Maria

Maria – Der Besuch

Autor: Karl Kollar

Andrea nahm den Hörer ab und meldete sich. Es war ihr Chef, der sie in sein Büro bat.

Das war kein gutes Zeichen. Sicher war er der Meinung, sie hätte wieder etwas falsches berichtet oder hätte nicht genügend recherchiert. Sie nahm sich ihren Block und machte sich auf den Weg in das Büro.

Dass er ihr einen Sitzplatz anbot, war schon ungewöhnlich. Normalerweise musste sie sich die Strafpredigt im Stehen anhören.

»Warum haben sie den Artikel über das Katerinenfest heruntergestuft?« Seine Stimme klang dabei aber etwas anders als sonst.

Im ersten Moment wollte Andrea widersprechen und sagen, dass diese Anweisung doch von ihm persönlich gekommen war, weil die Baroness nicht die Hauptrolle auf dem Katerinenfest spielen würde. Doch dann schluckte sie ihre Antwort herunter und blickte ihn verlegen und gespielt schuldbewußt an. Eine ihrer Kolleginnen hatte ihr diesen Tipp gegeben. Es war die beste Reaktion, wenn der Chef mal wieder seine Fehler auf seine Angestellten abwälzte, was leider viel zu oft vorkam.

»Ich möchte jetzt zwei Berichte pro Woche von ihnen haben.« Er holte tief Luft. »Einen Bericht für die Mittwochsausgabe und einen fürs Wochenende.«

Andrea hielt sich mit ihrer Reaktion noch etwas zurück. Sie wusste noch nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte.

»Ich möchte ganz detaillierte Berichte.«

Andrea zögerte mit der Antwort.

»Fragen sie diese Maria ganz genau aus. Ich will alles wissen.« Sein Gesicht wurde etwas rötlich. »Lassen sie sich meinetwegen selbst so einen Handschuh anlegen, wenn sie dann besser darüber berichten können.«

Die Reporterin rutschte nervös auf ihrem Stuhl herum. Doch eine Antwort gab sie noch nicht.

»Laden sie sie zum Essen ein oder was auch immer.« Ihr Chef reichte ihr eine leere Spesenabrechnung, die er schon unterschrieben hatte. »Machen sie etwas daraus.«

Sehr verwundert nahm Andrea das Formular entgegen. So spendabel war ihr Chef noch nie gewesen.

Doch schließlich ließ er noch durchblicken, wo sein Sinneswandel herkam. »Ich möchte die Sparkasse als Anzeigenkunde nicht verlieren.« Letzteres sagte er mehr zu sich selbst.

* * *

Als sie wieder an ihrem Schreibtisch saß, musste Andrea erst einmal tief durchatmen. In ihrer beruflichen Routine war ihr sofort klar, dass sie jetzt einen Auftrag über sechzehn Artikel über acht Wochen bekommen hatte. Ihre erste eigene Serie.

Doch das eigentlich Aufregende an diesem Auftrag war, dass sie jetzt sozusagen einen dienstlichen Auftrag hatte, den so faszinierenden Monohandschuh auszuprobieren. Natürlich wusste sie, dass es ganz schlechter Stil war, Privates mit Beruflichem zu verbinden. Doch in diesem Fall war ihre persönliche Begierde einfach größer.

Sie war sich auch noch nicht sicher, ob sie Hans jetzt schon davon berichten sollte. Denn er würde sie liebend gern in so einen Handschuh schnüren, davon war sie überzeugt. Und genauso sicher war sie, dass er sie dann so bald auch nicht mehr heraus lassen würde. Unbewußt streichelte sie sich über ihre Gänsehaut am Arm.

Doch dann schob sie ihre privaten Interessen beiseite und begann mit ihrer Arbeit. Sie nahm sich die Unterlagen zur Hand, die sie vom zweiten Vorsitzenden bekommen hatte und die aufgelistet hatten, an welchen Terminen die Darstellerin der Katerina jeweils teilzunehmen hatte. Sie begann sich zu überlegen, wie sie die sechzehn Artikel gliedern sollte.

Aus Marias Stundenplan entnahm sie, wann sie heute aus der Schule kommen würde. Unter einem Vorwand hatte sie eine ehemalige Mitschülerin, die jetzt Lehrerin am Gymnasium war, um das Papier gebeten, aus dem sie jetzt wichtige Informationen für ihre Arbeit ziehen konnte.

Ihr Plan war, Maria direkt auf dem Weg nach Haus abzufangen und einen weiteren Termin zu bitten. Natürlich hätte sie ihre Fragen auch sofort direkt stellen können, aber sie war der Meinung, das würde sehr nach Unaufrichtigkeit aussehen.

Andrea war aber darauf angewiesen, dass sie zu Maria und vor allem zu ihrer Erzieherin ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen konnte. Sie hätte zwar auf ihre Fähigkeiten vertrauen können, in einem beiläufigen Gespräch genügend Informationen für einen einzelnen Artikel zusammen zu bekommen. Doch dann wäre das so mühsam aufgebaute Vertrauen verspielt und einen weiteren Artikel würde es nur unter sehr viel größeren Schwierigkeiten geben.

Sie wusste, dass sie vor allem die Erzieherin auf ihre Seite ziehen musste. Sie hoffte, dass sie diese mit ihrer neuen Aufgabe, einer Serie von 16 Artikeln, begeistern oder zumindest positiv aufgeschlossen beeinflussen konnte.

Auf der anderen Seite gab es noch den fast vierwöchigen Aufenthalt von Maria in den USA bei ihrer Mutter in der Klinik. Andrea hatte noch keine Idee, was sie in den acht Artikeln während Marias Abwesenheit schreiben sollte. Sie hoffte, von Maria dazu Informationen zu bekommen.

Außerdem war da noch ein persönlicher Wunsch, den sie äußern wollte. Zumindest hatte sie sich das fest vorgenommen.

* * *

Die Reporterin versuchte gar nicht erst, es nach einer zufälligen Begegnung aussehen zu lassen. Als sie das Pärchen die Straße entlang kommen sah, stieg sie aus ihrem Auto aus und ging auf sie zu.

»Nun, wie geht es unserer Katerina?« versuchte sie eine harmlose Begrüßung. Marias leuchtende Augen waren ihr eigentlich Antwort genug.

»Die ganze Schule weiß es.« Ihre Stimme war leise, dennoch war der Stolz deutlich zu hören.

Andrea ahnte, dass ihr dies wohl sehr viel bedeutete.

Erst dann fiel Maria es auf, dass sie noch gar nicht auf die Frage geantwortet hatte. »Es geht mir gut.« Doch es lag ein Seufzen in ihrer Stimme, welches Andrea aufhorchen ließ.

Maria spürte einen leichten Stoß in die Seite. Sie wusste sofort, was Paul ihr damit sagen wollte. Sie musste bei der Reporterin aufpassen, dass sie sich nicht versehentlich verplapperte. Schließlich gab es im Zusammenhang mit dem Fest ein großes Geheimnis zu bewahren.

»Mein Chef hat mir aufgetragen, jetzt zwei Mal pro Woche über die Katerina zu schreiben.« Andrea erzählte von ihrem großen Auftrag.

Sowohl Paul als auch Maria begriffen sofort, wie sehr Maria damit in das Licht der Öffentlichkeit gerückt werden würde. Schon der erste Artikel mit dem Monohandschuhbild hatte für Wirbel gesorgt. Dabei war es weniger die Tatsache, dass Maria einen solchen Handschuh trug, sondern mehr die Fähigkeit von Maria, ihre Arme auf dem Rücken zusammenlegen zu können. Auch ohne den Handschuh.

»Die Rolle ist wie ein Geschenk.« Maria strahlte, dennoch klang sie eher nachdenklich. »Jetzt kann ich meinen Mono überall tragen und keiner wird sich daran stören.«

Andrea wunderte sich. »Aber ist es nicht schwer, die ganze Zeit die Arme so halten zu müssen?« Die zweite Aussage, die in Marias Satz lag, überhörte Andrea in diesem Moment. Bisher hatte Maria den Handschuh anscheinend auch schon getragen, aber ihn verstecken müssen.

Maria lächelte. »Ja, es bedarf eines gewissen Talents und eines langen Trainings.«

Andreas Blick wurde sehr nachdenklich. »Ich würde das gern mal selbst ausprobieren.« Sie sagte es mehr zu sich selbst, denn eine positive Antwort erwartete sie nicht.

Maria sah in diesem Moment eine Chance, sich bei der Reporterin für den ersten schönen Artikel zu bedanken. »Ich könnte mal mit meiner Erzieherin reden, sie weiß da bestimmt einen Rat.«

Andrea ließ sämtliche berufliche Regeln außer acht. »Das wäre toll. Ich möchte das unbedingt mal ausprobieren.«

Paul schwieg zu dem Gespräch. Doch er hatte arge Zweifel, ob der Reporterin die Handschuhe von Maria passen würden. Nicht nur, dass sie um einiges größer als Maria war, waren doch die Handschuhe für Maria auf ihr Maß gearbeitet, so dass sie genau über Marias Arme passten. Andrea würde in die Handschuhe nie hinein passen.

»Wann wäre denn Zeit für ein Interview?« Andrea hatte bislang noch keine Idee, welchen Bericht sie am Dienstag Abend abliefern sollte.

»Das wird aber schwer.« Paul hatte das Gefühl, Maria verteidigen zu müssen. »Maria hat einen sehr vollgestopften Terminkalender.«

»Donnerstag gleich nach der Schule ist glaube ich Zeit.« Innerlich seufzte Maria, denn zu der Zeit wollte sie eigentlich intensiv die Originalhaltung trainieren. Dafür war leider nur noch sehr wenig Zeit.

»Oh je«, seufzte Andrea, »ich muß schon Morgen abend den ersten Artikel abliefern.«

»Wir müssen erst zum Sprachunterricht«, Paul zählte auf, »dann ist Geschichtsstunde und danach steht noch das Selbstverteidigungstraining an.«

Andrea war beeindruckt als auch niedergeschlagen. Doch dann hatte sie eine Idee: »Und wenn ich einfach mitkomme?«

Das Paar hatte nichts dagegen. »Aber viel freie Zeit ist trotzdem nicht.«

Andrea war das ganz recht. Insgeheim hätte sie ohnehin noch nicht gewußt, was sie hätte fragen sollen.

* * *

»Wie fühlst du dich so als Prinzessin?« Eigentlich hatte Andrea es nur als Smalltalk gedacht, doch unbewußt öffnete sie bei Maria eine Schleuse.

»Es ist ein Traum.« Marias Stimme strahlte Begeisterung aus. »Ich werde eine echte Prinzessin sein.«

»Und was macht eine echte Prinzessin aus?« Andrea hoffte, dass es die richtige Frage war. Sie spürte mit ihrer beruflichen Routine, dass es viel zu erfahren gab, wenn sie jetzt keinen Fehler machte.

»Anfangs fand ich die Prinzessinnen einfach nur toll mit ihren Kleidern und ich wollte auch so werden.« Ein gewisser träumerischer Unterton war deutlich zu hören. »Später lernte ich mehr über die Aufgaben der Mädchen und mein Traum festigte sich.«

»Die wären...?« fragte Andrea mit echter Neugier.

»Sie leben für ihr Volk und haben nur wenig persönliche Freiheiten.«

Andrea begann zu ahnen, was Maria mit den persönlichen Freiheiten meinte. So routiniert, wie sie den Monohandschuh tragen konnte, schien sie in der Vergangenheit wohl oft auf ihre Armfreiheit verzichtet zu haben, um diese Haltung zu trainieren.

Aber es war ihr ein Rätsel, warum sie das auf sich genommen hatte und welchen Druck wohl ihre Mutter dabei ausgeübt hatte. Sie formulierte eine Frage, um ihren Verdacht zu vertiefen. »Deine Mutter war sicher sehr streng zu dir?«

Doch auf ihre Mutter wollte Maria nichts kommen lassen. »Nein, das war sie eigentlich nie.«

Andrea runzelte die Stirn.

»Ich war schon immer fasziniert gewesen von den Prinzessinnen.« Maria strahlte »Zu Weihnachten gab es immer Mutter-Tochter Fernseh-Nachmittage, wenn »Sissi« ausgestrahlt wurde.«

Andrea hoffte, sich alles richtig zu merken. Ihr Diktiergerät hatte sie leider im Auto liegen gelassen.

»Um mein erstes Korsett musste ich richtig kämpfen.« Ihre Stimme wurde sentimental. »Dann war da die Aktion vom Kaufhaus, das eine Weihnachtsprinzessin suchte. Das war das schönste Weihnachtsgeschenk.« Sie erzählte, wie es zu dem tollen Auftritt gekommen war.

Paul, der die ganze Zeit schweigend neben ihnen her gegangen war, fiel auf, das Maria den Catsuit nicht erwähnte, den er kürzlich erst entdeckt hatte.

»Und wenn ich trainiere«, verteidigte Maria ihre Mutter, »dann war sie immer sehr aufmerksam und hat mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen.«

Andrea traute sich nicht zu fragen, ob mit dem Trainieren der Monohandschuh gemeint war. Sie vermutete es aber.

»Außerdem, wenn die Prinzessinnen so umsorgt werden, dann müssen sie auch Opfer bringen.« Maria seuftze. »Dann muss ich eben mal auf meine Arme verzichten.«

Andrea sprach offen ihre Bewunderung aus.

»Mit 12 habe ich das erste Katerinenspiel erlebt und mir war sofort klar, dass sich so etwas auch mal machen möchte. Doch die Rolle zu bekommen war aussichtslos. Sie war schon direkt nach dem Fest vergeben.« Sie beschrieb, dass sie oft heimlich die Armhaltung der Katerina übte. »Und dann hatte meine Muter eines Tages den Handschuh in der Hand.«

Paul hatte ihre Hand ergriffen und hielt sie fest.

»Ich habe teilweise wirklich von einem »goldenen Käfig« geträumt.«

Andrea war von der Schilderung sehr verzaubert. »Und dann kam der Prinz und hat den Käfig geöffnet.«

»Der Prinz ist gekommen.« Maria drehte sich zu Paul und gab ihm einen Kuss. »Aber der Käfig bleibt zu.«

Andrea fiel auf, dass sie den letzten Satz fast so wie einen Befehl ausgesprochen hatte.

* * *

Mrs. Potter wunderte sich ein wenig, als sie Maria und Paul in Begleitung der Reporterin sah. Natürlich war die Erzieherin erfahren genug, um sich vor der Presse in Acht zu nehmen. Andererseits hatte Frau Baselitz einen sehr schönen Artikel über Maria und das Fest geschrieben und ein sehr positives Bild von der Katerinadarstellerin entworfen.

Andrea erklärte auch gleich nach der herzlichen Begrüßung den Grund ihres Kommens. Dabei ließ sie die Gelegenheit nicht aus, über ihren sprunghaften Chef zu jammern. »Er ändert ständig seine Meinung und schiebt seine Fehler auf seine Angestellten.« Sie seufzte tief. Doch dann kam sie zum Grund ihrer Anwesenheit. »Er hat mir eine Serie gegeben. Ich soll bis zum Fest jeden Mittwoch und Samstag einen Artikel über Maria und das Fest schreiben.«

»Der Artikel über Maria war schön.« Mrs. Potter wollte die Gelegenheit nutzen, sich bei der Reporterin zu bedanken.

»Oh danke schön.« Andrea freute sich ehrlich über das Lob. Doch dann verfinsterte sich ihre Miene. »Mein Chef war da ja anderer Meinung.«

»Lassen sie sich nicht beirren.«

»Ich glaube, der Sparkassendirektor hat da sehr viel Druck ausgeübt.« sagte Andrea mehr zu sich selbst. »Er murmelte etwas von 'Anzeigenkunden nicht verlieren'.«

»Das sieht Rudolf ähnlich.« Mrs. Potter lächelte. »Herr Steinhagen, meine ich. Ich kenne ihn von früher.«

Andrea freute sich über die freundliche Atmosphäre. Das erlebte sie bei ihren Aufträgen eher selten. Sie griff in ihre Tasche und holte ihre Notizen heraus. »Ich würde ihnen gern zeigen, wie ich mir die Serie vorgestellt habe.«

»Ich bitte um Entschuldigung, aber wir müssen Rücksicht nehmen auf den sehr engen Terminplan von Maria.«

Andrea ärgert sich darüber, dass sie daran nicht gedacht hat.

»Wenn es ihnen nichts ausmacht, dann könnten sie uns das beim Mittagessen erklären, zu dem ich sie recht herzlich einladen möchte. Gekocht habe ich genug.«

Andrea nahm dankend an. Als sie im Esszimmer den großen an der Wand hängenden Kalender sah, musste sie schlucken. Marias Zeit war wirklich sehr dicht verplant. »Ich sehe schon, dass wird nicht einfach.« sagte sie aber mehr zu sich selbst.

»Warten sie bitte, bis Maria von Umziehen zurückkommt?« bat Mrs. Potter die Reporterin. »Paul, du kannst mir bitte in der Küche helfen?«

Paul war sehr verwundert, dass Marias Erzieherin von ihm Hilfe brauchte. Erst im letzten Moment realisierte er, dass sie ihm zugezwinkert hatte.

* * *

»Was ich dir sagen möchte, muss sie nicht unbedingt mitbekommen.« sagte Mrs. Potter, nachdem sie die Küchentür hinter sich geschlossen hatte.

Paul war erleichtert. Insgeheim hatte er sich beim Weg in die Küche schon beim Kartoffelschälen gesehen.

»Maria wird heute den ganzen Nachmittag für das Fest unterwegs sein« Ihre Stimme war leise und klang deswegen noch wichtiger. »Ich bin heute Abend nicht da.«

Paul nahm es zur Kenntnis. Er hatte nicht das Gefühl, etwas erwidern zu müssen.

»Ich möchte dich inständig darum bitten, gut auf Maria aufzupassen. Bitte sorge dafür, dass sie nach spätestens zwei Stunden eine Pause mit dem Handschuh macht. Besser sogar nach eineinhalb Stunden.«

Paul wusste, dass mittlerweile jeder Verständnis dafür hatte, wenn Maria bei der Wahrnehmung eines Termins gleichzeitig auch den Handschuh trainierte. Das sie das eigentlich gar nicht mehr nötig hatte, war noch eine andere Geschichte.

»Aber Maria kann es doch schon so gut.« Paul wollte seine Bedenken äußern. »Die Leute meinen vielleicht, dass Maria gar nicht mehr trainieren müßte.«

»Ach Paul«, Mrs. Potter lächelte, »die meisten Menschen sehen eine Frau gern in einem Monohandschuh, auch wenn sie das nie zugeben würden. Es wird keiner Marias Training in Frage stellen.«

»Aber wird Maria auch auf mich hören?« Paul hatte in diesem Punkt arge Bedenken.

»Du musst ihr selbstbewußt gegenübertreten.« Mrs. Potter versuchte ihn zu ermutigen. »Maria wird sich oft mehr zumuten, als es gut für sie ist. Benutze deinen gesunden Menschenverstand. Zeige ihr, dass du dich ernsthaft um ihr Wohlbefinden sorgst. Sie wird es akzeptieren, wenn es von dir ehrlich gemeint ist.«

Paul begann zu ahnen, dass sein Verhältnis zu Maria sich ändern würde.

»Jetzt könntest du mir tragen helfen, damit die Reporterin nichts merkt.« Mrs. Potter lächelte verschmitzt.

* * *

Andrea bedankte sich für das leckere Essen. Es kam nicht oft vor, dass sie bei ihren Recherchen eingeladen war.

»Sehen sie es als kleines Dankeschön für den netten Artikel.«

Andrea lächelte verlegen.

»Paul, legst du bitte Maria den Handschuh an?« Mrs. Potter hatte die Tafel aufgehoben. »Abräumen tue ich dann später.«

Andrea schaute dem Anlegen etwas ungläubig zu. »Du hast doch jetzt ...« Sie blickte auf den Wandkalender. »Sprachunterricht?«

Maria verstand die Verwunderung nicht ganz. »Ich muss doch trainieren.« Sie lächelte. »Und ausserdem stört er beim Sprachunterricht überhaupt nicht.«

Andrea stockte in ihren Gedanken. Wenn sie jetzt weiter sprechen würde, dann würde sie einige Details von sich verraten, die sie lieber für sich behielt.

Doch Maria schien ihre Gedanken zu erraten. »Seit ich für die Katerina ausgewählt bin, akzeptiert es jeder, dass ich ihn trage. Ich muss mich gar nicht rechtfertigen. Die Rolle bringt es so mit sich.« Dabei war ein Leuchten in ihren Augen zu sehen. Sie gab sich Mühe, ein Stöhnen zu unterdrücken, als sie die zunehmende Enge des Handschuhs spürte.

Mrs. Potter wartete, bis Paul mit der Schnürung fertig war. Dann bat sie Maria um ihre Aufmerksamkeit.

Maria drehte sich relativ schnell zu ihrer Erzieherin hin und blickte zu ihr empor.

»Paul wird mich heute den ganzen Nachmittag vertreten.« Sie blickte ihn kurz aber bestimmt an. »Er wird darauf achten, dass du beim Trainieren genügend Pausen machst.«

Maria schluckte und blickte kurz zu Paul.

»Wenn es gut läuft, dann werden wir das in Zukunft öfters so machen. Du wirst Paul gehorchen, mein Kind?« Sie sprach es als liebevolle Frage aus, aber Maria verstand es so, wie es gemeint war, als Befehl.

»Ja, Madame, ich werde gehorchen.« Ein seltsames Kribbeln war in ihrem Bauch zu spüren. Ihr Blick zeigte, dass ihr noch etwas auf dem Herzen lag.

Doch die Erzieherin wusste auch so, was Maria bewegte. »Heute abend darfst du die Jacke tragen.« Sie blickte kurz zu Andrea, die gerade damit beschäftigt war, die Termine aus dem Kalender abzuschreiben. Sowohl Paul als auch Maria verstanden sofort, was sie damit sagen wollte. »Paul wird dir beim Anziehen helfen.«


Andrea legte ihren Block beiseite und warf noch einmal einen sehr verträumten Blick auf Marias verpackte Arme. Sie kämpfte mit sich. Natürlich wusste sie, dass sie Äußerung ihres Chefs als Scherz gemeint war, aber dieses Mal wollte sie ihn wörtlich nehmen. Sie räusperte sich. »Ich hätte da noch ein Anliegen.«

Mrs. Potter drehte sich zu ihr hin. »Ja bitte?«

»Mein Chef sagt, ich solle mir selbst so einen Handschuh anlegen lassen, damit ich weiß, worüber ich schreibe.« Sie hoffte, es einigermaßen neutral gesagt zu haben, doch spätestens das Funkeln in ihren Augen hätte sie verraten.

»Stehen sie bitte auf und legen sie ihre Arme auf den Rücken.« Mrs. Potter zeigte sich zur Überraschung der Reporterin wenig beeindruckt. »Ich möchte zunächst einmal nur wissen, wie gelenkig sie sind.«

Andrea stand mit zitternden Knien auf und kam der Bitte nach.

»Marias Handschuhe werden ihnen nicht passen«, ergab der kritische Blick der Erzieherin. »Die sind alle viel zu eng.«

Andrea war etwas enttäuscht.

Mrs. Potter dachte kurz nach. »Herr Weiterer ist mir noch einen Gefallen schuldig. Er hat durch seine Aufgaben beim Fest Handschuhe in den verschiedensten Größen. Bei ihm finden sie garantiert etwas Passendes. Wenn sie möchten, dann mache ich einen Termin bei ihm für sie aus.«

Andrea hatte Mühe, ihre Begeisterung zu verbergen. »Ja, das wäre schön.«

Mrs. Potter verließ den Raum.

Andrea wartete und hatte große Mühe, ihre Nervosität zu verbergen. Nach schier endlos scheinenden Minuten kam die Erzieherin zurück. »Sonntag 14 Uhr.« Sie nannte die Adresse. »Ich rate ihnen dringend, sehr pünktlich zu sein. Wenn er etwas nicht mag, dann ist es Unpünktlichkeit.«

Andrea versprach es.

»Sie dürfen aber auf keinen Fall erwähnen, dass sie von der Presse sind. Das ist ganz wichtig.« Ihr eindringlicher Blick unterstrich die Wichtigkeit dieser Aussage. »Gehen sie als Privatperson zu Herrn Weiterer und nehmen sie keine Reportersachen mit, er könnte sonst misstrauisch werden. Ich habe sie als die Tochter einer guten Bekannten empfohlen.«

* * *

Als Paul langsam den Umhang von Marias Schultern zog, kam der Handschuh zum Vorschein. Doch der Lehrer nahm davon überhaupt keine sichtbare Notiz. Er wusste von Marias engem Terminplan und dass sie versuchte, mehrere Dinge gleichzeitig zu trainieren. Stattdessen fragte er nach Marias Hausaufgaben. »Seid ihr mit dem Korken klargekommen?«

Maria war sichtlich nervös. »Eigentlich nicht.«

Der Lehrer stutzte etwas, doch eine Frage stellte er diesbezüglich nicht.

Es kostete Maria einige Kraft, über die »Nebenwirkungen« ihres Monohandschuhs zu berichten. »Wenn ich trainiere«, sie wackelte etwas mit den Armen, »dann kann ich den Korken nicht auffangen, wenn er mir aus dem Mund fällt.«

Der Lehrer schien es einzusehen und war etwas verlegen. »Naja, ohne Korken geht es im Prinzip ja auch.«

Doch Maria konnte ihn überraschen. Sie blickte zuerst Paul an und dann auf ihre Tasche, die ihre Utensilien enthielt. Paul trug sie, wenn sie mit dem Monohandschuh unterwegs war.

Paul verstand sofort, was sie wollte. Er griff hinein und holte den Ballknebel heraus. Zu seiner Erleichterung zitterte seine Hand nicht, als er ihr den Ball anlegte.

»Wie wäre es damit?«, fragte Maria langsam, als sie spürte, dass Paul mit dem Anlegen des Knebels fertig war.

Dem etwas verlegenen Lehrer war anzusehen, wie überrascht er war. »Ja, so geht das natürlich auch.« Das Sprechen fiel ihm schwer. »Diesen...« er geriet etwas ins Stottern. »Diesen Ball könnt ihr ganz ohne schlechtes Gewissen nutzen.«


Andrea hatte sich auf einen der Stühle an der Wand gesetzt und weiter an ihrem Konzept gearbeitet. Nur gelegentlich schaute sie auf. Maria mit dem Monohandschuh und dem Knebel im Mund strahlte eine solche unschuldige Erotik aus, der sich Andrea nur schwer entziehen konnte. Es kostete sie einige Mühe, sich nicht von ihren eigenen Gefühlen mitreißen zu lassen.

Paul stand die ganze Zeit neben ihr, hielt ein weißes Taschentuch in der Hand und beobachtete ihre Lippen. Er wollte ihr die Demütigung ersparen, wegen dem Ball sabbern zu müssen. Wusste er doch, dass Maria wegen dem Ball nicht schlucken konnte und weil sie wegen dem Sprachunterricht ständig den Mund bewegte, bestand eigentlich ständig Sabbergefahr.

Als der Lehrer nach einer halben Stunde wegen der Belastung von Marias Kiefer eine Pause empfahl, wollte Maria dies erst nicht annehmen. Erst ein dringlicher Blick von Paul brachte sie dazu, der Pause zuzustimmen. Dass sie es nur mit Widerwillen tat, war deutlich zu sehen.

Andrea wurde auf einmal klar, warum Maria die vorgeschlagene Pause nur so widerwillig akzeptierte. Es entsprach so überhaupt nicht ihrem Bild einer Prinzessin, dass diese auf einmal eine Erleichterung ihres Schicksals bekommen sollte. Zumindest glaubte sie dies so verstanden zu haben.


Die Stunde war viel zu früh herum. Dies empfand auf jeden Fall Andrea. Sie hätte noch gern weiter die unschuldige Ausstrahlung von Maria genossen, der ihre starke Hilflosigkeit so überhaupt nichts auszumachen schien.

Doch Paul sah dies entsprechend seiner Anweisungen etwas anders. Er nahm Maria den Knebel wieder ab und steckte ihn in die Tasche, nachdem er ihn kurz sauber gewischt hatte. Dann trat er hinter Maria und begann die Schnürung des Handschuhs zu öffnen.

Maria begriff natürlich sofort, was er vor hatte und sie versuchte, sich seinen Händen zu entziehen. Er schien mit dieser Reaktion gerechnet zu haben, denn seine Hände hielten Maria sofort etwas fester an den Schultern fest. »Dein Ehrgeiz in allen Ehren, aber du brauchst eine Pause.«

Andrea konnte Maria nur von hinten sehen, aber das Zittern in ihrem Körper zeigte deutlich, dass sie mit sich selbst und ihren Gefühlen kämpfte. Dabei fand sie die Reaktion sogar verständlich. Diese Befreiung bedeutete ja auch eine Unterbrechung ihres Prinzessinnentraums.

* * *

»Und wie kommt ihr mit dem Herrn von Schleihthal zurecht?« Diese Frage hatte Andrea sich als Thema für den Weg zum Geschichtsunterricht herausgesucht.

Doch Maria wusste zunächst nicht, wer gemeint war. »Mit wem?«

»Na dem Darsteller des Prinzen«, erklärte Andrea, »der Neffe vom Baron Harsumstal« .

Als aufmerksame Journalistin war es ihr nicht entgangen, dass Maria erst Pauls Hand ergriff und dann nach den richtigen Worten suchte. Doch Andrea ließ sich davon nichts anmerken.

»Er war bisher nur einmal kurz beim Tanzunterricht.« Marias Tonfall zeigte deutlich, dass sie über den Neffen sehr unglücklich war. »Er hat dabei aber nur Ärger gemacht.« Sie berichtete, was sich bei der Tanzstunde zugetragen hatte. »Alle anderen Termin habe ich zusammen mit Paul wahrgenommen.«

Paul streichelte ihr durch das Gesicht.

Andrea war klar, dass sie in dieser Richtung besser nicht weiter nachhaken sollte. Es war deutlich, dass es Maria sehr viel Kraft kostete, ihren tatsächlichen Ärger und ihre Enttäuschung zu verbergen. Es passte sicherlich auch nicht in das Bild, welches sie sich von einer Prinzessin gemacht hatte. Sie wollte für ihr Volk leiden und hoffte dabei auf eine gewisse Unterstützung ihres Prinzen. Doch Maria in der Rolle der Katerina hatte vor allem unter dem Prinzen zu leiden.

Andrea sprach das zum ersten Mal aus, was Maria sich insgeheim schon seit langem wünschte. »Es wäre sicher toll, wenn Paul den Prinzen spielen dürfte.«

Ein lauter Seufzer war die einzige Reaktion von Maria.


An einem Haus blieb Maria stehen und drehte sich zu Paul um. »Ist deine Oma wohl zu hause?«

Es fiel Paul erst jetzt auf, dass sie der Weg zum Geschichtsunterricht an dem Haus seiner Oma vorbei führte. »Ich weiß es nicht.« war seine Antwort. »Ich kann mal nachsehen.«

Doch Maria hielt ihn zurück. »Warte einen Moment.« Sie griff in ihre Tasche und nahm sich ihren Knebel heraus.

Andrea schluckte, als sie sah, dass Maria sich mit geradezu beeindruckender Sicherheit selbst den Knebel anlegte. Es hatte den Anschein, als würde sie das täglich machen.

Sie lächelte Paul mit dem Ball zwischen den Lippen zu und flüsterte. »Ich möchte Deiner Oma eine Freude machen und mich für den Ball bedanken.«

* * *

Andrea versuchte, sich die Adresse des Hauses einzuprägen. Sie wollte es vermeiden, jetzt ihren Notizblock zu zücken. Letzteres hätte die sehr prickelnde Atmosphäre kaputt gemacht.

Oma Selma war daheim und begrüßte ihren Enkel erfreut. Maria sagte ihren Trainingssatz mit den Wiener Waschweibern auf und bedankte sich dann noch einmal artig und mit einem Knicks für den Ball.

Es fiel Andrea auf, dass Maria bisher nie das Wort 'Knebel' erwähnt hatte.

»Wir kommen gerade vom Sprachunterricht« Paul berichtete über die Aktivitäten »und jetzt sind wir auf dem Weg zum Geschichtsunterricht.«

Oma Selma war beeindruckt über den vollen Terminplan von Maria.

Andrea erinnerte daran, dass sie danach noch einen Termin wegen der Selbstverteidingung hätten.

Oma Selma stutze und blickte die Reporterin etwas verwundert an.

Andrea stellte sich vor. »Ich darf eine Serie über Maria schreiben. Sie sind also Pauls Oma?« Sie sah eine Gelegenheit. »Darf ich auch etwas über sie schreiben? Ich brauche einige Artikel, wenn Maria in Amerika ist.«

Oma Selma fühlte sich geschmeichelt. »Wenn sie möchten, kann ich ihnen auch einiges über das Fest erzählen.«

»Oh ja,« Maria zeigte eine für sie ungewöhnliche Begeisterung. »Deine Oma kennt sich gut aus und kann noch besser erzählen.« Faszinierenderweise störte sie der Ball in ihrem Mund so gut wie überhaupt nicht.

»Danke schön.« Oma Selma lächelte Maria an. »Aber jetzt solltest du den Ball wieder abnehmen.«

Maria wurde ein wenig verlegen, dann kam sie der Bitte nach.

Selma nahm ihren Enkel in den Arm. »Passe gut auf sie auf.« Sie strich ihm über den Kopf. »Und lass dich von ihr nicht um den Finger wickeln.«

Paul warf der etwas verlegenen Maria einen liebevollen Blick zu, dann wandte er sich wieder seiner Oma zu. »Ich versuche es.«

Selma warf einen Blick auf die Uhr. »Ich will euch dann nicht länger aufhalten. Herr Kleinert wartet bestimmt schon.« Sie reichte allen die Hand. »Grüßt ihn von mir.«

Paul versprach es.

* * *

Maria hatte eigentlich wieder eine trockene Unterrichtsstunde erwartet. Doch zur Überraschung aller hatte Herr Kleinert diesmal einen Filmprojektor und eine Leinwand aufgebaut.

»Ich möchte euch heute zeigen, wie sich das Fest über all die Jahre so entwickelt hat.« erklärte er gleich nach der Begrüßung.

Sie kannten Herrn Kleinert als Geschichtslehrer vom Gymnasium, doch er verstand es sehr gut, die Schule und das Fest zu trennen. Er bedankte sich für die Grüße von Pauls Oma.

»Macht es euch gemütlich, dann können wir mit dem Kino beginnen.« Er zeigte auf die Sessel und die Couchgarnitur.

