Maria

Maria – Das Halskorsett

Autor: Karl Kollar

Mrs. Potter wählte die Nummer, die mit den vielen Nullen begann und wartete, bis die Verbindung in die USA hergestellt war. Die Sekretärin war dran. Als diese die Stimme von Mrs. Potter hörte, wusste sie schon, was zu tun war und Marias Erzieherin musste nur noch kurz warten.

»Frederike hier«, meldete sich Marias Mutter. »Was gibt es neues?« Innerlich verdrehte Mrs. Potter die Augen. Immer diese Hetze. Doch dann begann sie ihrer Auftraggeberin von den Ereignissen der Woche zu berichten.

»Die schulischen Leistungen sind in Ordnung. Das Abitur wird sie sicher bestehen. Nur Mathe ist ein Problem.« Das war, das wussten beide, nicht wirklich etwas neues. »Doch jetzt hat sie einen neuen Nachhilfe-Lehrer und ich glaube sogar, zwischen den Beiden hat es gefunkt.«

Frederike Beller freute sich für ihre Tochter, denn sie wusste, das es für Maria nicht einfach war, einen Freund zu finden. Und dass sie jetzt hoffentlich sogar ihre Liebe gefunden hatte, war doppelt schön. Natürlich musste Frederike sich auch eingestehen, das ihr die Liebe ihrer Tochter auch bestens in ihr Konzept passte. So könnte der Plan doch noch aufgehen.

Mrs. Potter blickte auf ihre Notizen, dann bemühte sie sich, eine möglichst kurze, aber umfassende Beschreibung von Paul zu geben. Sie berichtete über seine Art, sein Wesen und vor allem den sehr guten Einfluss auf Maria.

Marias Mutter wurde immer nervöser. »Passt unser Programm oder müssen wir da etwas anpassen?«

Mrs. Potter versuchte Ruhe auszustrahlen. »Das passt so, denke ich. Wir werden ihn wie vorgesehen integrieren.«

»Wie viel weiß er schon?«, fragte die Mutter.

»Nur das Äußere.« Die Erzieherin berichtete, dass Paul Marias Monohandschuh bei der Nachhilfe gesehen hatte und das Paul darauf sehr gut reagiert hatte.

»Müssen wir dann ihren Tagesablauf nicht doch anpassen?« Frederike war skeptisch.

Mrs. Potter war dagegen. »Nein, er soll sich daran anpassen. Das wird dann gleich seine erste Prüfung.«

Marias Mutter fragte nach weiteren Ereignissen. Erst fiel der Erzieherin nichts wichtiges ein, doch dann musste sie daran denken, wie sie Maria eben ins Bett gebracht hatte. »Das große ganz lange Bett-Korsett konnte ich heute ganz zuschnüren.«

»Oh, das ist sehr schön.« Marias Mutter war von der Nachricht sehr angetan. »Dann bekommt sie in den Ferien gleich ein Neues angemessen.«

Sie sprach es nicht aus, aber sie dachte daran, wie schwer es dann für Maria in den Sommerferien werden würde, wenn ihre Tochter sie besuchen kommen würde. Sie beschloss, ihr deswegen davon noch nichts zu sagen, um ihr die Vorfreude nicht zu verderben.

Mrs. Potter fragte nach dem nächsten Termin für den Anruf. Frederike schlug vor, das Marias Erzieherin am Samstag wieder berichten sollte. Die Verabschiedung war kurz und nüchtern.

Mrs. Potter schaute danach noch einmal kurz zu Maria ins Zimmer hinein. Der leichte Atem zeigte an, dass Maria schon eingeschlafen war.

* * *

Stolz lag das große Schloss auf dem Hügel, beschienen von der untergehenden, schon fast rot leuchtenden Abendsonne. Die Strahlen warfen einen letzten sonnigen Gruß durch die hohen Fenster in den festlich geschmückten barocken Ballsaal. Drinnen funkelte das Sonnenlicht mit dem Licht der Kronleuchter und den Tausenden von Kerzen um die Wette.

Die Musiker spielten seichte Stücke zur Unterhaltung. Alle warteten auf die Befreiung der Debütantinnen, mit denen die Prinzen den Ball eröffneten. Bis dahin blieb die Tanzfläche leer.

Es lag eine gewisse Spannung im Raum. Es war für jede Debütantin eine große Ehre, hier an ihrem Pfeiler stehen zu dürfen und auf ihren Prinzen zu warten. Besonders aufregend war es, wenn der Zeremonienmeister ihre Handgelenke mit den goldenen Schlössern an die Pfeiler schloss. Und jede von ihnen fragte sich, ob ihr Prinz sie wohl wieder befreien würde. Den Schlüssel dazu bekamen sie vom Zeremonienmeister um den Hals gehängt.

Maria blickte auf die kleine Erhörung am anderen Ende des Saales. Dort standen die Elevinnen in ihren festlichen Kleidern. Von dort durften sie den ganzen Abend dem Treiben auf dem Ball zusehen. Es sah sehr hübsch aus, wie sie da abwechselnd in Weiß und in Rosa vor den kleinen Säulen standen.

Als besonderes Detail trugen diesmal die Mädchen mit weißem Kleid einen rosa Monohandschuh und die mit dem rosa Kleid einen in Weiß. Die Kleider gingen bis zum Boden und so war nicht zu sehen, warum sie sich nicht von ihrem Platz entfernen konnte. So war es leichter, den ganzen Abend dort oben stehen zu müssen. Maria wurde rot, wenn sie daran dachte.

Die Elevinnen waren aber auch sichtbar an ihren Platz gebunden. Die Spitze des Monohandschuhs war mit einem goldenen Schloss mit der Säule verbunden. Jede der Elevinnen wusste, dass sie im nächsten Jahr nicht mehr auf dieser Empore stehen würde. Stattdessen würde sie unten im Saal auf den Prinzen warten dürfen.

Maria hatte sich schon oft darauf gefreut. Jedes Mal hatte sie sich auf ihren Prinzen gefreut, doch stets war sie eine der wenigen, die nicht befreit wurden.

* * *

Die Prinzen kamen. Einer nach dem anderen kamen sie in den Saal und gingen zielstrebig auf ihre Prinzessinnen zu. Der Brauch wollte es, das jeder Prinz ein kleines Blumenbouquet mitbrachte, um es der Dame seines Herzen vor dem Ball zu überreichen. Dabei fragten die Prinzen gemäß eines alten Rituals nach dem Schlüssel zum Herz der Prinzessin. Nur selten vergaben die Angebeteten mal einen Korb, fast immer bedankte sich die Debütantin brav mit einem Knicks und wurde vom Prinzen von der Säule befreit. Ein paar wenige sehr mutige wagten auch einen ganz kurzen Dankeschön-Kuss.

Die Säulen leerten sich immer weiter, zurück blieben stets nur die kleinen goldenen Schlösser. Nur noch Maria stand an ihrer Säule. Sie seufzte. Bisher hatte sie noch kein Prinz nach ihrem Schlüssel gefragt. Sie blieb jedes Mal an der Säule stehen und hatte bisher von dort dem Treiben auf dem Ball zu sehen müssen.

Doch auf einmal klopfte ihr Herz laut, noch bevor sie überhaupt ahnen konnte warum. Es kam doch noch ein Prinz in den Saal. Paul!

Marias Herz klopfte richtig wild und sie war fast atemlos, als Paul auf sie zu kam und ihr den kleinen Blumenstrauß reichte. Dabei sprach er die Worte, die Maria hören wollte: »Gebt Ihr mir den Schlüssel zu Eurem Herzen?«

Sie konnte nicht antworten, sondern blickte ihn nur voller Liebe an und nickte. Pauls Hände zitterten leicht, als er den Schlüssel von der kleinen Ketten nahm. Er öffnete die Schlösser und befreite Maria von der Säule. Sie wäre ihm liebend gern um den Hals gefallen, doch erstens geziemte sich so ein Verhalten für eine Prinzessin nicht und zweitens konnte sie im Moment gar nicht über ihre Arme verfügen, weil diese von dem Monohandschuh auf ihrem Rücken festgehalten wurden.

Sehr gern ließ sie sich in den Arm nehmen und auf die Tanzfläche führen, wo die anderen schon tanzten. Sie blickten sich verliebt in die Augen und begannen sich auch zu der Musik im Kreis zu drehen.

Mrs. Potter stand am Rand der Tanzfläche und es schien, als riefe sie Maria etwas zu. Sie tanzten langsam zu ihr herüber und jetzt verstand Maria die Worte ihrer Erzieherin.

»Maria, ihr müsst aufwachen«, war ihre Stimme zu hören.

* * *

Mrs. Potter blickte mit Sorge auf Marias im Nacht-Korsett verpackten Körper. Ihr Schützling war ziemlich unruhig. Sie beeilte sich, das Schloss zu öffnen und die Haube aufzuschnüren, denn sie spürte, das heute etwas anders als sonst war. Andererseits hatte Maria nicht das Notsignal benutzt, also konnte es nicht wirklich etwas schlimmes sein.

Trotzdem war die Erzieherin besorgt und brauchte auch nicht lange, bis sie Maria die Haube vom Kopf genommen hatte. Sie blickte in Marias Gesicht und zu ihrer Erleichterung sah Maria zwar aufgewühlt, aber glücklich aus. Maria schlug die Augen auf. Mrs. Potter nahm ihr den Mundschutz aus dem Mund und legte den Knebel auf die kleine Schale auf dem Nachttisch.

Maria blickte ihre Erzieherin verliebt an. »Ich habe wunderbar geträumt.«

Ohne das sie es zeigte, war Mrs. Potter erleichtert, dass Maria nach dieser schon ziemlich strengen Nacht so leicht und munter aufwachte. Sie spekulierte: »Du warst wieder auf dem Ball?«

Maria bestätigte dies mit ihrem Blick. »Paul hat mich zum Tanzen geholt.« Sie erzählte von ihrem Traum, der diesmal ganz anders endete.

»Das ist ja wunderschön.« Mrs. Potter war sehr erleichtert und begann das strenge Nachtkorsett zu öffnen. Doch es war ihr etwas aufgefallen und da wollte sie nachhaken.

»Du sagtest, das Du diesmal an der Säule standest.«

Maria bestätigte dies.

»Und als in Pauls Armen lagst, trugst Du einen Monohandschuh?«

Maria schien in Gedanken ihren Traum noch einmal nachzuträumen. Dann blickte sie ihre Erzieherin erstaunt an. »Ja, Ihr habt Recht. So war es. Seltsam.«

Mrs. Potter nahm dies als ein sehr gutes Zeichen. Maria hatte ihren Handschuh mit Paul in Verbindung gebracht. Bisher lief es sehr gut.

Maria wartete geduldig, bis ihr Korsett soweit geöffnet war, dass sie aufstehen konnte. Doch wie sonst auch, fiel sie gleich wieder in ihre Rolle und wartete auf die Erlaubnis, ins Bad gehen zu dürfen.

Mrs. Potter schickte sie schließlich zum Duschen und während der Zeit legte sie Marias besondere Unterwäsche sowie die dazugehörigen Schlösser bereit.

* * *

Der heiße Kakao duftete schon auf dem Tisch, als Maria in die Küche kam. Sie war schon fertig für die Schule angezogen. Aus dem Schrank nahm sie sich eine kleine Schale und füllte sie sich mit Müsli und Milch, dann setzte sie sich an den Tisch und begann ihr Frühstück.

»Ich habe mit Eurer Mutter telefoniert und ihr von Paul erzählt«, berichtete Mrs. Potter.

Maria zuckte etwas zusammen, denn sie hatte wegen Paul schon ein etwas schlechtes Gewissen. »Sie freut sich für Euch.«

Maria schaute ihre Erzieherin ungläubig an. Sie hätte nicht im Traum damit gerechnet. »Ja ist sie denn nicht dagegen?«

Mrs. Potter blickte mit liebevoller Strenge auf ihren Schützling. »Nein, sie hat nichts dagegen.« Sie machte eine Pause. »Unter einer großen Bedingung.«

Maria seufzte.

»Es bleibt alles beim alten, was Euer Programm betrifft.« Die Stimme ihrer Erzieherin klang ziemlich bestimmt.

Maria schien nachzudenken. Dann runzelte sie ihre Stirn. »Das komplette Programm?« Sie schien sich Sorgen zu machen.

Mrs. Potter schien zu ahnen, welche Gedanken ihr wohl gerade durch den Kopf gingen. Das wollte sie allerdings nicht und deswegen versuchte sie abzulenken. »Ihr müsst gleich zur Schule.«

Maria blickte auf die Uhr und begann etwas schneller zu essen.

Was würde Paul wohl machen? Ob er auch frühstückte? Sie war sehr erleichtert über Pauls bisherige Reaktionen. Aber sie fragte sich auch, wie er wohl über ihr Programm denken würde.

* * *

Oft genug fand Paul es lästig, wenn seine Oma auf dem morgendlichen Frühstück bestand. Doch heute war er recht dankbar darüber. Er war froh jemand zu haben, mit dem er über Maria reden konnte. Mit seiner Mutter hätte er das wohl nicht machen können.

»Sie gefällt Dir sehr.« Selma reichte ein Blick in Pauls Gesicht, um Bescheid zu wissen.

Paul grinste. »Ja!« Mehr schafft er im ersten Moment nicht zu sagen. Doch dann nahm er sich allen Mut zusammen, um es sich vor allem selber einzugestehen. »Aber ihre Erzieherin macht mir etwas Angst. Sie ist so streng, diese Mrs. Potter.«

Pauls Oma dachte über das nach, was ihr Enkel bisher erzählt hatte. Eine gewisse Ähnlichkeit war schon zu erkennen zu der Erziehung der Grafentöchter, die sie kennen gelernt hatte, als sie beim Grafen im Schloß als Dienerin gearbeitet hatte. Sie blieb bei ihrem Rat, er solle sich so benehmen, wie er es gelernt hatte.

