Die Studentin – Veränderungen
Autor: Karl Kollar
Frauke schlug die Augen auf und blickte sich um. Es dauerte einige Zeit, bis sie realisierte, wo sie sich befand. Dabei war es nicht das erste Mal, dass sie in ihrem Geheimversteck erwachte. Doch dieses Mal hatte es einen besonders traurigen Hintergrund.
Sie hatte immer wieder überlegt, ob sie nicht einen Fluchtversuch unternehmen sollte. Doch etwas tief in ihr sagte ihr, dass sie sich damit keinen Gefallen tat. Irgendwie ahnte sie, dass sie damit ihre Situation noch schlimmer machen würde, als diese ohnehin schon war.
Außerdem wusste sie nicht, wohin sie hätte hingehen sollte. Zurück in ihr Elternhaus wollte sie auf keinen Fall, und von ihrer alten Clique wollte sie sich ebenfalls fernhalten. Sie hatte zwar noch ihren kürzlich gefundenen Schatz, doch es war ungewiss, was der nach all der Zeit überhaupt noch wert sein würde.
Eigentlich hatte sie sich bei Hegels wohlgefühlt, auch wenn sie durch ihre stählerne Unterwäsche ständig an ihren Status als Gefangene erinnert wurde. Seufzend blickte sie auf die Handschellen, die sie jetzt noch zusätzlich zu tragen hatte.
Sie weigerte sich, daran zu glauben, dass sie wirklich ins Gefängnis zurück musste. Sie war der immer noch der Meinung, dass sie unschuldig war.
Sie musste zwar zugeben, dass sie trotz des Verbots das Haus verlassen hatte, doch immerhin wurde sie dazu auch von Julia genötigt. Sie empfand dies zwar als sehr ungerecht, doch sie sah keine Möglichkeit, wie und bei wem sie sich diesbezüglich beschweren sollte. Denn damit hätte sie mehr oder weniger direkt Hegels eigentliche Ziele sabotiert, an denen sie selbst schon sehr früh gescheitert war.
Außerdem stellte Julia den letzten Versuch Hegels dar, so dass es sich doppelt verbot, dies zu gefährden.
* * *
»Heute Abend wäre wieder ein Pflichtabend für Frau Sommer.« Herr Hegel drehte den Kopf zu seiner Frau, die eben neben ihm erwacht war. »Wollen wir wirklich darauf bestehen? Sie hat doch schon so viel Ärger.«
Frau Hegel blickte ihren Mann verwundert an. »Es ist unsere letzte Chance. Wir sollten es unbedingt probieren.«
Er seufzte tief, denn Julia war auch seine beste Studentin. »Hat dein Bruder schon gesagt, wie er sich entscheiden wird?«
»Nein.« Sie seufzte ebenfalls. »Er hat noch keine Andeutungen gemacht.«
»Julia ist schon sehr weit. Ich konnte sie gestern ausführlich beobachten.« Er versuchte ein verlegenes Lächeln. »Verglichen mit den anderen Kandidatinnen ist sie sehr vielversprechend. Ich bin mir sicher, dass sie das Pferd und den Abend meistern wird.«
»Du solltest doch weg schauen.« Sie versuchte, einen vorwurfsvollen Blick aufzusetzen.
»Das habe ich auch…« Er ignorierte den unterschwelligen Vorwurf. »Und du hattest recht, sie musste mich erst darauf aufmerksam machen, dass sie die Arme noch nicht in den Ärmeln hatte.«
»Das hat sie gemacht?« Frau Hegel war erstaunt. »Das spricht allerdings für sie.« Sie schlug ihre Bettdecke weg. »Wir sollten aufstehen. Ich möchte gleich einmal nach Julia sehen.«
* * *
Als Frau Hegel Julias Zimmer betrat, sah sie, dass die Studentin schon wach war. »Guten Morgen, Julia.« Sie trat an das Bett heran. »Wie geht es ihnen heute?« Doch ein Blick in das verweinte Gesicht beantwortete die Frage deutlicher, als es Worte hätten tun können.
Statt einer Antwort seufzte Julia nur, und sie wartete, bis ihre Vermieterin das Nachthemd geöffnet hatte. Sie zog ihre Arme aus den Hüllen und räkelte sich, dann rieb sie sich die Augen.
»Sie haben wieder geweint?« Frau Hegel erkundigte sich nach dem Offensichtlichen.
Julia nickte nur. Zu einer Antwort war sie nicht fähig.
»Heute wird die Entscheidung fallen, so oder so.« Frau Hegel erklärte, dass auf das Wort ihres Bruders stets Verlass war.
Julia seufzte wieder. »Ich muss in Zukunft mit meiner Schuld leben.« Ihre Stimme klang sehr traurig. Sie war immer noch dabei zu verarbeiten, dass eine so kleine Erpressung so gravierende Auswirkungen haben konnte.
Sehr langsam befreite sie sich weiter aus dem Nachthemd, und als sie dabei ihre Unterwäsche erblickte, in der sie ab sofort gefangen sein würde, fragte sie sich wieder, ob sie diese jemals wieder los werden würde. Natürlich hatten Hegels ihr einen einfachen Weg offengelegt, wie sie trotz aller Umstände und trotz des Schlüssels, der sich in Fraukes Obhut befand, ihre manchmal so demütigende Unterwäsche wieder los werden könne. Doch dieser Weg würde bedeuten, dass sie alles aufgeben müsste – er offenbarte eine erschreckende Zukunft.
Dabei waren die Gegenstände des Keuschheitsgeschirrs, die sie so dich an ihrem Körper zu tragen hatte, gar nicht so unangenehm. Die Leute, die sie hergestellt hatten, schienen ihr Handwerk wirklich zu verstehen.
Und Julia empfand es wirklich als eine gerechte Strafe, die ganzen Sachen jetzt tragen zu müssen. Es war nur eine kleine Entschädigung gegenüber Frauke, die heute sicher wieder zurück ins Gefängnis musste.
Julia konnte nichts mehr tun, um es zu verhindern. Das war auch der Grund, weswegen sie es nicht wagte, sich bei Hegels zu beschweren. Sie wollte diese Strafe auf sich nehmen, auch wenn es Frauke nicht zu Gute kam.
Vermutlich würde es Frauke nicht einmal erfahren. Doch dann dachte Julia wieder an die Schlüssel, die sie ihrer ‚großen Schwester‘ so freudig übergeben hatte. Sie würde wissen, dass sie, Julia, in dem Keuschheitsgeschirr gefangen war und weder sie noch Hegels über den Schlüssel verfügten, ganz sicher.
Julia hatte darauf bestanden, zum Frühstück Carolins Lacksachen zu tragen. Sie wusste, wie unsinnig es war, sich kurz noch einmal umziehen zu müssen, doch sie wollte es auf sich nehmen.
Sie versuchte, damit einen Teil ihrer Schuld abzutragen. Doch tief in sich wusste sie, dass es weder für Hegels keine Rolle spielen würde, noch dass es Frauke irgendwie helfen konnte.
»Sie denken daran, dass heute Abend wieder der Pflichtabend ist?« Frau Hegels Frage riss sie aus ihren Gedanken.
Julia hatte es tatsächlich verdrängt, doch die Worte ihrer Vermieterin erinnerten sie wieder daran. »Was erwarten sie von mir? Und was soll ich alles tragen?«
Frau Hegel holte kurz tief Luft. »Trauen sie sich zu, den Abend bei uns auf dem Pferd zu verbringen?«
Julia schluckte, dann nickte sie langsam. »Ja klar, das kann ich machen.« Sie war in einer Stimmung, in der sie alles zugesagt hätte, um sich von ihrer Schuld abzulenken.
* * *
»Bis wann wollte dein Bruder sich entscheiden?« Herr Hegel nahm noch einen Schluck Kaffee und blickte zwischen seiner Frau und Julia hin und her.
»Er wollte heute Nachmittag vorbei kommen und seine Entscheidung bekannt geben.« Dass sie Frauke schon fast einen ganzen Tag lang nicht gesehen hatte, ignorierte die Frau des Professors. Immerhin hatten sie von der Polizei erfahren, dass sich ihre Dienerin noch auf dem Grundstück befinden musste.
»Wird er sie uns weg nehmen?« Der Professor klang besorgt.
»Ich weiß es nicht.« Seine Frau zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihm gesagt, was es für uns bedeuten würde, aber er hat erwidert, dass er darauf keine Rücksicht nehmen kann.« Sie seufzte tief.
Julia verfolgte den Dialog schweigend. Sie hatte wegen ihrer Erpressung ein schlechtes Gewissen und verzichtet ihrerseits auf den Kontakt zu Frauke, obwohl es ihr das Herz zerriss. Sie war sich sehr sicher, dass sich Frauke in ihrem Geheimversteck aufhielt.
* * *
Frauke versuchte, sich ebenfalls abzulenken. Sie dachte wieder und wieder über das erste Gespräch mit Herrn Buchelberger nach, als dieser sie im Gefängnis besucht hatte. Schon als die Wärterin sie damals aus der Zelle holte und ihr sagte, dass sie einen Besucher hätte, hatte sie sich sehr gewundert. Von ihrer Familie erwartete sie keinen Besuch, und von ihrer damaligen Clique würde sich keiner auch nur in die Nähe des Gefängnisses trauen, selbst wenn sie noch auf freiem Fuß wären. Doch soweit sie wusste, waren sie alle zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Sie kannte den Herrn nicht, der ihr an dem Tisch gegenüber saß. Die erste positive Überraschung kam, als er das Wachpersonal aus dem Raum schickte. Frauke hasste diese selbstgefälligen Wärterinnen, die eigentlich bei jedem Kontakt auf sie herab blickten.
»Frau Wiesl, ich möchte ihnen ein Angebot machen.« Er hatte ein Foto vor sich liegen, welches eine repräsentative Villa zeigte.
Im ersten Moment leuchteten Fraukes Augen, denn dieses Haus schien eine reiche Beute zu versprechen. Doch ein Räuspern riss sie wieder in die Wirklichkeit zurück. »Ich hoffe, sie denken nicht gerade an das, was ich denke.«
Frauke schüttelte verlegen den Kopf. Eine Antwort gab sie nicht, doch ihr verlegenes Gesicht verriet sie trotzdem. Und dann hörte sie die Frage, die ihr den Atem nahm.
»Könnten sie sich vorstellen, ihre Strafe in diesem Haus zu verbringen?« Herr Buchelberger blickte sie mit einer gewissen Erwartung an.
Frauke stand der Mund offen. Atemlos hörte sie zu, wie ihr Gegenüber so nach und nach die Bedingungen schilderte, unter denen sie demnächst zu leben hatte.
Es klang alles so wunderbar, und weder der angekündigte Keuschheitsgürtel noch die doppelte Strafdauer schreckten sie wirklich ab.
Seit sie im Gefängnis war, hatte sie darauf verzichtet, sich selbst zu berühren, auch wenn die Sehnsucht groß war. Zu deutlich sah sie die Kamera, die das Innere der kleinen Zelle überwachte. Und auch wenn sie wusste, dass die Kamera nur gelegentlich angeschaltet wurde, um sie zu kontrollieren, reichte es doch, um ihre diesbezüglichen Wünsche zu unterdrücken.
Doch dann wurde ihr der Keuschheitsgürtel und der entsprechende BH angemessen, und sie durfte das Gefängnis erst verlassen, als ihre Stahlunterwäsche sicher an ihrem Körper befestigt war und sie sie nicht mehr abnehmen konnte. ‚Sehen sie es bitte wie ein transportables Gefängnis.‘ Über die Worte musste sie trotz ihrer Situation schmunzeln.
An die regelmäßigen Wartungstermine hatte sie sich schnell gewöhnt, und der Gürtel bewirkte nebenbei, dass sie weiterhin rund um die Uhr an ihren Status als Gefangene erinnert wurde. Sie konnte sie zwar in Hegels Haus frei bewegen, doch dafür gehörte ihr ihr Körper quasi nicht mehr, zumindest die eigentlich interessanten Teile davon.
Es stellte sich weiterhin bald heraus, dass sie Hegels große Ziele bei weitem nicht erfüllen konnte, und stellenweise träumte sie sich sogar ins Gefängnis zurück, weil sie dort nicht die doppelte Strafdauer abzusitzen hatte.
Und stets fuhren die Straßenbahnen am Haus vorbei, und bei jeder einzelnen träumte Frauke davon, eines fernen Tages dort drin zu sitzen und in die Freiheit zu fahren.
Sie seufzte und blickte sich in ihrem winzigen Versteck um. Genau diese Sehnsucht hatte sie letztendlich in diesen Raum geführt, und es stand zu befürchten, dass die schöne Zeit hier im Haus abrupt vorbei war. Und es gab nichts mehr, was sie dagegen tun konnte.
Es gab nur einen winzigen Hoffnungsschimmer, und der bestand darin, dass Hegels dieses Geheimversteck vielleicht nicht kannten. Jetzt verfluchte sie den Samstag, an dem sie Julia dieses Versteck verraten hatte.
Sie fragte sich, auf wessen Seite Julia wohl stehen würde, wenn es hart auf hart kommen würde. Würde sie das Versteck verraten oder würde sie schweigen? Frauke wusste es nicht.
* * *
Heute fuhr Julia allein zur Uni, weil Herr Hegel erst später dort sein musste. Sie versuchte, ihre Gedanken an Frauke zu verdrängen und malte sich stattdessen aus, wie es wohl sein würde, wenn sie heute Abend auf dem Pferd sitzen würde. Sie rief sich das Foto in Erinnerung, welches Frau Hegel ihr gezeigt hatte.
Obwohl das Gesicht des Mädchens auf dem Foto nicht zu sehen gewesen war, strahlte sie doch in der mehr oder weniger erzwungenen Haltung eine Menge Stolz aus. Sie fragte sich, wie sich das Mädchen wohl gefühlt haben musste, als das Foto gemacht wurde.
Sie hatte sich den Inhalt des Bildes sehr eingeprägt. Besonders in Erinnerung geblieben war ihr der sehr eng geschnürte Handschuh, der die Arme des Mädchens richtiggehend aneinander presste. Sie musste sehr gelenkig gewesen sein.
Die Beine des Mädchens waren wie bei ihr selbst auch an der unteren Stange festgeschnallt. Deutlich zu sehen waren die hochhackigen Schuhe, die das Mädchen trug, doch an dieser Stelle war Julia in ihren Augen schon weiter. Sie war in der Lage, die Ballettstiefel zu tragen.
Sie war immer noch sehr verblüfft darüber, wie leicht es ihr gefallen war, diese Stiefel zu tragen. Sie war zwar immer noch etwas wackelig auf den Beinen, doch sie hatte sich diesbezüglich zusammengerissen. Sie wollte sich gegenüber ihrem Professor keine Blöße geben, und sie war auch der Meinung, dass sie es sowohl Frauke als auch Carolin schuldig war.
Nur vor dem Sattel hatte sie immer noch etwas Respekt, doch der Tag gestern hatte ihr gezeigt, dass sie sogar mit dem Gürtel darauf gut sitzen konnte. Sie wagte es nicht, es sich selbst einzugestehen, doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie an dieser ganz besonderen Haltung Spaß haben würde.
Doch dann hielt sie inne. War sie wirklich schon in der Lage, die Haltung ganze zwei Stunden auszuhalten? Sie wusste es nicht.
Ein verwegener Gedanke tauchte auf einmal auf. Sie überlegte, zusätzlich auch die Perle zu tragen. Sie war sich sicher, dass sie Hegels damit eine Freude machen würde, und es würde sie die zwei Stunden lang daran erinnern, sich nicht über die gewiss einsetzenden Schmerzen zu beklagen.
Denn die Schmerzen hatte sie verdient. Es half Frauke zwar nicht, und sie würde es auch nicht erfahren, doch Julia wollte für ihre Freundin leiden und sich selbst bestrafen.
* * *
Sie hatte gedacht, dass es in der Universität leichter wäre, ihre Schuld zu vergessen, doch in fast jeder Situation glaubte sie, Frauke zu sehen. Sie hatte große Schwierigkeiten, sich auf den Inhalt der jeweiligen Vorlesung zu konzentrieren. Immer wieder sah die Fraukes traurige Augen vor sich, und sie fürchtete sich vor dem Nachmittag, wenn Herr Buchelberger kommen würde und Frauke mitnehmen würde.
Sie versuchte, ihre innere Stimme zu ignorieren, die sie immer wieder an ihre Schuld erinnerte. Immer wieder gingen ihr die Gedanken durch den Kopf, die ihr sagten, das Frauke wegen ihr und ihrer kleinen Erpressung wieder zurück ins Gefängnis musste.
Sie zählte die Minuten, doch es gab nichts, mit dem sie etwas hätte ändern konnte. Sie wünschte sich, sie könne die Zeit anhalten oder vielleicht sogar zurückdrehen, doch all ihre Bemühungen waren umsonst, und der tragische Moment kam näher und näher.
* * *
Klaus Sommer ging in den Stall, weil er dort seine beiden Brüder mit dem Ausmisten beschäftigt wusste. Obwohl er wusste, dass sie nicht gehört werden konnten, sprach er leise, als er Peter und Bernd zu sich bat.
»Was ist los, dass du uns von der Arbeit abhältst?« Peter stellte seine Mistgabel zur Seite.
»Ich denke, ich weiß, wo Julia wohnt.« Obwohl er leise sprach, zitterte seine Stimme vor Erregung.
»Worauf warten wir dann?« Bernd ließ sein Arbeitsgerät ebenfalls los. »Fahren wir los und holen sie.«
»Das stellst du dir zu einfach vor.« Klaus musste seine Brüder bremsen. »Sie darf uns nicht noch einmal weglaufen.«
»Und was schlägst du vor?« Peter spürte, dass sein ältester Bruder einen Plan zu haben schien.
