme auf den Rücken und wartete, bis Jasmin ihr die Jacke über die Arme gezogen hatte. Der Trainingsanzug bestand aus Lycra, doch Tara wäre nicht Tara, wenn sie nicht auch hier auf zusätzliche Gummizüge an allen strategischen Punkten bestanden hätte. So kostete es Jasmin ein wenig Kraft, um die Jacke vorne mit dem Reißverschluss zu schließen.

Die Lesemaschine war gleich in dem Zimmer neben ihrem aufgebaut und so war es für sie einfach, einfach kurz über den Flur zu hopsen. Letzteres fiel ihr sehr leicht, solange sie dabei nicht beobachtet wurde,. Sie war zwar sehr geschickt, mit dem Monostrumpf zu hopsen und mit den Monoarm auf dem Rücken zu balancieren, doch sie war sich sicher, dass sie dabei einige sehr groteske Bewegungen machen musste und deswegen wollte sie sich unbeobachtet wissen. Selbst gegenüber Jasmin versuchte sie diese Bewegungen zu vermeiden und ihre Schwester war sensibel genug, um dies zu respektieren.

Immer wenn sie die Botschaft bekam, die Maschine sei bereit, wusste sie, dass sie unbeobachtet los hüpfen konnte, und auch wenn es nur wenige Meter waren, legte sie doch sehr viel Wert darauf, diesen Weg ganz allein zu gehen.

Im Leseraum hopste sie sofort zu dem Hocker und setzte sich darauf. Dann steckte sie ihre Füße in die dafür vorgesehene Halterung und löste dann den Mechanismus aus, der der Hocker etwas hoch hob. Sie wusste, dass sie dann in der Maschine gefangen war, doch genau so hatte sie es sich von dem damaligen Hausmeister des Konsulats gewünscht. Erst mit Hilfe ihrer Schwester konnte sie sich dann wieder befreien.

Letztere Vorrichtung war in der ursprünglichen Lesemaschine aus ihrer Heimat nicht vorgesehen, da dort die Prinzessinnen üblicherweise frei über ihre Beine verfügen konnten und eher durch die gesellschaftlichen Konventionen eingeschränkt waren.

Sie machte es sich auf dem Hocker gemütlich und ließ die Maschine die erste Seite des Dossiers aufschlagen.



»Oh, du hast es heute aber eilig.« Jasmin betrat das Lesezimmer, nachdem sie die Maschine das erste Mal umblättern gehört hatte. In ihrer Hand hielt sie das Perlennetz, welches Tara stets beim Lesen tragen wollte.

»Nun mach hin.« Tara klang sehr ungeduldig.

Es war Routine für Jasmin, ihrer Schwester das Perlennetz anzulegen und zudem auch noch mit kleinen Schlössern zu verriegeln. Sie selbst empfand es übertrieben, doch zumindest in der Anfangsphase wollte Tara sich davor schützen, jemand anderen um vorzeitige Befreiung zu bitten.

Mittlerweile hatte sie sich an ihren Alltag gewöhnt, und das Verschließen des Kopfgeschirrs war ein Teil, auf den sie nur ungern verzichten wollte, auch wenn er inzwischen unnötig geworden war.

Jasmin gefiel der Gedanke, dass ihre Schwester sowohl den Monohandschuh als auch die Perle trug. Dann konnte sie sie wenigstens nicht herumkommandieren wie sie es sonst tat. Und auch ein Reden mit den Händen war auf diese Weise ausgeschlossen.

Es gab einige Augengesten, mit denen Tara dann noch kommunizieren konnte, aber wenn Jasmin schlechte Laune hatte, dann gab sie schon öfters mal vor, ihre Schwester nicht zu verstehen, obwohl sie genau wusste, was sie wollte. Natürlich kannte sie den Grund für das alles, doch sie wusste auch, dass ihre Schwester sich nicht rächen würde, denn sie war stets auf Hilfe angewiesen.

* * *

»Das ist allerdings ein sehr gewagter Plan.« Frau Hegel holte tief Luft. »Stammt er von Patricia?«

Peter verneinte. »Nein, noch weiß sie nichts davon.«

Auch Frau Hegel hatte Zweifel. »Und sie glauben, dass sie damit Erfolg haben könnten?«

»Ich möchte das Risiko auf mich nehmen.« Er seufzte. »Wenn ich zusammen mit Patricia bei ihren Eltern auftauche, dann mache ich vermutlich alles kaputt.«

»Damit könnten sie allerdings Recht haben.« Frau Hegel nickte leicht.