Sein Frühstück hatte er diesmal komplett aufgegessen. Nur im Unterbewusstsein wusste er, das er bald nach dem Frühstück wieder Marias Erzieherin begegnen würde und so versuchte er, das etwas hinauszuzögern.

Doch auch seine Oma achtete darauf, das Paul nicht zu spät zur Schule kam. Sie trieb ihn an und nötigte ihn noch, die Regenjacke mitzunehmen. Für den heutigen Tag waren Gewitter angesagt.

Er packte sich die Jacke in den Ranzen und ging zur Tür. »Heute habe ich wieder Nachmittagsunterricht,« fiel ihm im letzten Moment ein. »Ich werde in der Schule essen.« Seine Oma war stets verärgert, wenn er ihr nicht Bescheid gesagt hatte. Er verabschiedete sich und trat nach draußen. Er bog um die Ecke und voller Freude sah er, dass Maria gerade auf den Bürgersteig trat. Seine Miene verfinsterte sich allerdings etwas, als er Mrs. Potter entdeckte, die gleich hinter seiner Angebeteten her kam.

Es lag an Marias sehr kleinen Schritten, dass er sie sehr schnell eingeholt hatte. Doch auch diesmal war nicht zu erkennen, warum Maria nur so kleine Schritte machte. Ohne das es Paul so richtig bewusst wurde, wurden seine Schritte auch langsamer, je näher er Mrs. Potter kam.

Er wollte eigentlich hinter den Beiden bleiben, doch als Mrs. Potter stehen blieb und sich direkt ihm zu wandte, hatte Paul keine andere Wahl mehr, als Beide zu begrüßen.

Es war wie gestern beim Abschied, Mrs. Potter gab ihm mit einem kräftigen Händedruck die Hand, während Maria, die auch stehen geblieben war und sich umgedreht hatte, nur ein schüchternes »Hallo Paul« heraus brachte. Sie gingen schweigend weiter.

Vor der Schule wünschte Mrs. Potter den Beiden einen schönen Tag, dann drehte sie sich um und ging diesmal mit schnellerem Schritt wieder zurück. Paul und Maria gingen schweigend über den Schulhof und betraten schließlich ihre Klasse.

* * *

Nach den beiden Stunden am Nachmittag gingen Paul und Maria zusammen zu Mrs. Potter, die am Tor schon auf sie wartete. Es fiel der Erzieherin auf, dass sich etwas ereignet haben musste. Sie fragte auch gleich danach.

»Wir schreiben nächsten Freitag eine wichtige Mathearbeit«, Marias Stimme klang sehr aufgeregt. »Und deswegen müssen wir unbedingt noch lernen.«

Im Prinzip war es Mrs. Potter ja recht, dass Maria mehr Zeit mit Paul verbringen würde. Doch gleichzeitig durfte ihr Schützling auch ihr normales Programm nicht vernachlässigen.

Mrs. Potter überlegte kurz. »Wie wäre es, wenn ihr gleich heute während Eures Ballett-Trainings etwas lernen würdet?«

Paul sah, das Maria diese Idee nicht so gut fand, doch sie wagte nicht, ihrer Erzieherin zu widersprechen.

»Am besten, Paul kommt gleich mit zu uns. Geht das, Paul?« Dem war das mehr als Recht. Er genoss jede freie Minute, die er mehr in Marias Gegenwart verbringen konnte.

Wie immer gingen sie recht langsam den kurzen Weg zu Marias Haus und Paul fragte sich dabei immer häufiger, ob Maria keine größeren Schritte machen konnte oder ob da etwas anderes dahinterstecken würde. Sie betraten das große Haus.

Mrs. Potter verschwand sofort, während Paul neben Maria wartete.

Maria hatte das Gefühl, sich erklären zu müssen. »Sie holt die Schlüssel für das Cape.« Dabei blickte sie etwas an sich herunter.

Paul folgte dem Blick und es fiel ihm auf, das der obere Verschluss des Capes tatsächlich ein Schlüsselloch hatte. Der Verschluss war außerdem so gearbeitet, das er gleichzeitig auch den Anfasser des Reißverschlusses mit verschloss.

Paul bekam eine Gänsehaut. Maria war in das Cape regelrecht eingesperrt.

Mrs. Potter kam mit dem großen Schlüsselbund zurück. Den richtigen Schlüssel hatte sie anscheinend schon gefunden, denn sie ging direkt auf Maria zu und steckte einen Schlüssel in das kleine Schlüsselloch. Es machte kurz ein leises Klick und Paul sah, wie das Schloss aufsprang. Jetzt konnte Mrs. Potter den langen Reißverschluss öffnen und Maria aus dem Cape helfen.

Ihr Schützling machte kurz einen Knicks und ging dann mit vorsichtigen Schritten zu einer kleinen Kommode, vor der auch ein kleiner Hocker stand. Sie machte die Schublade auf und nahm ein kleines Schlüsselbund heraus.

Dann schien sie zu warten. Ab und zu blickte sie fragend zu ihrer Erzieherin hinüber, die noch recht umständlich damit beschäftigt war, das Cape zusammenzulegen. Erst als sie damit fertig war, richtete sie ihren Blick auf Maria und schien ihr zuzunicken.

Erst jetzt setzte Maria sich auf den kleinen Hocker. Paul war sehr erstaunt. Maria hatte anscheinend auf die Erlaubnis zum Hinsetzen gewartet. Er nahm sich vor, seine Oma danach zu fragen.

Mittlerweile war Maria damit beschäftigt, sich mit einem der Schlüssel ein Schloss an ihrem Stiefel zu öffnen. Paul überlegte, warum ihm das bisher nicht aufgefallen war, doch dann fiel ihm ein, das Marias Rock dies bisher verdeckt hatte.

Nachdem sie sich bei beiden Stiefeln die Schlösser abgemacht hatte, legte sie diese mit dem Schlüssel auf die Kommode und konnte sich jetzt den Reißverschluss öffnen. Sie zog sich die Stiefel aus und stellte sie ordentlich in die Kommode.

Dann schien Maria zu warten. Paul fiel so nebenbei auf, das Maria anscheinend Strümpfe oder eine Strumpfhose trug. Soviel war davon zumindest zu sehen.

Mrs. Potter kam zurück und stellte Maria wortlos ein Paar äußerst seltsame Stiefel hin.

Paul hatte so etwas noch nie gesehen und er war sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt Stiefel waren. Immerhin hatte Maria ihren Fuß hineingesteckt und begann jetzt den Schaft des Stiefels bis unter das Knie zuzuschnüren.

Sie bemerkte Pauls ziemlich ratlosen Blick und versuchte ihm es erklären: »Das sind meine Ballett-Stiefel. Das muss ich auch einmal die Woche trainieren.«

Jetzt begann Paul zu verstehen, in was Maria sich das gerade hineinzwängte. Die Stiefel bewirkten, das Maria wie beim Ballett-Tanz quasi auf Zehenspitzen unterwegs sein würden.

Sie sah Paul fragenden Blick und wollte ihm deswegen noch etwas mehr mitteilen. »Ich hatte früher Ballett-Unterricht. Ich bin das gewöhnt und will nicht aus der Übung kommen.«

Paul wusste nun gar nicht mehr, was er davon halten sollte. Er schaute ganz fasziniert zu, wie Maria sich die Stiefel anzog.

Maria hatte sich oben am Stiefelschaft eine schöne Schleife gebunden und Paul dachte schon, das sie damit fertig wäre. Doch zu seiner Überraschung nahm sie aus der Schublade zwei andere Schlösser und fädelte diese so in die Schleife ein, dass sie die Schleife nicht mehr öffnen könnte, wenn das Schloss eingeschnappt sein würde.

Maria kontrollierte die Qualität ihrer Schnürung noch mal, zog hier und da noch mal die Schüre nach, dann ließ sie die Schlösser zuschnappen und zog darüber die Schleife fest.

Paul stockte der Atem. Sie hatte sich eben selber in diese sehr seltsamen Stiefel eingesperrt.

Maria sah Pauls sehr verwunderten Blick und Maria hatte das Gefühl, sich etwas erklären zu müssen. »Ich möchte nicht in Versuchung kommen, die Stiefel ausziehen zu können beim Spaziergang.« Sie griff noch einmal in die Schublade. »Hier sind die Schlüssel.« Sie hielt wieder das Schlüsselbund hoch.

Paul war trotzdem sprachlos.

Maria hielt sich an der Kommode fest und versuchte langsam aufzustehen. »Zu Beginn bin ich immer etwas wackelig,« versuchte sie verlegen zu erklären.

Paul sah, dass sie recht hatte. Sie sah recht unsicher aus, wie sie auf den Stiefeln unterwegs war.

Ohne dass es zu bemerken gewesen wäre, stand Mrs. Potter im Raum. Sie wandte sich diesmal direkt an Paul. »Maria braucht in diesen Stiefel immer eine Hilfe. Am besten ist es, wenn Du Deinen Arm um sie legst.«

Im ersten Moment war es der Respekt vor Mrs. Potter, der Paul zögern ließ, doch dann begriff er, welche Nähe er zu Maria bekommen würde und ziemlich schüchtern legte er den Arm um Maria.

Seine Freundin brauchte die Hilfe auch gleich, denn Mrs. Potter wollte als erstes kontrollieren, ob Maria sich die Stiefel auch wirklich richtig angezogen hatte. Maria hob dabei ein Bein etwas hoch und zeigte ihr den zugeschnürten Stiefel.

Paul spürte ziemlich deutlich, wie wackelig Maria dabei stand und er war sehr bemüht, ihr den richtigen Halt zu geben. Paul war erstaunt, als Mrs. Potter die Qualität von Marias Stiefelschnürung wirklich zu kontrollieren schien. Zuerst hatte Maria das eine Bein gehoben, dann das andere. Dabei spürte Paul, dass sie sich wirklich auf seinen Hilfe verließ und Paul war sehr bemüht, ihr tatsächlich den Halt zu bieten, den sie suchte.

Nachdem sie sich von der Qualität von Marias Arbeit überzeugt hatte, wandte sie sich wieder Paul zu. »Hilfst Du bitte Maria bei der Treppe und bringst sie ins Arbeitszimmer. Ich hole Marias Handschuh und komme dann nach.«Sie hatte es wie eine Bitte formuliert, doch Paul empfand es eher als einen Befehl, dem er auf jeden Fall zu folgen hatte.

Er fühlte sich mehr als überrumpelt. Erst als Maria leise »Komm, lass uns gehen.« flüsterte, riss er sich zusammen und war bemüht, Maria eine Hilfe zu sein. Bis zur Treppe kamen beide gut voran. Doch dann bremste Maria. »Langsam.«

Obwohl er nicht wusste, warum das so war, merkte Paul, das Maria wirklich nicht viel Beinfreiheit hatte. Mit sehr viel Mühe schaffte Maria es, ihr Bein so weit zu heben, dass sie ihren Fuß oder besser die Fußspitze auf die erste Stufe stellen konnte.

Irgendwie instinktiv spürte Paul, dass er jetzt auch eine Stufe hinauf gehen Musste. Maria keuchte etwas, als sie von ihm mit hochgeschoben wurde, doch zu ihrer beider Freude standen sie dann auf der nächsten Stufe.

Paul fragte leise: »So geht es, oder?«

Statt einer Antwort spürte Paul, dass Maria gleich zur nächsten Stufe drängte. Wieder keuchte sie, als sie versuchte, die nächste Stufe zu erreichen.

* * *

Paul hatte vor lauter Aufmerksamkeit gar keine Zeit, die Nähe von Maria zu genießen, als sie jetzt mühsam Stufe für Stufe die Treppe hochkämpften. Paul fragte sich schon, was Maria hier auf sich nahm und auch warum, doch ihm fehlte der Mut, sich danach zu erkundigen.

Auf der obersten Stufe angekommen waren beide ziemlich erleichtert. Der Weg ins Marias Arbeitszimmer war jetzt nur noch eine Kleinigkeit. Allerdings hatte Paul Maria noch nicht wieder losgelassen. Er genoss ihre Nähe.

Und Maria hatte ihn auch nicht darum gebeten.

Erst als Paul die Schritte von Marias Erzieherin auf dem Korridor hörte, lockerte er die Umarmung.

Mrs. Potter kam in den Raum und Paul sah, das sie eine ziemlich seltsame weiße Ledertüte mit vielen Riemen daran in der Hand hielt. Maria sah die Lederhülle, löste sich von Paul und legte ihre Arme auf den Rücken. Dabei lagen die Handinnenflächen aufeinander wie bei einem Gebet.

Paul sah sehr fasziniert zu. Er sah, wie Marias Augen glänzten.

* * *

»Was möchtet ihr denn trinken?« Die Frage von Mrs. Potter zerriss die geheimnisvolle Spannung. Sie blickte zunächst Paul an, der erst nach einem kleinen Augenblick in der Lage war zu antworten.

»Ein Wasser bitte«

Dann blickte die Erzieherin Maria fragend an und diese schloß sich dem Wunsch von Paul an. Dabei nahm sie ihre Arme langsam wieder nach vorn.

Mrs. Potter legte den Handschuh und das große Schlüsselbund auf den Schreibtisch, dann ging sie wieder aus dem Zimmer. Dabei sagte sie, das sie jetzt die Getränke holen würde. Und sie bat Maria, sie sollte ihren Handschuh schon einmal vorbereiten.

Maria nahm sich zunächst das Schlüsselbund in die Hand und suchte daran nach einem bestimmten Schlüssel. Als sie den gefunden hatte, nahm sie den Handschuh vom Schreibtisch und begann, die einzelnen Schlösser zu öffnen.

Sie sah Pauls fragenden Blick und antwortete auf die Frage, die er noch gar nicht gestellt hatte. »Die Schlösser bräuchte es eigentlich gar nicht. Aus dem Handschuh käme ich auch so nie heraus, wenn er richtig geschnürt ist.« Sie machte eine Pause. »Aber meine Mutter wollte das so haben.« Sie zuckte mit den Schultern.

Jetzt wurde Paul etwas unruhig, denn er hatte endlich erkannt, was Maria da machte und vor allem was sie da in den Händen hielt.

