Maria

Maria – Neue Aufgaben

Autor: Karl Kollar

Bislang war es ruhig auf dem Polizeirevier, so wie es eigentlich fast jeden Montag war. Der Beamte hatte sich zurück gelehnt und genoss den leichten Dienst. Seine Mittagspause lag schon hinter ihm, deswegen er wagte es, sich schon etwas auf den baldigen Feierabend zu freuen.

Das Telefon klingelte. Sein Blick fiel routinemäßig auf die Uhr, es war kurz nach halb Eins. Er nahm ab und meldete sich: »Polizeirevier Landsbach Süd« Er nannte noch seinen Namen dazu.

»Hier ist ein Unfall passiert«, sagte die Stimme am anderen Ende. Die Stimme klang erstaunlich ruhig, dies fiel dem Polizisten schon auf. Fast war es, als würde sein Gegenüber bewusst leise sprechen. Normalerweise waren die Anrufer immer sehr erregt.

Der Beamte fragte gewohnheitsmäßig nach Ort und Art des Schadens.

»Ein Wagen ist von der Straße abgekommen und hat sich vermutlich mehrmals überschlagen.«

Er machte sich Notizen. Dann stellte er die nächste Frage: »Und wo?«

»In der Teufelskurve in Richtung Stadtauswärts«

Innerlich stöhnte der Beamte. In dieser Kurve passierten oft schwere Unfälle. Er fragte sich, wann die Stadtdeswegen endlich mal was tun würde. Dann erkundigte er sich nach den Unfallopfern.

»Eine junge Frau, sehr extravagant angezogen. Sie war nicht ansprechbar und hatte keine Papiere dabei. Aber sie wurde schon von Sanitätern vor Ort versorgt.«

Die Laune des Polizisten wurde schlechter. Er fragte nach dem Autokennzeichen. Die Stimme gab es durch.

Dann wollte der Polizist noch wissen, wer denn den Unfall meldete. Doch die Gegenseite hatte aufgelegt. Der Anrufer wollte anscheinend anonym bleiben.

Der Beamte schickte einen Streifenwagen an die bewusste Stelle. Er bedauerte, dass es schon fast traurige Gewohnheit war. In dieser Kurve kamen die Fahrer oft von der Straße ab und leider besonders die jungen und unerfahrenen von ihnen.

In dem Kennzeichenregister fand er schließlich das angegebene Kennzeichen und wurde blass. Es gehörte Sophie Baroness von Harsumstal.

Doch dann vergaß er für einen kurzen Moment seine Pflicht als Polizist und freute sich insgeheim. Es hatte in der letzten Zeit soviel Ärger mit dieser Frau gegeben. Sie glaubte, für sie würden die Gesetze und Verordnungen nicht gelten und sie könnte so fahren, wie sie wollte. Er fühlte fast so etwas wie Genugtuung. Doch dann kam wieder seine Professionalität durch und er leitete die im weiteren erforderlichen Schritte ein.

* * *

So eine Impertinenz! Was bildete dieser Kerl sich ein? Sophie war verärgert. Nur weil er als Butler von ihrem Vater eingestellt war, gab dies ihm noch nicht das Recht sie, die Baroness, so herum zu kommandieren und sie zu bevormunden.

Sie schüttelte mit dem Kopf. Warum sollte sie nach zwei Gläsern Sekt nicht mehr Autofahren? Schließlich frühstückte sie immer so. Außerdem war heute der Kaviar aus und das mochte sie überhaupt nicht. Der Butler sollte gefälligst seinen Job machen und sie nicht schon um elf Uhr aus dem Bett schmeißen.

»Termin mit dem Berufsberater« hatte er gesagt. Wieder schüttelte sie ungläubig mit dem Kopf. Warum sollte sie denn einen Beruf ergreifen? Ihr Vater hatte das Geld und sie lebte für ihre Parties. Und so sollte es auch bleiben.

Der geliebte Blick in den Spiegel besänftigte sie etwas und sie kontrollierte noch einmal ihr Aussehen. Das lange blonde Haar fiel locker um ihre Schultern. Doch am Haaransatz war wieder etwas ihrer tatsächlichen Haarfarbe zu sehen. Sie beauftragte den Butler, einen Termin beim Frisör auszumachen. Dabei wussten alle ihre vielen Liebhaber, dass sie in Wirklichkeit dunkle Haare hatte.

Sie zog sich die langen Stiefel an und nahm sich die kurze rote Lackjacke vom Haken. Sie wusste, dass die Männer sie so mochten. Sie war es gewohnt, auf hohen Absätzen unterwegs zu sein und auch das Autofahren machte ihr damit keine Probleme. Sie stöckelte zum Schlüsselbrett und nahm sich den Schlüsselbund zu einem der Autos ihres Vaters. Hoffentlich war das Cabrio aufgetankt, sie hasste es, wenn die die Familienkutsche nehmen musste

Das Verdeck des Wagen war auch nicht offen. Warum gehorchte ihr keiner hier? Sie hatte es doch gestern Abend nach der Party laut und deutlich gesagt, bevor sie in ihr Zimmer getorkelt und auf ihr Bett gefallen war. Sie drückte den Knopf und wartete ärgerlich, bis das Dach verschwunden war. Dann ließ sie den Motor an und mit einem Aufheulen des Motors fuhr sie los.

Vor der roten Ampel bremste sie. Immerhin hatte sie erst gestern wieder von der Polizei eine Ermahnung bekommen, dass sie sich auch an die Regeln zu halten hätte. Doch sie kannte den Einfluss ihres Vaters und wusste, das ihr nicht wirklich etwas passieren konnte. Wenn wenig Verkehr war, sah sie nicht ein, warum sie nicht frei fahren sollte.

