Die Studentin – Der Gürtel
Autor: Karl Kollar
Den Weg von der Haltestelle zum Universitätsgebäude war Julia schon oft gegangen. Doch heute war dieser Gang etwas Besonders, denn sie war auf dem Weg zu ihrer lange erwarteten Engelsprüfung. Schon von weitem sah sie das imposante Gebäude, in dem sie schon so viel Zeit verbracht hatte.
Beim Näherkommen bemerkte sie seit langer Zeit wieder einmal, wie groß das Portal doch war, durch das sie jetzt fast jeden Morgen die Universität betreten hatte. Doch schnell richteten sich ihre Gedanken wieder auf ihre bevorstehende Prüfung und wie es dazu gekommen war.
Hegels hatten sie wortwörtlich von der Straße geholt, und entsprechend fühlte sie jetzt sich ihren Vermietern verpflichtet. Sie war fest entschlossen, sich der Prüfung zu stellen und Carolin, Hegels verstorbene Tochter, würdig zu vertreten. Sie hatte mittlerweile auch erkannt, dass sie mit dieser Prüfung für Hegels anscheinend die letzte Möglichkeit darstellte, ein gewisses Ziel zu erreichen – auch wenn sie immer noch nicht wusste, worum es sich dabei genau handelte.
Eigentlich hätte Carolin diesen Weg gehen sollen, doch sie war viel zu früh gestorben. Jetzt sollte sich Julia an ihrer Stelle dieser Herausforderung stellen, und damit war sie mehr als einverstanden.
Während sie das große und beeindruckende Treppenhaus hoch schritt, dachte sie daran, wie viele Prüfungen sie hier schon ganz problemlos bestanden hatte. Sie hatte fast nie besonders lernen müssen, und sie konnte die Fragen der Professoren in der Regel mühelos beantworten.
Doch schon auf dem Weg in das obere Stockwerk merkte sie, dass es heute ein wenig anders war. Ihr kamen Mädchen mit großen Engelsflügeln entgegen, die sie allerdings überhaupt nicht beachteten.
Auch Mädchen in der ihr mittlerweile bekannten Engelsuniform sah sie, und einige wenige Mädchen, bisher hatte sie zwei gezählt, waren sogar mit einem Handschuh und einer Perle im Mund unterwegs.
Je näher sie dem Prüfungsraum kam, desto mehr Uniformträgerinnen fielen ihr auf. Auch die Anzahl der Mädchen mit Handschuh und Perle nahm zu. Sie erkannte langsam, dass diese Prüfung wohl doch etwas bedeutender war, als ihre bisherigen Examina.
Als sie nur noch eine Tür von dem Korridor, auf dem sich der Prüfungsraum befand, trennte, blieb sie kurz stehen und holte einmal tief Luft. Ja, sie wollte sich heute dieser Herausforderung stellen. Leider war Frauke nicht mitgekommen, da sie sich wegen ihres Kleides schämte. Julia bedauerte dies ein wenig, und sie ahnte, dass auch noch etwas mehr dahinter stecken musste. Noch einmal holte sie tief Luft, dann schob sie die Tür auf und betrat den Korridor.
Das erste, was sie erblickte, waren die beiden Mädchen, die wie Wächterinnen links und rechts neben der Tür zum Prüfungssaal standen und offensichtlich Eingang bewachten. Auf den zweiten Blick erkannte Julia, dass auf ihren Schultern zwei kleine weiße Engelssymbole aufgenäht waren. Sie machten einen sehr ernsten Eindruck und schienen auch wegen des Schulterschmucks einen höheren Rang zu haben. Beide blickten sehr konzentriert auf die Bank auf der Fensterseite, und als Julia dem Blick folgte, entdeckte sie neben einigen anderen Mädchen dort auch Patricia sitzen. Auf den zweiten Blick sah Julia, dass auch deren Freund anwesend war, und als sie die anderen Mädchen musterte, erkannte sie, dass alle Mädchen zum einen sowohl Handschuh und Perle trugen, aber auch, dass alle von einem Vertrauten begleitet wurde. Nur sie selbst war allein gekommen, wie sie das fast eigentlich immer bei ihren Prüfungen tat. Obwohl sie Frauke gern an ihrer Seite gehabt hätte, wusste sie doch auch, dass sie dann abgelenkt sein würde.
Auf einmal ging die Tür auf und ein wichtig aussehender Herr in einer altmodischen Uniform trat heraus. Er räusperte sich kurz, dann bat er die Anwesenden um Aufmerksamkeit. »Die hochverehrten Elevinnen mögen sich ab sofort und zügig in den Saal begeben.« Er sprach sehr gestelzt.
Julia hatte Mühe, sich ein Lachen zu verkneifen, weil sein Äußeres zusammen mit seiner Ausdrucksweise einen sehr altmodischen Eindruck machte. Sie wurde erst wieder ernst, als sie bemerkte, wie brav und folgsam die anderen Prüflinge dieser Aufforderung folgten. Schließlich betrat sie als letzte der Prüflinge den Saal. Der Herr hinter ihr schloss die Tür und ging dann zu seinem Tisch, um von dort eine altmodische Schriftrolle in die Hand zu nehmen.
»Ich möchte nun die Anwesenheit der Prüflinge feststellen.« Er wartete kurz, bis es im Saal still geworden war, dann wickelte er etwas umständlich die Schriftrolle ab und hob seinen Blick. »Ich werde die einzeln Prüflinge aufrufen. Sie mögen dann bitte nach vorn kommen und sich von ihrer Begleitung jeweils auf der Prüfungsliste eintragen lassen.« Er hielt kurz inne.
Während dieser Zeit blickte sich Julia verstohlen um. Sie stellte verwundert fest, dass sie der einzige Prüfling war, der weder eine Perle noch den Handschuh trug. Doch da sie bisher keiner darauf angesprochen hatte, selbst der Mann mit dem strengen Blick nicht, ging sie davon aus, dass es in Ordnung sein würde. Auch hatte sie sich schon eine Entschuldigung überlegt, falls sie jemand fragen sollte. Immerhin musste sie allein mit der Straßenbahn fahren, denn Frauke war nicht mitgekommen.
Patricia wurde als erster Prüfling aufgerufen. Sie wartete, bis ihr Freund ihr den Arm reichte, dann stand sie ebenfalls auf. Gemeinsam traten sie vor das Pult, wo sie der Freund in das dort bereitliegende Buch ein trug.
Auch die anderen Mädchen, die aufgerufen wurden, wurden von ihrem Begleiter eingetragen, lediglich Julia trug sich selbst ein. Es war wieder ein Moment, in dem sie Frauke vermisste. Doch dann fragte sie sich, wie gefestigt ihre Beziehung schon war. Bisher kannte sie die seltsame Dienerin gerade mal eine Woche, und obwohl sie ihr zärtliche Momente und heftige Höhepunkte verdankte, wusste sie doch relativ wenig von diesem außergewöhnlichen Mädchen.
Nachdem sie alle wieder auf ihren Platz gesetzt hatten, kehrte gespannte Stille ein. Es dauerte ein paar Minuten, dann war auf einmal ein Klopfen zu hören. Der ältere Herr hatte einen langen Stab in der Hand und hatte damit einmal auf den Boden gestoßen. »Bitte stehen sie auf für die Mitglieder der Prüfungskommission.«
Er wartete ab, bis alle aufgestanden waren und wieder Ruhe eingekehrt war, dann klopfte er ein zweites Mal.
Die gegenüberliegende Tür ging auf und drei Frauen betraten den Raum. Julia keuchte heftig, als sie erkannte, wer ihre Prüfung abnehmen würde. Frau Reger, die Pfarrerin, die sie letzten Sonntag kennengelernt hatte, kam als Erste in den Raum. Heute trug sie eine schwarze Richter-Robe und Julia erkannte sofort, dass sich auf ihren Schultern zwei goldene Engel befanden. Sie nahm in der Mitte des Jury-Tisches platz.
Hinter ihr betraten zwei Frauen den Saal, die Julia nicht minder überraschten. Es war zum einen ihre Klassenlehrerin aus der Grundschule, sowie die blonde Carolin, die wieder ihren blauen Handschuh trug. Sie nahmen neben Frau Reger Platz, dann blickte sie auf die Papiere, die vor ihnen lagen.
Julia nutzte die Pause, um sich etwas umzusehen. Erst jetzt erkannte sie, dass sich auch Publikum im Saal befand. Sie erschrak ein wenig, als sie erkannte, dass auch Hegels im Zuschauerraum saßen; besonders wegen des erwartungsvollen Blicks, den sie ihr zuwarfen.
Als erstes Mädchen wurde Patricia aufgerufen. Sie trat vor die Jury, und obwohl sie ihre Perle im Mund hatte, nannte sie gegenüber der Jury ihren Namen.
Frau Reger gab der Frau, die hinter ihr stand, ein Zeichen, und gleich darauf wurde Patricia von dieser Frau hinter einen Paravan geführt.
Es dauerte nur einen kurzen Moment, dann kamen sie zurück und die Frau informierte die Jury über das Ergebnis ihrer erfolgreichen Inspektion. Frau Reger schien sich das Ergebnis zu notieren.
Julia sah, dass sie Frau, die Patricia gemustert hatte, drei weiße Engel auf der Schulter trug, ebenso wie bei Carolin, nur dass bei ihr die Engel teilweise durch die Riemen ihres Handschuhs verdeckt wurden.
Patricia wurde an den Jury-Tisch gebeten. Frau Reger begann, ihr offensichtlich die Prüfungsfragen zu stellen. Julia hatte erwartet, dass sie ihr eventuell den Handschuh und ganz sicher die Perle abnehmen würden, doch davon passierte nichts. Patricia beantwortete die Fragen trotz der Perle in ihrem Mund, nur manchmal nahm sie ihre verpackten Arme zur Hilfe. Obwohl sie die Antworten nicht hören konnte, war Julia doch sehr beeindruckt von Patricias Erscheinung und der Sicherheit, mit der sie die Fragen beantwortete. Erst etwas später realisierte Julia, dass sie selbst diese Fragen nicht beantworten konnte, denn sie betrafen ein Gebiet, von dem sie bisher nur wenig wusste.
Frau Reger machte einen sehr zufriedenen Eindruck und bat den Prüfling, sich für die Bewertung der Haltung aufzustellen. Patricia schien sofort zu wissen, was erwartet wurde, und sie stellte sich seitlich vor der Jury auf. Julia fiel erst jetzt auf, wie hoch doch die Absätze der Schuhe waren, die das Mädchen trug, und sie warf einen Blick auf ihre eigenen Schuhe. Wie eigentlich jeden Tag war sie in den flachen und bequemen Sportschuhen unterwegs.
Im letzten Teil der Prüfung musste Patricia noch einen unsichtbaren Parcours laufen, doch auch damit hatte sie offensichtlich keine Probleme. Zum Schluss trat sie noch einmal vor die Jury und machte eine Verbeugung. Frau Reger bedankte sich, und gratulierte Patricia noch einmal für die ausgezeichnete Darbietung. »Sie haben natürlich mit Bravour bestanden.«
Patricia verbeugte sich noch einmal, dann ging sie langsam, aber stolz zu ihrem Platz und setzte sich wieder neben ihren Freund.
Als nächste kam ein Mädchen an die Reihe, dass Julia nicht kannte. Das Mädchen trug sogar ein Perlennetz und machte einen sowohl stolzen als auch unterwürfigen Eindruck. Die Lederriemen, die sich um ihren Kopf schmiegten, hatten Mühe, ihre üppigen Haare fast in Form einer Löwenmähne zu bändigen. Und den Parcours schritt sie nicht einfach nur ab, sondern es sah aus, als würde sie ihn tanzen. Dabei ließ sie sich weder von den hohen Absätzen noch von dem sehr streng angelegten Handschuh stören.
Julia bewunderte, dass ihre Arme wirklich bis dicht über den Ellenbogen eine einzige schmale Röhre bildeten. Und was sie am meisten verwunderte, war die Tatsache, dass der Handschuh weder eine Schnürung noch einen Reißverschluss hatte. Es schien, als sei er ihr um die Arme genäht oder zusammengeklebt worden.
Ein wenig später entdeckte sie noch, dass auch die Halteriemen ebenfalls keine Verschlüsse hatten. Es machte den Eindruck, als wäre sie in diesen Handschuh hineingewachsen oder aber zumindest hineingenäht worden.
Julia war beeindruckt, und es wunderte sie nicht, dass dieses Mädchen von der Jury sogar eine extra Belobigung bekam.
Als nächstes wurde Julia selbst aufgerufen. Wie sie es schon bei den anderen Mädchen gesehen hatte, trat auch sie vor die Jury und nannte ihren Namen.
»Warum sind sie nicht richtig vorbereitet?« Die Stimme der Hauptprüferin zeigte, dass sie von Julias Auftreten nicht begeistert war, ihr aber offenbar noch eine Chance bieten wollte.
Julia blickte sich verlegen um, als sie sah, dass Frau Hegel auf sie zu kam und einen Handschuh in der Hand hielt. »Ich hoffe, sie haben sich gut vorbereitet?« Mit diesen Worten legte sie ihr den Handschuh an. Gleich darauf hatte sie auch eine Perle in der Hand, die sie Julia im Mund befestigte.
Auch Julia wurde hinter den Paravan geführt. Jetzt erkannte sie, was sich hier abspielte. »Wenn sie den Gürtel tragen, so wie es verlangt ist, dann werden sie nichts spüren.« Mit diesen Worten trat die Frau an sie heran.
Gleich darauf spürte Julia jeweils eine Berührung an ihrer Scham und ihren Brüsten. Jetzt erkannte Julia, was diese Untersuchung bedeutete. Die Frau wollte prüfen, ob sie den Gürtel tragen würde. »Das dachte ich mir schon.«
Julia versuchte, sich zu rechtfertigen und versuchte zu sagen, dass sie den Schutz erst heute Abend bekommen würde, doch die Perle in ihrem Mund verhinderte klare Worte. Stattdessen tropfte etwas Speichel aus ihrem Mund und erzeugte auf ihrer Bluse einen deutlich sichtbaren Fleck.
Sie traten wieder vor die Jury, und die Frau berichtete über das Untersuchungsergebnis. Frau Reger warf einen seltsamen Blick auf die Studentin, dann griff sie zu ihrem Stift und machte auf einem Zettel ein Kreuz.
Julia konnte auf dem Zettel neben ihrem Namen drei Überschriften entziffern. Die breite Spalte war mit ‚Prüfungsteil‘ überschreiben, daneben gab es je eine Spalte mit ‚Bestanden‘ und ‚Nicht bestanden‘. Zu ihrem Entsetzen machte Frau Reger in der Spalte ‚Nicht bestanden‘ ein Kreuz. »Den Fleck auf ihrer Bluse will ich einmal übersehen.« Doch die Stimme der Prüferin war so kalt, dass es Julia erschauerte.
Als nächstes war die Befragung an der Reihe, und zu Julias Entsetzen bekam sie die gleichen Fragen wie Patricia. Und wie schon zuvor wusste sie keine einzige richtige Antwort. Das Einzige, was sie machen konnte, war etwas hilflos mit den Achseln zucken.
Denn selbst, wenn sie die Antworten von Patricia gehört hätte, hätte jede kleinste Nachfrage gereicht, um sie zu entlarven. Außerdem riskierte sie einen weiteren Fleck, wenn sie ihre Lippen bewegte. Verzweifelt sah sie zu, wie Frau Reger das nächste Kreuz in der dritten Spalte machte.
»Jetzt stellen sie sich bitte richtig hin.« Mit diesen Worten leitete Frau Reger die Haltungsprüfung ein. »Sie tragen ja noch nicht einmal die richtigen Schuhe. Warum haben sie es überhaupt gewagt, hier so anzutreten?«
Julia sah mit weiter wachsender Verzweiflung, wie sich die Kreuze in der besagten Spalte häuften.
»Können sie wenigstens den Parcours?« Mit diesen Worten wurde der letzte Teil ihrer Prüfung eingeleitet.
Julia versuchte, wenigstens ein paar von Patricias Bewegungen nachzuahmen. Dabei fiel ihr Blick einmal auf die Zuschauer, und sie realisierte, wie sehr sie Hegels erwartungsvoll anblickten. Julia war von diesem Blick so verwirrt, dass sie ins Stolpern kam.
»Danke Frau Sommer, das war es.« Die Stimme von Frau Reger war so kalt wie noch nie. Sie schien es fast wie eine persönliche Kränkung aufzufassen. Langsam drehte sie sich zu Hegels, die sie zuvor heran gewunken hatte. »Ich hatte es ihnen doch gleich gesagt.«
Julia sah die tiefe Enttäuschung in den Gesichtern des Ehepaares, und sie spürte deutlich, dass sie als angehender Engel auf ganzer Linie versagt hatte. Sie senkte ihren Blick, und erste Tränen schossen in ihren Augen.
Carolin war aufgestanden und an sie heran getreten. »Du hast mich sehr enttäuscht.« Sehr stolz und doch auch betrübt wandte sie sich ab.
Lediglich Patricia versuchte sie zu trösten, doch Julia stieß sie weg.
Auch Frauke hatte sie von ihr abgewendet, Julia sah gerade noch, wie sie traurig den Saal verließ.
Die Studentin war verzweifelt. Warum hatte sie nur all die Ratschläge in den Wind geschlagen? Sie hatten ihr alle gesagt, was wichtig war, doch sie hatte es ignoriert.
Sie setzte sich und begann zu weinen.
Es gab keinen, den sie für ihr Scheitern verantwortlich machen konnte, sie hatte es ganz allein verbockt.
Nur die Kuh Rosalie hielt noch zu ihr. Sie kam mit ihrem Maul auf sie zu und stupste sie an. »Julia, du musst aufwachen.«
Julia wunderte sich, denn Rosalie hatte noch nie zu ihr gesprochen. Nur langsam realisierte sie, dass Frauke neben ihrem Bett stand und dabei war, sie zu wecken.
* * *
»Heute wird ein spannender Tag.« Herr Hegel lächelte seine Frau an, nachdem er ihr einen ‚Guten Morgen‘ gewünscht hatte. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit stand er nicht sofort aus dem Bett auf, sondern blieb noch ein wenig liegen.
»Ja, da könntest du recht haben.« Frau Hegel lächelte zurück. »Ich bin schon sehr gespannt, wie Julia auf den Gürtel reagieren wird.«
»Bisher macht sie ja eher einen recht erfreulichen Eindruck.« Doch dann stutzte er. »Du meinst, wenn sie erkannt hat, worum es sich bei dem Gürtel wirklich handelt.«
»Naja.« Sie gab sich nachdenklich. »Ich könnte mir gut vorstellen, dass Frauke ihr den Ihren schon gezeigt hat.«
»Apropos Frauke.« Herr Hegel unterbrach den Gedankengang seiner Frau. »Wie machen wir das eigentlich mit dem Postboten? Darf sie ein eingeschriebenes Paket überhaupt annehmen?«
»Ach, gut dass du das ansprichst. Das Problem stellt sich gar nicht.« Frau Hegel berichtete, dass sie vom Bund einen Anruf bekommen hatte. »Sie liefern den Gürtel selbst.«
»Wie kommt das denn? So wichtig sind wir doch sonst auch nicht.« Herr Hegel erinnerte daran, dass aus Kostengründen solche Pakete eigentlich eher mit der Post verschickt wurden.
»Marianne bringt uns den Gürtel vorbei.« Frau Hegel gab wieder, was sie am Telefon erfahren hatte. »Sie hat wegen eines anderen Engels in Rosenheim zu tun und biegt für uns hier kurz ab.« Sie machte eine kurze Pause. »Sie meinte, dass sie wohl so gegen elf Uhr bei uns sein wird.«
»Und was bringt sie uns alles?« Er versuchte vergeblich, seine Neugier im Zaum zu halten. »Nur das Einstiegsmodell oder gleich das komplette Ensemble?«
»Du weißt doch selbst, wie wenig Zeit wir nur noch haben.« Frau Hegel blickte ihren Mann verwundert an. »Ich habe ausgemacht, dass sie gleich das komplette Modell liefern, auch mit dem ganzen Zubehör. Wir sind dann sehr flexibel, und der Preisunterschied fällt nicht so sehr ins Gewicht.«
»Und wir legen ihr heute gleich alles an?« Herr Hegel richtete sich auf. »Ich habe schon lange keinen voll geschirrten Engel mehr gesehen.«
»Das wird auch so bleiben.« Seine Frau musste ihn an etwas erinnern. »Du weißt doch, dass sie die Regeln diesbezüglich erneut geändert haben.«
»Ja, du hast Recht.« Er schüttelte den Kopf. »Eigentlich sehr schade.« Doch dann wiederholte er seine Frage. »Wird Julia eigentlich gleich komplett verschlossen? So viel Zeit haben wir ja nicht mehr.«
»Ich habe auch schon des öfteren darüber nachgedacht.« Frau Hegel seufzte. »Aber wenn wir ihr nicht das Gefühl geben, dass es freiwillig wäre, dann riskieren wir, dass sie uns noch vor dem eigentlichen Beginn verlässt.«
Er sah die Argumente ein. »Und was schlägst du vor?«
»Wir machen es wie ursprünglich vorgesehen. Die ersten Tage darf sie den Schlüssel einer Person ihres Vertrauens geben.« Sie blickte für einen Moment zum Fenster. »Und wenn sie sich daran gewöhnt hat, wird sie ihn gern an uns abgeben.«
»Das hoffst du?« Er war noch unsicher, was den Optimismus seiner Frau betraf. »Und du spekulierst auf Frauke?«
»Ich bin sehr zuversichtlich.« Frau Hegel berichtete ein wenig über die Veränderungen in Fraukes Verhalten und Auftreten. »Julia hat einen positiven Einfluss auf sie.«
»Dein Wort in Gottes Ohr.« Er seufzte.