Nach den Schlössern öffnete sie noch die verschiedenen Riemen, die an dem Handschuh angebracht waren. Wieder lächelte sie. »Der absolute Overkill, diese Riemen bräuchte es auch nicht. Die Schnürung allein ist schon streng genug.«

Paul verstand die Bedeutung dieser Worte noch nicht, aber er wagte auch nicht, sie danach zu fragen.

Maria öffnete die Schleife der langen Schnürung und zog diese an der Öffnung etwas auseinander. Dann legte sie den Handschuh wieder sehr sorgfältig auf den Schreibtisch und sortierte auch noch die einzelnen Riemen so, dass es wirklich ordentlich aussah. Dann schien sie fertig zu sein, denn sie nahm wieder die alte Haltung ein.

Paul hatte ihr sehr fasziniert zugesehen. Jetzt hatte er den Handschuh, den Maria gestern so seltsam getragen hatte, auch wieder erkannt.

* * *

Maria wurde langsam unruhig. Wo blieb bloß ihre Erzieherin bloß mit den Getränken? Sie musste ihr noch den Handschuh anlegen und dann wollten sie noch ausführlich Mathe lernen. Wegen der Mathematik-Arbeit nächsten Freitag.

Doch Mrs. Potter war noch nicht wiedergekommen.

Maria wurde sichtlich nervös. Sie trippelte leicht auf der Stelle und blickte immer häufiger zur Tür.

Wieder dachte Paul an das Naheliegende. »Vielleicht kann ich Dir dabei helfen?«

Maria schüttelte erst den Kopf, doch dann schien sie nachzudenken. ‘Warum eigentlich nicht’, dachte sie bei sich.

Sie hatte das Gefühl, Paul erklären zu müssen, auf was er achten sollte. »Ich werde meine Arme auf den Rücken legen und dann musst Du mir den Handschuh von unten über die Arme schieben.« Sie nahm den Handschuh wieder in die Hand und versuchte es ihm zu zeigen, in dem sie einen Arm hineinsteckte. »So etwa.«

Sie reichte Paul den Handschuh und legte danach ihre Arme auf den Rücken.

Paul musste sich erst mal orientieren. »Die Schnürung gehört wohin?«

Maria drehte sich noch mal zu ihm um. »Die muss von mir weg zeigen, nach hinten.« Dann nahm sie wieder die alte Stellung ein.

Ganz vorsichtig begann Paul jetzt Maria die Hülle über die Arme zu schieben.

Mrs. Potter war ganz leise an die Tür geschlichen und beobachtete voller Freude, wie sich die Beiden mit dem Handschuh abmühten.

Maria beschrieb ihm, das er jetzt den einen der langen Riemen nehmen sollte. »Den bitte erst unter der Achsel durch, unter dem Hals entlang über die andere Schulter und dann bitte am Handschuh festmachen.«

Jetzt erkannte Paul die Riemen, die er gestern schon an Marias Handschuh gesehen hatte und deswegen fiel es ihm jetzt leicht, ihren Angaben zu folgen.

Er versuchte mitzudenken, und als er den anderen langen Riemen sah, fragte er, »diesen Riemen genauso?« Er wartete Marias Antwort gar nicht ab, sondern zog ihn auf die selbe Weise über die andere Schulter und machte diesen ebenfalls am Handschuh fest.

Mrs. Potter war mit dem bisherigen Verlauf sehr zufrieden. Sie nahm das Tablett mit den Getränken wieder in die Hand und ging leise in das Zimmer. Paul und Maria waren beide so beschäftigt, das sie die Erzieherin nicht bemerkten. Sie freute sich, dass ihr kleiner Plan aufgegangen. Doch jetzt wollte sie die Kontrolle wieder übernehmen.

»Lass es ruhig etwas lockerer, das kannst Du später noch fester machen.« sprach sie Paul direkt an.

Marias Freund zuckte zusammen. Er hatte sich richtig erschreckt, als die Erzieherin auf einmal neben ihm stand.

Sie bemerkte sein schlechtes Gewissen, doch das war in diesem Moment unwichtig. »Mach ruhig weiter,« ermunterte sie ihn. »Oder willst Du erst mal zusehen?«

Paul war letzteres viel lieber. Er hatte sowieso das Gefühl, schon viel zu weit gegangen zu sein. Seine Stimme zitterte ziemlich. »Ich... Ich will erst mal zusehen...«

Mrs. Potter stellte das Tablett auf dem Schreibtisch ab und trat dann hinter Maria. Sie begutachtete Pauls bisherige Arbeit und begann wie bei einem Korsett die Schnürung von Marias Handschuh fest zuziehen.

Paul sah, das Maria ziemlich damit kämpfte, auf ihren wackeligen Stiefeln nicht umzukippen. Als Marias Körper einmal besonders stark schwankte, streckte Paul seinen Arm aus und hielt Maria kurz an der Schulter fest.

Mrs. Potter blickte zu ihm hin und Paul war schon dabei, seinen Arm wieder zurückzuziehen, als er von Marias Erzieherin angehalten wurde. »Halte Maria ruhig fest. Sie steht nicht besonders sicher auf ihren Stiefeln.«

Maria drehte ihren Kopf zu Paul und blickte ihn liebevoll und dankbar an.

Mrs. Potter hatte mittlerweile den Handschuh so gut wie vollständig geschlossen. Sie war jetzt dabei, die einzelnen Schnüre soweit nachzuziehen, dass der Handschuh um Marias Arme wirklich vollständig geschlossen war und sich ihre Ellbogen berührten.

»Paul, kannst Du mir mal eines der Schlösser reichen?«

Paul griff mit der noch freien Hand auf den Schreibtisch nach einem der Schlösser und reichte es Mrs. Potter hinüber. Kurz darauf hörte Paul dieses typische metallische Klicken und er bekam eine Gänsehaut bei dem Wissen, das Maria so streng in den Handschuh eingesperrt wurde.

»Jetzt kannst Du wieder weiter machen.« Mrs. Potter hatte es wie ein Angebot formuliert, doch wieder verstand Paul es als einen Befehl.

Er trat neben die Erzieherin und blickte sie fragend an. Er hätte allerdings kein Wort herausbekommen.

»Hier, die drei Riemen kannst Du schließen und das Schloss dran machen.« Mrs. Potter zeigte auf die Riemen an Marias Handgelenken, sowie unterhalb der Ellenbogen und am oberen Rand des Handschuhs. »Jeweils ins vorletzte Loch.«

Maria stöhnte ganz leise. Doch das war ihrer Erzieherin nicht entgangen. »Das ist nicht zu eng, ihr könnt das tragen.«

Pauls Finger zitterten, als er jetzt versuchte, die Riemen an den Handgelenken zu schließen. Erst beim dritten Versuch konnte er den Riemen durch die Schnalle ziehen. Er musste etwas kräftiger ziehen um bis in das vorletzte Loch zu kommen, doch er ließ es sofort wieder los, als er merkte, wie fest er da ziehen musste Er flüsterte: »Muss das wirklich so streng zugezogen werden?«

Maria drehte ihren Kopf etwas nach hinten und flüsterte genauso. »Das ist schon richtig so. Ich halte das aus.« Eine Menge Stolz schwang in ihrer Stimme mit.

Mrs. Potter hatte das Flüstern wohl gehört, aber das ließ sie sich nicht anmerken.

Paul zog den Riemen noch einmal fest durch die Schnalle durch und fixierte ihn dann im vorletzten Loch. Er nahm eines der verbliebenen Schlösser und verriegelte den Riemen, wie es von Marias Erzieherin verlangt war. Das Gleiche machte er mit den beiden anderen Riemen, so dass Marias Arme wirklich sicher verpackt waren.

Mrs. Potter blickte anerkennend. »Jetzt kannst Du die Schulterriemen noch etwas enger ziehen. Vorletztes Loch müsste auch dort gehen.«

Maria gab sich Mühe, keine sichtbare Reaktion zu zeigen.

Paul war jetzt schon etwas sicherer, was das Hantieren an Marias Handschuh betraf.

Nachdem Mrs. Potter auch diese Schlösser kontrolliert hatte, schaute sie auf die Uhr, nahm sie ein kleines Notizbuch zur Hand und machte eine Eintragung.

Paul blickte bewundernd an Maria herunter und herauf. »Du siehst wirklich toll aus.« Aus seiner Stimme klang echte Bewunderung.

Maria lächelte beschämt. Dann ging ihr ein Gedanke durch den Kopf. »Ich habe meinen Handschuh noch nie selber gehen.« Sie drehte ihren Kopf herum, als wollte sie hinter sich schauen, aber sie schaffte das natürlich nicht.

Mrs. Potter kam der plötzliche Anfall von Eitelkeit sehr gelegen und ihr war auch gleich die Lösung dafür eingefallen. »Geht doch ins Ankleidezimmer! Dort gibt es den großen Spiegel am Schrank und den Spiegel auf Rollen bringe ich Euch.«

Maria blickte Paul an und mit einem auffordernden Lächeln fragte sie ihn »Hilfst Du mir?«

Paul war in diesem Moment sehr schüchtern und suchte erst den Blick von Mrs. Potter. Erst als diese ihm wohlwollend zunickte, legte er seinen Arm um Maria und vorsichtig gingen sie in Richtung Tür.

Maria dirigierte ihn in die Richtung ihres Ankleidezimmers, er öffnete die Tür und sie traten ein.

Maria ging langsam vor den Spiegel und stellte sich vorsichtig seitlich davor, so dass sie sich im Profil sehen konnte. »Ja, soviel habe ich immer schon gesehen. Ich bin sehr gespannt, wie es von hinten aussieht.«

Mrs. Potter rollte den großen Spiegel herein. Sie stellte den Spiegel hinter Maria auf und richtete ihn so aus, das Maria den richtigen Blick hatte.

Maria blickte voller Faszination auf ihre verpackten Arme und war sichtlich davon angetan. Sie ließ ihre Arme ein wenig hin und her pendeln und beobachtete sich dabei im Spiegel. Sie war sichtlich stolz. »So etwas kann ich tragen. Und er ist wirklich ganz geschlossen.«

Paul hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. »Das sieht toll aus.«

Sie blickte ihn sehr verliebt und stolz an. »Danke.«

Mrs. Potter tat es zwar etwas weh, aber sie musste die romantische Stimmung unterbrechen und Maria und Paul an die Nachhilfe erinnern.

Maria suchte Pauls Blick. Dann fragte sie leise. »Hilfst Du mir wieder?«

Mrs. Potter runzelte die Stirn, aber sagte nichts. Es war eigentlich nicht in ihrem Sinne. Maria sollte lernen, von allein sicher auf den Ballett-Stiefeln zu stehen. Aber da dies eine sehr große körperliche Nähe zwischen den beiden Verliebten mit sich brachte, blieb sie ruhig.

Sie gingen zusammen wieder in Marias Arbeitszimmer und blieben vor dem Schreibtisch stehen.

Paul ließ Maria wieder los und holte Marias Mathebuch. Sie begannen Mathematik zu lernen. Immerhin war für nächsten Freitag die Arbeit angekündigt.

Es fiel Paul auf, das Maria sich jetzt etwas langsamer bewegte als gestern. Natürlich leuchtete ihm ein, dass dies an diesen seltsamen Ballett-Stiefeln lag. Ab und zu griff er an Marias Schulter, um ihr zusätzlich Halt zu bieten.

Maria nahm dies dankbar. Sie genoss jede einzelne Berührung von Paul.

* * *

Auf einmal kam Mrs. Potter in den Raum. Sie hatte Marias Cape dabei, legte dies über einen Stuhl und sagte den beiden Bescheid, dass sie schon einmal voraus gehen würde. »Ihr kommt dann nach.«

Maria blickte sie zunächst erstaunt an. Dann dämmerte es ihr, das sie noch einen Moment mehr mit Paul allein sein konnte und war davon sehr angetan.

»Den Weg zu dem Pavillion kennst Du ja, oder?« Ihre Erzieherin vergewisserte sich.

Maria musste kurz nachdenken, dann konnte sie es bestätigen. Plötzlich wurde Mrs. Potter aber wieder etwas förmlicher. »Ich erwarte Euch dann also gegen halb Fünf an dem kleinen Pavillion.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Ihr wisst, was passiert, wenn ihr zu spät kommt.«

Maria zuckte zusammen und machte für einen kurzen Moment einen sehr sorgenvollen Eindruck. Sie blickte zur Uhr, dann schien sie sich wieder unter Kontrolle zu haben.

* * *

Sie machten weiter mit Mathematik, nur ab und zu warf Maria einen prüfenden Blick auf die Uhr. Schließlich schien die richtige Zeit erreicht zu sein.

Maria blickte Paul an und erinnerte ihn an den Spaziergang. »Ich glaube, wir müssen uns dann fertig machen. Mrs. Potter erwartet uns.« Der Respekt vor ihrer Erzieherin schien auch in deren Abwesenheit zu wirken. »Es ist zwar nicht sehr weit, aber ich bin nicht ganz so schnell mit diesen Stiefeln und dem Handschuh.«

Paul blickte sie bewundernd an. Es ging ihm kurz der Gedanke durch den Kopf, dass Maria jetzt noch viel langsamer wäre als normal. Er wusste allerdings nichts zu antworten. Er griff nach dem Cape und drehte es zu Maria hin. Dabei fiel ihm auf, dass ihre Augen auf einmal besonders funkelten. Er fragte sich, was das bedeuten sollte.

Maria blickte noch einmal auf die Uhr. Es schien, als müsse sie sich innerlich überwinden. Dann wandte sie sich zu Paul. »Ich würde gern noch ein weiteres Teil tragen. Aber dazu bräuchte ich Deine Hilfe.«

Paul war etwas vorsichtig. Er war zwar bis über beide Ohren verliebt, aber Maria hatte hier Sachen, die er zuvor noch nie gesehen hatte. Aber er sagte, dass er ihr helfen würde.

»Wir müssen noch einmal in mein Ankleidezimmer, dort sind die Halskorsetts.« Dabei ging sie langsam in Richtung Tür.