Neben ihr hielt ein Mercedes, in dem zwei Männer saßen. Wie immer genoss es Sophie, wenn die Männer sie bewunderten und sie anhimmelten, und so warf sie sich auch für diese Zwei in Pose, als sie sah, dass der Beifahrer die Scheibe runter kurbelte. Dann wurde es schwarz vor ihren Augen...

* * *

Immer wieder nahm die Krankenschwester den kurzen Bericht zur Hand. Eigentlich wäre es ja Routine, die Angehörigen zu verständigen nach so einem schweren Unfall und sie machte dies ja auch nicht zum ersten Mal. Und sie hatte auch genügend Professionalität, um ihre privaten Gefühle da heraus zu halten. Doch diesmal war das Gefühl der Schadenfreude schon besonders groß. Endlich hatte es mal diese Schnepfe erwischt.

Die Schwester las noch einmal die kurzen und nüchternen Zeilen. Die Baroness hatte es heftig getroffen. Sie musste so gut wie überall eingegipst werden und es wäre sehr fraglich, ob sie vor einem halben Jahr wieder genesen könne.

Sie wählte die angegebene Nummer. Es meldete sich ihr Vater der Baron von Harsumstal. Die Schwester begann zunächst mit ihrer dienstlichen Routine mit ein paar vorbereitenden Worte und dabei kam es ihr kurz so vor, als wisse der Baron schon Bescheid. Doch dann verwarf sie ihren Gedanken wieder und berichtete, was sich zugetragen hatte und las den kurzen Bericht des Chefarztes vor. Dabei fand sie es schon ziemlich seltsam, wie ruhig ihr Gegenüber blieb. 'Komische Familie' dachte sie insgeheim.

Es fiel dem Baron erst im letzten Moment ein, dass er vielleicht den sorgenvollen Vater geben sollte und so fragte er zum Abschluss des Telefonats nach den Besuchszeiten. Natürlich hatte er so bald nicht vor, im Krankenhaus aufzutauchen. Doch es machte bestimmt einen besseren Eindruck, wenn er vorgab, sich um seine Tochter zu sorgen.

Er bedankte sich für den Anruf und legte auf. Dann lehnte er sich zurück und schloss die Augen.

* * *

Andrea blickte noch einmal ärgerlich auf die Uhr, dann klappte sie ihren Notizblock zu und rief nach der Kellnerin, um zu zahlen. Dieses Luder von Baroness war die Unzuverlässigkeit in Person. Dabei hatte Andrea sich zuerst sehr gefreut, dass sie von ihrem Chef den Auftrag für ihre erste eigenen Reportage bekommen hatte.

Doch je mehr sie sich mit der Baroness befasste, desto klarer wurde ihr, das sie damit einen sehr undankbaren Auftrag bekommen hatte. Dies war nun schon der sechste Termin, den Sophie aus irgendwelchen Andrea nicht bekannten Gründen platzen lies.

Dabei hatte es zu Beginn einfach und nett ausgesehen. Sie hätte die Baroness auf dem Weg zum Katerinenfest begleiten sollen. Da die Reporterin erst vor kurzem nach Landsbach gezogen war, wusste sie nicht, worum es sich bei dem Fest handeln würde, da dieses nur alle sieben Jahre stattfand.

Schon bei den ersten Kontakten hatte Andrea zu spüren bekommen, das es mit der Baroness nicht einfach werden würde. Ständig gab es irgendwelche Ausflüchte und selbst wenn ein Termin eine Woche vorher ausgemacht war, ließ die Baroness ihn platzen.

Andrea zahlte und packte wütend ihren Block und das Diktiergerät wieder ein. Doch dann kam ihr ein Gedanke. »Nicht mit mir.« Sie stand auf und ging zu ihrem Wagen. 'Ich gehe jetzt zum Baron und werde mich beschweren.' Mehr als hinauswerfen kann er mich ja nicht.' Andrea war mehr als geladen, als sie zu ihrem Auto ging.

Den Weg kannte sie von ihren bisherigen Versuchen. Sehr bald fuhr sie auf den Hof des großen Anwesens und stellte ihr Auto auf dem kleinen Parkplatz neben die anderen Wagen. Mit entschlossenen Schritten ging sie zu dem großen Eingangsportal. Sie klingelte und schon nach kurzer Zeit wurde ihr vom Butler geöffnet. Mit dem Butler verband Andrea eine gewisse Sympathie. So wie sie ihn bei den vergangen Besuchen kennengelernt hatte, hatte auch er gewaltig unter den Launen der Baroness zu leiden.

Doch diesmal kam es ihr vor, als befände sich im Gesicht des Butlers eine winzige Spur des Triumphes, als sie nach der Baroness fragte. Aber dann hatte er sich schnell wieder unter Kontrolle und sagte bedauernd, dass die Baroness nicht im Hause sei.

Andrea war darauf vorbereitet und wünschte deswegen den Baron zu sprechen. Zu ihrer Überraschung wurde sie vom Butler daraufhin gleich nach oben in das Arbeitszimmer geführt. Als sie den nobel eingerichteten Raum betrat, spürte sie ohne das sie es groß erklären konnte, eine sehr gelöste Stimmung vor. Sie nahm dies positiv, denn dann würde der Baron vielleicht eher auf ihre Beschwerde eingehen.

»Guten Tag, meine Liebe« Die Stimme des Barons klang am Anfang ungewöhnlich heiter, erst im Verlaufe des Satzes wurde sie ruhig und seltsam traurig. »Sie wollen sicher zu meiner Tochter.«

Andrea hatte sich schon überlegt, was sie vorbringen wollte. »Wir hatten für heute einen Interviewtermin ausgemacht, wegen dem Fest, und sie ist wieder nicht gekommen.« Sie war bemüht, ihre Stimme resolut klingen zu lassen.

Der Baron blickte sie ernst an. »Meine Tochter ist im Krankenhaus. Sie hatte einen schweren Autounfall.«

Andrea hatte sich wieder auf eine dieser flachen Ausreden eingestellt, deswegen realisierte sie erst nach kurzer Zeit, was der Baron gesagt hatte. »Oh, das tut mir leid.«

»Ich habe es eben erst von den Ärzten erfahren.« Er war bemüht, seine Stimme betroffen klingen zu lassen.