»Du weißt, was passiert, wenn wir es zu früh machen?« Der Tonfall seiner Frau veränderte sich ein wenig.
»Ja, allerdings.« Er seufzte wieder, diesmal sehr tief. »Das war mir ein warnendes Beispiel.«
»Und wenn sie dir den Schlüssel geben möchte?« Letztendlich war die Frage seiner Frau durchaus berechtigt.
»Nun, das würde ja sogar noch besser in unsere Pläne passen.« Er war amüsiert über diesen aus seiner Sicht eher abwegigen Gedanken. »Aber ich glaube, sie wird Frauke den Vorzug geben.« Trotzdem versuchte er einen Themenwechsel. »Was ist eigentlich mit dem Korsett? Das war ja glaube ich nicht ganz geschlossen.«
»Ja das stimmt.« Frau Hegel lächelte. »Da hat sie noch ein wenig Potential.«
»So ganz genau kenne ich mich da ja nicht aus…« Er war ein wenig verlegen. »Aber wird das nicht sehr kompliziert, wenn sie das Korsett und den Gürtel gleichzeitig tragen soll?«
»Das wird aber eher selten vorkommen.« Sie blickte ihren Mann erstaunt an. »Der Gürtel ist ja hauptsächlich dann wichtig, wenn sie ihre Hände frei hat. Außerdem ist ja immer sehr viel Zeit zum Umkleiden vorgesehen, später, wenn wir auf der Burg sind.«
»Naja, da gibt es ja auch sonst nicht viel zu tun«, spottete er.
»Das will ich nicht gehört haben.« Sie setzte erst eine erboste Miene auf, doch dann lächelte sie. »Es mag vielleicht euch Männern so vorkommen. Aber wir Frauen haben sehr viel Arbeit. Allein das Schnüren der Korsetts und der Handschuhe.«
»Was meinst du, ob es ihr wohl gefallen wird, wenn man allen äußeren Druck weg lässt?« Er erinnerte sie an das Gespräch vom Sonntag Nachmittag.
»Ich denke schon.« Sie kam kurz ins Grübeln. »Ich kenne einige Stimmen von Engeln, die sich besonders positiv über das strenge Korsett geäußert hatten. Es wäre wie eine große Umarmung gewesen. Ich glaube, dass sie dem strengen Korsett sehr aufgeschlossen sein dürfte. Es wird ihr sicher gefallen.«
Er dachte einen Moment lang nach. »Was könnten wir tun, um sie beim Haltungstraining zu unterstützen?«
»Der Geradehalter bietet sich an.« Frau Hegel schmunzelte. »Den kann sie auch unter der Kleidung tragen.«
»Ich weiß, an was du denkst.« Er lächelte ebenfalls kurz, doch dann wurde er wieder ernst. »Sollen wir ihn abschließen?«
»Warum willst du es so überstürzen?« Sie verdrehte die Augen. »Lass sie doch erst einmal so ihre Erfahrungen machen.«
»Aber wenn sie ihn gleich wieder ablegt?« Er wollte seine Bedenken geäußert haben.
»Dann ist das eben so.« Sie lächelte wieder. »Dann müssen wir das hinnehmen. Aber mach dir keine Sorgen, ich denke, sie ist mehr als motiviert.« Auf einmal hatte sie doch eine Idee. »Soll ich ihr sagen, dass du weißt, das sie einen Geradehalter darunter trägt?«
»Gute Idee.« Er war sehr angetan von diesem Vorschlag, denn erst auf den zweiten Blick war es ein Druckmittel. »Das ist vielleicht sogar besser als wenn er verschlossen wäre.«
»Du hast ihr gestern gleich 400 Euro gegeben.« Sie hob gegen Ende des Satzes ihre Stimme.
»Ja und?« Er blickte seine Frau verwundert an. »Fandest du es zu wenig?«
»Nein, eher zu viel.« Sie seufzte. »Ich frage mich, ob ihre Motivation nicht darunter leiden wird.«
»Das glaube ich nicht.« Er lächelte. »Wenn sie nur halb so ehrgeizig ist wie für ihr Studium, dann kann uns eigentlich nichts passieren.«
»Ich hoffe sehr, dass du dich nicht täuscht.« Frau Hegel blickte kurz zum Fenster.
»Mit der Engelsuniform ist sie ja sehr gut zurecht gekommen.« Er lächelte erleichtert. »War das kleine Korsett eigentlich schon ganz geschlossen?«
»Das hast du doch gerade schon gefragt.« Frau Hegel musste kurz nachdenken. »Ich habe es selbst nicht gesehen, aber Frauke sagte, dass noch zwei Zentimeter übrig geblieben wären.«
»Hast du eine Idee, wie ich sie darauf ansprechen könnte?« Er richtete sich auf.
»Das solltest du gar nicht tun.« Seine Frau blickte ihn verwundert an.
»Warum?« Er ließ sich wieder in sein Kissen sinken.
»Du verplapperst dich zu leicht.« Sie setzte ein warnendes Gesicht auf. »Ich musste dich schon mehrmals retten.«
»Ja, da könntest du recht haben.« Er war ein wenig verlegen. »Es wäre wesentlich leichter, wenn wir ihr gegenüber offen sein könnten.«
»Aber dann würde sie sofort wieder gehen.« Sie erinnerte ihn an ihre ersten Versuche. »Mache es doch so: Im Haus keine Gespräche über die Uni… und außer Haus keine Gespräche über die Engel.« Sie holte tief Luft. »Ich muss dich ja sicher nicht an die diesbezüglichen Regeln erinnern.«
»Nein, sicher nicht.« Eine Regel des Bundes besagte, dass sich Mitglieder nur dann außerhalb der Burg über die Engel unterhalten duften, wenn ein Belauschen durch Außenstehende ausgeschlossen war. »Wird das Korsett eigentlich von uns abgeschlossen?« Es beschämte ihn ein wenig, dass er Interesse zeigte an der Unterwäsche einer seiner Studentinnen.
»Das wäre ja wieder zusätzlicher Zwang.« Frau Hegel widersprach im wieder. »Außerdem vertraue ich Julia. Wenn es wirklich einen ernsten Grund gibt, warum sie das Korsett ablegen muss, dann sollten wir das akzeptieren.«
»Was ist mit dem großen Engelskorsett?« Er hatte Mühe, seine langsam wachsende Nervosität zu verbergen. »Wann bekommt sie das?«
»Dafür, dass du ein Mann bist, bist du aber ziemlich neugierig.« Sie lächelte kurz, dann wurde sie wieder ernst. »Die Schneiderin wird sie heute vermessen. Am Mittwoch bringt sie es zu einer Anprobe und liefern will sie es am Freitag.«
»Wäre das eigentlich auch noch Uni-tauglich?« Seine Augen begannen zu leuchten.
»Ich würde es nicht empfehlen. Dafür ist es dann doch etwas zu lang.« Sie dachte kurz nach. »Damit zu sitzen ist sehr mühsam.«
»Aber hat sie dann überhaupt Chancen, die nötigen Übungen zu machen?« Es waren arge Zweifel bei ihm zu hören.
»Ich hoffe es. Wir dürfen es trotzdem nicht forcieren.« Wieder holte sie tief Luft. »Denn wenn es ihr zu viel wird, dann wird sie uns verlassen. Denke daran, dass wir ihr diese Option immer bieten müssen.«
Er schwieg einen Moment. »Haben wir überhaupt schon einen Trainingsplan ausgearbeitet?«
»Nein, bisher noch nicht.« Sie schien nachzudenken. »Zumindest nicht im Detail.« Der Bund hatte eine allgemeine Empfehlung herausgegeben, doch für Julia war noch kein Detailplan entwickelt worden.
»Sollten wir nicht genauer über die Einhaltung ihres Trainings wachen?« Er kämpfte sowohl mit seiner Ungeduld als auch mit seinen Zweifeln.
Doch seine Frau widersprach ihm. »Sie soll nicht das Gefühl bekommen, dass wir sie rund um die Uhr überwachen.« Sie seufzte. »Wir müssen ihr so vertrauen, wie sie uns vertraut.«
Es fiel ihm schwer, dies hinzunehmen. »Wie oft trägt sie jetzt schon den Handschuh?«
»Sie hat ja gerade erst damit angefangen.« In diesem Moment musste sie Julia in Schutz nehmen. »Wir dürfen es wirklich nicht überstürzen.«
»Schon klar.« Er seufzte. »Aber können wir ihre Motivation diesbezüglich erhöhen? Ich glaube nämlich, dass sie ihn ganz gern tragen würde.«
»Naja, vielleicht könnte sie ihn beim Lernen tragen?« Im Gegensatz zu ihren bisherigen Versuchen wäre dies ein ganz neuer Ansatz.
Doch ihr Mann widersprach ihr sofort. »Wie soll das gehen bei der vielen Fachliteratur?«
Sie hatte eine Idee. »Und wenn wir Frauke bitten, ihr mit den Büchern behilflich zu sein?«
»Ja das könnte funktionieren.« Der Professor war davon recht angetan. »Du kannst ihr ja wieder ein paar Pluspunkte vergeben.«
Seine Frau lächelte. »Und sie wird sich freuen, wenn sie öfters in Julias Nähe sein kann.«
»Ihr solltet das Pferd an das Erkerfenster stellen, dann kann sie nebenbei auch noch den Straßenbahnen zusehen.« Er grinste.
»Das weißt du?« Sie war erstaunt.
»Naja, jeden Tag, wenn ich von der Uni kam, war sie in dem Zimmer, auch lange nach dem sie gescheitert war.« Er holte tief Luft. »Ich habe sie einmal darauf angesprochen...« Das Thema wurde ihm unangenehm. »Das Halskorsett ist vermutlich auch nicht öffentlichkeitstauglich?«
»Nicht für die Uni.« Sie schüttelte den Kopf. »Höchstens für Spaziergänge. Letzteres haben wir doch schon mal ausprobiert.«
»Du hast recht.« Er lächelte. »Wir sollte darauf achten, dass es ein hautfarbendes Exemplar ist, sonst gibt das wieder so seltsame Fragen. Aber fürs Lernen käme das durchaus in Frage.«
»Ich sage Frauke Bescheid, dass sie sich darum kümmern soll.« Sie schlug ihre Bettdecke auf. »Und jetzt sollten wir langsam aufstehen.«
* * *
Julia blickte die Dienerin verschlafen an. »Du musst mir unbedingt etwas versprechen.«
Frauke blickte die Studentin etwas verwundert an. »Ich wünsche dir auch einen guten Morgen.«
Julia lächelte verlegen, dann erwiderte den Gruß. »Bitte verlass mich nicht.«
Frauke stutzte einen Moment »Was ist denn nur passiert? Hast du schlecht geträumt?« Das wäre eine Erklärung für Julias seltsames Verhalten.
»Das ist richtig.« Sie gab ihren Traum in groben Zügen wieder. »Das darf mir einfach nicht passieren.«
Frauke hatte zunächst etwas belustigt zugehört, doch dann wurde sie auf einmal ernst, denn sie hatte das Potential erkannt. Außerdem hoffte sie auf ein paar weitere Pluspunkte. »Warte bitte einen Moment, ich bin gleich wieder bei dir.«
Sie verließ das Zimmer und kam gleich darauf mit einem seltsamen Gerät zurück. »Hier, das habe ich geholt.«
»Und was ist das?« Julia schaute etwas verwirrt auf eine Ansammlung von etwas breiteren Stoffriemen.
»Das ist ein Geradehalter.« Frauke lächelte. »Der wird dir helfen.«
»Frauke?« Julias Stimme klang auf einmal seltsam sehnsüchtig. »Das wäre noch etwas, was ich mit dir diskutieren wollte.«
»Und zwar?« Frauke hatte sich zwar etwas mehr Begeisterung wegen des Geradehalters erwartet, doch sie schob es auf Julias Unwissenheit.
»Das zweite Mädchen in meinem Traum trug einen Handschuh, der überhaupt keine Verschlüsse hatte, so als wäre er angewachsen. Das fand ich toll.«
Frauke runzelte die Stirn. »Bist du sicher, dass es nicht Klettverschlüsse waren? Die würde man nämlich auch nicht sofort entdecken.«
»Kann schon sein.« Julia war ein wenig enttäuscht. »Die Vorstellung, den Handschuh einfach nicht mehr abnehmen zu können, hat etwas faszinierendes.«
»Das wird aber schnell gefährlich.« Frau Hegel war insgeheim über soviel Faszination begeistert. Frauke hatte ihr in hastigen Stichworten von dem Traum erzählt, daraufhin war sie ebenfalls in Julias Zimmer gekommen. »Du weißt sicherlich, dass sich die Muskeln schnell zurückbilden, wenn man nicht gegensteuert.«
»Trotzdem«, seufzte Julia. »So einen Handschuh würde ich gern einmal tragen.«
»Meinst du jetzt den nicht mehr abnehmbaren Handschuh oder die Klettverschlüsse?« Frauke lachte. »Letzteres wäre einfach.«
»Wie war das mit dem Haltungstraining?« Julia versuchte das ihr etwas unangenehm gewordene Thema zu wechseln.
»Wir haben ihnen ein Hilfsmittel mitgebracht, einen sogenannten Geradehalter.« Sie nahm das Gerät noch einmal kurz in die Hand. »Ich würde gern einmal schauen, ob es möglich ist, es mit dem Korsett zu kombinieren?«
»Mit welchem Korsett?«, wunderte sich Julia.
»Na, das von der Engel-Uniform.« Frau Hegel lächelte. »Frauke sagte mir, dass es da noch Potential bei der Schnürung gäbe.«
Julia verstand sofort, was die Frau des Professors damit eigentlich sagen wollte. »Ja, zwei Zentimeter haben noch gefehlt.« Doch dann stutzte sie. »Aber warum fragen sie das? Ich muss doch heute in die Uni.«
Auf einmal wurde Frau Hegel ernst. »Sollte ich mich so in ihnen getäuscht haben? Ich war mir sicher, dass sie das Korsett unter der Alltagskleidung tragen würden.«
Julias Augen leuchteten auf. »Das würde gehen?« Es wurde deutlich, dass sie an diese Möglichkeit noch nicht gedacht hatte.
»Aber natürlich.« Sie lächelte. »Oder meinen sie, die Unterwäsche der Studenten wird kontrolliert.«
Julia lachte, doch dann wurde sie wieder ernst. »Und was bewirkt der Geradehalter in diesem Zusammenhang?«
Frau Hegel versuchte eine Zusammenfassung. »Er zieht ihren Oberkörper zurück und sorgt so mehr oder weniger automatisch für die richtige Haltung.«
Julia horchte auf. »Ist das dann die Haltung, die ich auch als Engel brauche?«
»Ja, das ist richtig.« Frau Hegel blickte kurz zu Frauke. »Warum fragen sie?«
Frauke nahm die Studentin kurz in den Arm. »Erzähl ruhig von deinem Traum.« So kam sie auch um die Verlegenheit herum, Julia sagen zu müssen, dass sie Frau Hegel ohne ihr Einverständnis von dem Traum erzählt hatte.
Julia holte noch einmal tief Luft, dann berichtete sie.
»Wir probieren jetzt einfach, ob sich das Korsett und der Geradehalter gleichzeitig tragen lassen.« Frau Hegel hatte ebenso wie Frauke sofort das Potential erkannt, welches sich aus dem Traum ergab. »Bei der Prüfung müssen sie natürlich ohne Geradehalter auftreten, doch das Gerät hat ihren Muskeln quasi vorher gezeigt, wie sie zu stehen haben.«
»Dann will ich es gern probieren«, strahlte Julia.
»Wir machen das gleich zusammen.« Frau Hegel bat Frauke, das Korsett aus dem Schrank zu holen. »Zu zweit geht es mit dem Korsett schneller.« Und ich kann gleich den Spalt kontrollieren, fügte sie in Gedanken noch hinzu.
Julia war wirklich erstaunt, wie schnell sich das Korsett dieses Mal um ihre Taille legte und vor allem wie schnell es enger wurde. Im Gegensatz zum ersten Mal gab sie sich heute Mühe, auf keinen Fall aufzustöhnen. Trotzdem wollte sie es so streng tragen, wie sie nur konnte.
»So, das reicht für heute«, ließ Frau Hegel nach einiger Zeit hören.
»Wie weit ist es zu?« Julia war an der Auskunft sehr interessiert.
»Ein Zentimeter ist es noch offen«, teilte Frauke fasziniert mit.
»Bitte«, sprach Julia mit leiser Stimme. »Ich spüre, dass ich es noch enger tragen kann.«
»Ja, für den Moment.« Frau Hegel gab sich Mühe, weiterhin freundlich zu klingen. »Aber bitte denken sie auch daran, dass sie damit auch noch die Vorlesungen überstehen müssen.« Sie holte tief Luft. »Wenn sie heute Nachmittag immer noch der Meinung sind, dass es enger werden darf, dann machen wir es morgen gern so eng.«
Julia fiel es schwer, es einzusehen. Erst als Frauke ihr ebenfalls gut zuredete, gab sie nach. »Und jetzt bitte den Geradehalter.«
»Wollen sie den jetzt schon anziehen?« Frau Hegel nahm ihn in die Hand und sortierte die einzelnen Riemen.
»Dann kann ich beim Frühstück gleich probieren, wie gut ich mich bewegen kann.« Sie schon ein verlegenes ‚dachte ich mir‘ hinterher.
»Willst du auch gleich deine Uni-Sachen anziehen?« Frauke hatte einen Unterton in der Frage, der Julia aufhorchen ließ.
»Ja, warum fragst du?« Julia fragte sich, ob sie schon wieder einmal ein Fettnäpfchen getroffen hatte.
Frauke zögerte ein wenig. Sie war sich nicht sicher, ob es richtig war, Julia an ihr Versprechen zu erinnern. »Du würdest Hegels eine Freude machen, wenn du Carolins Sachen zum Frühstück tragen würdest.« Sie blickte kurz zu den Schränken in ihrem Zimmer.
»Stimmt, das hatte ich ja versprochen.« Insgeheim war Julia sehr fasziniert von der Möglichkeit, hier den ganzen Tag Lackkleidung zu tragen, ohne dass sie dafür schief angesehen wurde.
Klar, vom Bauernhof her kannte sie diese Kleidung nicht, aber in gewissen Musikvideos und im Fernsehen hatte sie schon öfters diesen so seltsam faszinierenden Stoff gesehen. In München hatte sie ihn dann auch manchmal in den teuren Boutiquen gesehen und sowohl gejubelt als auch über die Preise gestöhnt.
Gedankenverloren strich sie mit der Hand über den so glatten Stoff ihres Bettes und wusste, dass die Realität manchmal sogar noch schöner sein konnte als ihre diesbezüglichen Träume.
»Willst du dich nicht mal langsam anziehen?« Frauke riss sie aus ihren Gedanken. »Ihr werden sonst noch zu spät zur Uni kommen, wenn wir vorher noch frühstücken wollen.«
Julia seufzte, doch dann griff sie zu den Lacksachen und mit zitternden Händen zog sie die so faszinierende Kleidung an. Auch hier war es ein Gewinn für beide Seite. Sie trug die Lackkleidung unheimlich gern, und Hegels freuten sich, dass sie so sehr ihrer verstorbenen Tochter nacheiferte, so dachte sie zumindest.