Doch Maria zögerte ein wenig und kramte etwas auffällig in ihrer Tasche.

Paul wusste, was sie bewegte. »Maria möchte weiter mit dem Handschuh trainieren.«

»Nur zu.« Herr Kleinert brauchte keine weiteren Erklärungen. »Ich warte mit dem Film auf euch.«


Es wurde eine sehr kurzweilige Stunde. Maria hatte sich mit dem Handschuh zwischen zwei Kissen gesetzt und Paul hatte seinen Arm um sie gelegt.

Wie es schon im Museum zu sehen war, waren die Feste mehr oder weniger deutlich dem Zeitgeschmack unterworfen. Dies äußerte sich vor allem in den verschiedenen Handschuhen.

Gelegentlich gab der Lehrer noch Kommentare zu den Aufnahmen. Besonders beeindruckend waren auch die Szenen, in denen die jeweilige »glückliche Braut« von der Kutsche aus dem »Volk« zuwinkte.


Als das Licht im Raum wieder anging, verabschiedete Herr Kleinert seine »Schüler«. »Ich hoffe, euch hat der kleine Ausflug in die Geschichte gefallen.«

Maria als Hauptperson bedankte sich für die schöne Vorführung, dann drehte sie sich zu Paul und bat ihn, sie aus dem Handschuh heraus zu lassen.

Paul war über dieses Ansinnen mehr als erstaunt. Er hatte sich insgeheim schon mehrere Argumente zurechtgelegt, mit denen er Maria dazu bringen wollte, eine Pause einzulegen. »Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte er leise, als er die Schnürung öffnete.

»Ich erkläre es dir später«, sagte Maria genauso leise.

Andrea beachtete die kleine Szene nicht. Sie war von den Filmen sehr bewegt und hatte sehr angespannt die vielen Monohandschuh-Trägerinnen bewundert. Dabei war ihr aufgefallen, dass die meisten Handschuhe bei weitem nicht so eng waren wie Maria den ihren trug.

Jetzt hatte sie nur noch einen Wunsch: Schnell nach Hause...

* * *

Oma Selma bat Paul und Maria zuzugreifen. Sie hatte für das Abendessen fertige Schnittchen vorbereitet. Paul und Maria ließen es sich schmecken.

Doch schließlich hielt es Paul nicht mehr aus. »Du wolltest mir noch etwas erklären. Warum wolltest du nach den Filmen gleich aus dem Handschuh heraus?«

Zu seinem Erstaunen sah er, dass Maria sich schwer tat mit der Antwort.

»Die Mädchen in den Filmen...« Sie stockte. »Die weiten Handschuhe.« Ihre Stimme zitterte.

Oma Selma verstand sehr gut, was Maria bewegte. »Du hast Angst, die Leute könnten meinen, dass du das Training mit dem Handschuh gar nicht mehr brauchst und den Handschuh aus anderen Gründen trägst.«

Maria senkte den Kopf und wurde auf einmal so rot, dass es keine weiteren Antwort von ihr brauchte.

»Mach dir diesbezüglich keine Sorgen.« Sie streichelte Maria über den Kopf. »Die Leute werden nur denken, dass du eine sehr ehrgeizige Katerina bist und dem Fest keine Schande machen möchtest.«

Maria blickte zögernd auf und noch etwas misstrauisch lächelte sie. »Ich darf also weiter... trainieren?« Die Pause vor dem Wort 'trainieren' sprach Bände.

»Und jetzt solltest ihr aufbrechen, damit ihr rechtzeitig beim Sport seid.« Insgeheim freute es sie, dass durch Maria auch Paul wieder etwas mehr zu sportlichen Aktivitäten genötigt wurde.

* * *

Maria hatte sich schon daheim umgezogen. So konnte sie den lästigen Fragen wegen ihrer stählernen Unterwäsche aus dem Weg gehen. Sie hatte sich schon seit langem mit ihrem Keuschheitsgürtel arrangiert und hatte mittlerweile überhaupt keine Probleme mehr damit, ihn quasi rund um die Uhr zu tragen. Im Gegenteil, er gab ihr ein Gefühl von Sicherheit und half ihr, in der Öffentlichkeit selbstbewusst aufzutreten.

Paul hatte seine Sportsachen noch in der Tasche, die er in der einen Hand trug. Außerdem befand sich in der Tasche auch der Monohandschuh, den Maria im Training tragen würde. Es war für ihn ein eigenartiges Gefühl, als er ihn zu seinen Sportsachen gepackt hatte. Er hatte darauf bestanden, dass Maria den Handschuh erst nach dem Umziehen anlegen sollte und sie hatte sich mehr oder weniger sofort gefügt.

Immerhin genossen es beide, dass sie den Weg zur Sporthalle Hand in Hand gehen konnten.


Der Empfang an der Sporthalle war leider wie immer. Renate Bayer war schon anwesend und mit betretener Miene berichtete sie, dass der Neffe auch diesen Termin nicht zugesagt hatte. Sie seufzte.

Nach dem Umziehen in den Kabinen trafen sich die Sportler zum gemeinsamen Warmmachen, bei dem auch Paul mitmachte. Obwohl es für ihn hier gar nichts zu tun gab, fand er dies doch sinnvoller, als die ganze Zeit nur herumzusitzen und zuzusehen.

Dann begannen die eigentlichen Übungen und dafür musste Maria sich ein schon etwas ramponiertes Kleid aus festem Stoff überziehen. »Das entspricht ungefähr dem Kleid, welches du auf dem Fest tragen wirst.«

Als nächste bat sie Paul, Maria ihren Handschuh anzulegen. »Es ist dir ja lieber, wenn es dein eigener ist.«

Maria nickte etwas verlegen.

Die Mitglieder des Sportvereins waren immer noch davon fasziniert, mit welcher Routine Maria sich in den Monohandschuh einschnüren ließ und wie klaglos sie es hinnahm. Im Gegenteil, es war sogar ein gewisses Leuchten in ihren Augen zu sehen.

Als Paul mit dem Anlegen fertig war, bat die Trainerin Maria auf die Trainingsmatte. »So, wir wiederholen jetzt die Bewegungen vom letzten Mal.«

* * *

Die Trainerin klatsche in die Hände und rief »Einen Moment Pause.« Dann drehte sie sich um und ging zum Eingang der Sporthalle.

Paul und Maria folgten ihr mit dem Blick und sahen mit etwas Erstaunen, dass der Sparkassendirektor an der Tür stand.

Die Trainerin winkte und rief »Paul und Maria, könntet ihr kurz einmal kommen.«

Die beiden kamen der Aufforderung nach und gingen zur Tür. Herr Steinhagen begrüßte sie kurz. »Ich möchte auch gar nicht lange stören.«

Paul fiel auf, dass Marias Arme noch im Handschuh gefangen waren. »Soll ich Maria den Handschuh abnehmen?«

Herr Steinhagen winkte ab. »Es geht hoffentlich schnell.«

Zu Pauls Erstaunen wandte sich der Direktor an ihn. »Ich habe bisher viel Gutes über dich gehört. Du hilfst Maria, wo du nur kannst und hast auch ganz selbstlos alle Übungen mitgemacht.«

Paul wurde etwas verlegen und wollte abwiegeln. Doch Maria stupste ihn mit ihren verpackten Armen aufmunternd in die Seite. »Sei nicht so bescheiden.«

Herr Steinhagen räusperte sich. Irgendwie war ihm anzumerken, dass jetzt etwas Wichtiges kommen würde. »Wärst du, Paul, bereit, an dem Katerinenfest die Rolle des Prinzen zu übernehmen?«

Pauls Miene zeigte deutlich, dass er damit am allerwenigsten gerechnet hatte.

»Bitte, du musst das machen.« Maria war von dem Gedanken so sehr erfreut, dass sie ihre Erziehung vergaß und ihn überrumpelte. »Mach es bitte mir zuliebe.«

»Ich möchte, dass es ein schönes Fest wird,« bekräftigte der Direktor seine Frage. »Und ich habe einen gewissen Einfluss.« Er blickte Paul erwartungsvoll an.

Es waren die leuchtenden Augen von Maria, die ihm die Zustimmung in den Mund legten. »Ja, ich kann die Rolle übernehmen.«

Maria wäre ihm liebend gern um den Hals gefallen, ihre Arme zuckten heftig im Handschuh. Doch so blieb ihr nur ein kurzer, aber sehr liebevoller Kuss.

* * *

Nach dem Sport ließ sich Maria ganz ohne Widerwillen sofort den Handschuh abnehmen. Paul spürte, dass sie in Gedanken schon beim Fest war. Während die anderen Sportler in die Duschen verschwanden, begleitete er Maria auf dem Weg nach Hause. Er wusste, warum Maria lieber allein duschte.

Er freute sich sehr auf den sturmfreien Abend, den sie beide jetzt vor sich hatten.

Doch ein wenig bedrückte ihn auch die Verantwortung, die bald auf ihm Lasten würde. »Der Direktor hat sicher großen Einfluss in der Stadt.« Er ahnte, dass die Frage des Direktors für ihn große Konsequenzen haben würde.

Maria griff den Gedanken auf. »Ich glaube, er hat auch bei der Zeitung Druck gemacht.« Sie erinnerte sich an einige Andeutungen von Andrea und drückte Pauls Hand etwas fester.

Paul wusste nicht, was er antworten sollte.

Maria erwähnte mit einem seltsamen Klang in der Stimme, dass sie noch trainieren wollte. »Mit den vielen Terminen komme ich ja kaum dazu.«

* * *

Paul blickte sehr verliebt auf Maria, die neben ihm eingeschlafen und jetzt auf seinen Schoß gesunken war. Er war bemüht, sich möglichst wenig zu bewegen, denn er wollte Maria nicht wecken. Das Bewegen in dem Sport-Kleid war sicher sehr anstrengend gewesen und auch sonst hatte sie einen sehr anstrengenden Tag gehabt.

Er hatte sich eigentlich sehr auf den »sturmfreien« Abend gefreut, den er sehr romantisch mit seiner Freundin verbringen wollte. Doch es kam anders als er es geplant hatte. Kaum hatte er seine Jacke ausgezogen, als Maria schon mit strahlenden Augen vor ihm stand. Sie hatte sich die Backprayerjacke angezogen und trug einen Ballknebel im Mund. »Machst du sie bitte zu?«

Paul fand den Knebel übertrieben und er verstand nicht, warum Maria ihn sich angelegt hatte. Aber er wollte auch kein Spielverderber sein. Er trat hinter Maria und schloss die Riemen der Trainingsjacke. Dann brachte er ihre Arme in die richtige Position und zog die Riemen so weit an, wie es abgesprochen war. Er hörte Maria leise stöhnen.

»Komm, lass uns aufs Sofa setzen.« bat er Maria und sie folgte ihm. Doch kaum saß sie neben ihm und hatte sich an ihn gekuschelt, als ihr auch schon die Augen zufielen.

Paul lächelte, als er auf dem Tisch den Zettel mit den Übungssätzen liegen sah. Doch er konnte es nicht übers Herz bringen, Maria dafür zu wecken.

* * *

»Rudolf, was kann ich für dich tun?« Der Baron sah von seinem Schreibtisch auf wunderte sich über den spontanen Besuch des Sparkassendirektors. Im Moment gab es eigentlich nichts Finanzielles zu besprechen.

»Es geht mir um das Fest,« begann Herr Steinhagen, und es war ihm deutlich anzusehen, dass ihm das Thema unangenehm war. »Wie willst du sicherstellen, dass es ein Erfolg wird?«

»Ich bin noch ganz zuversichtlich.« Der Baron ahnte noch nicht, auf welche Frage es hinaus laufen würde.

»Was ist mit deinem Neffen?« Die Stimme des Direktors wurde eindringlich. »Soweit ich informiert bin, hat er bisher an keinem einzigen Termin teilgenommen.«

Der Baron wusste nicht wirklich eine Antwort. Der Direktor hatte ihn an seinem wunden Punkt getroffen.

»Er hat sich bisher gegenüber Maria Beller völlig daneben benommen. Weiterhin gab es diverse Beschwerden.« Seine Stimme wurde noch dringlicher. »Er macht nicht nur die Rolle, sondern auch die Katerina kaputt. Schmeiß ihn raus und nominiere Paul Mohr. Er ist der wesentlich bessere Darsteller für den Prinzen. Und er hat sich bis jetzt schon wesentlich besser vorbereitet als er.«

Der Baron war von dem Vorschlag ehrlich überrumpelt, aber aus ganz anderen Motiven als der Direktor vermutete. Er hatte bisher nur nie den Mut gefunden, seinen Neffen vor die Tür zu setzen. Sein Betragen hatte ihm genauso missfallen.

Jetzt konnte er sich gegenüber dem Neffen rechtfertigen, dass nicht er ihn rausgeworfen hätte, sondern der wichtigste Sponsor des Festes. Der Verweis auf das liebe Geld würde bei seinem Anverwandten eher auf Verständnis treffen.

»Ich werde mit ihm reden.« Der Baron wollte sich nicht zu euphorisch zeigen. Vor allem wollte er nicht zugeben, dass der Direktor bei ihm offene Türen einrannte. Denn die scheinbar so einschneidende Aktion war in Wirklichkeit eine Maßnahme, die genau in die Pläne des Barons passte. Seinem Neffen würde er das dann schon erklären. So wie er ihn einschätze, war ihm der Rauswurf wahrscheinlich sogar lieber als das Fest mit dieser Maria machen zu müssen.

»Nein, das machen wir sofort.« Der Direktor wollte jetzt nicht nachlassen. »Wir fahren jetzt zur Turnhalle und du wirst Paul Mohr offiziell die Rolle übertragen.« Er blickte auf die Uhr. »Und heute abend lässt du das vom Vorstand absegnen.«

Der Baron gab sich kleinlaut. Doch innerlich war er erleichtert. Es war zwar kein Grund zu Jubeln, aber wenigstens konnte ihm jetzt sein Franz-Ferdinand nicht mehr länger dazwischenfunken.

* * *

»Wie geht es unserer so stolzen Prinzessin?« Hell und klar kam die Stimme von Marias Mutter aus dem Telefonhörer, trotz der weiten Leitung bis Amerika.

»Sie übt fleißig für die Rolle.« Mrs. Potter warf einen Blick auf den Kalender, der voller Termine war. »Sie ist fast ständig unterwegs.«

»Und wie steht sie zu Paul?« fragte die etwas besorgte Mutter.

»Die beiden sind schwer verliebt, haben aber kaum Zeit füreinander.« Sie beschrieb, wie sie gestern spät am Abend Maria schlafend in Pauls Armen vorgefunden hatte.

Frederike lächelte durchs Telefon. Doch dann wurde ihre Stimme wieder etwas ernster. »Ich möchte die Regeln für Maria noch ein wenig ändern.« Sie machte eine kleine Pause. »Ich weiß, dass im Moment wegen des Festes alles sehr locker gehalten wird.«

Mrs. Potter hörte, wie Marias Mutter tief Luft holte.

»Ich möchte sie bitten, Maria nicht mehr automatisch aus dem Keuschheitsgürtel zu befreien.«

»Ja...«

»Wenn sie danach fragt und Paul ist nicht in der Nähe, dann erlauben sie es. Ansonsten suchen sie bitte nach einer passenden Ausrede.«

»Machen sie sich deswegen keine Sorgen.« Mrs. Potter verstand den Auftrag sehr gut. »Maria hat im Moment so wenig freie Zeit, dass sie es bisher überhaupt nicht vermisst. Außerdem ist sie schon öfters in seinen Armen gekommen, trotz allem Schutz.«

Das Grinsen von Marias Mutter war fast zu hören.

Mrs. Potter berichtete von den Neuigkeiten, die sie so eben von Herrn Steinhagen erfahren hatte.

»Pauls Nominierung passt mir gut ins Konzept.« Sie fragte die Erzieherin noch nach der Einschätzung von Marias Selbstverständnis.

»Sie geniesst ihren neuen Zustand sehr,« konnte Mrs. Potter berichten. »Sie ist jetzt schon die Prinzessin, die sie immer sein wollte und sie muss dafür »leiden«. Sie opfert sich auf für die Rolle. Paul an ihrer Seite als der starke Prinz gibt ihr zusätzliche Motivation und Kraft. Es läuft bestens.«

Frederike Beller freute sich über diese Entwicklung, weil es die beiden noch wesentlich weiter aneinander schweißen würde. »Ich möchte sie noch um einen kleinen Gefallen bitten. Bitte notieren sie heimlich, wann Maria wie und wie lange eingeschränkt ist.« Die Unterbrechung ihres sorgfältig ausgearbeiteten ursprünglichen Programms schmeckte ihr überhaupt nicht, aber sie wagte es nicht, gegen ihre Auftraggeber aufzubegehren.

Doch die Erzieherin konnte ihre Sorgen beschwichtigen. »Seit Maria mit Paul zusammen ist und er ihr bei allem hilft, genießt Maria ihre Hilflosigkeit und ist fast die ganze Zeit irgendwie gefesselt.« Sie beschrieb, wie sie Paul erst einmal ermutigen musste, ihrem Wunsch nach ständigem Tragen des Handschuhs entgegenzutreten. »Maria kommt überhaupt nicht dazu, an Zweisamkeit mit Paul zu denken, weil ihr Terminkalender so voll ist und sie entweder etwas zu tun hat oder total erschöpft ist.«

Marias Mutter war über diese Details sehr erfreut. Mit einigen freundlichen Worten und einer kurzen Verabschiedung beendete sie das Gespräch.

* * *

Nachdenklich legte sie den Hörer auf die Gabel und blickte nachdenklich aus dem Fenster. Während ihre Augen dem bewaldeten Horizont folgten, waren ihre Gedanken bei ihrer Tochter und dem Projekt, welches eine sehr erfreuliche Wendung genommen hatte. Ein männlicher Partner war zu dieser Zeit noch gar nicht vorgesehen, höchstens erhofft. Das Programm wurde dadurch erheblich beschleunigt und erfolgreicher, wenn auch auf eine ganze andere Art und Weise als geplant.

Das Extra-Training für das Katerinenfest war mehr als zu begrüßen, wenn sie es auch ihrer Tochter aus eigenem Antrieb nicht zugemutet hätte. Und es hatte noch einen anderen Aspekt, den Frederike bisher nicht zu hoffen gewagt hatte. Mit dem Fest würde sich Marias Prinzessinnentraum erfüllen und sie wäre mindestens für ein Wochenende eine echte Prinzessin, die zudem noch für ihre Volk leiden musste, so wie das seit langem ihr Traum war.

Und auch das Konsortium war mit der Entwicklung mehr als zufrieden. Doch mit der neuesten Nachricht aus der Heimat fühlte sie sich etwas überrumpelt. Es gab etwas Wichtiges zu tun. Pauls Reise in die Klinik war für den Herbst geplant. Das musste jetzt unbedingt vorgezogen werden. Sie nahm Stift und Block zur Hand und begann sich Notizen zu machen.

* * *

Andrea war sichtlich stolz auf sich. Sie hatte es in nur wenigen Stunden geschafft, ein einigermaßen spannendes Konzept für ihre sechzehn Artikel zu erarbeiten. Mit einem Strahlen im Gesicht stand sie jetzt vor Marias Haustür und hoffte darauf, dass ihre Ideen gefallen würden.

Wie schon die Male zuvor wurde sie mit der eher ungewohnten Wärme empfangen, auch wenn Mrs. Potter sofort auf die nur wenig vorhandene freie Zeit hinwies. Doch als Andrea ihr Konzept vorstellen wollte, wurde sie etwas abrupt von Mrs. Potter unterbrochen. »Das können sie gleich wieder zerreißen.«

Andrea war entsetzt und tief enttäuscht. Doch dann beugte sie die Erzieherin zu ihr hinüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Andreas Miene hellte sich in Sekundenbruchteilen wieder auf. »Sind sie sicher?«

Die Erzieherin lächelte zuversichtlich. »Er hat mich heute vormittag angerufen und es mir mitgeteilt. Heute Abend wird es offiziell bekanntgegeben.«

Mit einem breiten Lächeln zerriss Andrea ihr Konzept und nahm einen neuen Bogen Papier zur Hand. Sie begann erste Ideen zu notieren.


Maria kam mit eiligen Schritten die Treppe herunter und Paul folgte ihr.

Mrs. Potter blickte Andrea kurz an und legte den Zeigefinger auf ihre Lippen.

Andrea lächelte verschwörerisch. Dann drehte sie sich zu Maria. »Es geht zum Tanzen?«

Es war Maria anzusehen, dass die Mittagspause nach der Schule ruhig noch etwas länger hätte dauern können. »Die Pflicht ruft.«

»Darf ich euch begleiten?« fragte Andrea und begann ihre Sachen einzupacken.

»Aber gern.«

* * *

Der Tanzunterricht begann mit den üblichen Ritualen. Zuerst machten alle die Aufwärmübungen, dann ließ sich Maria von Paul ihren Trainingshandschuh anlegen. Dabei wollte diesmal Carlos, der Chef der Gruppe, unbedingt dabei helfen.

Doch letzteres entpuppte sich nur als ein Vorwand, um unauffällig mit Paul und Maria reden zu können. »Ich möchte heute eine kleine nicht angekündigte Notfallübung durchführen.« Er beschrieb, was ungefähr passieren würde und wie sich Paul und Maria verhalten sollten. »Das Stichwort ist 'Schätzchen'.« Er grinste, dann klatschte er in die Hände und bat alle Tänzer auf ihre Plätze.

Die Tänzer und Tänzerinnen stellten sich für den ersten Tanz auf und warteten auf die Musik. Dann begann das Training.

Mitten im zweiten Tanz fiel es auf einmal auf, dass Carlos auf einmal ganz falsche Schritte machte. Es sah fast aus, als wäre er betrunken. Er begann zu taumeln und stolperte etwas auf Maria zu »Hallo Schätzchen« lallte er, »lass uns tanzen.« Dann griff er sie etwas unsanft an der Schulter.

Maria, die seine Absicht sofort erkannt hatte, spielte mit. Sie zuckte erschreckt zusammen und wollte einen Schritt zurücktreten. Doch Carlos hatte sie bereits an der Schulter gepackt.

Es waren kaum fünf Sekunden vergangen, als er auf einmal laut »Stopp« rief, zum Rekorder ging und die Musik ausmachte. Dann drehte er sich zu seiner Gruppe um und seine Augen funkelten böse. »Warum habt ihr nicht eingegriffen?« Er machte ihnen deutlich klar, dass dies ihre wichtigste Aufgabe auf dem Fest sei.

»Aber du bist doch der Chef?« kam etwas schüchtern als Einwand.

Doch dies wollte er nicht gelten lassen. »Wie lautet die wichtigste Regel?« Er machte eine deutliche Pause. »Ohne Ansehen der Person!« Er holte tief Luft. »Und wenn es der Bürgermeister persönlich ist, der Maria bedrängt. Eure einzige Aufgabe ist, sie zu beschützen, denn sie kann sich nicht wehren.«

Er drehte sich zu Maria. »Danke, dass du das kleine Spiel mitgemacht hast.«

Doch dann wurde seine Miene wieder etwas freundlicher. »Und jetzt lasst uns weiter tanzen.«

Paul war von der Übung sichtlich beeindruckt ebenso wie Andrea, die sich hastig Notizen machte.

* * *

Doch bald darauf wurde das Tanztraining wieder von Carlos unterbrochen. Sein Grinsen bis zu den Ohren zeigte, dass es etwas ganz besonders sein musste. Er bat seine Tänzer zu sich und gab eine kleine Pause bekannt. »Wir haben Besuch bekommen.« Er musste die beiden Herrn nicht vorstellen, sie kannte jeder.

Fast alle blickten zum Eingang und sahen dort den Baron in Begleitung des Sparkassendirektors stehen.

»Paul und Maria«, bat Carlos, »tretet ihr bitte vor.«

Er wollte, dass es alle hören konnten. Dann winkte er die Besucher heran.

Der Baron begann. »Nachdem wir schon für die Katerina eine Umbesetzung durchführen mussten, bekommen wir jetzt die zweite Umbesetzung.« Das Sprechen viel ihm sichtlich schwer. »Mein Neffe wird den Prinzen nicht spielen.«

Ein leiser Seufzer der Erleichterung ging durch die Halle.

»Paul und Maria, kommt ihr bitte ein mal zu mir?« Der Sparkassendirektor hatte Mühe, sein Freude zu verbergen und versuchte, eine feierliche Miene zu zeigen.

Beide ahnten, was jetzt kommen würde. Sie traten noch ein paar Schritte vor.

»Paul Mohr«, die Stimme von Herrn Steinhagen klang sehr wichtig, »wären sie bereit, die Rolle des Prinzen zu übernehmen?«

Paul und Maria blickten sich kurz an. Dann antwortete Paul mit etwas wackeliger Stimme. »Ja, ich bin bereit dazu.«

Der SPKD drehte sich zu Maria. »Maria, sind sie einverstanden, wenn Paul die Rolle des Prinzen übernimmt?«

Es war Maria deutlich anzusehen, dass sie am liebsten allen um den Hals gefallen wäre. Ihre Arme zuckten deutlich in ihrem Gefängnis. Sie blickte wieder zuerst zu Paul. »Ja, sehr gern.«

Die Tänzer ließen einen spontanen Jubel hören, der erst von Carlos gedämpft werden musste.

»Ich möchte euch beide bitten, heute abend zur Sitzung des Vorstandes kommen. Dort werden wir es dann offiziell beschließen.« Er reichte beiden kurz die Hand.

Maria hatte sich diesmal etwas vorbereitet und streckte ihren Monohandschuh seitlich nach vorn, so dass sie ihm so auch die Hand geben konnte.

»Und jetzt möchten wir euch nicht länger vom Üben abhalten.«

Carlos klatschte in die Hände. »Jetzt wird weiter getanzt. Wir haben noch viel zu üben.«

* * *

Maria war nur bedingt traurig, dass sie heute keine Zeit mehr hatte, ihr Gebet auf dem Rücken zu trainieren. Immerhin ging heute ein Wunsch in Erfüllung, den sie nicht zu erhoffen gewagt hatte. Paul würde den Prinzen spielen. Er würde ihr Prinz werden.

Sie waren zu viert auf dem Weg zur Vorstandssitzung. Während Paul und Maria Hand in Hand unterwegs waren, versuchte Andrea, von Mrs. Potter einige Informationen zu Marias Mutter zu bekommen.

Alle freuten sich auf das Ereignis, welches jetzt vor ihnen lag. Andrea hatte sogar ihr Rendezvous mit Hans abgesagt, ihn aber vertröstet damit, dass er die nächsten Tage neue Fotos von Maria machen sollte.


Es war der komplette Vorstand des Festes anwesend. Und die strahlenden Gesichter zeigten deutlich, dass sie alle schon wussten, um was es heute abend gehen würde.

Sogar Renate konnte Maria heute einmal mit einer freudigen Nachricht begrüßen. »Diesmal ist der Prinz gekommen.« Sie schmunzelte.

Paul und Maria freuten sich sehr über den schönen Scherz.

Der Baron begrüßte die Anwesenden und eröffnete die Sitzung. »Wir haben heute nur einen einzigen Tagesordnungspunkt.« Er holte tief Luft. »Die Nominierung von Paul Mohr als Darsteller des Prinzen.«

Die Runde applaudierte.

Doch dann wurde die Stimmung etwas nüchterner. Paul musste Rechenschaft darüber ablegen, was er bisher von der Rolle des Prinzen schon wusste und an welchen Terminen er teilgenommen hatte.

Er konnte berichten, dass er an fast jedem Termin, wo eigentlich der Neffe hätte erscheinen müssen, an dessen Statt teilgenommen hatte.

Die Runde war mit seinen Ausführungen sehr zufrieden, so dass die darauf folgende Abstimmung zur Formalität wurde.

* * *

Maria schwebte geradezu, als sie jetzt neben Paul die Rathaustreppe hinunter schritt. Vor dem Rathaus blieben sie stehen, weil sie auf Robert warteten. Da Marias Musikgruppe in der Nähe probte, wollten sie dort noch kurz vorbei schauen. Robert wollte sie begleiten, weil er seine Frau abholen wollte.

Maria nutzte die Wartezeit, um Andrea zu erklären, was es mit der Musikgruppe auf sich hatte. »Ich hätte auf dem Fest die erste Stimme spielen dürfen,« beschrieb sie voller Stolz und doch auch mit etwas Wehmut.

Andrea hatte von Musik wenig Ahnung, doch sie spürte, dass es Maria sehr viel bedeutete. Außerdem stellte sie erfreut fest, dass sie mit der Musikgruppe Stoff für einen neuen Artikel hatte.


Vor dem Saal, in dem die Gruppe probte, blieb Robert Greinert stehen und drehte sich zu Maria um. »Ich werde euch ankündigen.« Sein strahlendes Grinsen zeigte, dass er eine besondere Idee hatte.

Aus dem Raum war ein Musikstück zu hören. Er schien es zu kennen. »Gleich sind sie fertig.«

Er wartete und tatsächlich verstummte die Musik gleich darauf. Er öffnete die Tür und trat ein. »Ratet mal, wen ich euch mitbringe.« Dass er die Probe unterbrach, störte ihn dabei nicht.

Seine Frau drehte sich ein wenig verärgert um. Doch als sie seine Miene sah, erkannte sie sofort, dass etwas sehr bedeutsames passiert sein musste. »Nun sag es schon.«

»Ich bringe euch das Prinzenpaar für das Katerinenfest.« Er winkte Paul und Maria herein.

Als die beiden im Raum standen, fragte Karin, seine Frau: »Und wo ist der Prinz?« Sie meinte natürlich den Neffen des Barons.

Die Antwort von Robert verblüffte alle. »Er steht vor euch.«

Es war still und er blickte in etwas ratlose Gesichter. Dann berichtete er, was sich gerade auf der Vorstandssitzung zugetragen hatte.

Es war kurz sehr still im Raum. Dann brach Jubel hervor und alle standen auf, um Maria und Paul zu gratulieren.

Nachdem sich der Jubel etwas gelegt hatte, bat Fritz ums Wort. »Ich denke, wir spielen jetzt noch ein Stück für das künftige Prinzenpaar und dann gehen wir gemeinsam etwas trinken.« Er wandte sich an Maria. »Du darfst dir ein Stück wünschen.«

Maria blickte kurz zu Paul, dann nannte sie einen der alten deutschen Tänze als ihren Wunsch.

* * *

Das Geschrei seines Neffens konnte der Baron schon im Treppenhaus zu hören. Der Butler versuchte ihn aufzuhalten und hätte ihn erst standesgemäß anmelden wollen, doch Franz Ferdinand Freiherr von Schleihthal liess sich davon nicht aufhalten. Es war zu hören, wie er einfach an dem Butler vorbei die Treppe hinauf rannte.

Baron von Harsumstal wappnete sich gedanklich für die fällige Aussprache mit seinem Neffen. Insgeheim war er über die Nominierung von Paul Mohr als Darsteller des Prinzen erleichtert, denn dies würde ein erfolgreiches Fest wesentlich wahrscheinlicher machen. Natürlich ahnte er, wie sein recht impulsiver Neffe wohl reagieren würde und er hoffte, dass er die richtigen Mittel dagegen vorbereitet hatte.


Franz-Ferdinand schlug die Tür des Arbeitszimmers weit auf, stürmte bis zum Schreibtisch seine Onkels vor und warf ihm erbost die Mittwochsausgabe der Zeitung auf den Tisch. »Kannst du mir das erklären?«

Obwohl der Baron genau wusste, was sein Neffe wollte, ignorierte er ihn zunächst. »Das ist die Zeitung von gestern. Was ist damit?«

Es wirkte. Diese Bemerkung so ganz neben der Spur brachte den Neffen aus dem Konzept. Er griff sich noch eine Spur erboster die Zeitung und schlug die Seite auf, auf der das Bild von Paul und Maria zu sehen war. »Warum muss ich das aus der Zeitung erfahren?«

Baron Harsumstal wusste auf diese Frage keine Antwort. Natürlich, er hatte vergessen, seinem Neffen Bescheid zu sagen. Aber er hatte dies für nicht so wichtig gehalten, weil der Neffe sowieso nur sehr wenig Interesse an der Rolle gezeigt hatte.

»Wie stehe ich denn jetzt da?« Er legte den Finger auf die Schlagzeile. »Meine Freunde lachen über mich.«

Der Baron hatte Mühe, seine Erleichterung zu verbergen. Es ging dem Neffen gar nicht um den Rauswurf, sondern nur um sein Ansehen bei seinen Freunden. Er versuchte sich zerknirscht zu geben. »Ja, das war ein Fehler. Ich hätte dich zuerst informieren sollen.« Auf einmal hatte er eine Idee. »Aber ich bin ja selbst Opfer.« Er zeigte seinerseits auf das kleine Foto des Sparkassendirektors. »Er hat das alles veranlasst. Ich kann gar nichts dafür.«

Auf die Sparkasse war der Neffe im Moment ohnehin nicht besonders gut zu sprechen, weil sie seinen letzten Kreditantrag abgelehnt hatten. Es wären zu wenig Sicherheiten vorhanden. »Diese Finanztrottel.« So wirkte das Ablenkungsmanöver.

»Es gibt einen ganz wichtigen Grund, warum das Fest unbedingt ein Erfolg werden muss.« Der Baron legte den nächsten Köder aus.

»Warum?« So langsam ließ der aufgestaute Ärger des Neffen nach.

»Versprichst du mir, deinen Mund zu halten?«

»Meinentwegen.«

»Wenn eine Darstellerin es auf dem Fest schafft, die Originalhaltung zu tragen, dann wird dafür ein Preisgeld von zwei Millionen ausgezahlt.« Der Baron berichtete, was er von dem Notar erfahren hatte. Dabei hoffte er, das sein Neffe bei der Erwähnung der Summe sich davon blenden ließe und nicht hinterfragen würde, was denn die Originalhaltung sei. »Wir brauchen das Geld dringend.« Dabei seufzte er theatralisch.

Erst jetzt wurde Franz-Ferdinand hellhörig. »Du hast Geldsorgen?« Es war für ihn ein ganz neuer erschreckender Gedanke, denn bisher hatte er seinen Lebenswandel hauptsächlich über die Zuwendungen seines Onkels finanziert.

»Wenn nicht ein Wunder geschieht, dann bin ich in einem Monat pleite.« Das stimmte zwar so noch nicht ganz, aber sehr viel positiver war die Situation auch in Wirklichkeit nicht.

»Das wusste ich nicht.« der Neffe ließ sich ernüchtert auf den Besucherstuhl fallen.