»Wir sollten erst einmal mit unseren Eltern darüber sprechen.« Klaus gab wieder, was er sich schon überlegt hatte. »Wir werden es ihnen heute Abend sagen.«
* * *
Normalerweise vertraute er seiner Sekretärin blind, doch dieses Mal war ihm wichtig, jedes Wort noch einmal selbst zu kontrollieren. Denn dieser Brief für Frau Wiesl hatte mit seinen sonstigen Schreiben überhaupt nichts zu tun. Außerdem betraf ihn der Inhalt dieses Briefes auch persönlich, denn er hatte seine Kompetenzen weit überschritten, und genau das drohte ihm jetzt auf die Füße zu fallen. Er hatte den Brief zwar diktiert, aber wie üblich hatte seine Sekretärin noch auf die Form und die üblichen Formalitäten geachtet.
Er nahm einen Umschlag zur Hand und beschriftete ihn mit ‚Frauke Wiesl‘, dann faltete er den Brief und steckte ihn in den Umschlag. Auf das Zukleben verzichtete er, denn er wusste, dass er den Brief persönlich abgeben würde.
Er rief seine Sekretärin zu sich und erkundigte sich nach den Terminen von heute.
»Ich habe ihnen den Nachmittag freigehalten, so wie sie es wollten.« Sie warf noch einmal einen Blick auf den Kalender.
»Danke, das war gut.« Er sah auf die Uhr. »Ich denke, ich werde erst nach 17 Uhr zurück sein. Wenn nichts mehr anliegt, können sie heute etwas früher Schluss machen.« Trotz seiner inneren Anspannung lächelte er ein wenig.
»Wo kann ich sie erreichen?« Es war wichtig für sie zu wissen, wo sich ihr Chef jeweils aufhielt. Es kam nicht oft vor, dass er einen Außentermin hatte.
»Ich bin bei meiner Schwester.« Er nannte kurz die Adresse. »Aber ich wäre ihnen sehr dankbar, wenn sie mich dort nicht stören würden. Vertrösten sie die Leute, die etwas von mir wollen.«
»Aber natürlich.« Sie lächelte kurz, dann zog sie sich zurück. An der Tür drehte sie sich noch einmal um. »Viel Erfolg.«
»Danke.« Insgeheim war er für seine sehr einfühlsame Sekretärin sehr dankbar.
* * *
Frauke blickte wieder und wieder auf die Lebensmittel, die sie sich ‚organisiert‘ hatte, und sie fragte sich, ob es schon Mittag war. Sie wusste, dass es ihre letzte Mahlzeit in Freiheit sein würde, und entsprechend wollte sie es genießen.
Der Beamte hatte sich für heute Nachmittag angesagt, und in der Vergangenheit war er immer sehr pünktlich gewesen.
Seufzend griff sie zu Brot und Käse, und mit Tränen in den Augen begann sie von beiden Teilen abzubeißen.
Ihr Blick fiel dabei auf das kleine Bündel, dass sie sich schon gepackt hatte. Es enthielt eigentlich nur ihre Zahnbürste sowie noch ein paar kleine Erinnerungsstücke, und sie hoffte sehr, dass diese nicht verloren gehen würden, wenn sie bei der Eingangskontrolle ihre Sachen abgeben musste.
Je weiter die Zeit voran schritt, desto mehr bereute sie die Entscheidung, Julia das Geheimversteck gezeigt zu haben. Sie wusste oder zumindest glaubte sie zu wissen, dass Julia einer strengen Vernehmung nicht standhalten würde und ihr Geheimversteck verraten würde.
Zum Glück hatte sie ihr noch nichts von dem Schatz erzählt, so dass wenigsten der erhalten bleiben würde, auch wenn sie dafür noch lange warten musste.
* * *
Herr Buchelberger holte sich seinen Mantel, dann nahm er noch die Papiere für den Dienstwagen aus dem Regal und machte sich auf den Weg zur Tiefgarage.
Auf dem Weg dahin fragte er sich, wie die Anwesenden wohl auf seine Entscheidung reagieren würden. Er war sich sehr unsicher, ob seine Entscheidung wirklich richtig war. Er hatte ‚sichtbare Konsequenzen‘ versprochen und er grübelte immer wieder, ob seine Lösung die nervigen Nachbarn wirklich beruhigen konnte. Er wusste, dass es wichtig war, persönlich bei ihnen vorstellig zu werden und die gewählte Lösung in aller Ernsthaftigkeit vorzutragen.
Als er bei Hegel ankam, sah er, dass das Tor schon offen stand. Er fuhr direkt auf das Grundstück und ließ seinen Wagen dort stehen, dann ging er zum Haus.
Julia hatte das Auto schon vom Fenster aus gesehen, und als sie den Herrn wieder erkannte, den sie gestern aufgesucht hatte, begann sie zu zittern.
Ihr erster Impuls war, sich zu verstecken. Doch dann erkannte sie, wie lächerlich dieses Verhalten war, und sie gab den Gedanken auf. Sie horchte in sich hinein, und eine innere Stimme sagte ihr, dass es besser wäre, sich der Verantwortung zu stellen.
Tief seufzend machte sie sich auf den Weg zum Treppenhaus. Dass sie die Lackkleidung trug, hatte sie in diesem Moment ganz ignoriert. Erst als sie den verwunderten Blick von Herrn Buchelberger sah und an sich herunter blickte, wurde ihr bewusst, dass sie einen seltsamen Anblick bieten musste. Aber jetzt war es zu spät, um es noch zu ändern.
»Guten Tag, Frau Sommer.« Er wartete, bis Julia neben ihr stand, dann reichte er ihr die Hand. »Ich freue mich, dass sie die Kleidung meiner Nichte tragen.«
Mit so einer Eröffnung hatte Julia nun überhaupt nicht gerechnet. Sie brauchte einen Moment, bis sie den Inhalt der Äußerung nachvollziehen konnte. Nur langsam fand sie ihre Worte wieder. »Ja, das ist faszinierende Kleidung.«
Für einen kurzen Moment hatte Julia den Grund verdrängt, weswegen der Herr gekommen war. Jetzt holte sie tief Luft. »Wie haben sie sich entschieden?« Sie blickte ihn mit einer Mischung aus Flehen und Verzweiflung an.
»Ach ja richtig, Frau Wiesl.« Er versuchte, sein innerliches Lächeln nicht zu zeigen. Etwas umständlich holte er einen Brief aus seiner Aktentasche. »Bringen sie den bitte zu ihrer Freundin.« Er reichte Julia den Umschlag, auf dem sie nur den Schriftzug ‚Frauke Wiesl‘ sah. Allerdings war es ein Umschlag der Justizbehörde, wie es auf dem Vordruck deutlich zu lesen war.
Julia war für einen Moment wie gelähmt. Ihre Hand zitterte, als sie den Brief entgegen nahm. »Ja, äh...« Sie war verwirrt.
Nur langsam kam ihre Intelligenz wieder durch. Er schien alles zu wissen.
Vor allem schien er zu wissen, wo Frauke sich aufhielt, und er traute ihr zu, dies ebenfalls zu wissen.
Und dennoch vertraute er ihr? Sie war wirklich verwirrt. »Wollten sie sie nicht mitnehmen?« Sie musste es einfach fragen.
»Es steht alles in dem Brief.« Trotz der innerlichen Anspannung schaffte er es, eine neutrale Miene zu wahren. »Jetzt gehen sie schon zu ihr.«
Julia zögerte immer noch. »Das ist eine Falle. Sie wollen, dass ich sie zu ihr führe.« Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme sehr vorwurfsvoll klang.
»Und bitte bleiben sie bei ihr, bis sie den Brief gelesen hat.« Er übersah ihren Einwand und drehte sich zu seiner Schwester. »Habt ihr einen Kaffee für mich?«
»Aber ja.« Auch Frau Hegel hatte die Szene aufmerksam verfolgt, doch auch sie gab Julia keinen Hinweis, wie sie nun reagieren sollte. »Komm bitte in die Küche.«
Julia blickte verwundert hinterher, und erst als sie sich Küchentür schloss, kam etwas Bewegung in ihre Gedanken.
Sie war erleichtert, dass sie nicht ihrem ersten Impuls gefolgt war und einfach los gelaufen war. Jetzt konnte sie in aller Ruhe überlegen, wie sie am besten vorgehen konnte.
Es gab in jeder Etage Zugänge zu den alten Heizgängen, doch Julia wollte diese nicht unnötig an ihre Vermieter verraten. Bisher war sie ein wenig stolz darauf, dass sie dieses Geheimnis mit Frauke teilen durfte.
Doch dann wurde ihr bewusst, dass sich einer der Zugänge direkt in ihrem Zimmer befand. Und dort konnte sie sehen, ob sie jemand verfolgt hatte. Zumal sich der Eingang auch noch im toten Winkel der Notfall-Kamera befand, wie sie von Frauke erfahren hatte.
Langsam ging sie zur Treppe und schritt langsam hinauf, während der Brief in ihren Händen zu brennen schien. Dabei achtete sie sorgfältig darauf, dass ihr keiner folgte. Doch zu ihrer Erleichterung blieb die Küchentür zu, und auch sonst sah sie niemanden.
Trotzdem betrat sie erst einmal ihr Zimmer und ging zum Fenster. Sie hoffte, so den unbeobachteten Bereich ihres Zimmers getroffen zu haben. Trotzdem blieb sie noch eine Weile dort stehen und tat so, als würde sie nach draußen schauen. Erst als sie erkannte, dass Frauke wohl auch genau an dieser Stelle gestanden haben musste, beschloss sie, jetzt zu ihr zu gehen.
Obwohl sie eigentlich wusste, dass sie allein war, drehte sie sich doch mehrmals um, um sich zu vergewissern, dass ihr keiner folgte. Schließlich stand sie vor der kleinen Kommode, in deren oberen Rand der Mechanismus zum Öffnen der Geheimtür versteckt war. Sie blickte sich ein letztes Mal um, dann drückte sie die beiden Knöpfe, und mit einem leisen Knacken öffnete sich die Geheimtür.
Julia hielt den Atem an und horchte, ob sie irgendwelche Geräusche vernahm, doch es blieb so still wie immer. Mit viel Herzklopfen betrat Julia den dunklen Gang und machte sich auf den Weg zu Fraukes Versteck.
»Kommst du, um mich zu verraten?« Frauke saß zusammengesunken auf der Matratze, sie hatte kaum aufgesehen, als Julia herunterkam, doch aus ihrer Stimme sprach einfach alles: Hass, Verachtung und Angst vor der Zukunft.
»Den soll ich dir geben.« Julia ignorierte die Stimmung und reichte ihr den Brief. »Ich soll bei dir bleiben, bis du ihn gelesen hast.«
Frauke blickte Julia sehr verwundert und immer noch verächtlich an. »Sie kommen nicht, um mich abzuholen?«
»Das weiß ich nicht.« Julia zuckte etwas ratlos mit den Schultern. »Was schreiben sie denn?«
Frauke hielt den Brief einige Zeit in der Hand, und es war gut zu sehen, wie sehr sie dabei zitterte.
Schließlich gab sie sich einen Ruck und versuchte ihn zu öffnen. »Er ist nicht zugeklebt?« Zuerst war sie verwundert, dann blickte sie Julia fragend an. »Du hast ihn schon gelesen?« Ihre Augen funkelten sehr zornig.
Doch Julia beteuerte ihre Unschuld. »Ich habe ihn so bekommen.«
Endlich nahm Frauke den Brief heraus und las ihn. Schon nach kurzer Zeit begann sie zu zittern, und es liefen Tränen über ihr Gesicht.
Julia hatte es nicht gewagt, Frauke ins Gesicht zu sehen, seit sie den Brief geöffnet hatte. Erst als sie ein seltsames Lachen hörte, wagte sie es, aufzublicken. Obwohl Frauke noch genauso da saß wie zuvor, sah sie doch ganz verändert aus und strahlte Julia durch ihre Tränen freudig an. Den Brief hatte sie vor sich zu Boden fallen lassen.
Julia beugte sich hinab und nahm sich den Brief in die Hand, um ihn zu lesen.
Doch Frauke unterbrach sie. »Liest du immer fremde Post?« Sie schluchzte, doch das freche Grinsen in ihrem tränenüberströmten Gesicht verriet sie.
Julia wurde rot und ließ das Papier wieder sinken.
»Nun lies schon.« Frauke war noch dabei, das eben Gelesene zu verarbeiten.
Julia hob ihre Arme wieder hoch, und sehr neugierig begann sie den Brief zu lesen.
Es war reines Juristen-Deutsch, und es dauerte einige Zeit, bis sie den Inhalt verstanden hatte. Zunächst wurde Fraukes Schuld festgestellt und auf die Notwendigkeit einer Strafverschärfung hingewiesen.
Doch dann kam ein Satz, der ihr den Atem nahm. Sie selbst wurde als weitere Aufsichtsperson für Frauke bestimmt, und bei dieser Aufgabe hätte sie diverse Auflagen zu erfüllen.
Die wichtigste Aufgabe war, Frauke bei Spaziergängen im Ort zu begleiten. Sie hätte dabei dieses Schreiben mit sich zu führen und gegebenenfalls bei Kontrollen durch die Polizei vorzuweisen.
Eine weitere Bedingung verblüffte sie noch viel mehr: Sie hatte die Auflage, Frauke mit Handschellen an sich zu binden, wenn sie das Grundstück verlassen wollten. Auf Hegels Grundstück genügte die gemeinsame Anwesenheit. Sie sollten lediglich darauf achten, dass Frauke nicht allein in den Garten ging. Auf der Terrasse wäre es in Ordnung.
In Julia brachen alle Dämme, und sie begann hemmungslos zu weinen. Zu groß waren die Gefühle der Erleichterung, als dass sie sich noch hätte unter Kontrolle halten können.
Erst als Frauke sie zu sich herunter auf das Sofa zog und sie mit großer Kraft umarmte, als Julia Fraukes streichelnde Hand spürte, konnte sie sich ein wenig beruhigen und die Umarmung erwidern.
Nach einer gefühlten Ewigkeit lockerte Frauke die Umarmung und sagte »Ich glaube, wir müssen uns bei jemand bedanken.« Ihre Stimme war dabei unerwartet trocken. Auch sie war noch dabei, ihr unerwartetes Glück zu verarbeiten.
* * *
»Nun sag schon, wie hast du dich entschieden?« Es lag Frau Hegel sehr daran, von der Entscheidung ihres Bruders zu erfahren. Sie blickte ihn erwartungsvoll an.
Doch Herr Buchelberger ignorierte die Frage. »Hoffentlich kommen sie bald.« Er lächelte. »Wir haben noch einiges zu erledigen.«
Er nahm einen Schluck Kaffee aus der Tasse, die vor ihm auf dem Tisch stand. Immerhin hatte er noch etwas vor, auf das er sich vorbereiten musste.
Seine Schwester sah ihn flehend an, doch mehr als ein Lächeln und die Worte ‚Vertrau mir‘ konnte sie ihm nicht entlocken.
»Ah, hier seid ihr.« Herr Hegel kam in die Küche. Auch in seinem Gesicht stand Besorgnis.
»Frau Sommer bringt den Brief mit meiner Entscheidung gerade zu Frau Wiesl.« Der Bruder von Frau Hegel blickte seinen Schwager gespannt an. »Ich denke, sie werden gleich zurück kommen.«
»Und, wie lautet die Entscheidung?« Auch der Professor war sehr an der Entscheidung interessiert, wenn auch aus anderen Gründen.
Herr Buchelberger lächelte. »Ihr werdet es gleich erfahren.«
Gleich darauf waren von draußen Schritte zu hören. Er stand auf und drehte sich zur Tür.
Gleich darauf betraten Julia und Frauke die Küche. Sie hielten sich an den Händen und strahlten bis über beide Ohren.
»Frau Wiesl, bitte machen sie sich fertig, ich werde sie gleich mitnehmen.« Er hatte große Mühe, bei dem Satz Ernst zu bleiben. Doch er sah sofort, dass die Botschaft die erhoffte Wirkung hatte.
Bei Julia und Frauke schossen sofort wieder die Tränen in die Augen. »Aber...« Sie drückten ihre Hände noch fester aneinander.
Die Miene von Herrn Buchelberger entspannte sich und er lächelte. »Sehr gut. Ich wollte nur sicherstellen, dass sie sich des Ernstes der Situation bewusst sind.« Er holte tief Luft. »Es gibt keinen Grund zu Freude und Dankbarkeit, sondern wir besprechen nur die Bedingungen einer Strafverschärfung.«
Julia und Frauke brauchten einige Zeit, bis sie seine Worte verarbeitet hatten. Es war still in der Küche.
»Ja, natürlich.« Julia fand zuerst ihre Worte wieder. »Ich werde gut auf Frau Wiesl aufpassen und sie fest an mich binden.« Sie drückte Fraukes Hand fest.
»Als erstes müssen wir zu den Nachbarn.« Herr Buchelberger nahm noch einen Schluck aus der Kaffeetasse und stellte sie zurück auf den Tisch.
»Was wollen wir denn da?« Fraukes Stimme zitterte bei dem Gedanken, die Leute aufzusuchen, die sie offensichtlich denunziert hatten.
Herr Buchelberger blickte zwischen Julia und Frauke hin und her. »Sie wollen doch in Zukunft ohne Probleme nach draußen gehen, ohne Angst vor den Nachbarn.«
»Ja sicher.« Frauke zögerte mit der Antwort, denn der plötzliche Freiheitsgewinn war ihr sehr unheimlich.
»Sehen sie es als eine vertrauensbildende Maßnahme.« Er lächelte. »Und außerdem möchte ich nicht ständig von denen belästigt werden.«
Jetzt hatte auch Julia sein Anliegen begriffen. »Ich würde mich dann umziehen gehen.«
Doch Herr Buchelberger hielt sie zurück. »Warten sie, bleiben sie bitte so wie jetzt sind.« Er griff zu seiner Tasche. »Frau Wiesl, kommen sie bitte einmal zu mir.«
Frauke ließ Julias Hand los, dann ging sie sich wie verlangt zu Herrn Buchelberger.
»Bitte tragen sie ab jetzt immer dieses Handy bei sich.« Er holte das Telefon aus seiner Tasche und reichte Frauke das Gerät.