* * *
Gleich nach dem letzten Schluck Kaffee ergriff ihr Professor das Wort. »Wir haben von ihrem Traum und ihren diesbezüglichen Sorgen gehört. Andererseits stehen bald auch einige wichtige Prüfungen in der Uni an.«
Julia seufzte, doch dann horchte sie auf. »Ja und?«
Herr Hegel zögerte noch ein wenig, so als wolle er ihre Stimmung prüfen. »Wie wäre es, wenn wir das Haltungstraining und das Tragen von Handschuh und Perle mit dem Üben für die Uni miteinander verbinden?«
»Aber die vielen Bücher?« Julia hatte den Kern des Problems sofort erkannt.
Er holte tief Luft. »Wenn Frau Wiesl damit einverstanden wäre, dann könnte sie ihnen beim Lernen helfen.«
Natürlich war Frauke vorher schon eingeweiht worden, und nachdem ihr pro Lernstunde ein Pluspunkt versprochen war, hatte sie nichts einzuwenden gehabt. Im Gegenteil, es reizte sie sehr, der völlig hilflosen Julia auf dem Pferd mit der kompletten Ausrüstung inklusive Halskorsett und Monohandschuh beim Lernen behilflich zu sein.
»Wir greifen dann zwar dem Donnerstag vor, aber ich glaube, das wird sie kaum stören.« Frau Hegel hatte schon etwas weiter gedacht.
»Donnerstag?« Julia runzelte die Stirn.
Frauke kam ihr zu Hilfe. »Am Donnerstag solltest du den Abend mit Hegels auf dem Pferd verbringen, aber erst einmal ohne den Handschuh.«
»Naja, das kann ich ja trotzdem noch machen.« Julia war sehr dankbar und erleichtert, dass ihre Sorgen wegen dem Haltungstraining so ernst genommen wurden.
»Sie wären also einverstanden mit den besonderen Lernbedingungen?« Herr Hegel wollte sicherheitshalber noch einmal nach haken.
»Aber ja.« Julia war fast in Jubelstimmung, doch dann wurde sie wieder ernst. »Ich möchte mich bedanken, dass sie es mir erlauben, dass Training für die Engel und das Studium gemeinsam erledigen zu können.« Sie musste wieder an Patricia denken und an die Anmut und Selbstverständlichkeit, mit der sie dieses Mädchen mit Perlennetz und Handschuh erlebt hatte. Trotz der kurzen Zeit kam es ihr vor, als wäre es für Patricia eine Selbstverständlichkeit, den Handschuh zu tragen. Und damit war sie ein sehr großes Vorbild.
»Aber bitte denken sie an genügend Pausen, sonst leiden ihre Muskeln darunter und das darf auf keinen Fall passieren.« Er drehte sich zu Frauke. »Ich verlasse mich auf sie. Bitte sorgen sie dafür, dass Julia ausreichend Gymnastikpausen macht.«
Frauke war so von der Situation gefangen, dass sie erst einmal schlucken musste. »Das verspreche ich.«
»Wenn sie möchten, könnten wir das Pferd auch noch in Richtung Erker schieben.« Er sprach nicht weiter.
Trotzdem erkannte Frauke, was er eigentlich sagen wollte. »Danke, das ist sehr freundlich.«
* * *
An der Haltestelle direkt vor dem Haus mussten Julia und ihr Professor nicht lange auf die nächste Straßenbahn in die Stadt warten. Sie stiegen ein und fanden sofort zwei freie Plätze nebeneinander.
Herr Hegel nahm seine Zeitung aus der Tasche, doch er legte sie sich zunächst nur auf den Schoß. »Ich hoffe, es stört sie nicht, wenn ich schon jetzt fachlich werde.«
»Nein, kein Problem.« Julia hätte zwar lieber über die Engel gesprochen, doch sie fühlte irgendwie, dass sie dieses Thema besser mit seiner Frau besprechen sollte.
»Da wäre etwas, was sie wissen sollten. Es wird bald eine neue Norm zum Häuserbau geben.« Er machte eine bedeutsame Pause. »Die Behörden arbeiten gerade an ihrer Ausfertigung, und ich wurde als Sachverständiger hinzugezogen.«
Julia nickte. Sie war über den Einfluss ihres Professors sehr verwundert. »Um was wird es bei der neuen Norm gehen?« Sie fand es insgeheim spannend, einmal so früh bei der Entstehung einer neuen Vorschrift dabei zu sein.
»Im Gegensatz zu sonst ist dieses Mal der Innenraum betroffen, deswegen wurde ich auch hinzugezogen.« In seinem Gesicht war ein Spur von Stolz zu erkennen. »In Zukunft wird es Vorschrift sein, dass die Vorhangschienen und Gardinenhalter immer mindestens zehn Zentimeter von den Außenwände entfernt sind.«
»Ich finde es gut, dann kann die Luft besser zirkulieren.« Julia hatte den Sinn dieser Vorschrift sofort erkannt.
»Das sind dann natürlich auch zehn Zentimeter weniger, die im Innenraum verplant werden können.« Er machte wieder eine Pause. »Aber die Feuchtigkeit muss auch aus dem Mauerwerk heraus zirkulieren können. Die Feuchtigkeit in den Wänden kann große Schäden verursachen, angefangen bei Schimmel.«
»Verständlich.« Julia lächelte, dann ließ sie ihren Blick aus dem Fenster gleiten. Eigentlich hätte sie noch viele Fragen zu den Engeln gehabt, doch sie traute sich nicht, sie zu stellen.
Herr Hegel nahm die Zeitung zur Hand und schlug sie auf, dann begann er darin zu lesen. Als er merkte, dass Julia versuchte, ein wenig mitzulesen, hielt er die Zeitung etwas mehr in ihre Richtung.
Julia war über diese kleine Geste sehr erfreut, und deswegen nahm sie all ihren Mut zusammen und berichtete noch einmal kurz von ihrem Traum in der Nacht. »Können sie mir nicht ein paar Informationen geben, was mich noch alles erwarten wird? Nach meinem Traum möchte ich ihre Erwartungen so gut wie möglich erfüllen.«
Herr Hegel lächelte verlegen. »Da müssen sie meine Frau fragen. Die kann ihnen das viel besser erklären.« Letzteres war nicht einmal gelogen.
Julia seufzte und blickte wieder aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft.
* * *
»Heute steht ein Außentermin an? Wartung Wiesl/Hegel« Die junge Auszubildende zur Justizfachangestellten stand vor dem schwarzen Brett und studierte den ausgehängten Dienstplan.
»Der Chef hat das angeordnet.« Die Beamtin, die sich nebenbei auch um die Ausbildung des Mädchens zu kümmern hatte, lächelte, doch sie verdrehte auch leicht die Augen. »Und nein, das gehört nicht zu unseren Alltagsaufgaben. Aber ich dachte mir, dass du trotzdem vielleicht mitkommen möchtest.«
»Gern.« Das Mädchen grinste. »Um was geht es denn?« Es war ihr anzuhören, dass sie über die kommende Abwechslung sehr erfreut war.
»Eine unserer Gefangenen lebt bei Familie Hegel in Grünwald, und wir müssen uns um ihre ‚Uniform‘ kümmern.« Die Frau hatte vor dem Wort ‚Uniform‘ eine deutliche Pause gemacht.
»Und warum macht sie das?« Das Mädchen stutzte. »Und warum braucht die Uniform so aufwendige Pflege?«
»So viele Fragen...« Die Beamtin grinste. »Ihr wurde ein Deal angeboten, und sie hat zugestimmt.« Sie war sich immer noch unsicher, wie dieses junge und offensichtlich unerfahrene Mädchen auf die Wahrheit reagieren würde. »Wir müssen uns um ihren Keuschheitsgürtel kümmern.« Sie nahm eine gefüllte Plastiktüte aus ihrem Schreibtisch und packte sie in ihre große Umhängetasche.
Die Auszubildende schluckte. »Ist das nicht grausam?« Sie senkte ihren Blick zu Boden.
»Wenn du die Wahl hast zwischen einer Gefängniszelle oder der Freiheit in so einem Gürtel?« Sie versuchte zu verbergen, dass sie die Reaktionen des Mädchen geradezu aufsaugte.
»Ja, sie haben recht.« Sie blickte wieder auf. »Und was ist jetzt unsere Aufgabe?«
»Diese Gürtel sind nicht für wirklich dauerhaftes Tragen gedacht.« Sie holte tief Luft. »Die Haut darunter braucht Pflege.«
»Gibt es dafür kein Personal?« Die Auszubildende war verwundert.
»Nein, das ist ein Privat-Experiment von Herrn Buchelberger.« Sie seufzte ein wenig, denn dies war der Schwachpunkt. Juristisch abgesichert war dieses Arrangement nicht. »Jetzt müssen wir los. Wir fahren mit der Straßenbahn.«
Die Auszubildende stand auf und griff sich ihre Jacke. Doch dann hielt sie inne. »Warum eigentlich Straßenbahn? Ich hätte sowohl Führerschein als auch Auto.«
»Ich auch«, lächelte die Beamtin. »Aber ich mag den Stadtverkehr um diese Uhrzeit überhaupt nicht.« Sie seufzte. »Außerdem wohnen Hegels direkt neben der Haltestelle.«
»Na dann.« Das Mädchen warf sich ihre Jacke über die Schulter. »Gehen wir?«
Auf dem Weg zur Haltestelle dahin bekam sie von ihrer Ausbilderin noch einige Hintergrundinformationen zu der besonderen Gefangenen.
»Und warum machen wir da mit?« Das Mädchen suchte in der Straßenbahn zwei freie Plätze und setzte sich.
»Ich bin ihm noch einen Gefallen schuldig. Außerdem reizte es mich, bei einer alternativen Form des Strafvollzugs mitzumachen.« Es gab noch etwas, was sie ‚beichten‘ musste. »Übrigens, normalerweise suche ich Hegels allein auf. Wir müssen erst um Erlaubnis bitten, dass du daran teilnehmen kannst. Stell dich also darauf ein, dass du eventuell draußen bleiben musst.«
»Hätten sie das nicht vorher fragen können?« Es störte sie ein wenig, dass dieser Punkt noch nicht geklärt war. Doch dann erinnerte sie sich an ihren geringen Status, und sie seufzte nur. »Sie hat also ein tragbares Gefängnis.«
»Sozusagen«, grinste die Beamtin. »Es gibt leider noch zu wenig Langzeiterfahrung. Auch deswegen habe ich mich bereit erklärt, bei seinem Experiment mit zu machen.«
Das Mädchen musste schlucken. »Was heißt ‚Langzeit‘? Wie lange?«
»Nun ja, sie hätte eine Strafe von mehreren Jahren abzusitzen.« Sie seufzte. »Und mit dem Deal muss sie lediglich den Gürtel tragen, das aber für die doppelte Zeit.«
»Und sie ist die ganze Zeit in dieses Ding eingesperrt?« Sie formulierte es als Frage, doch die Antwort wusste sie eigentlich schon.
»Das ‚Ding‘ nennt sich Keuschheitsgeschirr.« Die Beamtin grinste.
»Ich dachte, so etwas gab es nur im Mittelalter?« Die Auszubildende schien laut zu denken.
»Nein, diese sogenannten Schutzgürtel sind heute wieder modern.« Die Beamtin schmunzelte. »Zumindest in gewissen Kreisen.«
»Und was schützen sie alles?« Das Mädchen blickte auf.
»Sag mal, bist du so naiv, oder stellst du dich nur dumm?« Eine Spur Ärger klang in der Stimme der Beamtin mit.
Das Mädchen wurde rot. »Ich wollte es einfach mal hören.«
Die Wärterin lächelte. »Ich dachte, die heutige Jugend wäre so abgeklärt und cool.«
»Aber frau hat doch mehr erogene Zonen.« Es war ihr anzusehen, dass sie über dieses Thema eigentlich nicht gern diskutieren wollte. Wäre es in der Tram nicht noch so leer gewesen, hätte sie es gar nicht angesprochen.
»Deswegen trägt sie ja auch noch einen entsprechenden BH.« Sie blickte aus dem Fenster.
»Was?« Es war deutlich zu sehen, dass dieses Thema für das Mädchen wirklich neu war. »Ein BH aus Stahl?«
»Ja«, grinste die Beamtin. »Er verhindert, dass du dich dort berühren kannst.«
»Das ist ja grausam.« Trotz ihrer Empörung wurde sie etwas rot.
»Wärst du lieber hinter Gittern?« Sie erinnerte die Auszubildende an die Alternative.
»Ja, dann lieber ein transportables Gefängnis.« Sie seufzte. »Ich wusste gar nicht, dass wir über so etwas verfügen?«
»Nein, das Geschirr gehört uns nicht. Hegels haben das organisiert. Es ist definitiv kein Spielzeug.« Sie berichtete darüber, dass es sich dabei wirklich um ein Profi-Geschirr handelte. »Aber sie haben uns die Schlüssel gegeben und versichert, dass es die einzigen Schlüssel sind. Wir haben ihnen diesbezüglich vertraut.«
»Es gibt keinen Reserveschlüssel?« Das Mädchen runzelte die Stirn.
»Nein, unseres Wissens nach nicht.« Sie seufzte. »Wir müssen dabei allerdings ihren Worten vertrauen.«
»Und das machen wir?« Das Mädchen glaubte, einen gewissen Unterton gehört zu haben.
»Naja.« Sie wurde verlegen. »Mein Chef hatte vorgeschlagen, dass wir den Gürtel auch unauffällig mit einem Siegel versehen. Wir hätten uns so überzeugen können, dass sie Wort halten.«
»Und wenn wir das Siegel beschädigt vorfinden?« Das Mädchen glaubte, das Problem erkannt zu haben.
»Dann könnten wir auch nichts machen.« Sie seufzte wieder. »Aber wir würden es auf jeden Fall melden.« Doch dann holte sie tief Luft. »Aber wir haben dann doch darauf verzichtet, weil wir nichts Praktikables gefunden haben.
Das Mädchen schwieg einen Moment, doch dann stutzte sie. »Und was ist, wenn sie weg läuft?«
»Sie wird natürlich GPS-Überwacht. Auch wenn sie das gar nicht weiß.« Die Beamtin hatte einen leicht sorgenvollen Blick. »Außerdem passen die Nachbarn auf.«
»Sicher, dass es wirklich ein GPS-System ist?« Das Mädchen runzelte die Stirn. »Das braucht eine große Batterie und eine Antenne. Und davon soll sie nichts wissen?«
»Ich weiß es nicht.« Die Beamtin zuckte mit den Schultern. »Ich habe angenommen, es wäre ein GPS-System. Aber du hast recht, es gäbe vermutlich viele technische Probleme damit. Wahrscheinlich ist es doch etwas anderes. Auf jeden Fall ist die örtliche Polizeidienststelle informiert.«
»Muss sie die ganze Zeit im Haus bleiben?« Das Mädchen dachte laut darüber nach, dass es so einem Gefängnis sehr nahe kommen würde.
»In Begleitung von Hegels darf sie das Haus natürlich verlassen.« Sie zählte ein paar Sachen auf, die abgesprochen waren. »Aber soweit ich weiß, hat sie auch niemanden, zu dem sie gehen könnte.«
»Ihre ehemalige Clique?« Das Mädchen versuchte sich in die Lage der Gefangenen zu versetzen.
»Von der wird sie sich hoffentlich fernhalten.« Sie stand auf. »Hier müssen wir aussteigen.«
* * *
Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte Julia heute Schwierigkeiten, den Worten des Vortragenden zu folgen. Zu sehr beschäftigen sie die Ereignisse des jungen Tages und vor allem der Nacht mit dem so bedeutsamen Traum. Immer wieder musste sie daran denken, und dabei spürte sie die Gegenstände, die sie jetzt unter ihrer Kleidung versteckt hatte. Sie trug sowohl das Korsett als auch den sogenannten Geradehalter. Vor allem letzterer bewirkte, dass sie wirklich gerade auf ihrem Stuhl saß.
In der Tram hatte sie die Gelegenheit genutzt und ihren Professor mit diversen Fachfragen bombardiert, und er hatte bereitwillig Auskunft gegeben. Sie hatte zwar auch mehrmals versucht, das Gespräch vorsichtig auf die Engel zu bringen, doch sie realisierte, dass ihr Gegenüber jedes Mal sofort auswich. Schließlich beschränkte sie sich auf Architekturfragen, obwohl sie gern noch mehr über die Engel erfahren hätte.
Diesmal hatte sie den Vorlesungssaal sehr zurückhaltend betreten. Sie hatte immer noch Angst, ihre neue Unterwäsche hätte entdeckt werden können, obwohl sie sich in ihrer Wohnung noch davon überzeugt hatte, dass weder vom Korsett noch von dem Geradehalter etwas zu sehen war.
Lediglich ihre Haltung war ein wenig verändert, doch das würde nur jemanden auffallen, der sie gut kannte, und das würde höchstens ihre Freundin und ehemalige Mitbewohnerin sein, die jedoch in einem anderen Gebäude ihre Vorlesungen besuchte.
Zuerst saß Julia mit gefalteten Händen auf der Schreibfläche. Sie tat so, als würde sie die Kirchenhandschuhe tragen, und als sie einmal einen Blick mit ihrem Professor austauschte, glaubte sie bei ihm ein kurzes vertrautes Lächeln zu sehen.
Dermaßen ermutigt beschloss sie, ihre Arme hinter die Stuhllehne zu führen. Sie versuchte ihre Ellenbogen auf dem Rücken aneinander zu drücken, so wie es ihr geraten wurde, und sie war sehr erleichtert, als sie spürte, dass es ihr leicht fiel.
Doch dann erinnerte sie sich an die Worte ihrer Vermieter, und sie beschoss ein kleines unauffälliges Training. Sie legte ihre Arme auf den Rücken und drückte sie aneinander, dann zählte sie bis zehn und lockerte ihre Muskeln wieder, während sie bis fünf zählte. Anfangs zählte sie immer zehn mehr, doch schließlich beschloss sie, rein nach ihrem Gefühl zu pausieren. Irgendwie spürte sie, wann sie Pausen benötigte und gleichzeitig glaubte sie auch, erste Fortschritte zu spüren.
Entsprechend der kleinen Fortschritte verbrachte sie fast die ganze Zeit, die ihre Vorlesungen dauerten, mit den Übungen, denn sie waren trotz allem sehr unauffällig durchzuführen. Doch dabei begann sich auch eine gewisse Sehnsucht zu entwickeln. Immer stärker glaubte sie das Leder zu spüren, welches sich in Zukunft wohl oft um ihre Arme legen würde.
Zwar litt bei dem Ganzen ihre Aufmerksamkeit gegenüber der Vorlesung, doch sie wusste, dass sie auch alles in dem jeweiligen Skript würde nachlesen können. Also ließ sie es zu, dass ihre Gedanken bei Patricia und ihrem Training waren und der so faszinierenden Selbstverständlichkeit, mit der sie Handschuh und Perle getragen hatte. Es sah so natürlich aus, als wäre es ihre Alltagskleidung.
Gleichzeitig musste sie aber auch immer wieder an ihren Traum denken, der ihr ein mögliches Ende gezeigt hatte, dass sie um jeden Preis verhindern wollte. Sie wusste, dass sie unbedingt trainieren musste.
Heute würde sie auch noch den Gürtel bekommen. Sie wusste, wie sehr sich Carolin darauf gefreut hatte, doch gleichzeitig sah sie auch Frauke vor sich, die diesbezüglich irgendwie keine Wahl zu haben schien. Natürlich war ihr mittlerweile klar geworden, dass es sich bei dem Gürtel tatsächlich um einen Keuschheitsgürtel handeln würde, doch sie war mehr als bereit, dieses Opfer zu bringen. In ihrem Traum war der Gürtel auch wichtig bei der Engelsprüfung, und sie fand es nicht unwahrscheinlich, dass es in der Realität genauso sein würde.
Wieder musste sie an Patricia denken, die im Garten für alle Anwesenden sichtbar den Handschuh und das Perlennetz getragen hatte.
Doch dann stutzte sie. Ob Patricia wohl auch so einen Gürtel getragen hatte? Sie hielt es für sehr wahrscheinlich.
Auch Frauke trug so einen Gürtel, und es schien, als sei die Dienerin nicht wirklich unglücklich darüber. Doch das hatte vermutlich andere Gründe.
* * *
Das Telefon klingelte. Elisabeth Hegel nahm ab und meldete sich.
»Siegfried hier«, meldete sich die Gegenseite.
»Oh, das ist schön, dass du dich meldest.« Doch dann stutzte sie, denn ihr war sein sehr nüchterner Ton aufgefallen. »Oder gibt es ein Problem mit Frau Wiesl?«
»Du hast es erraten.« Er berichtete kurz über das, was ihm zugetragen wurde.
Frau Hegel keuchte. »Das kommt aber wirklich zur Unzeit.«
»Ich muss der Sache nachgehen, sonst bekomme ich große Schwierigkeiten.« Er versuchte, ihr die Dringlichkeit der Sache zu erklären.