Andrea fürchtete um ihre Geschichte. »Ist sie schwer verletzt?«

Der Baron merkte, dass er auf diese Art von Fragen noch keine Antworten parat hatte. Er blickte sie etwas hilflos an.

Mit ihrer Sensibilität nahm Andrea dies wahr und wusste, das sie hier zunächst nicht nachhaken sollte. Dennoch wollte sie ihren Job machen. »Aber das Katerinenfest wird sie doch spielen können oder?«

Baron Harsumstal war dankbar, dass sie von sich auch das Thema angeschnitten hatte. »Die Ärzte haben mir da sehr wenig Hoffnung gemacht. Sie hat eigentlich überall schwere Knochenbrüche und es wird mit der Heilung sehr lange dauern.«

Andrea musste kurz darüber nachdenken, dass an den Gerüchten, Sophie würde sich nie anschnallen, wohl etwas dran sein musste

»Könnte ich Sophie wohl besuchen?« Andrea wollte sich alle Möglichkeiten offen halten.

Der Baron blickte kurz aus dem Fenster. Er überlegte, wie er Andreas deutlich spürbaren Ehrgeiz und ihre Neugier wohl am ehesten zu seinen Gunsten benutzen konnte. »Das können Sie gern machen. Aber die Ärzte sagen, dass sie nicht sprechen kann, weil ihr Kiefer komplett geschieht werden musste.« Er machte eine bedeutsame Pause, wie wenn er die Schwere von Sophies Verletzungen betonen wollte. »Sie ist wohl mit dem Kopf auf das Lenkrad geschlagen.«

Er nahm sich einen Stift und schrieb etwas auf einen Zettel. »Sehr wahrscheinlich wird Maria Beller sie vertreten. Ich habe Ihnen hier die Adresse aufgeschrieben.« Er reichte ihr den Zettel. »Morgen tagt der Festausschuss und ich werde sie als neue Erstbesetzung vorschlagen.«

Andrea nahm sich den Zettel und steckte ihn ein. Sie spürte, dass es wohl Zeit wäre zu gehen. Sie wünschte dem Baron noch einen guten Tag und gute Besserung für seine Tochter, dann verließ sie das Zimmer. Der Butler stand bereit und führte sie zum Auto.

* * *

Der Baron nahm sich sein Notizheft zur Hand und machte ein paar Eintragungen. Er musste damit rechnen, dass in den nächsten Tagen noch mehr dieser Pressevertreter auftauchen würden. Bei der Bekanntheit seiner Tochter war dies leider abzusehen. Es war wichtig, dass er allen die gleiche Geschichte erzählte, sonst würde seine Intrige auffliegen und dass konnte er jetzt nicht riskieren.

Außerdem hatte es eben ein paar Fragen gegeben, auf die er noch keine Antworten wusste. Das durfte in Zukunft aber nicht mehr passieren, wenn er sein Ziel erreichen wollte.

Der Baron stand auf und ging zum Fenster. Eben stieg die Reporterin ins Auto. Sie hatte wohl noch versucht, den Butler zu befragen. Das konnte sie ruhig machen, denn er wusste nichts.

Er wartete, bis das Auto der Reporterin wieder auf der Straße war und ging erleichtert zu seinem Schreibtisch zurück, immerhin war ihm jetzt wenigstens eine Sorge abgenommen. Er brauchte sich keine Gedanken mehr machen, wie er denn möglichst unauffällig die Presse informieren könne. Dies hatte sich soeben von selbst erledigt. Zum ersten Mal hatte der schlechte Ruf seiner Tochter etwas Gutes bewirkt.

Doch es galt noch Weiteres zu veranlassen, wenn er sein Ziel erreichen wollte. Er musste ein paar einflussreiche Leute von seinen Ideen überzeugen.

Während er aus dem großen Notizbuch ein paar Nummer heraus schrieb, dachte er noch einmal über die Vergangenheit nach. Damals war er auch voller Hoffnung dem Konsortium beigetreten, als sich erste Anzeichen von Sophies Entwicklung zeigten. Er hatte dort viele Freunde gefunden, die mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten und sie hatten sich versprochen, für einander einzustehen, wenn es Probleme geben sollte. Er hoffte, dass er jetzt offene Ohren finden würde.

Ganz unten unter die Liste mit den Telefonnummern setzte er noch eine weitere Nummer, die wichtigste, nämlich die von Frederike Beller, Marias Mutter. Er hoffte, er hätte bis zu dem Anruf genügend Argumente und Fürsprecher gewonnen, um sie zu der Einwilligung bewegen zu können.

Er nahm sich einen zweiten schon vorbereiteten Zettel zur Hand, dort hatte er sich schon einige Argumente und Stichwörter notiert. Er hoffte, dies in Verbindung mit den Beschreibungen zu dem Fest würden reichen.

Er wählte die erste Nummer.

* * *

Frederike Beller war verwundert. Ein Anruf aus Landsbach von Baron Harsumstal? Was würde der wohl wollen? Sie drückte die entsprechende Taste, um den Anruf vom Apparat der Sekretärin zu übernehmen und meldete sich.

»Wie ist das Wetter?« Der Baron war bemüht, sehr freundlich zu klingen.

Frederike blieb misstrauisch. »Regnerisch, aber Sie rufen doch nicht an, um nach dem Wetter zu fragen?«

»Naja, unter alten Freunden kann man doch nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.« Der Baron spürte, dass es wohl nicht einfach werden würde.