»Damit sie mich überwachen können?« Frauke schaffte es noch nicht, ihr Misstrauen abzulegen.
»Ja, es ist für ihre Überwachung.« Herr Buchelberger hatte insgeheim mit dieser Reaktion gerechnet. »Denken sie daran, dass sie die Gemeinde nicht verlassen dürfen.«
Frauke erwiderte nichts und senkte stattdessen den Kopf.
»Aber es gibt noch eine viel wichtigere Funktion«, ergänzte er nach einer kurzen aber bedeutsamen Pause.
Frauke blickte verwundert auf. »Und zwar?«
Der Beamte holte tief Luft. »Damit können sie mich direkt anrufen, wenn sie einmal Probleme mit den Behörden oder der Polizei haben sollten.«
Frauke wurde rot. »Ja, natürlich«, stammelte sie.
Er wandte sich an seine Schwester. »Habt ihr einen passende Jacke für Julia?« Insgeheim fand er diesen Lackstoff auch sehr faszinierend, doch in seinem Beruf durfte es keine Rolle spielen.
»Im zweiten Schrank ist sicher etwas Passendes.« Frau Hegel wusste, mit was sie alles Julias Garderobe ausgestattet hatten.
»Dann holen sie sich eine passende Jacke.« Er griff zu seinem Portemonnaie, nahm einige große Scheine heraus heraus und reichte sie Frauke. »Bitte kaufen sie sich etwas unauffälligeres zum Anziehen.«
Frauke wollte es zunächst nicht glauben. »Wieso?« Obwohl sie es sich selbst kaum eingestehen wollte, hatte sie sich doch an das Dienstbotenkleid gewöhnt.
»Ich möchte nicht mehr, dass sie in der Öffentlichkeit auffallen.« Er hatte erkannt, dass seine Idee von damals sich als nicht mehr geeignet heraus gestellt hatte. Deswegen zahlte er das Geld auch aus seiner privaten Geldbörse.
»Es muss natürlich ein Rock oder ein Kleid sein.« Frau Hegel erinnerte an die Schenkelbänder, ohne dass sie es konkret aussprach.
»Dann holt euch eure Jacken.« Er blickte die beiden Mädchen erwartungsvoll an. »Wir treffen uns in zehn Minuten an der Haustür.«
Julia wagte erst etwas zu sagen, als sie ihr Zimmer betreten hatten. »Ich bin ja so erleichtert.«
»Ja, ich auch.« Frauke hatte immer noch Mühe, Worte zu finden.
Die Studentin trat an ihren zweiten Schrank und öffnete ihn. Etwas ratlos blickte sie herein.
»Wie wäre es hier mit der dunkelblauen Jacke?« Frauke zeigte auf das Kleidungsstück, welches ihr ins Auge gefallen war. »Das passt gut zur schwarzen Hose.«
»Eigentlich passt alles zur schwarzen Hose.« Julia grinste, dann griff sie hinein und nahm sich die Jacke heraus. Sie war immer noch fasziniert davon, vor einem Schrank mit ausschließlich Lackkleidung zu stehen.
* * *
Über die Lösung, die Herr Buchelberger gefunden hatte, waren Hegels sehr erleichtert, auch weil sie alle Seiten das Gesicht wahren ließ.
»Wir sind ehrlich froh, dass du dich so entschieden hast.« Frau Hegel lächelte ihren Bruder an.
»Bedankt euch bei Frau Sommer.« Herr Buchelberger winkte ab.
»Wieso bei ihr?« Herr Hegel war ein wenig verwundert.
»Sie war bei mir und hat mir ihr ‚Vergehen‘ gebeichtet.« Es war jetzt noch zu hören, wie sehr er von Julias Auftreten beeindruckt war. »Und ich habe dabei eine Frau gesehen, die für ihre Liebe gekämpft hat. Sie hat mir sogar angeboten, für Frau Wiesl in Gefängnis zu gehen.«
»Sehr beeindruckend.« Herr Hegel sah sehr nachdenklich aus. »Meine Achtung vor meiner Studentin wächst noch mehr.«
»Ich werde mal sehen, ob ich eine Jacke für Frau Wiesl finde.« Frau Hegel wurde die Situation etwas unangenehm, sie suchte nach einer Ablenkung. »Die Sachen für Julia werden ihr nicht passen.«
»Ja, mach das, mein Schatz.« Es war Herrn Hegel anzusehen, wie sehr er über die Lösung erleichtert war.
* * *
»Was hast du denn hier gemacht?« Frauke trat neben das Bett und hob die Sachen auf, die alle wild verstreut vor dem Bett lagen.
Julia drehte sich zu ihrer Freundin um. »Ach, die Sachen hatte ich vor lauter Frust aus dem Bett geschmissen.« Doch auf einmal wurde sie blass.
»Was ist los?« Frauke hatte Julias Reaktion sofort bemerkt. »Hätte ich es nicht aufheben dürfen?«
»Nein, das ist es nicht.« Julia lächelte kurz. »Ich habe darüber nachgedacht, dass ich seit Dienstag nicht mehr trainiert habe.«
Frauke verzichtete auf die Frage, was sie denn stattdessen gemacht hätte, denn es war zu naheliegend. »Willst du es nachholen?«
»Das wird nicht gehen.« Julia schüttelte enttäuscht den Kopf. »Ich hatte die Zeiten ohnehin schon doppelt verplant.« Sie erläuterte kurz ihren Trainingsplan.
»Ja, das ist heftig.« Jetzt wo Frauke es wusste, bedauerte sie die zwei zurückliegenden Tage doppelt. Julia mit Handschuh und Perle auf dem Pferd, während sie für ihre nächsten Prüfungen lernte, das wäre ein ganz besonderer Anblick gewesen. Und sie hätte ihr sehr gern beim Umblättern geholfen. »Wir sollten Hegels um Rat fragen.«
Julia blickte sie unsicher an, während sie sich die Jacke überzog. »Sie können mir die Zeit auch nicht zurück bringen.« Ein wenig Frustration klang in der Stimme mit.
»Nein, das nicht.« Frauke war sich unsicher, wie viel sie von ihrem eigenen Wissen äußern durfte. »Aber sie könnten dir helfen, Prioritäten zu setzen.«
»Wenn du meinst, dann fragen wir sie.« Sie ging an den ersten Schrank. »Mal schauen, ob wir hier etwas für dich zum Überziehen finden.«
Frauke kam näher. »Dein Mantel wird mir sicherlich nicht passen.«
»Nein, sicher nicht.« Julia lächelte, doch dann fiel ein Schatten über ihr Gesicht, denn ihr war der Grund wieder eingefallen, warum sie den so faszinierenden Mantel in den letzten Tagen nicht mehr getragen hatte. Sie berichtete ihrer Freundin davon.
In diesem Moment klopfte es an der Tür, und kurz darauf betrat Frau Hegel das Zimmer der Studentin. »Frauke, ich habe hier eine Jacke für sie, die ihnen passen könnte.«
»Oh, vielen Dank.« Frauke blickte kurz auf den offenen Schrank. »Julia ist doch ein wenig kleiner als ich.«
»Kommen sie dann herunter?« Frau Hegel wandte sich wieder zur Tür. »Mein Bruder wartet auf sie.« Sie schloss die Tür hinter sich.
»Ich muss dir auch etwas beichten.« Frauke wurde etwas rot, als sie sich die Jacke anzog, »Ich wollte dafür sorgen, dass du den Schlüssel nie wieder bekommst.«
Julia wusste im ersten Moment nicht, um was es ihrer Freundin ging. »Welchen Schlüssel?«
Frauke war ein wenig verwundert. »Na den zu deiner hübschen Unterwäsche.«
Jetzt war es an Julia, verlegen zu sein. »Ach weißt du, ich hatte mich mit dem Gedanken, die Sachen nie mehr loszuwerden, schon abgefunden. Ich fand es eine gerechte Strafe für das, was ich gemacht hatte. Wenn du schon ins Gefängnis gemusst hättest, dann wollte ich auch gefangen sein.«
»Ich bin verblüfft.« Frauke lächelte verschlagen. »Das heißt, du willst ihn gar nicht zurück?«
Zu Fraukes Verwunderung seufzte Julia nur und wurde ein Spur trauriger. »Ich hatte bis gestern Bedenkzeit.«
»Bedenkzeit wofür?« Frauke hielt den Atem an. Eigentlich wusste sie, worum es ging, doch sie hätte nicht erwartet, dass Hegels trotz der in dem Moment so angespannten Situation an ihrem Plan festhalten würden.
»Ich musste mich entscheiden, ob ich Gürtel und BH weiterhin tragen möchte, auch ohne über den Schlüssel zu verfügen.« Sie holte tief Luft. »Insofern war es eine einfache Entscheidung.« Es klang sehr nach Galgenhumor.
Frauke war in dem Moment sprachlos. Wortlos zog sie Julia an sich heran und schloss sie in ihre Arme. »Meine tapfere kleine Schwester.« Wieder liefen ein paar Tränen in beiden Gesichtern.
In diesem Moment klopfte es wieder an der Tür. »Kommen sie bitte?« Diesmal war die Stimme von Herrn Hegel zu hören.
»Ja, wir kommen«, riefen die beiden Mädchen fast zusammen. Sie lachten kurz, dann gingen sie Hand in Hand zur Tür, nachdem sie sich die Tränen aus den Gesichtern gewischt hatten.
* * *
Den Besuch der ‚Denunzianten‘-Nachbarn hatten sie sich bis zum Schluss aufgehoben. Bei all den anderen Nachbarn war es einfach gewesen. Zum einen hatte keiner von ihnen etwas von dem Vorfall bemerkt, und so richtig herumgesprochen hatte es sich auch noch nicht.
Was Julia aber viel mehr verblüffte war, dass keiner der Nachbarn an ihrer Lack-Kleidung etwas auszusetzen hatte. Sie hatte fast den Eindruck, als wäre es für Hegels Umgebung ganz normal, in dieser Umgebung mit ihrer Kleidung an die Öffentlichkeit zu gehen.
Es könnte aber auch daran gelegen haben, dass sie die Nachbarn zu fünft aufgesucht hatten, Julia und Frauke sowie das Ehepaar Hegel und Herr Buchelberger. Es schien die Nachbarn beeindruckt zu haben, und alle waren mit den neuen Regeln einverstanden.
Auch Frau Hegel war davon überrascht. »Ich glaube, das Verbot können wir aufheben. Von nun an können sie mit der Kleidung auch nach draußen gehen.«
»Warten wir noch ab, bis wir bei ihnen waren.« Herr Hegel wollte die Freude über die Entwicklung noch etwas bremsen.
Sie wurden bei den Nachbarn gleich ins Wohnzimmer geführt. »Bitte verzeihen sie uns, wenn wir ihnen Ärger gemacht haben.« Es wurde allerdings nicht klar, wen die Frau mit ihren Worten meinte.
Julia drückte Fraukes Hand ganz fest – Sie ahnte, dass ihre Freundin kurz vor dem Explodieren stand.
Herr Buchelberger übersah die offensichtlich sehr scheinheilige Bemerkung der Frau. »Sie haben es richtig gemacht, und so wie sie es erwartet haben, bekommt Frau Wiesl eine Strafverschärfung.«
Er bat Julia und Frauke, vor zu treten. »Ich habe Frau Sommer als weitere Aufsichtsperson eingeteilt. In ihrer Gegenwart darf Frau Wiesl in Zukunft das Haus verlassen.«
Julia räusperte sich unbewusst.
Herr Buchelberger ahnte, was die Studentin bewegte. »Bitte zeigen sie das besondere Arrangement, dass ich angeordnet habe.«
Beide Mädchen hoben ihre Hände. Auf den ersten Blick sah man nur, dass sie sich aneinander festhielten. Doch als sie ihre losließen, kamen die Handschellen zum Vorschein.
»Ich wollte, dass sie darüber informiert sind. Das ist eine der Auflagen, die ich erlassen habe.« Er bemühte sich, möglichst ernst zu klingen. Er hatte Julia und Frauke vorher schon gesagt, dass sie etwas traurig schauen sollten, damit die Nachbarn nicht misstrauisch wurden und das ganze Arrangement glaubwürdig blieb.
»Darf ich noch etwas fragen?« Die Frau war sichtlich bewegt, es war aber nicht zu erkennen, ob sie beeindruckt oder eingeschüchtert war.
»Ja bitte?« Herr Buchelberger schien schon zu ahnen, was kommen würde.
Sie blickte an Julia herunter. »Warum trägt ihre Frau Sommer so seltsame Kleidung?«
»Haben sie ein Problem damit?« Herr Buchelberger runzelte die Stirn. »Sie ist doch nicht unzüchtig angezogen.«
Die Frau fühlte sich mehr oder weniger gezwungen, Julia genauer anzusehen. »Eine Hose, vernünftige Schuhe, und eine hochgeschlossene Bluse. Nein, es gibt eigentlich nichts auszusetzen.«
»Oder stört sie das Material?« Er holte tief Luft. »Das wäre schade, denn es gibt einen ernsthaften Grund, warum Frau Sommer dies tragen muss. Und bitte fragen sie sie nicht warum, so ersparen sie ihr zusätzliches Leid.«
Es wirkte wie gewünscht. Die Frau blickte jetzt auf Frauke.
Doch bevor sie etwas sagen konnte, unterbrach Herr Buchelberger ihre Gedanken. »Frau Wiesl hat etwas Geld von mir bekommen, mit dem sie sich etwas Unauffälligeres zum Anziehen kaufen darf.«
»Vielleicht darf ich sie einmal zum Kaffee einladen?« Irgendwie schien die Frau jetzt ein schlechtes Gewissen zu haben.
Julia glaubte sich verhört zu haben. »Wir nehmen die Einladung gern an.«
Frauke versucht ein vorsichtiges Lächeln.
* * *
Als sie wieder auf der Straße waren, schwiegen sie. Erst als sie deutlich außer Sicht- und Hörweite waren, wagte Julia, sich zu äußern. »Ich hatte große Mühe, nicht zu lachen.«
»Gut, dass sie sich beherrschen konnte.« Der Bruder von Frau Hegel lächelte. »Ich denke, wir haben den richtigen Eindruck hinterlassen.«
»Wohin gehen wir jetzt?« Die Studentin war immer noch dabei, die Erlebnisse der letzten Stunden zu verarbeiten.
»Ich dachte, wir testen gleich einmal ihre Erscheinung.« Herr Buchelberger zeigte in die Richtung, in der sie gerade unterwegs waren.
»Irgendwie spannend.« Julia keuchte ein wenig.
»Und außerdem möchte ich sie noch auf dem örtlichen Revier vorstellen.« Herr Buchelberger war sich nicht sicher, wie Frauke auf diese Ankündigung reagieren würde, doch er musste sie damit konfrontieren.
»Revier?« Frauke blieb stehen und runzelte die Stirn.
»Das Polizeirevier.« Herr Buchelberger hatte Fraukes verängstigten Blick bewusst übersehen.
»Warum denn das?« Frauke klang auf einmal etwas weinerlich.
»Proaktiv sozusagen.« Er lächelte. »Ich möchte sicher gehen, dass es auch dann keinen Ärger gibt, wenn andere Nachbarn sich beschweren sollten.«
»Aber wir haben uns doch bei allen vorgestellt.« Es wurde deutlich, dass Frauke den Kontakt zur Polizei lieber meiden wollte.
»Es wäre aber wichtig, dass wir uns absichern.« Er wusste, dass er Frauke diesen Besuch nicht ersparen durfte.
»Ich bin doch bei dir.« Julia spürte die Ängste ihrer Freundin. »Es wird dir nichts passieren.« Insgeheim fragte sie sich, ob ihre Freundin noch ein schlechtes Gewissen hatte wegen ihrer Vergangenheit.
Vielleicht gab es noch den einen oder anderen Einbruch, der noch nicht aufgeklärt war. Oder sie hatte Angst, einem Polizisten aus ihrer Vergangenheit zu begegnen.
Als sie die Wache betraten, passierte genau das, was Frauke befürchtet hatte. Sie stand vor der Polizistin, die sie damals verhaftet hatte. »Sind sie schon wieder draußen?« Ihre Miene zeigte deutlich, was sie von der sich ihr darbietenden Situation hielt.
Frauke schluckte. Zu mehr war sie nicht in der Lage.
»Claudia, kommst du mal.« Ein anderer Beamter rief die Polizistin zu sich. »Du musst noch etwas wissen.«
Es dauerte einige Momente, während denen die fünf Personen allein vor dem Tresen standen.
Schließlich kam die Beamtin zurück. »Zeigen sie mir bitte einmal die Handschellen.«
Julia und Frauke blickten die Polizistin verwundert an, dann kamen sie der Aufforderung nach.
»Das Standard-Modell.« Die Polizistin nickte. Irgendwie schien wie verwandelt. »Wenn sie einmal Probleme haben, rufen sie hier direkt an.« Sie reichte Frauke eine Visitenkarte. »Wir sind über das besondere Arrangement informiert und werden entsprechend Auskunft geben, wenn es nötig sein sollte.«
Fraukes Knie zitterten, als sie die Wache verließen.
»Na siehst du, war doch gar nicht so schlimm.« Julia drückte die Hand ihrer Freundin. »Hast du das Handy schon angeschaltet?«
Die Freundin schüttelte den Kopf.
»Warum?« Julia versuchte, sich in ihre Freundin hinein zu versetzen. »Weißt du die PIN nicht?«
»Doch, er hat sie mir gesagt.« Frauke war ein wenig verlegen.
»Und warum schaltest du es dann nicht an?« Julia versuchte, ihre Stimme ermutigend klingen zu lassen.
Doch Frauke gab keine Antwort.
»Es ist zu deinem Schutz, weil du ihn dann jederzeit erreichen kannst.« Julia hoffte, ihrer Freundin damit Mut zu machen.
»Ja, du hast recht. Ich bin es nicht gewohnt, Eigentum zu haben.« Doch auf einmal wurde sie kreidebleich.
Julia blickte ihre Freundin verwundert an. »Was ist denn jetzt schon wieder?« Sie verdrehte die Augen.