»Und das soll sie wirklich gemacht haben?« Noch war Frau Hegel nicht von dem Vergehen ihrer Dienerin überzeugt. »Sie war bisher immer sehr zuverlässig.«
»So lange ihr dabei wart.« Er nahm das Bild zur Hand, welches Frauke allein auf der Terrasse zeigte. »Die Nachbarn haben sogar ein Foto gemacht.«
Frau Hegel seufzte tief. »Und was willst du jetzt tun?«
»Ich fahre heute raus und besuche die Nachbarn, um mich dort umzuhören.« Er offenbarte den Plan, den er sich zurecht gelegt hatte. »Morgen werde ich dann zu euch kommen, und wir werden die Konsequenzen besprechen.«
»Wirst du sie wieder einsperren?« Frau Hegel fragte das Naheliegende.
»Das weiß ich noch nicht.« Jetzt war es an ihm zu seufzen. »Ich möchte sie zunächst anhören, dann werde ich mich entscheiden.«
»Die beiden Mädchen waren den ganzen Tag allein, wir waren auf einer Hochzeit.« Sie versuchte sich an den Samstag zu erinnern.
»Wusste eure Studentin von dem besonderen Arrangement?« Er sah in ihr eine mögliche Zeugin für das Vergehen.
»Wir haben ihr noch nichts gesagt.« Auf einmal wurde ihr heiß und kalt. »Meinst du, sie hätte damit etwas zu tun?«
»Ich weiß es nicht.« Er schien sich eine Notiz zu machen, zumindest hörte es sich so an. »Aber sie könnte eine Zeugin sein und mir vielleicht sagen, wenn sie etwas gesehen hat.«
»Vielleicht hätten wir ihr doch etwas sagen sollen…« Sie dachte laut nach.
»Das ist euer Problem.« Er schrieb weiter auf seinen Zettel.
»Jetzt machst du es dir aber zu einfach.« In Frau Hegels Antwort klang ein gewisser Protest mit.
»Ja, du habt recht, das hätten wir vorher besprechen sollen.« Er seufzte. »Ich werde also auch eure Studentin anhören. Kannst du dafür sorgen, dass sie morgen Nachmittag im Haus ist?«
»Das kann ich nicht versprechen.« Frau Hegel musste nicht lange nachdenken. »Sie ist oft lange in der Uni und will außerdem noch viel trainieren.«
»Wie macht sich euer letzter Versuch?« Er wusste von Hegels eigentlichem Vorhaben.
»Oh Mann, erinnere mich nicht daran, dass es der letzte Versuch sein wird.« Sie stöhnte. »Sie macht sich im Moment sehr vielversprechend. Es wäre wirklich sehr schade, wenn du es jetzt stören würdest.«
Er stöhnte ebenfalls. »Ich bin euch damals schon sehr entgegen gekommen und habe meine Kompetenzen weit überschritten. Ich kann kein weiteres Auge zudrücken. Wenn Frau Wiesl gegen die Auflagen verstoßen hat, dann muss ich das Experiment beenden.«
»Wirst du sie gleich mitnehmen?« Jetzt waren ihre neuen Sorgen deutlich zu hören.
»Nein, ich muss das erst noch abklären.« Er blickte auf seine Notizen. »Ich denke, ich werde spätestens am Donnerstag wieder kommen und den Beschluss über die Zukunft verkünden.«
»Bitte denke an uns und unser Vorhaben.« Mit diesen Worten verabschiedete sie sich.
Sie blickte auf den Kalender und rief Frauke zu sich. Sie gab sich Mühe, sich von dem Telefonat nichts anmerken zu lassen. »Ich wollte sie an ihren Reinigungstermin erinnern.«
»Danke, Frau Hegel.« Sie blickte kurz aus dem Fenster, als wollte sie nach der Beamtin schauen. »Ich werde mich vorbereiten.« Sie drehte sich um und ging in Richtung Treppenhaus.
In ihrem Zimmer angekommen, ging sie sofort zum Schrank und öffnete ihn. Traurig blickte sie auf die kaum gefüllten Fächer, und natürlich wusste sie, warum das so war. Aus der Schublade nahm sie vier Ledermanschetten heraus und legte sie auf den kleinen Tisch neben dem Schrank.
Sie waren aus der Zeit, als sie sich noch gegen ihr Geschirr so wehrte, dass sie fixiert werden musste. In der letzten Zeit hatte sie sich das Vertrauen der Beamtin erarbeitet, und seit einigen Malen musste sie deswegen nicht mehr so demütigend auf dem Tisch festgebunden werden.
Doch heute wollte sich die Dienerin vor sich selbst schützen. Seit dem engen Kontakt zu Julia und den Gefühlen, die sie sie ihr gegenüber empfand, wusste sie, dass sie nicht mehr vernünftig reagieren konnte. Ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr, denn er sehnte sich sehr nach den Höhepunkten, die sie Julia schon so oft hatte zukommen lassen. Doch sie wusste, dass ihr diese Erlösung bisher leider verwehrt war.
Verwehrt wegen ihrer kriminellen Vergangenheit. Sie erinnerte sich nur zu gut an das Gespräch mit dem Beamten, als er ihr die Möglichkeiten eröffnete. Er hatte ihr die jeweiligen Folgen ausführlich beschrieben, und Frauke konnte danach zumindest nicht mehr sagen, dass sie sich über die Konsequenzen ihrer Entscheidung nicht im Klaren gewesen wäre.
Damals war sie der Meinung, dass sie auf diese ihre Gefühle ganz sicher verzichten könnte. Was war schon ein allein herbei geführter Orgasmus? Ein Strohfeuer, mehr aber nicht?
Doch jetzt dachte sie anders darüber. Sie wollte ‚es‘ wieder spüren, so wie es auch Julia spüren konnte. Und es tat ihr tief in ihrem Inneren weh, wenn sie Julia wieder und wieder zu einem Orgasmus führte, während ihr selbst diese Erlösung versagt war.
Doch genauso wusste sie, wie unerbittlich die Beamtin sein konnte, wenn es darum ging, ihren Intimbereich zu pflegen und zu reinigen. Manchmal setzte sie sogar ein Spray ein, mit dem sie die sonst so empfindlichen Körperteile betäubte.
Heute war sie so heiß, dass sie fürchtete, jede Berührung würde sie zum Platzen bringen. Und weil sie nicht wild um sich schlagen wollte, würde sie dieses Mal darum bitten, wieder fixiert zu werden. Denn selbst wenn sie die Beamtin auch nur aus Versehen verletzten würde, wären die Konsequenzen klar, und das wollte sie auf keinen Fall.
Sie wollte schon fast den Raum verlassen, als ihr einfiel, dass sie sich immer schon in ihrem kleinen Zimmer das Kleid ausgezogen hatte und im Bademantel zu der demütigenden Prozedur ging. Langsam öffnete sie ihr Kleid und zog es sich aus, dann legte sie es ordentlich auf das Bett und schlüpfte in den Bademantel. Sie vermied es dabei, an sich hinunter zu sehen. Sie wollte ihre Stahlunterwäsche nicht sehen, und aus diesem Grund hatte sie auch auf einen Spiegel in ihrem Zimmer verzichtet. Zumindest hätte sie ‚nein‘ gesagt, wenn sie gefragt worden wäre.
Langsam und mit zitternden Händen legte sie sich die vier Manschetten um Hand- und Fußgelenke und nahm als nächstes auch die entsprechenden Ketten heraus, mit denen sie dann auf dem Tisch befestigt werden würde. Hegels hatten extra den Tisch in der Küche dafür geopfert und hatten an den entsprechenden Stellen Ösen anbringen lassen, mit denen Sie dann auf dem Tisch fixiert werden konnte.
Es beschämte sie zwar ein wenig, dass sie sich dieses Mal selbst um die Ketten kümmern musste, doch sie betrachtete es als notwendig und als das bei weitem geringere Übel.
Langsam und etwas traurig ging sie die Treppen hinunter und betrat die Küche. Sie wusste, dass die Köchin üblicherweise erst gegen elf ins Haus kam und sie deswegen keine Begegnung mit ihr zu fürchten hatte.
Sie kniete sich vor den Tisch und vergewisserte sich noch einmal, dass die Ketten lang genug waren, um sie am Tisch zu befestigen. Dabei hatte sie Tränen in den Augen, doch sie versuchte tapfer, sie zu ignorieren. Zum Schluss setzte sie sich auf den Stuhl und wartete.
Zunächst kam die Beamtin allein herein. »Frau Wiesl, hätten sie etwas dagegen, wenn heute eine Auszubildende dabei wäre?«
Frauke war mehr als erstaunt, aber zugleich erfreut über die Abwechslung. Trotzdem versuchte sie, ihre wahren Gefühle nicht zu zeigen. »Von mir aus.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich hätte meinerseits auch eine Bitte.« Sie zeigte ihre Handgelenke. »Könnten sie mich dieses Mal wieder fixieren?« Es fiel ihr schwer, es auszusprechen. »Und bitte fragen sie nicht, warum...«
»Das machen wir.« Die Beamtin spürte, dass eine Veränderung in der Luft lag. »Wie früher.« Sie versuchte ein verlegenes Lächeln. »Ich hätte noch eine Bitte. Das Mädchen hat so ein Geschirr noch nie gesehen. Lassen sie sich diesbezüglich bitte nichts anmerken.«
Frauke seufzte nur, denn eine diesbezügliche Beschwerde stand ihr nicht zu.
Die Beamtin ging zur Tür und bat ihre Begleitung herein. »Als erstes könntest du bitte die Ketten am Tisch befestigen. Da sind Haken angebracht.«
Das Mädchen blickte sehr verwundert auf den Tisch. Erst als Frauke ihr versicherte, dass es wirklich ihr Wunsch war, kam das Mädchen der Aufforderung nach.
Die Beamtin hatte in der Zwischenzeit einen Schlüssel aus ihrer Tasche genommen und machte sich daran, die Schlösser zu öffnen.
»Ich lasse dich jetzt mit ihr allein und komme in einer halben Stunde wieder.« Die Beamtin blickte noch einmal kurz auf den Tisch, auf dem Frauke jetzt mit den Ketten fixiert war. Neben ihr lagen all die Metallteile, die sie bisher um ihren Körper trug.
»Das können sie nicht machen.« Die Auszubildende gab sich verwundert.
»Ich habe das Leuchten in deinen Augen gesehen.« Sie strich dem Mädchen kurz über den Kopf. »Und ich denke, sie hat es auch verdient.« Noch einmal blickte sie kurz auf den Tisch, dann verließ sie die Küche mit schnellen Schritten.
Das Mädchen blickte der Beamtin entsetzt hinterher. »Aber Frau…« Doch die Tür schloss sich, und sie war allein mit dem hilflosen Mädchen.
Frauke hatte das Besondere der Situation sofort begriffen und war entschlossen, die Situation auszunutzen. Doch noch schwieg sie.
Das Mädchen blickte die fixierte Dienerin seltsam an. »Du bist mir ausgeliefert.«
»Ja, so ist es wohl.« Das Sprechen fiel ihr schwer.
»Ich könnte dich jetzt überall berühren, und du könntest nichts dagegen machen.« Das Mädchen wusste nicht, ob sie dem Frieden wirklich trauen konnte.
»Ich weiß.« Auch Frauke war sich unsicher, was sie von der so überraschenden Situation halten sollte. Zu gern hätte sie wieder einmal einen Orgasmus gespürt. Und jetzt spürte sie, dass sie ganz dicht davor war. Es waren genau die Gründe, weswegen sie sich hatte fixieren lassen. Jede Berührung hätte sie zum Platzen bringen können. Es war zwar nie ausgesprochen, doch sie ahnte, dass ihr ein Orgasmus bisher verboten war. Doch die Situation jetzt? Es lag so sehr zum Greifen nahe, dass sie kaum Luft zum Atmen bekam.
Das Mädchen blickte seltsam berührt auf den Körper vor ihr. Noch nie war sie in so einer Situation gewesen.
Doch instinktiv ahnte sie, was jetzt von ihr erwartet wurde. Bisher hatte sie immer nur ihren eigenen Körper gestreichelt und sich so ins Paradies geführt. Sie konnte nur vermuten, dass die Handgriffe auch für dieses Mädchen genauso reizvoll sein würden wie für sie selbst.
Die Beamtin hatte die Gesamtsituation sofort erkannt, und sie hatte auch nichts dagegen, dieses Mal ein Auge zuzudrücken. Von Herrn Buchelberger hatte sie diesbezüglich freie Hand bekommen und sie ahnte, dass es richtig sein würde.
»Haben sie die beiden allein gelassen?« Frau Hegel war sehr erstaunt über das Verhalten der Beamtin.
Die Beamtin brachte Frau Hegel schnell auf den neuesten Stand. »Ich fürchte, dass sie bei der kleinsten Berührung explodieren würde, so dass ich mit meinem Kältespray diesmal auch nichts ausrichten könnte.«
»Was sagt er dazu?« Die Frau des Professors zog ihre Stirn in Falten.
»Er hat mir diesbezüglich freie Hand gegeben.« Die Beamtin hatte das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. »Für ganz besondere Gelegenheiten war das sogar vorgesehen.«
Auf einmal war ein lauter Schrei zu hören, gleich darauf wieder Stille.
Die Beamtin grinste. »Ich glaube, jetzt kann ich wieder zu ihnen gehen.«
Das Mädchen blickte die Beamtin verwundert und verwirrt an. »Danke für dieses schöne Erlebnis.«
»Was meinst du?« Die Beamtin blickte übertrieben aus dem Fenster. »Ich weiß von nichts.«
»Dass ich die Kundin so bedienen durfte?« Die Auszubildende hatte die Gesamtsituation noch nicht erfasst.
Die Beamtin legte ihr den Finger auf den Mund. »Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du das für dich behalten könntest.«
Das Mädchen nickte. Ihr war immer noch anzusehen, wie sehr sie von dem soeben Erlebten beeindruckt war.
»Jetzt schauen wir uns die Haut an.« Die Beamtin wandte sich dem Tisch zu. »Wir waschen sie und reiben sie anschließend trocken. Magst du das machen?«
Frauke blickte das Mädchen dankbar und fast ein wenig verliebt an. »Danke dafür.« Es liefen einige Tränen über ihre Wange.
»Ich dachte eigentlich, dass so etwas verboten wäre.« Frau Hegel betrat den Raum. Es war nicht unüblich, dass sie bei der Reinigung von Frauke dabei war.
»Ich habe einen gewissen Ermessensspielraum. Und ich denke, es war sehr lehrreich.« Sie blickte ihre Auszubildende an. »Das erwähnst du bitte aber nicht in deinem Bericht, verstanden?«
Das Mädchen blickte verwundert auf. »Ja, natürlich.« Noch immer glaubte sie, das Zittern des Körpers in ihren Händen zu spüren. Sie wusste, dass sie etwas ganz Außergewöhnliches erleben durfte.
»Jetzt müssen wir sie leider wieder verschließen.« Sie griff zu den Metallstücken, doch dann hielt sie inne. »Möchtest du sie verschließen?«
Erst als Frauke mit einem deutlichen Blick ihr Einverständnis gab, fasste sich die Auszubildende ein Herz und griff zu den einzelnen Metallstücken. Sie nahm sich jedes Teil in die Hand und betrachtete es ausführlich, bevor sie es seiner Bestimmung übergab. Nach und nach legten sie die Metallstücke wieder um Fraukes Körper.
Deutlich zu sehen war, wie sehr sie dabei zitterte. Sie schien sehr nervös. Besonders die beiden Halbkugeln hatten es ihr angetan, und erst als die Beamtin sie ermahnte, konnte sie sich davon losreißen.
»Ich danke ihnen, dass sie so brav waren.« Die Beamtin lächelte.
Frauke blickte verwundert auf.
»Oh Entschuldigung, das hatte ich nicht auf dem Schirm.« Die Frau bemerkte ihren Fehler. »Es war ja ihr eigener Wunsch.«
Frauke strahlte über das ganze Gesicht. Mit leiser Stimme bedankte sie sich noch einmal sehr herzlich bei der Beamtin.
Auch das Mädchen kam langsam wieder zu sich. Sie blickte verwundert auf Frauke, die wieder in ihren Bademantel schlüpfte. Als sie den Blick bemerkte, lächelte sie.
»Danke dafür.« Frauke lächelte zurück.
»Da nicht für.« Zu mehr Worten war das Mädchen noch nicht in der Lage. Zu sehr war sie noch in der Situation gefangen.
»Wann sehen wir uns wieder?« Frau Hegel machte stets den neuen Termin aus.
»In zwei Wochen, falls nichts dazwischen kommt.« Die Beamtin drehte sich zu der Auszubildenden. »Möchtest du wieder dabei sein?
Erst nach einem Blickwechsel mit Frauke war das Mädchen zu einer Antwort fähig. »Wenn ich darf, sehr gern.«
»Dann auf Wiedersehen.« Es wurden Hände geschüttelt. »Und es gilt wie immer: Für echte Notfälle kommen wir auch öfters.«
Für einen kurzen Moment glitt ein Lächeln über Fraukes Gesicht, denn sie war einem verwegenen Gedanken gefolgt. Doch dann wurde sie wieder ernst, denn sie wusste, dass sie ihre Situation nicht durch so eine egoistische Aktion gefährden durfte.
* * *
Julia hatte vor einiger Zeit, sie war damals noch nicht bei Hegels, einen Vortrag über Zeitmanagement gehört. Eigentlich war nur eine Vorlesung ausgefallen, und sie wollte die Zeit nicht auf der Straße verbringen.
Sie hatte aufmerksam zugehört, obwohl sie damals der Meinung war, dieses Zeitmanagement nicht zu brauchen. Jetzt kamen ihr einige der Tipps und Ratschläge von damals sehr zu gute. Sie hatte von Hegels erfahren, dass sie insgesamt nur zwei Wochen hatte, bis sie sie anmelden wollten, und dass sie bis dahin noch einiges zu lernen hatte.
Es war dieses Mal aber nicht so wie sonst, wo sie durch das Lesen von Büchern das Wissen quasi in sich hinein schütten konnte. Nein, dieses Mal ging es darum, ihrem Körper gewisse Fähigkeiten beizubringen. Teils, weil sie einfach von ihr erwartet wurden, wie zum Beispiel die korrekte Haltung, aber auch ungewöhnliche Fähigkeiten. Und dazu gehörte vor allem das Tragen dieses seltsamen, aber sehr faszinierenden Handschuhs, der ihre Arme auf dem Rücken fixierte.
Sie hatte ihren Alptraum von heute morgen mittlerweile verarbeitet, aber er hatte ihr auch gezeigt, dass sie die Angelegenheiten rund um die Engel ernst zu nehmen hatte. Sie hatte schon erfahren, dass sie Hegels letzter Versuch sein würde, auch wenn sie noch nicht wusste, warum das so war.
Sie nahm sich ihren Block zur Hand, und so wie sie es in dem Seminar gelernt hatte, teilte sie den Zettel in zwei Hälften auf. Auf die linke Seite schrieb sie die freien und vergebenen Zeiten, die sich in ihrem Alltag so ergaben, und auf die andere Seite notierte sie die Sachen, die sie zu trainieren und zu lernen hatte. Dabei unterschied sie aber nicht zwischen ihrem Studium und den Engeln, sondern mischte die Themen munter durcheinander.
Langsam füllte sich das Blatt, und in Julia schlich sich das Gefühl ein, dass die Aufgabe, die vor ihr lag, in der knappen Zeit durchaus zu schaffen war, wenn sie sich nur sorgfältig an ihren Zeitplan halten würde.
Sie erstellte sich für die vor ihr liegenden Tage jeweils einen detaillierten Zeitplan und erkannte recht bald, dass sie sogar noch pro Tag eine freie Stunde haben würde, wenn sie wie sonst auch sehr diszipliniert arbeiten würde.
Diese freie Zeit war wichtig, auch das hatte sie in dem Seminar gelernt. Denn eine wichtige Aussage war, dass man spätestens nach zwei oder drei Wochen einen ganzen Tag zum Faulenzen einplanen sollte.
Bei den vor ihr liegenden Aufgaben kam noch dazu, dass sie die Zeit teilweise doppelt verplanen konnte. In der Uni konnte sie das Tragen des Handschuhs trainieren, weil sie ihre Arme einfach hinter die Lehne legen und dort ihre Arme zusammen drücken konnte. Es war sehr unauffällig und erlaubte ihr trotzdem, ihre Muskeln an die besondere Haltung zu gewöhnen. Denn sie war fest entschlossen, den Handschuh genauso anmutig tragen zu wollen, wie sie es bei Carolin und vor allem bei Patricia gesehen hatte.