Frederike wurde nur sehr ungern an diese Zeit erinnert. »Warum rufen Sie an?«

»Sie sind doch eine alte Landsbacherin und kennen sicher noch das Katerinenfest?« Er sah ein, dass er zum Kern seines Anliegen kommen musste

Da sich Frederike regelmäßig den Landsbacher Boten nachsenden ließ, stand sie noch ein wenig mit ihrer alten Heimat in Kontakt und wusste ungefähr, was so passiert war. »Ja natürlich. Diese Jahr wird es wieder stattfinden. Mit ihrer Tochter als Katerina.« Sie kannte das Fest noch aus ihrer Kindheit und hatte die Mädchen bewundert, die den Handschuh tragen durften. Zudem hatte ihre Erzieherin ihr gestern noch mitgeteilt, dass Maria die Zweibesetzung zugesagt hatte.

»Meine Tochter hatte einen schweren Unfall und liegt mit sehr schweren Verletzungen in der Klinik.« Er begann scheinbar ausführlich von den Verletzungen zu berichten.

Frederike unterbrach ihn. »Und warum erzählt ihr mir das?«

Er lies die Katze aus dem Sack. »Maria hat mir die Vertretung für so einen Fall zugesagt. Doch es gibt Schwierigkeiten mit den Sponsoren.«Er erklärte, dass die beteiligten Firmen ihre Werbeverträge in Gefahr sähen. Die Finanzierung des nächsten Festes wäre ernsthaft in Gefahr.

Frederike verstand die Zusammenhänge immer noch nicht. Sie fragte nach, warum.

Die Bekanntheit seiner Tochter war es. Damit wollten die Firmen später werben dürfen.

Marias Mutter konnte dies nachvollziehen.

»Es wäre doch sehr schade um das schöne Fest und die lange Tradition.« Er hoffte, ihr Heimatgefühl zu treffen.

So langsam wollte Marias Mutter wissen, worauf der Baron hinaus wollte. Sie fragte danach.

»Meine Tochter wollte ja die Originalhaltung tragen.« Er hoffte, das Frederike sich von seinem kumpelhaften Versuch täuschen ließ. »Aber da habe ich ja auch nicht dran geglaubt. Aber ihre Tochter würde das bestimmt zustande bringen.«

Frederike versuchte sich daran zu erinnern, was denn die Originalhaltung war. Nach kurzem Nachdenken fiel es ihr wieder ein, weil sie damals extra mal eine Zeichnung dafür angefertigt hatte. »Wissen Sie, was Sie da von meiner Tochter verlangen?«

Das wollte der Baron nicht hören. »Sicher, es wird nicht einfach. Doch wenn Maria das Gebet schaffen sollte, dann wäre das die Sensation und die Sponsoren wären sicher mehr als zufrieden mit dem Ersatz.«

»Aber wie soll Maria das denn lernen?« Frederike hatte noch nicht begriffen, was der Baron von ihr wollte.

»Mit einer Änderung von Ihrem Programm müsste das doch eine Kleinigkeit sein.« Der Baron war für die Vorlage dankbar.

Frederike fühlte sich geschmeichelt, erst später erkannte sie, dass sie hier dem Baron auf den Leim gegangen war.

»Ungefähr ein Viertel der Werbeeinnahmen wird die Darstellerin der Katerina bekommen, so ist es festgelegt. Das würde dann alles Maria zustehen.«

Marias Mutter überlegte noch. Sie musste zugeben, dass der Gedanke, Maria könnte das Gebet auf dem Rücken tragen, sie auch reizte. Es war zwar ihre eigene Tochter, der sie das zumutete, aber Maria könnte diese komplizierte Haltung wirklich schaffen. In Gedanken machte sie schon Pläne, was Maria bis dahin noch lernen musste und an welchen Maschinen sie üben würde.

»Und für ihre berufliche Laufbahn kann das Fest auch nur von Nutzen sein.« Der Baron spürte insgeheim, das er gewonnen hatte.

* * *

Frederike Beller nahm sich einen Block zur Hand und machte sich Notizen. Sie bat bei den beiden Orthopäden um einen Termin für eine Besprechung und forderte zudem Marias letzte Röntgenbilder an.

Dann ging sie ging zum Tresor und nahm ein kleines Notizbuch heraus. Es standen nur einige Telefonnummern darin, das wusste sie. Aber die Eigentümer dieser Geheimnummer wollten auf keinen Fall, das eine Verbindung zu ihnen hergestellt werden konnte und deswegen achtete Frederike peinlichst darauf, mit diesen Nummern sorgsam umzugehen.

Sie blätterte kurz dann hatte sie die Nummer gefunden, die sie suchte. Ihr Gegenüber meldete sich nur mit »Ja?«. Sie nannte ihren Namen. Ihr Gegenüber schien sofort Bescheid zu wissen. »Wie geht es denn unserem Schützling?«

Marias Mutter war froh, dass sie nur Gutes über ihre Tochter berichten konnte. Besonders hob sie hervor, das sie jetzt endlich einen Freund gefunden hatte.

Ihr Gegenüber dankte ihr für die gute Arbeit.

Frederike holte tief Lust, dann berichtete sie über die neue Aufgabe, die anstehen würde und die bisher überhaupt nicht eingeplant war.

Ihren Gegenüber schien dies nicht zu überraschen. »Das haben wir schon diskutiert und wir würden es befürworten, wenn ihr Schützling das Gebet schaffen würde.«

Frederike war sprachlos. Sie hatte angenommen, das sie den Wunsch des Baron hier verteidigen müsste. Doch es war nicht nötig.

Auch beim nächsten Gesprächspartner stieß sie mit der Mitteilung zum Gebet auf offene Ohren. Und selbst als sie die finanzielle Seite klären wollte, wurden ihr zusätzliche Mittel für diese Ausbildungsänderung bereitgestellt.

Sie brachte das so wichtige Notizbuch wieder zurück in den Tresor, schloss die Tür und ging zum Fenster. Es fing an dunkel zu werden. Ob es wirklich das richtige war? Immerhin war es ihre Tochter. Doch dann musste sie sich eingestehen, dass ihre Skrupel wohl etwas zu spät kamen.