Frauke klang auf einmal sehr traurig. »Ich habe etwas Schlimmes gemacht.«
»Das weiß ich doch schon alles.« Die Studentin erinnerte an das Gespräch, welches sie mit Herrn Buchelberger geführt hatte.
Doch Frauke wurde noch trauriger. »Du hast mir doch das Tram-Modell geschenkt.«
»Ich habe es dir nicht geschenkt. Das durfte ich ja nicht. Es gehört immer noch mir.« In diesem Moment war es Julia wichtig, dies zu betonen.
»Und ich habe es kaputt gemacht.« Frauke hatte es endlich ausgesprochen. »Ich bin vor lauter Wut darauf herum getrampelt.«
Im ersten Moment war Julia entsetzt. »Das hatte ich mit dem ersten Taschengeld gekauft.« Ein wenig war sie schon über diese Nachricht enttäuscht.
Doch dann trat sie gedanklich einen Schritt zurück und betrachtete die Gesamtsituation. »Ich hätte an deiner Stelle bestimmt genauso gehandelt.« Sie nahm Frauke in den Arm. »Was hast du nur alles wegen mir durchgemacht?«
»Du bist mir nicht böse?« Fraukes Stimme zitterte.
»Nein, natürlich nicht.« Julia lächelte verliebt. »Morgen kaufe ich dir ein neues Modell.«
Jetzt war es auch an Frauke, erleichtert zu sein. Sie schlang ihre Arme ebenfalls um Julia und drückte sie an sich.
Doch auf einmal spürte sie, wie Julia sich versteifte. Sie löste ihre Umarmung und trat einen Schritt zurück. »Was ist los? Was bewegt dich denn jetzt wieder?«
Julia schien Mühe zu haben, sich zwischen den vielen Problemen zu orientieren. Schließlich hatte sie sich wieder gefasst. »Mein Training. Ich habe es sehr vernachlässigt in den letzten Tagen.« Es war ihr anzusehen, wie sehr sie es bedauerte.
»Aber das hatten wir doch schon besprochen.« Sie lächelte. »Wir wollten Hegels fragen wegen den Prioritäten.«
»Aber das machen wir bitte erst dann, wenn wir wieder im Haus sind.« Frau Hegel hatte sich umgedreht. »Das ist kein Thema für die Öffentlichkeit.«
»Einverstanden.« Julia lächelte erleichtert.
* * *
Frauke und Julia fanden ihre Gasteltern im Wohnzimmer. Sie traten ein und trugen ihr Anliegen vor.
»Im Moment ist das Training für die Engel wichtiger als das Studium.« Frau Hegel blickte kurz zu ihrem Mann, und als dieser nickte, trug sie ihren Vorschlag vor. »Wir hatten das ebenfalls schon diskutiert.«
Julia wollte etwas erwidern, doch die Frau des Professors unterbrach sie mit einer Handbewegung. »Lassen sie mich das erklären: In zwei Wochen, nein, es ist eigentlich nur noch eine Woche, müssen wir sie vorstellen, und das ist ein harter Termin.«
Herr Hegel ergänzte. »Ich kenne ihren Professor sehr gut, und ich habe auch schon mit ihm geredet.« Er lächelte. »Er hat nichts dagegen, wenn sie bis nächsten Sonntag ein paar Vorlesungen ausfallen lassen und sich stattdessen von etwas Anderem ablenken lassen.« Zusätzlich zwinkerte er.
Julia hörte atemlos zu und realisierte erst nach einer gewissen Zeit, dass er über sich selbst sprach. Sie griff den Gedanken auf. »Das ist aber sehr nett von meinem Professor.«
Frau Hegel blickte auf die Uhr an der Wand. »Wenn wir jeweils eine halbe Stunde für das jeweilige Umziehen einplanen, dann könnten sie heute noch eine Stunde Intensiv-Training absolvieren.«
»Was heißt ‚Intensiv‘?« Julia wurde hellhörig. »Etwa alles zusammen?«
»Ja, das meinte ich.« Frau Hegel holte tief Luft. Sie wusste nicht, ob sie die Stimmung der Studentin wirklich richtig deutete. »Sie könnten den Handschuh und die Stiefel zusammen tragen, und wenn sie möchten, dann könnten sie sich dazu auch noch das strenge Halskorsett anlegen lassen.«
»Und die Perle nicht?« Julia bemühte sich um einen neutralen Ton, obwohl sie von der Ankündigung schon jetzt sehr fasziniert war.
»Das kommt auf ihren Mut an.« Frau Hegel gefiel die Richtung, die dieses Gespräch nahm.
»Wieso das?« Julia klang in diesem Moment etwas empört.
»Naja.« Frau Hegel lächelte ein wenig verlegen. »Mit der Perle im Mund können sie sich eventuell nicht mehr bemerkbar machen, falls es ihnen doch zu viel wird.«
»Aber ich kann doch nicken oder den Kopf schütteln?« Julia war noch dabei, die neuen und ungewohnten Themen zu verarbeiten.
»Das geht aber nicht, wenn sie das strenge Halskorsett tragen.« Frau Hegel fiel es leicht, hier die Wahrheit zu sagen. »Das hält ihren Kopf sehr fest.«
Auf einmal begann Julia zu stöhnen. »Das klingt sehr … spannend.« Sie keuchte. Auf einmal blickte sie auf die Uhr. »Wie viel Zeit haben wir noch?«
»Um sechs Uhr gibt es Abendessen, um halb sieben machen sie sich bitte für den Pflichtabend fertig und um sieben sollten sie dann auf dem Pferd sitzen.« Frau Hegel skizzierte den weiteren Ablauf des Tages.
»Und vorher sollten sie noch etwas Pause machen.« Herr Hegel ergänzte die Ausführungen seiner Frau. »Und vielleicht etwas ausgleichende Gymnastik.«
Frau Hegel blickte noch einmal auf die Uhr, dann wiederholte sie ihre schon geäußerte Planung. »Wenn ich das richtig sehe, und sie für die Vor- und Nachbereitungen jeweils eine halbe Stunde rechnen, dann können sie heute eine Stunde Intensiv-Training absolvieren.«
Herr Hegel räusperte sich. »Etwas müssen sie uns aber versprechen.« Er blickte zwischen Julia und Frauke hin und her.
»Und das wäre?« Julia ahnte nicht, welcher Einwand von ihrem Professor kommen würde.
»Sie melden sich sofort, wenn es weh tut.« Er holte tief Luft. »Wir müssen dann sofort eingreifen, damit es nicht etwas Böses wird wie zum Beispiel eine Muskelzerrung.«
»Aber wie soll sie das machen, wenn sie sich gar nicht mehr bewegen kann?« Frauke glaubte, ein Problem erkannt zu haben.
»Sie werden sie aufmerksam beobachten und immer an ihrer Seite sein.« Herr Hegel versuchte zu verdeutlichen, dass er der Dienerin trotz ihrer Vergangenheit vertraute. »Vereinbaren sie ein Zeichen, welches sie mit den Augen geben kann.«
»Und was könnte das sein?« Julia war an dem Vorschlag sehr interessiert.
»Sie könnten ein Signal mit den Augen vereinbaren.« Frau Hegel gab ihre Erfahrungen wieder. »Einmal zwinkern heißt ‚Ja‘, zweimal zwinkern heißt ‚nein‘ – Und wenn sie zweimal hintereinander dreimal zwinkern, dann betrachten wir das als Notsignal und werden ihnen als erstes die Perle abnehmen, damit sie uns mitteilen können, was los ist.«
Herr Hegel drängte sich dazwischen. »Ich mache mir große Sorgen um sie.« Er machte eine bedeutsame Pause. »Ich kenne ihren Ehrgeiz, und deswegen befürchte ich, dass sie sich trotzdem quälen werden.« Er kam einen Schritt näher und blickte sie eindringlich an. »Bitte, seien sie ganz ehrlich zu sich selbst und teilen uns sofort mit, wenn sie Probleme haben. Das müssen sie uns versprechen.«
»Sie machen es ja für uns und für Carolin.« Auch Frau Hegel spürte den Ernst der Situation. »Es nutzt uns nichts, wenn sie sich dabei ihre Gesundheit ruinieren.«
Julia musste schlucken. Die beiden außergewöhnlich ernsten Ansprachen verfehlten ihren Zweck nicht. »Ich verspreche, dass ich mich sofort melde, wenn ich Probleme haben sollte.«
»Bitte, das ist ganz wichtig.« Herr Hegel wiederholte die Bitte.
Julia bestätigte es noch einmal.
Den folgenden Plan hatte Frau Hegel schon länger gefasst, eigentlich schon seit Julia und Patricia sich in der Kirche das erste Mal begegnet waren. Später auf der Burg würden sie Partnerinnen werden, und deswegen würde es gut sein, wenn sie sich schon genauer kennenlernen konnten. »Ich möchte ihnen noch einen Vorschlag machen, der allerdings etwas heikel ist, weil wir damit ihr Wochenende in Beschlag nehmen würden.«
»Was haben sie denn vor?« Julia antwortete spontan, erst dann dachte sie über ihre Worte nach. »Wenn ich das wissen darf.«
Doch Frau Hegel übersah die Frage bewusst. »Wie haben sie sich mit Patricia Vogel verstanden?«
»Oh, sehr gut.« Julia schob kurz ihre Gedanken zu Frauke beiseite und erinnerte sich an den kurzen und doch so bemerkenswerten Besuch bei der Familie. »Sie war sehr faszinierend.«
»Wir würden sie gern zu uns einladen, und zwar das ganze Wochenende, wenn sie damit einverstanden sind.« Frau Hegel holte tief Luft. »Sie könnten zusammen mit ihr trainieren, und sie kann ihnen noch viele Tipps geben, was alles wichtig ist für die Engel.«
Julia erkannte die besondere Gelegenheit sofort. »Das würde mich sehr freuen.«
»Dann gehen sie sich bitte umziehen. Frau Wiesl, sie helfen ihr bitte.« Frau Hegel deutete auf die Tür. »Ich werde dann bei Vogels anrufen und die Details mit ihnen absprechen.«
Während sich Julia und Frauke auf den Weg machten, dachte die Studentin darüber nach, dass jetzt nach all den Wirren um Frauke und ihre Vergangenheit wieder die Engel in den Vordergrund traten. Und sie freute sich darauf.
* * *
»Warum muss denn der Besuch von Patricia besprochen werden?« Herr Hegel stand etwas unsicher neben seiner Frau . »Schließlich ist sie volljährig.«
»Es geht darum, dass Patricia ebenfalls dringend für die Engel trainieren muss und dass dies ein seltsamer Anblick sein könnte.« Frau Hegel lächelte. »Genau deswegen sollten wir Julia fragen.«
Sie wählte die Nummer von Vogels und wartete. Frau Vogel war selbst am Telefon.
»Ja, der Besuch kann doch stattfinden. Es war noch sehr unsicher, ob Patricia kommen kann.« Frau Hegel gab einen kurzen Überblick über die zurückliegenden Ereignisse. »Welche Termine hat sie an diesem Wochenende?«
»Am Freitagabend muss sie in der Generalprobe sein.« Frau Vogel gab über die Termine Auskunft. »Und am Samstagabend ist das Konzert.« Sie machte eine kurze Pause. »Sonst liegt dieses Wochenende nichts an.«
»Und am Sonntag sehen wir uns im Gottesdienst«, ergänzte Frau Hegel.
»Ja, natürlich.« Die Mutter von Patricia lächelte. »Sie könnten mir und Patricia noch einen großen Gefallen tun. Mein Mann darf davon aber nichts erfahren.«
»Kein Problem, ich kann schweigen.« Frau Hegel gab sich verschwörerisch. »Um was handelt es sich denn?«
Frau Vogel trug ihr Anliegen vor. »Am besten wäre es, wenn sie den Gärtner bestellen, das dürfte unauffällig sein. Sie müssen nur ausdrücklich den Namen verlangen.«
»Das mache ich, versprochen.« Frau Hegel lächelte geheimnisvoll, während sie sich die durchgegebene Nummer notierte.
»Und sagen sie Patricia nicht, dass ich mit ihnen darüber gesprochen habe.« Die Stimme von Frau Vogel wurde etwas leiser. »Sie darf es gern für Zufall halten.«
Frau Hegel grinste. »Das kriege ich schon hin.« Sie verabschiedete sich, dann legte sie nur kurz auf, um gleich darauf die eben notierte Nummer zu wählen. »Sie kümmern sich um Gärten?«
Peter Behrens bestätigte es.
»Ich würde bei uns ein paar Stauden umsetzen lassen.« Frau Hegel hatte sich auf die Schnelle einen Auftrag überlegt. »Könnten sie morgen einmal vorbei kommen und sich das ansehen? Am besten am Nachmittag.«
Peter war über jede Gelegenheit, Geld zu verdienen recht dankbar. »Am Freitag kann ich erst ab 17 Uhr.«
»Das passt.« Frau Hegel gab ihre Adresse durch. »Kommen sie einfach vorbei und klingeln kurz.« Dann verabschiedete sie sich und legte auf. »Das wäre geschafft. Patricia wird sich freuen.«
»Das grenzt aber an Kuppelei.« Herr Hegel zog die Stirn in Falten.
»Davon versteht ihr Männer nichts.« Sie verdrehte die Augen. »Sie können wegen diesem Familienzwist nicht zusammen kommen. Frau Vogel hat mir einmal erzählt, wie sehr ihre Tochter darunter leidet.«
Herr Hegel seufzte nur. Der Konflikt zwischen den beiden Familien existierte schon seit mehreren Generationen, und jetzt hatten sich die Kinder ineinander verliebt. Romeo und Julia eben. Er hoffte insgeheim, dass es für alle Beteiligten gut ausgehen würde.
* * *
Es klopfte an Julias Tür. Die Studentin blickte kurz zu ihrer Freundin, dann äußerte sie ein ‚Herein bitte‘.
Frau Hegel betrat den Raum. »Ah, ich sehe, sie haben noch nicht angefangen.«
Frauke klang nach einem leicht schlechten Gewissen. »Wir suchen gerade die ganzen Sachen zusammen.«
Julia hörte sich ebenfalls schuldbewusst an. »Ich hatte vor lauter Frust die ganzen Sachen durcheinander geworfen.«
Frau Hegel übersah die Aussagen. »Es ist ja nun doch ganz anders gekommen, als es ursprünglich geplant war.« Sie vermied es, in diesem Moment zu Frauke zu blicken. »Wenn sie also heute den Pflichtabend ausfallen lassen wollen...«
»Nein, auf keinen Fall.« Julia fiel ihrer Vermieterin ins Wort. »Natürlich mache ich das. Ich habe mich schon darauf gefreut.«
Frau Hegel räusperte sich. »Wir möchten nur deutlich machen, dass wir Verständnis hätten, wenn sie nach diesen aufregenden Tagen dazu nicht in der Lage wären.«
»Ich denke, das ist nicht nötig.« Julia bedankte sich noch einmal für das Verständnis. »Ich werde es machen.«
»Ich wollte sie, Frau Wiesl, noch um einen Gefallen bitten.« Sie blickte kurz auf die Uhr.
Frauke blickte auf.
»Ich möchte sie bitten, nach dem Umziehen ins Wohnzimmer zu kommen.« Sie spürte, dass eine Erklärung recht hilfreich sein könnte. »Wir müssen noch das Pferd aufbauen, und dafür ist jede helfende Hand nützlich.«
Julia runzelte ein wenig die Stirn, doch eine Frage stellte sie nicht.
Frau Hegel erkannte trotzdem, was sie bewegte. »Wir müssen die Blumenampel abbauen und die Blumen woanders hin tragen. Dafür ist jede helfende Hand nützlich.«
Julia war mit der Antwort zufrieden, auch wenn sie noch nicht verstanden hatte, was die Blumenampel mit dem Pferd zu tun hatte. »Ich bin aufgeregt«, flüsterte sie.
»Machen sie sich keine Sorgen, sie sind auf einem sehr guten Weg.« Frau Hegel ging wieder zur Tür und öffnete sie. »Wenn sie fertig sind, kommen sie bitte ins Wohnzimmer.«
»Jawohl, Frau Hegel.« Sie bestätigte es.
»Ich bin aufgeregt«, flüsterte Julia noch einmal, als sich die Tür geschlossen hatte. Doch dann seufzte sie. »Ich wüsste nur zu gern, wohin mich dieser Weg führen wird.«
»Glaub mir, im Moment willst du das nicht wissen.« Frauke verdrehte die Augen. »Genieße einfach den Augenblick und denke nicht an die Zukunft.«
Julia blickte ihre Freundin verwundert an. Trotzdem traute sie sich nicht, nach deren Wissen zu fragen. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass sie es im Moment wirklich noch nicht wissen wollte.
»Womit möchtest du anfangen?« Frauke stand am Tisch und blickte auf alle die Lack- und Ledersachen, die dort ausgebreitet waren.
Doch Julia ging zu ihrer Überraschung mit leuchtenden Augen zum Schrank und griff sich das strenge Halskorsett heraus. »Hiermit.« Sie hielt es hoch. »Ich frage mich schon lange, wie sich dieses Ding wohl anfühlen wird.« Doch dann stutzte sie, denn sie hatte ein Problem erkannt. »Wenn ich das angelegt habe, dann kann ich das Perlennetz nicht mehr tragen.«
Frauke wusste in diesem Moment auch nicht weiter. »Und wenn wir Frau Hegel fragen? Sie kann uns bestimmt einen Tipp geben.« Sie holte tief Luft. »Außerdem wäre eine helfenden Hand bestimmt nicht verkehrt, wenn es dich nicht stört, dass du von zwei Leuten angefasst wirst.«
»Damit geht es doch auch schneller, oder?« Julia grinste ihre Freundin an.