Und in ihrem Zimmer bei Hegels würde sie die Ballettstiefel tragen, auf dem Pferd sitzen und gleichzeitig mit Fraukes Hilfe in den Büchern stöbern, die sie für das Studium lesen musste. Wenn es sein musste, könnte sie sogar die Halskorsetts tragen, auch wenn sie diese Gegenstände bisher noch überhaupt nicht kannte.
Schließlich entdeckte sie sogar noch ein weiteres Sparpotential: Die Zeiten, in denen sie die Ballettstiefel und den Handschuh tragen durfte, bevor sie eine Pause zu machen hatte, waren ungefähr gleich. Sie würde sich also erst die Stiefel anziehen und sich dann den Handschuh anlegen lassen.
Es würde zwar schwieriger sein, ohne die Arme auf den sehr ungewöhnlichen Stiefeln zu balancieren, doch Julia war zuversichtlich, dies zu schaffen. Lieber würde sie in den nächsten zwei Wochen ihr Studium ein wenig vernachlässigen, als dass sie Hegels enttäuschen würde.
Noch zu deutlich sah sie Hegels Gesichter aus dem Traum vor sich, wie das Ehepaar sie so hoffnungsvoll ansah, und wie traurig sie waren, als Julia die Prüfung verpatzt hatte. Auch Carolins Gesicht ging ihr nicht aus dem Kopf, als sie ihr nach der Prüfung sagte, wie sehr sie Hegels Tochter enttäuscht hätte.
Natürlich wusste Julia mittlerweile, dass es nur ein Traum gewesen war, und dass Hegels Tochter verstorben war. Doch sie hatte sich schon länger als deren Erbin gesehen, und gerade deswegen musste sie jetzt alles möglich machen, um sich diesen Erwartungen zu stellen.
Wieder blickte sie auf den Plan vor sich, und sie war mittlerweile der Meinung, dass dieser Plan durchaus realistisch war. Er sah genügend Pausen vor, und sie hatte zusätzlich auch noch einige Reserven eingeplant.
* * *
Frau Hegel klopfte leicht an die Tür zu Fraukes Zimmer. Sie wusste, dass sich die Dienerin nach ihrer Reinigung gern für einige Zeit in ihr Zimmer zurück zog. Und nach dem Ereignis von heute war das erst recht verständlich. Doch jetzt wollte sie die Dienerin um ihre Hilfe bitten.
Es dauerte einige Zeit, bis Frauke sie herein bat.
»Frauke, ich erwarte heute die Lieferung von Julias Gürtel und es werden viele Pakete sein.« Sie vermied es, sich in dem kleinen Zimmer umzusehen. »Es wäre schön, wenn sie mir beim Tragen helfen könnten.«
»Was bekommt Julia denn? Das komplette Geschirr?« Frauke hatte auf dem Bett gelegen, jetzt richtete sie sich auf. »Die Arme! Muss das wirklich sein?«
Frau Hegel blickte sehr verwundert auf Frauke. »Wir haben einfach alles bestellt, weil es insgesamt billiger war. Ich möchte es davon abhängig machen, wie sie es aufnimmt.«
»Werden sie es wieder mit Carolin verknüpfen?« Insgeheim fand Frauke, dass es eine sehr unfaire Methode war, doch da sie selbst auch darauf ‚hereingefallen‘ war, wagte sie nicht, etwas dagegen zu sagen.
»Im Tagebuch ist nur von einem Gürtel die Rede.« Frau Hegel zitierte die entsprechende Stelle. »Ich möchte es aus der Situation heraus entscheiden. Weiß Julia, was sie darunter tragen?«
Frauke war über die Frage insgeheim erstaunt, denn so viel Vertrauen ihr gegenüber hatte sie eigentlich nicht erwartet. »Ich habe es ihr gezeigt. Sie könnte also durchaus wissen, was dann alles vor ihr liegen wird.« Sie musste an den Augenblick denken, als sie selbst in der Situation war. Alle die metallenen Schönheiten lagen damals vor ihr, und sie hatte eine Entscheidung zu treffen. Und sie hatte sie getroffen.
* * *
Stolz blickte Julia auf den Zeitplan, den sie sich in den vergangenen Stunden erarbeitet hatte. Dadurch, dass sie Sachen kombinierte, konnte sie die Zeiten viel besser ausnutzen und hatte sogar noch eine Stunde pro Tag, die noch nicht verplant war.
Die heutige freie Stunde war allerdings schon vergeben, denn heute würde ihr Gürtel geliefert werden. Obwohl sich Hegels bisher sehr zurückhaltend gaben und jeden offensichtlichen Druck vermieden, wusste Julia doch, wie viel auch von diesem Gürtel abhing. Immerhin hatte Carolin ihn sogar in ihrem Tagebuch erwähnt, und damit war es eine der ersten Sachen, die Julia überhaupt begegnet waren, seit sie bei Hegels war.
Auch in ihrem Traum war der Gürtel vorgekommen, und auch dort spielte er eine wichtige Rolle. Immer wieder musste sie an Frauke denken, die auch so einen Gürtel trug. In einer vertrauten Stunde hatte sie sich ihr gezeigt, und Julia war anfangs sehr verwundert gewesen.
Jetzt sollte auch sie so einen Gürtel bekommen, und sie wusste immer noch nicht, was sie davon halten sollte. Immer wieder grübelte sie über die Konsequenzen, die dieser Gürtel wohl für die haben würde. Sie würde sich in ruhigen Stunden nicht mehr berühren können.
Doch diesen Effekt hatte sie seit fast einer Woche, seit sie in der Nacht das strenge Nachthemd tragen musste. Höhepunkte hatte sie weiterhin, sie hatte nur keinen Einfluss darauf, wann es passierte. Doch ihr gefiel der Gedanke, dass sie sich an jemand anders ausliefern musste. Natürlich war das entsprechende Vertrauen nötig, aber das hatte sie mittlerweile sowohl zu Hegels als auch auch zu Frauke.
Frauke…
Sie war ihr mittlerweile zu einer Schwester geworden, einer sehr eng verbundenen Schwester, fast noch mehr, denn sie verdankte ihr von ihren Händen so manche gewaltige Höhepunkte. Und sie konnte so zärtlich sein, wenn Julia in dem Nachthemd hilflos vor ihr lag.
Sie empfand schon eine gewisse Zuneigung zu der am Anfang so seltsamen Dienerin, und mittlerweile hatte sie sich an sie gewöhnt. Sie schien im Haus von Hegels ein sehr trauriges Leben führen zu müssen und machte trotzdem einen zufriedenen Eindruck. Sie erinnerte sich gern an den Samstag, als sie ihr einige ihrer Geheimnisse anvertraut hatte.
»Hey, mein Fräulein, willst du nicht langsam mal aufzustehen?« Die Stimme eine ihrer Kommilitoninnen riss sie aus ihren Gedanken. Verlegen blickte sie auf.
»Die Vorlesung ist seit zehn Minuten aus.« Das Mädchen lachte. »Was bist du denn heute so verträumt?«
Julia murmelte etwas, dann begann sie ihre Sachen zusammenzupacken.
»Sag bloß, du hast heute etwas mitgeschrieben?« Das Mädchen lachte. »Das ist ja was ganz Neues.« Sie versuchte einen Blick auf den Block zu werfen, der noch auf ihrem Pult lag. »Monohandschuh und Eigenschaften der Wandbehänge?« Das Mädchen wunderte sich. »Das war heute aber nicht das Thema.«
»Lass mich zufrieden.« Julia war ein wenig genervt. Normalerweise ließen ihre Kommilitoninnen sie in Ruhe. Sie klappte den Block zu und packte ihn in ihre Tasche, ohne auf die Fragen einzugehen.
* * *
»Das waren dann alle Kartons.« Frau Hegel wandte sich an Frauke. »Danke, sie können sich wieder zurückziehen. Vielen Dank für die Hilfe.«
»Sehr gern.« Frauke wäre liebend gern noch beim Auspacken dabei gewesen, doch sie hatte den Befehl, der so liebevoll verpackt war, verstanden und befolgte ihn. Sie ahnte, dass Frau Hegel mit der Abgesandten des Bundes allein sein wollte.
»Wir waren sehr von eurer Bestellung überrascht. Wir hatten eigentlich keine mehr erwartet.« Marianne lächelte. Zwischen den Zeilen hatte sie noch viel mehr gesagt.
»Ja, du hast recht, es war eigentlich nicht mehr damit zu rechnen.« Frau Hegel lächelte ebenfalls. »Aber jetzt sieht es doch noch sehr gut aus.«
»Ich bin sehr gespannt auf das Mädchen, dass bereit ist, sich diesen Qualen auszusetzen.« Marianne kramte in ihrer Handtasche.
»Du übertreibst.« Frau Hegel wurde ein wenig rot.
»Naja, normalerweise sind die familiären Bindungen so stark, dass die jungen Mädchen dieses Opfer auf sich nehmen, doch bei euch?« Sie holte den Lieferschein aus ihrer Tasche und reichte ihn Frau Hegel. » Das Mädchen muss ja sehr verzweifelt sein, wenn sie sich auf so etwas einlässt.«
»Ja, da hatten wir riesiges Glück. Ich hatte schon nicht mehr daran geglaubt. Doch sie macht einen sehr guten Eindruck. Und sie ist überhaupt nicht verzweifelt, eher enthusiastisch.« Sie nahm das Papier in die Hand und überflog es kurz.
»Ich bin sehr gespannt, sie kennenzulernen.« Marianne holte auch noch einen Kugelschreiber aus der Tasche und reichte ihn an ihr Gegenüber. »Bitte unten rechts unterschreiben.«
»Wir werden sie in zwei Wochen vorstellen, egal wie es ausgeht.« Frau Hegel ging zum Tisch und unterschrieb den Lieferschein, dann gab sie beides zurück. » Schließlich ist es unser letzter Versuch.«
Marianne seufzte. »Ja, die Regeln sind streng.«
* * *
Julia ging mit gemischten Gefühlen zur Straßenbahn. Sie hatte zwar einen gut ausgearbeiteten Trainingsplan in der Tasche, aber sie war natürlich etwas unsicher wegen des Gürtels, der auf sie wartete. Immer wieder rief sie sich das Bild von Frauke vor Augen, wie sie in der metallenen Unterwäsche vor ihr stand.
Im Prinzip hatte Julia nichts dagegen, einmal selbst in diese Rüstung zu steigen, hatte sie doch mehrfach die Zusicherung bekommen, dass sie jederzeit Hegels Haus verlassen konnte. Und sie war sich ziemlich sicher, dass sie dabei auch dieses Metall wieder los werden würde.
Doch wollte sie überhaupt gehen? Bisher war es alles andere als unangenehm, und sogar dieser seltsame Handschuh ließ sich ganz gut tragen. Allerdings wusste sie, dass sie noch viel diesbezügliches Training brauchen würde.
Vor allem fühlte sie sich Carolin gegenüber verpflichtet. Und dieses Gefühl wurde von Tag zu Tag stärker. Immer wieder musste sie an die verweinten Seiten des Tagebuchs denken, und wenn sie einen leichten Ansturm von Zweifel verspürte, rief sie sich die letzten Worte von Hegels Tochter in Erinnerung.
Aus dem Tagebuch bezog sie eine große Verpflichtung, und bisher wurde nichts von ihr verlangt, mit dem sie auch nur die geringsten Schwierigkeiten gehabt hätte. Selbst dieses merkwürdige Pferd war letztendlich recht bequem, und sie freute sich schon darauf, wenn sie zusammen mit Frauke darauf lernen würde.
Fast hätte sie versäumt, einzusteigen, so sehr war sie in Gedanken versunken.
* * *
Herr Buchelberger stellte seine Aktentasche auf den Tisch und begann, sie einzuräumen. Immer wieder musste er dabei an den Anfang dieses besonderen Arrangements denken.
Anfangs war er von der Idee überhaupt nicht begeistert gewesen, mit der Hegels an ihn heran getreten waren. Erst nach dem er sich mit Herrn Vogel beraten hatte, traute er sich, dieser außergewöhnlichen Vereinbarung zuzustimmen.
Er fragte sich, ob es auch für ihn selbst Konsequenzen haben würde. Und vor allem, was würde er seinem Chef erzählen, wenn es zu einer offiziellen Beschwerde kommen würde? Bislang konnte er es unter der Decke halten, auch wenn es ihn eine gewisse Menge an Geschicklichkeit und finanziellen Kompensationen gekostet hatte.
Bestechung war dafür nicht das richtige Wort. Eigentlich hatte er immer Entschädigungen gezahlt, obwohl er wusste, dass er Hegels diesen nicht unerheblichen Betrag nicht in Rechnung stellen konnte.
Er hatte immer wieder die einschlägigen Paragraphen gewälzt, und doch war ihm stets bewusst, dass jeder Anwalt, der sein Gewerbe auch nur ein bisschen verstand, ihn ans Messer liefern konnte.
Er musste die Nachbarn beruhigen und sie möglichst von einer offiziellen Anzeige abbringen. So nützlich deren Hilfe gewesen war, eigentlich widerte ihn deren selbstgerechter Eifer bei der Überwachung von Frau Wiesl an. Diesen Eifer musste er nun unter Kontrolle halten. Er hoffte, dass es Eindruck machen würde, wenn er persönlich bei ihnen aufkreuzte und sich nach ihren Beobachtungen erkundigte. Gleichzeitig würde er ihnen versichern, dass dieser Ausflug für das Mädchen sichtbare Konsequenzen haben würde. Er musste so etwas versprechen, um sie von einer diesbezüglichen Meldung abzubringen.
Denn wenn sie den offiziellen Weg nehmen würden, könnte er im schlimmsten Fall seinen Hut nehmen und sich in Zukunft auf den gemeinen Wachdienst im Gefängnis beschränken.
Ein wenig ärgerte er sich, denn er hatte eigentlich gedacht, dass sich diese Frau Wiesl sich vollständig an seine Anweisungen halten würde. Doch jetzt musste er einsehen, dass er sich anscheinend doch in ihr getäuscht hatte. Dabei hatte er bisher sehr viel auf seine Menschenkenntnis gegeben.
Langsam schlich sich eine Ahnung in seine Gedanken. Wäre es sehr abwegig, wenn er die Ursache für das Scheitern des Experiments bei der neuen Bewohnerin zu suchen hatte? Oder machte er es sich damit zu einfach? Er wusste es nicht. Doch er beschloss, diese Möglichkeit im Auge zu behalten.
Ihm standen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, wie er nach Grünwald kommen konnte, um sich um diesen Vorfall zu kümmern. Er könnte sicher mit der Straßenbahn fahren, aber dann müsste er die Nachbarn zu Fuß aufsuchen.
Natürlich wäre er dazu in der Lage gewesen, es war mehr eine Frage der Art des Auftretens. Es machte einfach sehr viel mehr her, wenn er mit einem Auto Einlass auf ihr Grundstück verlangte und dann erst ausstieg.
Den Gedanken, mit einem Streifenwagen hinaus zu fahren, verbat sich ganz. Zwar stand ein entsprechender Wagen zu seiner Verfügung, sogar mit Fahrer, doch dann würde er die entsprechenden Bewohner kompromittieren, und das wollte er unbedingt vermeiden.
Er hatte sich auch kurz überlegt, ob er sich von einem uniformierten Beamten begleiten lassen sollte, doch er kam schnell zu der Einsicht, dass er dies allein erledigen musste.
Er dachte lange darüber nach, welche Nachbarn er persönlich aufsuchen muss. Schließlich kam er zu der Überzeugung, dass er wirklich alle die Leute besuchen musste, die er damals eingeweiht hatte.
Und er überprüfte auch noch einmal, ob er genügend Bargeld dabei hatte. Er fürchtete, dass er wieder Bestechungsgelder zahlen musste, auch wenn er es ihnen gegenüber als Aufwandsentschädigungen bezeichnete.
Warum hatte er sich damals bloß auf dieses Experiment eingelassen. Er schüttelte den Kopf.
* * *
Es stellte sich heraus, dass nur das eine Ehepaar etwas von dem Verstoß etwas mitbekommen hatte. Herr Buchelberger hatte jetzt fast alle Nachbarn besucht, doch keiner der Bewohner hatte einen Grund zur Klage. Insgeheim war er erleichtert, weil es nebenbei auch seinen Geldbeutel schonte.
Warum hatte er sich damals nur auf diesen Handel eingelassen. Er wusste schon damals, dass er seine Kompetenzen arge strapazierte. Jetzt musste er die Konsequenzen der damaligen Entscheidung tragen.
Den Besuch des Ehepaares, das den Vorfall gemeldet hatte, hatte er sich bis zuletzt aufgehoben. Jetzt stand er mit seinem Wagen vor der Einfahrt und meldete sich telefonisch an. Er musste nicht lange warten und ihm wurde die Einfahrt geöffnet. Langsam fuhr er den Dienstwagen, einen 7er, auf den Hof und stieg aus. Bewusst ein wenig umständlich holte er seine Aktentasche aus dem Kofferraum, dann ging er zur Haustür und wollte gerade klingeln, als ihm schon geöffnet wurde.
Die Frau trat heraus und lächelte ihn verlegen an. »Mein Mann und ich bedauern es, dass sie sich wegen uns extra auf den Weg gemacht haben.«
»Diese Angelegenheit verdient es, dass ich mich persönlich darum kümmere.« Er hoffte, dass sein ‚wichtiges‘ Auftreten den entsprechenden Eindruck machen würde. Er folgte der Frau ins Haus, nachdem sie ihn dazu aufgefordert hatte.
»Sie war wirklich allein draußen, fast zehn Minuten, später kam noch ein junges Mädchen dazu.« Der Ehemann saß im Wohnzimmer und hatte sie entsprechenden Fotos vor sich auf dem Tisch liegen. »Sie haben die ganze Zeit auf der Terrasse gelegen.«
Eigentlich eine Belanglosigkeit, dachte er bei sich, doch er hütete sich, seine Gedanken auszusprechen. Stattdessen nahm er wieder bewusst umständlich seinen Block zur Hand und notierte die Aussagen des besorgten Ehepaares. Er wollte den Eindruck erwecken, dass er die Lage fest im Griff hatte und die Sorgen der Bewohner ernst nahm. Auch wenn dies in Wirklichkeit überhaupt nicht so war.
Auch von der Frau ließ er sich noch einmal die Beobachtungen schildern, die sich weitgehend mit denen ihres Mannes deckten. Im Gegensatz zu ihm hatte sie auch die seltsame Kleidung bemerkt, die das zweite Mädchen getragen hatte. »Ich würde mich mit so etwas nicht nach draußen trauen.«
»Trug sie so wenig?« Er horchte auf, denn dieser Aspekt war neu. Und er konnte alles gebrauchen, was von seinem eigentlichen Problem ablenkte.
»Nein, es war mehr das Material. Man konnte meinen, sie hätte Plastik getragen.« Sie drehte sich kurz zu ihrem Mann. »Warum hast du davon nicht aus ein Foto gemacht?«
Er zuckte nur mit den Schultern und lächelte verlegen.
»Danke für den Hinweis, ich werde mich darum kümmern.« Er ahnte zwar, was diesbezüglich passiert war, doch genauso wusste er, dass er dies nicht beeinflussen konnte.
»Was werden sie bezüglich der Straftäterin unternehmen?« Die Frau klang recht besorgt.
Er versuchte sie zu besänftigen. »Immerhin war es der erste Verstoß gegen die Auflagen, deswegen möchte ich sie auf jeden Fall noch einmal anhören und hören, was sie zu ihrer Verteidigung zu sagen hat. Schließlich wusste sie, dass sie das Haus nicht allein verlassen darf.«
»Wird sie bestraft?« Die Frau ließ nicht locker.
Ihr Eifer widerte ihn an. »Ich versichere ihnen, dass dieser Vorfall sichtbare Konsequenzen haben wird.« Natürlich hatte er noch überhaupt keine Idee, wie diese aussehen könnten.
Er war sehr erleichtert darüber, dass er die Leute besänftigen konnte. Er hatte den Eindruck, dass sie von einer realen Anzeige weit entfernt waren und vor allem seinen Worten Glauben schenkten. Allerdings hatte er sichtbare Konsequenzen versprochen, und er wusste immer noch nicht, welche Möglichkeiten ihm dafür blieben.
Er lenkte den Wagen vom Hof und fuhr dann etwas erleichtert wieder zu seinem Büro. Und natürlich war er sehr erleichtert darüber, dass eine Anzeige abwenden konnte. Und sein Geldbeutel wurde gar nicht beansprucht.