Sie fragte sich, was Maria in diesem Moment wohl machen würde. Sie schaute auf die Uhr. In Europa war noch tiefe Nacht und Maria schlief hoffentlich tief und fest. Sie ahnte sicher noch nichts von der großen Aufgabe, die auf sie wartete.

* * *

Gestern hatte Andrea vom Baron erfahren, das die Baroness einen schweren Autounfall hatte. Sie hatte beim Krankenhaus um einen Termin für ein Interview gebeten und zu ihrem Erstaunen schon für heute bekommen. Dies kam ihr zwar etwas komisch vor, aber warum sollte nicht auch mal eine junge unerfahrene Reporterin Glück haben. Sie freute sich. Denn normalerweise wurde die Presse mit Fußtritten aus dem Krankenhaus gejagt. Besonders wenn es um Prominente ging. Doch bei Sophie schien es anders zu sein.

Mit einem frischen Band im Diktiergerät machte sie sich auf den Weg zum Krankenhaus. Eigentlich hatte sie sich hatte darauf eingestellt, am Telefon Fragen zu stellen. Doch zu ihrer Überraschung sollte sie heute sogar einen Termin bei Chefarzt persönlich bekommen. Und sie würde auch bei Sophie im Krankenzimmer vorbei schauen. Nur ein Interview der Baroness sei aus medizinischen Gründen nicht möglich. Andrea war sehr zuversichtlich.

* * *

Auf die Presse war der Chefarzt überhaupt nicht gut zu sprechen. Sie brachten ständig nur Unruhe in den Klinik-Alltag und schrieben dann doch nur Mist. Doch in diesem speziellen Fall kam ihm die neugierige Reporterin genau recht. Er hoffte, dass er überzeugend genug sein würde. Je mehr Leute glaubten, dass die Baroness tatsächlich so schwer verletzt sei, desto besser.

Er hatte sich extra Zeit für die Reporterin genommen und bot sie zunächst in sein Büro. Er erzählte von dem Unfall und seinen schlimmen Folgen. »Sie hat vermutlich versucht, sich mit den Händen abzustürzen, ist dann aber auch noch mit dem Kopf auf das Lenkrad aufgeschlagen.«

Er machte eine wichtige Pause und ließ Andrea so Zeit, sich die möglichen Verletzungen auszumalen.

»Sie hat fast überall Knochenbrüche, deswegen mussten wir sie fast komplett eingipsen.«

Andrea machte sich eifrig Notizen.

»Auch ihren Kopf mussten wir komplett eingipsen, weil ihr Kiefer mehrfach gebrochen ist. Sie wird durch einen Schlauch ernährt.«

Andrea stellte fest, dass sie neben der »gesellschaftlichen Schadenfreude« durchaus so etwas wie Mitleid mit Sophie hatte.

»Getrunken hatte sie auch. Wir haben fast zwei Promille festgestellt.« Der Chefarzt war sich nach wie vor nicht sicher, wie überzeugend er wohl war. Er hoffte, das die Reporterin ihm die Geschichte abnehmen würde.

Zum Glück wollte Andrea nichts weiter wissen. »Kann man sie besuchen?«

»Wir können gern mal in ihr Zimmer gehen. Aber sie dürfte von der langen Operation noch müde sein.«

Er wollte die Reporterin auf keinen Fall mit Sohpie alleine lassen, denn es hätte ja sein können, das die Baroness wider erwarten doch ein Mittel zur Kommunikation finden würde.

Sie traten in das Zimmer ein und Andrea war trotz der Ankündigungen des Arztes entsetzt. Auf dem Bett war von Sophie wirklich nichts zu sehen, sondern nur ein dicker Gipspanzer mit Armen und Beinen. Nur zwei Augen blickten aus den dafür vorgesehenen Löchern. Andrea hatte trotz ihrer sonstigen Vorurteile Mitleid mit Sophie. Sie bekam eine Gänsehaut.

Der Arzt wollte es noch mal erklären. »Wir mussten sie komplett eingipsen, um sie ruhig zu stellen und ihre vielen Knochenbrüche zu heilen zu lassen.«

Auf einmal viel ihm siedend heiß ein, das es gar keine Röntgenbilder von Sophie gab. Er hoffte sehr, dass Andrea ihn nicht danach fragen würde. In Gedanken notierte er, das er das Problem lösen musste

Doch Andrea hatte genug gesehen und wollte nur noch raus. Denn sie fühlte sich schuldig wegen ihrer Vorurteile und ertrug es nicht, hier neben der so erbarmungswürdigen Sophie stehen zu müssen.

Sie bat den Arzt, vor die Tür gehen zu dürfen.

Der Arzt folgte ihr.

»Und wann wird Sophie wieder gesund sein?« Diese Frage wollte sie noch beantwortet haben.

Der Arzt versuchte sich an die Absprachen zu erinnern. »In einem halben Jahr können wir ihr wohl erlauben, wieder mit dem Gehen zu beginnen.«

Andrea war mit der Antwort zufrieden. Sie verabschiedete sich von dem Arzt und verließ das Krankenhaus.

* * *

Mrs. Potter hatte das Mittagessen vorbereitet und räumte gerade etwas die Küche auf, als das Telefon klingelte. Sie ging ran und meldete sich. Ihre Auftraggeberin war dran und sagte, dass es wichtig sei. Deswegen verzichteten beide auf den sonst üblichen Smalltalk.

»Kennen Sie das Katerinenfest?« Marias Mutter klang recht freundlich, aber trotzdem bestimmt.

Mrs. Potter berichtete kurz vom Nachmittag bei Pauls Oma, die sich mit dem Fest gut aus kannte.