»Deswegen ist es ganz wichtig, dass Maria Beller das Fest erfolgreich hinter sich bringt.« Er begann seinen Plan zu erläutern. »Beim Fest wird der Notar anwesend sein und kann sich selbst davon überzeugen, dass alle Bedingungen für die Auszahlung erfüllt sind.«

»Aber steht das Geld nicht ihr zu?« Der Neffe glaubte, ein Problem in dem Plan entdeckt zu haben.

»Sicher, aber es gibt noch eine Extra-Klausel in dem Vertrag.« Er lass die Stelle aus dem Brief vor, in der beschrieben war, das Maria entweder verheiratet sein musste oder das fünfundzwanzigste Lebenjahr vollendet haben musste. »Und bis dahin darf der Vorsitzende des Festes das Geld verwalten.«

Der Neffe grinste. »Das bist ja du.«

»Verstehst du jetzt, warum Paul Mohr den Prinzen spielen soll?« Er hoffte auf Einsicht von seinem Neffen.

»Und was ist nach dem Fest? Was ist, wenn Maria heiratet?«

»Das werden wir verhindern.« Er stand auf. »Komm bitte einmal mit.«

Sie gingen durch das Treppenhaus in den Keller des Schlosses. Der Baron nahm einen Schlüssel zur Hand und öffnete eine Tür.

»Die alte Dienstbotenwohnung?« der Neffe erinnerte sich. Wobei es allerdings übertrieben war, sechzehn Quadratmeter als Wohnung zu bezeichnen. Aber früher hatte hier wirklich eines der Dienstmädchen gewohnt. Mit Kochnische, abgeteilter Nasszelle und hinter einem Vorhang eine Schlafgelegenheit.

»Ich habe hier ein paar Sachen umbauen lassen.« Der Baron verriegelte das Türschloß so, dass es nicht zufallen konnte. »Pass vor allem auf die Tür auf, die ist jetzt von innen nicht mehr zu öffnen.«

»Faszinierend«, Franz-Ferdinand begutachtete die Innenseite der Tür, die nur eine glatte Fläche zeigte. Es gab weder eine Klinke noch ein Schlüsselloch.

»Die Fenster sind auch vergittert.« Der Baron zeigte auf die Öffnungen in der Wand. »Hier wird keine die beiden Mädchen finden.«

»Zwei Frauen?« der Neffe war verwundert. »Wer denn noch.«

»Sophie frisst mir die Haare vom Kopf.« Der Baron seufzte. »Deswegen musste ich sie stoppen. Sobald die Ärzte sie entlassen, werden wir sie hier zu Maria bringen, damit sie uns nicht verraten kann.«

»Es wird sie keiner vermissen.« Franz Ferdinand grinste. Auch ihm war das Treiben seiner Cousine mehr als peinlich gewesen.

»Direkt nach dem Fest werden wir Maria hierher bringen.« Er zeigte noch einmal in den Raum. »Sophie kommt später dazu.«

Sie verließen den Raum. Der Baron verschloss die Tür. »Ich habe extra ein Filmteam beauftragt, während des Festes viel zu filmen und Bilder zu machen, damit der Notar genügend Beweise hat, falls Maria nach dem Fest verschwunden sein sollte. Er wird uns das Geld auszahlen.« Er klang sehr zuversichtlich.

* * *

Freitags stand Maria immer etwas früher auf, um für das Telefonat mit ihrer Freundin Rosalie in Australien genügend Zeit zu haben. Diesmal war sie sogar eine ganze Stunde früher aufgestanden, denn sie hatte sehr viel zu erzählen.

»Du bist heute aber früh dran«, wunderte sich Rosalie gleich nach der herzlichen Begrüßung. »Ist »es« passiert?«

Maria verdrehte die Augen. Ihre Freundin zog sie immer wieder mit diesem Thema auf. »Nein«, antwortete sie mit einem Strahlen in der Stimme, »viel schöner.«

»Nun erzähle schon.« Rosalie war hörbar neugierig.

»Paul darf den Prinzen spielen.« Ihre Stimme überschlug sich dabei fast.

»Nein«, Rosalie war hörbar überrascht. »Wie ist es denn dazu gekommen?«

Maria erzählte vom Besuch des Sparkassendirektors beim Training und der Nominierung auf der Versammlung.

»Und was sagen der Baron und sein Neffe dazu?« Rosalie hatte sich schon viele Klagen über Franz-Ferdinand angehört.

»Ich weiß es nicht.« Es war ihr auch gleichgültig. »Aber ich bin doppelt erleichtert.«

»Das passt ja super zu dir als Prinzessin.« Rosalie kannte ihre Freundin gut. »Jetzt wirst du bestimmt noch intensiver trainieren.«

»Die Prinzessin muss eben Opfer bringen für ihr Volk.« Marias Stimme hatte dabei einen recht verträumten Unterton.

»Und die Leute glauben, dass du den Mono noch trainieren musst?« Rosalie sprach das aus, was Maria insgeheim auch schon sehr beschäftigte.

»Ich weiß es nicht.« Maria seufzte. »Es haben mir alle bestätigt, dass ich mir deswegen keine Sorgen zu machen brauche.«

»Na dann wäre doch alles in Ordnung.« Rosalie lächelte durchs Telefon. »Ich weiß doch, wie gern du in Wirklichkeit deine Arme da hineinsteckst und dich dann bedienen läßt.«

Maria wurde etwas rot. Sie war froh, dass ihre Freundin dies nicht sehen konnte. Denn auch wenn sie es nie zugegeben hätte, Rosalie hatte mit dieser flapsigen Bemerkung recht.

»Und was sagt Paul zu seiner neuen Rolle?« Rosalie fragte weiter, als Marias Antwort ausblieb.

»Ich glaube, insgeheim ist er sogar erleichtert.« Maria hatte dies in den letzten Tagen gespürt. »Der Gedanke, dass ich mit Franz-Ferdinand spielen sollte, hat ihn wohl sehr bedrückt.«

»Er liebt dich.« Diesmal lag kein Spott in Rosalies Stimme. »Macht ihm der Druck der Öffentlichkeit nichts aus?«

»Oh nein«, Maria beschrieb, wie gut Paul sich schon mit der Rolle auseinandergesetzt hatte. »Er musste den Prinzen ja bisher schon fast immer vertreten. Ich glaube, er kommt gut damit zurecht.«

»Und hatte ihr jetzt schon einen gemeinsamen Auftritt?«

»Ja«, Maria wurde ein klein wenig verlegen. »Wir haben am Mittwoch die Produktionshallen der Bäckerei Friedrich besichtigt und dafür hatte ich die Ballettstiefel wieder hervorgeholt.«

»Ich dachte, deine Mutter hätte das jetzt ausgesetzt?« Rosalie war etwas verwundert.

»Die Prinzessin fühlte sich dazu verpflichtet.« Marias Stimme zeigte den Prinzessinnentraum an.


Es war das bekannte Ritual, welches Maria jetzt begann. Sie stellte sich gerade vor ihre Erzieherin und blickte dann zu Boden. Sie wartete auf die Erlaubnis sprechen zu dürfen. Nur eine Kleinigkeit war diesmal anders als sonst. Paul stand hinter ihr und hatte ihre bis zum Knie reichenden Ballettstiefel in der Hand.

»Nun Maria«, Mrs. Potter war stets bereit, das Ritual mitzuspielen, wenn ihr Schützling damit anfing. »Was wünscht ihr?«

»Ich bitte um Erlaubnis«, ihre Stimme zeigte eine gewisse Unsicherheit, »bei dem heutigen Termin zusätzlich zum Handschuh auch die Trainingstiefel tragen zu dürfen.«

»Nun denn«, die Erzieherin hatte Paul mit den Stiefeln natürlich schon längst gesehen. »wenn es denn euer Wunsch ist. Ist denn euer Beinkleid auch lang genug dafür?« Es war mit Marias Mutter abgesprochen, dass Maria Sachen aus dem Programm tragen durfte, wenn sie selbst danach fragen sollte.

Maria zeigte ihren Rock, der im Moment deutlich auf dem Boden schleifte. »Und der Prinz wird auf mich aufpassen.«

Als sich nun die Blicke beider Frauen auf ihn richteten, musste Paul erst einmal schlucken. »Ich...« Er musste sich räuspern. »Ich werde gut auf die Prinzessin aufpassen, so dass ihr kein Unheil geschieht.«

»Dann habe ich keine Einwände.« Mrs. Potter freute sich insgeheim über Marias Wunsch.

»Ich bitte um die Erlaubnis, meinen Prinzen küssen zu dürfen.« Marias Stimme strahlte.

»Die Bitte sei euch gewährt.« Dann drehte die Erzieherin sich weg.


»Und ihr habe dann die Bäckerei mit den Stiefeln und dem Mono besichtigt?« Rosalie wollte es nicht so recht glauben.

»Der Mono gehört ja zur Rolle, deswegen konnte ich den auch zeigen.« Maria strahlte mit ihren Worten. »Aber die Stiefel waren unter dem Rock versteckt.«

»Ist denn dein Gang nicht aufgefallen?«

»Schon«, gab Maria zu. »Aber die meisten haben wohl geglaubt, es läge am Handschuh.«

»Wie denkt Paul denn über die Stiefel?«

»Ich glaube, sie gefallen ihm auch.« Maria schwelgte in Erinnerungen. »Er war sehr aufmerksam und hielt mich fast die ganze Zeit im Arm. So konnte ich ihn ebenfalls berühren mit meinen Armen.«

»Ja, sowas sieht dir ähnlich.« Rosalie musste lächeln. »Aussehen wie die Unschuld in Person und heimlich fummeln.«

»Wenn du nicht gleich mit deinem Spott aufhörst, lege ich auf.« scherzte Maria.

»Was wolltet ihr eigentlich in einer Bäckerei?« Rosalie versuchte das Thema zu wechseln.

»Das war einer der verpflichtenden Sponsorenbesuche.« Maria stöhnte ein klein wenig. »Paul fand die ganzen Maschinen ziemlich interessant. Ich habe mich etwas gelangweilt.«

»Naja, für Technik hast du dich noch nie interessiert.«

»Richtig.« Maria lächelte. »Immerhin kriegen wir bis Ende des Katerinenjahrs unsere Frühstücksbrötchen umsonst.«

»Na das ist doch was handfestes.« Rosalie lachte. »Und was habt ihr dann gemacht?«

»In der Bäckerei hat es viel länger gedauert als geplant, so dass ich dann direkt zum Monohandschuh-Training gehen musste. Ich konnte mich nicht mehr umziehen.«

»Aber das hast du doch wirklich nicht mehr nötig.« Rosalie war erstaunt. »Das hättest du doch ausfallen lassen können.«

»Aber dann wäre ich nicht besser als die Baroness.« Maria versuchte sich zu rechtfertigen.


Herr Weiterer saß wieder auf der Bank vor seinem Haus, als Maria mit langsamen Schritten auf das Gartentor zukam. Als er sie die Strasse überqueren sah, stand er zunächst nur auf und schaute sehr aufmerksam auf Maria. Dann kam er zum Gartentor und öffnete es. »Seid willkommen, werte Maria.« Seine Stimme zeigte Bewunderung.

Paul betrat etwas unsicher hinter Maria das kleine Grundstück. Nach der Gartenpforte legte er wieder seinen Arm um Marias Schulter. Er wusste, dass zusätzlicher Halt für Maria nicht unnötig war.

Herr Weiterer hatte diese Geste bemerkt und lobte ihn. »Passe gut auf deine Frau auf. Das Gehen in den Ballettstiefeln erfordert hohe Aufmerksamkeit.«

Maria wurde auf einmal rot und blieb vor Erstaunen stehen. »Woher wissen sie...«

Sie wusste nicht, wie sie es formulieren sollte. Sie hatte sehr gehofft, dass er es nicht bemerken würde.

»Ich freue mich sehr, dass es heute noch Mädchen gibt, die in solchen Stiefeln gehen können.« Er bat das Paar, ihm ins Haus zu folgen.

»Ich habe Kaffee und Kuchen für euch.« Er zeigte ihnen den liebevoll gedeckten Tisch. »Bitte macht mir die Freude und seid meine Gäste.«

Paul und Maria waren zunächst etwas verlegen. Mit soviel Gastfreundschaft hatte sie nicht gerechnet. Doch die Einladung abzulehnen trauten sie sich auch nicht.


»Er hat es sofort erkannt?« Rosalie war verblüfft.

»Seine Tochter hatte auch solche Stiefel, hat er uns dann erzählt.« erzählte Maria. »Daher hatte er die besondere Körperhaltung sofort erkannt.«


»Ich bin so sehr erleichtert, dass nicht die Comtesse die Katerina spielen wird. Diese Freude möchte ich mit euch teilen.« Er bat zu Tisch.

Paul und Maria bedankten sich höflich und nahmen Platz.

»Wißt ihr, dass dies mein letztes Fest sein wird?« Seine Stimme wurde etwas traurig. »Ich bin jetzt schon über achzig und der Arzt sagt, dass mein Herz nicht mehr das kräftigste ist.«

Paul griff zu Marias Hand und hielt sie fest. Beide hatten einen Kloß im Hals.


»Ich hätte wahrscheinlich zu weinen angefangen.« ließ Rosalie durch den Hörer hören.

»Ja, es war nicht einfach am Anfang.« Marias Stimme zeigte, dass sie auch von dem Besuch noch schwer beeindruckt war. »Aber dann hat er uns von den vielen Katerinen berichtet, die er ausbilden durfte. Er erzählte, wie stolz er jeweils war, wenn die glückliche Braut am Altar ja sagte und das Fest schön gespielt hatte.«

Rosalie lauschte gespannt.

»Es hätte ihm das Herz gebrochen, wenn ausgerechnet sein letztes Fest durch die Comtesse verdorben worden wäre.«

»Trugst du eigentlich deinen Handschuh?« fragte Rosalie.

»Nein«, erklärte Maria, »den hatte Paul mir gleich zu Beginn abgenommen. Herr Weiterer hätte es am allerwenigsten geglaubt, dass ich noch trainieren muss. Die Pause war sehr angenehm.«

»Das glaube ich dir gern.«

»Außerdem war die Unterrichtsstunde dann doch zwei Stunden lang.« Maria schwärmte. »Es war toll, seinen Erzählungen zu lauschen. Wir haben es erst gemerkt, als auf einmal 'sie' klingelte und die Klette im Schlepptau hatte.«

»Die Klette?«

»Ja, die Reporterin von der Zeitung. Sie muss eine Serie über mich schreiben.«

Rosalie wollte die Details wissen.

»Ich hebe dir alles auf.« Maria war etwas genervt. »Der Abschied war dann noch mal etwas besonderes bei Herrn Weiterer.«

»Inwiefern?«

»Er hatte ganz rührend gefragt, ob er mir den Mono einmal anlegen dürfte.« Marias Stimme zeigte, wie sehr sie diese Bitte bewegt hatte. »Ich habe ihm den Wunsch gern erfüllt.«

»Und? Konnte er es?« fragte Rosalie amüsiert.

»Er hat Paul noch viele Tipps gegeben, was er machen muss, damit es für mich besonders bequem ist.«

Rosalie grinste hörbar.

»Aber ich glaube, es war ein ganz großes Geschenk für ihn, dass er so eine strenge Schnürung machen durfte. Als wir uns dann verabschiedeten, hatte er Tränen in den Augen.«

»Mit den Stiefeln hast du ihm sicher auch eine große Freude gemacht.« Rosalie spekulierte.

»Ja, sicher.« Maria war selbst heute noch sehr bewegt von dem Nachmittag. »Obwohl das so gar nicht geplant war.«

»Am Abend hatte die Klette uns alle dann noch zum Essen eingeladen.« Maria hatte etwas Spott in ihrer Stimme. »'Sie', ich, Paul und seine Oma und der Herr Steinhagen.«

»Der Sparkassendirektor?« Rosalie war erstaunt.

»Ja der.« Maria klang fast etwas stolz. »Ich glaube, er hat dafür gesorgt, dass Paul jetzt den Prinzen spielen darf.«

»Oh Mann«, Rosalies Stimme war wehmütig, »zum ersten Mal bedauere ich den Weggang wirklich. Jetzt wäre ich gerne noch in Landsbach.«

Maria konnte ihr nur zustimmen. »Ich hätte dich jetzt sehr gern hier.«

»Jetzt hast du doch 'ihn',« versuchte Rosalie einen Trost.

»Der Direktor hatte dann noch eine andere Überraschung für mich.« Marias Stimme klang geheimnisvoll. »Ich war gestern bei der Schneiderin, um das Kleid für das Fest anzuprobieren.

»Jetzt mach es nicht wieder so spannend.«

»Er hat insgesamt zehn Kleider für mich bestellt, die ich anprobieren durfte.«

»Zehn Kleider?« Rosalie war beeindruckt. »Hat er gesagt, warum?«

»Die Schneiderin wusste es nicht. Aber er hatte einen Brief für mich hinterlassen, in dem er sagte, dass er sich ein schönes Fest wünscht und ich seine Kleider mit Würde tragen soll.«

»Und die Kleider gehören dir?«

»Ja, so stand es in dem Brief.« Maria versuchte aus dem Gedächtnis zu zitieren. »Die Sparkasse, denen Herr Steinhagen vorsteht, wünscht, dass ich bei den verschiedenen Terminen im Laufe des Katerinenjahres immer eines dieser Kleider tragen soll.«

»Du Glückliche.«

»Ja, ich glaube, ich bin so etwas wie die Tochter, die er sich immer gewünscht hat.« Maria spekulierte, »und er ist sehr froh, dass nicht die Comtesse auf dem Fest spielen wird.«

Maria berichtete, was sie aus seinem Brief erfahren hatte. Der Direktor war von vornherein gegen Sophie gewesen, aber er hatte sich nicht durchsetzen können. Jetzt hatte er Oberwasser und sah seine Linie gestärkt. Er hätte Interesse daran, dass das Fest bei seinen Wurzeln bliebe. Mit Sophie als Darstellerin wäre es eine peinliche Glamour-Party geworden.


»Dann haben wir noch neue Fotos für die Presse gemacht.« Marias Stimme verriet, dass diese Fotos etwas besonderes waren.

»Nun erzähl schon« Rosalie kannte diesen Tonfall ihrer Freundin gut.

»Paul musste ebenfalls sein Kostüm anziehen.« Marias Stimme klang schwärmerisch.

»Nun mach es doch nicht so spannend.« Rosalie war genervt.

»Es ist eine alte Militäruniform. Blaue Jacke mit viel Schmuck, eine rote Hose und schwarze Stiefel. .« Maria schloss kurz die Augen. »Die Sachen haben ihm nur überhaupt nicht gepasst. Aber für das Foto ging es.«

»Und was hattest du an?« Rosalie seufzte. »Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.«

»Ich hatte das Kleid an, welches ich auf dem Ball tragen werden.« Maria musste bei diesen Worten aufpassen, dass sie sich nicht verplapperte. Dass sie das Gebet auf dem Rücken tragen wollte, wusste die Schneiderin und deswegen gab es von dem Ballkleid zwei Ausfertigungen. Einmal das echte Kleid mit der Hülle für die Arme und einmal die Variante für die Presse, die davon noch nicht wissen durfte. »Paul hat mir dann noch den Handschuh angelegt und dann haben wir Fotos gemacht.«

»Fotos?« Rosalie war hellhörig. »Die will ich sehen.«

»Die Klette hatte ihren Freund dabei und der hat Fotos gemacht.« Maria schwelgte in Erinnerung. »Es war toll in den Kostümen. Ich konnte so richtig vom Fest träumen.«

»Das glaube ich dir.«

»Paul sah auch toll aus.« Maria hatte ein Lächeln in der Stimme. »Er durfte sich nur nicht viel bewegen, sonst wäre es aufgefallen, dass ihm die Sachen überhaupt nicht gepasst haben.«

»Ich bin schon sehr gespannt.«

»Am Samstag wird ein Bild davon in der Zeitung erscheinen.« Maria strahlte. »Die Klette sagt, dass sie noch einen schönen Bericht über Paul und mich schreiben wird.«

»Ich freue mich schon.« Rosalie fieberte mit ihrer Freundin mit. »Was war noch?«

»Gestern abend waren wir wieder beim Tanztraining.« Maria strahlte. »Es war das erste Training mit Paul als Prinz. Aber er macht das echt gut. Es wird ein schönes Fest.«

»Dann bis nächste Woche.« Sie verabschiedeten sich.

* * *

Maria hatte schon den ganzen Unterricht lang Probleme, sich zu konzentrieren. Der Grund war, dass sie heute ihren Termin in der Kunstschmiede hatte und diesmal gleich in doppelter Funktion. Sie besuchte einen der Sponsoren des Festes und sollte zugleich die Ketten probieren, die extra für sie geschmiedet wurden und die sie dann auf dem Fest tragen würde. Irgendwie hatte sie eine unbestimmte Angst davor, in Ketten gelegt zu werden.

Mit einigem Herzklopfen ging sie mit Paul und Renate den Weg bis zur Schmiede. Die Betreuerin hatte sie von der Schule abgeholt und klingelte jetzt. Aus der Werkstatt klangen Hammerschläge und gelegentlich das Rauschen des angeschürten Feuers.

»Hoffentlich hören sie uns. Angemeldet sind wir.« Renate freute sich, dass sie jetzt endlich ihr Prinzenpaar zusammen hatte und dass sie keine fahrigen Ausreden mehr vertreten musste.

Innen waren Schritte zu hören, die sich mit einem leisen Klingeln mischten. Schließlich öffnete sich die Tür. »Herzlich willkommen in der Kunstschmiede Leiderer.« Doris, die Tochter des Schmiedes öffnete und bat die Besucher herein. »Bitte entschuldigen sie meinen Aufzug, ich streiche gerade mein Zimmer.«

Doris trug einen mit etwas Farbe bespritzen Malerkittel und einen netten Papierhut. Viel verwunderlicher waren aber die Ketten, die ihre Handgelenke mit einem Ring um ihre Taille verbanden. Auch zwischen ihren Fußgelenken befand sich eine Kette.

Maria und Paul nahmen sich bei der Hand. Ihnen war der Auftritt von Doris etwas unheimlich.

»Ja, aber die Ketten?« Renate fragte es schließlich.

»Ach die«, Doris lächelte ein wenig verlegen. »Die Ketten sind das Modell, was für die Katerina angefertigt wird. Mein Vater hat mich gebeten, sie mal über einen längeren Zeitraum zu tragen.«

Maria schluckte etwas. »Wie lange trägst du sie schon?«

»Zwei Tage.« Doris lächelte fast etwas stolz. »Sie sind sehr bequem und stören fast überhaupt nicht.«

»Aber du kannst sie doch abnehmen, oder?« Renate fragte eigentlich nur aus Höflichkeit, denn sie rechnete fest mit einem »Ja«.

»Nein«, Doris wurde auf einmal etwas rot. »Mein Freund hat die Schlüssel.« Das Thema schien ihr unangenehm zu sein. »Folgen sie mir bitte in die Schmiede.«

Doris ging voran und die drei anderen folgten ihr. Das leise Klirren der Ketten war dabei nicht zu überhören.


Zwei Männer waren in der Schmiede. Der Vater von Doris legte seinen Hammer weg und begrüßte Renate zusammen mit dem Prinzenpaar. »Ich freue mich, dass ich auch dies Jahr für das Fest arbeiten darf. Meine Tochter haben sie ja schon kennengelernt.« Er deutete auf den anderen Mann. »Das ist mein Geselle, der vielleicht auch mal mein Schwiegersohn wird.«

Doris ging zu ihrem Freund und gab ihm einen Kuss. »Hallo mein Schatz.«

Der Geselle nahm seine Freundin in den Arm und erwiderte den Kuss. »Na, wie weit bist du mit dem Streichen?«

»Die Käfigwand ist schon fertig.« berichtete Doris recht stolz. »Für den anderen Teil brauche ich dann etwas längere Ketten.«

Der Freund gab ihr noch einen Kuss, dann streichelte er ihr lieb durch das Gesicht. »Na klar. Aber jetzt bediene erst einmal die Kundschaft.«

Doris wandte sich dem kleinen Tischchen zu, welches anscheinend extra in der Werkstatt aufgebaut worden war. Es fiel auf, weil es eine weiße Tischdecke trug, die in der sonst eher etwas dunklen Werkstatt hervorstach. Darauf lagen vier Metallringe, von denen jeweils Ketten ausgingen.

Maria stand etwas unschlüssig vor dem Tischchen. »Was muss ich tun?«

»Reich mir einfach deine Hände.« Doris griff zu einem der beiden kleineren Ringe und klappte diesen auf.

Marias Hand zitterte ein wenig, als sie spürte, wie sich langsam das Metall um ihre Haut legte. Zu ihrer Überraschung waren die Ketten aber nicht kalt, sondern angenehm warm.

Doris schien ihre Verwunderung zu bemerken. »Ich habe sie extra für dich angewärmt.« Sie drehte ihren Kopf kurz zu ihrem Freund. »Das könntest du auch mal für mich machen.«

Der Freund grinste nur und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

Bei der zweiten Schelle zitterte Marias Hand nicht mehr. Beide waren zu ihrem eigenen Erstaunen sehr bequem.

»Hier, probiere auch mal, ob sie sich gut verschließen lassen.« Herr Leiterer reichte seiner Tochter einen Schlüssel.

Doris Augen begannen auf einmal zu leuchten, als sie die Schellen verriegelte.

»Es ist ein anderes Schloß«, ließ plötzlich der Geselle von sich hören, ohne von seiner Arbeit aufzublicken. »Der passt bei dir nicht.«

Doris Blick zeigte kurz so etwas wie Enttäuschung, dann schien sie sich wieder unter Kontrolle zu haben und lächelte. »Jetzt noch die Beine.« Sie blickte zu dem kleinen Hocker, der direkt neben Paul stand.

Paul war dem Blick gefolgt und stellte den Hocker neben Maria, so das diese sich darauf setzen konnte. Sie streckte ihre Beine aus. Entsprechend dem Wunsch der Schmiede trug sie heute Schuhe, die die Fesseln frei ließen.

Die Beinschellen ließen sich genauso problemlos anbringen und verschließen.

Doris stand auf und machte ihrem Vater platz, der darum gebeten hatte. Er kniete sich vor Maria und prüfte den Sitz der Fußschellen. »Diese müssen besonders gut sitzen, wenn du den ganzen Tag damit herumlaufen wirst.«

Doris seufzte etwas.

»Darf ich dich einmal anfassen?« Herr Leiterer wartete Marias Antwort ab, dann hob er ihr Bein etwas hoch und rieb ein wenig an der Schelle. Er war mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Er drehte sich zu seiner Tochter. »Doris, du hast sehr gut gearbeitet. Kompliment, sie sitzen erstklassig.«

Doris freute sich sichtlich über das Lob. Sie wurde ein wenig rot.

»Laufe mal ein wenig damit herum.« bat der Schmied.

Maria stand vorsichtig auf und machte ein paar schüchterne Schritte.

»Die Ketten quietschen noch etwas.« stellte er fest. »Ist schon Öl dran?«

Doris verneinte.

»Welches Öl benutzt du so in der Regel?«

»Das Feine«, antwortete Doris, »es tropft nicht und fettet auch nicht ab.«

»Naja, beim Abholen sind die Ketten dann auch geölt.« Er schien sich gedanklich eine Notiz zu machen. »Jetzt müssen wir noch etwas die Längen kontrollieren.«

Er drehte sich noch mal zu seiner Tochter. »Welche Längen hast du bei deinen Geschirren?«

Doris musste erst einmal nachdenken. »Ich glaube, das Arbeitsgeschirr ist ein Sechser, während das Ruhegeschirr nur ein Zweier ist.«

»Und dein Sonntagsgeschirr?«

»Das ist ein Vierer.«

»Ich glaube, dann machen wir für das Fest auch ein Vierergeschirr.« Er blickte dabei Maria an, die mit den Zahlenbegriffen allerdings wenig anfangen konnte. Sie nickte etwas schüchtern.

»Du kannst sie wieder aufschließen.« Herr Leiterer stand auf und wandte sich Renate zu. »Nächste Woche können sie das fertige Geschirr samt Schlüsseln abholen.«

* * *

Als sie sich nach dem anstrengenden Tag daheim auf dem Sofa aneinander kuschelten, stellte Maria die Frage, die sie schon den ganzen Tag beschäftigt hatte: »Würdest du mich auch so in Ketten legen?«

Paul war auf die Frage in dem Sinne vorbereitet, als dass er sie sich selbst auch schon gestellt hatte. »Wenn es dein ausdrücklicher Wunsch ist, dann gern.«

»Gefallen dir die Ketten?«

»Ich finde sie so kalt und unbarmherzig.«

»Was gefällt dir besser?«

Paul musste ihr eingestehen, dass er von dem Monohandschuh sehr fasziniert war. »Ich weiß gar nicht, woran das liegt, aber ich bin dann von dir sehr fasziniert.«

»Am Anfang hatte ich Angst, du würdest es abstoßend finden.«

Paul wurde innerlich nervös. Er musste jetzt schnell das Thema wechseln, sonst hätte er eingestehen müssen, dass er Maria im Handschuh erregend fand.

»Doris war schwer verliebt.«

»Ja, das war mir auch aufgefallen. Und das trotz der Ketten.«

Pauls Antwort umfasste nur zwei Worte. »Oder wegen.«

Es waren Marias Augen, die ihm auffielen. Auf einmal waren sie seltsam abwesend. Langsam näherten sich ihre Lippen.


»Und dann hatte sie wieder einen ...« Es kostete Paul Kraft, das Wort auszusprechen. »Einen Höhepunkt.«

Oma Selma nickte verständnisvoll »Ja, das kann ich verstehen.«

»Habe ich etwas falsch gemacht?«

Seine Oma konnte ihn beruhigen. »Nein, es war alles richtig. Die Höhepunkte sind für Maria sogar so etwas wie ein Aufputschmittel, denn sie helfen ihr, ihr Training leichter zu ertragen. Ich habe da etwas für dich heraus gesucht.« Sie reichte ihm zwei Bücher. »Nimm dir Zeit und lies darin. Du wirst vieles besser verstehen danach.«

Paul warf einen Blick auf die beiden Bücher. Es waren medizinische Fachbücher. Bloß die Titel irritierten ihn sehr. »Die weibliche Anatomie.« und »Der weibliche Orgasmus.«

»Kein Grund, rot zu werden.« Seine Oma stand auf und griff zu ihrer Strickjacke. »Ich gehe noch ein wenig spazieren.« Sie strich ihm noch einmal zärtlich über den Kopf.

* * *

Andrea mochte den Regen, denn dann konnte sie ihren aufregenden Lackregenmantel tragen, ohne dass sie schief angeschaut wurde.

Anfangs hatte sie kein Verständnis dafür, warum Hans ihr ausgerechnet einen Regenmantel geschenkt hatte. Doch als sie bei einem Spaziergang mit ihm den Mantel als einziges trug und den Lack auf der Haut gespürt hatte, war sie so heiß, dass sie bei dem kleinen Pavillion über ihren Freund hergefallen war.

Sie lächelte. So spontan war sonst eigentlich nicht ihre Art gewesen, aber dieser Mantel hatte sie so sehr angeheizt, dass sie sich völlig vergessen hatte.

Der Mantel war nicht gefüttert, so dass sie den Lack auf der Haut spüren konnte. Und da es heute eigentlich recht warm war, trug sie nur ein Spaghettitop unter dem Mantel sowie ihre Jeans.

Sie liebte Regen im Sommer.

Den Schirm trug sie eigentlich nur zur Tarnung, denn ihr Mantel hatte auch eine Kapuze, die sie aufsetzen könnte. Und natürlich würde sie auch über das Wetter schimpfen, doch meistens gelang ihr letzteres nur halbherzig.


Andrea war froh. Kaum hatte sie den ersten Artikel ihrer Serie geschrieben, als sich quasi von selbst der Stoff für weitere Artikel ergab. Dass Paul Mohr jetzt für die Rolle des Prinzen ausgewählt war, ließ Andreas Kreativität, was das Konzept für ihre Serie betraf, weiter ansteigen. Sie hatte jetzt schon drei Varianten, wie sie die jetzt noch 14 Artikel gestalten konnte.

In der letzten Redaktionssitzung hatte sie von ihrem Chef ein ausdrückliches Lob bekommen. Doch da ihr Chef als sehr wankelmütig bekannt war, gab sie nicht allzuviel darauf.

Sie hatte gestern den Termin in der Schiede sausen lassen müssen, weil sie den Artikel für die Samstagsausgabe schreiben musste. Sie hoffte, noch zu erfahren, was sich zugetragen hatte.

Es war eine der Besonderheiten des Festes, dass zumindest die Ketten der Prinzessin tatsächlich echte Ketten waren. Den Dienerinnen der Prinzessin war es freigestellt, wie ihre Ketten beschaffen waren. Soweit sie wusste, würde die Tochter des Schmiedes eine der Dienerinnen spielen.

Immerhin war ihr Artikel so gut wie ungekürzt übernommen worden und sie hatte sogar ein Farbfoto bekommen. Paul Mohr sah toll aus als Prinz neben seiner Prinzessin.

Andrea drückte auf den Klingelknopf und hörte gleich darauf ein paar leichte Trippelschritte. 'Das könnte Maria selbst sein', dachte sie bei sich, als sich die Tür langsam öffnete. Tatsächlich öffnete die Darstellerin der Prinzessin die Tür und begrüßte die Reporterin. »Mrs. Potter läßt sich entschuldigen, sie macht gerade den Abwasch.«

Andrea klappte ihren Schirm zusammen und stöhnte ein wenig über das schlechte Wetter. »Es regnet schon die ganzen Tag.«

Maria lächelte. »Mir macht das nichts aus, ich habe mein Cape.« Sie blickte etwas sehnsüchtig zur Garderobe.

Andrea folgte ihrem Blick und erblickte ein weiße Lackcape, welches Maria vermutlich fast bis zu den Füßen reichen würde.

Mrs. Potter erschien im Flur. »Ich bitte um Entschuldigung, dass ich ihnen nicht die Hand geben kann, ich habe gerade nasse Hände.« Sie blickte auf die Uhr und drehte sich zu Maria. »Ihr solltet gleich losgehen, damit ihr rechtzeitig da seit.«

Das Krankenhaus hatte ihnen einen Termin genannt, zu dem sie Sophie besuchen konnten. Andrea fand es sehr bemerkenswert, dass Maria ihren einzigen freien Tag dafür opferte, Sophie im Krankenhaus zu besuchen.

Andrea blickte etwas verwundert zu Maria. »Wo ist denn Paul?« Sie hoffte, dass auch er mit ihrem Artikel zufrieden war.