* * *
Schon als Julia die Tram verließ, sah sie, dass die Einfahrt des Anwesens offen stand und beim Näherkommen realisierte sie, dass vor dem Haus ein Kombi parkte. Als sie Frau Hegel dort stehen sah, wie sie sich mit einer anderen Frau unterhielt, beschleunigte Julia ihre Schritte.
»Ah, gut das sie da sind.« Frau Hegel erinnerte die Studentin an den Termin mit der Schneiderin, der für heute angesetzt war. »Wir warten schon auf sie.«
Julia begrüßte die Schneiderin höflich, doch es war ihr anzusehen, dass sie die diesbezüglichen Zusammenhänge noch nicht erkannt hatte. Sie blickte Frau Hegel kurz fragend an, ohne jedoch etwas zu sagen.
»Wir wollen heute für das große Korsett Maß nehmen.« Ihre Vermieterin half ihr schließlich auf die Sprünge.
Julia begriff sofort, dass sie etwas von ihr erwarteten, doch sie hatte noch nicht erkannt, was das war. Diesmal blickte sie die Schneiderin fragend an.
»Bitte gehen sie auf ihr Zimmer und ziehen sich bitte aus.« Die Schneiderin hatte die Verlegenheit der Studentin bemerkt.
»Ganz?« Julia sagte nur das eine Wort, aber trotzdem war zu hören, wie ihre Stimme zitterte.
»Bis auf die Unterwäsche.« Die Schneiderin lächelte. »Das rechne ich dann ab.«
»Geben sie mir zwei Minuten.« Julia grinste, dann ging sie mit eiligen Schritten ins Haus.
Das Korsett. Julia hatte es schon ganz vergessen, oder verdrängt? Zu sehr hatte sie das Korsett, das sie schon trug, verinnerlicht, als das es ihr noch aufgefallen wäre. Es fühlte sich einfach nur sehr angenehm an.
Doch in ihrem Zimmer angekommen, musste sie feststellen, dass es gar nicht so einfach war, die Schnürung ohne Hilfe und vor allem ohne Sicht zu öffnen. Alles andere hatte sie schon wie gewünscht abgelegt. Streng genommen hatte sie ihr Zimmer sogar schon ohne ihr Oberteil betreten. Sie machte noch ein paar hektische Bewegungen, als sie schon die Schritte auf der Treppe hörte. Schließlich gab sie auf und setzte sich auf ihr Bett.
Fast verliebt strich sie mit der Hand über die glänzende Lackbettwäsche, die so verführerisch in der Sonne glänzte. Erst im letzten Moment fiel ihr ein, dass sie vielleicht die Tagesdecke hätte auflegen sollen, doch dazu war es schon zu spät. Frau Hegel war schon mit der Schneiderin eingetreten.
Zu ihrer Erleichterung bekam sie wegen des Korsetts keinen Tadel, im Gegenteil.
»Ah, dass ist gut, dass sie schon ein Korsett tragen, das können wir gleich als Basis nehmen.« Die Schneiderin stellte ihre Tasche auf den Tisch und begann sie auszupacken. »Wie kommen sie mit diesem Exemplar zurecht?«
Julia brauchte einen Moment, bis sie realisierte, dass sie antworten sollte. »Oh, sehr gut. Es stört mich bisher überhaupt nicht.«
»Werden es wieder zwei Korsetts werden?« Frau Hegel war nähergekommen und blickte scheinbar etwas gelangweilt auf den Tisch. Tatsächlich wollte sie nur vermeiden, Julias reizvollen Körper anzustarren.
»Nein, das haben sie optimiert.« Die Schneiderin schüttelte den Kopf. »Sie haben mittlerweile ein Verfahren gefunden, wie sich das Beinteil fest mit dem Oberkörper-Korsett verbinden lässt.« Sie holte tief Luft. »Das spart sehr viel Material und es geht insgesamt auch viel schneller.«
»Na, da bin ich aber gespannt.« Frau Hegel lächelte.
»Ich habe mittlerweile schon Aufträge, bei denen ich das Korsett bis an die Knöchel verlängern soll.« Aus der Stimme der Schneiderin war sehr viel Stolz zu hören. »Und eine Kundin hat schon angefragt, ob auch eine Verbindung zu Schuhen oder Stiefeln möglich ist.«
Julia hatte aufmerksam zugehört. »Aber dann wäre ich doch komplett unbeweglich? Ich könnte nur in der Ecke stehen.« Sie hatte Mühe, keine Grimasse zu ziehen.
Irgendwie schien Frau Hegel mit diesem Argument gerechnet zu haben. »Oder vor dem Pult zum lernen.«
Auf einmal begannen Julias Augen zu leuchten. »Was ist denn für mich bestellt?«
Die Schneiderin war gut vorbereitet. »Bisher nur ein Korsett bis zu Knien. Und der sogenannte Rockteil soll abnehmbar sein, damit auch ein Hinsetzen möglich ist.«
»Das reicht auch.« Frau Hegel war über die Begeisterung von Julia sehr erfreut, trotzdem versuchte sie diese zu verbergen. »Wenn sie angenommen werden, wird es noch viel strenger werden.«
Julia blickte verwundert auf. »Die Prüfung zum Engel?« Sie musste wieder an ihren Traum denken.
»Erst einmal wollen wir sie anmelden.« Frau Hegel lächelte. »Aber auch dafür müssen sie einiges können.«
»Ich habe mir heute schon einen genauen Plan gemacht.« Julia blickte sich um, denn sie suchte ihre Tasche, um den Plan zeigen zu können.
Die Schneiderin räusperte sich. »Entschuldigt bitte, aber können wir dann anfangen?« Die Schneiderin begann, einige seltsame Formen aus ihrer Tasche zu nehmen.
* * *
Es war ungewöhnlich, dass Julia zum gemeinsamen Kaffee geladen wurde. Doch kaum hatte sie das Wohnzimmer betreten, als sie schon den offensichtlich wahren Grund erkannte. Auf der Kommode lagen einige Kartons, und auf dem gedeckten Wohnzimmertisch entdeckte sie auch so etwas wie einen Produktkatalog, wie sie auf den zweiten Blick erkannte. Das Titelblatt zeigte zwei junge Mädchen in silberner Unterwäsche.
Irgendwie ahnte Julia, dass der Katalog für sie bestimmt war. Zumindest war sie neugierig genug, um darin blättern zu wollen. Sie setzte sich auf den entsprechenden Platz, doch dann beschloss sie doch erst noch zu warten.
Frau Hegel schien genau zu wissen, was die Studentin bewegte. »Blättern sie ruhig«, wurde Julia von ihr ermutigt. »Ah Frauke, schön, dass sie auch gekommen sind.«
Frauke hatte den Raum betreten und wollte erst noch widersprechen, als ihr einfiel, dass diese Kaffeetafel speziell für Julia arrangiert war. Frau Hegel hatte sogar dafür gesorgt, dass ihr Mann nicht im Haus war, auch wenn seine Studentin das nicht wusste.
Julia blickte immer wieder auf den Prospekt, doch sie traute sich nicht, von selbst danach zu greifen. Erst als Frau Hegel sie diesbezüglich erneut ermutigte, nahm sie sich ein Herz und nahm sich den Prospekt zur Hand.
Frau Hegel beobachtete die Studentin unauffällig. Der Katalog war genau für diese Gelegenheit gemacht worden, wenn die jungen Mädchen zum ersten Mal mit der eisernen Unterwäsche konfrontiert wurden. Bei Julia war es zwar ein wenig anders, doch die Frau des Professors war sich sicher, dass der Katalog seine Wirkung nicht verfehlen würde.
Immerhin hatten die beiden damals noch jungen Töchter der alten Oberin dafür posiert, und ein Fotograf hatte zeitlos schöne Fotos gemacht. Selbst Frau Hegel schaute sich die Bilder gern an, weil sich die Mädchen auf diesen Fotos überhaupt nicht verstellten. Es war ihnen in jeder Faser ihres Körpers anzusehen, dass sie diese Unterwäsche gern trugen und sie vor allem auch nie in Frage stellten. So gesehen waren diese Bilder auch für Eingeweihte sehr kostbar.
Julia keuchte ein wenig, während sie den Katalog durchblätterte, und nur nebenbei realisierte sie, dass sie eigentlich nur verkaufsfördernde Werbung in der Hand hielt.
Die abgebildeten Mädchen machten einen sehr glücklichen Eindruck und hatte ein Leuchten in den Augen, das Julia fast den Atem nahm. Nur langsam konnte sie sich von den faszinierenden Bildern loslösen.
Frau Hegel lächelte verlegen »Sie sollen vorher wissen, auf was sie sich einlassen.« Dass Julia offensichtlich keine Alternative hatte, behielt sie allerdings für sich.
Langsam drehte sich Julias Kopf zur Kommode, auf dem sie die vielen Kartons hatte liegen sehen. »Und da ist also mein Gürtel darin?« Ihre Stimme war seltsam leise, als sie das fragte.
Frau Hegel wusste in diesem Moment auch nicht, was sie antworten sollte. Sie blickte ihre Dienerin etwas hilflos an.
Frauke sah eine gute Möglichkeit, sich wieder ein paar Pluspunkte zu verdienen. »Es trägt sich sehr bequem, und du hast sicher nach kurzer Zeit vergessen, was du da wirklich trägst.«
»Wir dachten, es wäre besser, wenn sie selbst die Sachen auspacken würden. Wir werden die Teile dann noch einmal gemeinsam reinigen, und dann können sie sie ausprobieren.«
»Ausprobieren?« Julia hob verwundert den Kopf.
»Naja, wir hoffen schon, dass sie mit dieser besonderen Kleidung zurechtkommen werden.« Frau Hegel holte vor dem kritischen Satz tief Luft. »Aber wir sind ihnen auch nicht böse, wenn sie es nicht machen.«
»Aber dann muss ich das Haus verlassen.« Julia erinnerte sich an die bisherigen diesbezüglichen Absprachen.
Frau Hegel vermied es, auf diese Frage direkt zu antworten, denn diesen Druck wollte sie in dieser Situation eigentlich nicht aufbauen. Aber wenn Julia es selbst anbot, wollte sie auch nicht widersprechen. Sie wählte eine ausweichende Antwort. »Es sieht nach mehr aus, als es eigentlich ist.«
»Das ist ja eine ganze Menge.« Julia blickte wieder auf die Menge an großen und kleinen Kartons. »Darf ich das erst einmal alles ausprobieren und mich dann hinterher entscheiden?«
»Aber sicher.« Frau Hegel war sich klar, dass sie dieses Wagnis eingehen musste. Außerdem hatte Julia bisher so positiv reagiert, dass es eigentlich gar nicht mehr schief gehen konnte. »Letztendlich sind es drei Teile, die mehr oder weniger zusammen gehören.«
»Mehr oder weniger?« Julia wunderte sich ein wenig.
»Naja, die Schenkelbänder machen nur dann Sinn, wenn sie auch den Gürtel dazu tragen.« Frau Hegel hoffte, dass es die richtigen Worte sein würden.
Erst jetzt erinnerte sich Julia an das, was sie bei Frauke schon gesehen hatte. »Und das alles ist das, auf was sich Carolin so gefreut hat?«
»‘Gefreut‘ ist vermutlich das falsche Wort.« Mittlerweile empfand Frau Hegel es selbst als etwas unfair. »Sie wusste, dass wir es von ihr erwarteten, und sie war bereit, es für uns zu tun.«
»So wie sie es jetzt auch von mir erwarten?« Julia blickte wieder auf den Katalog.
»Im Prinzip ja.« Frau Hegel holte tief Luft. »Wobei wir uns bei ihnen natürlich im Klaren sind, dass sie jederzeit ‚Nein‘ sagen dürfen.«
Julia erkannte, dass sie es nicht weiter hinaus zögern konnte, ohne Frau Hegel zu verärgern. Sie hatte sich schon längst entschieden, dass sie den Gürtel und das Zubehör tragen wollte, auch wenn sie sich über die Konsequenzen immer noch nicht ganz im Klaren war.
Denn natürlich wusste sie, was ein Keuschheitsgürtel wirklich war, und auch die Funktion des Keuschheits-BHs hatte sie verinnerlicht. Insgeheim freute sie sich sogar auf die besondere Erfahrung. Sie hatte es bei Frauke gesehen, und insgeheim war sie sich sicher, dass auch Patricia so etwas zu tragen hatte. Sie spürte irgendwie, dass sie dann auch ‚dazu‘ gehören würde.
Lediglich mit diesen Schenkelbändern konnte sie bisher noch nicht so viel anzufangen. Sie wusste nur, dass sie Frauke daran hinderten, größere Schritte zu machen. Sie blickte voller Erwartung auf die noch geschlossenen Kartons, doch sie war viel zu höflich, um von sich aus zu drängeln.
Die Bilder aus dem Katalog hatten sie sehr beeindruckt. Die beiden Mädchen, die die stählerne Unterwäsche präsentierten, schienen Schwestern zu sein, denn eine gewisse Ähnlichkeit war deutlich zu erkennen. Und sie hatten ein ehrliches Lächeln im Gesicht. Man sah deutlich, dass sie Spaß an den Fotos hatten, und Julia vermutete, dass sie in auch ihrer Freizeit diese besondere Kleidung tragen würden.
Natürlich war sie auch von dem Zubehör beeindruckt. Die integrierten Dildos hatte ihr nur beim allerersten Blick Sorgen bereitet. Es lag wieder an dem strahlenden Lächeln dieser beiden Schwestern, dass sie wegen dieser sonst eigentlich sehr erschreckenden Eindringlinge eigentlich eher Lust empfand. Es sah zumindest auf den Fotos so aus, als hätten die Mädchen damit besonderen Spaß.
Es war ihr natürlich klar, dass diese Fotos gestellt waren, doch das ehrliche Lächeln in den Gesichtern zeigte ihr, dass es nicht wirklich unangenehm zu sein schien.
Außerdem hatte sie sich immer schon gefragt, wie sich so etwas anfühlen würde. Ihre diesbezüglichen Erfahrungen mit Jungs – sie weigerte sich nach wie vor, sie Männer zu nennen – waren alles andere als vielversprechend gewesen. Stattdessen sehnte sie sich nach dieser Art von Füllung. Sie musste lächeln. Erst als sie das Bild gesehen hatte und erkannte, um was es genau ging, wusste sie auf einmal, wovon sie bisher immer geträumt hatte, ohne dass sie es genau bezeichnen konnte.
Insgeheim freute sie sich darauf, diese Erfahrung endlich machen zu können. Und die glücklichen Gesichter der beiden Mädchen zeigten ihr, dass es eine eher angenehme Erfahrung sein würde, wenn sie einmal den Mut dazu aufgebracht haben würde.
»Wollen wir dann anfangen?« Frau Hegel riss sie aus ihren Gedanken.
Julia musste trotz ihrer freudigen Erwartung schlucken. Was wäre, wenn es doch nicht so schön war? Doch sie schob ihre Zweifel beiseite und lächelte. »Gern.«
Frau Hegel wandte sich an Frauke. »Holen sie bitte, was sie vorbereitet haben.«
Frauke war insgeheim ein wenig neidisch, denn diesen Schritt hatte es bei ihr damals nicht gegeben. Allerdings hatte sie auch keine Wahl gehabt.
Die Dienerin kam mit einem großen Schüssel voll warmen Wasser zurück, aus der es nach romantisch duftenden Badezusatz roch.
»Wir packen jetzt alles aus, und sie dürfen ihre Sachen gründlich reinigen.« Natürlich waren die Sachen schon hygienisch verpackt, doch diese Maßnahme hatte vor allem den Zweck, Julia die Nervosität zu nahmen.
Julia sah verwundert zu, wie Frauke die Schale auf den Tisch stellte.
Frauke wunderte sich über ihre Freundin. »Willst du nicht langsam mal mit dem Auspacken beginnen?«
Julia blickte Frau Hegel fragend an, und erst als diese nickte, machte sie sich daran, den ersten der Kartons zu öffnen.
Es beruhigte sie sehr, als sie sehen konnte, wie alle Teile, die sie nach und nach auspackte, von Frauke in dem duftenden Wasser noch einmal gereinigt wurden. Selbst Frau Hegel ließ es sich nicht nehmen, die einzelnen Stahlteile mit dem üblichen Geschirrhandtuch abzutrocknen.
Doch je mehr Kartons Julia auspackte, desto nervöser wurde sie. »Muss ich das wirklich alles tragen?«
Frau Hegel lächelte, denn mit genau dieser Reaktion hatte sie gerechnet. »Nein, natürlich nicht. Wir haben einfach das komplette Set bestellt, weil es so schneller ging.« Dass sie Zeitdruck hatte, wusste Julia.
»Wobei...« Julia war in diesem Moment etwas verlegen. »Gewisse Teile würden mich wirklich sehr interessieren.« In diesem Moment hatte sie den Stahldildo in der Hand, der sie in gewisser Weise auch an einen Tannenbaum oder einen Schneemann erinnerte.
»Das ist eine gute Wahl, meine Dame. Und ich bin mir auch sicher, dass sie sich damit wohl fühlen werden.« Frauke klang auf einmal wie eine Verkäuferin im Warenhaus, die einer Kundin etwas Außergewöhnliches verkaufen wollte.
»Aber wollen sie das jetzt schon tragen?« Frau Hegel sah sich gezwungen zu intervenieren. »Ich würde es an ihrer Stelle eher langsam angehen.«
Julia wurde irgendwie aus ihrem Traum gerissen. »Ich habe eigentlich schon immer von so etwas geträumt. Vielleicht darf ich es wenigstens bis morgen früh tragen?«
»Bitte seien sie mir nicht böse, aber dazu möchte ich erst einmal ‚Nein‘ sagen.« An dieser Stelle musste sie Julia vor ihrem eigenen Mut schützen. »Sie wissen jetzt, dass es so etwas gibt. Und wenn sie morgen Abend immer noch der Meinung sind, dass sie es zusätzlich tragen möchten, dann habe ich dann nichts mehr dagegen.«
Julia erkannte, dass ihr Drängen unerwünscht war. Obwohl sie ein Kribbeln zwischen den Beinen spürte, beschloss sie, dem Rat nachzugeben. Außerdem wusste sie auch immer noch nicht, wie sich der Gürtel an sich tragen würde.
»Für den Gürtel sollten sie sich wirklich ganz ausziehen.« Frau Hegel lächelte verlegen. »Wenn sie möchten, lasse sich sie mit Frauke allein.«
Julia schüttelte den Kopf, obwohl es ihr unangenehm war, dass ihre Vermieterin genau ihre Bedenken getroffen hatte. Von daheim her war sie es zwar gewöhnt, wenig Intimsphäre zu haben, doch das war auch gar nicht das Problem. Sie vertraute Frauke mehr als ihrer Vermieterin und deswegen hatte sie ein schlechtes Gewissen.
»Sie machen das schon.« Frau Hegel glaubte, einen Kompromiss gefunden zu haben. Sie drehte sich weg und tat so, als würde sie die verschiedenen Zubehörteile sortieren.
»Es trägt sich eigentlich sehr angenehm.« Frauke hatte den Gürtel in der Hand. »Nur das Anlegen geht natürlich etwas anders als bei normaler Unterwäsche.« Insgeheim spürte sie das Vertrauen, dass Frau Hegel in sie setzte, und darüber war sie sehr dankbar. Es war ihr auch ein persönliches Anliegen, Julia den Gürtel beizubringen, denn wenn sie ihr dieses Schicksal schon nicht ersparen konnte, wollte sie es ihr doch so einfach wie möglich machen. »Bitte halte das fest und mache die Beine etwas breit.« Fraukes Stimme wurde etwas leiser.
Julia sah fasziniert zu, wie sich der Stahl langsam um ihren Bauch und zwischen ihre Beine schob. Den Verschluss des Gürtels hatte sie sofort erkannt und wusste, wie er zu schließen war. Sie war fasziniert davon, wie gut ihr der Gürtel passte. Erst später fiel ihr diesbezüglich ein, dass dafür sogar extra Maß genommen worden war.
»Bitte halte es jetzt fest, ich hole das Schloss.« Frauke war von dem Vorgang ebenfalls sichtlich fasziniert.
»Ich werde auch verschlossen?« Julia blickte scheinbar überrascht an sich herunter.
Der Versuch, sich naiv zu geben, wurde von Frauke sofort enttarnt. Doch sie war bereit, das Spiel mitzuspielen. »Das Schloss ist natürlich nur zur Diebstahlsicherung, falls dir jemand diesen kostbaren Gürtel stehlen möchte.«
»Verständlich.« Julia grinste trotz ihrer Nervosität.
»Sitzt er gut?« Frau Hegel hatte sich wieder umgedreht.
Julia keuchte ein wenig – mehr vor Anspannung und weniger wegen des Gürtels an sich. »Es ist ungewohnt.«
»Wollen wir ihr wirklich gleich alles anlegen?« Irgendwie hatte Frauke Skrupel und wollte Julia auf keinen Fall überfordern.