Frederike Beller war zufrieden. »Das ist gut. Maria wird an dem Fest die Katerina spielen. Ich möchte, das sie alles veranlassen und gewähren, um Maria dies zu ermöglichen.«

Mrs. Potter verstand noch nicht. »Aber sollte dies nicht die Baroness machen?«

Marias Mutter war verwundert, dass diese Nachricht sich noch nicht verbreitet hatte. »Sophie hatte einen schweren Autounfall und fällt deswegen aus.«

Jetzt fiel auch der Erzieherin die Anfrage des Barons vom Sonntag wieder ein. Sie erzählte von der Zusammenkunft mit dem Baron.

Frederike war bemüht, ihre Stimme sanft klingen zu lassen. »Bitte lassen sie ihre Gefühle gegenüber den Harsumstals ruhen. Ich wünsche eine harmonische und effektive Festvorbereitung.«

Mrs. Potter fühlte sich ertappt. Sie versprach eine gute Zusammenarbeit.

»Es soll bitte noch keiner erfahren«, die Stimme der Auftraggeberin klang geheimnisvoll, »aber Maria soll auf dem Fest die Originalhaltung tragen. Das Konsortium würde es sehr begrüßen, wenn meine Tochter dieses schaffen würde.«

Mrs. Potter war sprachlos. »Weiß sie das schon?«

»Ich werde versuchen, es ihr schonend beizubringen.« Im Moment hatte sich die Stimme der Mutter gegenüber der der Wissenschaftlerin durchgesetzt. »Sie wird das in den Ferien bei mir trainieren. Aber Sie können es ihr in einem geeigneten Moment ruhig schon sagen.«

»Darf Paul es auch wissen?« Mrs Potter musste sofort an Marias neuen Freund denken.

Frau Beller schien einen Moment nachzudenken. »Er darf es wissen. Sonst versuchen sie bitte es geheim zu halten. Ich werde alles notwendige veranlassen.« Sie machte eine kleine Pause. »Bitte seien sie in Bezug auf Maria ab jetzt sehr flexibel. Das Fest ist sehr wichtig und es sind alle damit einverstanden, dass Marias Programm im Notfall solange ausgesetzt wird. Dies dürfen sie selbst entscheiden.«

Mrs. Potter fragte nach Prioritäten.

»Es wird für das Fest viel Vorbereitungen geben, Tanzstunden, Unterricht und Benimm, sowie Sprachunterricht. Maria sollte es möglich sein, an allen Veranstaltungen teil zu nehmen.«

Mrs. Potter versprach, dies ihrem Schützling möglich zu machen.

* * *

Paul war sehr zufrieden. Wieder hatte Maria die Mathematikaufgabe selbstständig gelöst. Er lobte sie.

Maria freute sich sichtlich über das Lob. Doch auf einmal glitt ein Schatten über ihr Gesicht. Paul sah dies zwar, aber er verstand zunächst nicht, was seiner Freundin die Stimmung trübte.

Doch dann hörte auch er die deutlichen Schritte von Marias Erzieherin auf der Treppe. Er spürte, wie ein wenig von Marias guter Laune verschwand.

Mit bewusst sanften Schritte betrat Mrs. Potter das Zimmer und genauso sanft klang ihre Stimme, als sie Maria an ihre Probe erinnerte.

Paul nahm an, das Mrs. Potter Maria wieder selbst zur Probe bringen würde und deswegen wollte er sich verabschieden, als sie beide von Marias Erzieherin überrascht wurde. Sie wandte sich an Paul: »Möchtest Du Maria zur Probe begleiten?«

Paul blickte kurz zu Maria und sah, dass diese von der Aussicht genauso erfreut war. Er sagte gern zu.

Maria begann ihre Sachen zusammen zu packen. Die Flöte, auf der sie vorhin noch geübt hatte, packte sie in den Kasten und letzteren in ihre Tasche, in der schon der Notenständer und die Noten waren. Dann blickte sie fragend zu ihrer Erzieherin, die ihr Cape schon bereit hielt.

»Wie wollt ihr das Cape tragen?« fragte Mrs. Potter mit sehr liebevoller Stimme.

Maria war von der Frage ihrer Erzieherin anscheinend genauso überrascht wie Paul. Sie blickte zwischen Paul und Mrs. Potter hin und her und fast meinte Paul, bei Maria ein Leuchten im Gesicht zu sehen. Doch dann schien sie sich zu besinnen. »Ganz normal« Ihre Stimme klang leise und unsicher.

Paul war überrascht, das Maria hier eine Wahlmöglichkeit zu haben schien. Doch noch größer wurde seine Überraschung, als Mrs. Potter auf einmal auf ihn zu kam. Sie griff in die Tasche und reichte Paul ein kleines Schlüsselbund. Ihre Stimme klang feierlich. »Paul, Du sollst jetzt ein eigenes Schlüsselbund für Maria bekommen.« Sie zeigte ihm einen der Schlüssel. »Dieser hier ist für das Cape« Sie nahm einen anderen Schlüssel in die Hand. »Und dieser passt in die meistens der Vorhängeschlösser.«

Paul wusste überhaupt nicht, was er sagen sollte. Sein Blick ging hilflos zwischen Maria und Mrs. Potter hin und her. Schließlich brachte er ein leises »Danke« über die Lippen. Ein vorsichtiger Blick zu Maria zeigte ihm, dass diese von diesem Geschenk auch eher überrascht war.

Anschließend reichte sie ihm das Cape und bat ihn, Maria dabei zu helfen. Er kam dieser Bitte mit zitternden Händen nach.

Nachdem Paul den Reißverschluss zugezogen hatte, bekam er von Maria einen Kuss »Danke!«

Doch beide wussten noch nicht so recht, wie sie mit der neuen Situation umzugehen hatten.

* * *

Es war Petra, eine der anderen Flötistinnen, die die Neuigkeit mit zur Probe mitbrachte. »Wisst ihr, wer heute einen Unfall hatte und bei uns eingeliefert wurde.«

Die anderen Musiker blickten Petra erstaunt an. Sie arbeitete im Unfallkrankenhaus, doch es war ungewöhnlich, dass sie etwas aus der Arbeit berichtete.