»Er hat einen Termin bei der Schneiderin.« Maria lächelte. »Er bekommt jetzt eine Uniform, die ihm auch passt.«

Mrs. Potter nahm es zur Kenntnis. »Frau Baselitz, könnten Sie Maria mit dem weißen Cape helfen? Ich habe gerade schmutzige Hände.«

Maria lächelte insgeheim. Aus irgendeinem Grund mochte ihre Erzieherin das Cape nicht.

Andrea ging zur Garderobe und griff sich das Cape. Sie hatte keine Schwierigkeit, es zu identifizieren. Es war das einzige Kleidungsstück in Weiß. Fast etwas ehrfürchtig ergriff sie es und machte es auf. Sie war zu sehr davon fasziniert, als dass sie ihre Erregung verbergen konnte. »Das ist ein schönes Cape.« Sie hielte es vor sich hin und öffnete es. »Es hat ja sogar Ärmel.«

»Ja«, antwortete Maria stolz. »Ich trage es gern.« Sie wusste nicht, ob Andrea etwas von den besonderen Eigenschaften der Ärmel ahnte.

Andrea hielt Maria das Cape hin und Maria hatte keine Mühe, ihre Arme in die Ärmel zu stecken. Als Andrea es bis zu den Schultern hoch zog, war von Maria ein leises Stöhnen zu hören. Andrea stutzte etwas.

»Alles in Ordnung.« versuchte Maria die Reporterin zu beruhigen und ärgerte sich dabei, dass sie sich nicht unter Kontrolle hatte.

Andrea wunderte sich etwas, weil an den Stellen, wo sie es erwartete hatte, Marias Hände nicht zum Vorschein kamen. Sie fragte nach.

»Die Ärmel haben keine Öffnung« Musste Maria zugeben. »Und sie sind festgenäht.« Sie wurde etwas rot dabei.

Andrea brauchte einen Moment, bis sie den Inhalt von Marias Worten verarbeitet hatte. Dann schaffte sie es, das auszusprechen, was sie bewegte. »So ein Cape hätte ich auch gern.«

Maria hatte das Gefühl, sie warnen zu müssen. »Es macht mich ziemlich hilflos.« Sie wackelte etwas mit den Armen, die jetzt in den Capeärmeln steckten. »Bitte machen sie den Kragenriegel auch noch zu.« Sie versuchte ihre Stimme dabei ruhig klingen zu lassen. Dass sie damit in dem Cape eingesperrt war, erwähnte sie nicht.

Andrea kam der Bitte nach.

»Dann können wir losgehen.« Maria blickte kurz zu Andreas Schirm.

Andrea folgte dem Blick, sie ergriff sich den Regenschutz und ging langsam zur Tür. Als sie sah, dass Maria ihr folgte, öffnete sie die Tür.

»Können sie mir noch die Kapuze aufsetzen?«

Normalerweise würde Andrea bei so einem Wetter lieber ein Taxi rufen, zumal sie nun ja ein ganz dickes Spesenkonto hatte. Doch noch viel mehr reizte es sie, neben Maria den Weg entlang zu gehen. Es würde kein langer Weg werden, denn das Krankenhaus lag nur eine Viertelstunde weit entfernt.

Und Andrea fand es sehr aufregend, ihren Lackmantel dabei zu tragen. Auch Maria schien der Spaziergang in dem Cape ganz gut zu gefallen.


»Wie war euer Vormittag?« Andrea packte ihre berufliche Neugier aus.

»Paul kam heute Morgen zum Frühstück.« Ein Strahlen lag in ihrer Stimme. »Er hatte die ersten ‚Katerinenbrötchen dabei.«

Andrea hakte bei dem Wort nach. »Katerinenbrötchen?«

Maria beschrieb von dem kleinen Geschenk der Bäckerei als Sponsor. »Er hatte auch die Zeitung dabei. Danke für den schönen Artikel. Es war ein gemütliches Frühstück und Mrs. Potter hat uns den Artikel vorgelesen.« Maria lächelte. »Ich glaube, sie war auch ein wenig stolz, auch wenn sie sonst ihre Gefühle eher verbirgt.«

Andrea versuchte sich gedanklich Notizen zu machen.

»Danach mussten wir etwas für die Schule nachholen.« Sie seufzte ein wenig. »Die Lehrer hatten einige Unterlagen vorbei gebracht.«

Andrea lauschte angespannt.

»Dann hat auch noch meine Musikgruppe angerufen.« Maria erklärte Andrea, um was es sich bei der Gruppe handelte. »Ich muss Morgen für Carla einspringen.« Sie seufzte wieder. »Zum Glück haben sie drei leichte Stücke herausgesucht. Aber die erste Stimme habe ich dabei noch nicht gespielt.«

Andrea verstand nicht viel von Musik, doch sie erkannte, dass es Maria wichtig war. Sie versuchte ein Lob.

»Naja, es geht ja um die Taufe der kleine Selina.« Maria freute sich insgeheim über das Lob. »Ich wollte ja erst nicht zusagen, wegen dem Fest. Aber ‚sie’ hat mich dann überzeugt.« Sie seufzte noch einmal. »Soviel zum Thema ‚freier Tag’.«

Von dem weiteren Vormittag erzählte Maria nichts. Nach dem Telefonat hatte Paul ihr auf ihren Wunsch hin die Trainingsjacke für das Gebet auf dem Rücken angezogen. Dann hatten sie weiter gelernt. Insgeheim mochte es Maria, wenn Paul sie in ihrer Hilflosigkeit so umsorgte. Das ging soweit, dass er sie während des Mittagessens auch gefüttert hatte.

Doch diesmal war es ein wenig anders. Sie spürte, dass Paul wohl etwas auf dem Herzen hatte. Doch er sagte nichts darüber. Er erwähnte nur einmal, dass er etwas gelesen hätte.

* * *

»Sind sie Maria Beller?« Die Dame am Empfang im Krankenhaus hielt einen Zettel in der Hand.

»Ja, die bin ich.« Maria trat an den Schalter. »Was gibt es denn?«

»Ein Paul Mohr hat angerufen.« Sie blickte kurz auf den Zettel. »Es dauert länger bei der Schneiderin, läßt er ausrichten und er käme dann nach.«

»Oh nein.« Maria war entsetzt.

»Dann gehen wir doch schon mal zur Baroness.« schlug Andrea vor, die etwas erstaunt war über Marias Reaktion. »Soll ich dir das Cape ausziehen.«

»Das geht nicht.« Maria wurde knallrot.

»Warum geht das nicht?« Andrea verstand überhaupt nichts.

»Das Cape ist abgeschlossen.« Marias Stimme war sehr leise. Irgendwie war es ihr peinlich.

»Wie bitte?« Andrea glaubte sich verhört zu haben.

»Der Kragenriegel«, Maria fiel es schwer, es zu erklären. »Man kann ihn nur mit einem Schlüssel öffnen.«

»Und Paul hat den Schlüssel?« Andrea wurde es auf einmal unheimlich.

»Ja, so ist es.« Sie schämte sich wegen ihrer plötzlich so ungeplanten Hilflosigkeit.

»Aber«, Andreas Stimme zeigte auf einmal eine seltsame Faszination. »aber dann bist du ja völlig hilflos in dem Cape.« Doch dann hatte sie eine Idee, wie sie die Situation retten könnte. »Weißt du was? Dann behalte ich meinen Mantel ebenfalls an. Dann fällt es nicht so auf.«

Maria lächelte ein wenig. Sie war immer noch verlegen, aber sichtlich froh, keine weiteren Erklärungen abgeben zu müssen. Sehr dankbar über diese Wendung, versuchte sie, auf den eigentlichen Grund für den Krankenhausbesuch zurück zu kommen. »Wir wollten die Baroness von Harsumstal besuchen,« wandte Maria sich an die Dame vom Empfang. »Wo müssen wir denn dann hin?«

»Einen Augenblick bitte.« Die Dame vom Schalter musste erst in ihren Unterlagen nachschauen. »Zimmer 27, dritter Stock.«

Die beiden Besucherinnen bedankten sich, dann gingen sie in Richtung Treppenhaus.

»Treppe oder Fahrstuhl?« fragte Andrea, als sie sich entscheiden mussten. »Treppe wäre gesünder.« Sie blickte kurz auf Marias Cape.

»Oh«, erwiderte Maria, »wir können ruhig die Treppe benutzen. Meine Beine kann ich im Moment frei bewegen.« Sie lächelte und freute sich insgeheim, dass sie heute auf das Anlegen der Schenkelbänder verzichtet hatte.

Während Andrea ein klein wenig keuchte, als sie das dritte Stockwerk erreicht hatte, schienen Maria die Treppen überhaupt nichts ausgemacht zu haben.

Trotzdem hatte Andrea es genossen, hinter Maria her zu gehen und dabei beobachten zu können, wie das Cape jeweils die Bewegungen der Arme einschränkte. Es war deutlich zu sehen, wie wenig Bewegungsspielraum Maria in dem Cape verblieben war. Doch überstrahlt wurde dieser Eindruck von Marias Anmut und der Geschicklichkeit, mit der sie mit ihren Restriktionen umzugehen wusste. Andrea konnte gut sehen, dass sie es anscheinend gewöhnt war, mit wenig Bewegungsfreiraum auszukommen.


»Andrea, was machst du denn hier?« Eine Krankenschwester war aus ihrem Zimmer gekommen und begrüßte die Reporterin und Maria.

»Nathalie, ich freue mich, dich zu sehen.« Sie reichte ihr die Hand.

»Hallo, sie müssen Maria sein,« Natalie reichte auch ihr die Hand.

Maria war es sichtlich unangenehm. »Ja, ich bin Maria.« Sie wurde wieder rot. »Bitte halten sie mich nicht für unhöflich, aber ich kann ihnen nicht die Hand geben.« Es fiel ihr sichtlich schwer, diesen Satz auszusprechen. Sie hoffte insgeheim, dass Andrea nichts über ihren wahren Zustand sagen würde.

Doch Nathalie schien dies gewöhnt zu sein. »Was führt euch denn hier her?«

Maria war froh über die Themawechsel. »Wir wollen die Baroness besuchen.«

»Oh, das freut mich aber sehr.« Nathalie zeigte mit der Hand nach rechts. »Sie liegt gleich neben an.« Sie schaute in ihre Unterlagen. »Wisst ihr, dass ihr seit ihrer Einlieferung ihr erster Besuch seid?«

Maria und Andrea waren wirklich erstaunt.

»Nicht mal ihr Vater kam jemals hierher.« Sie seufzte. »Man kann von ihr denken, was man will, aber im Moment ist sie wirklich zu bedauern.« Sie blickte noch einmal auf die beiden Besucherinnen. »Aber wollt ihr nicht ablegen?«

Maria zuckte kurz zusammen. Doch zu ihrer Erleichterung reagiert Andrea sehr einfühlsam. »Nein, das passt so.«

»Einen Augenblick, ich muss noch dem Chef Bescheid sagen.« Sie griff zum Telefon, wählte und wartete einen Moment. »Besuch für die Baroness.« Sie sagte nur diesen einen Satz, dann legte sie wieder auf. »Ihr möchte bitte auf den Chef warten.«

* * *

»Hallo Sophie«, sagte der Chefarzt, als er das Zimmer betrat. »Schau mal, du hast Besuch bekommen.« Er wartete, bis die beiden Besucherinnen das Zimmer betreten hatten, dann schloss er hinter ihnen die Tür. »Seien sie nicht erschrocken, die Baroness hatte einen schweren Unfall.«

Maria war entsetzt, als sie auf das Bett blickte. Sie sah eigentlich nur eine weiße Gipsfigur, bei der die Augen, die Finger und die Zehen sichtbar waren. »Hallo Sophie.« Sie schluckte, als sie es sagte.

Als einzige Reaktion wackelte die Figur ein wenig mit den Fingern.

Maria wagte einen zweiten Blick. Sophies Körper war wirklich komplett eingegipst wurden. Nur die Finger und die Augen zeigten, dass sie eine Person in dem Gipspanzer befand. An der Stelle, wo die Nase war, führten einige Schläuche hinein, die zu diversen Apparaten führen, die neben dem Bett standen.

Maria stand sprachlos neben dem Bett und blickte etwas hilflos zu Andrea.

Andrea nahm sich einen der bereitstehenden Stühle und brachte ihn zu Maria. Sie stellte ihn neben das Bett und deutete Maria an, sich hinzusetzen. Dann flüsterte sie ihr ein paar Tipps ins Ohr. »Sie weiß wahrscheinlich nicht, wer du bist, und warum du hier bist.«

Es war Maria fast unheimlich, aber sie sah an den Augenbewegungen der Baroness, dass Andrea recht hatte.


Der Chefarzt verließ das Zimmer als erstes. Er hatte sich davon überzeugt, dass er Sophie problemlos mit ihrem Besuch allein lassen konnte.

Andrea blickte auf die Blumen, die sie in ihrer Hand hielt. »Ich gehe mal eine Vase suchen.« Sie war froh, einen Grund zu haben, das Zimmer ebenfalls zu verlassen.

»Ich bin Maria Beller« begann Maria mit leiser Stimme, als die Tür ins Schloss gefallen war. »Dein Vater hat mich ausgesucht, dich beim Katerinenfest zu vertreten.«

Voller Entsetzen sah Maria, wie sich bei dem Wort Vater eine Träne ihren Weg über den Gips suchte. Gern hätte Maria die Träne weggewischt, auch wenn es nur eine symbolische Geste gewesen wäre, doch sie war in ihrem verfluchten Cape gefangen.

Ohne Paul war das Tragen des Capes nur eine Demütigung. Doch dann ärgerte sie sich über ihre Selbstsucht. Sophie wäre wahrscheinlich sehr froh, wenn sie nur in dem Cape gefangen wäre. In dem Gipspanzer machte sie einen unendlich traurigen Eindruck.

* * *

»Oh, das halte ich nicht aus.« Andrea trat ins Schwesternzimmer und begrüßte ihre Bekannte.

»Ja, das ist schon heftig.« Natalie wusste sofort, was sie meinte. »Und man ist so hilflos. Man kann so gar nichts für sie tun.« Sie holte tief Luft. »Aber es ist schön, dass sie jetzt endlich mal jemand besucht.«

Andrea horchte auf.

»Ja, bisher war noch nie jemand bei ihr.« Sie war empört. »Nicht mal ihr Vater hat sich hier blicken lassen.«

»Das ist schon seltsam.« Andrea war nachdenklich. »Ich dachte, sie wäre so beliebt.«

»Ich glaube, sie hat sich bisher nur wichtig gemacht.« Sie hatte ebenfalls keine gute Meinung von der Baroness. »Aber das hier hat sie wirklich nicht verdient.«

»Und sie hatte wirklich so einen schweren Unfall?« Andrea war es gewohnt, die Dinge zu hinterfragen. »Die Maßnahmen sind doch sehr drastisch.«

Andrea und Natalie kannten sich schon aus der Grundschule, deswegen bestand zwischen ihnen eine gewisse Verbundenheit. »Man soll ja nichts schlechtes über seine Chefs sagen, aber da stimmt was nicht.«

Andrea wurde hellhörig. »Was meinst du?«

»Es wurden überhaupt keine Röntgenbilder gemacht, wie es sonst bei so schweren Knochenbrüchen üblich gewesen wäre.« Die Stimme der Krankenschwester zeigte einigen Zweifel. »Sophie wurde sofort komplett eingegipst.«

Andrea ärgerte sich, dass sie ihr Diktiergerät nicht dabei hatte. Es wäre zwar sehr unhöflich gewesen, aber spätestens jetzt hätte sie heimlich auf Aufnahme gedrückt. So musste sie sich die Zweifel der Krankenschwester so einprägen.

»Eigentlich ist es üblich, dass die Patienten sobald wie möglich wieder mit dem Bewegungstraining anfangen. Doch für Sophie ist angeordnet, dass sie erst eine Woche nach dem Fest mit dem Training anfangen soll.« Natalie lebte auch in Landsbach und dachte entsprechend auch in den Festdimensionen.

Die Schwester wunderte sich über noch ein paar andere Details. Sophie sollte einen gebrochenen Kiefer haben, trotzdem sollte sich in ihrem Mund die Blase der Magensonde befinden. »Das passt doch alles nicht zusammen.«

Andrea kam dies alles ebenfalls sehr seltsam vor.

* * *

Es war schon ziemlich gruselig, fand Maria, dass Sophie nur die Augen bewegen konnte und vielleicht ein wenig brummen. Auch mit den Fingern konnte sie wackeln, denn diese waren wie üblich nicht mit eingegipst.

Und dennoch hatte Maria das deutliche Gefühl, dass Sophie ihr zuhörte. Zumindest empfand es Maria so, als sie Sophies Augen beobachtete.

Die Baroness tat ihr unendlich leid. Egal was die Leute über sie redeten und wie sie sich bisher auch aufgeführt hatte, das hier hatte sie sicher nicht verdient. Noch dazu tat es Maria sehr weh, dass Sophie bisher keinen Besuch bekommen hatte.

Maria hatte die ganze Zeit geredet. Irgendwie hatte sie das Gefühl, Sophie unterhalten zu müssen. Zuerst hatte sie beschrieben, warum sie das Cape nicht ausgezogen hatte und wie es für sie darunter aussah und das sie auch ein klein wenig hilflos war. Dann hatte sie von Paul erzählt und von ihren Aufgaben beim Fest. Irgendwie schaffte es Sophie, ihr mit den Augen zu zeigen, dass sie gern zuhörte und es sie auch interessierte.


Es klopfte und gleich darauf trat Paul vorsichtig ein. Sein Blick erstarrte, als er Maria im Cape entdeckte. »Warum trägst du das Cape?« Irgendwie war er unterbewusst eifersüchtig.

»Weil es regnet.« Maria war ein wenig eingeschnappt. »Frau Baselitz hat mir dabei geholfen.«

Paul wurde hellhörig. Maria hatte den Nachnamen der Reporterin noch nie benutzt. Sie schien deutlich angefressen zu sein. Doch Paul hatte noch eine weitere Schreckensbotschaft für seine Freundin. »Ich habe die Schlüssel nicht dabei.« Er wurde rot. »Sie liegen daheim auf meinem Schreibtisch.«

Marias Blick erstarrte.

»Ich wollte sie nicht verlieren bei der Schneiderin,« versuchte er eine Erklärung.

Maria drehte sich wieder zu Sophie und lächelte verlegen. »Er hat die Schlüssel nicht dabei.«

Es schien, als würde Sophie zum ersten Mal wieder lächeln.

* * *

Andrea hatte sich gleich nach dem Krankenhaus von dem Pärchen verabschiedet. »Ich muss jetzt den nächsten Artikel schreiben.« Sie hoffte, dass es die beiden glauben würden. Doch tatsächlich wollte sie einen alten Schulfreund aufsuchen, der jetzt bei der örtlichen Polizei arbeitete. Er war ihr noch einen Gefallen schuldig.

Maria ging nachdenklich neben Paul her. »So völlig hilflos zu sein muss grausam sein.«

Paul wunderte sich, denn Maria war oft hilflos. »Du bist das doch gewöhnt, oder?« Er war sich immer noch nicht sicher, ob Maria ihm noch böse war wegen des Schlüssels.

»Ich meinte Sophie.« Ihre Stimme zeigte, wie sehr sie das Schicksal der Baroness beschäftigte. »Sie konnte nur noch ihre Augen bewegen.«

»Und die Fingerspitzen«, fügte Paul im gleichen Tonfall hinzu.

»Geschieht mir ganz recht, dass ich in dem Cape bleiben musste.« Maria ärgerte sich über ihren Egoismus.

»Ich wusste nicht, dass du es so tragen würdest, dann hätte ich die Schlüssel natürlich dabei gehabt.« versuchte er sich zu entschuldigen.

»Lass nur«, beschwichtigte Maria ihn, »es ist nicht dein Fehler.« Sie seufzte. »Ich habe die Strafe sofort bekommen.«

So richtig wusste Paul nicht, was sie damit meinte, doch auf der anderen Seite war er erleichtert, dass Maria ihm keine Schuld gab. Ihre traurige Stimmung spürte er trotzdem.

»Setzt du mir bitte wieder die Kapuze auf?« bat Maria. »Ich glaube, es beginnt wieder zu regnen.«

Paul kam der Bitte nach und ging dann schweigend neben ihr her. Er spürte den Regen überhaupt nicht.

* * *

Sie hatten extra einen Umweg gemacht, damit Paul die Schlüssel holen konnte. Maria wollte sich nicht die Blöße geben, 'sie' deswegen fragen zu müssen. Sie fühlte sich schon gedemütigt genug.

Doch als sie schließlich in ihr Zimmer kam, musste sie seufzen. Mrs. Potter hatte den Flötenkasten bereit gelegt und auch die zu übenden Stücke lagen schon auf dem Notenständer bereit.

»Am liebsten würde ich auch absagen.« seufzte sie leise. Doch sie wusste, dass es einfach ihre Pflicht war, den Auftritt zu spielen.

»Du wirst das schon schaffen.« Paul nahm sie noch einmal in den Arm.

Maria griff zur Flöte und begann, das aufgeschlagene Stück durchzuspielen. Es war dabei aber deutlich zu hören, wie betrübt sie war. Die Begegnung mit Sophie machte ihr schwer zu schaffen.


Nach dem ersten Stück legte sie ihre Flöte beiseite und drehte sich zu Paul. »Kannst du 'sie' fragen, ob sie mir den leichten Schlafsack heraus legt. Ich glaube, ich möchte heute gleich ins Bett.«

Paul spürte die Wehmut seiner Freundin. Er strich ihr noch einmal über die Wange und verließ dann das Zimmer.

* * *

Pauls Herz klopfte laut, als er Marias Bitte vor ihrer Erzieherin vortrug. Doch zu seiner Erleichterung reagierte sie sehr verständnisvoll. Sie ließ sich berichten, was sich im Krankenhaus zugetragen hatte. Als Paul mit seiner Erzählung fertig war, nickte sie verständig. »Ja, da wäre ich wohl auch traurig.« Sie bat Paul mitzukommen.

Er folgte ihr in einen kleinen Raum neben Marias Zimmer, den er bisher noch nicht kennengelernt hatte. Er hatte nur ein kleines Fenster und war mit Schränken vollgestellt. Mrs. Potter ging zielstrebig zu einem Schrank, öffnete ihn und holte ein etwas größeres Bündel heraus. Sie reichte es Paul. »Hier, das dürfte der richtige Schlafsack sein. Er hat Ärmel und keine Kapuze.« Sie klopfte ihm ermutigend über die Schulter. »Macht euch einen gemütlichen Fernsehabend.« Sie nannte ihm einen Film, der angekündigt war.

Paul wartete, bis Maria mit dem dritten Stück fertig war, dann erst betrat er ihr Zimmer und legte den Schlafsack auf ihr Bett.

Maria lächelte ein wenig, als sie den Schlafsack sah. Sie war dabei, ihre Flöte zu putzen und sie wegzupacken. Doch Paul vermisste das Strahlen in ihren Augen. Sie machte immer noch einen sehr betrübten Eindruck.


Zu seiner Überraschung musste Paul nur noch den Reißverschluß schließen, als er aus dem Bad kam. Maria hatte sich irgendwie schon in den Schlafsack verpackt und auch ihre Arme hatte sie in den inneren Ärmeln verstaut.

Er schaltete den Fernseher ein und legte sich dann neben Maria auf das Bett. Doch schon nach dem Vorspann bemerkte er, dass Maria eingeschlafen war.

* * *

Die Brötchen der Bäckerei waren dafür bekannt, auch noch am Sonntagmorgen gut zu schmecken. Entsprechend hübsch war der Tisch gedeckt, als Paul und Maria zum Frühstück herunter kamen.

»Es ist noch Zeit für ein gemütliches Frühstück, bevor du dich umziehen musst.« Mrs. Potter klang wieder einmal etwas resolut, doch sowohl Paul als auch Maria wußten, dass sie es im Grunde eher liebevoll meinte. Als Erzieherin bestand sie eben auch darauf, dass Maria ihren Verpflichtungen nachkam.

* * *

Die Musikgruppe bedeutete Maria sehr viel, denn es war im Prinzip ein großer Teil ihres Prinzessinnentraums. Es gab einen unbekannten Förderer, der sich um die Kostüme der Gruppe kümmerte. Die Anfertigung der komplizierten Barockkleider war sehr aufwendig und kostspielig. Doch Maria hatte sich bisher darüber keine Gedanken gemacht. Sie fand es sehr toll, dass sie in einem Kleid wie ihre Sissi auftreten konnte und sich dabei auch noch wie eine Prinzessin fühlen durfte.

Sie hatten nur sehr wenige Auftritte im Jahr und es hätte ihr klar sein müssen, dass der Verein damit die Kleider nie hätte finanzieren können. Doch dafür hatte sie keinen Kopf. Sie genoss es, wenigstens ein paar wenige Male im Jahr wie eine Prinzessin auftreten zu können.

Ihre Mutter hatte sie mehr oder weniger auffällig auf diesen Verein aufmerksam gemacht und Maria war sofort begeistert von der Idee gewesen. Hätte sie gewußt, dass die Klinik von ihrer Mutter der Hauptförderer des Vereins war und auch für sämtliche Kostümkosten aufkam, hätte dies ihre Begeisterung vermutlich etwas gedämpft. Doch Maria wusste nur etwas von einem Trägerverein »Historische Musik in Landbach«, der offiziell als Verleiher der Kostüme auftrat.

* * *

Paul war eigentlich kein Kirchgänger, aber der Gottesdienst mit der Taufe der kleinen Selina hatte ihm sehr gut gefallen. Die Pfarrerin hatte ihn sehr ansprechend gestaltet und Paul glaubte sogar etwas von der religiösen Botschaft mitgenommen zu haben.

Er war sehr gespannt auf den weiteren Verlauf des Tages, denn Mrs. Potter hatte ihm und vor allem seiner Oma eine Überraschung versprochen. Doch zunächst hatte die Mutter der kleinen Selina die Musiker zum Essen eingeladen und die anderen gingen mit. Sie hätten eigentlich selbst zahlen wollen, doch die Gastgeberin bestand darauf, dass auch sie eingeladen waren.

* * *

Sie waren mit der Nachspeise fertig und die Bedienung hatte auch schon den Kaffee serviert, als auf einmal ein fremder Herr den Saal betrat. Sein Äußeres erinnerte sehr stark an einen Chauffeur, vor allem die Schirmmütze. Er ging direkt auf Mrs. Potter zu und verbeugte sich kurz. »Das Auto wäre dann da.«

Die Erzieherin bedankte sich, dann wandte sie sich an ihre Tischnachbarn und bat zum Aufbruch. Nach der Verabschiedung bei den Gastgebern traten sie vor das Lokal, wo eine große schwarze Limousine wartete.

Der fremde Herr ging zum Auto und öffnete die Türen. Mrs. Potter bat einzusteigen.

Es war ein großes Auto, so dass Paul, seine Oma und Maria in der Mitte ganz bequem auf der Rückbank Platz hatten, während die Erzieherin sich neben den Fahrer setzte.

Dieser fuhr ohne weiteren Kommentar los und steuerte das Fahrzeug recht zielstrebig Richtung Autobahn.

Mrs. Potter drehte sich nach hinten um und lächelte. »Wir werden ungefähr eine Stunde unterwegs sein.« Ihr blick blieb auf Paul liegen. »Hast du die Bücher dabei?«

Paul griff in seine Tasche und holte zwei Heftes des Romans heraus, den sie für den Deutschunterricht lesen mussten. Eines davon reichte er Maria, das andere schlug er selbst auf. Beide vertieften sich in ihre Bücher.


Als sie die Autobahn verliessen, fiel Oma Selma auf einmal auf, dass sie die Gegend kannte. »Hier in der Nähe wohnte der Baron Grünberg.«

Paul saß hinter dem Fahrer und so konnte er das freudige Grinsen von Mrs. Potter sehen. Er ahnte, wohin die Reise gehen würde.

Seine Oma erkannte einiges aus der damaligen Zeit wieder und freute sich sehr, dass der Weg sie wieder einmal durch diese Gegend führte. Erst als der Fahrer den Weg nahm, der mit »Zum Schloß« beschriftet war, fiel bei ihr der Groschen. »Wo bringst du uns hin?« fragte sie, obowohl sie die Antwort eigentlich schon wusste.

»Ich habe uns für 14 Uhr angemeldet.« sagte Mrs. Potter von vorn, ohne sich umzudrehen.

Paul sah auf seine Uhr. Es war fünf Minuten vor Zwei.

Die Erzieherin bedankte sich beim Fahrer. »Sie sind sehr gut gefahren und vorallem pünktlich.«

Er deutete mit dem Kopf eine Verbeugung an, dann fuhr er direkt vor das Portal und half beim Ausstiegen.

Paul blickte sich um und fand sich in einem großen Gutshof wieder, dessen Südseite von einem kleinen aber beeindruckenden Schloß begrenzt wurde. Er glaubte, einiges aus den Erzählungen seiner Oma wieder zu erkennen.


»Heidrun!« Die sehr erfreute Stimme seine Oma ließ Paul wieder zum Schloß blicken. Eine elegante Frau in mittlerem Alter hatte die große Eingangstür geöffnet und war heraus getreten.

»Selma!« rief die Frau ebenfalls sehr erfreut. »Wie lange ist das jetzt her?« Es klang sehr viel freudige Wehmut in ihrer Stimme.

Oma Selma drehte sich zu Paul und Maria um und stellte sie einander vor. Heidrun war die jüngste der drei Grafentöchter, die sie früher zu erziehen hatte. Jetzt hatte Heidrun selbst schon eine Tochter in Marias Alter. Amelie war ebenfalls die jüngste von drei Töchtern. Sie wohnte als einzige noch bei ihren Eltern auf dem großen Gut.

Mrs. Potter fragte nach Amelie.

Es kam Paul vor, als würde die Gräfin bei der Antwort etwas zögern. »Sie ist in ihrer Wohnung. Ich lasse sie rufen.« Dann bat sie ihre Gäste herein.

* * *

»Aber sie hat doch Besuch.« Amelie war sehr verunsichert, weil ihre Mutter sie sehen wollte. »Da darf ich mich doch nicht blicken lassen, wenn ich Fesseln trage.«

Die Dienerin zuckte mit den Schultern. »Es war ihr ausdrücklicher Wunsch, dass sie so bald wie möglich erscheinen.«

Amelie grübelte. Der Handschuh war abgeschlossen und jeweils Inka und Leonhard hatten einen Schlüssel, damit sie nicht unerlaubterweise einer Dienerin befehlen konnte, sie aus dem Handschuh zu befreien. »Häng mir wenigstens ein Tuch über die Schultern, so dass man den Handschuh nicht gleich sieht.« Sie war sehr verunsichert, denn normalerweise achtete ihre Mutter sehr penibel darauf, dass sie ihrem besonderen Hobby stets im Verborgenen nachging.

Und jetzt während ihrer besonderen Semesterferien war sie doch rund um die Uhr gefesselt. Ihre Mutter wusste das doch. Sie schüttelte den Kopf. »Und mach mir den Rock auf.« Sie blickte ihre Dienerin bittend an. »Ich möchte einigermaßen würdevoll die Treppe hinunter gehen können.«

Die Dienerin lächelte, dann kniete sie sich vor Amelie und zog den Reißverschluss so weit auf, wie es ging.

»Danke.« Amelie war erleichtert. Der Rock war in Wirklichkeit nur ein Schlauch, der ihre Beine über die gesamte Länge aneinanderpresste und nur weil er aus dehnbarem Stoff gearbeitet war, war es ihr überhaupt möglich, sich darin mit winzigen Schritten fortzubewegen.

Der Entwurf des Rockes stammte dabei aber von ihr selbst. Keine der käuflich zu erwerbenden Röcke waren ihr streng genug gewesen. So hatte sie sich entschlossen, selbst einen Entwurf zu machen und Inka hatte ihn zusammen mit einer Schneiderin angefertigt.

Der Reissverschluss des Rockes war nur selten abgeschlossen, denn es bedeutete, dass sie dann auf dem jeweiligen Stockwerk gefangen war, und im Schloss gab es sehr viele Treppen. Im Gegenteil, es hatte sich als praktisch erwiesen, dass sie bei Bedarf jemanden von der Dienerschaft bitten konnte, ihr den Weg in ein anderes Stockwerk zu erlauben. Denn fast immer war sie nicht selbst in der Lage, den Reissverschluss zu öffnen.

Amelie war es gewohnt, dass sie mit jedem Schritt, den sie in dem geschlossenen Rock machte, immer nur ein paar wenige Zentimeter voran kam. Sie liebte das Gefühl, gegen die Enge des Rockes zu kämpfen und dabei doch die Gewissheit zu haben, dass der Stoff ihre Beinfreiheit zuverlässig unter Kontrolle hielt.

Jetzt war der Rock bis über die Knie geöffnet und obwohl ihre Oberschenkel noch eng aneinandergedrückt wurden, hatte sie jetzt genügend Freiheit, um große Schritte zu machen oder damit Treppen steigen zu können.

Der Rock wäre schon eine Herausforderung gewesen, wenn sie über ihre Arme verfügen könnte. Doch in diesen Semesterferien waren ihre Arme so gut wie immer irgendwie gefesselt. Meistens trug sie ihren geliebten Monohandschuh so wie jetzt, aber sie besaß auch genügend andere Kleidungsstücke, die ihren Armen jegliche Bewegungsfreiheit nahmen. Deswegen war sie es gewohnt, auch ohne Zuhilfenahme ihrer Arme zu balancieren. Besonders beim Treppensteigen war dies wichtig. Gestürzt war Amelie noch nie.

* * *

»Das ist Amelie, meine Jüngste.« Heidrun lächelte, als sie Amelies Kampf mit den Treppenstufen beobachtete. »Sie studiert noch und im Moment genießt sie ihre Semesterferien.«

Alle Augen richteten sich auf die Gestalt, die noch ein paar wenige Stufen vor sich hatte. Sie trug ein Tuch um die Schultern, aber dennoch waren über der Brust die beiden schwarzen Riemen sichtbar, die sich dort kreuzten und sich deutlich von der weißen Bluse abhoben.

Den Besuchern war im Prinzip klar, was die Grafentochter unter dem Tuch zu verbergen versuchte.

Heidrun ging zum Ende der Treppe und als ihre Tochter die letzte Stufe hinter sich gelassen hatte, griff sie zu dem Umhang und zog ihn etwas theatralisch herunter. »Den brauchst du heute nicht.«

Amelie zuckte etwas zusammen.