»Was hat Carolin denn am liebsten getragen?« Julia hätte gern alles getragen, doch sie wusste mittlerweile, dass es für den Anfang besser war, sich erst einmal zurück zu halten.
»Das ist eine gute Frage.« Frau Hegel versuchte unauffällig etwas Zeit zu gewinnen. Sie wollte Julia zwar nicht überfordern, doch genauso war sie bereit, ihre auffällige Begierde für die eigenen Zwecke auszunutzen. »Sie hat oft von dem vollen Geschirr geschwärmt.« Es war ihr eingefallen, dass im Tagebuch nur die Rede davon war, dass Carolin sich auf ihren Gürtel freute.
»Mit allen Ringen?« Frauke gab sich verwundert.
»Ja, mit allem. Aber für den Anfang wollen wir sie nicht überfordern.« Es war vielleicht sogar eine gute Taktik, das eigentlich volle Geschirr nur als den Anfang darzustellen, obwohl dies eigentlich recht hinterhältig war. »Wir machen jetzt mit dem BH und den Bändern für die Oberschenkel weiter.«
Julia gab sich ein wenig enttäuscht. Immerhin war sie freiwillig bereit, Carolins Erbe anzutreten und den Gürtel zu tragen. Sie erinnerte sich an die Formulierung aus dem Tagebuch. Doch sie hatte nicht erwartet, dass der ‚Gürtel‘ aus so viel Einzelteilen bestand. Vor allem die vielen Ringe hatten es ihr angetan, seit sie die kleine Skizze gesehen hatte und sofort erkannte, wo sie überall an ihren Armen und Beinen die Stahlringe tragen würde.
»Frauke, sie können Julia dann noch erklären, welchen Zweck die ganzen Zubehör-Teile haben und sie nach und nach ausprobieren.« Sie streichelte Julia über den Kopf. »Ich weiß ihren Ehrgeiz sehr zu schätzen, aber glauben sie es mir, es ist besser, wenn sie dies langsam angehen.«
Schließlich war Julia überzeugt. »Also gut.« Sie grinste und drehte sich zu Frauke. »Frau Wiesl, würden sie mir dann bitte den BH reichen?« Es war das erste Mal, dass sie bewusst Fraukes Nachnamen benutzte.
Die Dienerin wusste von den besondere Eigenschaften dieses Stahl-BHs, er war mit Neoprengummi ausgepolstert, damit das Metall nicht direkt auf der Haut lag. Für die Nippel gab es eine Aussparung, in die sie hineinwachsen konnten, wenn sie sich aufrichten – aber so knapp, dass sie im aufrechten Zustand eng umschlossen wurden.
Es gab eine Zeit, in der sie so etwas selbst tragen musste. Es hatte sie fast wahnsinnig gemacht, und sie war froh, als die die Quälgeister endlich wieder los wurde.
Es gab auch BHs mit Einbauten, so dass damit auch Vibrationen und Reizimpulse optimal übertragen werden konnten und die deswegen geeignet waren, die Trägerin damit fast in den Wahnsinn zu treiben.
Sei war erleichtert, als sie realisierte, dass der BH für Julia nur ausgepolstert war. Doch sie wusste, dass die Polster jederzeit austauschbar waren.
»Sag ‚Ciao‘ zu deinen beiden Lieblingen.« Frauke legte den Stahl-BH um Julias Schultern und führte die Teile zwischen ihren Brüsten zusammen.
Auch hier erkannte Julia sofort, wie der Verschluss gearbeitet war. Sie selbst nahm sich das Schloss von Tisch und brachte es an der entsprechenden Stelle an. Als es ‚Klick‘ machte, stöhnte sie leise auf. »Jetzt bitte zu den Schenkelbändern.«
»Bitte seien sie mir nicht böse, aber wir sollten es langsam angehen.« Obwohl es ihr schwer fiel, musste sie hier den Eifer etwas bremsen. Außerdem waren die Schenkelbändern ziemlich sinnfrei, wenn bei Julia schon der enge Rock ein Spreizen der Beine verhinderte. »Gewöhnen sie sich bitte erst einmal an diese Wäsche, und nach dem Abendessen machen wir mit den Schenkelbändern weiter.« Vor dem Wort ‚Wäsche‘ hatte Frau Hegel eine deutliche Pause gemacht.
Julia blickte ihr gegenüber etwas verwirrt an. Eigentlich hatte sie erwartet, dass ihr gleich ‚alles‘ angelegt werden würde. Mit einer Gnadenfrist hatte sie nicht gerechnet. Doch sie war entschlossen, diese Chance zu nutzen. Sie wunderte sich, wie es jetzt weiter gehen würde, doch sie wagte nicht, danach zu fragen. Sie sah, dass Frauke und Frau Hegel damit beschäftigt waren, die leeren Kartons wegzuräumen. Das schon ausgepackte Zubehör ließen sie allerdings in Sichtweite auf der Kommode liegen. Etwas beschäftigte Julia sehr. »Was ist mit dem Schlüssel? Ist es nicht sinnfrei, wenn ich ihn selbst behalte?«
Frau Hegel schaffte es nicht, ihre Überraschung zu verbergen. »Natürlich, da haben sie recht.« Sie holte tief Luft. »Es ist ein Entgegenkommen von uns. Falls sie in der Anfangsphase Probleme haben, möchten wir es ihnen leicht machen.«
»Ich darf es jederzeit ausziehen?« Julia war sich nicht sicher, ob sie die Worte ihrer Vermieterin wirklich richtig verstanden hatte.
»Jederzeit.« Die Frau des Professors bestätigte es noch einmal. »Aber wir würden uns freuen, wenn sie ihn nur dann ausziehen, wenn wirklich ein ernster Grund vorliegt.«
»Verständlich.« Julia musste an Carolin denken, und sie fragte sie, was dieses faszinierende Mädchen wohl an ihrer Stelle gedacht und empfunden hätte. Aus dem Tagebuch hatte sie erfahren, wie sehr sich Hegels Tochter auf den Gürtel gefreut hatte und insgeheim hoffte sie, Carolin wirklich würdig zu vertreten, wenn sie jetzt das Erbe antrat und für sie diesen Gürtel tragen würde. Da der Gürtel sie so gut wie überhaupt nicht störte, hatte sie fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen, weil es ihr so leicht fiel.
»Sie gehen jetzt bitte auf ihr Zimmer und bereiten sich auf das Abendessen vor.« Frau Hegel beobachtete ihre Mieterin heimlich und fragte sich, über was sie gerade zu grübeln schien. »Ich lasse sie rufen, wenn man Mann aus der Stadt zurück ist, damit wir gemeinsam essen können.«
Bei der Erwähnung ihres Professors zuckte Julia ein wenig zusammen, denn ihr war sofort klar, dass er über ihre besondere Unterwäsche Bescheid wissen würde. Sie wusste nicht genau warum, doch sie schämte sich ein wenig. Nur langsam realisierte sie, dass sie der Bitte oder besser dem Befehl ihrer Vermieterin nachkommen sollte.
Auf dem Weg durch das Treppenhaus fragte sich Julia, ob ihr Professor sie wohl auf die Stahlwäsche ansprechen würde. Sie hoffte, dass er erfreut darüber sein würde, das ausgerechnet seine Studentin auch noch in die Fußstapfen seiner Tochter treten würde, und das sie bereit war, diesen besonderen Weg zu gehen, auch wenn sie selbst noch nicht wusste, wohin der Weg überhaupt führen würde.
Immerhin hatte sie noch eine Nacht Bedenkzeit. Morgen früh sollte sie sich entscheiden, ob sie bereit war, den Gürtel zu tragen. Und zumindest in der ersten Woche hatte sie freien Zugriff auf den Schlüssel, mit dem sich der Gürtel abnehmen ließ. Danach hatte sie dieses Recht nicht mehr. Sie durfte dann nur noch um eine Pause bitten, wenn ernsthafte gesundheitliche Gründe vorliegen würden.
Natürlich durfte sie jederzeit um Befreiung bitten, aber dann musste sie Hegels verlassen. Und das wollte sie auf keinen Fall.
* * *
»Wie kommen sie mit Carolins Gürtel zurecht?« Herr Hegel legte sein Besteck weg und wischte sich den Mund ab. »Sie tragen ihn schon?«
Julia zuckte zusammen, denn genau diese Frage hatte sie befürchtet. Doch ihre Vermieterin kam ihr zu Hilfe.
»Winfried, du bist unfair.« Sie blickte ihren Mann empört an. »Sie trägt es doch gerade mal eine halbe Stunde.«
Julia war erleichtert, dass sie von Seiten seiner Frau Hilfe bekam. Trotzdem hatte sie sich eine Antwort zurecht gelegt. »Etwas ungewohnt, aber nicht schlecht.« Sie zögerte ein wenig. »Es gibt mir Sicherheit.«
»Wer hat den Schlüssel?« Herr Hegel blickte zwischen seiner Frau und Frauke hin und her.
Julia blickte auf, doch sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Es wäre besser, wenn sie den Schlüssel einer Person ihres Vertrauens geben würden.« Er benutzte den gleichen Tonfall, mit den er auch in seinen Vorlesungen seine Texte vortrug. Der Bund sah eigentlich vor, dass die zukünftigen Engel den Keuschheitsgürtel in den ersten Tagen selbst öffnen durften und erst nach einigen Tagen den Schlüssel abgeben mussten. Doch dem Professor gefiel der Gedanke nicht, dass Julia den Schlüssel bei sich haben würde.
Julia war zunächst entsetzt, denn sie konnte sich mit dem Gedanken, ihrem Professor den Schüssel zu gaben, überhaupt nicht anfreunden.
Er lächelte. »Ich denke, Frau Wiesl würde sich über das Vertrauen bestimmt sehr freuen.«
»Ja, das werde ich machen.« Julia war erleichtert. »Noch heute Abend.« Wie üblich war Frauke bei den Mahlzeiten nicht dabei. Außerdem gefiel ihr der Gedanke, sich so an Frauke auszuliefern.
»Sie sollten aber trotzdem darüber nachdenken, ob es nicht besser wäre, wenn mein Mann auch einen Schlüssel dafür hatte.« Frau Hegel hatte bewusst etwas leiser gesprochen.
»Warum denn das?« Julia wollte auf keinen Fall ‚nein‘ sagen, vor allem weil sie sich mit der Idee überhaupt nicht anfreunden konnte.
»Nun ja.« Frau Hegel zögerte ein wenig. »Sie haben bestimmt auch mal ein gewisses Geschäft zu erledigen.«
Julia war in dem Moment so verzaubert, dass sie erst nach einiger Zeit erkannte, was eigentlich damit gemeint war. »Was raten sie mir?« Auch wenn ihr der Gedanke überhaupt nicht gefiel, wollte sie es doch in der Gesamtheit nicht ablehnen.
Frau Hegel griff zu dem kleinen Päckchen, welches sie sich bereit gelegt hatte. »Es wäre zwar ein wenig demütigend, aber für Notfälle können sie auch hierauf zurückgreifen.« Sie reichte ihre das Päckchen.
Julia nahm es in die Hand und sah schon auf den ersten Blick, dass sie eine Erwachsenenwindel in der Hand hatte. Sie hielt den Atem an, ließ es vor sich auf den Tisch fallen und suchte nach einer Antwort.
»Wenn sie eine Hose anhaben, würde es etwas auftragen.« Frau Hegel sprach mit einer sehr ruhigen Stimme. »Aber unter einem Rock ist es praktisch unsichtbar.«
Julia war zunächst entsetzt und wollte diese Demütigung auf keinen Fall auf sich nehmen, doch dann trat sie gedanklich einen Schritt zurück und betrachtete die Gesamtsituation. Diese Leute hatten große Erfahrung, und diese Windel wäre ein Mittel, mit dem sie ein Malheur eine gewisse Zeit verstecken konnte. Sie griff wieder zu dem Paket und betrachtete es etwas aufmerksamer. Erst jetzt sah sie den Aufkleber, der an einer Stelle aufgeklebt war. ‚Notfall-Set‘ war dort aufgedruckt, und gleich darunter stand der ihr schon bekannte und zugleich so rätselhafte Schriftzug ‚ARCANVM ANGELARVM‘. In ihr tobten ihre Gefühle um die Wette.
»Das wäre ein probates Mittel.« Frau Hegel beobachtete ihre Mieterin genau. »Es wird aber nur in Notfällen benutzt.«
»Wie hätte Carolin es denn gehalten?« Sie war sich immer noch unsicher, ob sie dies überhaupt fragen durfte. Sie achtete auf jeden Fall darauf, dass sie den Konjunktiv benutzte.
»Wir können nur spekulieren«, erwiderte Frau Hegel. »Aber diese Windel hätte sie bestimmt dabei gehabt.«
»Dann möchte ich das auch so halten. Und der Schlüssel kann bei Frau Wiesl bleiben.« Irgendwie konnte sich Julia mit dem Gedanken, ihr Professor hätte den Schlüssel, überhaupt nicht anfreunden. Es reichte ihr schon, dass er wissen würde, warum sie sich jetzt etwas anders bewegen würde. Dafür war sie sogar bereit, die Windel bei sich zu tragen.
Frau Hegel reichte ihr noch einen Gegenstand. Er hatte ein wenig Ähnlichkeit mit einer großen Spritze. »Falls sie sich nach dem kleinen Geschäft sauber machen möchte.«
Julia nahm es dankbar entgegen. Sie betrachtete es noch einmal sehr aufmerksam, während sie langsam ein Gedanke in ihre Gedanken schlich. Der Gürtel würde sie nicht stören, er würde nur ihren Alltag in gewissen Situationen etwas umständlicher machen. Sie lächelte leicht. »Vielen Dank.«
* * *
Frauke klopfte leicht an Julias Tür, gleich darauf trat sie ein. »Ich wollte mal hören, was du heute noch vor hast und ob du eventuell meine Hilfe brauchst?«
Julia sah von ihrem Buch auf und grinste. »Das wäre allerdings etwas, was ich probieren möchte.«
»Nun lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.« Frauke verdrehte die Augen. »Was möchtest du tragen?«
»Alles...« Julia strahlte bis über beide Ohren.
»Alles?« Frauke war verwundert. »Was meinst du mit ‚alles‘?«
»Nun ja, ich dachte an diese Mörderstiefel, den Handschuh, das Perlennetz und vielleicht noch ein… wie heißen diese Dinger?« Sie blickte zum Schrank.
Frauke war mit Blick gefolgt. »Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Diese Halskorsetts, jetzt weiß ich es wieder...« Julia strahlte weiterhin. »Gelernt habe ich heute genug, jetzt möchte ich noch ein wenig genießen.«
Frauke blickte verwundert auf.
»Okay, ich sollte es besser ‚trainieren‘ nennen.« Sie grinste.
»Bist du dir da ganz sicher?« Frauke blieb skeptisch.
»Ja natürlich.« Julia wurde ungeduldig. »Warum fragst du?«
»Ich frage mich, ob du nicht zu mutig bist und dir zu viel auf einmal vornimmst.« Natürlich wäre Frauke von der dann so ultimativ hilflosen Studentin fasziniert, doch das wollte sie auf keinen Fall zugeben oder sich anmerken lassen. »Wir sollten vor her Hegels fragen...«
»Wenn du meinst…?« Julia spürte, dass Frauke die Verantwortung nicht allein tragen wollte, deswegen stand sie auf und ging zur Tür.
»Ich glaube, sie sind auf der Terrasse.« Frauke ging erleichtert hinterher.
»Frau Hegel, wir hätten da eine Frage.« Frauke hatte darauf geachtet, dass sie als erste auf der Terrasse war.
»Und zwar?« Die Frau des Professors legte die Zeitung weg, in der sie gerade gelesen hatte und blickte kurz zu ihrem Mann.
Frauke musste sich räuspern. »Julia möchte für eine halbe Stunde alles tragen, einfach alles.«
»Was meinen sie mit ‚alles‘? Frau Hegel blickte zwischen den beiden hin und her.
Julia wiederholte ihre Aufzählung.
Frau Hegel war sichtlich verwundert. »Was meinst du, Winfried. Können wir das erlauben?«
Herr Hegel richtete sich auf. »Unter einer Bedingung…«
»Und die wäre?« Julia hatte überhaupt keine Idee, was nun kommen würde.
»Sie gehen dann mindestens eine Runde im Garten spazieren.« Während ihr Professor dies aussprach, blieb seine Stimme sowohl ruhig als auch bestimmt.
Julia musste schlucken. War sie wirklich schon so weit und vor allem so mutig? »Das ist heftig.«
»Wir machen es einfach.« Herr Hegel blickte seine Studentin ermutigend an. »Entweder richtig oder gar nicht.«
Julia blickte Frauke fragend an.
Frauke wusste nichts zu erwidern. Sie zuckte nur mit den Schultern. »Wenn du es möchtest?«
Der Professor kam ihr interessanterweise zu Hilfe. » Ich möchte sehen, wie gut sie schon mit den Sachen zurecht kommen.«
Julia blickte sich zweifelnd um. Von der Terrasse führten ein paar weniger Stufen auf den Rasen davor. Doch dann rief sie sich ins Gedächtnis, wie sie dann aussehen würde, und auf einmal spürte sie ein gewisses Kribbeln. »Ja, ich möchte es probieren.«
»Sind sie sich sicher? Bist du dir sicher?« Frau Hegel und Frauke stellten die Frage fast gleichzeitig.
»Was werden bloß die Nachbarn sagen?« Frau Hegel klang besorgt.
»Das, was sie immer gesagt haben, wenn wir so weit waren.« Herr Hegel klang auf einmal leicht energisch. »Lassen wir uns davon stören?«
»Nein, das tun wir nicht.« Frau Hegel klang in dem Moment etwas trotzig. Sie drehte sich der Studentin um. »Frau Sommer, bitte beginnen sie ihr Training.«
Erst jetzt dämmerte Julia, dass sie mit den Stiefeln und den gefangenen Armen als erstes Treppensteigen musste. Sie blickte Frauke ein wenig erschrocken an. »Die Treppe?« Eigentlich hatte sie sich schon im Garten gesehen.
»Ich helfe dir mit allem.« Frauke freute sich insgeheim schon darauf, Julia einmal wirklich in vollständiger Rüstung zu erleben, und sie war fest entschlossen, ihr bei allen dann auftretenden Problemen zu helfen.
»Haben sie sich schon mit der Perlensprache vertraut gemacht?« Herr Hegel hatte auf einmal ein gewisses Leuchten in den Augen.
»Winfried, bitte…« Seine Frau versuchte ihn zu bremsen.
»Lassen sie nur, Frau Hegel.« Julia fühlte sich zu einem Widerspruch ermutigt. »Ich habe es bei Patricia gesehen, und ich glaube, ich weiß was gemeint ist.«
Herr Hegel lächelte. »Langsam sprechen und immer die Lippen weit auf machen.«
Frau Hegel mischte sich ein. »Und nicht daran stören lassen, wenn etwas Speichel aus dem Mund fließt.«
»Ich weiß.« Julia seufzte hörbar. »Ich hoffe, dass ich es einigermaßen würdevoll hinbekomme.«
»Machen sie sich um das Sabbern keine Gedanken.« Herr Hegel blickte kurz zu seiner Frau. »im Gegenteil, bei den Engeln ist es gern gesehen. Aber aber werden sie bald erfahren.«
* * *
Auf dem Weg zum Umziehen war Frauke etwas bedrückt, denn sie wusste, was noch alles auf Julia wartete, und sie hätte ihrer ‚kleinen Schwester‘ dieses Schicksal gern erspart. Doch sie durfte nichts von ihrem Wissen erzählen, weil sie sonst Hegels eigentliche Ziele gefährdet hatte.
Auf einmal fiel ihr auf, dass auch Julia verunsichert war. »Was ist los?« Frauke war verwundert.
Julia blickte verlegen in den Spiegel in ihrem Zimmer. »Mir ist gerade klar geworden, dass mich jetzt mein Professor so sehen wird.«
»Ja und?« Frauke blickte auf. »Ist das ein Problem?«
»Was wird er nur von mir denken, wenn er merkt, dass es mir Spaß macht?« Julia seufzte tief.
»Er wird sich darüber freuen.« Frauke war erleichtert, dass es so ein einfaches Problem war. »Und glaube mir, er kann berufliches von privatem trennen.«
Julia war sichtlich verlegen. »Wie meinst du das?«
»Nun«, Frauke holte tief Luft. »Er wird dich bestimmt einmal fragen, wie dir die Sachen alle gefallen haben. Und dann solltest du ehrlich antworten.«
Julia blickte die Dienerin verwundert an.