Frauke verließ den Raum und kam kurz darauf mit Frau Hegel zurück. »Wir helfen dann beim Aufbau des Pferdes.« Sie warf Julia einen verliebten Blick zu, doch dann lachte sie, denn sie hatte ihren Fehler bemerkt. »Ich werde beim Aufbauen mithelfen. Du wirst zuschauen.«
Julia hatte sich inzwischen etwas mit all den Gegenständen befasst, die sie in Kürze tragen würde. »Ich glaube, das schaffen wir nicht allein.« Sie blickte ihre Vermieterin verlegen an. »Und es ist uns nicht klar, wie das dann mit der Perlennetz gehen kann.«
»Gar nicht.« Frau Hegel schmunzelte. »Die Antwort ist einfach: Gar nicht.« Doch dann wurde sie wieder ernst. »Wenn sie erlauben, würde ich ihnen gern etwas zur Hand gehen.«
Julia und Frauke waren nicht abgeneigt, weil es ihnen die nötige Sicherheit gab und es ihnen ermöglichte, die zunehmende Eingeschränktheit zu genießen.
»Aber ich wollte doch auch eine Perle tragen.« Julia war etwas enttäuscht. Doch dann kam ihr wieder die Gesamtsituation in den Kopf und sie stellte die richtige Frage: »Wie hat Carolin das denn gemacht?«
»Gut, dass sie mich erinnern.« Frau Hegel ging zum Schrank mit den Schubladen. »Für diese Fälle hatte Carolin eine einzelne Perle, die sie einfach so in den Mund gesteckt hat.«
Sie nahm die angesprochene Kugel aus der Schublade und ging mit ihr ins Bad. Die Tür ließ sie offen, und so konnten die Freundinnen sehen, dass sie die Kugel kurz unter dem Wasserstrahl abwusch. Danach trocknete sie die rote Kugel noch mit einem neuen Handtuch ab.
Sie kam zurück in Julias Zimmer und reichte der Studentin die Kugel.
»Die ist aber groß.« Julia hielt die Kugel ehrfurchtsvoll in ihrer Hand.
»Ja, aber die Kugel tragen sie nicht zwischen den Lippen, sondern im Mund.« Insgeheim hatte Frau Hegel mit dieser Reaktion gerechnet. »Das Halskorsett erfordert es, dass sie den Mund ganz schließen können.«
Julia drehte die Kugel noch ein paar Mal zwischen ihren Fingern, dann öffnete sie ihren Mund und schob sich die Kugel hinein.
Frau Hegel hielt als nächstes eine Kopfhaube in der Hand. »Die sollten sie sich als Nächstes anlegen lassen.« Sie spannte die Haube in ihren Händen auf.
Julia erkannte die Haube sofort. Das Mädchen auf dem Foto hatte auch so eine Maske getragen, bei der nur noch ein Ausschnitt um Augen und Nase frei blieb, ungefähr so wie bei einer Tauchermaske.
Sie und Frauke warteten auf eine Reaktion von Julia. »Wir möchten eine Antwort.«
Julia wollte erst mit der Hand auf ihren Mund zeigen, doch dann erinnerte sie sich an das Gespräch von vorhin, und sie blickte sowohl Frauke als auch Frau Hegel intensiv an, währenddessen sie genau einmal kurz die Augen schloss.
»Sie haben gerade ‚Ja‘ gesagt?« Frau Hegel wollte sicher sein, ihre Vermieterin auch richtig verstanden zu haben.
Julia wiederholte die Augenbewegung. Es fühlte sich sehr aufregend an, auf diese Weise zu antworten.
Frau Hegel trat an Julia heran und zog ihr die Maske vorsichtig über ihren Kopf. »Sie muss sehr gut sitzen. Frauke, stellen sie sich bitte vor Julia, damit sie ihre Antworten sehen können.«
Julia fand es sehr aufregend, Frauke ins Gesicht zu sehen, während sie spürte, wie sich das weiche Leder der Haube immer enger um ihren Kopf legte. Es waren neue und aufregende Gefühle, und so achtete sie fast gar nicht darauf, wie fest die Haube wirklich gezogen wurde. Sie fand es einfach nur toll.
»Jetzt schauen sie bitte einmal in den Spiegel, dann machen wir weiter.« Frau Hegel war einen Schritt zurückgetreten.
Julia ging mit festen Schritten zum Spiegel und blickte neugierig hinein. Sie sah nur noch ihre Augen und ihre Nase. Dass sie einen großen Ball im Mund trug, war gar nicht zu erkennen.
Frauke trat hinter sie und flüsterte ihr ein ‚ich bin sehr stolz auf dich‘ ins Ohr, dann legte sie ihre Arme um sie.
Doch Frau Hegel ging dazwischen, indem sie mit dem Halskorsett winkte. »Wir sollten gleich weiter machen.«
Julia und Frauke rissen sich aus dem zärtlichen Moment heraus. Julia trat mit leuchtenden Augen wieder auf Frau Hegel zu.
»Das ist das ganz große Halskorsett. Es reicht von der Nase bis fast zum Dekolleté und wird ihren Kopf sehr streng festhalten.« Den eigentlich sehr inspirierenden Vergleich mit dem Schraubstock verkniff sie sich allerdings.
Julia signalisierte ein ‚Ja‘, dann legte sie ihre Arme auf den Rücken.
Zügig legte Frau Hegel das Lederungetüm um Julias Hals, und während Frauke es festhielt, begann Frau Hegel mit dem Zuschnüren.
»Julia, sie zwinkern bitte ein ‚Nein‘, wenn es irgendwo drücken oder weh tut sollte.« Frau Hegel war es wichtig, Julia die verbliebenen Möglichkeiten aufzuzeigen. »Wir rücken das dann zurecht.«
Julia hatte sich vorgenommen, dieser Aufforderung auch wirklich nachzukommen. Doch sie war so fasziniert von der stetig zunehmenden Enge, dass sie trotz allem nichts daran auszusetzen fand. Im Gegenteil, sie stellte erstaunt fest, wie sich das Halskorsett immer stärker um ihren Hals legte. Überall spürte sie die Berührungen durch das sehr streife Leder, und es fühlte sich sehr gut an.
»Ist alles wirklich in Ordnung?« Frau Hegel war mit der Schnürung fertig.
Doch Julia zeigte keine Reaktion, so dass sie die Frage wiederholen musste.
Erst jetzt konnte Julia mit einem einzelnen Zwinkern antworten, und in ihren Augen war ein verlegenes Lächeln zu sehen.
Frau Hegel war jetzt ebenfalls in Julias Gesichtsfeld getreten. »Versuchen sie bitte einmal, ihren Kopf zu bewegen.«
Julia kam der Bitte nach, doch zu ihrem eigenen Erstaunen stellte sie fest, dass sie ihren Kopf gar nicht mehr bewegen konnte. Sie blickte Frau Hegel mit einem Strahlen in den Augen an und zwinkerte genau einmal. Auch Frauke bekam von ihr einen sehr verliebten Blick und ein ‚Ja‘.
Frauke strich mit ihrer Hand zärtlich über Julias Kopf.
Julia stellte verwundert fest, dass sie die Berührung durch die Lederhülle spüren konnte, das Halskorsett hingegen schien so steif zu sein, dass sie Fraukes Berührung im Spiegel zwar sah, aber nur ganz schwach spürte.
»Wenn sie sich daran gewöhnt haben, wäre jetzt der Handschuh an der Reihe.« Frau Hegel hatte die entsprechende Lederhülle vom Tisch geholt und hielt sie jetzt erwartungsvoll in ihren Händen. »Ich denke, das Top können sie dabei anbehalten.«
Julia blickte noch einmal verliebt zu Frauke, dann legte sie ihre Arme erneut auf den Rücken und drückte dabei auch ihre Ellenbogen aneinander.
»Oh, sie haben aber gut trainiert.« Frau Hegel strich Julia zärtlich über die Arme, die sich fast über die ganze Länge aneinander schmiegten.
Julia hätte sich jetzt gern geäußert, doch sowohl der Ball in ihrem Mund als auch das Leder um ihren Kopf erinnerten sie in jeder Sekunde daran, dass sie für die nächste Zeit auf diese Äußerungsmöglichkeit verzichtet hatte. Und es fühlte sich gut an.
Langsam schob sich die Lederhülle über Julias Arme, und gleich darauf spürte die Studentin, wie der Druck auf ihre Arme immer weiter zunahm.
Genüsslich spürte sie, wie sie jetzt auch die Kontrolle über ihre Arme an das unnachgiebige Leder verloren hatte. Ein Gedanke, der ihr sehr gut gefiel.
Frauke hatte in der Zwischenzeit die Ballettstiefel aufgehoben und die Schnürung etwas gelockert. Sie war dazu extra in Julias Blickfeld getreten. Sie wusste noch aus eigener Erfahrung, wie lästig es sein konnte, wenn man, um etwas anderes zu sehen, den ganzen Oberkörper drehen musste.
Julia keuchte ein wenig, als die Schnürung des Handschuhs immer fester gezogen wurde.
»Es ist bewundernswert, Julia.« Die Stimme von Frau Hegel war etwas leiser als normal. »Bei ihnen ist es möglich, den strengen Handschuh ganz zu schließen, ohne dass ein Spalt übrig bleibt.«
Nur ganz nebenbei erkannte Julia, dass ihre Vermieterin die vier Klammern für die Schnürung nutzte, die eine besonders strenge und unnachgiebige Schnürung erlaubten.
Frauke war ebenfalls näher getreten und strich zärtlich über Julias Arme. »Du hast wirklich toll trainiert.«
Julia freute sich zwar über das Lob, doch gleichzeitig bedauerte sie die zwei Tage Trainingsausfall. Und sie hätte gern auf dem Pferd gelernt.
»So, fertig.« Frau Hegel trat wieder in Julias Blickfeld. »Wenn sie möchten, dann ziehen wir ihnen die Stiefel zusammen an. Jeder schnürt einen Stiefel.« Sie holte tief Luft. »Es ist gut, wenn sie sich gleich daran gewöhnen, dass sich mehrere Personen um ihre Engelsuniform kümmern.«
Julia signalisierte ein ‚Ja‘ und drehte sich zu Frauke, um sie mit den Augen anzulächeln. Sie hätte gern geantwortet, dass sie sich auf die Zukunft freuen würde, doch diese Antwort musste sie zunächst schuldig bleiben.
Frauke führte sie um das Bett herum und half ihr beim Hinsetzen.
»Sie können sich mit den Armen abstützen, dann haben sie die Beine frei und können sie hoch heben.« Frau Hegel kam mit den Stiefeln in ihren Händen auf das Bett zu, dann reichte sie Frauke einen Stiefel.
Julia hätte vermutlich gekeucht, wenn sie noch über ihren Mund verfügt hätte. Sie hatte eigentlich gedacht, dass ihre Arme jetzt völlig nutzlos in dem Handschuh verschwunden sein würden. Doch jetzt stellte sie fest, dass sie sich damit noch bequem abstützen konnte.
Fasziniert sah sie zu, wie ihre Beine bis zum Knie in den Ballett-Stiefeln verschwanden. Sie dachte darüber nach, wie außergewöhnlich sie diese Stiefel fand. Sie musste damit auf Zehenspitzen gehen, und doch war es ihr überraschend einfach gefallen. Sie dachte an den gestrigen Spaziergang draußen, den sie auch noch in der Gegenwart ihres Professors machen durfte.
»So, das war es schon.« Die Stimme von Frau Hegel riss sie aus ihren Gedanken.
»Jetzt möchtest du sicher noch deinen Rock darüber ziehen«, ergänzte Frauke.
Erst jetzt wurde es Julia bewusst, dass sie sich bisher nur in ihrer Stahlunterwäsche präsentiert hatte. Sie zwinkerte das ‚ja‘ erst nach einigem Zögern.
»Sie sollten ihr die Schrittkette abnehmen, dann können wir den Rock ganz schließen.« Frau Hegel war einen Schritt zurückgetreten.
Frauke kam der Aufforderung nach. Erst als die Kette schon abgenommen war, fiel ihr wieder ein, dass sie dazu ja Julias kleines Schlüsselbund benutzt hatte, welches sie ihr noch am Beginn dieser Woche anvertraut hatte.
Julia versuchte das ganze Tun zu beobachten, doch sie merkte, dass sie zum einen wegen des Halskorsetts gar nichts sah, zum anderen sich wegen des Handschuhs auch gar nicht dagegen wehren konnte, selbst wenn sie es gewollt hätte. Sie hatte sich Frau Hegel und vor allem Frauke vollständig ausgeliefert.
Und genau das fühlte sich sehr sehr gut an.
Eigentlich hätte sie gern spielerisch protestiert, weil sie vor der Kombination ‚Ballettstiefel und sehr enger Rock‘ noch einen gewissen Respekt hatte. Und weil sie so ohne fremde Hilfe im oberen Stockwerk gefangen war, denn für das Treppensteigen bräuchte sie viel mehr Bewegungsspielraum, als der Rock ihr erlaubte, selbst wenn sie nicht diese Mörder-Stiefel tragen würde.
Unwillkürlich suchte sie den Blick von Frauke, die ihn lächelnd erwiderte.
»Mache dir keine Sorgen, wir werden die ganze Zeit an deiner Seite sein.« Frauke hatte ebenfalls erkannt, dass Julia in der Kombination Ballettstiefel und Halskorsett nicht sehen konnte, wohin sie den nächsten Schritt machen würde, und vor allem, ob eventuell irgendwelche Hindernisse im Weg liegen würden.
Frau Hegel hatte beide Reißverschlüsse des Rockes geschlossen, sodass Julias Beine jetzt mehr oder weniger aneinander gedrückt wurden und der Studentin so nur noch winzige Schritte möglich waren. Jetzt erhob sie sich. »Wir wären dann soweit. Wollen wir hinunter gehen?«
Julias Augen zeigten noch einige Zweifel, doch sie drehte sich langsam in Richtung Tür. Doch erst als sie die Arme von Frauke und Frau Hegel um ihre Schultern spürte, traute sie sich, die ersten Schritte zu machen.
Frauke spürte, wie unsicher Julia noch bei den ersten Schritten war. »Es ist schon eine sehr strenge Kombination, die du jetzt trägst.«
Julia seufzte hörbar.
»Es würde allerdings auch noch eine Spur strenger gehen.« Frau Hegel hatte ein leichtes Lächeln in der Stimme.
Julia versuchte, einmal laut zu stöhnen. Eine andere Möglichkeit sah sie nicht, um ihre Neugier zu bekunden.
Frauke war sich nicht sicher, ob sie ihre Freundin richtig verstanden hatte. »Du möchtest wissen, wie?«
Wieder keuchte Julia genau einmal.
»Ich freue mich über ihr Interesse.« Frau Hegel öffnete die Tür zum Flur. »Auf der Burg werden sie es ohnehin kennenlernen. Es sind Stiefel, die weit über das Knie reichen, und diese Stiefel haben eine Vorrichtung, mit der sich das Knie versteifen lässt. Man kann dann das Bein nicht mehr beugen.«
»Das klingt spannend.« Frauke drückte Julia einmal kurz an sich.
Wieder keuchte Julia einmal.
»Aber diese Stiefel dürfen nur dann getragen werden, wenn jemand dabei ist, der die Person jederzeit festhalten kann.« Frau Hegel wartete, bis Julia über die Schwelle getrippelt war, dann schloss sie die Tür. »Denn sonst ist es zu gefährlich.«
Auf einmal hörten die beiden Frauen, wie Julia viermal keuchte. So ein Signal war bisher nicht abgesprochen. Doch dann hatte Frau Hegel eine Idee. »Sie möchten wissen, ob wir solche Stiefel haben?«
Jetzt antwortete Julia mit genau einem Keuchen.
»Nein, so etwas hatte Carolin nicht.« Frau Hegel hatte ein Bedauern in der Stimme.
»Schade«, grinste Frauke. Wieder einmal bedauerte sie, dass sie sich für einen Engel als nicht tauglich erwiesen hatte.
»Jetzt kommt gleich die Treppe.« Frau Hegel blieb kurz stehen. »Wir sollten uns jetzt auf das Hinabsteigen konzentrieren.«
Julia hatte eigentlich erwartet, dass sie ihr den Rock etwas öffnen würden, doch zu ihrer Überraschung blieb der Reißverschluss zu.
»Trauen sie sich ruhig, den Rock zu belasten.« Frau Hegel hatte Julias Zögern bemerkt. »Ich bin mir sicher, dass er nicht kaputt gehen wird.«
»Außerdem halten wir dich bei jedem Schritt fest.« Auch Frauke war bemüht, Julia die nötige Sicherheit zu vermitteln.
Es war weniger ein Hinabsteigen – eher ließ sich Julia hinab fallen, wobei sie dabei auf die Unterstützung von beiden Seiten vertraute. Nach wenigen Stufen hatten sie einen Weg gefunden, der für alle am angenehmsten war. Gleichzeitig zeigte ihr dieser Kraftakt noch einmal deutlich, wie sehr sie hilflos in diesen so faszinierenden Kleidern von Carolin war. Und natürlich wurde sie immer neugieriger auf die Engel.
* * *
»Ah, ihr seid schon fertig?« Herr Hegel saß im Wohnzimmer, und neben seinem Sessel hatte er einen kleinen Werkzeugkasten stehen. »Schön.« Er stand auf.
Julia trippelte sehr unsicher hinter Frauke her ins Wohnzimmer.
Hinter ihnen betrat Frau Hegel das Wohnzimmer. »Wir wollten ihnen schon einmal zeigen, wo sie nachher sitzen werden.«
Julia blickte ein wenig verwundert auf das Szenario, was sich ihr bot. Ihr Professor hatte sich einen Schraubenschlüssel aus dem Werkzeugkasten genommen und stand jetzt neben der Blumenampel.
»Bleiben sie einfach stehen und schauen sie uns zu.« Frau Hegel drehte sich zu ihrem Mann und war verwundert. »Du hast das Werkzeug schon geholt?«
»Vorfreude.« Der Professor lächelte verlegen. »Reine Vorfreude.«
Einerseits war Julia sehr aufgeregt, weil sie ihrem Professor schon wieder so völlig hilflos begegnete, doch wie schon letztes Wochenende kam es ihr vor, als würde er sie jetzt gar nicht als seine Studentin betrachten, sondern als die Tochter, die er offenbar so tragisch verloren hatte. Und das machte Julia sehr stolz.