Paul beeilte sich, sie einzuholen und seinen Arm um sie zu legen.

Maria ließ ein leises »Danke« hören.

* * *

Paul spürte, das Maria auf einen Schrank zusteuerte, und als sie davor standen, durfte Paul ihn öffnen. Wie er es nicht anders erwartet hatte, waren in dem Schrank lauter seltsame Dinge, von denen er noch keines jemals gesehen hatte. Die meisten schienen aus Leder zu sein.

Maria beschrieb ihm, welchen Gegenstand er aus dem Schrank nehmen sollte. Er blickte ziemlich ratlos auf das feste Stück schwarzes Leder, welches er in der Hand hielt.

Maria wollte ihm helfen. »Das ist ein Halskorsett. Das musst Du mir um meinen Hals legen und dann zuschnüren.«

Paul lag das »warum« zwar auf der Zunge, aber dann schluckte er es ungesagt herunter. Er blickte etwas ratlos auf das Gebilde in seinen Händen.

»Mach die Schnur heraus, dann kannst Du es mir um den Hals legen.« Marias Augen leuchteten.

Paul sah, dass da eine Schnur daran war, wie bei den Stiefeln oder bei dem Monohandschuh. Er konnte sie recht einfach herausziehen.

Jetzt konnte er das Halskorsett auch aufbiegen. Er versuchte es Maria um den Hals zu legen und diese hob ihr Kinn, um es Paul möglichst einfach zu machen. Sie bat ihn noch, das Haar aus dem Korsett heraus zu nehmen. Paul versuchte, dabei besonders vorsichtig und zärtlich zu sein.

»Jetzt nimmst Du die Schnur und fädelst sie wieder in das Halskorsett ein.«

Paul blickte erst einmal etwas ratlos auf die Löcher in dem schwarzen Leder.

Maria gab ihm den richtigen Tipp. »Das müsste genauso gehen wie bei den Stiefeln oder beim Handschuh.«

Das war das richtige Stichwort, jetzt wusste Paul, wie erst es machen musste.

Er fädelte die Schnur in die Löcher ein und gerade als er wie bei den Schuhen die Schnur festziehen wollte, fiel ihm ein dass er da vielleicht etwas vorsichtig sein sollte. Er fragte Maria, wie fest es denn werden sollte.

Sie bat ihn, einfach einmal anzufangen und ganz langsam festzuziehen, sie würde dann sagen, wenn es fest genug wäre.

Paul zitterte etwas, als er den Anweisungen seiner Geliebten folgte. Er zog wirklich sehr langsam und vorsichtig.

Maria machte ihm stets Mut, noch weiter zu machen. Schließlich sagte sie, dass es jetzt gut wäre. »Bitte mache jetzt eine Schleife.«

Paul gab sich größte Mühe, auch eine schöne Schleife hinzubekommen. Dabei ging ihm allerdings noch einmal durch den Kopf, wie starr das Halskorsett doch war, als er es vor hin in den Händen hielt. Er fragte Maria, ob sie denn jetzt noch ihren Kopf bewegen könne.

Diese versuchte den Kopf zu bewegen und es war deutlich zu sehen, dass sie ihren Kopf nur noch minimal bewegen konnte. Sie erklärte es ihm. »Das ist so gewollt, denn ich gewöhne mich so an die richtige Kopfhaltung.«

Sie machte eine bedeutsame Pause. »Allerdings ist dieses nur ein einfaches Halskorsett. Ich habe noch viel strengere.«

Paul musste schlucken. Doch die Seltsamkeiten sollten für Paul noch nicht aufhören.

»Geh bitte mal an die kleine Schublade und nimm dort ein Schloss heraus.« Maria musste ihren kompletten Körper drehen um ihm die Richtung zu zeigen, in der er die angesprochene Schublade finden würde.

Paul ging hin und öffnete die Lade. Lauter kleine Vorhängeschlösser lagen darin. Auf jeden war eine kleine Nummer aufgeklebt. »Egal welches?«

Marias Stimme zitterte jetzt etwas. »Ja, das ist egal. Die Schlüssel hat sie nie dabei.«

Paul kam zu ihr zurück und hielt das offene Schloss in der Hand. »Oben links und rechts oberhalb der Schnürung müssten zwei Metallösen sein. Dort muss das Schloss durch«, erklärte sie ihm und es lag ein gewisser Trotz in ihrer Stimme.

Paul war skeptisch. »Aber dann kann ich Dir das Halskorsett nicht mehr abnehmen. Wo sind denn die Schlüssel« Paul zögerte sichtlich.

Maria wollte ihren Plan weiter verfolgen. Sie blickte Paul liebevoll an und flüsterte leise. »Bitte mache es.« Sie versuchte, ihn zärtlich zu berühren.

Paul war zwar nach wie vor nicht davon überzeugt, das richtige zu tun, aber dieser so liebevoll vorgetragenen Bitte konnte er nicht widerstehen. Er nahm das Schloss und steckte es vorsichtig durch die beiden Ösen hindurch. Er fragte noch einmal: »Und Du bist Dir auch ganz sicher?«

Maria bestätigte ihm mit liebevoller Stimme noch einmal ihren Wunsch. Paul nahm all seinen Mut zusammen und drückte auf den Schloßbügel. Es machte Klick.

Maria war irgendwie erleichtert. »Danke. Dann lass uns losgehen.«

Paul sah, wie Maria jetzt ziemlich unbeholfen auf die Tür zuging. Er sah, dass sie nicht mehr vor sich auf den Boden blicken konnte. Es dauerte trotzdem einen Moment, bis Paul erkannte, dass Maria jetzt noch viel mehr Hilfe brauchte als vorher. Er ging auf sie zu und legte ihr wieder den Arm um die Schulter.

Maria war erleichtert. »Danke.« Etwas leiser fügte sie noch etwas hinzu.

Paul verstand so etwas wie »Ich werde es ihr zeigen, dass ich es kann..« Er wusste allerdings nicht, was Maria damit meinte. Und Nachfragen wollte er auch nicht.

Paul wollte mit Maria direkt auf die Treppe zugehen, doch Paul spürte, dass sie in Richtung Arbeitszimmer drängte. »Wir müssen noch mein Cape holen. Das muss ich draußen tragen.«

Wegen der Konzentration auf die recht hilflose Maria bemerkte Paul nur am Rande, das Maria ‘wir’ gesagt hatte. Er freute sich trotzdem darüber.

* * *

Das Cape lag über einer Stuhllehne und Paul nahm es zur Hand. Er breitete es auseinander und erkannte recht bald, wie herum er es Maria umlegen musste. Er hängte es ihr über die Schultern und trat dann vor sie. »Jetzt muss ich den Reißverschluss zumachen?«

Maria bat ihn, es noch einmal kurz richtig zurecht zu rücken, dann durfte Paul es schließen. Seine Hände zitterten, je näher er mit dem Anfasser des Reißverschlusses in die Nähe von Marias Busen kam. Maria schien dies nicht zu bemerken.

»Jetzt musst du noch den Riegel zumachen, aber sei bitte vorsichtig, den können wir nicht wieder aufmachen. Das kann nur sie.« So wie Maria das ‘sie’ betont hatte, konnte nur ihre Erzieherin damit gemeint sein.

Bei Paul bildete sich eine Gänsehaut. Er betrachtete die beiden Teile am oberen Rand des Capes und er erkannte, wie der Verschluss wohl funktionieren würde. Nur das Wissen, dass er den Schlüssel dafür nicht hatte, hielt ihn davon ab, damit herumzuspielen.

»Auf was muss ich noch achten?« fragte er mit zitternder Stimme.

Maria überlegte kurz. »Ich denke, es passt alles... Und das Cape sitzt gut. Mach es zu.« Beim letzten Satz war ihre Stimme etwas leiser.

Paul nahm die beiden Riegelteile in die Hände, steckte sie ineinander und drückte sie zusammen, bis das Schloss einschnappte.

* * *

Maria bremste Paul, als sie vorn an der Treppe standen. Paul war sehr beeindruckt von der Geschicklichkeit, mit der Maria auf der Treppe dabei war, die Stufen hinunter zu gehen. Immerhin konnte sie sie nicht sehen und sie konnte auch ihre Beine nicht besonders weit auseinander öffnen. Bei letzterem wusste Paul immer noch nicht, warum das so war. Er vermutete einen wohl recht engen Unterrock.

Die Ballett-Stiefel schienen Maria noch am wenigsten auszumachen. Mit denen kam sie sehr gut zurecht.

Schon bald konnte Paul die letzte Stufe ankündigen. Als sie unten waren, blickte ihn eine sehr glückliche und stolze Maria an.

Paul schaute auf die Uhr. Gemessen an Marias Tempo mussten sie sich jetzt etwas heranhalten.

* * *

Sie hatten den Eingang des Parks erreicht. Und da Maria den Weg bis dahin in einem für ihre Verhältnisse sehr schnellen Tempo geschafft hatten, konnten sie sich jetzt sogar etwas Zeit lassen.

Paul versuchte, jetzt wo sie sich nicht mehr so sehr auf Weg und Verkehr konzentrieren mussten, ein Gespräch zu beginnen. Er fragte nach Marias Mutter.

»Meine Mutter lebt in den USA« , erklärte Maria, »sie leitet dort eine Klinik.« Es war ein gewisser Stolz in Marias Stimme zu hören.

»Dann seht ihr euch wohl nicht oft?« fragte Paul interessiert.

Maria seufzte etwas, »Nein, wenn überhaupt, dann nur in den Ferien.«

Ein wenig Mitleid empfand Paul schon für seine Freundin.

Mit ein wenig Begeisterung in der Stimme ergänzte Maria. »In den Sommerferien werde ich sie besuchen.«

Dies gab Paul einen kleinen Stich, denn dann könnte er nicht mit Maria zusammen sein. Insgeheim hatte er sich so etwas schon ausgemalt.

Paul genoss es sehr, hier neben Maria her gehen zu dürfen und dabei ihren sehr hilflosen Körper zu bewachen. Er wollte ihr ein Kompliment machen. »Du bist sehr gut in der Schule.«

Maria war ehrlich erfreut. »Danke. Wenn bloß Mathe nicht wäre...« Sie seufzte. »Aber Mrs. Potter sorgt dafür, dass ich immer gut lerne.«

Paul fühlte die Gegenwart von Marias Erzieherin auch in deren Abwesenheit. »Sie ist sehr streng.«

»Ja«, Marias Stimme klag fast etwas trotzig, »dafür wird sie von meiner Mutter bezahlt.«

Paul spürte, dass er nicht weiter fragen sollte, obwohl er gern mehr gewusst hätte. Er überlegte, was er sonst noch fragen könnte. »Spielst Du auch ein Instrument?«

»Ja, ich spiele Querflöte. Ich habe Übermorgen im Park einen Auftritt. Magst Du nicht kommen?«

Paul nahm das Angebot gern an.

Hätten Paul und Maria einmal zum Himmel aufgesehen, dann hätten sie die dunklen Wolken gesehen, die jetzt aufzogen.

Auf einmal klang Marias Stimme ziemlich entsetzt: »Oh nein, was ist denn das?«

Paul verstand erst einmal nicht, was seine Freundin so erschreckte. Sie standen vor einer großen Steintreppe. Paul hatte die Treppe kurz angesehen und sah in ihr kein Problem. Die würde er leicht hochkommen. Doch dann erst fiel ihm ein, das Maria mit den hohen Stufen deutlich mehr Probleme haben würde.

Doch das war es nicht, was Maria so erschreckt hatte. Sie machte ihn darauf aufmerksam, dass der Weg neben der Treppe gesperrt war. Mitten auf dem Weg klaffte ein tiefes Loch. Anscheinend wurden hier irgendwelche Reparaturen an den verlegten Rohren durchgeführt.

»Ich gehe sonst immer diesen Weg hoch.« Ihre Stimme klang ziemlich verzweifelt. »Die Stufen schaffe ich doch nicht.«

Fast unbewusst sah Paul auf die Uhr. Sie hatten nicht mehr viel Zeit und er wollte auf keinen Fall, dass Maria wegen ihm Ärger bekommen würde. Er löste seinen Arm aus der Umarmung und ging ein paar Schritte auf die Baustelle zu, um vielleicht einen Weg um sie herum zu finden. Er hatte mit einem schnellen Blick erkannt, dass ihnen nur die Treppe blieb. Langsam drehte er sich, um Maria dies mitzuteilen.

Im Nachhinein wusste Paul gar nicht mehr, warum er so gehandelt hatte. Es war einfach ein Reflex gewesen. Maria war mit ihrem Stiefel an einer etwas hochstehenden Bodenplatte hängen geblieben und hatte versucht, mit schnellen Schritten nach vorn ihr Gleichgewicht wieder zu erlangen. Paul sah mit Entsetzen, dass sie genau auf einen unordentlichen Stapel scharfkantiger Steinplatten zusteuerte.

Zuerst dachte er, dass sie die doch sehen müsste, dann fiel ihm ihr Halskorsett wieder ein. Sie konnte es nicht sehen.

Es lief wie in Zeitlupe. Paul ging mit schnellen Schritte auf Maria zu, doch er kam zu spät, Maria war bereits in den Plattenstapel hineingelaufen. Sie begann nach vornüber zu kippen. Paul konnte sie gerade noch auffangen.

* * *

Maria lag in Pauls Armen und beide versuchten sich von dem Schreck zu erholen.

Paul brachte als erstes wieder ein Wort heraus. »Das war knapp.«

Maria war auch ziemlich bewegt. Sie brachte zunächst kein Wort heraus.

Paul blickte etwas ratlos. »Was machen wir jetzt?«

Maria ergriff die Initiative. »Lass uns zu der Treppe gehen. Ich probiere es.«

Er legte Maria wieder den Arm um die Schulter und dann gingen sie für Marias Verhältnisse relativ schnell zu der Treppe. Maria stand vor der ersten Stufe und versuchte ihr Bein hochzuheben, um auf die nächste Stufe zu kommen. Doch wie es zu erwarten war, sie schaffte nicht einmal die Höhe einer halben Stufe. Weiter konnte sie ihre Beine nicht hochheben.