»Unsere Gäste kennen sich damit aus.« Sie drehte sich zu Maria. »Ich habe gehört, du kannst so etwas auch tragen?« Sie bat ihre Tochter, sich einmal umzudrehen und so ihren Monohandschuh zu zeigen.

Es dauerte eine Weile, bis Amelie sich mit der Situation abgefunden hatte. Zum allerersten Mal durfte sie etwas von ihren Fesseln in Gegenwart von Fremden vorzeigen. Nur langsam kam sie der Bitte nach.


Mrs. Potter kam Maria zu Hilfe. »Ich hoffe, du bist mir nicht böse, aber ich habe etwas mit deinen Fähigkeiten angegeben.« Sie griff in ihre große Tasche und zur Überraschung aller holte sie Marias weißen Monohandschuh heraus und reichte ihn Paul. »Magst du ihn ihr anlegen?«

Maria war sprachlos. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Doch ihre leuchtenden Augen verrieten sie.

»Ich wusste, dass es dir gefallen würde.« Ihre Erzieherin lächelte. »Ihr zwei Mädchen habt euch bestimmt viel zu erzählen.«

Marias Blick klebte nahezu an dem schwarzen Monohandschuh, der Amelies Arme auf dem Rücken gefangen hielt. Sie wusste immer noch nicht, was sie sagen sollte.

Paul hielt den Handschuh in seinen Händen und war etwas ratlos. Im Gegensatz zu sonst machte Maria keine Anstalten, ihre Arme auf den Rücken zu legen. Stattdessen klebte ihr Blick auf der Grafentochter und ihren gefangenen Armen.

Er räusperte sich, doch seine Freundin reagierte überhaupt nicht.

Schließlich kam ihm seine Oma zu Hilfe. Sie schien die Situation zu überblicken. Sie trat zu Maria und lächelte sie kurz an. »Du erlaubst doch?« Dann griff sie zu ihren Armen und zog diese langsam, aber bestimmt auf ihren Rücken. Dann gab sie ihrem Enkel ein Zeichen.

Paul zögerte noch etwas, weil er auf keinen Fall etwas gegen Marias Willen tun wollte. Doch seine Oma ermutigte ihn. »Mache es nur. Maria freut sich darauf.« Sie strich seiner Freundin zärtlich durch das Gesicht.

Eigentlich hätte es Routine sein müssen, so oft hatte Paul seiner Freundin den Handschuh schon angelegt. Doch er spürte deutlich, dass es diesmal etwas Besonderes war.

Maria leistete in keinster Weise irgendeinen Widerstand, dennoch spürte Paul, dass sie irgendwie nicht bei der Sache war. Sie stöhnte diesmal sehr deutlich und es war weniger ein Unbehagen, was sie damit ausdrückte, sondern eher ein sehr lustvolles Stöhnen.

Dieses Mal erkannte Paul schneller, was gerade passierte. Maria war sehr erregt und sie kämpfte sehr mit ihren Gefühlen. Einerseits genoss sie das Anlegen des Handschuhs und die Gegenwart einer anderen Monohandschuhträgerin heizte ihre Gefühle zusätzlich an, auf der anderen Seite wollte sie sich aber nicht die Blöße gegen, vor allen anderen einen Orgasmus zu bekommen.

Paul spürte ihren Kampf und bemühte sich, schnell mit dem Anlegen des Handschuhs fertig zu werden. Dies bewirkte allerdings, dass er die Schnüre etwas heftiger als sonst anzog und damit, dies bemerkte er zu seinem Entsetzen, heizte er Marias Gefühle zusätzlich an.

In das fast nicht mehr zu überhörende Stöhnen mischte sich ein frustrierter Unterton. Paul begann zu ahnen, dass Maria ihren Kampf verlieren würde. Er überlegte fieberhaft, wie er ihr die Peinlichkeit eines öffentlichen Orgasmus ersparen konnte, doch ihm wollte nichts einfallen. Er zog die Schleife fest und gerade im richtigen Moment hatte er die rettende Idee.

Er trat vor sie und gab ihr einen liebevollen Kuß. Gerade als sich ihre Zungen berührten, spürte er die Explosion in Marias Körper. Er drückte sie fest an sich und streichelte zärtlich über ihre Arme, die sich langsam an ihr so enges Gefängnis zu gewöhnen begannen.

Nur langsam wich die Anspannung aus Marias Körper und ihr Atem beruhigte sich wieder. Als sie ihre Augen öffnete, blickte sie sehr verliebt in Pauls Augen. »Danke« entwich sehr leise ihren Lippen.

Paul wagte es, sich wieder umzublicken, doch jetzt waren sie allein in der großen Empfangshalle. Eine doppelflügelige Tür stand auf und von dort waren Stimmen zu hören.

* * *

»Sehr beeindruckend. Das sieht nach einem langem Training aus.« Ein sehr gut angezogener Mann kam von draußen in die Halle. Er trat auf Maria zu und obwohl er sich sehr zurück hielt, zeigte sein Blick dennoch, dass er Marias Handschuh bewunderte.

Paul und Maria drehten sich erstaunt um.

»Graf Leonhard von Reiziger.« Mit einer formvollendeten Verbeugung stellte sich der Graf vor. »Ich bin der Verlobte von Amelie von Grünberg.« Sein Blick blieb auf Maria liegen. »Das ist ein tolles Kleid und passt super zu dem Handschuh.« Er war von Marias Aussehen sichtlich angetan.

»Es ist die »Uniform« für die Musikgruppe.« Maria gab sich bescheiden. »Wir dürfen sie auch privat tragen und ich liebe diese Art von Kleidern.«

Der Graf bat Maria, einmal die Hand vorzustrecken.

Maria war etwas verwundert von dieser Bitte, doch seit der Begegnung mit dem Bürgermeister hatte sie die dazu nötige Bewegung etwas geübt, falls mal wieder jemand wichtiges ihr unbedingt die Hand reichen wollte und dabei ihren Mono übersehen hatte.

Doch der Graf ließ sich davon nicht irritieren. Er beugte sich vor, ergriff Marias verpackte Hände und deutete einen Handkuss an.

Maria war von dieser Geste sehr bewegt. Sie wurde etwas rot. Gleichzeitig war sie überrascht darüber, wie selbstverständlich hier das Tragen eines Monohandschuhs genommen wurde.

»Hallo?«, Amelie kam in die Eingangshalle und räusperte sich. »Du bist mit mir verlobt.« Dabei entlarvte ihr Lächeln ihre Eifersucht als gespielt. Mit langsamen Schritten kam sie auf ihren Verlobten zu.

Dieser blickte etwas amüsiert auf seine Verlobte. Als sie neben ihm stand, begrüßte er auch sie mit einem entsprechenden Handkuss. Dann erst nahm er sie in die Arme und gab ihr einen liebevollen Kuss.

»Schön, dass du kommen konntest.« Amelie strahlte. »Wir haben besonderen Besuch.« Ihr Blick blieb für einen kurzen Moment auf Marias Handschuh liegen. Bisher hatte sie nur gesehen, dass Maria ein Mono angelegt werden würde. Erst jetzt sah sie ihn in all seiner Strenge an Marias Armen. Sie war schwer beeindruckt. »Wahnsinn, so eng kannst du das tragen?« Ihre Miene zeigte kleine Spuren von Eifersucht.

Maria bedankte sich für das Kompliment.

»Ich habe sie schon bewundert.« Seine Meine zeigte Ehrlichkeit. Dann fiel sein Blick wieder auf seine Verlobte und ein leises Lächeln glitt über sein Gesicht. »Ich glaube, du wirst noch viel trainieren müssen.«

Amelie stöhnte und drehte sich einmal um sich selbst, um ihren Handschuh zu zeigen. »Ich kann das doch auch schon gut, oder?« Ein Strahlen versuchte sich in ihr Gesicht zu schleichen.

Doch ihr Verlobter runzelte nur kurz die Stirn. »Den Handschuh hat Inka aber nicht angelegt?«

Amelie war über den Kennerblick nicht verwundert. »Die ist heute nicht da. Sie besucht eine alte Schulfreundin. Roberta war so nett und hat mir da hinein geholfen.«

Leonhard zog einmal kurz an dem Schloß, welches den Handschuh an Amelies Armen verschlossen hielt. »Das erklärt einiges.« Er lächelte und trat hinter Amelie. Mit ein paar Handgriffen hatte er den Handschuh etwas strenger angelegt. »Inka ist die beste Freundin von Amelie. Sie haben schon zusammen im Sandkasten gespielt. Inka ist die Tochter des Gärtners.« Er hatte die fragenden Gesichter seiner Gäste bemerkt. Dann fiel sein Blick wieder auf seine Freundin. »Und dein Rock ist auch nicht richtig geschlossen.« Seine Blick hatte etwas Tadelndes.

»Ich musste doch Treppensteigen.« erwiderte sie, doch sie wusste, dass er ihre Entschuldigung nicht gelten lassen würde.

»Du bist ja jetzt im richtigen Stockwerk, oder?« Er wartete ihr Antwort nicht ab, sondern beugte sich zu ihren Beinen herunter und schloss den Reissverschluss bis zum Saum.

Amelie seufzte leise, denn sie wusste, wie langsam sie jetzt sein würde. Sie schämte sich ein wenig vor ihren Gästen.

»Hattest du etwas gesagt?« fragte ihr Verlobter süffisant.

Amelie schluckte ihren Ärger deutlich sichtbar herunter, dann drehte sie sich zu ihm um und gab ihm einen Kuss. Sie brauchte einen Moment, bis sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte. »Darf ich euch zu Kaffee und Kuchen einladen? Ich glaube, meine Mutter hat gut eingekauft.«

Maria war sichtlich beeindruckt von dem Auftreten von Graf Leonhard. Er hatte irgendwie eine sehr charmante, aber doch sehr bestimmende Art. Irgendwie verspürte Maria ein Kribbeln, als sie daran dachte, wie er seiner Verlobten den Rock geschlossen hatte und Amelie nichts anderes mehr übrig blieb, als sich dafür zu bedanken.

Mehr oder weniger heimlich warf Maria einen Blick auf Amelie und hatte ein wenig Mitleid, als sie sah, wie sich die Grafentochter jetzt nur noch zentimeterweise vorwärts bewegen konnte. Aber zum Erstaunen von Maria schien Amelie nicht wirklich beleidigt oder traurig, sondern im Gegenteil, es schien, als würde sie ihren eigentlich demütigenden Zustand sehr zu genießen.

»Es tut mir leid, aber schneller geht es nicht.« Sie schien die Blicke der anderen zu spüren und als gute Gastgeberin wollte sie sich bei ihren Gästen entschuldigen. Doch ihre leuchtenden Augen war zu entnehmen, wie sehr sie jeden einzelnen ihrer so mühsamen Schritte auskostete.

Maria blickte noch einmal auf Amelie und kam ins Grübeln. Nur langsam begann sie zu begreifen, dass Amelie ihre Fesseln auf ihren eigenen Wunsch hin zu tragen schien. Sie machte außerdem einen sehr verliebten Eindruck und sie schien es ebenso zu genießen, dass ihr Verlobter offensichtlich auch Freude daran hatte, wenn sie sich mit den Fesseln abzumühen hatte.

Sie blickte kurz zu Paul und sie sah, dass er von dem Auftreten von Amelie ebenfalls sehr beeindruckt war.

So einen engen Rock gab es in dem Programm ihrer Mutter bisher nicht und auch bei den Vorbereitungen des Katerinenfestes spielte die Beinkleidung nur eine geringe Rolle. Es reizte sie aber, ebenfalls zu so kleinen Schritten gezwungen zu sein. Ob Paul dafür wohl Verständnis haben würde? Sie blickte ihn an und schaute gleich darauf auf Amelies verpackte Beine, dann schaute sie ihn wieder an. War er ihrem Blick gefolgt?


Paul war verwundert. Er hatte den Eindruck, als würde Maria das selbst gewählte sehr restriktive Leben von Amelie sehr gefallen. Doch so richtig verstehen konnte er es noch nicht. Es musste doch sehr demütigend sein, mit so einem strengen Rock unterwegs zu sein und nur noch winzige Schritte machen zu können. Doch Amelies Lächeln zeigte ihm, dass sie es nicht als Last empfand, sondern es zu genießen schien. Verunsichert blickte er wieder zu Maria und lächelte verlegen.

Insgeheim fragte er sich, wie er wohl reagieren würde, wenn Maria so einen Rock tragen wollte. Bisher hatte er so etwas in ihrer Garderobe noch nicht entdeckt, aber es hätte ihn nicht überrascht, wenn Maria so einen Rock ebenfalls besitzen würde.

Auf jeden Fall strahlte die Trägerin eine ungeheure Hilflosigkeit aus, denn egal was sie anstellte, sie konnte sich nur noch mit sehr winzigen Schritten bewegen. Bei Amelies Rock kam noch dazu, dass er selbst in geöffnetem Zustand nicht sehr viel Beinfreiheit bot, da ihre Oberschenkel dann immer noch streng aneinander gepresst wurden.

Maria wäre noch mehr als sonst auf seine Hilfe angewiesen. Auf einmal wurde ihm klar, dass diese Hilflosigkeit aber auch ein sehr großer Vertrauensbeweis war. Er glaubte zu erkennen, dass es zunächst der Wille von Amelie und auch Maria war, sich ihrem Partner bewußt und vollständig auszuliefern. Dieses würden sie nicht machen, wenn sie nicht vollstes Vertrauen in ihre Partner hätten.

Er begann sich mit ein klein wenig Zweifeln zu fragen, ob er dieses Vertrauens wirklich würdig war. Doch die Blicke, die Maria ihm gelegentlich zuwarf, zeigten ihm, dass seine Zweifel mehr als unberechtigt waren.

* * *

»Aber das Eßzimmer sieht immer noch so aus wie früher«, bemerkte Oma Selma, die sich sichtlich freute, einmal wieder an ihrem alten Arbeitsplatz zu sein. »Ihr habt ja kaum was verändert.«

»Ich wollte ursprünglich alles verändern, das hatte ich mir vorgenommen.« Heidrun lächelte. »Aber als ich dann endlich etwas zu sagen hatte, konnte ich es nicht übers Herz bringen.«

»Die jungen Damen tragen sogar ihre Handschuhe.« lächelte Selma scherzhaft, als sie die vier jungen Leute zur Tür herein kommen sah.

»Stimmt«, Heidrun griff den Scherz auf. »Es ist wie früher.« Sie drehte sich zu Maria und ihrer Tochter um und versuchte, ihrem Gesicht einen ernsten Anstrich zu geben. »Such euch euren Platz.« Sie wies auf die noch freien Plätze, dann drehte sie sich wieder zu ihrer ehemaligen Erzieherin. »Diesen Satz habe ich früher gehasst.«

Oma Selma lächelte verständnisvoll. »Deine Mutter war aber auch sehr streng und traditionsbewußt.«

Heidrun seufzte. »Diese Stühle habe ich mehr als einmal verflucht.«

Paul blickte sich unauffällig um. Eine große Tafel war aufgebaut, bei der an jeder Seite vier Personen sitzen konnten. Es fiel ihm auf, dass zwei der mittleren gegenüberstehenden Stühle eine sehr außergewöhnliche Lehne hatten. Irgendwie schien sie nur aus zwei seitlichen Streben zu bestehen und ließ den Platz in der Mitte frei.

Amelie ging sehr zielstrebig auf den einen der beiden Stühle zu und stellte sich daneben. Ihr Blick suchte Maria. »Das sind unsere Stühle.«

Jetzt verstand Paul. Diese Lehne ließ den Armen der Monohandschuhträgerin Platz, so dass sie auch mit angelegtem Handschuh bequem auf dem Stuhl sitzen konnte.

Doch noch etwas verwunderte ihn. Die Stühle zeigten schon einige Gebrauchsspuren und schienen schon älter zu sein. Vor allem aber waren die acht Stühle vom Muster her und vom Material gleich gearbeitet. Er wagte es nicht zu fragen, aber es hatte den Anschein, als hätte es die Stühle mit der besonderen Lehne schon immer so gegeben. Erst dann erinnerte er sich an das, was er von seiner Oma zu der Erziehung der Grafentöchter gehört hatte und es war ihm klar, dass es in dem Haushalt wohl schon seit langem Trägerinnen von Monohandschuhen gegeben haben musste. Eigentlich wollte es insgeheim nicht glauben, was ihm seine Oma erzählt hatte. Doch jetzt sah er es wirklich.

»Würde es euch stören, wenn ich im Mono verbleibe?« Sie blickte etwas unsicher zu Leonhard. »Mein Verlobter würde ihn mir sonst abnehmen.« Doch ihr Blick zeigte, dass sie sich darüber überhaupt nicht so sicher war.

Heidrun seufzte nur leise, während Oma Selma sich über die Idee sehr freute. »Nein, es stört mich überhaupt nicht.« Sie lächelte sentimental. »Im Gegenteil, so ist es wirklich wie früher.«

Es war Marias sehr verlegener Blick, der Paul ermutigte, seine Freundin von ihrem Handschuh zu befreien. Doch kaum hatte er den ersten Riemen geöffnet, als er von Amelie unterbrochen wurde.

»Warte bitte.« begann sie etwas verlegen. »Ich hatte mich sehr auf die ebenbürtige Gesellschaft gefreut.«

Paul hielt inne und beide drehten sich zu Amelie hin.

»Würdest du mir die Freude machen und für die Kaffeetafel im Handschuh verbleiben?« Amelie blickte Maria etwas verlegen an. »Wenn es dir möglich ist?« schob sie nach.

Maria drehte sich kurz zu Paul um und sah ihn fragend an. Es war deutlich zu spüren, dass sie diese Entscheidung nicht treffen wollte.

Paul war seinerseits ebenfalls sehr unsicher und suchte den Blickkontakt zu seiner Oma. Erst als diese mit wohlwollender Miene leicht nickte, schloß Paul den Riemen wieder und zupfte etwas an dem Handschuh herum, obwohl er doch eigentlich schon perfekt angelegt war.

»Na, gibst du wieder Befehle?« Graf Reiziger war zu seiner Verlobten getreten und streichelte ihr zärtlich durch das Gesicht. »Du weißt doch, dass das dir als Bondagette überhaupt nicht zusteht.« Er blickte zu Maria. »Sie versucht immer zu kommandieren.« Er lächelte mild und gab ihr einen Kuss.

Das Wort 'Bondagette' hatte Paul noch nie gehört und es schien ihm so, als ob auch Maria mit dem Begriff nichts anzufangen wusste. Doch er traute sich nicht, jetzt nachzufragen. Insgeheim nahm er sich vor, später seiner Oma danach zu fragen.

»Nun setzt euch bitte.« Heidrun sprach sehr höflich, aber in ihrer Stimme schwang ein Unterton mit, der deutlich zeigte, wie unangenehm ihr das Thema war.

Gleich darauf waren langsame Schritte zu hören und eine ältere betrat Dame den Raum. Die Gräfin stand auf und begrüßte sie wie eine Freundin, obwohl sie von der Kleidung her als Dienerin erkenntlich war. »Roberta, wir haben Besuch.« Heidrun lächelte. »Erkennst du sie?«

Die Angesprochene brauchte einen Moment, bis sie reagierte. »Nein, das kann doch nicht sein? Selma, bist du es?«

Pauls Oma erhob sich und umarmte die Dienerin. »Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen.«

Heidrun wartete, bis sich die beiden Damen begrüßt hatten. »Roberta, setzt dich bitte zu uns. Heute serviere ich.«

Roberta wollte erst abwiegeln, das würde doch nicht ihrem Status entsprechen, doch Heidrun widersprach. »Du würdest auch unseren Gästen eine große Freude machen.«

Doch erst als Pauls Oma ebenfalls darum bat, setzte sich Roberta auf den noch freien Platz neben ihre ehemalige Kollegin.


Heidrun bediente ihre Gäste sehr aufmerksam. Es machte sie sehr sympathisch, dass sie sich dafür nicht zu schade war. Auch der künftige Schwiegersohn half mit beim Austeilen des Kuchens.

Oma Selma kam nicht umhin, es zu bemerken. »Ihr seid aber unkompliziert geworden.«

»Mir war das ganze Zeremoniell immer zuwider.« Heidrun lächelte. »Jetzt befolgen wir es nur noch, wenn unsere Gäste es erwarten.« Sie nahm ebenfalls Platz.

»Den Kaffee hat Roberta gekocht.« Heidrun nahm einen Schluck setzte ihre Tasse ab. »Sie macht einen vorzüglichen Kaffee.«

»Ich freue mich sehr, sie wieder zu sehen.« Oma Selma war sichtlich berührt. »Arbeitet sie immer noch für euch?«

»Sie läßt es sich nicht nehmen.« seufzte Heidrun. »Eigentlich wäre sie schon lange in Rente. Doch es macht ihr Freude, in ihrem Alter noch nützlich zu sein.«

Roberta seufzte deutlich gespielt. »Jetzt muss ich die Kleine immer in den Handschuh schnüren.« Sie beschrieb, dass dies sonst immer die Aufgabe von Oma Selma gewesen wäre.

Amelie gab sich sehr respektlos. »Dafür bist du doch da, oder nicht?« Doch ihr Lachen zeigte die scherzhafte Absicht. »Außerdem läßt sie es sich auch nicht nehmen.« fügte sie mit frechem Unterton hinzu. Sie drehte sich zu Leonhard und bat ihn. »Gibst du mir etwas Kaffee?«

Sehr zum Erstaunen von Paul und Maria führte Graf Leonhard die Kaffeetasse zum Mund seiner Verlobten und hielt die Tasse so, dass Amelie bequem einen Schluck davon nehmen konnte. Es schien für sie das selbstverständlichste zu sein, auf diese Weise gefüttert zu werden. Beide strahlten bei diesem Vorgang eine große Sicherheit und Routine aus.

»Das traue ich mir nicht zu«, flüsterte er zu seiner Freundin. »Ich habe Angst, dass ich das Kleid beschmutze.«

Amelie spürte die Nervosität und erkundigte sich, ob etwas nicht in Ordnung sei.

»So geübt sind wir nicht«, sie drehte sich kurz zu Paul und lächelte ihn an. Etwas verlegen wandte sie sich wieder ihrer Gastgeberin zu. »Ich bin es gewohnt, mit Strohhalm zu trinken.« Sie wackelt etwas mit ihren Armen und blickt an sich herunter. »Außerdem habe ich Angst, das Kleid zu beschmutzen.«

»Das ist gar kein Problem.« Heidrun stand auf, nachdem sie Roberta gebeten hatte, sitzen zu bleiben. »Du hast heute frei.« Sie ging zu einer Schublade und griff hinein. Dann reichte sie dem Paar den Strohhalm.

»Strohhalme gab es damals nicht.« erinnerte sich Oma Selma etwas sentimental.

Heidrun stimmte ihr zu. »Wir mussten es lernen oder aus der Schnabeltasse trinken.« ihre Stimme war etwas ebenfalls etwas wehmütig.

Maria zuckte etwas zusammen. Sie drehte sich zu Paul und grinste ihn an. »Ab morgen üben wir das.«

Paul stand der Schweiß auf der Stirn. Er fand es schon sehr anstrengend, Maria ohne Unfälle zu füttern und Gabel oder Löffel richtig zum Mund zu führen. Irgendwie war ihm klar, dass das Führen einer Tasse noch sehr viel anspruchsvoller sein würde. Doch als er die leuchtenden Augen seiner Freundin sah, wusste er, dass er sich dieser Herausforderung stellen musste. Innerlich stöhnte er ein wenig.

Fasziniert blickte auch er zu Amelie und ihren Verlobten. Es war deutlich zu sehen, wie Amelie offensichtlich hilflos und ihrer Umgebung ausgeliefert war und diesen Zustand aber sichtlich genoss. Ebenso erkannte er, wie ihr Verlobter den Zustand seiner Freundin sichtlich genoss und sich an ihrer Hilflosigkeit ergötzte und sie teilweise sogar ein klein wenig demütigte. Doch stets zeigten ihre beiden leuchtenden Augen, wie sehr sie beide den Zustand genossen.


»Trägt Amelie ihren Handschuh eigentlich oft?« Sogar Oma Selma war von Amelie sehr fasziniert.

»Sie läuft fast den ganzen Tag damit rum.« Heidrun seufzte. »Ich habe schon lange damit aufgehört, sie davon abbringen zu wollen.«

»Es gefällt mir eben.« Amelies leuchtende Augen zeigten, wie wohl sie sich fühlte und dass die Versuche ihrer Mutter sie nicht berührten. Sie strahlte. »Leo und Inka helfen mir dabei.« Sie warf dem Grafen einen verliebten Blick zu. »Außerdem hast du so etwas früher auch getragen.«

Die Gräfin zuckte mit den Schultern. »Am liebsten würde sie ihn auch in der Uni tragen.« Sie hatte schon zu oft versucht, gegen die Fesselwünsche ihrer Tochter zu argumentieren, doch sie wusste, dass Amelie nicht davon abzubringen war. Im Gegenteil, ihre Tochter hatte sichtlich Freude daran, wenn ihre körperliche Freiheit eingeschränkt war.

Der Verlobte schob ein paar Erklärungen nach. »Amelie hatte sich gewünscht, die ganzen Semesterferien als Bondagette zu verbringen und wir haben ihr dies zum Geburtstag geschenkt.« Er gab seiner Verlobten einen Kuss. »Du hältst uns ganz schön auf Trab mit deinen Launen.« Seine Stimme klang vorwurfsvoll, doch sein Lächeln entlarvte ihn.

»Es war uns sehr wichtig, dass unsere Kinder sehr selbstbestimmt aufwachsen und nicht so streng erzogen wurden, wie es früher bei uns üblich war.« Heidrun berichtete von den zwei älteren Töchtern, die glücklich verheiratet waren und ein ganz normales Leben führten. »Nur Amelie ist etwas aus der Art geschlagen. Obwohl wir sie ebenfalls sehr liberal erzogen haben, wollte sie von Anfang an immer gefangen sein.«

»Ja,« lächelte Amelie, »Mutter war sehr liberal, ich musste teilweise darum kämpfen, die Fesseln tragen zu dürfen.« Sie legte ihren Kopf in den Nacken und schien kurz zu träumen. »Ich habe auf alten Fotos gesehen, wie meine Mutter ihren Handschuh trug und ich wollte dies immer auch so machen.«

»Ich habe sie oft beobachtet, wie sie mit ihren beiden Schwestern »Bondagette« gespielt hat. Es hat mir zwar etwas weh getan, aber ich habe sie stets spielen lassen.« Heidrun lächelte etwas verträumt. »Sie war unser Küken und wir haben sie verhätschelt und sind stets auf all ihre Wünsche eingegangen. »Als sie dann größer wurde, wurden ihre Spiele auch immer ernster.« Heidrun seufzte. »Und als ihre Veranlagung immer deutlicher wurde, haben wir ihr keine Steine in den Weg gelegt, sondern alles getan, um sie mit ihren Fesseln glücklich werden zu lassen.«

»Du hast Inka vergessen.« warf Amelie ein. »Sie ist die Tochter unseres Gärtners und meine beste Freundin.« Amelies Augen leuchteten, als sie ihr erzählte. »Wir haben schon zusammen im Sandkasten gespielt. Sie sorgt immer sehr gründlich für meine Fesselungen. Schade, dass sie heute nicht da ist.«

Leonhard lächelte ein wenig. »Sie haben sich im Laufe der Jahre ein richtiges Vertragswerk über die täglichen Restriktionen ausgehandelt.« Er gab seiner Verlobten einen Kuss. »Meine angehende Juristin.«

Amelie funkelte ihren Verlobten kurz böse an, dann wandte sie sich wieder ihren Gästen zu. »Inka sorgte immer dafür, dass der Fesselplan, den wir aufgestellt haben, auch stets eingehalten wird.«

»In neuerer Zeit dulden mich die beiden Damen,« erklärte Leonhard mit einem leichten Grinsen. »Gelegentlich darf ich auch für die richtigen Fesseln sorgen.«

»Heute hat Inka frei, weil Leo sich um mich kümmern kann.« Amelie gab ihm einen Kuß. »Sonst entscheidet Inka immer sehr selbstständig, welche Fesseln sie mir anlegt, manchmal auch gegen meinen Willen, das haben wir extra so ausgemacht, damals.« Sie bat ihren Verlobten um einen Schluck Kaffee. »Es hat mir immer so leid getan, dass Inka nur so ein spärliches Taschengeld bekam, während ich so viel Geld zur Verfügung habe, und dann hat Mutter mir den entscheidenden Tipp gegeben.«

Heidrun war etwas verwundert. Sie schien nicht zu wissen, was ihre Tochter meinte.

»Wr haben uns schon relativ früh ein Punktesystem ausgedacht. Jeder Gegenstand, den sie mir angelegt hat, hat ihr eine bestimmte Anzahl von Punkten eingebracht und gegen Ende der Woche wurde ihr das als zusätzliches Taschengeld ausgezahlt.« Amelies Stimme klang sehr schwärmerisch. »Auf diese Weise hatten wir beide sehr viel davon. Ich konnte meine Fesseln genießen und hatte zudem eine Möglichkeit, Inka Geld zukommen zu lassen, ohne dass es hochnäsig oder überheblich aussah.«

»Wie sieht denn das Punktesystem aus?« Maria zeigte großes Interesse am Leben der Grafentochter.

Amelie beschrieb ein recht komplexes Regelwerk, welches weder Paul noch Maria verstanden. Leonhard zuckte ebenfalls mit den Achseln. »So handeln angehende Juristen ihre Verträge aus.« Das brachte ihm einen bösen Blick seiner Verlobten ein.

»Wir haben sogar einen Vertrag gemacht.« Sie grinste. »Zwanzig Seiten. Ich zahle sozusagen für meine Fesselung.« Sie beschrieb, dass das Extragehalt für Inka von ihrem Konto abging.

»Wenn ich mich befreien kann, dann geht sie leer aus.« Amelie grinste. »Aber sie hat sehr schnell gelernt. Ich glaube, ich habe mich nur drei Mal befreien können, ganz am Anfang. Dadurch, dass sie hier auf dem Gut arbeitet, kann sie fast immer in meiner Nähe sein.« Sie stöhnte ein wenig. »Inka ist immer sehr kreativ, wenn es darum ging, mir das Alltagsleben schwer zu machen.«

Leonhard bestätigte. »Von ihr kann sogar ich noch was lernen.«

»Schade, dass sie heute nicht da ist.« Amelies Stimme klang sehr enttäuscht. »Ihr müßtest sie kennenlernen.«

Maria war schwer beeindruckt von dem Leben, welches die Grafentochter sich offenbar aufgebaut hatte.

»Aber natürlich gilt alles nur, sobald ich den Gutshof betrete.« Sie beschrieb wie sie sich immer sofort in das kleine Haus neben dem Eingang begab, wo Inka oft schon auf sie wartete oder Amelie wartete dort, bis die Gärtnerstochter mit ihrer Arbeit fertig war oder sie zumindest unterbrechen konnte. »Die Zeit des Wartens ist besonders aufregend. Nicht zu wissen, was auf mich zukommt und was sie für mich vorbereitet hat.« Sie strahlte. »Manchmal liegen seltsame Gegenstände auf dem Tisch und ich darf dann grübeln, was sie damit machen wird. Sie kann so grausam sein.« Ihr Grinsen strafte ihren letzten Satz als Lüge. »Sie ist zusammen mit dem Sohn des Handwerksmeisters. Oft basteln sie zusammen etwas, mit dem sie mir dann den Alltag schwer machen kann.«

»Und dann kam Leonhard«, sie gab ihrem Verlobten einen Kuß. »Es war Liebe auf den ersten Blick und er hat mich sofort und vollkommen verstanden.« Sie strahlte. »Er weiß genau was ich brauche und macht mich sehr glücklich.« Sie wackelte etwas mit ihren Armen. »Wann immer sich die Gelegenheit bietet, bin ich seine Gefangene.«

Graf Leonhard streichelte seinerseits zärtlich über die Arme seiner Verlobten.

»Erzähl doch mal, wie ihr euch kennengelernt habt.« Robertas Lächeln ließ ahnen, dass es ein außergewöhnliches Ereignis gewesen sein musste.

* * *

»Am Anfang war ich sehr sauer.« Amelies Stimme wurde ernst. »Ich sollte verkuppelt werden.« Sie warf einen erbosten Blick in Richtung ihrer Mutter.

Diese lächelte nur.

»Es würde ein Graf Reiziger auf unser Gut kommen. Er würde seinen Sohn mitbringen und ich sollte ihn mir einfach mal ansehen.« Amelies Stimme zeigte, dass sie noch heute über diese plumpe Art und Weise empört war.

»Ich habe mich mit Inka und Roberta beraten und wir waren uns sehr schnell einig, dass wir ihn verschrecken und vertreiben wollten.« Sie lächelte. »Ich habe mir diesen schrecklichen gelben Hosenanzug angezogen und Inka hat mir dann ein Riemengeschirr angelegt. Meine Arme waren auf den Rücken fixiert, und meine Beine hatte sie auch zusammengebunden. Um den Hals trug ich keinen Schmuck, sondern einen Ballknebel in Gelb. Ich sah schrecklich aus.«

Graf Leonhard strich ihr zärtlich durch das Gesicht. »Das fand ich gar nicht.« Er lächelte.

»Die Beiden hatten ganze Arbeit geleistet. Ich konnte meine Arme fast überhaupt nicht mehr bewegen und war nur zu Trippelschritten fähig.« Sie strahlte. »So zurecht gemacht betrat ich den großen Saal, wo meine Mutter mit dem Grafen und seinem Sohn schon wartete.«

»Im ersten Moment dachte ich, ich träume.« Leonhard Stimme ließ auch jetzt noch sehr viel von der damaligen Faszination hören. »ich wusste sofort, was ich tun musste.«

»Er kam wortlos auf mich zu.« Amelies Stimme wurde etwas leiser. »Er löste den Knebel vom Hals und schob ihn mir in den Mund. Ich war sprachlos, und das nicht nur wegen des Knebels. Ich war so verblüfft, dass ich mich überhaupt nicht wehrte.«

Leonhard grinste.

»Dann hat er noch ein paar Riemen des Geschirrs etwas enger gemacht, obwohl Inka sich schon sehr angestrengt hatte. Erst dann trat er wieder vor mich und begrüßte mich in aller Form.« Amelie strahlte. »Ich habe mich sofort in ihn verliebt.«

»Ich war von ihrem Auftreten ebenfalls sofort gefangen.« schwärmte Leonhard. »Sie hat mich mit ihrem Auftritt sofort »gefesselt.«

»Es hat sofort gefunkt zwischen uns beiden.« Amelie warf einen bedeutsamen Blick zu ihrer Mutter. »Am Anfang war ich ja sauer, aber dann...« Sie strahlte und versuchte ihrem Verlobten einen Kuss zu geben.