Erst auf den zweiten Blick bemerkte sie, dass er auch seltsam gerührt war. Fast meinte sie bei ihm Tränen in den Augen zu sehen, und sie fragte sich, was dafür wohl der Grund war.
Doch zu ihrer Überraschung gab er den Grund für seine Gefühlsregung selbst von sich. »Ich hätte nicht gedacht, dass wir das Gerät noch einmal so benutzen können, wie es gedacht war.« Er hatte tatsächlich Tränen in den Augen. Es schien ihm wirklich sehr viel zu bedeuten.
Als Julia dies erkannte, bekam sie einen Kloß im Hals. Sie blickte soweit ihr das Halskorsett es erlaubte auf die hübsche Blumenampel, doch noch erkannte sie die Ähnlichkeit zu ihrem Pferd im Zimmer nicht.
Es hatte allerdings auch einen Grund, warum die Stange nicht mehr einfach aus dem Boden entfernt werden konnte. Dieser Grund war, dass ein Stromkabel hindurch gelegt worden war, an dem der Vibrator im Sattel angeschlossen werden konnte. Doch davon ahnte Julia noch nichts.
»Wir müssen die ganzen Blumentöpfe abschrauben und ins Nebenzimmer bringen.« Frau Hegel blickte Frauke fragend an. »Haben sie mit Julia schon darüber gesprochen?«
Frauke war ein wenig verlegen. »Nein, das habe ich nicht.«
»Wir möchten sie einladen, den Pflichtabend mit uns und Frau Sommer zu verbringen. Sie könnten ihr dann Gesellschaft leisten.« Herr Hegel sprach mit einer für seine Verhältnisse sehr leisen Stimme. »Natürlich nur, wenn sie dies auch möchten.«
Frauke suchte den Blick von Julia, und es amüsierte sie, dass ihre Freundin erst ein paar Trippelschritte machen musste, bevor sie sich ansehen konnten. Doch als sie Julias strahlende Augen sah, gab sie ihre Zustimmung.
Doch dann fiel ihr Blick auf den besonderen Sattel, den Hegels schon bereit gelegt hatten. »Wollen sie das heute schon machen?« Sie blickte ein wenig ängstlich zwischen Julia und dem Sattel hin und her.
Julia wäre Fraukes Blick gern gefolgt, doch bedingt durch das Halskorsett konnte sie nicht sehen, was ihre Freundin offenbar schon erkannt hatte.
Insgeheim hatte Frau Hegel mit dieser Reaktion gerechnet. Doch zugleich hoffte sie auch, dass die Liebe zwischen Julia und Frauke schon gefestigt genug war. Sie blickte Frauke an. »Kommen sie bitte einmal kurz mit vor die Tür?«
Frauke fiel es schwer, Julia allein zu lassen. Erst als sie sich davon überzeugt hatte, dass ihre Freundin sich anlehnen konnte, folgte sie der Frau des Professors.
Julia blieb mit dem Professor zurück. Sie zitterte leicht, denn sie war sehr angespannt.
Herr Hegel war damit beschäftigt, mit einem Schraubenschlüssel an den Blumentöpfen zu arbeiten. Zu ihrer Erleichterung hatte er nur wenig Aufmerksamkeit für sie übrig.
Julia machte sich ein wenig Sorgen, denn sie hatte Fraukes Blick bemerkt. Doch genauso war ihr klar, dass sie in ihrer Situation nichts mehr ausrichten konnte. Trotzdem hatte sie sich vorgenommen, Frauke nach dem Grund zu fragen. Wenn sie die Pläne richtig verstanden hatte, dann würde sie nach diesem Intensiv-Training noch etwas Zeit für ein Pläuschchen haben.
Sie nannten es Intensiv-Training, doch Julia empfand es bei weitem nicht als solches. Natürlich war die Haltung, die sie gerade einzunehmen hatte, etwas ungewöhnlich, aber nicht unbequem. Und von so tollen Stiefeln hatte sie immer schon geträumt.
Die Arme fühlten sich in dem Handschuh sehr geborgen an, und ihr war so oft schon versichert worden, dass es für sie nur positive Folgen haben würde, wenn sie sich dieser Qual, die überhaupt keine war, aussetzen würde. Quasi auch aus Dankbarkeit hatte sie sich vorgenommen, selbst auch gut auf ihren Körper zu hören und sich sofort bemerkbar zu machen, wenn sie irgendwo Probleme erkannte oder gar Schmerzen verspürte.
»Wie geht es ihnen?« Herr Hegel blickte seine Studentin aufmerksam an.
Julia zuckte zusammen. Sie hatte eigentlich keine Frage von ihrem Professor erwartet.
»Entschuldigen sie, sie sind ja so gar nicht in der Lage zu antworten.« Er lächelte verlegen. »Ich muss anders fragen. Geht es ihnen gut?«
Julia signalisierte ein ‚Ja‘. Sie fand es insgeheim sehr aufregend, auf diese Weise mit ihrem Professor reden zu müssen.
»Ich bewundere ihren Mut und ihre Entschlossenheit.« Seine Stimme zeigte seine Ehrlichkeit.
Julia war insgeheim sehr dankbar, dass In diesem Moment Frauke und Frau Hegel zurück in den Raum kamen.
Frauke ging sofort auf Julia zu und streichelte sie im Gesicht. »Ich bin sehr stolz auf dich. Frau Hegel hat mir erzählt, was du alles für mich getan hast.«
Julia seufzte tief, was trotz des Balles im ihrem Mund deutlich zu hören war. Sie versuchte sich an Frauke zu schmiegen, doch sie erkannte erneut, wie wenig sie sich wirklich nur bewegen konnte.
Doch dann wunderte sie sich ein wenig über Fraukes Verwandlung. Von dem sorgenvollen Blick, als über den Sattel gesprochen wurde, war nichts mehr übrig geblieben.
»Wie weit bist du?« Frau Hegel wandte sich an ihren Mann.
»Die Schrauben sind alle schon gelockert.« Er zeigte mit einer Hand auf die Blumenampel vor sich. »Ich warte auf euch, dass ihr die Blumentöpfe abnehmt.«
»Wir wollten Julia vielleicht ein Tablett umschnallen, so dass sie beim Heraustragen helfen kann.« Frau Hegels Stimme zeigte, dass es ihr nicht leicht fiel, diesen Vorschlag zu unterbreiten.
Frauke hatte sofort begriffen, was Hegels Worte bedeuten würden. Sie kannte diese Tabletts noch aus ihrer eigenen Zeit. Ein mehr oder weniger großes Brett würde um die Taille geschnallt werden, und die andere Seite des Brettes würde mit einer Schnur um den Hals gehalten werden. »Das ist doch sehr demütigend.« Sie gab wieder, was sie noch von damals wusste.
»Sie haben recht, auf den ersten Blick ist das eine unnötige Demütigung.« Frau Hegel hatte ihre Worte sorgfältig gewählt.
»Aber…« Frauke begann zu erkennen, dass sie jetzt für Julia reden und handeln musste. Sie tauschte mit Julia ein paar Blicke aus. »Soll ich nachfragen?«
Julia war recht unsicher, trotzdem signalisierte sie ein ‚Ja‘.
»Es gibt bei den Engeln eine besondere Tätigkeit, bei der sie zusammen mit anderen Engeln jeweils ein Tablett mit Getränken bereitstellen dürfen.« Die Stimme von Frau Hegel klang auf einmal recht geheimnisvoll. »Dieses Amt dürfen allerdings nur sehr gut qualifizierte Engel ausüben.«
Julia blickte Frauke lange an, bevor sie einmal zwinkerte.
»Sie tun sich so leicht mit den Stiefeln, dass wir es wirklich probieren sollten.« Frau Hegel setzte ihre Argumentation fort. »Wir brechen auch sofort ab, wenn sie damit Probleme haben sollten.«
Julias Blick zeigte dennoch einige Zweifel. Sie drehte sich in Richtung ihres Professors, so als wollte sie ihn ebenfalls um Rat fragen.
Doch er sagte nicht, sondern nickte nur einmal kurz, dann drehte er sich zu Frauke um. »Frau Wiesl, holen sie doch bitte einmal die beiden Tabletts. Das große und das kleine bitte.«
Julia runzelte wieder die Stirn, doch davon war wegen der Haube nur wenig zu sehen.
Frauke kam zurück und legte die Tabletts auf den Wohnzimmertisch bewusst weit auseinander. Während auf dem kleinen Tablett nur eine der Topfpflanzen Platz hatte, konnten auf dem großen Tablett immerhin gleich vier der Töpfe getragen werden.
»Nun Frau Sommer, sie haben die Wahl.« Die Stimme von Herrn Hegel war in diesem Moment sehr leise, fast ein wenig feierlich.
Julia ging sehr zielstrebig auf das große Tablett zu.
»Sind sie sich sicher?« Frau Hegel war Julias Bewegung gefolgt und war erstaunt über ihre Wahl.
Julia blinzelte genau einmal.
»Das wird aber das vierfache Gewicht sein, was sie dann tragen müssen.« Frau Hegel wollte es erwähnt haben.
Frauke blickte Julia ebenfalls sehr fasziniert an, und auf einmal hatte sie erkannt, was ihre Freundin bewegte. »Damit muss sie aber viel weniger gehen.«
Julia strahlte deutlich und antwortete wieder mit ‚Ja‘.
* * *
Nachdem alle Blumentöpfe im Nachbarzimmer waren, wurde Julia der Handschuh schon wieder abgenommen. Sie hätte gern dagegen protestiert, doch erst als der Ball in ihrem Mund entfernt wurde, konnte sie wieder reden. »Warum haben wir aufgehört?« Sie klang etwas empört.
»Die Stunde ist um.« Herr Hegel blickte demonstrativ auf die Uhr. »Ihr Intensiv-Training ist beendet.«
»Schon?« Julia war sichtlich enttäuscht.
Frau Hegel überging dies. »Jetzt sollten sie sich für das Abendessen umziehen.«
»Julia, kommst du?« Frauke stand schon an der Wohnzimmertür.
Julia blickte noch einmal fasziniert auf die Blumenampel, die sich jetzt doch tatsächlich in das Pferd verwandelt hatte, welches sie schon von ihrem Zimmer kannte.
»Ach Frau Wiesl, da wäre noch etwas.« Der Professor räusperte sich. »Wir möchten eigentlich gar nicht wissen, wo sie in der Zwischenzeit gewesen sind.«
Julia öffnete den Mund, doch der warnende Blick von Frauke bewirkte, dass sie ihn sofort wieder schloss.
»Es wäre uns sehr recht, wenn wir sie wieder in ihrem Zimmer wüssten.« Er sprach mit dem gleichen Tonfall weiter. »Bitten sie Julia, ihnen bei ihrem Umzug zu helfen.«
»Aber ich…« Frauke war sehr verlegen.
»Das ist natürlich nur ein Vorwand.« Frau Hegel schmunzelte. »In Wirklichkeit geht es uns darum, dass Julia das Treppengehen mit diesen Ballettstiefeln übt.«
Es dauerte einen Moment, bis in Fraukes Gesicht ein Lächeln erschien. »Ja, dann.« Sie seufzte gespielt tief. »Julia, du hilfst mir dann beim Umziehen.«
Julia hatte die Dialoge natürlich mitverfolgt, und entsprechend grinste sie jetzt auch. Doch dann setzte sie ein anderes Gesicht auf. »Aber Frau Wiesl, bitte quälen sie mich nicht.« Es war das erste Mal, dass Julia begann, sich so spielerisch zu zieren. Sie hoffte sehr, dass Frauke auch entsprechend antworten würde.
Frauke griff das Spiel tatsächlich auf. »Versucht das böse Mädchen gerade, sich vor der Strafe zu drücken?
Zur Überraschung aller mischte sich jetzt auch Herr Hegel in das Gespräch ein. »Ich könnte anbieten, einmal mit ihrem Professor zu reden. Ich kenne ihn sehr gut ,und er könnte ebenfalls gut auf sie einwirken.«
Julia drehte sich verwundert um. Die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit begannen zu verschwimmen, und sie fragte sich, ob sie ihr Schicksal wirklich noch unter ihrer Kontrolle hatte. Doch bislang fühlte sich alles sehr gut an.
* * *
Eigentlich waren es nur wenige Sachen, die Frauke in ihrem Versteck untergebracht hatte. Doch es reichte aus, das sie und Julia wirklich zweimal laufen mussten.
Beim ersten Mal war Frauke noch sehr aufmerksam wegen Julias Stiefel, doch sie hatte schnell erkannt, dass sie sich diesbezüglich keine Sorgen zu machen hatte. Die Studentin kam mit den Stiefeln äußerst gut zurecht.
Zuerst schmollte Julia ein wenig, doch beim zweiten Gang wurde sie wieder gesprächiger. »Danke dafür.« Ihre Stimme war leise.
»Wofür?« Frauke fehlte ein wenig der Einblick in Julias Gedankengang.
Julia lächelte. »Dafür, dass du für mich entschieden hast.«
»Ich hoffe, es war richtig.« Frauke lächelte. »Aber so wie deine Augen gestrahlt haben...«
»Es war die Aussicht auf die Engel.« Julias Stimme zeigte ihre Faszination. »Es hat mich einfach fasziniert, dass diese besondere Kombination sogar einen praktischen Nutzen haben könnte.«
»Ich bin sehr stolz auf dich.« Frauke öffnete die Tür zu ihrem Zimmer.
»Danke.« Julia lächelte.
»Jetzt gehen wir in dein Zimmer.« Frauke verstaute ihre wenigen Habseligkeiten im Schrank, dann verließen sie das Zimmer und gingen in Julias Reich. »Du musst dir die Stiefel wieder ausziehen.«
Genau so etwas hatte Julia befürchtet. »Muss das sein?« Es wurde deutlich, dass sie die Stiefel gern noch länger getragen hätte. Trotzdem setzte sie sich schon einmal auf ihr Bett und begann, die Schnürung zu öffnen.
Jede andere Reaktion hätte Frauke vermutlich verwundert. »Es ist wichtig, wenn du die Stiefel heute noch auf dem Pferd tragen möchtest.« Sie kniete sich vor Julia und half ihr, sich von den Ballettstiefeln zu befreien.
»Ach ja, das Pferd.« Julia lächelte erneut. »Was wird mich wohl heute Abend noch erwarten?«
Frauke fiel ein Schatten über ihr Gesicht. Schließlich war dieses Pferd mit einer der Gründe, warum sie selbst an der Aufgabe gescheitert war. Sie vermied, Julia in diesem Moment anzusehen. Stattdessen versuchte sie eine Ablenkung, die zum ihrem Glück auch gelang. »Was möchtest du denn anziehen?«
»Habe ich eine so große Auswahl?« Julias Blick fiel auf die drei Schränke.
»Nun, es darf schon etwas Feierliches sein.« Sie war erleichtert, dass ihre kleine Ablenkungslist geglückt war.
»Feierlich?« Julia runzelte die Stirn.
»Okay, ‚Feierlich‘ ist das falsche Wort.« Sie lächelte. »Aber wir sind doch immerhin bei deinem Professor zum Abendessen eingeladen.« Frauke kam nicht umhin zu betonen, dass sie auch eingeladen war.
»Du hast Recht, dann sollten wir schon gut aussehen.« Auch Julia war es wichtig, das ‚wir‘ zu betonen. Sie seufzte. »Ich denke, eine weiße Bluse und ein schwarzer Rock.«
»Und darüber vielleicht eine Weste als Farbtupfer.« Frauke stellte die Stiefel beiseite.
»Mal sehen, was die Garderobe hergibt.« Julia lachte, dann stand sie auf und ging zum Schrank.
Frauke war noch etwas wichtig. »Außerdem habe ich versprochen darauf zu achten, dass du jetzt erst einmal wieder flachere Schuhe anziehst.« Sie holte tief Luft. »Gerade in der Anfangsphase ist es wichtig, deine Füße nicht zu sehr zu strapazieren.«
»Schade.« Julia seufzte. »Eigentlich mag ich die Stiefel sehr. Damit bin ich größer als du.«
»Ja, das stimmt.« Frauke lächelte. »Und jetzt sieh zu, dass du dich umziehst. Ich glaube, sie warten auf uns.«
* * *
»Das war sehr gut, was sie da eben gemacht haben.« Frau Hegel legte das Besteck weg und wischte sich den Mund ab. »Schon beim zweiten Mal waren sie eine echte Hilfe.«
Julia lächelte nur, sie hielt es zunächst für Höflichkeit.
»Seien sie nicht so bescheiden.« Ihre Vermieterin setzte nach. »Wir hätten sonst doppelt so oft laufen müssen.«
»Ja, wenn sie meinen.« Julia zweifelte immer noch an ihren Leistungen. »Es war ja nicht schwer.«
»Sie haben natürlich einen großen Anteil an Julias Erfolg.« Herr Hegel blickte zu Frauke. »Sie haben ihr immer dann geholfen, wenn sie anfing, Schwierigkeiten zu haben. Sie haben das ebenfalls sehr gut gemacht.«
»Ich war zunächst ja dagegen.« Frauke strich Julia zärtlich über den Kopf. »Aber ich habe gespürt, dass du es unbedingt machen wolltest.«
»Ja, das ist richtig.« Sie griff zu Fraukes Hand und hielt sie fest. »Und es fühlte sich sehr schön an.« Sie wurde eine Winzigkeit leiser. »Ich freue mich schon sehr auf die Engel.«
Herr Hegel lehnte sich zurück. »Ich bin mir mittlerweile sicher, dass sie es schaffen werden.«
»Ich denke auch.« Seine Frau bestätigte es. »Wenn sie jetzt auch noch kräftig mit Patricia trainieren, dann sind sie eigentlich sehr gut vorbereitet.«
Der Professor lächelte. »Ich hatte fast den Eindruck, sie wollten gar nicht mehr aus dem Handschuh heraus.«
Julia wurde rot. »Ja, so war es auch.« Sie lächelte. »Ich war richtig überrascht, dass die Stunde schon um war.«
Hegels tauschten einen vielsagenden Blick aus.