»Aber als Begleitung von Frau Wiesl dürfen sie mich eigentlich nicht ablehnen.« Seiner Miene war zu entnehmen, dass er bei weitem nicht sicher war.

»Ich hoffe für sie, dass sie recht haben.« Frau Hegel versuchte ihn zu ermutigen, denn insgeheim hielt sie diesen Familienzwist ebenfalls für lächerlich.

»Ein Versuch ist es auf jeden Fall wert.« Er zögerte. »Aber Patricia müssen wir einweihen. Es würde ihr sonst das Herz brechen.«

Die Frau des Professors bestätigte es. »Und natürlich müssen auch Julia und vor allem Frau Wiesl einverstanden sein.«

»Können sie mir helfen, sie zu fragen?« Er blickte sie mit einem leichten Flehen im Blick an.

»Das mache ich doch gern«, bestätigte Frau Hegel. »Lassen sie mich bitte zunächst allein mit ihnen reden.«

* * *

Frauke war gerade dabei, neben Julias Bett das Feldbett aufzubauen, als Frau Hegel das Zimmer der Studentin betrat. »Ich freue mich sehr, dass sie mit der Anwesenheit von Frau Vogel einverstanden sind.«

Frauke zog das Laken zurecht, dann erhob sich. »Sie haben mir ja erklärt, worum es geht.«

»Wie finden sie Peter?« Frau Hegel versuchte eine vorsichtige Annäherung.

»Er macht einen sehr netten Eindruck. Ich hoffe, dass sie glücklich werden.« Frauke lächelte verlegen. »Aber ich habe ihn ja nur kurz kennenlernen dürfen.«

»Das ist das richtige Stichwort.« Frau Hegels Miene wurde ernst. »Er hat mir von seiner Idee erzählt. Er hat mich um Stillschweigen gebeten, doch er möchte, dass ich es mit ihnen bespreche.«

»Was möchte er denn?« Julia war zu ihrer Freundin dazu getreten und legte den Arm um ihre Schulter.

»Kennen sie die familiären Hintergründe?« Frau Hegel brachte die beiden Frauen auf den aktuellen Stand.

»Romeo und Julia in Grünwald?« Frauke lächelte. »Dich meinte ich natürlich nicht.«

»Sie sind nahe dran«, lächelte Frau Hegel.

»Und was haben wir damit zu tun?« Julia streichelte ihre Freundin über den Arm.

»Herr Behrens hat mir seine Idee berichtet, und da ich diesen Familienkrach ebenfalls lächerlich finde, möchte ich ihn unterstützen.« Frau Hegel machte eine kurze Pause. »Er hat mich beauftragt, sie zu fragen, ob sie bereit wären, dabei mit zuspielen? An sich achtet die Familie Vogel alle gesellschaftlichen Gepflogenheiten.«

Julia lächelte. »Worauf wollen sie hinaus?«

»Er möchte, dass sie vier zusammen Vogels und Behrens eine Komödie vorspielen.« Sie gab die Informationen stückchenweise weiter.

»Kein Problem, was sollen wir tun?« Julia war in einer Stimmung, in der sie alles zugesagt hätte.

»Jetzt kommt der kritische Punkt.« Frau Hegel holte tief Luft. »Julia ist bei Vogels gern gesehen… und natürlich darf auch Frau Wiesl sie begleiten. Sie hilft ihr ja schließlich bei den Engeln.«

»Soweit klingt es ja harmlos.« Julia zog ihre Stirn in Falten. »Warum zögern sie so?«

Frau Hegel holte wieder tief Luft. »Vogels werden nichts dagegen sagen dürfen, wenn Frau Wiesl ihren Freund mitbringt.«

»Aber ich habe keinen Freund.« Fraukes Stimme zitterte.

Julia hatte die Idee sofort begriffen. Sie schluckte. »Doch, Peter.« Sie nahm Fraukes Hand und streichelte sie. »Würdest du dieses Opfer bringen? Für Patricia?«

Frauke begann langsam zu begreifen, woraus dieser Vorschlag bestand. Es arbeitete heftig in ihr. Bis vor kurzem hatte sie noch die Aussicht auf das Gefängnis vor Augen, jetzt durfte sie bei einer offensichtlich sehr interessanten Intrige mitmachen. »Aber ich weiß doch gar nichts von ihm.«

»Das können wir sofort ändern.« Frau Hegel lächelte erleichtert. Sie ging zur Tür und bat Peter herein.