»Ja, ich gebe gern zu, dass ich mir das ganz anders vorgestellt hatte.« Jetzt war es an Heidrun, zu lachen. »Auch der Vater des Grafen war von deinem Auftritt sehr irritiert. Er ist sofort wieder abgereist. Mit seinem Sohn im Schlepptau..«

»Es folgte ein sehr langes Gespräch zwischen Vater und Sohn.« erklärte Leonhard amüsiert. »Aber am Ende hat auch er eingesehen, dass wir zwei für einander bestimmt sind.« Er küßte Amelie.

»Und jetzt steht bald eine Hochzeit an.« Es war Roberta anzuhören, dass sie sich über das Glück von Amelie sehr freute und dass sie einen kleinen Teil dazu beigetragen hatte.

Heidrun freute sich trotz allem auch über das Glück ihrer Tochter. »Sie möchte sogar als Bondagette heiraten, aber das wird unsere Verwandtschaft nie zulassen.«

Amelie spielte die Empörte. »Was ist denn so schlimm daran, wenn ich zum Kleid einen weißen Handschuh tragen will?«

Heidrun seufzte nur.

»Das wäre schon eine tolle Idee.« Leonhard schien von diesem Wunsch noch nichts zu wissen. »Ich werde mal darüber nachdenken, wie wir beide Seiten zufrieden stellen können. Schließlich möchte ich dir den Ring an den Finger stecken können.«

»Und ich möchte mit dem Mono zum Altar gehen.« Amelies klang sehr entschlossen.

»Und wenn man das so macht wie bei normalen Handschuhen? Also mit dem Fingerteil zum Abnehmen?« Paul erinnerte an einen der Handschuhe, den sie im Museum gesehen hatten.

»Ja, das haben wir doch auch in dem Film gesehen.« Maria berichtete von der romantischen Szene, bei der der Prinz seiner Katerina so den Ring an den Finger gesteckt hatte.

»Maria wird demnächst im Monohandschuh heiraten«, Er war hörbar stolz auf seine Freundin. »Auf dem Katerinenfest.«

Alle Blicke richteten sich auf Maria.

»Was ist denn das Katerinenfest?« Amelies Stimme klang sehr fasziniert.

Maria suchte den Blick von Oma Selma. »Mögen sie das erzählen? Sie können das so schön romantisch erzählen.«

Pauls Oma nahm noch einen Schluck Kaffee, dann begann sie von den damaligen Ereignissen zu berichten.

Amelie kuschelte sich in die Arme ihres Verlobten und lauschte den Worten, die von der so starken Liebe von Anselm zu seiner Geisel Katerina berichteten. »Das Fest wird alle sieben Jahre gefeiert und dieses Jahr sind Maria und Paul die Darsteller des Prinzenpaares.«

Amelie war mehr als fasziniert. »Und du darfst den Mono überall tragen?«

Maria begriff jetzt erst, was für ein Glück sie mit dem Fest hatte. »Ja, ich habe viele Termine, bei denen ich mit dem Handschuh erscheinen muss.«

»Wir waren so sogar beim Bürgermeister.« Paul war sichtlich stolz auf Maria.

»Ich muss ihn verstecken.« Amelie war auf einmal etwas wehmütig. »Ich kann ihn nur hier im Haus tragen.« Sie seufzte tief. »Es wäre schön, wenn ich ihn auch in der Öffentlichkeit tragen könnte. Aber dann könnte ich meine Karriere als Juristin vergessen. Wer würde eine Anwältin akzeptieren, die sich so unterdrücken läßt.«

Graf Leonhard protestierte. »Du wirst unterdrückt?« Er lachte. »Das wüßte ich aber.«

Er wandte sich an Paul. »Du musst sie streng kontrollieren, sonst tanzen sie dir auf der Nase herum.«

Paul lächelte höflich. Doch es war Amelie anzusehen, dass ihr Verlobter recht hatte.


Auf einmal ging die Tür auf und eine junge Dame in Amelies Alter betrat den Raum. Sie trug eine weiße Bluse zu einem schwarzen knielangen Rock und wäre damit problemlos als Chefsekretärin durchgegangen. Doch die Haltung ihrer Arme war das erstaunliche an ihrem Auftritt. Im Nacken war an einem sehr breiten Halsband aus Leder eine waagerechte Stange befestigt und an den Enden dieser Stange waren die Hände der Dame in Ledermanschetten befestigt. Beim Gehen klapperten die kleinen Vorhängeschlösser ein wenig, mit denen alle Schnallen verschlossen waren.

Hinter ihr betrat ein junger Mann das Zimmer, und dieser trug in seiner Hand eine zweite solche Stange, bei der allerdings die zwei Handmanschetten und das Halsband noch offen waren.

»Was machst du denn hier, Inka?« Amelie war überrascht. »Bist du nicht bei deiner Schulfreundin?«

»Meine Freundin hat kurzfristig abgesagt.« Doch auch Amelies Freundin Inka war überrascht und verlegen. »Ich wusste nicht, dass ihr Besuch habt.«

»Kommt, nehmt Platz.« Heidrun hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. »Es ist noch von allem was da.«

Doch Inka lehnte dankend ab. »Danke, das ist nett, doch ich bin im Moment etwas behindert.« Sie blickte einmal von ihrem linken Handgelenk zu ihrem rechten. Es war mehr als deutlich, dass sie so ihre Arme nicht mehr zum Mund führen konnte.

Obwohl Amelie wusste, dass es gegenüber ihren Gästen unhöflich war, stand sie auf und bewunderte ihre Freundin. »Was habt ihr denn da Feines gebastelt?« Sie hatte entdeckt, dass Sigmar, der Freund von Inka, noch eine zweite Stange in der Hand hielt und Amelie war es sofort klar, das diese für sie selbst bestimmt war. Ihre Augen leuchteten und ihre Arme zuckten nervös im Handschuh.

»Wir waren gestern im Kino und haben uns »Secretary« angesehen.« Inka grinste. »Du weißt, dieser sehr umstrittene Film. Und was soll ich sagen, ich fand ihn sehr inspirierend.«

Amelie blickte neugierig auf Inkas Arme. Ihr Kennerblick zeigte ihr, dass die Handgelenke an die Stange gefesselt waren und so dafür sorgten, dass ihre Arme nach beiden Seiten fast ganz ausgestreckt waren. Erst dann fiel Amelie die Kleidung auf, die Inka trug.

Es war sehr ungewöhnlich für die Gärtnerstochter, einmal Rock und Bluse zu tragen, meistens war sie nur in Jeans und T-Shirt oder ihrer Arbeitskleidung unterwegs. »Du siehst aus wie eine Chefsekretärin.« Amelies Augen leuchteten. »Hat das was mit dem Film zu tun?«

Inka bedankte sich für das Lob, dann holte sie einmal tief Luft und begann zu erklären. »Es ist die Eröffnungsszene, die mich sehr beeindruckt hat. Es wird gezeigt, wie die Heldin als besondere Sekretärin ihren Alltag meistert.« Inka blickte einmal an sich herunter. »So wie du mich jetzt siehst, arbeitete sie zu Beginn des Filmes. Das hat mich sehr beeindruckt.«

Inka beschrieb, wie die Heldin des Filmes, eine junge Frau, ein schon leeres Büro betrat. Sie trug eine schwarze Stange auf ihren Schultern wie den Querbalken eines Kreuzes. Mit ledernen Armbändern waren ihre Hände an den Enden gefesselt. Trotz der damit erzwungenen Behinderung ging sie damit den letzten Tätigkeiten des Tages nach. Sie schaltete die Schreibtischleuchte an, indem sie sich mit einer Hand hinunter beugte, während die andere Hand entsprechend unnütz in die Höhe gehoben wurde.

Sie trat hinter den Schreibtisch und legte ein paar Schriftstücke vor sich in den Hefter. Sie kniete nieder, betätigte den Hefter mit dem Kinn und fügte sie so mit einem durchdringenden Schlag zusammen. Sie stand wieder auf und drehte sich zur Schreibmaschine. Sie beugte sich herunter und holte die Schriftstücke mit dem Mund heraus. In der Küche machte sie noch einen Kaffee für ihren Chef zurecht und brachte ihm diesen zusammen mit den Schriftstücken.

»Ich habe gleich von Anfang an gewußt, dass das etwas für dich ist.« Inka strahlte. »Wir haben uns gleich noch gestern abend zusammengesetzt, haben die Stange nachgebaut und ausgiebig getestet.« Sie wurde etwas rot dabei.

Amelie lächelte hintergründig. Sie wusste von ihrer Freundin, dass sie im Bett sehr wild werden konnte und deswegen wurde jeder neue Gegenstand von ihr gerade dort getestet. Erst wenn er ihre Wildheit überstanden hatte, wagte es Inka, ihn ihrer Freundin zu präsentieren.

»Ich wollte sie jetzt eigentlich von dir bewerten lassen.« Inka blickte etwas verlegen auf die Kaffeetafel. »Aber ich wusste nicht, dass ihr Besuch habt.«

»Wir hätten nichts dagegen«, ließ Mrs. Potter hören. »Wir hätten auch ein kleines Anliegen.« Sie blickte kurz zu Maria. »Unsere Prinzessin würde auch gern noch etwas trainieren.«

»Würde das gehen?« Maria war sichtlich erfreut und überrascht zugleich. »Das wäre toll.«


Heidrun hob die Tafel auf. »Dann gehst du dich umziehen und danach treffen wir uns zur Schloßführung. Dabei könnt ihr bewerten und trainieren.« Es war deutlich, dass sie sich nicht für die Launen ihrer Tochter interessierte, ihr diese aber auch nicht verbieten wollte. Sie nahm ein Tablett zur Hand und begann den Tisch abzuräumen. Nur mit Mühe konnte sie Roberta davon abhalten, ihr zu helfen. »Du möchtest dich bestimmt weiter mit Selma unterhalten.«

»Machst du mir bitte den Mono auf?« Amelies Augen strahlten. »Dann gehe ich mich mal umziehen und dann treffen wir uns wieder hier zur besonderen Schloßführung.«

Leonhard griff in eine seiner Taschen und holte einen kleinen Schlüssel heraus. Er schritt zu seiner Verlobten und nahm das Schloß ab, welches den Monohandschuh verschlossen hielt.

»Danke«, Amelie bedankte sich mit einem Kuss, dann drehte sie sich um und verliess den Raum.

Mrs. Potter wandte sich an ihren Paul. »Holst du bitte die Jacke? Sie ist in meiner Tasche.«

Paul stand auf und kam der Bitte nach. Er hatte sich schon gewundert, warum sie so eine große Tasche brauchte.

Im Gegensatz zu vorhin beim Anlegen des Monohandschuhs war Paul jetzt überhaupt nicht mehr nervös. Irgendwie hatte er Vertrauen gefunden zu der Situation, in der Maria und er sich im Moment befanden, auch wenn er noch keine Zeit zum Nachdenken gehabt hatte. Mit der gewohnten Routine befreite er Maria von dem Monohandschuh und half ihr gleich danach mit der Trainingsjacke. Dass Inka und Leonhard dabei zusahen, störte ihn nicht mehr.

Seine Oma war aufgestanden und auf sie zugekommen, als es darum ging, die Arme seiner Freundin in die Trainingsposition zu bewegen. Zu ihrer beider großen Überraschung erlaubte sie heute ein weiteres Loch, so dass Marias Arme etwas weiter nach oben gezogen wurde.

»Du bist ja sehr beweglich«, staunte Inka.

»Man könnte meinen, du wolltest einen Backprayer trainieren.« bemerkte Leonhard mit einigem Kennerblick.

»Wir nennen es das 'Gebet auf dem Rücken'«, Oma Selma lächelte. »Aber du hast recht, Maria trainiert es.«

»Sie wird es auf dem Fest tragen.« In Pauls stimme lag sehr viel Stolz. »Aber das ist in Landsbach noch ein großes Geheimnis.«

»Also da bin ich ja sehr neugierig darauf.« Amelie kam mit einem breiten Grinsen die Treppe herunter. »Wann findet das Fest statt?«

Heidrun blickte zu ihrer Tochter und wunderte sich. »Wie bist du denn aus dem Mono herausgekommen?«

»Tja«, Amelie grinste ein wenig verschlagen. »Lissi hat mir geholfen.«

Pauls Oma nannte den Termin des Katerinenfestes.

Amelie drehte sich zu Inkas Freund, der ihre Stange schon hochgehoben hatte. Es ging sehr schnell und kurz darauf waren Amelies Arme ebenfalls weit vom Körper abgespreizt und die Handgelenke waren an die Stange gefesselt. »Das war eine tolle Idee von dir.« Dann drehte sie sich vorsichtig zu ihren Gästen. »Da wären ein paar Sachen, die ich euch gern zeigen möchte.«

Sie keuchte etwas, als sie versuchte, mit den neuen noch sehr ungewohnten Restriktionen richtig umzugehen. Fast hätte sie eine Vase umgeworfen, als sie sich etwas zu schnell umdrehte.

Es war etwas besonderes für Amelie, dass ihr Besuch Verständnis für Bondage hatte und insbesondere, dass eine andere Bondagette zu Besuch war. Ebenfalls war es etwas besonderes, dass sie diesmal einen neuen Gegenstand zusammen mit Inka (er)tragen musste.


»Magst du mal deine Standuhr vorführen?« Heidrun nickte ihrer Tochter aufmunternd zu. Irgendwie schimmerte durch, dass Heidrun doch auch ein wenig stolz war auf ihre Tochter, die sich gegen sehr viel Widerstand ihren Traum verwirklicht hatte. Sie bat ihre Gäste zu der großen sehr imposanten Standuhr aus dunklem Holz, die zwischen den beiden großen gotischen Fenstern stand.

»Sie sieht doch aus,wie eine ganz normale Uhr.« Amelie grinste. Mit etwas Mühe griff sie zu dem Schlüssel, der vorn im Schloß steckte. Sie keuchte, als sie ihn drehen wollte und musste feststellen, dass es ihr mit der Stange nicht mehr möglich war. »Faszinierend.« strahlte sie, dann bat sie ihren Verlobten, die Tür zu öffnen.

Als die Tür aufklappte und Amelie mit einer theatralischen Geste auf den Inhalt deutete, traten Paul und Maria vor und erblickten sehr erstaunt das Innere der vorgeblichen Uhr. Ein Gewirr von Lederriemen auf einem Brett in menschlicher Form ließen keinen Zweifel daran, welchen eigentlichen Zweck der Uhrenkasten hatte.

»Darin war ich anfangs oft festgeschnallt.« Amelies Stimme klang etwas sentimental. »Zu Beginn nur, wenn keiner im Wohnzimmer war. Doch einmal ganz aus Versehen kam Besuch, während ich darin eingesperrt war.« Das Leuchten in ihren Augen zeigte, wie schön und aufregend diese Gefangenschaft für sie gewesen sein musste. »Mutter war sehr böse, als sie uns auf die Schliche gekommen war.«

»Ich hatte Amelie verboten, ihr Hobby auch im Erdgeschoß auszuleben.« Heidrun lächelte entspannt. »Entsprechend war ich sauer, als ich die Uhr und auch die Rüstung entdecken musste.«

Inka lächelte. »Sie waren aber nicht lange böse.« Sie erinnerte daran, dass Amelie einmal auch von ihrer Mutter in der Uhr festgeschnallt wurde, als ihre Freundin sich das ausgedacht hatte und kurzfristig verhindert war.

»Was für eine Rüstung?« Oma Selma war hellhörig geworden.

Amelie grinste hintergründig, dann klappte die Uhr wieder zu und mit einem noch etwas unbeholfenen Dreher ihres gesamten Körpers wandte sie sich zu Tür. »Folgt mir bitte zur Schlossbesichtigung. Es gäbe da einige Sachen, die ich euch gern zeigen möchte.«

Ihre Mutter seufzte nur und warf Pauls Oma einen vielsagenden Blick zu.

»Jetzt willst du schon wieder die Führung übernehmen.« Leonhard neckte sie. «Meine stolze Bondagette.«

Es war ein seltsamer Zug, der sich jetzt in Bewegung setzte. Leonhard hielt die Tür auf und schaute sehr fasziniert zu, wie die drei hilflosen Frauen den Raum verließen. Paul und die anderen gingen hinterher. Nur Inkas Freund Sigmar entschuldigte sich. »Ich muss zurück zur Arbeit.«


Sie betraten das Wohnzimmer und Oma Selma kam nicht umhin zu bemerken, dass sich dort so gut wie gar nichts verändert hatte. »Es sieht immer noch so aus wie früher.«

»Ich habe das Sofa immer gehasst.« Heidrun seufzte. »Auch wenn wir drei Töchter gut darauf sitzen konnten.«

Amelie bat Maria an das angesprochene Sofa. Sie zeigte, dass es hier drei Plätze für Monoarme gab. »Es sitzt sich sehr bequem.« Sie lächelte Maria ermutigend an. »Das musst du unbedingt noch ausprobieren.«

Inka war zu der großen Ritterrüstung gegangen und versuchte, an der Seite der Rüstung etwas zu öffnen. Doch sie stellte fest, dass sie beide Hände benötigte. Etwas verlegen bat sie Leonhard um Hilfe.

»Du möchtest deine Schandtat wirklich vorzeigen?« Leonhard versuchte, einen Tadel in seine Stimme zu legen, doch so richtig überzeugend war es nicht. »Die Rüstung habt ihr ruiniert.«

»Es sind doch noch so viele andere im Rittersaal und auf dem Dachboden.« Amelie wollte ihre Freundin in Schutz nehmen.

»Aber ihr hättet sie trotzdem nicht total zusammenschweißen müssen.« Er hatte endlich den seitlichen Verschluß geöffnet und konnte das vordere Teil aufklappen. »So kann sich kein Ritter mehr darin bewegen. Ihr habt alle Gelenke kaputt gemacht.« Wie schon bei der Standuhr waren auch hier jede Menge Riemen zu sehen, deren Zweck eindeutig war.

»Ich gebe ja zu, dass es ein Fehler war.« Amelie gab sich ein wenig zerknirscht. »Aber es waren ein paar aufregende Stunden.«

»Das war aber auch der letzte große Umbau.« Inka versuchte ebenfalls eine Entschuldigung. »Wir sind dann auch bald von der statistischen Fesselung übergegangen zu den dynamischen Fesselungen.« erklärte sie mit sehr viel Stolz in der Stimme.

Doch dann wurde sie von Heidrun unterbrochen. »Hallo? Ich wollte eine Führung machen für meine Selma.«

Die Mädchen zuckten schuldbewusst zusammen und Leonhard schloss die Rüstung wieder. Dann drehten sich alle zu Heidrun und hörten zu, was diese über die Räumlichkeiten zu berichten hatte.

Selma hörte sehr aufmerksam zu und freute sich insgeheim, dass sie insgesamt doch gute Arbeit gemacht hatte. Heidrun war eine stolze und selbstbewusste Schlossherrin geworden. Und was sie besonders auszeichnete, war der sehr tolerante und liebevolle Umgang mit den Leidenschaften ihrer Tochter.

Beim Hinausgehen fragte Oma Selma nach dem Unterschied zwischen 'statisch' und 'dynamisch'.

»Das ist eigentlich ganz einfach.« Amelie hatte sehr viel Stolz in der Stimme. »'Statisch' ist es immer dann, wenn ich irgendwo festgebunden oder angekettet bin und ich mich deswegen nicht frei bewegen kann.«

Sowohl Pauls Oma, er selbst als auch Maria spitzten in diesem Moment sehr die Ohren.

»Wenn ich mich aber vom Prinzip her im Schloß frei bewegen könnte, dann nennen wir das 'dynamisch'. Ich bin dann trotzdem sehr hilflos, weil meine Arme meistens weggefesselt sind.« Sie schaute fasziniert zu Inka, die mit ihrer Secretary-Stange ebenfalls sehr zu kämpfen hatte. »Das Stichwort ist ‚nutzlose Bewegungsfreiheit’. Wie zum Beispiel die Arme im Mono, oder jetzt an der Stange. Ich kann sie noch etwas bewegen«, sie wackelte etwas mit ihren gespreizten Armen, »aber es nutzt mir nicht.«

»In die statischen fügt man sich einfach«, Inka teilte die Leidenschaft ihrer Freundin, »und genießt sie – oder wartet die Zeit ab - , aber die dynamischen bleiben eben ständig Herausforderung und Schwierigkeit.«

»Daher mag ich die dynamischen Fesselungen viel mehr.« lachte Amelie.

»Mir sind die Statischen lieber.« lachte Heidrun. »Ich muss sonst immer fürchten, dass sie versehentlich auftaucht, wenn wir Besuch haben.« Sie öffnete die nächste Tür und betraten die große Küche. Lissi stellte gerade etwas Geschirr weg.

»Hier haben wir ausführlich modernisiert.« Sie zeigte auf den Elektroherd, die Mikrowelle und die Geschirrspülmaschine.«

»Es fällt aber fast überhaupt nicht auf.« Oma Selma war verwundert. »Ich hätte es vermutlich nicht bemerkt.«

Amelie wurde auf einmal rot. Wegen des bohrenden Blickes von ihrer Mutter gestand sie ihre Übeltat. »Der lange Küchenschrank.« Sie warf einen Blick auf die lange Tür. »Der stand mal leer. Inka hat mich da rein geschubst und einfach abgeschlossen.«

Heidrun wusste nicht, ob sie böse schauen sollte oder lächeln.

Inka musste lachen. »Die eigentlich Gemeinheit war, dass Amelie noch nicht gefrühstückt hatte und in der Küche schon gekocht wurde.«

Jetzt musste auch Heidrun lachen. »Das nenne ich 'Strafe auf den Fuß'.« Sie strich ihre Tochter über den Kopf. »Jetzt lasst uns nach oben gehen.«

Im Treppenhaus gab es für Oma Selma noch eine Überraschung. »Der alte Strafpranger.« Sie war erstaunt. »Den gibt es noch?« Sie erzählte, dass dieses Strafgerät aus dem Mittelalter die Dienstboten stets daran erinnern sollte, dass sie ihre Arbeit gut zu erledigen hatten. Mit etwas Wehmut dachte sie an den jungen und schneidigen Pferde-Knecht, der eine ganz eigene Art gehabt hatte, den Pranger zu benutzen. Darüber erzählte sie allerdings nichts. Aber es freute sie, an das damals so prickelnde Abenteuer erinnert zu werden.

»Ja, und böse Jugendliche lernten ihn auch kennen.« berichtete Heidrun mit ein klein wenig Bitterkeit in der Stimme. »Er wird heute nicht mehr genutzt. Er ist nicht mehr robust genug und würde sofort auseinander fallen. Außerdem gibt es heute viel subtilere Möglichkeiten der Bestrafung ungehorsamer Dienstboten und Kinder.« Sie grinste, als Amelie mit einem leisen Stöhnen antwortete.

»Gibt es eigentlich die Kapelle noch und den Rittersaal?« fragte Selma, als sie ein paar Stufen der Treppe hochgestiegen war.

»Aber natürlich«, antwortete Heidrun mit etwas Stolz in der Stimme, »aber ich dachte, die Juwelen schauen wir uns zum Schluss an.«

Paul wartete höflich, bis die Damen vor ihm die Treppe betreten hatten. Irgendwie hatte er das Gefühl, hinterher gehen zu müssen. Ein Detail fiel ihm noch auf, über welches er zusätzlich ins Grübeln kam.

Amelie und Inka schienen den gleichen sehr engen Rock zu tragen mit nur einem winzigen Unterschied. Bei Inka zeigte sich sehr deutlich ein langer Gehschlitz, während Amelies Rock ganz geschlossen war. Trotzdem kam die Grafentochter mit der Treppe deutlich besser zurück als ihre Freundin, die sich zusätzlich noch an dem Treppengeländer festhalten musste.

Inka keuchte ziemlich und schimpfte gelegentlich über ihre Idee, diese Stange ebenfalls tragen zu wollen. Amelie hingegen gab sich ziemlich amüsiert.

Als alle Gäste oben angekommen waren, drehte sich Heidrun zu ihnen um. »Ich denke, wir trennen uns jetzt. Amelie, du zeigst dein Reich und ich zeige Selma ihre Zimmer im Dachgeschoss.« Ihre Stimme klang ein wenig hastig. »Wir treffen uns dann wieder hier.«

»Das ist schon etwas seltsam,« wunderte sich Amelie, als sie ihre Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, »Sie war schon lange nicht mehr in meiner Wohnung.«

»Ich glaube, es erinnert sie zu sehr an ihre eigene Kindheit.« Leonhard strich ihr über den Kopf. »Im Gegensatz zu dir hat sie unter den Erziehungsmaßnahmen ziemlich gelitten.«

Die Wohnung war im Vergleich zu den restlichen Zimmern im Schloss eher klein und gemütlich, fast eng. Die beiden Secretary-Mädchen hatten fast etwas Schwierigkeiten, mit ihren gespreizten Armen durch die Türen zu kommen.

»Das Demütigungspotential ist sehr hoch.« Ein Schwärmen lag in ihrer Stimme. »Das ist die beste Idee seit langem.«

Die Wohnung sah auf den ersten Blick hin ganz normal aus. Aber wenn man genauer hinsah, fielen einem doch die vielen Ösen und Haken auf, die überall an unauffälligen Stellen angebracht waren. Zumindest Paul bekam eine Gänsehaut, als er über den Zweck dieser Vorrichtungen nachdachte.

»Ich wollte euch als erstes mein Bett zeigen.« Amelie strahlte. »Im Moment schlafe so gut wie jede Nacht festgebunden. Nur wenn am nächsten Tag eine Prüfung in der Uni ansteht, machen wir eine Ausnahme.«

Sie öffnete eine Tür und bat ihre Besucher herein. Doch dann wurde sie rot. »Oh nein«, ihr Blick suchte ihren Verlobten. »Ich dachte, du hättest aufgeräumt.«

Beide waren verlegen. Das Bett war noch nicht gemacht und darauf lagen jene Menge Seile und Lederriemen, sowie auch ein paar Knebel.

Leonhard blickte sich kurz um. »Einen Augenblick bitte.« Er trat an die kleine Kommode und zog die oberste Schublade auf. Er sammelte alle Lederriemen vom Bett auf und legte sie ordentlich in die Lade.

Es war Amelie anzusehen, dass sie sich wegen der Unordnung schämte und solche Details über ihr Liebesleben lieber verborgen hätte. Doch jetzt musste sie sich den Offenbarungen stellen.

Die Seile, die ebenfalls auf dem Bett lagen, wickelte Leonhard auf und legte sie in die zweite Schublade. »Holst du mal ein Handtuch?« bat er seine Verlobte.

Amelie seufzte, dann drehte sie sich langsam um und mit sehr viel Mühe schaffte sie es, die Tür zum Bad zu öffnen.

Paul wollte ihr hinterher gehen, um etwas zu helfen, doch er wurde von Leonhard zurückgehalten. »Ich mag es, wenn sie sich so abmühen muss.«

Als er alle Seile weggeräumt hatte, warf er einen bedeutsamen Blick zwischen Paul und Maria hin und her, dann ging er wieder zum Kopfende des Bettes und zog die zweite Schublade des Nachtkästchens auf. Zum Vorschein kamen noch ein paar weitere Knebel. Die roten Bälle leuchteten deutlich zwischen den schwarzen Lederriemen, deren große Anzahl vermuten ließ, dass es fast alles Kopfgeschirre sein mussten.

Aus dem Bad waren einige Flüche zu hören und öfters klappte eine Schranktür.

Als Amelie schließlich aus dem Bad zurückkam, sah sie einfach hinreißend aus. Ihr Kopf war ziemlich rot und sie keuchte etwas. In ihrer Hand hielt sie ein noch zusammengelegtes Handtuch. »Bitte entschuldige, dass es so lange gedauert hat, ich hatte Probleme, die Schranktür zu öffnen.« Sie trippelte zu ihm hin und hielt ihm das Handtuch entgegen. »Wann läßt du endlich diese blöde Feder reparieren. Die Klappe fällt immer wieder herunter, wenn ich sie loslasse.«

»Oh entschuldige bitte, daran hatte ich nicht gedacht.« Es war zu sehen, dass er es ehrlich meinte. Er nahm seine Freundin in den Arm und tröstete sie. »Du bekommst heute Nacht eine Entschädigung.«

»Es geht ja wieder.« Amelie blickte ihn frech an. »Außerdem hat es mir gefallen, so kämpfen zu müssen.«

Für einen kurzen Moment schaute Leonhard sehr verdattert und wurde ein klein wenig rot. Er hatte begriffen, dass seine Verlobte ihn ausgetrickst hatte. Doch dann ging ein Grinsen über sein Gesicht. Er legte das Handtuch auf das Bett und drehte sich zu ihr. »Deine Knebel magst du ja stets selbst sauber machen.«

Von Inka war ein Prusten zu hören, was ihr einen bösen Blick ihrer Freundin einbrachte.

Es nutzte Amelie nichts, auf ihren aktuellen Zustand zu verweisen.

»Du schaffst das schon.« Leonhard genoss das Leiden seiner Freundin sichtlich. »Und beeil dich. Wir wollen uns doch die anderen Räume auch noch ansehen.«

Amelie realisierte, dass ihr keine andere Wahl blieb. Sie blickte noch einmal auf das Bett, dann jeweils einmal auf ihre linke und rechte Hand, dann schien sie einen Plan gefasst zu haben. Sie trat an das Bett und beugte sich mit dem Oberkörper herunter. Sie entfaltete das Handtuch mit einer Hand, während die andere Hand bedingt durch die Stange einige unsinnige Bewegungen mitmachen musste.

Paul spürte, dass Maria sich deutlich an ihn schmiegte. Sie schien von dem Spiel, welches Leonhard und Amelie spielten, sichtlich beeindruckt zu sein.

Mit ihrer Hand griff Amelie jetzt nacheinander zu den drei Knebeln, legte sie auf das Handtuch und deckte sie mit dem Handtuch zu. Jetzt konnte sie mit einer Hand nach den Kugeln tasten und sie jeweils so sauber wischen, wie sie es für nötig hielt. Ein leises Stöhnen war dabei von ihr zu hören.

Auch Inka schien sich ein wenig auf die Lippen zu beißen.

Schließlich hatte Amelie ihre Knebel gesäubert und eben so mühsam in die Schublade geräumt. Mit einem weiteren Seufzer schob sie die Schublade zu und blickte ihren Verlobten dann verlegen, aber auch glücklich an.

»Das hast du sehr gut gemacht.« Er konnte sich ein Lachen nicht mehr verkneifen. »Jetzt bring bitte noch das Handtuch weg. Ich mache unterdessen die Betten.«

Wieder trippelte Amelie sehr mühsam ins Bad und kam gleich darauf zurück. Leonhard war noch dabei, die Betten aufzuschütteln. Sie wartete ab, bis er fertig war, dann wandte sie sich wieder zu ihren Gästen. »Ich wollte euch noch ein spezielles Kleid zeigen und eure Meinung dazu hören.«

Sie ging zu einer Tür und öffnete sie. »Kommt herein. Dies ist mein Ankleidezimmer.«

Die Gruppe betrat das Zimmer, welches fast genauso groß war wie das Schlafzimmer. An zwei Seiten des Raumes standen Kleiderschränke, während am Ende des Raumes noch ein kleiner Glasschrank stand. Amelie war gerade dabei, einen Vorhang vor diesen Schrank zu ziehen. Dennoch glaubte Paul in diesem Schrank zwei Keuschheitsgürtel entdeckt zu haben.

Amelie war etwas rot im Gesicht, als sie sich einer Schranktür zuwandte. Sie versuchte, den Schrank zu öffnen, doch dann drehte sie sich zu ihrem Verlobten. »Machst du mir mal den Schrank auf, ich möchte das Kleid der Großtante zeigen.«

Doch Leonhard verweigerte seine Hilfe. »Komm, du hast es noch überhaupt nicht probiert.«

Amelie blickte noch einmal auf ihre ausgestreckten und an der Stange fixierten Arme, als wollte sie sagen ‚Schau mich doch an, ich kann es nicht’, doch dann seufzte sie und trat wieder vor den Schrank. Sehr mühsam schloss sie auf und konnte die Tür aufklappen.

»Siehst du«, Leonhard trat zu ihr und streichelte ihr über den Kopf, »es war doch ganz einfach.«

Amelie funkelte ihren Verlobten böse an, dann lächelte sie und griff in den Schrank. Sie holte ein Kleid aus dem Schrank und hielt es hoch. »Das Kleid gehörte einer Großtante von mir. Sie hat es mir vermacht mit dem Wunsch, dass es wieder einmal getragen wird.« Sie reichte Leonhard das Kleid und bat ihn, es hoch zu halten. »Aber ich habe es bisher nie tragen können.«

Zwei Sachen fielen besonders auf dem Kleid. Zum einen war es die sehr schmale Taille, die sicher das Tragen eines strengen Korsetts nötig machte. Doch viel erstaunlicher war es, dass das hochgeschlossene Kleid keine Ärmel hatte.

»Ich weiß irgend wie nicht, wie man das tragen soll?« Amelies Stimme zeigte ihre Ratlosigkeit. »Das Oberteil hat keine Öffungen für die Arme, so als ob ich meinen Mono tragen würde. Doch wegen der engen Taille kann das ja gar nicht gehen.«

Leonhard bat Maria, sich einmal langsam um die eigene Achse zu drehen. Er blickte dabei sehr nachdenklich auf ihren Oberkörper und ihre korsettierte Taille. Auf einmal hatte er die Lösung. »Das ist ein Kleid für einen Backprayer und ein strenges Korsett.«

Amelie blickte ihn ungläubig an.

»Wenn du erlaubst, würde ich gern mal etwas ausprobieren.« Leonhard hatte sich an Maria gewandt.

Es war ihrem Blick anzusehen, dass sie noch nicht ahnte, was der Graf vor hatte. Sie nickte.

»Ich glaube, dass könnte dir passen.« Er nahm das Kleid vom Bügel und öffnete es. Dann trat er damit auf Maria zu und streifte es ihr über ihren Körper.

»Siehst du«, er wandte sich an seine Verlobte. »Wenn das Korsett von Maria noch ein klein wenig strenger geschnürt wäre, dann könnte das Kleid in der Taille geschlossen werden.«

Maris stöhnte leicht.