»Sie sollten aber wissen, dass dies nur der Anfang ist. So fair müssen wir sein.« Er räusperte sich. »Aber ich bin überzeugt, dass sie alle Herausforderungen meistern werden.«
»Was wird denn noch kommen?« Julia bereute die Frage, kaum dass sie sie ausgesprochen hatte.
»Es ist richtig, dass sie dies fragen.« Frau Hegel lächelte. »Aber ich möchte sie bitten, sich diese Frage bis morgen aufzuheben. Wir haben doch Patricia Vogel eingeladen, und sie kennt sich bei den Engeln viel besser aus.«
»Die Patricia, die wir besucht haben? Sie kommt also wirklich?« Julia war elektrisiert.
»Ja, genau die.« Frau Hegel lächelte. »Sie hat zwar noch zwei Termine mit ihrem Orchester, aber sie sagt, dass sie das trotzdem einrichten kann. Sie kommt schon morgen und wird euch viele gute Tipps zum Trainieren geben.«
»Ich freue mich.« Julia strahlte, doch dann fiel ein Schatten über ihr Gesicht. »Ich hätte da noch eine andere Bitte, aber ich weiß nicht, ob ich die überhaupt äußern darf.«
»Lassen sie es hören.« Frau Hegel lehnte sich zurück.
»Ich würde mir gern wünschen, dass Frauke von nun an bei den Mahlzeiten dabei ist und nicht mehr alleine isst.« Julia wurde rot und senkte den Kopf.
Hegels waren damit einverstanden, machten aber deutlich, dass es allein Fraukes Entscheidung wäre.
»Ich muss doch auf sie aufpassen«, betonte Julia bewusst scherzhaft.
Frauke war seltsam berührt und bewegt. »Ich bin es gar nicht gewöhnt, dass sich jemand für mich einsetzt.«
Julia ergriff ihre Hand. »Wir Schwestern müssen doch auf einander aufpassen.«
Frauke wäre gern noch einen Schritt weiter gegangen, doch sie spürte, dass die Zeit dafür noch nicht reif war.
»Und jetzt sollten sie sich umziehen für ihren Pflichtabend.« Herr Hegel stand auf.
»Und bitte weder Perle noch Haube.« Frau Hegel tat es ihrem Mann nach. »Wir möchten uns mit ihnen unterhalten.«
Julia seufzte nur.
»Mein Mann und ich werden sehr stolz auf sie sein.« Sie streichelte ihr zärtlich über die Wange. »Aber bitte versprechen sie mir, dass sie sich nicht überfordern und vor allem, dass sie auf ihre Gesundheit achten.«
Julia gab das gewünschte Versprechen, dann drehte sie sich zu Frauke. »Gehen wir uns umziehen.« In ihre Vorfreude mischte sich ein klein wenig Angst vor dem Unbekannten, doch sie war sich sicher, dass Hegels nichts wirklich Schlimmes von ihr fordern würden. Langsam folgte sie Frauke in ihr Zimmer.
* * *
»Was wolltest du anziehen?« Frauke blickte auf die offenen Schranktüren, realisierte aber auch, dass Julia bisher für den Abend nichts heraus gelegt hatte.
»Ich wollte eigentlich gleich in dieser Bluse bleiben.« Julia lächelte leicht.
»Aber du willst doch den Handschuh tragen?« Frauke runzelte die Stirn.
»Was heißt hier ‚willst‘? Ich glaube, ich muss...« Julia lächelte. »Aber was hast du gegen die Bluse?«
Frauke musste einen Moment überlegen. »Etwas eng anliegendes wäre sinnvoller, wie zum Beispiel ein Rollkragenpullover.«
»So etwas gibt es hier aber nicht in Lack.« Dann stutzte sie. »Warum eigentlich?«
»Die Ärmel der Bluse werden im Handschuh sicher Falten bilden, die dann unangenehm drücken könnten.«
»Das ist einzusehen. Vorhin hat es gezwickt.« Julia seufzte. »Da waren ein paar Blusen im Schrank, die ich aussortiert hatte, weil sie keine Ärmel hatten.«
Sie blickten sich kurz an.
»Ich habe sie in das untere Fach gelegt.« Julia strahlte.
Gleich darauf trug Julia eine weiße Bluse mit kurzen Ärmeln und hatte ihre Arme schon erwartungsvoll auf den Rücken gelegt. »Ich bin bereit.« Sie strahlte.
»Die Bluse ist ja hochgeschlossen.« Frauke blickte Julia bewundernd an. »Mit Ausschnitt fände ich dich schöner.«
»Das ist doch mein Pflichtabend bei Hegels, da will ich schön aussehen.« Sie grinste. »Spielen können wir hinterher. So schön bei Kerzenlicht und Sekt.«
Frauke lächelte nur. ‚Wenn dir dann noch nach spielen ist‘, dachte sie im Verborgenen. Aus ihrer eigenen Erfahrung her ahnte sie, dass Julia nach dem Aufenthalt auf dem Pferd sicherlich sehr erschöpft sein würde. »Welcher Handschuh darf es denn sein?«
Julia musste kurz überlegen. Bisher hatte sie immer den Trainingshandschuh getragen. »Wie wäre es mit dem weißen zum Schnüren?«
»Wie Madame wünschen.« Frauke lächelte. »Heute haben wir ja Zeit für eine sorgfältige Schnürung.«
Julia drehte sich mit dem Rücken zu Frauke und präsentierte ihr so die Arme, dass sie sich auf der ganzen Länge der Unterarme berührten.
»Wahnsinn, du bist wirklich sehr gelenkig.« Frauke sortierte noch die Riemen des Handschuhs.
Julia zitterte etwas. »Ich habe auch täglich in der Uni geübt, wenn es wieder etwas langweilig war.« Sie beschrieb, wie sie dann ihre Arme hinter die Stuhllehne gehalten hatte.
Frauke trat mit dem Handschuh näher an Julia heran. Mit leiser Freude sah sie bei Julia so etwas wie eine Gänsehaut. Langsam und sorgfältig schob sie die Lederhülle über Julias Arme.
Julia stöhnte leise, als sie das Leder auf ihren Armen spürte. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht lauter zu werden.
Insgeheim hatte sie schon sehr viel Gefallen gefunden an diesem so seltsamen Handschuh. Sie fand es sehr faszinierend, wie diese einfache Lederhülle ihr jede Bewegungsmöglichkeit ihrer Arme weg nahm.
Gleich darauf sah sie, wie Frauke die Riemen um ihren Oberkörper legte. Julia hatte die Funktion dieser Riemen verstanden, sie sorgten dafür, dass die Lederhülle nicht wieder herunter rutschen konnte.
»Ich würde dann mit der Schnürung beginnen.« Frauke sprach in diesem Moment leiser.
Julia musste sich erst räuspern, bevor sie antworten konnte. »Mache es bitte mit diesen Klammern.« Sie blickte auf den Schreibtisch, wo die entsprechenden Dinge lagen. »Frau Hegel sagt, sie ermöglichen eine besonders strenge und ästhetische Schnürung.«
»Hat sie wirklich ‚ästhetisch‘ gesagt?« Frauke war etwas verwundert.
»Nein, das waren meine Worte.« Julia lächelte. »Sie hatte mir doch den Artikel aus der Engelszeitung gezeigt.«
Frauke nahm die Klammern vom Tisch und warf auch noch einen kurzen Blick auf den Artikel. »Im Grunde genommen ist es ganz einfach.«
Frauke war gerade fertig mit der Schnürung, als es an der Tür klopfte. Frau Hegel steckte den Kopf zur Tür herein. »Frau Wiesl, hätten sie einen Moment Zeit für mich?«
»Brav sein.« Frauke strich einmal kurz über Julias verpackte Arme, dann folgte sie Frau Hegel auf den Korridor.
»Ich möchte sie einladen, den Abend mit uns zu verbringen.« Frau Hegel holte tief Luft. »Sehen sie es bitte nicht als Befehl, sondern als höfliche Bitte.«
Frauke war zunächst sprachlos.
»Sie täten es auch für Julia.« Frau Hegel brachte die Argumente vor, die sie sich bereit gelegt hatte. »Sie kennen sie bisher am besten, und sie können am ehesten beurteilen, ob wir den Abend abbrechen sollten.«
Frauke glaubte sich verhört zu haben. »Ich könnte verhindern, dass Julia das zugemutet wird?«
»So drastisch sehen sie das hoffentlich nicht, aber ja, das meine ich.« Frau Hegel lächelte. »Sie sollten auch wissen, was wir zusätzlich noch vorhaben. Natürlich könnten sie sagen, dass sie dagegen sind, doch wir würden uns sehr darüber freuen, wenn sie uns bei unseren Zielen unterstützen würden.«
»Was haben sie denn vor?« Frauke erkannte, dass sie ein wenig Einfluss auf das haben würde, was Hegels ihrer Freundin in Kürze zumuten würden.
Frau Hegel flüsterte Frauke etwas ins Ohr.
Im ersten Moment war Frauke sowohl enttäuscht als auch empört. Doch dann fiel ihr wieder ein, was damals von ihr selbst erwartet wurde und was sie damals nicht geschafft hatte. Mit der Antwort zögerte sie noch.
»Sie dürfen sie auch gern in den Arm nehmen und sie dabei streicheln.« Frau Hegel hoffte, dass es die richtigen Worte waren.
»Und warum machen sie so etwas?« Frauke fragte es, obwohl sie die Antwort eigentlich kannte.
Frau Hegel holte tief Luft. »Wir möchten wissen, wie sie reagiert und in wie weit wir Chancen haben, dass sie die Aufnahmeprüfung bestehen wird.«
»Ja, natürlich.« Frauke seufzte tief.
»Bitte seien sie an ihrer Seite und stehen ihr bei. Sie können ihr wirklich helfen.« Frau Hegel blickte die Dienerin eindringlich an. »Passieren kann ihr ja nichts, auf dem Pferd ist sie sicher festgeschnallt, wie sie sicherlich noch wissen. Ich bin sicher, dass es ihr gefallen wird.«
Tief in ihrem Inneren hatte Frauke sich schon entschieden. »Sie könnte Skrupel haben, in Gegenwart ihres Professors kommen zu müssen. Sie wird bestimmt versuchen es zu verbergen.«
»Genau das wäre dann auch der eigentlich Zweck der Übung.« Sie blickte zu Boden, denn von diesem Aspekt wusste Frauke bisher nichts.
»Was meinen sie?« Frauke horchte auf. »Sie machen das nur, um ihr dabei zusehen zu können?«
»Aber natürlich nicht aus Eigennutz.« Wieder holte Frau Hegel tief Luft. »Sie muss das für die Engel können, und je weniger ihr man es ansieht, desto besser ist es für sie.«
»Wer wird die Steuerung bedienen?« Frauke hoffte noch, Julia unnötige Qualen ersparen zu können.
»Es ist besser für sie, wenn sie das nicht wissen.« Frau Hegel fiel noch etwas ein. »Wenn sie möchten, dann können sie sich einen Barhocker aus dem Keller holen. Sie müssten dann nicht die ganze Zeit stehen.«
»Aber dann kann ich sie nicht umarmen?« Frauke wollte hier widersprechen.
»Es ist nur ein Angebot.« Frau Hegel lächelte. »Sie müssen nicht.«
Frauke dachte kurz nach. »Okay, ich werde mir den Hocker holen.« Sie öffnete kurz die Tür und streckte den Kopf hinein. Es tat ihr weh, als sie sah, wie sehr sie Julia anstrahlte. »Ich gehe mal kurz in den Keller. Ich bin gleich wieder bei dir.«
»Ich komme zurecht.« Julia saß auf dem Bett und lächelte erwartungsvoll.
Auf dem Weg in den Keller dachte Frauke an ihre eigenen Erfahrungen, und sie erkannte, dass Julia schon jetzt wesentlich weiter gekommen war als sie selbst. Sie selbst hatte das Angebot vor allem angenommen, weil sie damit aus dem Gefängnis kam. Sie hatte nicht gewusst, was Hegels damals wirklich von ihr erwartet hatten.
* * *
Herr Hegel war sichtlich nervös, als er das Wohnzimmer betrat. »Wo ist die Fernbedienung?«
»Sie liegt in deinem Sessel.« Frau Hegels Antwort zeigte ebenfalls eine gewisse Anspannung.
»Kann sie sie vom Pferd aus sehen?« Herr Hegel setzte sich in den Sessel, nachdem er die Fernbedienung in die Hand genommen hatte.
»Nein.« Frau Hegel schüttelte den Kopf. »Das wissen wir schon von diversen Nachbesprechungen.«
»Woher wissen wir, ob es wirklich funktioniert?« Herr Hegel drückte einige Knöpfe auf der Fernbedienung.
»Du bist sehr nervös.« Seine Frau lachte. »Ich habe mit Frau Wiesl ein paar Zeichen vereinbart. Sie wird uns auch mitteilen, ob sie den Vibrator spüren kann.«
Herr Hegel wurde nachdenklich. »Ich denke, wir werden nichts von ihr sehen.« Er erinnerte an die Erfahrungen aus den vergangenen Abenden.
* * *
»Was gibt es denn so wichtiges, dass ihr den Familienrat einberuft?« Vater Sommer setzte sich an den Esstisch. »Ich verpasse immerhin den Stammtisch.«
Michael, sein Ältester versuchte ihn zu beruhigen. »Es ist wirklich wichtig.« Er holte tief Luft. »Ich weiß, wo Julia ist.«
Augenblicklich war es still im Esszimmer.
»Na endlich.« Der Vater seufzte. »Wie hast du sie gefunden?«
Michael berichtete von der Straßenbahnfahrt, auf der er seine Schwester erkannt hatte. »Ich habe sie den ganzen Tag verfolgt, und für das Haus in Grünwald hatte sie sogar einen Schlüssel.«
Bernd sprang auf. »Wir holen sie sofort zurück.«
Doch der Vater pfiff ihn zurück. »Setze dich wieder.« Er machte eine bedeutsame Pause. »Wir müssen vorher sicherstellen, dass sie uns nicht wieder weglaufen kann.«
Michael beschrieb das Gebäude, das er seine Schwester hatte betreten sehen. »Sie wohnt dort sich zur Miete oder in einer WG. So ein Haus könnte sie sich nie leisten.«
Der Vater blickte seinen Mittleren an. »Was wolltest du machen? Wolltest du da einbrechen?«
Bernd gab sich kleinlaut.
»Wir sollten mit den Eigentümern reden und ihnen unsere Sorgen schildern.« Die Mutter blickte ihre Söhne abwechseln an. »Vielleicht haben sie ja Verständnis für unsere Situation.«
»Eine Familie Hegel wohnt dort.« Klaus legte den Zettel mit seinen Recherche-Ergebnissen auf den Tisch. »Ein Professor Hegel. Er lehrt Architektur an der Uni in München.«
Michael allein fiel auf, dass dies auch das Studienfach war, mit dem sich seine Schwester befasste. Doch er hütete sich, etwas zu sagen.
»Mutter, du machst einen Termin aus, und am Sonntag fahren wir sie besuchen.« Er blickte sich um. »War es das? Dann kann ich ja doch noch zum Stammtisch.« Er stand auf und verließ das Esszimmer.
* * *
Wenn sie auf dem Pferd sitzen würde, bekäme sie einen neuen rockähnlichen Umhang, das wusste Julia. Trotzdem bestand sie darauf, für den Weg ins Wohnzimmer den strengen Rock zu tragen. »Du bist bei mir und kannst mir helfen.« Sie gab Frauke einen Kuss.
Die Dienerin hätte Julia gern vorgewarnt, denn im Gegensatz zu der in diesem Moment sehr naiven und unschuldigen Studentin wusste Frauke, welche süßen Qualen und Torturen auf Julia warteten. Doch in diesem Moment wollte sie Hegels helfen, ihre eigentlichen Ziele zu erreichen. Außerdem war sie sich sicher, dass Julia nach den ersten Schreckensmomenten den Abend bestimmt genießen würde.
Frauke hatte den Arm um Julia gelegt und half ihr so beim Gehen. Sie kamen nur sehr langsam voran, und dennoch spürte Frauke, dass sich die Studentin sehr auf den Abend freute.
Obwohl sie alle die schönen Sachen schon einmal getragen hatte, war sie in diesem Moment doch aufgeregter als sonst. Es war weit mehr als nur ein Pflichtabend.
Im Wohnzimmer angekommen wurde Julia zunächst von Frau Hegel begutachtet. Sie musterte zunächst ausführlich die Schnürung des Handschuhs, dann musste Frauke auch noch einmal den Rock öffnen, und die Frau des Professors inspizierte die Schnürung der Stiefel.
Beim Handschuh hatte Julia sich noch ruhig gehalten, doch als auch die Stiefel kontrolliert wurden, musste sie sich doch äußern. »Vertrauen sie Frauke so wenig?«
Frau Hegel lächelte und warf Frauke einen bedeutsamen Blick zu. »Wir hatten das vorher schon so abgesprochen. Es dienst einem ganz anderen Zweck.«
Frauke blickte abwechselnd Julia und Frau Hegel mit einem Lächeln an.
Frau Hegel setzte ihre Gedanken fort. »Wichtig ist nämlich vor allem, dass sie sich daran gewöhnen, dass fremde Leute ihre Ausrüstung kontrollieren.«
In Julia stieg die Nervosität um ein Vielfaches. Nicht wegen Frau Hegels Kontrolle, sondern weil sie sich immer mehr fragte, auf sie sich hier wirklich eingelassen hatte. Die Zukunft wurde auf der einen Seite immer rätselhafter und zugleich doch auch sehr faszinierend.
Nachdem Frau Hegel ihre Kontrolle beendet hatte, bat sie ihren Mann, den Raum kurz zu verlassen.
Zu Julias Überraschung schien ihr Professor genau zu wissen, was kommen sollte, denn er erhob sich ruhig und doch auch mit einer gewissen Anspannung im Blick. Er warf Julia noch einmal einen kurzen Blick zu, dann verließ er das Wohnzimmer.