Patricias Freund betrat den Raum mit einem sehr zweifelnden Blick. »Ihr seid sicher nicht einverstanden.«

Zur Überraschung aller stand Frauke auf und ging zu ihm. »Darf ich erfahren, wer mein Freund ist?« Das Wort ‚Freund‘ hatte sie besonders betont.

»Ihr wollt mitspielen?« Peter war sichtlich erleichtert. »Vielen vielen Dank.«

»Weiß Patricia schon von der Idee?« Julia erkannte sofort, dass sie eine eventuell auftretende Eifersucht unterdrücken musste.

Peter verneinte. »Ich wollte ihr nicht unnötig Hoffnung machen.«

Julia dachte nach. »Wie wäre es, wenn sie es gar nicht weiß?«

»Das würde ihr das Herz brechen, und das möchte ich auf keinen Fall.« Peter seufzte. »Wir müssen sie einweihen, sonst wird sie es sicher falsch verstehen.«

»Und wie lange müssen wir das Theater spielen?« Den Hauch von Eifersucht versuchte sie zu unterdrücken.

»Ihr seid doch am Sonntag zum Kaffee eingeladen.« Peter erläuterte seinen Plan. »Das könnte vielleicht schon reichen.«

* * *

»Du bist noch da?« Patricia war sichtlich erfreut, als sie ihren Freund nach der Generalprobe immer noch bei Hegels antraf. Sie strahlte ihn an.

»Ich habe mich gut unterhalten.« Peter lächelte zurück. »Wie war die Probe?«

»Oh, das Konzert muss gut werden.« Doch dann runzelte sie die Stirn. »Was meinst du mit 'gut unterhalten'?«

»Er hat uns etwas vorgeschlagen.« Julia gab sich noch zurückhaltend.

»Was führst du im Schilde?« Patricia war über die Anwesenheit ihres Freundes immer noch sehr erfreut.

Peter holte tief Luft, dann berichtete er von seiner verrückten Idee. »Ihr müsst dann natürlich beide gut schauspielern, damit es glaubhaft ist.«

Patricia musste erst einmal schlucken, bevor sie antworten konnte. »So wie ich meinen Vater einschätze, könnte es vielleicht sogar funktionieren.« Doch ihr Blick zeigte noch erhebliche Zweifel.

»Frauke, du musst bis dahin deinen Text lernen.« Julia strahlte auf einmal Begeisterung aus. Von ihr war die Idee, dass Frauke von Peter zu schwärmen hatte. Er hätte so eine tolle Zukunft vor sich, dass sie sehr froh wäre, dass er sich für sie entschieden hätte. Pat würde sich dann etwas eifersüchtig geben, und traurig, weil diese Gelegenheit sozusagen vorbei wäre.

»Und ihr meint, dass würde etwas ändern?« Patricia hatte noch die größten Zweifel an dem Plan.

»Schlechter als jetzt kann die Lage eigentlich nicht werden.« Peter zeigte, dass er über die Zweifel seine Freundin nachgedacht hatte.

»Jetzt müsste ich aber endlich ins Bad und das Ding loswerden.« Patricia sucht den Blick von Frau Hegel. »Kommen sie mit?«

Peter sah verblüfft zu, wie seine Freundin zusammen mit der Frau des Professors nach oben verschwand. Erst als er die Tür zuklappen hörte, fand er wieder Worte. »Welches Ding will sie loswerden?«

»Jetzt tu nicht so, als ob du nicht wusstest, dass Pat mit einem Dildo unterwegs war.« Frauke lachte.

Peter wurde etwas rot. Er zwang sich ebenfalls ein Lächeln ins Gesicht. »Aber danke, dass du es mir gesagt hast. Jetzt wird mir einiges klarer.«

Frauke griff in ihre Tasche und holte zwei kleine Kästchen heraus. Sie waren ein wenig größer als eine Streichholzschachtel, und ihr Gewicht ließ vermuten, dass sie Batterien enthielten. »Damit kannst du dich schon einmal vertraut machen.«

Peter nahm beide Kästchen in die Hand und betrachtete sie sich. Beide hatte vier Knöpfe, die mit 'An', 'Aus', 'Plus' und 'Minus' beschriftet waren. Er begann, auf den Knöpfen herum zu spielen.