»Wenn die Arme nebeneinander liegen würde und nicht überkreuzt, dann könnte auch das Oberteil geschlossen werden.« Er hielt die beiden Seiten des Kleides aneinander, dann drehte er sich zu Amelie. »Deine Tante hat einen Backprayer tragen können?«

Amelie schluckte und blickte sehr intensiv auf Marias Gestalt. »Und eine sehr schmale Taille hatte sie auch.«

»Tja, da müßtest du noch ordentlich trainieren.« Leonhard half Maria, das Kleid wieder abzulegen, dann hängte er es wieder auf den Bügel und reichte es seiner Verlobten.

Amelie war etwas verlegen. »Ich glaube, wir gehen jetzt ins Wohnzimmer.« Sie hängte das Kleid wieder zurück in den Schrank, dann schloss sie mühsam den Schrank.

»Jetzt hast du dir eine Pause verdient.« Leonhard streichelte seiner Verlobten sehr liebevoll über den Kopf. »Macht es euch gemütlich, ich kümmere mich um die Getränke.«

»Kommt mit, ich zeige euch den Weg.« Sie schien einiges Interesse daran zu haben, ihren Besuch aus dem Schlafzimmer zu bekommen. Irgendwie entstand der Eindruck, als gäbe es noch mehr Geheimnisse zu entdecken.


Im Wohnzimmer war zu sehen, dass das Sofa, jeder Sessel und jeder Stuhl die Monohandschuh-taugliche Rückenlehne hatte. »Wir bekommen manchmal Bondagetten-Besuch, und dann ist es praktischer, wenn ich mich überall hinsetzen kann.« Amelie strahlte, als sie ihr Reich erklärte.

Doch das Erstaunlichste war das Sofa. »Diese Vertiefung im Boden gab es schon immer.«

Paul und Maria sahen, dass es im Boden eine rechteckige Vertiefung gab, ca. einen halben Meter tief. Darauf stand das Sofa so, dass die vielen dünnen Beine des Sofas eine Art Käfig bildeten.

»Als ich zusammen mit Inka das Wohnzimmer eingerichtet habe, war uns sofort klar, was mit der Vertiefung zu machen war: Dort würde es einen Käfig geben und das "Dach" des Käfigs wäre die Sitzfläche des Sofas.«

Paul und Maria waren sichtlich beeindruckt.

»Nehmt Platz.« Leonhard fragte nach den Getränkewünschen.

»Meine Besucherinnen sind immer sehr versessen, in den Käfig zu dürfen.« Ihre Stimme zeigte ihre Belustigung darüber. »Ich selbst war schon lange nicht mehr in dem Käfig.«

Beim Hinausgehen nannte Leonhard den Namen »Rosaleen«.

Die beiden Mädchen kicherten. Doch dann richteten sich ihre Blicke auf Maria.

Diese bemerkte erst nach einiger Zeit, was von ihr erwartet wurde. Sie blickte erschrocken zu Paul. »Nein, ich möchte da nicht hinein.«

»Der Boden ist weich gepolstert.« Amelie versuchte noch etwas Werbung für das ungewöhnliche Möbel. »Und wir reichen dir auch die Getränke herein.«

Maria lehnte dankend ab. Sehr zu ihrer Erleichterung kam Leonhard schon mit einem beladenen Tablett zurück und verteilte die Getränke. Für Maria und Inka gab es Strohhalme in den Gläsern.

Amelie trank aus dem Glas, welches Leonhard für sie in der Hand hielt.

Sowohl Paul als auch Maria waren sehr davon fasziniert, wie Amelie ihr Leben in Fesseln organisiert hatte und wie sehr sie den Umgang mit den Einschränkungen gewöhnt war.

»Es ist toll, wie gut du die Arme schon tragen kannst.« Leonhard zeigte ehrliche Bewunderung.

Maria bedankte sich etwas schüchtern.

»Wie lange darfst du sie denn so tragen?« fragte Amelie mehr aus Neugier.

»Ich weiß es nicht.« Maria war etwas verlegen. »Pauls Oma passt dann eigentlich immer auf mich auf.«

»Ich gehe sie mal fragen.« Er schien sich ernsthaft Gedanken zu machen über das Wohl von Amelies Gästen. Er stand auf und verließ das Wohnzimmer.

Amelie war etwas verlegen, als sie mit ihren Gästen allein war. Sie hatte die vielen kleinen Demütigungen im Schlafzimmer sehr genossen, jetzt wusste sie nicht so recht, was sie sagen sollte.

»Du schläfst auch jede Nacht in Fesseln?« Maria stellte ihre Frage in die Stille hinein. »Freiwillig?«

»Ja.« Amelie strahlte. »Und ich genieße es sehr.«

Maria wurde nachdenklich. Sie schien mit sich zu kämpfen.

Paul ahnte, was sie bewegte. Auch Maria verbrachte seltenst eine Nacht in Freiheit.

»Mittlerweile schaffe ich es sogar, im Hogtie zu schlafen.« Amelie strahlte.

Paul und Maria schauten verständnislos, wagten in diesem Moment aber nicht nachzufragen.


»Bis zum Abendessen.« Leonhard betrat wieder das Wohnzimmer und kam zu der kleinen Sitzgruppe. Er blickte Maria ernst an. »Aber nur, wenn du sofort Bescheid sagst, wenn du es nicht mehr aushältst. Versprochen?«

Marias Blick zeigte, dass sie irgendwie Respekt vor Leonhard hatte. »Versprochen.« Ihre Stimme zitterte ein kleines Bisschen.

Leonhard blieb neben dem Sofa stehen und wandte sich an seine Verlobte. »Deine Mutter fragt, ob du die Gäste durch den Schlosspark führen könntest? Sie möchte das Abendessen vorbereiten.«

Amelie zuckte mit den Armen, die jedoch von der Stange gut festgehalten wurde. »Mit dem Mono würde ich das lieber machen.«

»Naja, das können wir ja ändern.« Leonhard grinste. » Daran soll es nicht scheitern.«

Amelie beugte einen ihrer Arme nach unten und versuchte mit der Hand auf die Sitzfläche zu drücken. Nach einigem Keuchen schaffte sie es schließlich aufzustehen. »Ha! Die Stange ist gut, damit kann ich selbst aufstehen.« Amelie beschrieb, dass sie sonst mit dem Mono nicht aufstehen konnte. »Nur wenn ich mich herunter rolle, aber das mache ich nur, wenn ich allein bin.«

Paul und Maria blickten etwas ratlos.

»Mit dem Mono kann ich mich nicht abstützen.« erklärte sie, als sie die fragenden Blicke ihrer Gäste sah. »Kommt, ich möchte euch noch den Rest meines Paradieses zeigen.«

Maria stellte verblüfft fest, dass sie sich wirklich nicht aus dem Sofa erheben konnte. Erst als Paul ihr zu Hilfe kam, konnte sie aus der tiefen Position aufstehen. »Faszinierend.« murmelte sie mehr zu sich selbst.

Amelie war schon zur Tür gegangen und hielt sie erwartungsvoll auf. Dann wartete sie, bis ihre Gäste bereit waren.

Sie ging ein paar Schritte in dem Flur und öffnete etwas mühsam die Tür. »Diese Stange ist genial.« sagte sie mehr zu sich selbst, dann wandte sie den Blick zu ihren Gästen. »Das hier ist das normale Gästezimmer. Hier schlafe ich immer in den Nächten vor den Prüfungen.«

Paul und Maria blickten aufmerksam in den Raum, der genau so aussah, wie man sich ein Gästezimmer vorstellen würde. Ein großes Doppelbett, eine Schrankwand, Kommode, großer Spiegel sowie eine kleine Sitzecke waren die Ausstattung.

Im Treppenhaus vor der Wohnungstür waren Stimmen zu hören. Gleich darauf klopfte es. »Kommt ihr?« war Amelies Mutter zu hören.

»Nur noch ein Zimmer«, rief Amelie als Antwort, dann drehte sie sich zu ihren Gästen. »Das Beste kommt zum Schluß.« Etwas theatralisch öffnete sie noch eine Tür und trat ein.

»Das ist das Gästezimmer für Bondagetten.«, erklärte sie, als ihre Gäste das Zimmer betreten hatten. »Ihr müßt mich unbedingt mal für länger besuchen, dann werdet ihr hier schlafen.« Ihre Stimme war etwas hastig.

Das Bett ließ auf den ersten Blick erkennen, wie die Bondagette die Nacht verbringen würde. Vier Ledermanschetten lagen dekorativ auf der Tagesdecke und ließen kleinen Zweifel daran, dass die Arme und Beine der Schläferin keine Bewegungsfreiheit mehr haben würden.

»Die Manschetten sind mit einer Uhr gekoppelt.« Amelie drückte etwas mühsam auf einen Knopf am Kopfende des Bettes. Ein Surren war zu hören und gleich darauf war zu sehen, wie die Manschetten langsam in Richtung der Bettpfosten gezogen wurde. Amelie drückte wieder auf den Knopf und grinste. »Das ist natürlich nur eine von vielen Möglichkeiten, hier zu übernachten.«

Wieder war von draußen ein Klopfen an der Tür zu hören.

»Ja, wir kommen ja gleich.« Amelies Stimme klang genervt. Sie ging zu einer großen Holzfigur. »Dies hier ist unsere hölzerne Jungfrau.« Mit hastiger Stimme beschrieb sie, wie sie einmal im Museum eine dieser Folterwerkzeuge in Form der eisernen Jungfrau gesehen hatte. »Das hat mich nicht mehr losgelassen.« Sie zog die Tür der Figur auf und ließ ihre Besucher in das innere blicken.

Paul hatte Maria den Arm um die Schulter gelegt. Mit etwas Gänsehaut blickten beide in die seltsame Figur, deren Innenleben sich auch wieder durch jede Menge Lederriemen auszeichnete.

»Ich liebe es, darin eine Nacht zu verbringen.« Ihre Stimme schwärmte. »Erst ziehst du dich aus, dann stellst du dich in die Figur und wartest. Inka schnallt dich dann Riemen für Riemen darin fest, bis du dich gar nicht mehr bewegen kannst.« Sie zeigte auf ein paar längliche gummierte Zapfen an den Türen, die vermutlich auf Höhe der Brust und des Schrittes der Eingeschlossenen sein würden.

»Diese Stangen könnten von außen gesteuert werden. Sie vibrieren und drehen sich, um dir süße Qualen zu bereiten.«

Sie trat einen Schritt zurück. »Und dann macht sie erst die eine, dann die anderen Tür zu.« Während sie dies sagte, klappte sie sehr theatralisch die beiden Türen zu. »Das letzte, was du hörst, ist der Riegel vorn an der Tür. «

Das nachfolgende »Klick« des Riegels traf auf eine atemlose Stille.

Nach diesem Auftritt keuchte Amelie etwas. Doch auch an Paul und Maria war diese Vorführung nicht spurlos vorbei gegangen. Maria hatte sich sehr an Paul angeschmiegt und auch Paul schien irgendwo in Gedanken zu sein.

Beim Hinausgehen öffnete sie noch eine Tür des Schrankes. »Natürlich gibt es noch ausreichend Zubehör für eine aufregende Nacht.«

Maria verzichtete auf den Blick in den Schrank. Sie war mit etwas ganz anderem beschäftigt. Indirekt hatte Amelie sie als eine Bondagette bezeichnet. War sie wirklich eine? Sie blickte nachdenklich zu ihrem Freund, der seinen Arm noch um sie gelegt hatte.

Aber auch Paul war es recht, aus diesem etwas unheimlichen Zimmer wieder hinaus zu kommen. Er hatte sich ebenfalls nicht so richtig getraut sich umzusehen. Er hatte Maria bisher immer etwas bemitleidet, weil sie so einen strengen, wenn auch faszinierenden Alltag hatte. Doch stets hatte Maria erklärt, dass sie keine Wahl hätte und es so machen müßte. Doch im Vergleich dazu schien Amelie all dies freiwillig zu machen. Im Gegenteil, viele ihre Quälereien hatte sie sich selbst ausgedacht und war auch noch sehr stolz darauf.


Beim Gang durch den Korridor machte Amelie noch ein paar der vielen Türen auf. »Hier ist die Küche. Aber da mache ich selten etwas, weil Leonhard sehr gut kochen kann.« Sie gab ihm einen Kuss. »Und außerdem kann ich mich meistens ohnehin nur wenig bewegen.«

Sie ging weiter. »Hier ist unser Badezimmer.« Sie öffnete die Tür. »Einer der Schränke darin ist kaputt.« Sie warf noch einmal einen vorwurfsvollen Blick zu ihrem Verlobten.

Leonhard gab sich übertrieben schuldbewusst. »Meine arme kleine Bondagette. Das hatte ich wirklich nicht gewollt.« Er streichelte ihr über die ausgestreckten Arme. »Heute Nacht bekommst du wirklich eine Entschädigung.« Jetzt gab er ihr einen Kuss. Dann ging er zur Wohnungstür und öffnete sie.

»Na da seid ihr ja endlich.« Heidrun Stimme war etwas ungeduldig. »Hast du deine Räuberhöhle vorgeführt?«

Amelie verdrehte nur die Augen.

»Folgt mir bitte zum Rittersaal.« Heindrun ging zur Treppe und schritt hinab.


»Hier haben wir überhaupt nichts verändert.« Heindrun Stimme klang sehr stolz, als sie die Tür zum großen Rittersaal öffnete, dann ließ sie ihre Besucher eintreten. »Wir nutzen ihn aber auch nur selten.«

Paul und Maria sahen sich um. Der Saal erstreckte sich über zwei Stockwerke und bot sicher genügend Platz für eine Festgesellschaft von hundert Personen. Alles war so eingerichtet, wie man sich rückblickend wohl das Mittelalter vorgestellt hatte. Besonders ins Auge fielen natürlich die glänzenden Ritterrüstungen, die zusammen mit den ausgestellten Waffen dem Saal wirklich sehr viel Atmosphäre gaben.

»Diese Rüstungen habt ihr zum Glück in Ruhe gelassen.« bemerkte Leonhard mit einem Lächeln in der Stimme.

»Aber es war toll, wie wir hier meinen Geburtstag gefeiert habe.« Amelies Stimme strahlte.

Leonhard schien sich auch zu erinnern. »Naja, du hast ja auch ein schönes Motto ausgegeben. 'Fesselndes Mittelalter'.«

Oma Selma war verblüfft. »Ihr habt was?«

Leonhard beschrieb, wie Amelie den Bondage-Zirkel zu ihrer zweiten Geburtstagsfeier eingeladen hatte.

»Ich hatte die Devise ausgegeben: 'Alles kann, Knebel muss'.« Amelie strahlte. »Und meine Mädchen haben es sehr genossen.«

Leonhard lachte. »So ruhig war es schon lange nicht mehr auf einer Geburtstagsfeier.«

Heidrun schien es unangenehm zu werden. Sie ging zu einer anderen Tür. »Folgt mir bitte jetzt in unsere Hauskapelle.«


»Die Kapelle stammt aus dem 15ten Jahrhundert und ist weitgehend unverändert.« Heidrun sprach leise, um die andächtige Stille nicht zu stören. »Sie wird manchmal von der Kirchengemeinde hier im Ort für Hochzeiten oder Taufen genutzt.«

Oma Selma war sichtlich gerührt. »Ich freue mich, das alles noch mal sehen zu können.« Sie sprach ebenso leise.


Als die Kapelle verließen, wandte Maria sich an Pauls Oma. »Ich glaube, jetzt fängt es an, jetzt weh zu tun.« Sie zuckte etwas mit den Armen. »Dürfte ich wohl wieder in den Handschuh?« Es war ihr anzuhören, dass sie es gern noch etwas länger ausgehalten hätte, doch die Stimme der Vernunft war deutlich.

Amelie griff es auf. »Oh ja, ich würde auch gern wechseln.« Sie blickte zwischen Inka und Leonhard hin und her.

Leonhard zuckte mit den Achseln und grinste etwas. »Ich habe dich da nicht eingeschlossen.«

Beide Blicke richteten sich auf Inka.

Diese war im ersten Moment etwas verlegen. »Ich glaube, Sigmar hat die Schlüssel.« Sie schien zu überlegen. »Nein, die müßten noch auf meinem Tisch liegen.«

»Könnt ihr euch wieder gegenseitig befreien?« Er lächelte amüsiert.

Amelie und Inka blickten sich kurz an. »Ja, das müßte gehen.« Es schimmerte durch, dass sie dies wohl nicht zum ersten Mal machten. »Und du hilfst mir dann in den Mono.« bat Amelie ihre Freundin.

»Dann treffen wir uns wieder hier in einer Viertelstunde.« gab Leonhard vor.

Paul trat zu Maria und befreite sie von der Jacke.


Als die beiden Mädchen verschwunden waren, kam Leonhard mit einem hintergründigen Lächeln auf Maria zu. »Amelie hat sich eine Regel ausgedacht, nachdem sie auch einen Knebel tragen muss, wenn ein weiblicher Gast einen Knebel trägt.« Er blickte Maria fragend an.

Es dämmert Maria erst nach einiger Zeit, dass sie für Amelie mehr oder weniger den Lockvogel spielen sollte. Sie wollte ehrlich sein. »Ich trage die Knebel ungern, weil dann mein Mund immer so weit offen steht. Und das tut nach einiger Zeit weh.«

Leonhard lächelte liebevoll. »Ich glaube, da habe ich was für dich.« Er ging in Richtung des Treppenhauses. »Kommt bitte mit.«

Er führte seine Besucher in das Gästezimmer für Bondagetten und zog dort eine Schublade auf. Er reichte Maria etwas. »Das ist ein Muzzle-Knebel.« Er zeigte ihr die Besonderheit. »Der Ball sitzt ganz in deinem Mund und du kannst hier deinen Mund fast ganz zu machen.« Er reichte Maria den Knebel. »Überlege es dir. Ich möchte dich zu nichts drängen.«

Er drehte sich zu Paul. »Eigentlich darfst du ihnen keine Wahlmöglichkeiten bieten. Aber bei den Knebeln musst du vorsichtig sein und immer sehr aufmerksam.«

Als er sah, dass Maria das Kopfgeschirr etwas unsicher in ihren Händen hielt, wandte er sich ihr zu. »Sehr dekorativ, sehr bequem und lange tragbar.«

Maria hielt sich die Platte vor den Mund und blickte Leonhard sehr unsicher an.

Leonhard reichte ihr ein Handtuch. »Wenn du möchtest, kannst du ihn gern noch einmal putzen.«

Maria war über die »Ablenkung« recht dankbar. Fast mechanisch säuberte sie den Ball. Ihre Hände zitterten ein wenig dabei. »Und wie lange muss Amelie ihn dann tragen?« Sie machte sich Sorgen darüber, was ihr Verhalten auslösen wurde.

Leonhard ahnte, dass er gewonnen hatte, wenn er jetzt keinen groben Fehler mehr machte. »Bis zum Abendessen.« Er machte eine bedeutsame Pause. »Eigentlich trägt Amelie gern Knebel. Doch dann kann sie nicht mehr herumkommandieren und das stört sie gewaltig.« Er lächelte.

Maria blickte Leonhard unsicher an. »Darf ich ihn erst mal probieren?«

»Aber gern.«

Maria öffnete langsam ihren Mund, dann schob sie sich langsam den Ball in ihren Mund.

Leonhard hielt den Atem an.

Langsam schloß Maria ihre Lippen um den Ball und auf einmal begannen ihre Augen zu leuchten. Ihre Miene und auch ihre Körperhaltung entspannten sich. Sie drehte sich um und schien etwas zu suchen. »Dort ist der Spiegel.« Leonhard war sehr aufmerksam und zeigte zur Fensterwand. »Wenn du möchtest, dann zeige ich dir kurz, wie die Riemen dann liegen werden.« Als er ihr Zögern erkannte, ergänzte er. »Ich mache ihn aber nicht zu, versprochen.«

Maria drehte sich zu ihm und blickte ihn nervös an, dann nickte sie und ging zum Spiegel.

Leonhard folgte ihr und sehr vorsichtig richtete er ihr die Riemen, so dass Maria sehen konnte, wie sie mit dem Knebel aussehen würde. Unbewusst suchte ihr Blick Paul, der ihr zum Spiegel gefolgt war.

Paul war fast nervöser als Maria. Er musste sich räuspern.

Leonhard schien das Besondere der Situation zu spüren. »Soll Paul ihn zumachen?«

Maria wollte mit »Ja« antworten, aber als nur ein Brummen zu hören war, musste sie lächeln. Sie drehte sich vorsichtig zu Paul und blickte ihn bittend an.

Paul blickte seinerseits etwas hilflos zu Leonhard, weil er überhaupt nicht wusste, wie er mit den vielen Riemen umzugehen hatte.

Mit leiser Stimme zeigte Leonhard Paul, was er zu tun hatte. »Zieh die Riemen ruhig etwas fester, das Tragegefühl für Maria ist schöner, wenn sie die Riemen leicht spürt.«

Maria brummte ein wenig, so als wollte sie ihren Freund ermutigen.

Als Maria spürte, dass er fertig war, hob sie ihre Hände bis kurz vor das Gesicht, doch dann hielt sie in der Bewegung inne.

»Du darfst ihn gern anfassen.« Leonhard schien zu ahnen, was Maria bewegte.

Ihre Finger zittern ganz leicht, als sie die Riemen um ihren Kopf ertastete. Es fühlte sich sehr aufregend an, ganz anders als sonst, wenn sie so etwas tragen musste. Eigentlich hatte sie nur Leonhard den Gefallen tun wollen, doch als sie jetzt den Knebel so richtig spüren konnte, wusste sie, dass ihr eine positive Erfahrung entgangen wäre. Ihr Vertrauen in Leonhard stieg weiter.

Leonhard ging an einen Schrank und holte einen Umhang heraus. »Damit du das Kleid nicht schmutzig machst.« Er drehte sich zu Paul. »Mit dem Ball im Mund kann sie nicht schlucken und dann läuft der Speichel aus dem Mund.«

Maria war dies nicht unbekannt, trotzdem freute sie sich über den Weitblick von Leonhard. Sie brummte etwas in den Knebel, dabei schien sie die Wirkung des Balles zu entdecken, denn sie stutze und drehte sich vor dem Umhang weg. Sie blickte Paul an und legte ihre Arme auf den Rücken.

Paul war erinnerte sich an Marias Worte beim Ausziehen der Jacke. »Du möchtest deinen Handschuh tragen?«

Maria nickte verschämt.

»Laßt uns nach unten gehen.« Leonhard lächelte. »Ich glaube, Amelie wird sich freuen.«


Als sie die Treppe nach unten gingen, hörten sie Amelie schon im Treppenhaus warten. »Inka war so nett und hat mir noch in den Handschuh hinein geholfen.«

»Schön, mein Schatz.« Leonhard kam die Treppe als erster herab. Er hatte große Mühe, sein Grinsen zu unterdrücken. Hinter ihm führte Paul Maria herab, die noch dabei war, sich an den ungewohnten, aber sehr bequemen Knebel zu gewöhnen.

Sie hatte sich mit dem Rücken zur Treppe gestellt, um so ihre verpackten Arme zeigen zu können. Dann drehte sie sich langsam und genießerisch um. Doch als sie Maria mit dem Kopfgeschirr erblickte, erstarrte sie in ihrer Bewegung. Sie schluckte heftig.

»Bitte nicht!«, sie seufzte heftig. »Ich möchte mich noch weiter mit meinem Gast unterhalten.« Sie versuchte sich zu weigern. Doch sie wusste genau, was als nächstes passieren würde.

Leonhard ließ sich nicht beirren. Er ging zu der kleinen Kommode, die neben der Treppe stand, und nahm etwas aus der obersten Schublade. »Entschuldige bitte, aber ich habe diese Regeln nicht gemacht. Sonst schimpfst du immer, wenn ich sie nicht einhalte.« Er grinste. »Jetzt halte bitte still.«

»Aber das ist doch was anderes.« Amelie versuchte weiter, sich zu sträuben. Dabei wusste sie genau, dass es ihr nichts nutzen würde. Das liebte sie besonders an Leonhard, er war sehr konsequent.

»Noch irgendwelchen letzten Worte?« Er blickte sie übertrieben streng an und hielt ihr den Ball vor den Mund.

»Ich liebe d...mmpf« Etwas abrupt schon Leonhard den Ball in den Mund seiner Verlobten. Diese ließ ein enttäuschtes Seufzen von sich hören.

Heidrun kam mit dem Geschirr aus dem Esszimmer. »Ihr seid ja immer noch da?« Der Anblick ihrer Tochter mit Knebel schien sie überhaupt nicht zu beeindrucken. »Seit bitte pünktlich zum Abendessen zurück.«

»Die Damen möchten noch ihren Handschuh tragen.« Leonhard war bemüht, auch in dieser Situation formvollendet aufzutreten.

Heidrun schüttelte nur den Kopf, dann setzte sie ihren Gang Richtung Küche fort. »Viel Spaß im Schlosspark.« wünschte sie ihren Gästen. »Selma ist gleich bei euch.«


Paul war etwas verlegen. »Wo ist denn der Handschuh?« Es ärgerte ihn ein klein wenig, weil er dies nicht wusste.

»Ich glaube, deine Oma hat ihn in die Tasche gesteckt, wo die Jacke drin war.« Es machte Maria keine Mühe, sich mit dem Ball im Mund verständlich auszudrücken. Sie war es vom Sprachtraining her gewohnt. Sie musste lediglich die Lippen weit öffnen und langsam sprechen. Beides war ihr mit dem Muzzle-Knebel problemlos möglich.

Doch sowohl Amelie als auch Leonhard drehte sich beide abrupt zu Maria um. »Wieso bist du so gut zu verstehen?« wunderte sich Leonhard.

»Sie bekommt Sprachunterricht.« Paul beschrieb, dass dies im Rahmen des Katerinenfestes geschah und dass die Schauspieler sich etwas zwischen die Zähne stecken, um zu üben. »Und Maria trainiert mit einem Ballknebel.«

»Das ist ja fast unfair.« Leonhard grinste. Er wusste, dass dies seine Verlobte noch viel mehr ärgern würde.

»Ich hole dann mal den Handschuh für Maria.« Paul drehte sich um und wollte zurück ins Wohnzimmer gehen, als seine Oma das Treppenhaus betrat. Den Mono hielt sie in ihrer Hand und reichte ihn ihrem Enkel. Sagen musste sie nichts.

Paul schluckte etwas, dann nahm er den Handschuh entgegen und trat zu seiner Freundin.

Diese hatte ihre Arme schon auf dem Rücken gelegt und die Augen fast geschlossen. Sie spürte den Druck, der auf ihrem Freund lastete, hier in Gegenwart dieser beiden Profis mit dem Mono umgehen zu müssen. Deswegen wollte sie es ihm so einfach wie möglich machen. Sie verzichtete diesmal sogar auf eine ihrer kleinen Schummeleien. Wenn sie ihre Arme ganz leicht auseinanderdrückte, dann hatte sie hinterher im Handschuh ein klein wenig Spiel. Doch diesmal drückte sie ihre Arme so fest es ging aneinander.


»Das hätte ich nicht besser machen können.« Leonhard war von Marias Anmut sichtlich beeindruckt. »Der weiße Handschuh passt einfach super zu dem Kleid.«

Beide freuten sich sehr über das Lob.

Leonhard bat zum Aufbruch. Dann gab er Paul ein Zeichen. »Lass die Damen mal voran gehen.«

Er wartete, bis die Damen außer Hörweite waren, dann gingen sie ebenfalls mit langsamen Schritten los.

»Du liebst Maria sehr?« Leonhard hatte es zwar als Frage formuliert, aber es war mehr eine Feststellung.

Paul wurde nervös. Er rang sich ein leises »Ja« heraus.

»Es gefällt dir, wenn sie so hilflos ist?« setzte Leonhard im gleichen Tonfall fort.

Paul wurde rot und druckste herum.

»Du bist nicht streng genug.« Es war eine nüchterne Feststellung, doch sie berührte Paul tief in seinem Inneren.

»Wie...« Er wurde noch eine Spur röter. »Warum...?« Er wusste keine Antwort.

»Es ist mir eben nicht leicht gefallen, Amelie den Knebel anzulegen.« Leonhard versuchte, sein Vorgehen zu rechtfertigen. »Doch sie hat sich diese Regeln selbst ausgedacht. Und es ist besonders wichtig, immer stark und konsequent zu sein. Sonst verlieren sie die Achtung vor dir.«

Paul seufzte.

»Manchmal musst du hart sein.« Leonhard blickte ernst, »auch wenn es dir in der Seele weh tut.«

Paul erkannte die belehrende Botschaft, doch er wusste gleichzeitig, wie sehr er in Maria verliebt war und dass er ihr nie ein Leid zufügen wollte. Er druckste ein wenig herum und gab sich verlegen. Schließlich nahm er sich ein Herz und sprach seine Gedanken aus. »Ich möchte ihr aber nicht weh tun.«

Leonhard wunderte sich etwas. »Habt ihr denn kein Sicherheitssignal vereinbart?«

Paul schaut etwas verständnislos. »Nein, was ist das?«

Leonhard wurde hellhörig. »Das solltet ihr aber unbedingt haben.« Er erläuterte das Signal, welches er und Amelie vereinbart haben. »Kindergarten« wenn sie sprechen kann und sonst dreimal kurz zweimal hintereinander. »Egal in welcher Form, ob geklopft oder gesummt. Damit kann sie alles unterbrechen und zeigen, dass etwas nicht in Ordnung ist.«

Paul schwieg bedeutungsvoll.

»Natürlich ist das Ganze nur ein Spiel. Aber dennoch,« Leonhard blickte zu seiner Verlobten. »oder gerade dann, wenn ein Mädchen in solchen Fesseln steckt, dann braucht sie Hilfe und Schutz.«

»Das sehe ich genauso« Pauls Antwort kam etwas unbeholfen. Er fühlte sich ziemlich überrumpelt.

»Was die Hilfe angeht - so versucht Amelie, auch in Fesseln alle herumzukommandieren wie eine alte Adlige.« Leonhard verwies auf Beispiele in der Geschichte, wo es Sachen wie High Heels, Korsetts oder chinesische geschnürte Füße der Trägerin unmöglich machten, körperliche Arbeit zu verrichten. So konnte diese Frauen demonstrieren, dass sie keine Arbeit zu tun brauchten und bedient werden mußten. »Das ist aber keineswegs Unterwerfung,« erläuterte er, »sondern es ist eine höhere Form von Dominanz.«

»Maria trägt oft diese seltsamen Stiefel, in denen sie auf den Zehenspitzen steht.« Paul versuchte den Gedanken zu folgen. »Haben diese dann eine ähnliche Bedeutung?«

»Maria kann solche Stiefel tragen?« Leonhard war fasziniert. »Das wird Amelie sehr interessieren.«

»Aber wenn sie so hilflos sind, brauchen sie doch Unterstüzung oder?« Paul nahm sich insgeheim vor, Maria nach den Stiefeln zu fragen.

»Kennst du den Begriff 'Topping from the bottom'?«

Paul schüttelte den Kopf.

»Das bedeutet, dass die scheinbar unterworfene, gefesselte Bondagette in Wirklichkeit das Spiel bestimmt und ihren 'Fesselmeister' oder ihre Bediensteten so beeinflusst, dass sie alles machen, was sie will, und sei es das Anlegen weiterer Fesseln.«

Paul kam dies ein wenig bekannt vor.

»Amelie versucht das ständig.« Leonhards Worte ließen ein kleines Stöhnen durchklingen. »Nur wenn sie geknebelt ist, kann sie das nicht mehr, und so wird sie plötzlich wirklich abhängig von anderen. Damit hat sie enorme Schwierigkeiten.«

Paul grinste. Jetzt verstand er die Reaktionen von Amelie etwas besser.

»Aber wenn sie ihren Zustand einmal akzeptiert hat, dann kann sie sich ganz gehen lassen und sich voll und ganz auf mich verlassen.« Er machte eine Pause, um seinen Worten Bedeutung zu verleihen. »Das ist dann tatsächlich Unterwerfung - und paradoxerweise eine Form von Unterwerfung, die die Bondagette plötzlich befreit - frei von jeglicher Verantwortung und Pflicht zur Selbstkontrolle.«

Er ließ Paul etwas Zeit zum Grübeln.

»Deine Maria hat eine enorme Veranlagung dazu, sie weiß es nur selbst noch nicht so recht. Schließlich ist sie in deinen Armen gekommen, als du ihr den Mono angelegt hast.«

Paul wurde rot.

»Und damit sind wir beim Schutz - um sich so gehen lassen zu können, um alle Kontrolle abgeben zu können, muss sich dein Mädchen blind auf dich und deinen Schutz verlassen können. Und um sie beschützen zu können, musst du sehr stark sein - sie wird dich diesbezüglich immer wieder testen. Und stark genug bist du nur, wenn du stärker als sie selbst bist, wenn du dich gegen sie durchsetzen kannst. Genau das will sie erleben, um dir vertrauen zu können.«

Paul dachte an die Busfahrt zum Kino, als er sich zum ersten Mal gegen Marias Willen durchgesetzt hatte. Wenn er darüber nachdachte, so musste er tatsächlich feststellen, dass Maria ihn immer wieder sanft anzuleiten versuchte, streng ihr gegenüber zu sein. So betrachtet war er ihr tatsächlich bislang noch nicht die Stütze, die er offenbar sein musste.

Er nahm sich vor, weniger zurückhaltend und strenger, doch genauso liebevoll mit ihr umzugehen. »Aber da ist doch auch noch das Katerinenfest«, Paul war ermutigt genug, seine Gedanken zu äußern. »Maria spielt die Hauptrolle und sie hat einen sehr dicht gedrängten Terminkalender. Ich habe Angst, dass sie sich zuviel zumutet. Wie soll ich mich da verhalten? Andererseits weiß ich aber auch, dass ihr das Fest mittlerweile recht wichtig geworden ist und ich möchte sie so gut es geht unterstützen.«

»Nach allem, was ihr erzählt habt, ist es ja für Maria kein Spiel, aus dem sie jederzeit aussteigen kann. Für sie ist es ernst, und sie hat eine große Aufgabe auf sich genommen.« Leonhard gab sich sehr verständnisvoll. »Ich glaube, wenn du ihr wirklich helfen willst, dann musst du so etwas wie ihr 'Manager' werden, wann immer du sie begleitest.«

Er machte eine Pause, um seiner Worte wirken zu lassen. »Im Moment muss sie mit allen Wünschen und Forderungen von außen allein fertig werden, wobei sie obendrein noch meistens in ihren Mono gefesselt ist und sich nur schwer behaupten kann. Du musst Sachen und Termine für sie organisieren, aber auch rigoros ändern und ablehnen, wenn du siehst, dass es zuviel für sie wird.«

Paul verwies auf den großen Terminkalender, den es jetzt schon gab.