»Was trägst Du auch so seltsame Sachen.« Paul hatte nicht wirklich nachgedacht, als er das sagte.

Maria nahm es mit dem nötigen Humor auf. »Sei froh, das ich nicht den ganz strengen Rock trage.«

Paul wollte in diesem Moment allerdings gar nicht wissen, was da noch strenger sein konnte. Er blickte wieder auf die Uhr und seufzte. Dann sah er wieder die Treppe hoch. Zwei mal acht dieser großen Stufen.

Maria kam die richtige Idee. »Kannst Du mich da hinauf heben?«

Er versuchte mitzudenken. »Lass uns in der Nähe vom Geländer bleiben.«

Maria begann sofort loszutrippeln und Paul ging ihr hinter her. Zusammen standen sie vor der ersten Stufe.

Paul legte seine Arme um Maria und versuchte sie hochzuheben. Er schaffte es zwar, Maria hoch genug zu heben, doch sie standen noch zu weit von der ersten Stufe entfernt. Maria schaffte es so noch nicht.

Der Wind hatte stark zu genommen, doch dies nahmen die beiden nicht wahr.

Paul war jetzt direkt neben die Stufe getreten und Maria hatte sich zu ihm hingedreht. Er hob Maria noch einmal an und diesmal war Maria nahe genug, dass sie ihre Stiefel auf die erste Stufe stellen konnte.

Sie blickten sich erfreut an.

Maria war ziemlich erleichtert. »So geht es.«

Sie hatten einen Weg gefunden.

Paul trat ebenfalls auf die erste Stufe. Er fasste wieder zu und hob Maria an. Diesmal ging es schon etwas flüssiger.

Nach der vierten Stufe war Maria schon etwas erleichtert. »Ein Viertel haben wir schon.«

Wenn man in die Gesichter der Beiden blickte, war zu sehen, dass es für beide eine große Anstrengung war. Denn auch Maria musste sich sehr anstrengen, um nicht umzufallen und einen sicheren Stand auf den kleinen Stufen zu haben.

* * *

Beide waren schon etwas erleichtert, als sie auf der großen Zwischenstufe standen. Die Hälfte der Treppe hatten sie geschafft. Paul schaute auf seine Uhr. Er erschrak. Sie hatten sehr viel Zeit verloren. Es wurde immer knapper.

Er blickte noch einmal an Marias hilflosem Körper herunter und er überlegte kurz, dann trat er direkt auf Maria zu und blickte sie lieb an. »Lass mich etwas ausprobieren.«

Maria blickte zurück mit einer Mischung aus Neugier und Verzweiflung. Sie durften einfach nicht zu spät kommen.

Die kleinen schwarzen Punkte auf dem Boden, die von den ersten Regentropfen hinterlassen wurden, sahen beide nicht.

Er legte einen Arm um Marias Schultern, den anderen in Richtung ihrer Kniekehlen, dann versuchte er Maria hochzuheben. Ein kleiner Schreck ging durch Marias Körper.

Paul biss die Zähne zusammen. So etwas schweres hatte er schon lange nicht mehr gehoben, aber er hatte gar keine Zeit darüber nachzudenken. Er ging mit Maria auf den Armen vorsichtig auf den zweiten Treppenteil zu. Ganz vorsichtig wegen seinen kostbaren Last setzte er seinen Fuß auf die nächste Stufe und mit viel Kraftaufwand schaffte er die Stufe. Auf diese Weise kamen sie gut die nächsten Stufen hoch. Schließlich hatten sie es geschafft.

Paul stellte Maria ganz vorsichtig wieder auf den Boden und ließ sie kurz los. Maria versuchte das Vertrauen zum Boden wieder zu bekommen. Sie blickte ihn sehr dankbar an. Auch Paul war sehr erleichtert und glücklich. Sie hatten die Treppe geschafft.

Er blickte auf seine Uhr. Jetzt lagen sie wieder gut in der Zeit. In der Nähe sah er das kleine Rondell, welches als Treffpunkt ausgemacht war.

Er blickte Maria glücklich an.

Beide kamen sich näher.

Ein lauter Donner zerriss die Stille und beide zuckten vor Schreck zusammen. Gleichzeitig prasselte auf einmal der Regen sehr heftig vom Himmel.

Maria war erschreckt. »Meine Kapuze.« Ihre Stimme klang ziemlich hektisch. Paul fasste hinter Maria und hatte ihr mit einer schnellen Bewegung die Kapuze des Capes über den Kopf gezogen. Dabei musste er kurz darüber nachdenken, wie sehr hilflos Maria doch war und wie dringend sie seiner Hilfe bedurfte. Besonders, wo jetzt starker Wind aufkam und der Regen vom Himmel prasselte.

Paul hatte den Impuls unterdrückt, gleich loszulaufen, denn er musste hier bei Maria bleiben. Er konnte sie doch so nicht allein lassen, auch wenn es noch so sehr vom Himmel schüttete.

Er legte wieder seinen Arm um seine hilflose Freundin und dann gingen sie durch den Regen bis zu dem kleinen Pavillon, der nicht weit entfernt war. Paul schätze die Entfernung auf vielleicht fünfzig Meter. Doch bei dem Tempo, welches Maria nur gehen konnte, dauerte es trotzdem eine ganze Weile, bis sie endlich das schützende Dach erreicht hatten. Die zwei Stufen hatte Paul Maria einfach schnell hoch getragen. Seit der großen Treppe hatte er darin Übung.

Sie standen in dem kleinen Pavillon und waren noch dabei, wieder zu Atem zu kommen, als Paul auf einmal bei Maria eine gewisse Nervosität spürte. Er wusste zunächst nicht, warum dies so war. Er blickte sich um und erst als er die eiligen Schritte von Mrs. Potter entdeckte, ahnte er, das sie der Grund sein könnte.

»Na, das ist ein Unwetter, was?« sprach sie, als sie die beiden Stufen herauf gekommen war. Sie legte ihren großen Regenschirm zusammen und wandte sich an Paul und Maria. »Schön, das ihr es pünktlich geschafft habt.

Paul berichtete vom gesperrten Aufgang und das er deswegen Maria hochgetragen hatte. Er bekam ein Lob von Marias Erzieherin.

Paul fiel nicht auf, das Maria sich seltsam still verhielt.

Doch Mrs. Potter war dies aufgefallen, und da sie ihren Schützling genau kannte, ging sie auf Maria zu und nahm ihr die Kapuze vom Kopf.

Maria vermied es, sie anzusehen. Wobei sie das wegen des Halskorsetts auch gar nicht gekonnt hätte. Ihr schlechtes Gewissen war deutlich zu spüren.

Paul war eigentlich noch ziemlich stolz darauf, dass er es mit Maria pünktlich trotz all der Widrigkeiten zum Treffpunkt geschafft hatte.

Doch Marias Erzieherin wollte dies nicht anerkennen, denn ihr war etwas anderes viel wichtiger. »Maria, warum tragt ihr das Halskorsett?«, ihre Stimme hatte sich verändert.

Paul hatte den Stimmungswechsel noch nicht bemerkt. »Ich habe ihr dabei geholfen.« In seiner Stimme klang noch etwas Stolz.

Mrs. Potter drehte sich kurz zu Paul um und blickte ihn ärgerlich an. »Wie siehst Du überhaupt aus? Du bist ja klitschnass.«

Paul blickte an sich herunter und musste zugeben, dass sie recht hatte. Er war vom Regen völlig durchnässt.

Sie sprach im gleich Ton weiter. »Geh nach Hause und zieh Dich um. Komm bitte um sieben Uhr wieder zu uns.«

Paul wagte nicht, etwas zu erwidern. Wortwörtlich wie ein begossener Pudel ging er zögernd in den Regen zurück. Zunächst ging er ziemlich langsam, sei es aus Trotz oder weil er beleidigt war. So war er noch in Hörweite und konnte erleben, das Mrs. Potter mit Maria schimpfte.

»Maria, ich hatte euch verboten, das Halskorsett zu den Stiefeln zu tragen. Ihr wisst, wie gefährlich es ist.« Ihre Stimme klang ernsthaft böse. Maria schien etwas zu antworten, doch sie sprach sehr leise, so dass er es nicht mehr hören konnte.

»Das ist egal. Ihr habt ein Verbot missachtet. Ihr wisst, welche Strafe darauf steht.« Die Stimme ihrer Erzieherin war dagegen noch gut zu verstehen.

Paul war auf einmal entsetzt. Das hatte er nicht gewollt. Er blieb stehen und drehte sich um. Marias Gesicht sah traurig aus. Er konnte es nicht mehr so genau erkennen, aber er glaubte sogar, das Maria zu weinen schien. Dann sah er, das ihre Erzieherin sich noch einmal zu ihm umdrehte. Schnell drehte Paul sich zurück und ging selbst auch traurig die Stufen der Treppe herunter.

Er hatte auf einmal große Schuldgefühle, denn er hatte Maria ja bei diesem seltsamen Ding geholfen. Jetzt hatte er auch begriffen, was Maria wohl damit meinte, als sie gesagt hatte, das ‘sie’ die Schlüssel nicht dabei hätte. Dann fiel ihm ein, das er für heute Abend bei ihnen eingeladen war. Paul hatte jetzt schon Angst davor.

Obwohl es immer noch in Strömen regnete, ging Paul mit normalen Schritte weiter. Er hatte es nicht mehr weit bis zu seinem Haus.

* * *

Zum Glück war seine Oma nicht da, denn sonst hätte sie mindestens genauso geschimpft wie eben Mrs Potter.

Ihm ging durch den Kopf, das er sein Regenzeug sogar dabei gehabt hätte. Allerdings war das in seinem Ranzen und der stand neben Marias Schreibtisch.

Er zog sich seine nassen Sachen aus und sprang als erstes in die Dusche. Wieder prasselte das Wasser auf ihn, nur diesmal war die Temperatur wesentlich angenehmer. Er dachte nach über die Gefühlsschwankungen, die er heute schon erlebt hatte. Seine Verliebtheit in Marias Nähe, sein Eifer bei der Mathematik-Nachhilfe, der Schreck bei Marias Sturz, sein Stolz an der großen Treppe und schließlich sein so großes schlechtes Gewissen, weil Maria jetzt wegen ihm Ärger bekam. Das Maria ihn eigentlich ausgetrickst hatte, das kam ihm nicht in den Sinn.

Jetzt bedauerte er es, dass seine Oma nicht da war, hätte er sie doch gern nach diesen seltsamen Stiefeln gefragt. Und nach diesem seltsamen Kragen, den er Maria umgelegt hatte und der ihre Erzieherin so aufgebracht hatte.

Er blickte auf die Uhr und erkannte, dass er noch eine Stunde Zeit hatte, bis er erneut bei Maria sein würde. Die Freude darauf wurde diesmal sehr getrübt durch die Angst vor Mrs. Potter und von dem Wissen, dass er Maria vermutlich eine Strafe eingehandelt hatte.

Er wollte sich seine Schultasche nehmen und schauen, ob er vielleicht noch etwas für Morgen vorbereiten konnte. Doch dann fiel ihm ein, das diese auch bei Maria stand.

Er hätte in seinem Buch weiterlesen können. Doch er hatte Angst, dass er dann den Termin verpassen könnte und das wollte er auf gar keinen Fall riskieren. Er setzte sich etwas vor den Fernseher und schaute zu. Es lief irgendetwas. Paul war ohnehin die ganze Zeit mit seinen Gedanken bei Maria.

Was würde ihr wohl passieren? Ob er ihr wohl irgendwie dabei helfen könnte? Aber er wusste, das er sich wohl nie bewusst gegen Mrs. Potter stellen könnte. So groß war der Respekt, den sie ausstrahlte.

Paul seufzte noch einmal. Er spürte, wie seine Nervosität mit jeder Minute wuchs. Aber da war auch noch Maria, seine zarte, sehr geheimnisvolle neue Freundin.

Er zog sich seine Jacke über und machte sich auf den Weg. Es hatte mittlerweile aufgehört zu regnen. Eine Viertelstunde zu früh drückte Paul auf den Klingelknopf an dem Tor zu Marias Haus. Nach einer Weile hörte er die strenge Stimme von Mrs. Potter. »Hallo Paul, komm herein.«

Das Tor summte und Paul drückte es auf. Mit großem Herzklopfen ging er auf das Haus zu. Je näher er kam, desto deutlicher hörte er Flötenspiel. Das musste Maria sein. Sie hatte ihm ja von ihrer Musik und dem Auftritt am Samstag erzählt.

Sie schien nur die schwierigen Stellen zu spielen, denn er hörte kein zusammenhängendes Stück. Aber es klang toll.

Die Haustür ging auf und eine recht kritisch schauende Mrs. Potter trat vor die Tür. Ein kräftiger Händedruck und die eigentlich sachliche Bemerkung: »Du bist etwas zu früh« ließen Paul zusammenzucken und bewirkten bei ihm ein schlechtes Gewissen wegen des Halskorsetts.

Er ging hinter Marias Erzieherin her in das Wohnzimmer. »Setz Dich, Paul«, sie zeigte auf das Sofa und Paul war so von ihrer Ausstrahlung beeindruckt, dass er fraglos folgte.

Sie selbst setze sich in den Sessel daneben, und sogar im Sitzen war ihre Gestalt so groß, das Paul zu ihr aufsehen musste. Er war dadurch noch eingeschüchterter.

»Paul«, sie blickte ihn mit ernster Miene an. »Es ist mir nicht entgangen, dass Du Maria offenbar sehr gern hast.«

Paul wurde rot. Eine richtige Antwort brachte er nicht zustande.

Aber die schien Mrs. Potter auch gar nicht zu interessieren. »Bitte erzähl mir, warum Du Maria das Halskorsett angelegt hast.« Ihre Stimme klang recht hart.