»Haben sie die Schlüssel dabei?« Frau Hegel hatte gewartet, bis die Tür ins Schloss gefallen war.
Frauke griff in eine der Taschen ihres Kleides und holte den Schlüssel heraus. Sie reichte ihn Frau Hegel und begann darauf, Julia den Rock wieder abzunehmen.
Julia war ein wenig verunsichert. »Was passiert jetzt?« Ein wenig hatte sie den zweilagigen Rock auch als Schutzpanzer gesehen, auch wenn er sie doch so drastisch in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkte.
Die Erklärung war genauso kurz wie banal. »Mit dem Rock kannst du dich ja nicht auf den Sattel setzen.« Frauke lächelte.
Auch Frau Hegel lächelte. »Außerdem sind sie es noch nicht gewöhnt, mit dem Gürtel auf dem Sattel zu sitzen. Darum werden sich dann die Damen auf der Burg kümmern.« Sie beugte sich vor Julia und schloss ihren Keuschheitsgürtel auf.
Als Julia das sah, liefen bei ihr ein paar Tränen. »Ich hatte insgeheim schon befürchtet, dass ich dieses Ding nie mehr los werde.« Sie kam nicht umhin, Frauke einen kurzen Blick zu zuwerfen.
»Wir erwarten allerdings von ihnen, dass sie sich nach ihrem Ritt auf dem Pferd den Gürtel wieder anlegen lassen.« Frau Hegel äußerte den Satz ganz beiläufig.
Erst jetzt erkannte Julia, dass ihr Satz missverständlich war. Sie korrigierte sich. »Ich hatte befürchtet, der Schlüssel wäre verschwunden.«
»Ich würde die Gelegenheit gern nutzen und ihre Haut unter dem Gürtel und dem BH prüfen.« Frau Hegel gab sich bewusst sachlich, obwohl sie selbst ebenfalls hoch angespannt war. »Ich habe da etwas vorbereitet.« Sie ging zur Kommode und nahm einige Tücher zur Hand.
Mit den Tüchern rieb sie gleich darauf Julias Haut unter dem Gürtel etwas ein. »Ein Hautpflegemittel«, sagte sie, als sie Julias fragenden Blick sah. »Sie tragen den Gürtel schon viel länger als es eigentlich gut wäre.«
Julia hörte die Worte und stutzte. »Sie meinen ohne Pflege?«
Erst jetzt realisierte Frau Hegel, was sie gerade gesagt hatte. »Ja, natürlich. So war das gemeint.«
»Sollten wir den BH auch gleich kontrollieren?« Frauke zwinkerte Frau Hegel kurz zu, dann nahm sie zwei kleine Gegenstände von der Kommode und steckte sie sich in die Tasche des Kleides.
»Gute Idee.« Frau Hegel blickte Julia an. »Wenn sie damit einverstanden sind.«
»Aber gern.« Julia seufzte. »Ich dachte schon, ich würde sie nie wieder sehen.«
»Machen sie ihr bitte die Bluse auf und öffnen bitte den BH.« Sie zwinkerte Frauke erneut zu.
Julia blickte ihre Freundin verliebt an, während diese das Schloss zwischen den beiden Brusthalbkugeln öffnete.
»Möchten sie das machen?« Frau Hegel reichte Frauke die Tücher.
Die Dienerin nahm die Tücher entgegen, dann trat sie an Julia heran. »Mache bitte die Augen zu.« In diesem Moment sprach sie mit sehr verliebter, aber genauso ehrlicher Stimme.
Julia kam der Bitte nach und genoss anschließend die zärtlichen Berührungen ihrer Freundin.
»Sehr gut, man sieht fast nichts auf der Haut.« Auch Frau Hegel schien sich für Julias Haut unter dem BH zu interessieren. »Trotzdem sollten wir die Pflege in der Zukunft häufiger machen.«
Ein paar Zärtlichkeiten später spürte Julia wieder die Ränder der beiden Halbschalen auf ihrer Haut. Sie ahnte, dass der intime Moment vorbei war und öffnete wieder ihre Augen.
»Sie können sich dann setzen.« Obwohl es nur ein kurzer Satz war, war die Anspannung doch deutlich in der Stimme von Frau Hegel zu hören. »Frauke, stellen sie bitte die kleine Trittleiter bereit.«
Die Dienerin kam der Aufforderung nach.
»Auf der Burg wäre es wichtig, dass sie sich ganz allein auf den Sattel setzen können, aber heute werden wir ihnen natürlich erst einmal helfen.« Frau Hegel gab Frauke ein Zeichen, und gemeinsam kamen sie näher an das Pferd heran.
Julia keuchte. »Darf ich es erst einmal allein probieren?« Sie wollte allerdings nur nicht zugeben, dass sie das Aufsteigen ohne Arme insgeheim schon geübt hatte. Nur in Kombination mit diesen Ballettstiefeln hatte sie es noch nicht praktiziert.
Obwohl Frau Hegel und Frauke bereitstanden, um jederzeit zuzugreifen, schaffte Julia die Aufgabe ganz ohne Hilfe.
Sie stellte zunächst ihren gestiefelten Fuß auf die waagerechte Platte, dann schwang sie das andere Bein über den Sattel und ließ sich dann langsam herab. Zuletzt brachte sie noch ihre Stiefel so in Position, dass sie an den Seiten der Stange festgeschnallt werden konnten.
»Bitte schön« Sie keuchte etwas, doch sie strahlte bis über beide Ohren.
»Bravo.« Frau Hegel war sehr begeistert von Julias Leistung. Sie äußerte dies. »Es ist sehr wichtig, dass sie dies ganz ohne Hilfe können. Das wird ihnen auf der Burg viele Pluspunkte einbringen.«
Julia lächelte verlegen. Erst nach einiger Zeit erkannte sie, dass es eigentlich ein Lob war.
»Wir werden ihnen jetzt die Beine festschnallen, danach können sie es sich auf dem Sattel bequem machen.« Frau Hegel gab Frauke ein Zeichen, dann knieten sie sich jeweils vor das Ende der Stange und befestigten Julias Beine in den dafür vorgesehenen Halterungen.
Julia erkannte langsam, dass es für sie jetzt endgültig kein Zurück mehr gab. Schon aus dem Handschuh hätte sie sich nie befreien können, und die Schnallen für die Fußgelenke konnte sie vom Sattel aus auch nicht erreichen.
Und doch war es keine bedrückende oder negative Situation, in der Julia sich jetzt befand. Im Gegenteil, sie fühlte sich seltsam frei. Vor allen Dingen frei von Verantwortung. Es gab nichts mehr, was sie hätte aktiv tun können. Es blieb ihr nur noch, still da zusitzen und abzuwarten, was der Abend bringen würde.
Und es fühlte sich gut an. Sehr gut.
»Wir legen ihnen jetzt noch so etwas wie einen Reifrock um.« Frau Hegel drehte sich zu Frauke. »Zunächst bitte den Unterrock.«
Frauke verließ gleich darauf das Wohnzimmer und kam kurz darauf wieder herein.
Julia konnte zunächst nicht erkennen, was Frauke auf einmal zur Tür herein trug. Sie erkannte ein Gewirr von offensichtlich alten Fahrradschläuchen. »Was ist denn das?«
Frauke lächelte. »Hast du jemals schon einen Reifrock getragen?«
Julia verneinte.
»Das ist das Gestell, was die Damen früher darunter getragen haben.« Frau Hegel lächelte. »Wir haben diese alte Mode wieder aufgegriffen.« Zusammen mit Frauke legten sie nun Julia das Gestell um die Taille und ließen es dann zu Boden fallen.
Julia erkannte jetzt den Sinn des Ganzen. Die einzelnen Schläuche waren miteinander verbunden und bildeten so etwas wie einen Kegel, an dessen Spitze Julias Oberkörper herausragte. »Wie Sissi«, lächelte sie.
»Das war ja nur der Unterrock.« Frau Hegel blickte erneut zu Frauke. »Der eigentlich Rock kommt ja erst.«
Frauke kam gleich darauf mit einem großen Bündel glänzendem hellgelben und weißen Lackstoff zurück. Das es Lack war, erkannte man wegen der viele Borten und Rüschen erst auf den zweiten Blick.
Julia sah fasziniert zu, wie sie das Bündel so nach und nach in einen Rock verwandelte, der sie von der Taille bis dicht vor den Boden komplett bedeckte. Weder von dem Pferd noch von dem Reifrockgestell war jetzt noch etwas zu sehen.
Julia räusperte sich. »Frauke, kannst du mal fragen, ob du ein Foto machen darfst? Ich würde sehr gern sehen, wie ich aussehe.«
Frau Hegel lächelte. »Das ist gut, dass sie danach fragen. Auch daran sollten sie sich schnell gewöhnen.« Sie gab Frauke wieder ein Zeichen.
»Dass ich gefilmt werden?« Julia war ein wenig verwundert. Doch sie sah, dass Frauke die Kamera schon in der Hand hielt.
»Nein, sondern dass sie so in der Öffentlichkeit stehen.« Frau Hegel blickte bewundert auf die völlig verwandelte Gestalt von Julia. »Und dass sie von fremden Leuten angesehen und bewundert werden.«
»Vor allem von den Männern.« Frauke grinste hinter der Kamera.
Frau Hegel trat an die Tür, durch die ihr Mann verschwunden war. Sie klopfte kurz, und gleich darauf betrat Herr Hegel den Raum. Als er Julia so sitzen sah, lief ihm doch wirklich eine Träne über die Wange. »Ich habe es wirklich nicht mehr geglaubt.«
Julia freute sich einerseits über die Rührung ihres Professors, auch wenn sie sie auf der anderen Seite nicht wirklich nachvollziehen konnte.
Frauke setzte sich auf den Hocker neben Julia, auch wenn sie bedingt durch die Weite des Rockes schon einen nicht unerheblichen Abstand einnehmen musste.
Julia war anfangs in Gegenwart ihres Professors noch sehr nervös. Sie fühlt sich allein schon durch ihr Wort gebunden, und dass sie gefesselt auf dem Pferd saß, machte ihr weniger aus als die Sorgen um ihr Ansehen bei Hegels. Sie wollte, dass ihre Vermieter stolz auf sie waren. Kurz, sie wollte ihre Sache gut machen.
»Dann setzen wir uns doch.« Frau Hegel setzte sich in den Sessel neben ihrem Mann und blickte Julia lächelnd an. »Sie tragen jetzt kein Halskorsett und keine Perle, weil wir uns mit ihnen unterhalten möchten.«
»Außerdem können sie uns so leichter sagen, wenn sie irgendwo Schmerzen haben sollten«, ergänzte ihr Mann.
Frauke steckte ihre Hand aus und streichelte Julia kurz über die Wange.
Julia hatte eigentlich einen gemütlichen Fernsehabend erwartet, doch zu ihrer Überraschung blieb der Fernseher aus, stattdessen wurde über einige Themen im Ort, aber auch über die deutsche und internationale Politik gesprochen.
Zuerst glaubte Julia noch, dass sie sich das Vibrieren nur einbildete, denn sie war bedingt durch ihren Zustand sehr angespannt. Doch je weiter die Zeit fortschritt, desto heftiger wurde das Vibrieren im Sattel, und Julia fiel es immer schwerer, es zu ignorieren.
Plötzlich und ganz unvermittelt unterbrach ihr Professor seine Gedanken. »Sehen sie es als erweitertes Training. Versuchen sie ruhig zu bleiben und lassen sie sich nichts anmerken.« Dann machte er mit seinem Thema weiter, als wäre nichts gewesen.
Julia glaubte erst, sich verhört zu haben, doch dann begriff sie, was sich wirklich gerade ereignete. Offensichtlich wusste ihr Professor, was gerade mit ihr passierte.
Doch erst, als sie auch die beruhigende Berührung von Frauke spürte, begann sie Vertrauen zu der Situation zu fassen.
Immer weiter stieg ihre Erregung, und sie kämpfte heftig damit, weiterhin ihrem Professor zuhören zu können, denn ab und zu stellte er Zwischenfragen, auf die sie zu antworten hatte.
»Lassen sie sich bitte nicht ablenken«, hatte er mehrmals gesagt. »Es dient alles ihren Zielen als Engel.«
Julia war schon fast nicht mehr in der Lage klar zu denken, so heftig hatte sich die Vibration schon gesteigert. Doch auf einmal hörte es urplötzlich auf.
Julia war erleichtert, weil sie sich so ein wenig erholen konnte.
»Na, wie findest du unseren Engel?« Herr Hegel sah seine Frau mit strahlenden Augen an.
»Vielversprechend.« Frau Hegel lächelte. »Sehr vielversprechend.«
Julia verfolgte den Dialog atemlos. Sie war von der neuen Seite ihres Professors völlig überrumpelt. Genauso hatte sie auch die sehr aufmerksamen Blicke von Frau Hegel verfolgt, und auf einmal begann sie ihre Vermieter in einem ganz anderen Licht zu sehen.
Etwas verunsichert blickte sie zu Frauke, und diese strich ihr mit der Hand durch das Gesicht. »Du machst das sehr gut.«
»Gehört das auch zu den Engeln?« Julia dachte nicht mehr so genau über ihre Frage nach.
»Es wird von den Engeln erwartet, dass sie sich nichts anmerken lassen.« Frau Hegel lächelte Julia beruhigend an. »Sie dürfen im Stillen genießen.«
»Aber ich habe darüber gar keine Kontrolle.« Es kam Julia sehr surreal vor, über dieses Thema mit ihrem Professor und dessen Frau zu diskutieren.
»Je schneller sie sich daran gewöhnen, desto leichter werden sie es haben.« Frau Hegels Tonfall ließ überhaupt nicht erkennen, über welches intime Thema sie gerade sprach.
»Eigentlich bin ich das ja gewöhnt.« Julia wurde rot, als sie an das kleine Zimmer dachte, in dem sie bis zum Auszug mit ihren Brüdern schlafen musste. Sie war von je her darauf konditioniert, ihren Höhepunkt im Stillen zu genießen.
»Du erzählst mir gelegentlich mal davon.« Frauke lächelte verliebt. Sie streichelte noch einmal über Julias Oberkörper, dann blickte sie kurz zu Herrn Hegel.
»Sind sie bereit für die nächste Runde?« Jetzt, wo Julia wusste, was passieren würde, war es auch kein Problem, es vorher anzukündigen.
Julia nickte schüchtern. Wäre sie nicht so streng auf das Pferd gefesselt, dann wäre sie schon lange auf ihr Zimmer gelaufen und hätte sich ins Bett verkrochen.
Wieder hörte es auf, lange bevor Julia auch nur in die Nähe eines Orgasmus gekommen war.
Frauke hatte genau das bemerkt, und auf einmal wurde sie mutig. »Das ist die Strafe für deine Erpressung.«
Zur Überraschung aller schritt Frau Hegel ein. »Frau Wiesl, bitte bringen sie das nicht in einen Zusammenhang. Das ist unfair.«
Julia lächelte Frauke verlegen an. »Nein, nein, ich habe es schon verdient.«
Mittlerweile hatte Julia erkannt, wo Herr Hegel die Fernbedienung wohl versteckt hatte, und als er wieder neben sich auf das Sesselpolster griff, stöhnte Julia kurz auf. »Bitte, darf ich dieses Mal kommen?«
Auf einmal wurde Frau Hegels Stimme etwas ernster. »Julia, das ist sehr ungehörig für einen Engel.«
Auch Frauke blickte auf einmal etwas strenger. »Ein Engel zeigt Geduld. Er wartet, bis es ihm erlaubt wird.«
Julia schluckte heftig. Ihre Stimme wurde leiser und ein wenig wehleidig. »Ich hatte mir den Abend ganz anders vorgestellt.«
Frau Hegel blickte ihren Mann bittend an. »Bitte erlöse sie. Ich denke, sie hat es verdient.«
Auch Frauke schloss sich der Bitte an. Sie stand auf und legte ihre Arme um ihre Freundin.
Julia zitterte vor Erwartung und blickte zu Boden.
»Entspannen sie sich und genießen sie es.« Herr Hegel blickte kurz auf die Fernbedienung, dann drückte er einen Knopf.
Julia schloss die Augen. Sie war schon viel zu erregt, um sich noch zu schämen, in Gegenwart ihres Professors zum Kommen gezwungen zu werden. Und dass dieser Zwang von ihm ausging, versuchte sie zu verdrängen. Zumal sie sich ihren Gasteltern mit dem Besteigen des Pferdes und dem Tragen des Handschuh mehr als ausgeliefert hatte.
Auf einmal spürte sie auch noch eine Bewegung an ihren Äpfelchen und ihre Erregung stieg ins Unermessliche.
»Was trägt sie denn im BH?« Mit dem gleichen Tonfall, mit der er sich vorhin über die Politik unterhalten hatte, fragte Herr Hegel jetzt nach der Ausstattung in Julias Keuschheits-BH.
»Die Gumminippel mit leichtem Vibrator.« Frau Hegel gab mit einer gewissen Faszination darüber Auskunft.
Die Worte drangen nur noch durch eine dicke Wolke an Julias Ohren. Darüber nachdenken konnte sie schon lange nicht mehr.
»Sehr gut ausgesucht, meine Liebe.« Herr Hegel legte die Fernbedienung an ihren Platz neben sich.
Frauke verfolgte den Dialog atemlos. Nur bedingt konnte sie sich ausmalen, was sich gerade in Julias Körper abspielen musste. Doch fasziniert war sie davon, dass von Julia nicht ein winziger Seufzer zu hören war. Sie war in dieser Richtung wirklich sehr stark konditioniert, und das war für die Engel geradezu ideal.
Frauke spürte, wie sich Julias Körper aufbäumte und gleich darauf in sich zusammen sank. Doch das leise Summen verstummte dieses Mal nicht.
Frauke blickte verwundert zu Herrn Hegel, doch dieser legte nur einen Finger auf seinen Mund und deutete Frauke an, Julia weiterhin festzuhalten. »Wir werden sie ins Bett tragen müssen«, flüsterte er, dann sank seine Hand wieder zu der Fernbedienung.