»Natürlich muss sie dabei sehen, dass du nur ihr Bestes willst, damit sie keine Diskussionen anfängt und dir in den Rücken fällt, wenn sie etwas trotzdem tun willst. Notfalls zieht ihr euch erst zur Beratung zurück, aber wichtig ist, dass nur DU für sie sprichst und Dinge vereinbarst, damit sich die anderen daran gewöhnen, dass sie über dich gehen müssen und nicht Maria alleine weichkochen und ausnützen können. Diese Mrs. Potter wird dich dabei voll unterstützen, wenn du das vorher mit ihr besprichst.«

Paul holte tief Luft.

»Du musst also tatsächlich sanft dominant, aber konsequent werden, wenn du etwas für sie oder Euch beide entscheiden mußt!«

»Das klingt alles vernünftig.« Pauls Stimme ließ deutlichen Zweifel hören. »Ich weiß nicht, ob ich das wirklich fertig bringe. Zumal ich sie sehr liebe.«

»Glaub mir, jeder deiner Versuche wird auf fruchtbaren Boden fallen.« Leonhard konnte ihn beruhigen. »Maria wird dieses Verhalten von dir erwarten und honorieren.«

Sie gingen schweigend weiter. Als sie um den Gutshof betraten, sahen sie, wie Amelie versucht, der Frau des Gutsverwalters etwas zu erklären.

»Das kann sie lange versuchen.« Leonhard grinste. »Das Personal hat mir mal verraten, dass sie immer wenn Amelie einen Knebel trägt, vorgeben, sie nicht zu verstehen.«

Paul sah deutlich an den Körperbewegungen von Amelie, dass sie versuchte etwas zu erklären. Manchmal stampfte sie sogar mit dem Fuß auf.

»Es tut mir leid«, ließ die Verwaltersfrau hören, »Ihr seid nicht zu verstehen, wenn ihr dieses Ding im Mund habt.«

Als Amelie sah, das ihr Verlobter näher kam, startete sie noch einen fast schon verzweifelten Versuch.

Paul konnte aus den Brummlauten und der Situation erkennen, dass Amelie von ihrem Knebel befreit werden wollte.

»Wir mussten dem Personal diese Anweisung nicht geben« Er blieb kurz stehen und flüsterte zu Paul. »Alle sind froh, wenn sie mal nicht von ihrer Herrin herumkommandiert werden können.« Er grinste. »Amelie versucht es immer wieder, sie hasst es, wenn ihr ihre Hilflosigkeit so deutlich vor Augen geführt wird.«

Sie gingen weiter zu der kleinen Gruppe.

Es war Maria anzusehen, dass sie über Amelies verzweifelte Versuche ebenfalls amüsiert war. Sie riskierte einen kurzen aber intensiven Blick zu Leonhard und Paul. Anfangs hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie sich als Lockvogel hergegeben hatte, doch jetzt erkannte sie, dass sie damit nichts falsches gemacht hatte.

»Guten Tag, Frau Baselitzer.« Leonhard gab ihr die Hand. »Sie genießen den Sonntag?« fragte er höflich.

»Ja ich lasse es mir gutgehen.« Die Gutsverwalterin lächelte. »Sie haben aber reizenden Besuch.«

Maria bedankte sich mit einem Knicks und antwortete »Danke schön.«

Über Amelie sagte sie nichts.

»Wir wollen etwas im Park spazierengehen und ihn unseren Besuchern zeigen.«

»Na dann wünsche ich ihnen und ihrem Besuch viel Freude daran.« Sie wollte sich schon abwenden, als ihr noch etwas einfiel. »Die Bänke auf dem kleinen Friedhof sind frisch gestrichen, bitte nicht dort hinsetzen. Ich weiß nicht, ob mein Mann daran gedacht hat, Schilder aufzustellen.«


An der alten Schlossmauer blieb Oma Selma kurz stehen. »Ich freue mich, das alles wieder zu sehen.«

»Ich war noch nie im Schlosspark.« wunderte sich Leonhard. »Dabei war ich doch schon so oft hier.«

Die Blicke richteten sich auf Amelie. Es dämmerte ihr nur langsam, dass sie nun etwas sagen sollte. Es kostete sie einige Mühe, sich zu überwinden, dann versuchte sie zu sagen, doch es war nur ein Brummen zu hören.

Leonhard lächelte heimlich.

Selma versuchte höflich zu bleiben. »Amelie, sie sind nicht zu verstehen.«

Amelie seufzte und zuckte mit den Armen. Etwas hilfesuchend blickte sie zu Leonhard.

»Es gibt eine Regel, dass Amelie ebenfalls einen Knebel tragen muss, wenn einer ihrer Gäste geknebelt ist.« Er zuckte etwas mit den Achseln. »Ich habe mir diese Regel nicht ausgedacht.« Er gab seiner Verlobten einen Kuss.

Oma Selma kannte Maria gut genug um zu wissen, dass diese bei so einem Besuch nie freiwillig einen Knebel tragen würde. Sie blickte sie kurz fragend an.

Maria beantwortete dies mit einem kurzen Blick auf Leonhard.

Auf einmal ging ein Lächeln über Selma Gesicht. Sie hatte die kleine »Intrige« durchschaut. Sie drehte sich etwas umständlich zu Maria und fragend sie mit etwas übertriebener Höflichkeit. »Wärst du bereit, für einige Zeit auf deinen Knebel zu verzichten, damit Amelie die Führung machen kann?« Dabei zwinkerte sie deutlich mit den Augen.

Maria brauchte ein paar Sekunden, bis sie begriff, welches Spiel hier gerade gespielt wurde. Dann glitt ein Lächeln über ihr Gesicht, welches trotz des Knebels deutlich zu erkennen war. Sie drehte sich zu Paul und blickte ihn gespielt verlegen an. »Ich darf den Knebel hier nicht tragen.« Sie hatte Mühe, nicht loszuprusten. »Nimmst du ihn mir bitte ab?«

Amelie drehte sich zu ihr hin. Sie brummelte etwas in ihren Knebel und es war deutlich zu sehen, wie verwundert sie darüber war, wie gut Maria zu verstehen war.

Nachdem Paul seiner Freundin den Knebel abgenommen hatte, befreite auch Leonhard seine Verlobte. »Ich glaube, die Umhänge braucht ihr dann auch nicht mehr.« Er nahm sie den Mädchen ab.

Amelie ließ sich sofort Marias Knebel zeigen, doch sie stellte zu ihrem Erstaunen fest, das der Ball genauso groß war wie der ihres Knebels. Sie war verblüfft. »Warum bist du mit dem Knebel so gut zu verstehen?«

»Ich bekomme Sprachunterricht und muss dabei oft mit einem Ball im Mund reden.« erklärte Maria mit sehr viel Stolz in der Stimme.

Amelie war verblüfft. »Bitte zeige mir, wie das geht.«

Doch Leonhard war dies gar nicht recht. »Lasst uns weitergehen zum Pavillon.« Doch natürlich wusste er, dass er es nicht verhindern konnte. Er begann zu überlegen, ob er einen Knebel kannte, der auch unter diesen erschwerten Bedingungen funktionieren würde.


Die drei Damen hatten es sich schon im Pavillon bequem gemacht, während Paul und Leonhard noch vor den Stufen standen. Leonhard spürte, dass Paul noch etwas bewegte. »Lass uns noch ein wenig umher gehen, deine Oma passt auf die Mädchen auf.«

Paul war für das Angebot sehr dankbar. »Da wäre tatsächlich noch eine Frage, die ich nicht in Gegenwart von Maria oder Amelie stellen wollte. Was genau ist mit Bondagette gemeint? Der Begriff ist schon öfters gefallen und ich kenne ihn bisher nicht.«

Leonhard lächelte erst, dann wurde er ernst. »Hmmmm... Das ist gar nicht so leicht zu beantworten.« Er schien nachzudenken. »Also, zunächst einmal ist eine Bondagette ein Mädchen, das sich gerne fesseln lässt und die Fesseln genießt.« Er warf einen kurzen Blick zurück zum Pavillon.

»Schwierig wird es, wenn man erklären will, warum sie es genießt - denn da gibt es viele mögliche Gründe und Motivationen. Fangen wir mal von der weniger erfreulichen Seite an - es gibt Mädchen, die sich gerne demütigen lassen, schlecht behandeln und sogar schlagen.«

Paul verzog das Gesicht.

»Solche Mädchen haben oft ein geringes Selbstwertgefühl und denken, sie verdienten es, schlecht behandelt zu werden. Aber ich denke mal, das können wir hier in unseren Fällen ausschließen!« fügte Leonhard mit einem Grinsen hinzu.

Er blickte wieder zum Pavillon zurück. »Unsere beiden hier wollen natürlich stets zuvorkommend wie eine Prinzessin behandelt werden, umso mehr, je strenger sie gefesselt sind. Wie schon gesagt - Fesseln machen eigene Arbeit unmöglich, erfordern Bedienung und Aufmerksamkeit, und erhöhen den Status.«

Paul erinnerte sich an die Beispiele, die Leonhard ihm schon genannt hatte.

»Dabei muss man allerdings aufpassen, dass es Ihnen nicht zu sehr zu Kopfe steigt, und ihnen ab und zu einen kleinen Dämpfer verpassen.«

»Und was bietet sich da so an?« fragte Paul sehr interessiert.

»Das kommt sehr auf den Zusammenhang an.« Leonhard wurde etwas nachdenklich. »Manchmal reicht es, ihnen bei etwas nicht zu helfen, damit sie merken, wie hilflos sie in ihren Fesseln sind. Ich betrachte das meistens als eine 'liebevolle Demütigung'.«

Paul fragte nach Beispielen.

»Nun, ich helfe ihr selten beim Treppensteigen.« Leonhard dachte nach. »Manchmal muss sie allein essen, auch wenn ihre Hände gefesselt sind.«

»Ist das nicht gemein?« Paul sprach seine Gedanken aus.

»Du musst die Kraft aufbringen, es zu tun.« Leonhard lächelte. »Danach sind sie viel anschmiegsamer und genügsamer.«

»Aber Maria hat sich doch schon so viel aufgeladen.« Paul war das Herz schwer. »Da kann ich sie doch nicht noch zusätzlich belasten.«

Leonhard blieb stehen und legte Paul seine Hand auf die Schulter. »Du bist sensibel genug, um zu erkennen, was Maria zu welchem Zeitpunkt braucht.«

Paul brachte als Antwort nur ein Schlucken zustande.

»Dann wäre da noch ein anderer ganz wichtiger Aspekt, den du wissen musst: Die Sache mit der guten Erziehung. Ein wohlerzogenes Mädchen gibt einem Jungen nicht einfach nach, sie soll sich tugendhaft zieren und seine Avancen abwehren, ihre 'Tugendhaftigkeit' verteidigen, auch wenn sie am liebsten sofort mit ihm ins Bett springen würde.«

Paul wurde wieder rot.

»Ist sie aber gefesselt, vielleicht sogar geknebelt, dann kann sie sich objektiv nicht wirklich wehren, sei es gegen Küsse, Umarmungen, oder im Bett. Sie ist dann von ihrer Erziehung entbunden und kann sich fallen lassen, sich richtig gehen lassen. Ich nehme an, so weit seid ihr noch nicht?«

»Wir kennen uns ja erst seit ein paar Wochen.« Paul errötete noch mehr. »Und so weit habe ich noch gar nicht gedacht.« Er rang mit sich, ob er es aussprechen sollte. »Außerdem trägt Maria einen .... einen...« Er kam ins Stottern.

»Einen Keuschheitsgürtel?« Leonhard sprach das Wort aus und wartete Pauls Bestätigung nicht ab. »Amelie trägt auch einen. Wir sind uns einig, dass wir bis zur Hochzeit warten wollen.«

Paul war das Thema etwas unangenehm. »Aber es stimmt, Maria wird immer dann besonders anschmiegsam, wenn sie streng gefesselt ist.«

»Siehst du. Und außerdem kannst du sicher sein, Mariat HAT bereits so weit gedacht - auch wenn das für Euch beide noch einige Zeit in der Zukunft sein dürfte. Natürlich ist es wichtig, dass du ihre Wehrlosigkeit nie ausnutzt, und nichts wirklich gegen ihren Willen tust. Aber da hab ich bei euch beiden keine Sorgen.«

Sie gingen langsam weiter.

»Aber weiter zu den Bondagetten: Eine strenge Fesselung, ein enges Kleid ist immer auch wie eine feste Umarmung.« Leonhard lächelte. »Frauen sind da am ganzen Körper weitaus empfindlicher und empfänglicher als wir grobschlächtigen Kerle. Diese Art Umarmung, wie zum Beispiel von Marias Korsett, ist natürlich zunächst einmal unpersönlich, auch wenn sie romantische Fantasien und Verlangen weckt.«

Paul musste an die Sissi-Filme denken, sagte aber nichts.

»Sobald sie aber von dir verursacht wird, indem du ihr ein Korsett oder den Mono anlegst, ist es DEINE Umarmung - die sie ständig fühlen kann, auch wenn du selbst gerade gar nicht in Reichweite bist.« Wieder blieb Leonhard stehen und blickte Paul direkt an.

»Daher reagiert Maria so stark, wenn du ihr etwas anlegst. Das bedeutet aber auch, dass sie die Kontrolle nicht an den Mono, sondern an DICH abgibt, und daß du mit dem Anlegen versprichst, dich um sie zu kümmern und sie zu beschützen. Das ist weniger Unterwerfung als eine liebevolle Hingabe - Du mußt dann aber auch die Verantwortung für sie übernehmen.«

Sein Blick wanderte in Richtung Pavillon. »Aber wie du an Amelie siehst, muss man ihr dann ab und zu klar machen, dass diese Hingabe und damit deine Übernahme der Verantwortung dann auch eindeutig sein muß, damit du sie auch wahrnehmen kannst - sie kann und darf dann nicht mehr selbst bestimmen, solange sie deine Fesseln trägt. Du kannst natürlich versuchen, ihren Wünschen zu entsprechen, aber DU mußt bestimmen.«

»Vielen Dank.« Paul seufzte. »Ich hoffe, ich werde die Kraft für alles das haben.«

»Das wirst du, Paul.« Leonhard legte ihm noch einmal die Hand auf die Schulter. »Da bin ich mir ganz sicher.«


»Jetzt haben wir euch eingeholt.« Amelie hatte ein Strahlen in der Stimme. Sie stellte sich vor Leonhard und gab ihm einen Kuss.

Leonhard schlang seine Arme und seine Verlobte und erwiderte den Kuss.

Paul blickte verlegen weg und erschrak fast ein wenig, als Maria auf einmal vor ihm stand und ihn anstrahlte.

»Kannst du mich bitte auch in den Arm nehmen?« Sie blickte ihn sehnsuchtsvoll an.

Paul zögerte noch etwas und blickte etwas verlegen in der Gegend umher. Erst als ihn seine Oma mit einem kleinen Stups ermutigte, kam er der Bitte nach und nahm Maria in den Arm.

»Jetzt sei doch mal ein wenig mutiger«, ermunterte Maria ihren Freund und blickte kurz auf Amelie, die immer noch den Kuss ihres Verlobten genoss.

In Paul überschlugen sich alle Gedanken und Worte von Leonhard und er zögerte noch. Doch schließlich sagte ihm sein Bauch, was er zu tun hatte. Zärtlich schlossen sich seine Lippen um die seiner Freundin.

»Siehst du, was ich dir gesagt habe.« Oma Selma lächelte. »Traue dich ruhig, deine Wünsche zu äußern.«


Maria strahlte bis über beide Ohren. »Es ist so schön hier.« Sie blickte auf Amelie, die jetzt neben ihrem Verlobten stand. »Ich freue mich, dass du auch so einen Mono trägst.«

Die Gesellschaft einer anderen Monohandschuh-Trägerin hinterließ auch bei Amelie Spuren. Auch sie strahlte über das ganze Gesicht.

»Wir sollten weitergehen, wenn wir rechtzeitig beim Abendessen sein wollen.« Leonhard fragte, wo es denn hingehen sollte.

»Wir gehen am See entlang zum kleinen Friedhof.« Amelie erinnerte sich an ihre Pflichten als Gastgeberin und Führerin.

»Gibt es die kleine Enteninsel noch?« wollte Oma Selma wissen.

»Na klar gibt es die noch.« Amelie war über den Themenwechsel recht dankbar. »Dieses Jahr hatten wir glaube ich acht Gelege.« Ihre Stimme wurde weich. »Und viele, viele süße Entenküken.«


Nach wenigen weiteren Schritten lag der kleine malerische See vor ihnen und das aufgeregte Schnattern der Enten ließ vermuten, dass hier eher selten Leute vorbeikamen.

»Jetzt erzähl mir, was beim Gag-Talk wichtig ist.« Amelie hatte sich einfach neben Maria gedrängt und stupste sie mit ihrem Handschuh an.

Maria war erst etwas verblüfft. »Eigentlich ist es bei mir ja umgekehrt.« Sie lächelte zu Pauls Oma. »Ich trage den Ball im Mund, um meine Sprechübungen machen zu können.«

Amelie verstand zunächst den Zusammenhang nicht.

»Ich bekomme für das Fest Sprachunterricht, wie ihn auch die Schauspieler bekommen.« Etwas Stolz lag in Marias Stimme. »Eigentlich ist es ganz einfach.« sie blickte Amelie an. »Du musst langsam sprechen und die Lippen weit öffnen.« Sie beschrieb, wie sie anfangs immer mit einem Korken geübt hatte. »Aber der ist mir immer rausgefallen.«

»Ja und?« Amelie wunderte sich.

»Naja,« Maria war etwas verlegen, »wenn ich dazu meinen Mono trage, kann ich ihn nicht mehr aufheben.«

Jetzt verstand Amelie es.

»Und dann hatte Pauls Oma die Idee mit den Knebeln.« Sie lächelte dankbar zu ihr hin.

»Eigentlich sind sie aber genau für das Gegenteil gedacht.« lachte Leonhard.

»Ich kann ja nicht mal mehr 'Kindergarten' sagen.« Amelie stimmte in das Lachen ein.

Es war Paul aufgefallen, dass Leonhard bei dem Wort 'Kindergarten' kurz gezuckt hatte und für einen winzigen Moment ein sorgenvollen Gesicht hatte. Doch gleich darauf entspannte sich seine Miene wieder.

»Apropos...« Leonhard ging zu Maria. »Paul sagte mir, dass ihr kein Sicherheitswort vereinbart habt?«

»Ich mache das alles doch für das Fest«, Maria verstand die Problematik noch nicht. »Da passiert mir nichts.«

»Deine Gesundheit ist wichtiger.« Leonhard wollte ihren Einwand nicht gelten lassen. »Du musst lernen, dich Paul ganz anzuvertrauen und mutig genug sein, die Sicherheitswörter auch zu benutzen.«

»Was ist denn das überhaupt?« Maria wusste es nicht.

Beim Weitergehen erklärte Leonhard das System mit der Ampel, bei dem es die drei Stufen gab: Grün: Es geht mir gut, es ist alles in Ordnung. Gelb: Es geht noch, aber ich brauche eine Pause. Rot: Es gibt ein Problem, bitte sofort aufhören.

Als sie den kleinen Friedhof betraten, verstummten die Gespräche und die Stimmung wurde irgendwie nachdenklich.

Selma trat an das Grab, welches als einziges neben der Bepflanzung auch einen kleinen Strauß in einer Vase hatte. Sie blieb einige Zeit davor stehen.

Die anderen blieben höflich im Hintergrund.

»Früher gab es keine Sicherheitswörter.« sagte Selma mehr zu sich selbst, als sie wieder zu den anderen zurück kam.

Leonhard verstand die Problematik nicht. »Aber es muss doch einen Weg geben, aus dem Spiel auszubrechen.«

»Früher war es kein Spiel.« Selma schüttelte den Kopf. »Die Mädchen mussten die Handschuhe tragen, auch wenn es weh tat oder sie nicht konnten. Die alte Gräfin war da gnadenlos.«

»Für Maria ist es auch kein Spiel.« warf Paul ein und versuchte sie tröstend in den Arm zu nehmen. »Bis zum Fest muss sie hart trainieren.«

Maria freute sich sehr über diese Geste und schmiegte sich etwas an ihn.

»Aber deswegen sollte sie nicht ihre Gesundheit aufs Spiel setzen.« Leonhard blieb in dieser Beziehung hart. »Wie wäre es auch mit 'Kindergarten'?« Er wandte sich zunächst an Paul. »Wann immer Maria dieses Wort benutzt, dann musst du dich sofort um sie kümmern und fragen, was los ist.« Dann drehte er sich zu Maria. »Und du musst versprechen, dass du es dann und nur dann benutzt, wenn etwas nicht in Ordnung ist.«

»Aber das Fest...« wollte Maria einwenden.

Leonhards Stimme wurde ungewohnt hart. »Es kann nicht Sinn der Sache sein, dass du so hart trainierst, dass du zum Fest krank bist.«

Maria wurde kleinlaut und drängte sich an Paul. »Also einverstanden. Ab jetzt 'Kindergarten'.«

»Ich werde deine Erzieherin ebenfalls darüber informieren. Auch sie wird Interesse daran haben, dass du gesund bleibst.«

Oma Selma war über die Entwicklung mehr als erleichtert. »Und jetzt möchte ich noch den alten Pferdestall sehen.« Ihre Stimme wurde etwas sentimental. »Ob es die kleine Ponybox noch gibt?«

Amelie zuckte etwas zusammen. Ihr schlechtes Gewissen war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. »Welche Ponybox?«

Oma Selma vermutete, dass Amelie diese alten Sachen nicht wissen könne, deswegen erklärte sie. »Im Pferdestall des Gutes gibt es in dem Bereich, in dem früher die Pferdeknechte geschlafen haben. Das war davor mal die Box für die Ponys, die sie in früheren Jahren mal hatten.«

Doch Amelies Nervosität nahm zu. Leonhard entging dies nicht und er trat dicht an sie heran. »Was hat es damit auf sich? Warum bist du so nervös?« Seine Stimme wurde auf einmal sehr ernst. »Ich möchte eine ehrliche Antwort.«

»Das war lange vor deiner Zeit.« versuchte Amelie sich heraus zu winden.

»Ich höre?« Leonhard blieb hart.

»Ich wollte unbedingt mal Ponygirl spielen.« Amelies Stimme war leise und schuldbewusst. »Und da haben wir diesen Raum dafür umgestaltet.«

Die Frage lag in der Luft, doch irgendwie sprach sie keiner aus.

Amelie antwortete trotzdem. »Ich wurde von Inka als Pony zurechtgemacht mit Hufstiefeln, Korsett, Ponykostüm und Pony-Kopfgeschirr. Sie hat mich dann dort in der Box angekettet und ich wollte dort eine Woche als Pony leben.«

Auf einmal geriet ihre Stimme ins Schwärmen. »Ich hätte mit dem Mund essen müssen und Inka hätte mich dressiert.«

»Was ist passiert?« Leonhards Stimme zeigte ein fast beunruhigendes Interesse.

»Meine Eltern kamen früher aus dem Urlaub zurück. Meine Mutter hat uns entdeckt und war überhaupt nicht begeistert.«

Leonhard war verwundert. »Sie hat dir doch sonst alles durchgehen lassen.« Irgendwie schwang ein Vorwurf in der Stimme mit.

»Sie hat verlangt, dass ich im Schloß zu übernachten habe.« Amelies Frust war jetzt noch zu hören. »Aber welches Pony schläft schon in einem Bett?«

»Aber deswegen kannst du uns das doch zeigen oder?« Leonhard hatte auf einmal ein Leuchten in den Augen.

Amelie seufzte. »Naja, jetzt habe ich es ja gebeichtet.«


Zu ihrer Erleichterung war Oma Selma von ihren »Umbauten« wenig irritiert oder verärgert. Sie schien sich ehrlich zu freuen, dass sie diesen Ort, der ihr anscheinend sehr viel bedeutete, mal wieder sehen konnte. Zu Amelies Überraschung nahm sie sie in den Arm und streichelte ihr über den Monohandschuh. »Nun, meine Liebe, auch ich habe an diesen Ort ganz spezielle Erinnerungen.«

Paul erinnerte sich später an die Geschichten, die ihnen seine Oma vor einigen Tagen einmal erzählt hatte, von dem schneidigen Rittmeister und den heimlichen Ausflügen.


Während Oma Selma noch in ihren Erinnerungen schwelgte, steckten Maria und Amelie die Köpfe zusammen und schienen etwas auszutüfteln. »Ja, so machen wir das.« Amelie schlug mit ihren Monoarmen sanft gegen Marias Arme und diese wiederholte die Geste. Dann drehte sich Maria zu Paul. »Darf ich wenigstens auf dem Rückweg meinen Knebel tragen? Ich denke, ich habe jetzt lange genug darauf verzichtet.« Sie grinste deutlich bei dieser Frage.

Paul blickte zunächst etwas hilflos zwischen Leonhard und seiner Oma hin und her. Schließlich bekam er von Leonhard den passenden Hinweis.

»Wenn sie von sich aus nach einer Verschärfung fragen, solltest du ihnen eigentlich immer nachgeben.« Er streichelte Amelie leicht über die Wangen. »Kann es sein, dass du noch ein wenig Gag-Talk üben möchtest?«

Amelies Miene ließ erkennen, dass sie sich ertappt fühlte.

»Aber wenn die Mädels unbedingt ihre Knebel wieder tragen möchte, gern.« Er gab Paul ein Zeichen.


Als sie im Schloss angekommen waren, nahm Leonhard Paul beiseite. »Ich habe immer ein wenig Angst vor dem Tag, an dem Amelie mit Knebel so gut reden kann wie Deine Maria. Dann ist es mit der schönen Ruhe vorbei.... Darum habe ich schon vorgesorgt. Hier, sieh mal.«

Er zeigte Paul zwei seltsame Gegenstände aus schwarzem Gummi, die noch in Plastik eingeschweißt waren. Einer sah aus wie der Pumpball einer Blutdruckmanschette, der andere so ähnlich wie Marias Mundschutz, wie eine Zahnspange aus Gummi für beide Zahnreihen, jedoch mit einer kleinen ovalen Zunge im Innenraum.

»Das ist ein aufpumpbarer Knebel. Er dehnt sich nicht viel aus, aber er klemmt die Zahnreihen zusammen, so dass sie nicht mehr geöffnet werden.«

Paul erkannte sofort, dass Maria dann ihren Mund nicht mehr öffnen könnte. Damit wäre ihr jetziger Gag-Talk nicht mehr möglich.

»Die kleine Blase innen klemmt die Zunge fest und macht Artikulieren unmöglich. Er füllt keineswegs den ganzen Mund, klemmt nur Zähne und Zunge, ist sehr bequem zu tragen und macht ein Sprechen und auch ein Entfernen ohne die Pumpe zum Ablassen unmöglich. Er trägt so wenig auf, dass der Mund und die Lippen immer noch geschlossen werden können, wenn der Pumpball entfernt ist.«

Paul bekam eine Gänsehaut, als er die volle Wirkung des Knebels begriff. Er schluckte etwas.

»Behalte ihn in Reserve - Du wirst selbst wissen, wann Maria ihn einmal braucht.« Er reicht Paul den noch verpackten Knebel. »Ich besorge einen neuen für Amelie; das eilt noch nicht, denn noch funktionieren die klassischen Knebel ja noch gut genug gegen ihren Redeschwall!«

Paul bedankte sich höflich. Doch innerlich war er total aufgewühlt.

* * *

Heidrun war sehr erfreut, dass alle Gäste rechtzeitig zum Abendessen wieder im Schloss waren, und noch mehr erfreute es sie, dass sowohl ihre Tochter als auch Maria auf das Tragen des Monohandschuhs verzichteten, so dass es ausnahmsweise einmal eine ganz normale Abendtafel war.

Gleich nach dem Abendessen bat Heidrun ihre Gäste ins Kaminzimmer, um den Abend gemütlich ausklingen zu lassen. Doch Amelie und Leonhard ließen sich kurz entschuldigen, sie hätten noch etwas zu besprechen.


Als Leonhard und Amelie den Raum betraten, trug Amelie wieder ihren Monohandschuh und strahlte. »Du wählst und hältst mir den Hörer. Lass mich mit ihm reden.«

Leonhard verdrehte ein wenig die Augen, denn Amelie gab mal wieder die Befehle, doch dann kam er ihren Wünschen nach. Er griff zu dem Telefon und wählte die Nummer auf der Wählscheibe. »Ihr könnte euch auch mal ein neues Telefon anschafften. Es gibt jetzt welche mit Tasten.«

Amelie lachte. »Aber das ist so schön dekorativ.«

»Weibliche Logik.« Er zuckte mit den Achseln. Dann hielt er den Hörer seiner Verlobten ans Ohr.

Leonhard wählte die Nummer auf der Drehscheibe und hielt dann seiner Verlobten den Hörer ans Ohr.

»Hallo Sebastian, hier ist Amelie.«

...

»Ja, das geht auch nur, weil dein Bruder mir den Hörer hält.« Sie lachte. »Du kennst uns ja«

...

»Du, weswegen ich anrufe: In zwei Wochen ist doch das gemeinsame Wochenende auf deiner Hütte. Wir glauben, wir haben ein Ersatzpärchen für das Hüttenwochenende gefunden.«

...

»Kennst du noch nicht. Sie wohnen in -« Sie blickte zu Maria und Paul »Wo wohnt ihr?«

»In Landsbach.«

Amelie wiederholte. »Ich fände es so schade, wenn die ganzen Spiele ausfallen würden, nur weil wir zuwenig Mädchen sind.«

...

»Natürlich ist sie geeignet. Sie trägt den Mono sogar in der Öffentlichkeit und war damit beim Bürgermeister. Und sie kann ihn noch strenger tragen als ich.«

...

»Ja, so was wurmt mich.« Sie lachte.

Sie blickte zu Leonhard. »Er möchte Maria sprechen.«

Leonhard ging zu Maria und hielt ihr den Hörer ans Ohr.

»Hallo« sagte Maria und ihre Stimme zeigte, wie sehr sie sich überrumpelt fühlte.

...

»Nein, einen Hogtie kenne ich nicht. Was ist das?«

...

»Oh... Das klingt aber streng.«

...

»Ich würde es gern mal probieren.«

...

»Ja, sowas kenne ich.«

...

»Kein Problem, ich trage ihn sowieso fast die ganze Zeit.« Sie wurde etwas rot dabei.

...

»Er möchte dich sprechen.« Maria blickte Leonhard verwundert an.

Leonhard nahm den Hörer wieder selbst in die Hand und hörte seinem Bruder zu.

...

»Ich vertrauen auf Amelies Menschenkenntnis. Sie hat bisher noch nie daneben gelegen.«

...

»Könnt ihr die Kaution stellen?« Er blickte ernst zu Paul und Maria. »Ihr müsst 1000 DM hinterlegen und wenn nichts gravierendes auftritt, dann bekommt ihr sie zurück.«

Maria erschrak und ihr Blick wurde fast etwas traurig. »Nein, soviel Geld haben wir nicht.« Sie blickte verlegen zu Paul. Doch zur Überraschung aller nickte Oma Selma und sagte recht laut. »Die Kaution wird gestellt«

Leonhard wiederholte die Antwort.

...

»Nein, die Regeln kennen sie noch nicht.«

...

Leonhard wandte sich an Paul und Maria. »Ihr müsst die Regeln lesen und dann unterschreiben, dass ihr euch auch daran halten werdet.«

Paul und Maria bestätigten dies, auch wenn sie noch nicht so recht wussten, was sie erwarten würde.

...

»Was ist mit Küchenarbeit für Paul?«

»Kein Problem,« antwortete Paul etwas verlegen. Seine Oma hingegen nickte anerkennend.

...

»Es wird diesmal einen kleinen Kurs geben für die Frauen: 'Wie knote ich richtig?' Wäre Paul bereit, sich dafür von Maria einmal fesseln zu lassen?«

»Gern.« Die Antwort von Paul kam allerdings etwas zögernd und erst nach einem intensiven Blickwechsel mit Maria.

...

»Eine wichtige Regel für die Anfahrt: Keine Fesseln im Auto, auch nicht die kleinsten.« Dabei blickte er allerdings vor allem seine Verlobte an, die als Antwort ihre Schmollmiene aufsetze.

...

»Ja, ich freue mich auch.«

Er legte auf.

»Ihr werdet demnächst einige Unterlagen bekommen. Bitte lest diese gründlich und unterschreibt sie.«

Oma Selma schaltete sich ein. »Dürfen wir auch erfahren, worum es geht?« Sie blickte kurz zu Mrs. Potter, die ebenfalls sehr neugierig schaute.

»Mein Bruder besitzt eine Hütte in den Bergen. Sehr schön abgelegen und nur zu Fuß erreichbar.« Leonhards Stimme klang schwärmerisch. »Wir treffen uns dort mit anderen Bondage-Enthusiasten, die ebenfalls sehr auf Verschwiegenheit angewiesen sind.«

»Ihr habt uns heute überzeugt, dass ihr die Kriterien dafür erfüllt.« fügte Amelie dazu, »und ich bin sicher, dass ihr eine Bereicherung für unser Wochenende sein könntet. Ihr habe uns so viele neue Aspekte zu bieten.«

»Wegen eines Todesfalles ist ein Pärchen ausgefallen und ihr könntet für sie einspringen.«

Maria und Paul waren noch etwas unsicher. Doch zu ihrer Überraschung war es Mrs. Potter, die ihnen zuriet. »Das solltet ihr unbedingt annehmen. Ich rede auch mit deiner Mutter darüber. Sie wird es erlauben, da bin ich sicher.«

Alle Augen richteten sich jetzt auf Maria. Diese hingegen suchte den Blick von Paul. Er nahm ihre Hand und drückte sie fest. »Wir schaffen das.«

Leonhard stand auf. »Dann möchte ich euch in unseren Kreisen begrüßen und freue mich, euch in zwei Wochen abholen zu dürfen.«

* * *

Oma Selma blickte nach hinten auf die Rückbank. Paul hielt Maria im Arm und Maria hatte den Kopf auf seine Schulter gelegt. Beide waren eingeschlafen.

»Ich hoffe, dir hat der Ausflug gefallen?« Mrs. Potter sprach leise, um die beiden Schläfer nicht zu wecken.

»Es war toll.« Selma schwärmte. »Danke für diesen schönen Ausflug in die Vergangenheit. Es ist doch schön zu sehen, dass die eigene Arbeit erfolgreich war.«

Mrs. Potter bestätigte dies.

»Amelie und Leonhard sind ein tolles Paar.« Sie blickte noch einmal nach hinten. »Ich hoffe sehr, dass Paul und Maria ähnlich glücklich werden.«