Paul rutschte noch tiefer in das Sofa hinein. Er stotterte. »Aber ... Maria...« In diesem Moment fragte er sich, in wie weit er lügen und damit Maria in Schutz nehmen sollte. Doch ein Blick in das Gesicht ihrer Erzieherin sagte ihm, dass er seinem Gegenüber nicht lange standhalten könnte.

Er beschloss die Wahrheit zu sagen. Er beschrieb, wie Maria ihn dazu gebracht hatte, ihr das seltsame Korsett um den Hals zu legen. »Ich wusste nicht, dass es verboten ist.«

Ihre Miene schien sich für einen kurzen Moment zu entspannen. Dann wurde sie wieder ernst. »Verboten ist es auch nur, wenn Maria gleichzeitig auch die Ballett-Stiefel trägt.«

Sie erklärte ihm die Wirkung und Paul begriff jetzt wie hilflos Maria wirklich gewesen war, als sie im Park unterwegs waren. In diesem Moment, dies spürte Mrs. Potter deutlich, war Paul trotz seiner Verliebtheit etwas irritiert, weil er erkannte, das Maria ihn ausgenutzt hatte. Sie überlegte, wie sie das zu ihren Gunsten einsetzen könnte.

»Du solltest wissen«, irgendwie klang ihre Stimme recht wichtig, »dass Maria auf ihren eigenen Wunsch hin ein ganz spezielles Training macht.«

Paul hätte gern nachgefragt, aber dies traute er sich nicht.

»Doch dieses erfordert besondere Aufmerksamkeit«, so fuhr sie fort, »denn mit vielen Dingen aus dem Programm ist Maria sehr hilflos, wenn sie sie trägt.«

Er schwieg, doch in ihm herrschte eine große Aufruhr.

»Und dann muss ihre Begleitperson sich um alles kümmern.« Sie blickte ihn noch einmal prüfend an. »Du hast das schon sehr gut gemacht.«

Paul begriff erst ziemlich spät, dass sie ihn gerade gelobt hatte. Zu groß war noch sein schlechtes Gewissen.

Doch dann sprach sie weiter. »Du musst wissen, das Maria mit den Ballett-Stiefeln einen sehr unsicheren Stand hat. Wenn sie aber dazu das Halskorsett trägt, dann kann sie nicht mehr sehen, wo sie ihre Schritte hinsetzt und kommt so sehr leicht ins Stolpern«, Paul lauschte atemlos, »und wegen dem Handschuh kann sie auch nicht ihre Arme benutzen, um das Gleichgewicht zu halten.«

Ihre Stimme wurde noch etwas ernster. »Und wenn sie dann stolpert und stürzt, dann kann sie sich nicht mehr mit den Armen abstützen. Und ihren Kopf kann sie auch nicht wegdrehen. Sie riskiert eine ernsthafte Kopfverletzung oder sogar einen Genickbruch.«

Paul durchfuhr ein eisiger Schreck, als er an die Baustelle zurückdachte.

­Ein paar große Gehsteigplatten hatten aufgetürmt im Weg gelegen. Er hatte Maria kurz losgelassen, um zu sehen, ob es einen Weg herum gebe. Als sie alleine weiter ging, war sie ins Stolpern geraten und wäre fast gestürzt, wenn Paul sie nicht im allerletzten Moment aufgefangen hätte. Erst jetzt erkannte Paul, was da alles hätte passieren können.

Ihm wurde ganz mulmig zumute, als ihm klar wurde, in welcher Gefahr Maria tatsächlich gewesen war, als sie auf die scharfkantigen Platten zu stürzen drohte. ‘Nur gut’, dachte er, ‘dass wir ihr davon nichts erzählt haben!’ Er war noch weiter in das Sofa gerutscht.

Bisher hatte er Marias seltsamen Kleidungszubehör nicht so ernst gesehen. Doch jetzt wurde ihm erst bewusst, welche Verantwortung Marias Nähe mit sich brachte.

Mrs. Potter sprach es auch noch einmal aus: »Bei allem ist Marias Schutz und Sicherheit alleroberste Priorität, und wenn Du weiter mit ihr zusammen sein willst, dann musst Du sie gut beschützen!«

Eines verstand Paul aber nicht. Wenn Maria das alles aus freien Stücken machte, warum wurde sie dann immer regelrecht in ihre Kleidung eingesperrt? Er dachte mit Gänsehaut an die vielen Schlösser. Er traute sich, dies als Frage zu formulieren.

»Maria nimmt an einem Forschungsprogramm teil. Deswegen ist es wichtig, dass alle Maßnahmen genau nach Vorschrift durchgeführt werden. Und abgeschlossen werden sie, damit die Testbedingungen nicht verändert werden können.«

Paul fand das ziemlich seltsam. Aber er versuchte mitzudenken. »Dann war das Halskorsett nicht vorgesehen.«

Sie blickte ihn anerkennend an. »Das hast Du richtig erkannt.« Ihre Gesichtszüge entspannten sich etwas. »Maria mag dieses Halskorsett sehr gern. Allerdings kommt es in dem Programm nicht allzu häufig vor.« Noch etwas war ihr wichtig. »Du wirst oft mit Maria allein sein wollen.«

Paul spürte, wie er rot wurde. Immerhin schaffte er es, sie bittend anzusehen.

»Dann wirst Du Dich um Marias Programm kümmern dürfen. An vielen Punkten braucht Maria Hilfe.«

Doch etwas war für ihn noch offen. Maria hatte ihn wegen des Halskorsetts ja quasi angelogen. Woher sollte er denn immer wissen, ob Maria die Wahrheit sagte?

Mrs. Potter spürte Pauls Misstrauen und versuchte dies in die richtige Richtung zu lenken. »Du solltest wissen, das Maria sehr streng erzogen wird. Sie wird heute noch für dafür bestraft werden.«

Paul war erschrocken. So hatte er das nicht gewollt.

Marias Erzieherin schien dies zu spüren. »Maria wird auch nicht wegen der kleinen Ungehorsamkeit bestraft, sondern wegen ihrem Leichtsinn und ihrer Gedankenlosigkeit.«

Sie machte eine bedeutsame Pause. »Es gibt einen schönen Spruch, den ich Dir und Maria gerne ans Herz legen möchte: ‘Regeln sind dazu da, dass man über sie nachdenkt, bevor man sie bricht!’«

Paul musste etwas grinsen. Jetzt war ihm schon wesentlich wohler zumute.

»Wenn ihr das immer beherzigt«, ihr Ton wurde wieder etwas wärmer, »und stets an die Sicherheit denkt, dann müsst ihr nur noch das elfte Gebot streng beachten.«

Paul schluckte. Er traute sich eigentlich kaum zu antworten, doch er musste es fragen: »Was ist denn das elfte Gebot? Ich kenne nur zehn!«

Jetzt war fast schon so etwas wie ein Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen. »Das, mein lieber Paul, musst du schon selbst herausfinden.« Sie blickte auf die Uhr und erhob sich. »Ich muss jetzt nach Maria sehen. Sie wird sich noch umziehen und dann kommen wir wieder. Wartest Du bitte hier?«

Es klang wie eine Bitte, doch Paul verstand es trotzdem als Befehl. »Ach ja, und noch etwas. Wenn Maria kommt, zeige ihr bitte, dass Du ihr verziehen hast. Nimm sie ein bisschen in den Arm, sie fühlt sich schon schlecht genug und hat auch noch die Strafe vor sich.«

Es fiel Paul gar nicht auf, dass sie ihm gar keine Wahl gelassen hatte.

* * *

Das Flötenspiel hatte aufgehört. Paul wurde zusehend nervöser. In ihm kämpften der leichte Ärger wegen des Halskorsetts mit seiner immer stärker werdenden Liebe zu Maria. Außerdem waren da die vielen Sachen aus Marias Programm, die sie alle so sehr hilflos machten. Auch davon war Paul sehr fasziniert.

Er hörte Schritte und hielt den Atem an, als Maria langsam das Zimmer betrat.

Sie trug einen weinroten bodenlangen Rock und eine ziemlich enge Zwangsjacke aus weißen Leder. Ihre Arme schienen darin bewegungslos gefangen zu sein, denn Maria bewegte sie nicht

Dies fiel Paul sofort auf, und kurz durchfuhr ihn der Gedanke, dass Maria damit wirklich sehr anziehend aussah.

Aber er hatte gar keine Zeit, über die sehr seltsame Jacke nachzudenken, denn hinter Maria kam ihre Erzieherin in den Raum und zog die Aufmerksamkeit auf sich. »Setze Dich neben Paul auf das Sofa.« Ihre Stimme klang gerade ziemlich kalt.

Maria ging mit langsamen Schritten auf Paul zu und setzte sich gehorsam neben ihn. Beim Näherkommen hatte Paul Zeit, noch ein Detail an Maria zu entdecken. Sie trug sie ein Halsband recht locker um den Hals. Es war ein schmaler Lederriemen. Vorn unter dem Kinn war allerdings ein zirka drei bis vier Zentimeter großer Ball auf dem Lederriemen.

Es sah ziemlich seltsam aus. Paul wusste nicht, ob das nun ein Schmuck sein sollte, oder was es sonst hätte sein können. Er blickte noch auf das seltsame Gebilde und glaubte, so etwas schon einmal gesehen zu haben. Doch im Moment fiel im nicht ein, wo dies gewesen war.

Paul war durch die neuen Ereignisse sehr abgelenkt, sonst hätte er sicher gemerkt, dass Maria genauso nervös war.

Mrs. Potter ergriff die Initiative. »Paul, ich möchte, das Du Maria den Knebel anlegst.«

Paul blickte wieder auf Marias Hals und jetzt, wo die Erzieherin das Wort »Knebel« benutzt hatte, erkannte Paul diesen seltsamen Halsschmuck auch. Trotzdem blickte er Mrs. Potter ziemlich hilflos an, weil er nicht wusste, wie mit diesen Knebeln umzugehen war.

Marias Erzieherin sagte ihm, dass er die Schnalle aufmachen müsse, dann könne er Maria den Ball in den Mund stecken und die Schnalle wieder schließen. Sie legte ein kleines geöffnetes Schloss auf den Couchtisch. Paul bekam sofort eine Gänsehaut, als er es sah.

Er beugte sich zu Maria hin und mit ein wenig Geschicklichkeit hatte er die Schnalle des Knebels geöffnet. Gerade als er Maria den Ball vor den Mund halten wollte, wurde er von Mrs. Potter unterbrochen. »Doch zuvor möchte Maria dir noch etwas sagen.«. Sie blickte Maria streng und auffordernd an.

Maria drehte ihm den Kopf hin, musste einmal schwer schlucken und blickte ihn mit einer Mischung aus Liebe, Trauer und Zerknirschtheit an. »Bitte verzeih mir« Ihre Stimme war ziemlich leise.

Paul war nicht mehr zu einer Antwort fähig. Er nickte nur leicht. Sie blickte wieder zu ihrer Erzieherin. »Und jetzt lege mir bitte den Knebel an.«

Paul war total verunsichert. Er ahnte, was der Ball in Marias Mund bewirken würde. »Aber dann kannst Du doch nicht mehr reden?«

Ein klein wenig klang die Stimme von Maria schnippisch. »Ich habe heute Nachmittag schon genug gesagt.« Sie blickt ihn fast etwas trotzig an. »Bitte mach es.« Sie machte ihren Mund auf.

Seine Hände zitterten, als er Maria den Ball in den Mund steckte. Sie legte sofort ihre Lippen um den Ball und schloss die Augen. Ihr Atem ging etwas schwerer.

Mrs. Potter schaute interessiert zu und war sehr angetan davon, wie gut Paul mit dem Knebel zurecht kam. Sie bat Paul, die Riemen doch unter Marias Haaren entlang zu führen und sie nicht einzuklemmen.

Paul gab sich Mühe, der Anweisung nachzukommen.

»Und jetzt noch das Schloss.« Die Stimme von Mrs. Potter war in diesem Moment auch etwas leiser, doch dies fiel Paul nicht auf. Er wusste erst nicht, wie er das Schloss an dem Knebel anbringen sollte. Erst als Mrs. Potter ihm erklärte, dass er es durch das kleine Loch am Dorn stecken musste, war ihm klar, wie es ging.

Als er das kleine leise »Klick« hörte, hatte er den Eindruck, dass ein Ruck durch Marias Körper ging. Und es schien, als sei sie noch eine Spur trauriger geworden.

Mrs. Potter unterbrach die Stimmung. »Ich gehe dann mal Getränke holen. Ihr dürft es euch derweil gemütlich machen.« Letzten Satz sprach sie wie einen Befehl aus.

* * *

Er spürte sehr erfreut, wie Maria sich deutlich fühlbar an ihn kuschelte. Es hatte fast etwas von Trotz. Er überlegte, wie er seinerseits dem letzten Befehl von Marias Erzieherin nachkommen könnte. Schließlich legte er seinen Arm um Maria, wie auf dem Spaziergang. Maria legte ihren Kopf gegen seine Schulter und seufzte leicht trotz des Balles in ihrem Mund.

Paul überlegte einige Zeit, was er Maria jetzt fragen konnte. Er rang sich zu einem »Geht es Dir gut?« durch.

Maria drehte den Kopf zu ihm hin und er sah, wie der Ball in ihrem Mund dabei etwas wackelte. Sie nickte leicht.

Paul begriff jetzt erst, was der Ball in Marias Mund bewirkte. »Du kannst wirklich nicht mehr reden?«

Maria blickte ihn total verliebt an. Dann schüttelte sie den Kopf. Sie musste gähnen. Es sah recht seltsam aus mit dem Ball im Mund.

So blieben sie, bis Mrs. Potter mit den Getränken zurück kam. Sie hatte drei Gläser mit Wasser auf dem Tablett, in einem der Gläser steckte ein Strohhalm.

Sie stellte Paul und sich je ein Glas hin. Das von Maria ließ sie gleich auf dem Tablett stehen. Sie bemerkte Paul fragenden Blick. Sie grinste etwas. »Maria ist eingeschlafen.«

Paul blickte an sich herunter und musste zu seinem Erstaunen feststellen, dass sie recht hatte. Maria lag in seinen Armen und schlief. Er freute sich, dass Maria mit ihrer Strafe anscheinend so gut zurechtkam.