»Unsere liebe Baroness.« Sie verdrehte etwas die Augen. Dabei strahlte die Schadenfreude über das gesamte Gesicht.

»Und wisst ihr, was die beste Nachricht ist?« Sie blickte mit einem breiten Grinsen in die Runde.

Die anderen Musiker blickten sie neugierig an.

»Sie muss wegen der vielen Verletzungen mindestens ein halbes Jahr in der Klinik bleiben und kann deswegen an dem Fest nicht teilnehmen.«

Die Nachricht freute alle. Die Baroness mochte keiner und alle hatten erwartet, dass sie das Fest ruinieren würde.

Jemand fragte, wer denn nun die Katerina spielen würde. Es herrschte Ratlosigkeit trotz der guten Stimmung. Paul hatte eine Ahnung, traute sich aber nichts zu sagen.

Der Bassist überlegte. »Meine Frau ist im Festausschuss und der tagt im Moment nebenan. Wir werden es bald erfahren.«

Fritz wollte zwar nicht die gute Stimmung verderben, aber er erinnerte daran, dass sie ja eigentlich proben wollten. Er sagte das erste Stück an.

* * *

Baron von Harsumstal lehnte sich zurück und blickte noch einmal auf die schon anwesenden Personen. Sie waren bisher fast alle seiner Einladung gefolgt, obwohl er noch keine der brisanten Neuigkeiten bekannt gegeben hatte. Nur die Betreuerin der Hauptdarsteller fehlte noch.

Er fragte sich, wie sie wohl auf die neue Situation reagieren würden. Er schaute in die Runde und versuchte die einzelnen Personen zu taxieren.

Da war sein Vertreter Robert, ein eher konservativer Mann, dem hier im Ort eines der Einzelhandelsgeschäfte gehörte. Er war mit der Entwicklung von Sophie nie einverstanden gewesen und es würde ein leichtes sein, ihn für Maria zu gewinnen.

Der Baron nahm sich vor, auf dieser Versammlung und auf der von Morgen noch nichts von dem »Gebet auf dem Rücken« zu sagen, es würde seinen Plan nur gefährden, wenn es zu früh bekannt werden würde.

Er ließ seinen Blick noch einmal schweifen und blickte zum Protokollführer. Dieser war auch ein Geschäftsmann, der ein Bauunternehmen leitete. Auch ihm war an einem reibungslosen Festverlauf gelegen und er würde sicher auch keinen Ärger machen.

Dann blieb noch der Kassenwart, bei ihm war sich der Baron nicht sicher. Er war einer der Direktoren der Sparkasse und diese hatte sich viel davon versprochen, wenn sie mit Sophie werben konnten. Hier wäre Maria sicher kein passabler Ersatz. Der Baron musste sich darauf einstellen, von dieser Seite Gegenwind zu bekommen. Andererseits, so wollte er argumentieren, würde das Fest mit Maria sicher auch ein Erfolg werden.

Die einzige Frau in der Runde erschien. Ihr oblag die Betreuung der Hauptdarsteller und auch ihr war sicher sehr daran gelegen, nicht mit Sophie zusammen arbeiten zu müssen.

»Ich freue mich, dass ihr alle hergekommen seid.« Der Baron war bemüht, einen Ton der Harmonie entstehen zu lassen.

Nachdem er die Beschlussfähigkeit festgestellt hatte, präsentierte er die heutige Tagesordnung. »Es wird Euch sicher aufgefallen sein, das mit dem heutigen Tag große Änderungen anstehen.« Er bemühte sich, jetzt etwas mitleiderregend zu klingen. »Meine Tochter hatte einen schweren Autounfall und kann an dem Fest nicht teilnehmen. Deswegen müssen wir den Ablauf für das Fest und die Vorbereitung noch einmal neu planen.«

Robert fragte nach, ob der Baron denn schon eine Zweitbesetzung für die Rolle der Katerina ausgesucht hatte.

»Das möchte ich ja mit Euch besprechen.« Der Baron versuchte den besorgten Vater zu geben. »Ich hatte am Sonntag Maria Beller gefragt, ob sie das übernehmen könnte. Sie hat zugesagt.«

In der Runde war ein deutliches Aufatmen zu vernehmen.

Doch der Kassenwart hatte mit dem Ausfall von Sophie so seine Probleme. »Und es ist ausgeschlossen, dass Sophie es nicht vielleicht doch machen kann?« Er kramte in seinen Unterlagen. »Wir haben da ein paar wichtige Sponsorenverträge, die ausdrücklich Sophie verlangen.«

Insgeheim hatte der Baron mit solchen Einwänden gerechnet. »Er nahm eine Mappe zur Hand und reichte sie dem Direktor der Sparkasse. »Hier sind die Berichte der Polizei und des Krankenhauses.«

Der Kassenwart begann die Berichte zu lesen.

* * *

Maria setzte ihre Flöte ab und blickte fast etwas abwesend auf ihre Noten. Sie hatte eben zum dritten Mal ihren Einsatz verpasst.

So nach und nach hörten auch die anderen Gruppenmitglieder mit dem Spielen auf. Fritz wurde schon langsam etwas unruhig. »Maria, was ist denn heute los?«

Alle in der Runde sahen, dass Maria auf einmal einen recht verwirrten und unkonzentrierten Eindruck machte.