Auf einmal meldete sich Julia zu Wort. »Hey, das war meine…« Sie blickte zu Frauke. »Sagst du ihm das bitte?«

Doch Frauke ignorierte den Einwand ihrer Freundin. »Mache es langsam, damit sie warm werden können.«

Erst jetzt begann Peter zu begreifen, was er offensichtlich in der Hand hatte. Auf beiden Kästen drückte er auf 'Aus'.

»Schade eigentlich.« Julia grinste. »Ich war gerade dabei, mich daran zu gewöhnen.«

»Und wofür ist der zweite Kasten?«, fragte Peter, obwohl er die Antwort eigentlich schon kannte.

»Der ist für Pats Vibrator.« Juilias Stimme war etwas leiser. »Frau Hegel versorgt sie gerade damit.«

Peters Gesicht wurde rot.

»Keine Sorge, so eine große Reichweite haben sie nicht.« Julia konnte seine Sorgen entkräften.

»Und warum Frau Hegel?« Peter war immer noch dabei, die sich ihm bietende neue Welt zu entdecken.

»Sie verwaltet unsere Schlüssel.« Julia klang in diesem Moment sehr stolz.

»Schlüssel wofür?« Peter gab sich naiv, doch seine Gesichtsfarbe entlarvte ihn. »Müsst ihr auch…?«

»Und heute ist der Belohnungsabend.« Frauke zeigte, dass sie sich ebenfalls sehr auf das Kommende freute.

* * *

Drei Mal hatte Tara das Dossier jetzt schon gelesen – normalerweise reichte dies, um die Sachverhalte in der nächsten Prüfung abrufbar zu haben. Doch diese Julia Sommer machte ihr Sorgen. Sie wurde nachträglich angemeldet, so dass sie nicht auf der Liste auftauchte.

Es ärgerte Tara ein wenig. Bei allen anderen Mädchen hatten die Detektive genug Material zusammengetragen, um sie erpressbar zu machen. Tara hatte da genügend Erfahrung. Mit ihr legte man sich besser nicht an.

Nervös wartete sie auf ihre Schwester, damit diese sie wieder von der Lesemaschine befreien konnte. Doch Jasmin schien sich Zeit zu lassen.



Jasmin saß in ihrem Zimmer und blickte amüsiert auf den kleinen Monitor, auf dem sie sah, wie ihre Schwester zunehmend nervöser wurde. Es war klar, dass sie ihre Lektüre schon lange beendet hatte. Schließlich gab sich Jasmin einen Ruck und sie begab sich ins Lesezimmer.

Sie löste die Verriegelung der Maschine, machte aber keine Anstalten, ihre Schwester von dem Perlennetz zu befreien. Sie wartete ab, bis Tara sich von dem Hocker befreit hatte, dann ging sie zur Tür und hielt ihrer Schwester die Türen auf.

Erst in ihrem Zimmer öffnete Jasmin die Kleidung ihrer Schwester und half ihr, sich diese auszuziehen. Das Bett hatte sie schon aufgeschlagen und den Reißverschluss in dem doppelten Laken aufgezogen.

Natürlich hatte Onkel Herbert diese Art der Übernachtung vorgeschlagen, und auch deswegen gab es noch gar keinen Begriff dafür. Im Prinzip bestand Taras Nachtkleidung aus einer Art ungepolstertem Mumienschlafsack mit im Inneren seitlich festgenähten Ärmeln. Doch dieser Schlafsack war fest in das Laken integriert und wurde quasi auf die Matratze aufgezogen. Natürlich gab es für Tara auch ein Engelsnachthemd, doch dieses war ihr nicht streng genug.

Nachdem Tara sich ausgezogen hatte, befreite Jasmin sich noch von Keuschheitsgürtel und Keuschheits-BH. Manchmal ließ sie sich in der Dusche festbinden, doch heute verzichtete sie darauf, denn sie wollte diesmal schnell ins Bett, um dann von einem Leben in Padogenien zu träumen. Nach einer schnellen Runde im Bad stand sie vor ihrem Bett und überprüfte den Reißverschluss ihres Nachthemd-Lakens, der es schaffte, zwei Lagen Stoff in ein sehr sicheres Gefängnis zu verwandeln.

Manchmal zierte sie sich, doch heute schlüpfte sie höchst motiviert in ihr Nachtgefängnis. Trotzdem wartete sie, bis ihre Schwester neben ihr stand, bevor sie ihre Arme in die innen angebrachten Ärmel steckte. Jasmin hatte sie in der Vergangenheit mehrfach beim Schummeln erwischt, deswegen hatten sich die Schwestern letztendlich auf diese Prozedur geeinigt.