Mrs. Potter hatte sich in den Sessel neben Paul gesetzt und kam ihm damit schon ziemlich nah. Paul bemerkte zu seinem Entsetzen, das er durch Marias Körper quasi an seinen Platz gefesselt war.

Marias Erzieherin begann das Gespräch. »Ich habe gehört, Du lebst bei Deiner Oma?«

Paul fühlte sich schon ein klein wenig in die Ecke gedrängt und er glaubte sich eher in einem Verhör als bei einer gemütlichen Gesprächsrunde. Er war bemüht, gut zu antworten, deswegen erzählte er, wie es kam, dass er nicht mehr bei den Eltern wohnte. »Sie sind fast immer auf Geschäftsreisen. Erst nur mein Vater, jetzt reist meine Mutter auch. Seitdem wohne ich bei meiner Oma.«

»Wie geht es Dir so in der Schule? Hast Du Dich schon eingewöhnt?« fragte Mrs. Potter.

»Ich komme ganz gut mit. Aber so gut wie Maria bin ich nicht.« Paul blieb bescheiden.

»Es scheint, Du kannst Mathe ganz gut?«

Paul fühlte sich geschmeichelt. »Ja, Mathematik ist mein Lieblingsfach.« In diesem Moment hatte Paul nicht das Gefühl, dass er ausgefragt wurde.

Mrs. Potter fragte unvermittelt, was Paul von Marias Gegenständen aus dem Programm hielt.

Paul musste zugeben, das er so etwas noch nie gesehen hatte. »Nur den Knebel habe ich schon einmal in einem Film gesehen.« Er machte eine kleine Pause. »Maria sieht damit sehr schön und anmutig aus. Ich finde es toll, wie gut sie damit klar kommt.«

Mrs. Potter runzelte etwas die Stirn. Doch sie sagte nichts.

»So gesehen gefällt mir ihr Programm auch gut. Nur das Lernen ist damit nicht so einfach.«

Paul erzählte noch etwas von seinen anderen Hobbies und von seiner alten Schule.

* * *

Mrs. Potter schaute auf die Uhr. »Es wird Zeit, ich muss Maria ins Bett bringen.«

Sie bemerkte Pauls fragenden Blick. »Es ist wichtig für das Programm, dass die Zeiten so gut wie möglich eingehalten werden.«

Sie stand auf. »Ich möchte Dich um einen Gefallen bitten.«

»Ja, gern.« antwortete Paul, aber wie um es deutlich zu machen blickte er auf die vor sich schlafende Maria.

»Ich muss das Bett für Marias Strafe vorbereiten. Würdest Du sie noch ein wenig festhalten?« Sie sah Paul fragend an.

Paul war bei diesen Worten entsetzt. Er versuchte zu protestieren. »Und der Knebel? Maria wird doch schon bestraft.«

Marias Erzieherin blickte ihn gutmütig an. »Es ist sehr nobel von Dir, dass Du Maria in Schutz nehmen willst.« Sie blickte auch noch einmal auf Maria. »Aber der Knebel ist nur für ihre Widerworte beim Pavillon.«

Paul war sehr enttäuscht. Er hatte sich schon darüber gefreut, dass Maria so einfach »davonkommen« würde.

»Und wie wird Maria bestraft?« Paul war auf einmal verzweifelt, weil er Maria nicht vor der Strafe schützen konnte.

»Das soll sie Dir Morgen selbst erzählen.« Mrs. Potter sah erfreut, dass Paul sehr viel Interesse an Marias Schicksal zeigte. »Aber ich möchte deutlich betonen, dass Maria nicht wegen des Ungehorsams bestraft wird, sondern weil sie so leichtsinnig war und sich selber in große Gefahr gebracht hat. Es war einfach gedankenlos.«

Mit diesen Worten ging sie aus dem Zimmer. Gleich darauf hörte Paul die Schritte auf der Treppe.

* * *

Er spürte, wie Maria sich in ihren Armen bewegte. Ihr erster Blick fiel auf die Uhr, und sie zuckte für Paul fühlbar zusammen. In ihrem Blick stand Furcht und Paul erkannte, dass sie von der Strafe wusste.

Sie sah ihn an, und als er ihren traurigen Blick sah, erschrak Paul fast.

Er wusste allerdings nicht, was er sagen sollte. Er wollte sie trösten, doch er wusste nicht wie. Es liefen ein paar Tränen über Marias Gesicht. Es tat Paul sehr weh.

Schon erklangen wieder die Schritte von Mrs. Potter auf der Treppe. Maria wurde nervöser, das spürte Paul. Er spürte, wie sie sich aufrichten wollte. Doch sie konnte sich ja nicht mit den Armen abstützen. Paul half ihr, sich wieder gerade hinzusetzen.

Es liefen wieder ein paar Tränen über ihr Gesicht. Paul wurde innerlich immer aufgebrachter, doch sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, das er hier besser nichts unternehmen sollte. Abgesehen einmal davon, dass er gegen Mrs. Potter ohnehin nicht genügend Mut aufgebracht hätte.

Aber er fühlte sich schlecht, weil er seine Freundin nicht vor ihrer Strafe schützen konnte. Auch wenn er natürlich verstanden hatte, warum sie bestraft wurde. Denn schließlich hatte sie ihn ohne sein Wissen zum Werkzeug für ihren Eigensinn gemacht.

Mrs. Potter kam in das Zimmer und Paul war recht erstaunt, dass sie seine Schultasche in der Hand hatte. Die hätte er jetzt ganz vergessen. Sie reichte ihm die Tasche. Paul war recht bedrückt.

* * *

Maria stand mit Tränen in den Augen vor ihm und gab ihm mit dem Ball im Mund einen Abschiedskuss. Dann ging sie mit traurigen Schritten aus dem Zimmer. Gleich darauf hörte Paul ihre Schritte auf der Treppe.

Mrs. Potter brachte Paul zur Tür. Immer noch ziemlich verwirrt trat Paul hinaus und ging langsam den Weg in Richtung Straße. Überall auf dem Boden lagen Blätter und dünne Äste, die anzeigten, dass kurz zuvor ein heftiges Unwetter getobt hatte.

Doch dafür hatte Paul im Moment keine Augen. Zu sehr war er in Gedanken bei Maria und ihrer jetzt wohl stattfindenden Bestrafung. Er hatte zunächst angenommen, der seltsame Ball in ihrem Mund sei die Bestrafung gewesen und er hatte sich schon gefreut, dass Maria es so einfach wegsteckte.

Es tat ihm weh und er hätte es gern verhindert. Doch er wusste weder wie er das machen sollte, noch hätte er dazu den Mut aufgebracht. Denn dazu hätte er sich gegen Mrs. Potter stellen müssen.

Die Strafe hatte vermutlich etwas mit Schlafen zu tun, denn Mrs. Potter wollte ja das Bett für Marias Strafe vorbereiten. Er fragte sich, was Maria da wohl erleiden musste. Dass sie es fürchtete, das hatte er gespürt, als er sie in seinen Armen halten durfte. Zum Schluss sah Maria richtig traurig aus.

Am Himmel waren keine Wolken mehr zu sehen. Der starke Wind hatte dafür gesorgt, dass sie weggeweht waren. So langsam kündigte sich die Nacht an.

Paul war davon unbeeindruckt, trotzdem beschleunigte er seine Schritte. Er musste unbedingt mit jemanden reden und er hoffte sehr, dass seine Oma jetzt zu Hause sein würde.

Schon am Gartentor sah er, dass in der Küche Licht brannte. Er war erleichtert.

Selma saß am Küchentisch und war dabei, einen großen Eimer Sauerkirschen zu entsteinen. Sie war sehr erstaunt, als Paul sich zu ihr setzte und ihr wie früher mit einer zweiten Haarnadel beim Entsteinen half.

Sie kannte ihren Enkel gut und wusste, dass ihm etwas auf dem Herzen lag. Andererseits war ihr die Hilfe bei den vielen Kirschen auch ganz recht. »Was ist denn passiert?« fragte sie recht unvermittelt.

Paul war im ersten Moment ziemlich verblüfft, doch dann seufzte er. »Maria wird bestraft und ich habe sie in Gefahr gebracht.«

Ohne dass sie ihn ansah, spürte Pauls Oma, das ihr Enkel ziemlich aufgewühlt war. »Jetzt erzähl doch mal der Reihe nach.« Sie entkernte ruhig weiter ihre Kirschen.

Paul blickte sie verblüfft an, dann holte er tief Luft und begann mit leiser Stimme zu erzählen...

* * *

Maria kam traurig aus dem Bad und ging langsam auf ihr Bett zu. Es war so ein schöner Tag mit Paul gewesen. Seufzend schlug sie die Bettdecke zurück. Dort lag er, der verhasste Gummischlafsack. Maria war wütend, doch sie wusste selbst nicht genau auf wen eigentlich.

Sie wusste, das sie gegen eine wichtige Regel verstoßen hatte und die Ereignisse vom Spaziergang hatte ihr die Folgen ihres Leichtsinns auch drastisch vor Augen geführt. Wenn Paul nicht gewesen wäre, dann... Sie wagte nicht, es zu Ende zu denken.

Sie war alt genug, um zu wissen, wie wichtig Konsequenz in der Erziehung war. Doch warum ausgerechnet heute. Und fast wäre Paul noch dabei gewesen.

Sie strich verächtlich über das Gummi ihres Nachtgefängnisses. Eigentlich war es ja gar nicht so schlimm. Die Sachen aus der »schönen« Samstag Nacht waren strenger.

Aber in diesem Gummi kam sie immer sehr ins Schwitzen und verbunden mit der Unbeweglichkeit wurde dies dann wirklich zu einer Strafe.

Mrs. Potter kam in das Schlafzimmer und als Maria sah, dass sie die strenge Haube in der Hand hielt, fluchte Maria leise vor sich hin. Manchmal war ihr die Strenge und Konsequenz ihrer Erzieherin wirklich zu viel. Doch sie wusste, das sie sich nicht wirklich dagegen wehren konnte. Und in ihrem Interesse lag es auch nicht.

»Seit ihr bereit, Eure Strafe anzutreten?« Dieser Satz leitet stets das jeweilige Ritual ein. Früher hatte Maria das toll gefunden. Im Moment dachte sie anders darüber.

Eine Antwort brachte Maria nicht zustande. Stattdessen lief ihr eine Träne Über das Gesicht, die sie versuchte heimlich wegzuwischen. Dann stellte sie sich gerade neben ihr Bett und senkte wie sonst auch den Blick zu Boden. Eine Antwort gab sie nicht.

Trotz allem spürten beide, dass es heute etwas anders war als sonst. Und zumindest Maria wusste im Augenblick nicht, woran das lag.

»Ich erlaube Euch, mit der Strafe zu beginnen.« Für Maria war das das Zeichen, dass es jetzt wirklich beginnen würde.

Sie seufzte ganz leise, dann setzte sie sich langsam auf das Bett und nahm die schwere Gummihülle zur Hand. Sie erschauderte schon, als sie das im Moment noch kalte Material in den Fingern spürte. Gleich würde ihr gesamter Körper von diesem Gummi umgeben sein. Es lief noch eine Träne ihre Wange herunter.

Gewiss, Maria war den Umgang mit diesen Materialien gewohnt. Aber diesmal war noch etwas anderes dabei. Ihre frisch erwachte Liebe zu Paul machte ihre Strafe heute doppelt schwer. Wie gern wäre sie neben ihm eingeschlafen und nicht in diesem fast widerlichen Gummisack.

Ein Räuspern ihrer Erzieherin riss Maria aus ihren Gedanken. Sie musste jetzt wirklich anfangen. Langsam steckte sie ihre Beine in den Gummisack. Es war zu sehen, dass sie den Umgang mit diesem Strafgerät gewohnt war. Mit sehr viel Geschick hatte sie ihre Beine bis zur Hüfte in die verhasste Hülle verpackt. Mit den so gefangenen Beinen stellte sie sich vor das Bett und blickte mit einer Mischung aus Traurigkeit und Wut auf ihre Erzieherin.

Sie bekam kaum ihren Mund auf. »Ich wäre dann soweit.« Mrs. Potter war dies zu undeutlich, doch heute verzichtete sie auf das demütigende Ritual, Maria eine deutliche Aussprache abzuringen. Das war eine der wenigen Gelegenheiten, wo sie Nachsicht zeigen konnte.

Sie trat auf Maria zu und zog die schwere Gummihülle langsam bis zu Marias Hals hoch. Diesmal schaffte ihr Schützling es gleich beim ersten Mal, die Arme links und rechts in die innen liegenden Ärmel zu stecken. Sie wollte es heute schnell hinter sich bringen und endlich ihre Ruhe haben.

Als Mrs. Potter den Reißverschluss zu machte, bekam Maria eine Gänsehaut. Dieses ratschende Geräusch hatte für sie immer etwas endgültiges. Sie wusste, das sie vor Morgen früh aus diesem Sack nicht mehr heraus kam. Sie konnte sich darin kaum ein paar Millimeter bewegen und an ein selber befreien war überhaupt nicht zu denken.

Mrs. Potter half ihr, sich auf das Bett zu setzen. Maria hob ihre Beine in der Gummihülle und schwang sie auf das Bett. Ihre Erzieherin half ihr, sich in die Mitte des Bettes zu legen.

Dann nahm sie die lange Schnur und begann, sie in die Schnürleisten links und rechts vom langen Reißverschluss einzufädeln. Nach dem sie damit oben angekommen war, begann sie die Schnürung nachzuziehen und den noch etwas dehnbaren Schlafsack immer enger um Maria zu spannen, bis ihr Schützling sich gar nicht mehr bewegen konnte.

Maria fand dies mehr als überflüssig. Sie hätte sich auch ohne die Schnürung nie befreien können und enger wurde es damit auch. Gut, normalerweise mochte sie die Enge recht gern, wenn es bloß nicht dieses Gummi wäre. Die anderen Schlafsäcke waren wesentlich angenehmer.