»Ich würde dir gern noch ein paar Tipps zu dem Gürtel geben.« Frauke wusste, dass sie Julia wertvolle Hinweise liefern konnte. »Weißt du schon, wie du mit der Spritze umzugehen hast und wann sie wichtig ist?«
»Nach dem kleinen Geschäft?« Das Thema war Julia zwar unangenehm, doch sie war begierig, möglichst viel Tipps zu bekommen.
»Genau. Die Spritze erlaubt es dir, dich wieder sauber zu machen.« Frauke lächelte verlegen. »Es ist zwar etwas umständlich, aber wenn du erst einmal den Bogen raus hast, ist es einfach. Es dauert nur etwas länger.«
Julia grinste trotz des sehr intimen Themas.
»Und du solltest immer warmes Wasser nehmen« Fraukes verzog das Gesicht. »Es sei denn, du stehst auf Schocktherapie.«
»Oh, von daheim bin ich kaltes Wasser gewöhnt.« Sie klang sentimental. »Wir hatte auf dem Bauernhof lange nur kaltes Wasser.«
Frauke blickte sie verwundert an. »Du überrascht mich immer wieder.«
Julia grinste leicht, doch dann wurde sie wieder ernst. »Und nach dem großen Geschäft? Was kann ich da machen?«
»Am besten wäre es, wenn du danach gleich unter die Dusche gehst.« Frauke gab ihre eigenen Erfahrungen wieder.
»Verständlich.« Julia wollte diese Antwort eigentlich nicht hören. »Das setzt aber gute Planung voraus.«
»Oder du geht an das Notfallset.« Frauke nickte. »Du kannst es ja jetzt gleich einmal üben.«
»Das kleine oder das große?« Julia war erstaunt.
»Das kleine natürlich.« Frauke grinste.
»Warten Hegels nicht auf uns?« Julia war es gewohnt, ihre Umgebung stets im Auge zu behalten.
»Ja, das schon.« Sie holte tief Luft. »Aber sie werden Verständnis haben, wenn es bei dir beim ersten Mal noch länger dauert.«
Julia dachte den Gedanken weiter. »Ich werde ja völlig hilflos sein.«
Frauke kam um ein Grinsen nicht herum. »Erstens bin ich ja bei dir. Und zweitens, glaubst du, Patricia wird es einfacher haben?«
»Die hat ja auch mehr Übung.« Die Studentin merkte selbst, wie schwach dieses Argument war.
»Worauf wartest du also?« Frauke hatte leichte Ungeduld in ihrer Stimme.
»Was wird er wohl sagen?« Julia zögerte immer noch.
»Dein Professor?« Frauke fragte sich, vor wem sie sonst so einen Respekt haben würde.
»Ja.« Ihre Stimme zitterte.
»Er wird stolz auf dich sein.« Frauke holte tief Luft. »Und auch, wenn ich mich wiederhole: Er kann berufliches und privates auch trennen.«
»Meinst du?« Julia war sich immer noch unsicher. »Wird er sich sich behalten, was er über mich weiß?«
»Warum sollte er es ausplaudern, und vor allem: wem gegenüber.« Frauke hoffte, dass es die richtigen Worten sein würden.
»Ich glaube, du hast recht.« Julia blickte immer noch ein wenig zweifelnd auf die drei Schränke.
»Natürlich. Und glaube mir, er wird stolz auf dich sein.« Frauke musste kurz an das denken, was sie selbst nicht geschafft hatte. »Du wirst nicht nur eine gute Studentin sein, sondern auch ein guter Engel.«
Julia war auf einen Schlag wieder nüchtern. »Was hat es eigentlich auf sich mit diesen Engeln?«
»Das werden sie noch früh genug erfahren.« Frau Hegel stand auf einmal im Raum. »Bitte entschuldigen sie, dass ich einfach so herein gekommen bin. Ich wollte schauen, wie weit sie sind.«
»Wir haben noch gar nicht angefangen.« Julia hatte das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.
»Zu zweit geht es schneller.« Frau Hegel lächelte ein wenig verlegen. »Vorausgesetzt, sie haben nicht dagegen.«
»Können wir dann anfangen?« Julia konnte nicht verhindern, dass sie etwas ungeduldig klang. Sie blickte sich um. »Mit was fangen wir an?« Ihre Augen leuchteten voller Vorfreude auf das anstehende Abenteuer.
Frau Hegel freute sich insgeheim über den Ehrgeiz. Damit würden Julia später die eigentlichen Pflichten sehr viel leichter fallen. »Zuerst das Halskorsett.« Sie ging zum Schrank und holte etwas heraus. »Wir nehmen erst einmal ein kleines Korsett.«
Julia blickte verwundert auf das, was ihre Vermieterin in den Händen hielt. Trotz ihrer Anspannung musste sie lachen. »Wenn das ein Kleines ist, wie sehen denn dann die Großen aus?«
Frauke musste lächeln. »Glaube mir, das willst du nicht wissen.«
Frau Hegel räusperte sich. »Frau Wiesl, das war keine gute Antwort.«
»Ja, Frau Hegel.« Sie drehte sich zu Julia. »Entschuldige bitte. Es geht darum, wie viel des Gesichts vom Halskorsett bedeckt wird. Und dieses hier reicht nur bis zum Kinn.«
Julia war noch dabei, über den Satz nachzudenken.
»Und bevor sie fragen«, ergänzte Frau Hegel. »Sie können sonst das Perlennetz nicht tragen. Und das wollen sie ja auch.«
Julia nickte verlegen, denn sie fühlte sich ertappt.
»Das Halskorsett ist so gearbeitet, dass es bis an das große Korsett heran reichen wird.« Fraukes Stimme wurde etwas leiser.
»Wenn es denn fertig geworden ist«, ergänzte Frau Hegel.
»Ich bin dann ganz eingepackt?« Julias Stimme zitterte ein wenig.
»Ja, so könnte man das sehen.« Auch Frau Hegel war von der Vorstellung fasziniert.
»Hört sich gut an.« Julia keuchte ein wenig, als Frauke das Halskorsett vorsichtig um ihren Hals legte.
»Achten sie bitte darauf, dass sie es nicht zu fest zuschnüren.« Frau Hegel reichte Frauke die entsprechende Schnur. »Wenn sie erst einmal ihr eigenes Halskorsett bekommen hat, das ist das etwas anderes.«
Julia hörte fasziniert zu, während sich das Leder immer mehr um ihren Hals schmiegte. Sie spürte deutlich, wie sie immer mehr ihrer Bewegungsfreiheit verlor.
»Mit dem Handschuh sind sie ja schon vertraut.« Frau Hegel lächelte. »Aber werden sie wirklich eine halbe Stunde aushalten?« Sie lächelte, als sie sah, dass Julia ihre Arme schon auf den Rücken gelegt hatte.
»Wo ist das Problem?« Frauke blickte verwundert auf Frau Hegel. »Wenn es weh tut, öffnen wir einfach den Reißverschluss.«
»Stimmt, das ist ja der Trainingshandschuh.« Sie strich gedankenverloren über das Leder. »Damit ist das möglich.«
Julia erkannte erst später den eigentlichen Sinn dieses Satzes. Es würde Zeiten geben, in denen sie den Handschuh nicht mehr so einfach würde ablegen können. Doch noch musste sie sich damit nicht auseinandersetzen. Sie stöhnte leise, als sie das Leder auf ihren Armen spürte.
»Und die Stiefel wollen sie auch gleich tragen?« Frau Hegel hatte die beiden bis zum Knie reichenden Ballettstiefel in der Hand. »Sind sie sich wirklich sicher, dass sie damit schon gehen können?«
»Das ging gestern doch schon ganz gut.« Julia hatte ein wenig Angst, dass Frau Hegel ihr diesen besonderen Auftritt noch verbieten würde. »Es waren zwar nur wenige Schritte, aber ich habe sofort gemerkt, dass es mir leicht fällt.« Um ihre Worte zu unterstreichen, ging sie trotz ihrer auf dem Rücken festgehaltenen Arme ein paar Schritte auf den Zehenspitzen.
Frauke machte den Mund auf, denn sie wollte etwas erwidern.
Doch dann wurde sie von Frau Hegel mit einem schnellen Wink zurückgehalten. Neid oder Ärger über das eigene Unvermögen waren jetzt fehl am Platz.
»Ich habe nur etwas Respekt vor der Treppe, wenn ich mich nicht festhalten kann.« Julia lächelte leicht verlegen. Sie setzte sich auf das Bett und streckte ihren Beine aus.
»So fair sind wir, nicht war Frau Wiesl?« Frau Hegel hatte Mühe, ihre Begeisterung über Julias Ehrgeiz zu verbergen. »Sie werden Julia die ganze Zeit zur Seite stehen und ihr bei allem helfen.«
»Das mache ich doch gern.« Frauke hatte genauso Probleme, ihre Freude nicht zu zeigen. Julia würde wirklich sehr hilflos sein. Doch dann wurde sie nachdenklich. War sie wirklich so hilflos? Sie konnte zwar ihre Arme nicht mehr bewegen und trug die Perle im Mund, doch sie war fest entschlossen, sich so bei ihrem Professor vorzustellen. Sie war eine starke Frau, die es gewohnt war, mit den Widrigkeiten des Alltags umzugehen. Wobei sie sich dieses Mal diese Widrigkeiten selbst zusammengestellt hatte.
Fasziniert beobachtete Julia, wie sich das stark glänzende Leder der Stiefel sich langsam um ihre Beine schmiegte und ihren Füßen eine ganz bestimme, sehr reizvolle Haltung aufzwang.
»Den Rock machen wir bitte auch ganz zu.« Julia grinste verschmitzt. »Dann fällt es nicht so auf, wenn ich wegen der Stiefel nur Trippelschritte mache.«
Frauke kam der Bitte sofort nach, als sie sah, dass Julia ihre Beine leichte aneinander presste. Danach erhob sie sich wieder.
»Sie sollten trotzdem auf den Rasen aufpassen, weil es dort die eine oder andere Unebenheit gibt.« Frau Hegel seufzte. »Er ist nicht so gepflegt, wie es das eigentlich bräuchte. Es wäre nicht gut, wenn sie deswegen stolpern würden.« Sie musste insgeheim grinsen. Ohne dass es Julia wirklich bewusst war, machte das Mädchen viel, um sich von dem eigentlich Neuen, dem Gürtel abzulenken. Und auch deswegen hatte Frau Hegel sich sofort hinter ihre diesbezüglichen Pläne gestellt. Doch da war noch etwas. Sie trat an Frauke heran und flüsterte. »Frau Wiesl, bitte geben sie gut auf Julia acht, wenn sie auf dem Rasen ist. Ich rechne sehr damit, dass sie kommen wird.«
Frauke braucht einen Moment, bis sie erkannt hatte, was Frau Hegel mit diesen Worten wirklich gemeint hatte. Die Nachfrage, ob sie sich sicher wäre, sparte sich Frauke, denn sie hatte Julias leuchtende Augen gesehen. Dazu kam noch das Adrenalin, wenn sie sich so vor ihrem Professor zeigen würde. Die Dienerin würde vorbereitet sein. Und ein wenig Eifersucht war auch dabei.
»Jetzt kommt noch das Perlennetz.« Julia strahlte jetzt schon über das ganze Gesicht. »Wie wird es es wohl finden? Und wie werde ich zurecht kommen?« Sie drehte sich langsam zu Frauke und öffnete ihren Mund.
Frauke lächelte. »Eigentlich legt es sich der vorbildliche Engel immer als Erstes an.«
Frau Hegel lächelte ebenfalls. »Aber wir wollten ihnen Gelegenheit geben, uns bis zuletzt Feedback geben zu können.«
Julia begriff es zunächst als großes Entgegenkommen. »Danke dafür. Aber es geht mir immer noch gut. Und eine halbe Stunde werde ich das sicher aushalten.« Erst später begriff sie den tieferen Sinn von Fraukes Aussage.
Die Dienerin schob zunächst die Perle in Julias Mund, dann begann sie die Riemen zu sortieren und dann festzuschnallen.
»Das Netz steht ihnen sehr gut.« Frau Hegel war von dem Anblick sehr angetan. »Sie haben das passende Gesicht dafür.«
Julia war sich nicht sicher, ob sie sich über diese außergewöhnliche Kompliment wirklich freuen durfte, denn eigentlich trug sie ja nur einen Ball im Mund, der von verschiedenen Riemen um ihren Kopf festgehalten wurde. Doch der stetige Druck des fest um ihren Kopf gespannte Riemengeschirr gefiel ihr gut, und so begann sie leise zu stöhnen. Nicht unbedingt schon lustvoll, eher war es der Ausdruck einer satten Zufriedenheit.
»Drehe dich mal zum Spiegel.« Frauke lächelte. »Du möchtest sicher wissen, wie du aussieht.« Sie hielt die Haarbürste in der Hand, die vor dem Spiegel bereit lag. »Damit können wir deine Haare noch ein wenig ordnen.«
Julia wollte Frauke dankbar ansehen, doch sie musste feststellen, dass sie auch dafür ihren ganzen Körper drehen musste. Fasziniert blickte sie in den Spiegel. Erst jetzt realisierte sie, dass sie wegen der Stiefel fast zehn Zentimeter größer war als sonst. Doch viel mehr war sie von ihrem riemenverzierten Gesicht fasziniert. Es fiel ihr regelrecht schwer, sich von dem Anblick loszureißen.
»Bitte halten sie sie fest. Der Rasen ist nicht so eben, wie es auf den ersten Blick aussieht.« Professor Hegel war sogar aufgestanden, als Julia in voller Rüstung und mit Trippelschritten auf die Terrasse kam. »Und machen sie ihr für den Anfang den Schrittreißverschluss auf. Wir wollen ihr es ja einfach machen.«
Julia blickte verwundert auf ihr Professor, doch sie traute sich nicht, ihre Lippen zu bewegen. Sie hätte wegen des Reißverschlusses gern widersprochen, doch dies traute sie sich gleich doppelt nicht. Erstes hatte ihr Professor diesen Vorschlag gemacht und dann wollte sie auch vermeiden, dass Speichel aus ihrem Mund laufen würde.
»Sie sehen wirklich schön aus mit dem Perlennetz, es steht ihnen gut.« Herr Hegel lächelte.
Julia nickte einmal.
»Trauen sie sich ruhig zu antworten. Sie brauchen sich wegen dem Speichel nicht zu schämen.« Frau Hegel mischte sich ein. »Je eher sie sich daran gewöhnt haben, desto besser.«
»Es hängt mit den Engeln zusammen.« Frauke kam ihr zu Hilfe. »Dort ist es gern gesehen.«
Julia war nun schon so oft auf die Engel gestoßen, dass sie gern gewusst hätte, um was es sich dabei wirklich handeln würde. Doch irgendwie ahnte sie, dass sie die Antwort dazu noch nicht bekommen würde. Innerlich seufzend drehte sie sich in Richtung der Stufen und machte sich auf den Weg, um ihre Pflichtrunde auf dem Rasen zu absolvieren.
Die wenigen Stufen der Terrasse hinab stellten für Julia gar kein Problem dar. Es störte sie fast ein wenig, dass Frauke dabei festhielt. Doch sie wollte sich auch nicht von ihr lösen. Was natürlich zum größten Teil daran lag, dass sie in ihrer fast völligen Hilflosigkeit überhaupt keine Möglichkeiten mehr dazu hatte. Sie riskierte allenfalls, dass sie stolpern und hinfallen würde. Und das wollte sie auf jeden Fall vermeiden.
Als sie den Rasen betreten hatte, fühlte sie ein bisher nicht bekanntes Glücksgefühl. Sie wusste, dass sie fast alle Sachen von Carolin trug, inklusive des Gürtel und dieser seltsamen Stiefel, und sie wusste, dass ihr Professor sie beobachtete. Seit sie mit ihm mehrmals zur Uni gefahren war, hatte sich ein Gefühl von vorsichtiger Freundschaft entwickelt. Gerade das machte es jetzt doppelt schwierig, sich in Carolins Sachen würdevoll zu bewegen. Doch mit jedem Schritt spürte sie, wie sie immer sicherer wurde, und sie merkte, dass sie sich in die Geborgenheit der ledernen Umarmung fallen lassen konnte.
Sowohl Fraukes leichte Berührungen als auch die hoffnungsvollen Blicke des Ehepaars Hegels begleiteten sie, und sie fühlte sich zum Teil an ihren Traum erinnert. Sowohl ihr Professor als auch seine Frau schauten auf ihre Gestalt und schienen sich mit jedem Schritt mehr zu freuen.
Julia begann leise zu stöhnen, denn ihr Körper wurde von Glückshormonen überströmt. Sie trug fast alles, was auch für Hegels Tochter vorgesehen war, und ihr wurde mehrfach vermittelt, dass auch sie selbst auf dem besten Weg zu einem guten Engel war.
Langsam ließ ihre Anspannung nach, und sie fühle, wie sie sich wirklich in ihre Fesseln fallen lassen durfte. Sie spürte das Leder an ihren Armen und die Riemen in ihrem Gesicht. Fraukes Hände schienen sie langsam zu streicheln.
Immer lauter wurde ihr Stöhnen, und dass ihr einiger Speichel aus dem Mund lief, störte sie überhaupt nicht mehr, auch weil ihr versichert wurde, dass dies zu einem guten Engel dazu gehören würde.
Diese Engel. Sie fühlte, dass sie auf einem guten Weg unterwegs war, und dass ihr fast alles Spaß machte, erregte sie zusätzlich.
Erst als sie den Orgasmus in ihrem Körper spürte, blieb sie stehen und war über Fraukes einfühlsame Reaktion sehr dankbar. Sie hatte sie einfach in den Arm genommen und hielt sie fest. Sie kam erst wieder zu sich, als ihr Professor vor ihr stand.
»Ich bin sehr stolz auf sie.« Er streichelte ihr vorsichtig über die Wange. »Jetzt bin ich sicher, dass sie ein guter Engel werden.«
Julia betrat langsam wieder die Erde und genauso langsam realisierte sie das Lob, welches sie gerade von ihrem Professor bekommen hatte.
»Lass uns die Runde noch zu Ende gehen.« Auch Frauke war von dem Höhepunkt sehr beeindruckt, obwohl sie von Frau Hegel darauf vorbereitet war. Sie war tief in sich ein wenig neidisch, denn sie selbst hatte es nie geschafft, sich so weit fallen zu lassen. Über die Gründe dazu wollte sie in diesem Moment des Glückes aber nicht nachdenken.
»Wenn sie möchten, können sie sich dann zurück ziehen.« Der Professor begab sich wieder auf die Terrasse und setzte sich wieder auf seinen Liegestuhl.
Frau Hegel war extra aufgestanden. Als Julia langsam an ihr vorbei ging, streichelte sie ihr noch einmal sehr zärtlich, aber wortlos über den Kopf.
* * *
»Den Gute-Nacht-Kuss gibt es heute nicht mehr. Du hattest schon deinen Spaß.« Frauke versuchte, eine vorwurfsvollen Miene aufzusetzen. Eifersucht brauchte sie nicht mehr vorzuspielen, denn es wurmte sie wirklich, dass Julia ganz ohne ihr Zutun gekommen war.
Julia hatte ihre Freundin sofort durchschaut, doch sie war bereit, das Spiel mitzuspielen. »Sie müssen mir glauben, Herrin, das war keine Absicht.« Sie blickte noch einmal im Zimmer umher. Die Sachen vom Spaziergang waren alle wieder weggeräumt und sie selbst lag schon in dem strengen Nachthemd auf dem Bett. Kurz zuvor war Frau Hegel noch einmal bei ihr gewesen, um beim Abnehmen des Keuschheitsgürtel dabei zu sein und ihren Körper an den entsprechenden Stellen auf Druckstellen zu prüfen. Doch zu Julias Erleichterung gab es nichts zu beanstanden.
»So so?« Frauke strich noch einmal durch ihr Gesicht. »Hattest du den meine Erlaubnis dazu?«
»Nein!« Julia gab sich schuldbewusst. »Ich habe ohne ihre Erlaubnis gehandelt.«
»Nun, für die Ehrlichkeit will ich Gnade walten lassen.« Frauke gab sich Mühe, nach wie vor streng auszusehen. »Aber eine Strafe ist trotzdem fällig.«
»Bitte bestrafen sie mich, Herrin.« Julia war mehr als bereit, dass Spiel mitzuspielen. Außerdem hatte sie verpackt in dem strengen Nachthemd ohnehin keine Wahl. Sie wusste, dass sie für einen Einschlaf-Höhepunkt auf Frauke angewiesen war.
Frauke grinste teuflisch, als sie wie den Abend zuvor wieder zu Fernbedienung griff.