Jasmin fasste mit an, und gleich darauf konnte sie den langen Reißverschluss schließen, der Tara für die Nacht fest auf dem Bett fixierte. »Hast du wieder zugenommen?« Manchmal stellte sie diese Frage, obwohl sie wusste, dass das Laken an sich sehr eng gearbeitet war und es nicht einfach war, den Reißverschluss zu schließen.

Tara überhörte diesen Vorwurf stets. Sie verdrehte lediglich die Augen.

Zum Schluss legte Jasmin noch die Bettdecke über Tara. Sie keuchte dabei, denn es war eine sehr schwere Bettdecke. Eine Spezialdecke, die ebenfalls von Onkel Herbert empfohlen wurde. Sie spannte die Decke über Taras Körper und fixierte sie wie vorgesehen an drei Seiten. Als letztes wünschte sie ihrer Schwester eine »ruhige« Nacht, dann machte sie das Licht aus und klopfte leise an die Tür, damit Berta, die draußen wartete, ihr öffnete.

Bevor sie das Zimmer verließ, warf sie noch einmal einen kontrollierenden Blick auf die Kamera, mit der das Personal der Konsulatswache Tara im Blick hatte. Es war eine Sache der Verschwiegenheit, aber die Nachtwache, die im Konsulat den Telefondienst machte, kümmerte sich auch um den Monitor, der Tara in ihrem Zimmer überwachte. Es war sogar ein Nachtsichtgerät, mit dem der Schlaf der Konsulatstochter einfach mit überwacht werden konnte. Auch dies war eine Empfehlung von Onkel Herbert gewesen.

* * *

Als er das Zimmer von Julia betrat, war Peter sehr irritiert. Julia und Patricia saßen am Tisch und schienen auf ihn zu warten, denn sie standen sofort auf, als er erschien.

Hinter ihm betrat auch noch Frauke das Zimmer, und mit einem Blick auf ihn zog sie sich ihr Dienstbotenkleid aus. »Du kannst es dir auch bequem machen.«

Erst jetzt realisierte Peter, dass jetzt alle drei Mädchen nur noch ihre stählerne Unterwäsche trugen. Doch noch mehr war er über Frau Hegel verwundert, die in der Sitzecke in einem Sessel saß und ein Buch zu lesen schien.

Von sich aus hätte die Frau des Professors die Mädchen lieber allein gelassen, doch die Mutter von Patricia hatte sie um einen unauffällige Aufsicht gebeten. Außerdem war es ihr so möglich, das Geschehen notfalls weiter in die richtige Richtung zu bewegen.

»Dann können wir ja anfangen.« Patricias Augen leuchteten, doch ihre Stimme zeigte, dass sie sehr nervös war.

* * *

»Sie werden tief schlafen.« Frau Hegel lächelte geheimnisvoll, als sie die Tür hinter Frauke und Peter schloss. »Und sie möchten wirklich nicht bei uns übernachten?«

»Nein, danke.« Peter winkte erneut ab. »Ich möchte daheim sein.«

»Es wäre aber wichtig, dass sie morgen schon vor dem Wecken der Mädchen bei uns sind.« Sie schlug eine Uhrzeit vor. »Und bitte nicht frühstücken.«

»So früh am Samstag morgen?« Peter war zunächst wenig begeistert.

»Naja, sie möchten doch bestimmt zusammen frühstücken.« Frau Hegel hatte das Wochenende offenbar schon durchgeplant.

»Und beim Wecken der beiden Mädchen möchtest du doch bestimmt auch dabei sein.« Frauke hatte sich langsam an den Kontakt zu Peter gewöhnt.

»Nach der Prozedur werden sie bestimmt wie Steine schlafen.« Frau Hegel lächelte.

Peter war noch sehr fasziniert davon, wie seine Patricia auf den Vibrator reagiert hatte. »Wie oft ist sie wohl gekommen?«

»Ich habe nicht mitgezählt«, grinste Frauke

»Es steht unentschieden vier zu vier.« Frau Hegel lächelte geheimnisvoll.

»Sie werden wie ein Stein schlafen«, wiederholte Frauke.

»Ist das nicht eher Folter?« Peter runzelte die Stirn.

»Natürlich.« Frauke gab sich nachdenklich. »Aber es ist eine sehr süße Folter. Und natürlich auch für uns, die wir nicht dürfen.«

»Ja«, seufzte Peter. »Damit könntest du Recht haben.«