Außerdem wollte Maria endlich mit ihrem Kummer allein sein. Sie wusste, das ihre Erzieherin sich noch nie von ihren Tränen hatte beeindrucken lassen.

Auf dem Nachttisch lag drohend noch die Kopfhaube und ihr Mundschutz. Maria erschrak, als ihr Blick darauf fiel. Sie hasste es ja schon, wenn sie sich selbst dieses Ding anlegen musste. Noch schlimmer war es, wenn Mrs. Potter es machen würde.

Sie ärgerte sich sehr, dass sie es vergessen hatte.

* * *

»Und gegen Ende des Abends sagte Mrs. Potter dann plötzlich, das Maria noch bestraft wird.« Die Enttäuschung schwang jetzt noch in Pauls Stimme mit.

Seine Oma hatte bisher nur zugehört. Jetzt versuchte sie, Anteilnahme zu zeigen. Doch sie kam nicht umhin, Marias Erzieherin Recht zu geben. »Ich weiß ja nicht, wie streng die Strafe wohl ausfallen wird, aber die ist wohl zu recht erteilt.«

Paul hielt mit dem Entsteinen der Kirschen inne und blickte seine Oma mit einer Mischung aus Unverständnis und Verzweiflung an. Er wusste nicht, was er sagen sollte.

»Ihr wart wirklich sehr leichtsinnig.« Paul merkte an ihrem Tonfall, dass auch sie es ernst meinte.

Paul versuchte sich zu rechtfertigen, auch wenn er wusste, dass er im Moment nichts mehr ändern konnte. »Ich hatte den Eindruck, dass Maria damit sehr gut klar kam.«

»Sie wollte sich nichts anmerken lassen.« Seine Oma dachte nach. »Sie ist sehr stolz, und daher will sie vor Dir keine Schwäche zeigen. Und sie will wohl auch zeigen, dass sie für ihre Fehler gerade steht und Verantwortung übernimmt.«

Paul wusste nicht, was er sagen sollte.

»Aber Du hast sie wirklich in Gefahr gebracht«, fügte sie nach einer kurzen Pause dazu.

Mit einer Gänsehaut dachte Paul noch einmal an die Baustelle und wie Maria bei den großen Platten gestolpert war. Er hatte sie gerade noch auffangen können. »Du hast recht, ich muss da in Zukunft wohl sehr gut aufpassen.«

Der Blick seiner Oma machte ihm Mut. Dann dachte er noch einmal über Marias Schuhwerk nach. »Warum hat sie denn wohl diese seltsamen Stiefel getragen? Das sind doch einfach Stiefel mit besonders hohen Absätzen, oder?«

Seine Oma war empört: »Wo denkst Du hin. Es sind eben nicht nur Stiefel mit hohem Absatz. Die Ballett-Stiefel bewirken ein schön gestrecktes Bein, strecken ganz andere Muskeln und bringen den Fuß in eine natürliche Haltung.«

Paul blickte seine Oma total erstaunt an. Sie schien sich wirklich sehr gut auszukennen.

»Schau mal ein Foto an von einem Mädchen, das kniet oder mit untergeschlagenen Beinen auf dem Bett oder am Strand sitzt. Sie hat die Füße in perfekt gestreckter natürlicher Haltung!«

Paul versuchte, seinen Fuß so zu strecken.

Seine Oma lachte. »Bei Männern funktioniert das nicht, die können die Füße nicht so strecken.«

Sie erklärte ihm, dass dies eine weibliche Eigenschaft sei. »Gute Ballett-Stiefel werden genau die natürliche Fußhaltung stützen. Und ich bin mir sicher, dass deine Maria so welche trägt. Du müsstest es an ihrer ganzen Körperhaltung erkennen können.«

Paul versuchte sich zu erinnern. »Sie trug allerdings einen recht langen Rock, bis über die Knie.«

»Balance und Grazie werden geübt und wie bei einer Turnerin wird der ganze Gang sehr kontrolliert und fest angespannt. Naja, du wirst es schon noch erleben.«

Paul fühlte fast so etwas wie stolz, wenn er an ‘seine’ Maria dachte. Das mit den Stiefeln glaubte er jetzt verstanden zu haben. Doch da war noch etwas: »Und warum wohl hat sie auch noch das Ding um den Hals tragen wollen?«

Seine Oma musste lächeln. »Das &slquo;Ding’ nennt man Halskorsett.« Sie hielt für einen Moment ihren Kopf so als ob sie selbst eines tragen würde. »Es hält den Kopf gerade und aufrecht. Damit sich die Trägerin an die richtige Kopfhaltung gewöhnt.«

Paul erinnerte sich an den stolzen Eindruck, den er von Maria hatte.

»Aber natürlich kann Maria dann auch ihren Kopf nicht mehr bewegen.« Sie hielt kurz inne. »Ich weiß nicht, warum sie das unbedingt tragen wollte. Vielleicht gefällt es ihr. Du kannst sie ja mal danach fragen.«

Paul blickte sie erstaunt an. »Ich weiß nicht, ob ich das kann.« Er dachte noch einmal an Marias Gestalt. »Aber das Seltsamste ist dieser Handschuh, der ihre Arme auf dem Rücken zusammenhält.«

Auf einmal stand seine Oma auf. »Warte mal, ich habe da etwas für Dich.«

Sie ging zur Spüle und wusch sich die Hände dann verschwand sie in Richtung Wohnzimmer. Paul hörte, wie sie den Wohnzimmerschrank öffnete. »Wo habe ich es denn hingelegt?«

Paul hörte sie herumkramen.

»Ach, hier ist es.« Als sie wieder kam, trug sie etwas großes unter dem Arm. Sie blickte auf ihren Neffen und lächelte, als sie seine roten Finger sah. »Wasche Dir bitte auch erst die Hände.«

Paul kam der Bitte nach. Mittlerweile hatte Selma den Gegenstand auf den Küchentisch gelegt und Paul sah, dass es ein altes Fotoalbum war. »Bitte sei vorsichtig damit, es hat schon sehr gelitten.«

Paul blickte auf die Fotos, die sie ihm zeigte. Auf der linken Seite waren zwei Gruppenaufnahmen der Grafenfamilie. Und rechts war ein einzelnes Foto. Paul war total fasziniert, es zeigte seine noch junge Oma, wie sie der einen Grafentochter gerade so einen seltsamen Handschuh anlegte, genauso einen, wie Maria auch getragen hatte. Paul war sprachlos.

* * *

Es tat Mrs. Potter ja selbst Leid, das sie Maria in diese schwitzige Gummihülle stecken musste. Aber Maria war heute sehr leichtsinnig und ungehorsam gewesen, und deswegen war für diesen Fall diese Strafe vorgesehen. Und Konsequenz war in Marias Programm besonders wichtig.

Eigentlich machten diese Nächte ihrem Schützling gar nichts aus. Wenn sie Maria morgens aus dem Gummisack heraus ließ, war sie zwar ziemlich verschwitzt, aber nach einer schnellen Dusche war für sie alles vorbei.

Doch heute war es anders und deswegen war Mrs. Potter ziemlich verunsichert. Maria war sehr unruhig und es schien, dass sie unter der Haube weinte.

Die Erzieherin dachte nach. Es war doch eigentlich wie immer gewesen, sie hatte sie in den Sack gesteckt und zugeschnürt. Diesmal hatte sie die Schnürung nicht einmal so fest angezogen wie sonst. Dann hatte sie Maria noch den Mundschutz eingesetzt und ihr die strenge Gummihaube darüber geschnürt. Auch daran konnte es eigentlich nicht liegen, denn diese Kombination trug Maria in dem Programm auch relativ häufig.

Sie schaute noch einmal nach ihrem Schützling. Maria schien unter der Haube wirklich intensiv zu weinen. Das Schluchzen war deutlich zu hören.

Die Erzieherin setzte sich neben das Bett und hörte einen Moment aufmerksam zu. ‘Nein’, kam sie zu einem Entschluss, da war etwas nicht in Ordnung. So konnte sie Maria nicht in die Nacht entlassen.

Im ersten Moment schien Maria gar nicht mitzubekommen, dass ihre Haube wieder aufgeschnürt wurde, doch dann hielt sie auf einmal mit dem Schluchzen inne und schien abzuwarten.

Mrs. Potter zog ihr die Haube vom Kopf, und während sie noch den Mundschutz entfernte, fragte sie ihren Schützling, warum sie denn weinte.

Maria blickte sie mit verweinten Augen an. »Paul«, sie schluchzte erbärmlich, »was wird er bloß von mir denken?« Es klang herzzerreißend.

Mrs. Potter streichelte ihr über die zerzausten Haare.

»Das mit dem Halskorsett habe ich so nicht gewollt.« Sie schluchzte wieder. »Er wird mir nie verzeihen.« Maria blickte ziemlich verzweifelt.

»Natürlich wird er Dir verzeihen.« Auch wenn sie gar nicht so genau wusste, um was es Maria ging. »Du liebst ihn, nicht wahr?«

Maria blickte ihre Erzieherin erstaunt an. Dann nickte sie vorsichtig. Ihr Blick hatte auf einmal etwas verträumtes. Sie sagte nur ein Wort. »Sehr«

Dann wurde Maria wieder traurig. »Ich habe ihn ausgenutzt. Ich war so egoistisch.« Sie schluchzte schon wieder. »Und das nur wegen diesem blöden Halskorsett. So schön war es nicht einmal.«

Jetzt ahnte Mrs. Potter, was wirklich in Maria vorging. Und sie war erleichtert, dass es nichts mit der Gummisack-Strafe zu tun hatte. »Ihr sehr Euch ja morgen in der Schule. Und Paul kommt doch nochmal zur Nachhilfe.« Sie blickte Maria fragend an.

Maria nickte vorsichtig.

»Dann kannst Du ihm alles erzählen. Er liebt Dich doch auch.«

Ein ungläubig erstaunter Blick kam von Maria. »Meinen Sie?«

Sie wollte ihren Schützling beruhigen und ihr ein einfache Strafnacht ermöglichen. Sie streichelte ihr noch einmal über das Haar, dann erhob sie sich wieder.

»Ihr müsst jetzt schlafen, Prinzessin.« Ihr Ton hatte gewechselt. »Ich hole Euch die leichte Haube. Aber sagt Eurer Mutter nichts davon.« Sie ging an den Kleiderschrank und kramte kurz darin.

Maria war über diese Straferleichterung sehr froh, denn zum einen gab es sie nur sehr selten und zum anderen wagte sie auch nie, von sich aus danach zu fragen. Dazu war sie zu stolz. Doch sie war sehr erleichtert, den so strengen Mundschutz nicht tragen zu müssen.

Mrs. Potter setzte sich wieder neben Maria und legte ihr genauso zärtlich wie vorsichtig die leichte Strafhaube an. Diese war aus Leder und ließ sowohl Nase als auch Mund frei. »Jetzt müsst ihr mir aber versprechen, dass ihr mit dem Weinen aufhört.« Sie sprach etwas lauter, weil sie wusste, das diese Haube etwas dämpfte.

Maria drehte ihren Kopf in die Richtung, in der sie ihre Erzieherin vermutete und sprach recht leise. »Ich will es versuchen.«

Diese streichelte ihr noch einmal über die jetzt nicht mehr bedeckte Wange. »Gute Nacht, Prinzessin.«

Maria wünschte ihr auch eine Gute Nacht.

* * *

Paul blickte voller Ehrfurcht auf die drei Fotos. »Das rechte Foto war eine Probeaufnahme des Fotografen. Der Graf hat sie mir geschenkt« Es klang viel Stolz in ihrer Stimme mit.

Sie zeigte vorsichtig auf das recht Bild. »Hier kannst Du auch gut den Unterschied in der Haltung erkennen. »Die älteste Tochter trägt ihren Handschuh schon und die jüngste hat noch ihre Arme frei.«

Paul blickte noch einmal genauer auf die Bilder. Die mittlere Tochter wurde von seiner Oma gerade in den Handschuh geschnürt und so wie sie es gesagt hatte, war bei den anderen Töchtern der Haltungsunterschied gut zu erkennen.

Er verglich dies auch noch einmal mit den offiziellen Aufnahmen. Die Haltung der Schwestern hatte schon etwas sehr vornehmes, fast hochnäsiges. Ohne das es ihm richtig bewusst war, sprach er seine Gedanken aus. »Maria ist nicht so hochnäsig.«

Selma musste lächeln. Ihr Neffe hatte natürlich recht, die Grafentöchter waren mehr als hochnäsig gewesen. Trotzdem dachte sie gern an die Zeit zurück.

Paul fiel ein, dass er seine Oma noch etwas fragen wollte. »Marias Erzieherin hat noch was ziemlich seltsames gesagt. Vielleicht kannst Du mir das erklären?«

Er wartete ihre Antwort gar nicht ab. »Regeln sind dazu da, dass man über sie nachdenkt, bevor man sie bricht! Das habe ich ja verstanden.«

Er machte eine Pause. »Wir sollen immer auf die Sicherheit achten...«

Seine Miene wurde nachdenklich. »Und wir sollen dem elften Gebot streng folgen.«

Selma versuchte, ein Lachen zu unterdrücken. »Ich glaube, trotz all ihrer Strenge ist diese Mrs. Potter ein Pfundskerl, der wirklich nur das Beste für Euch will.«

Sie strich ihm leicht über die Wange. »Wenn du gut auf Deine Maria aufpasst, dann brauchst du wirklich keine Angst vor ihr zu haben.«

Paul freute sich über diese Einschätzung. Doch etwas wusste er immer noch nicht. »Ja, aber was ist denn nun dieses elfte Gebot? Ich habe nur zehn gelernt.« Und dabei überging er sein schlechtes Gewissen, auch diese Zehn nicht mehr auswendig zu können.

»Armer Paul, hast du das wirklich noch nie gehört?« Selma lächelte. »Das elfte Gebot lautet: Du sollst Dich nicht erwischen lassen!«