Pauls Freundin blickte auf die anderen und entschuldigte sich. »Verzeiht mir, ich bin heute etwas unkonzentriert.«

»Du gefällst mir heute gar nicht.« Carla war wie immer recht aufmerksam. »Fehlt Dir was?«

Maria Blick war fast etwas abwesend. Sie blickte verwundert in die Runde. Ihre Stimme klang leise. »Ich glaube, ich bin die neue Katerina.«

* * *

Der Kassenwart blickte auf und sah den Baron zweifelnd an. Doch dann klappte er die Mappe zu und reichte sie weiter. »Wer ist denn die Neue? Hat sie wenigstens Format?«

Insgeheim hatte der Baron mit dieser Frage gerechnet und er brachte die Argumente vor, die er sich zurecht gelegt hatte. Am Ende seiner Worte waren alle am Tisch zuversichtlich, dass das Fest mit Maria vielleicht doch ein Erfolg werden könnte.

Er blickte in die Runde und spürte, dass er es vermutlich geschafft hatte. Selbst der Kassenwart hatte versprochen, noch einmal mit den Sponsoren zu reden und auf die veränderte Situation aufmerksam zu machen.

»Da wäre noch die Ausbildung der Katerina.« Der Baron nahm eine andere Liste zur Hand. Er warf einen Blick darauf und wandte sich an seinen Robert, der sich um alle Belange rund um die Ausbildung der Katerina zu kümmern hatte. Er hatte den Kontakt zu den verschiedenen Lehrern und machte die Termine aus. »An welchen Terminen hat meine Tochter bisher teilgenommen?« Der Baron wusste, dass er sich die Frage eigentlich hätte sparen können, doch der Form halber musste er sie stellen.

Sein Vertreter seufzte. Auch er nahm eine Liste zur Hand, doch auch er musste nicht darauf blicken, um die Antwort geben zu können. »Keinen einzigen.«

Für einen Moment ließ der Baron seine wahren Gefühle durchblicken. »Das hätte mich auch gewundert.« murmelte er leise. Dann hatte er sich wieder unter Kontrolle und ging zu der Tafel, auf der er eine kleine Skizze gemalt hatte. Sie zeigte den zeitlichen Verlauf bis zum Fest und deutlich sichtbar war ein Zeitraum von drei Wochen, der mit USA beschriftet war.

Er nahm einen Stift und begann die Skizze zu erklären. »Maria wird in den Sommerferien drei Wochen in den USA sein zu einer wichtigen medizinischen Untersuchung. Dies ist seit längerem geplant und kann nicht verschoben werden.« Er zeigte den Bereich auf der Tafel, als wollte er damit die Wichtigkeit betonen.

»Das bedeutet«, so sprach er weiter, »das wir die Ausbildung der Katerina auf die restliche Zeit zusammenfassen müssen.« Er blickte auf seinen Verteter, der die Termine ausmachte. »Könnten sie das koordinieren?«

Robert stöhnte. »Das wird nicht einfach. Es sind allein zehn Tanzstunden, vier Sprachstunden und einiger theoretischer Unterricht.«

Insgeheim hatte der Baron sich schon überlegt, wie er auf die verschiedenen Einwände reagieren würde. »Dann sorgen sie dafür, dass mehrere Termine an einem Tag stattfinden.«

Sein Vertreter versprach es.

Die Betreuerin des Prinzenpaares fragte, wer denn dann die Rolle des Prinzen übernehmen sollte.

An dieser Stelle merkte der Baron, dass er etwas wichtiges vergessen hatte. Die Rolle des Herzogssohns. Er versuchte Zeit zu gewinnen und blätterte etwas in seinen Unterlagen. Doch er fand keine wirklich befriedigende Antwort. »Mein Neffe wird den Herrzogssohn spielen. So wie bisher geplant.«

Der Baron ging wieder zum Tisch und nahm platz. »Ich habe für morgen Abend eine große Sitzung angesetzt, bei der auch die Sponsoren und das Prinzenpaar anwesend sein werden. Dort werden wir die neue Katerina vorstellen.«

Er wandte sich an Robert. »Könnten sie es schaffen, bis Morgen Abend einen groben Ausbildungsplan auszuarbeiten und die Termine dafür abzustimmen?«

Als der Baron das entsetzte Gesicht des zweiten Vorsitzenden sah, fügte er ein »Es wäre sehr wichtig« hinzu.

Schließlich kam ein »Ich will es versuchen.«

* * *

Fritz realisierte als erster, was Maria gerade gesagt hatte. Doch auch er war sich nicht sicher, ob er es richtig verstanden hatte. »Bist Du Dir da sicher?«

Maria legte ihre Flöte aus der Hand und blickte ihre Musiker nachdenklich an. »Der Baron war am Sonntag bei uns und hat 'sie' gefragt.« In der Runde wussten alle, das Maria ihre Erzieherin meinte. »Und wir haben zugesagt, das ich einspringe, wenn der Baroness etwas zustoßen sollte.«

Carla legte ihren Arm auf Marias Schulter. »Du wirst eine wesentlich bessere Katerina geben. Ach Kinder, das wäre zu schön.«

Auch die anderen Musiker im Raum brachten ihre Freude und vor allem auch ihre Erleichterung zum Ausdruck. Das Fest fand immerhin nur alle sieben Jahre statt und es wäre schon sehr schade gewesen, wenn es diesmal von der Baroness ruiniert worden wäre.

Die allgemeine Freude steckte Maria an. »Ich freue mich auch.« Doch dann wurde sie nachdenklich. »Seltsam, der Baron war noch so zuversichtlich, dass seine Tochter es schaffen würde.«

Fritz blickte stolz auf Maria. »Denk nicht mehr an sie.« Er blickte kurz zu seiner Frau. »Du gibst der Rolle viel mehr Würde und du wirst eine gute Katerina sein.« Doch dann glitt ein kleiner Schatten durch sein Gesicht. Er blickte auf einmal etwas ernster. »Aber du wirst uns fehlen.«

Maria hatte den Stimmungsumschwung in seiner Stimme bemerkt, doch sie verstand nicht, was er meinte. Sie blickte ihn fragend an.

Er lächelte. »Naja, wenn Du als Katerina die Ketten oder den Handschuh trägst, kannst Du ja schlecht bei uns mitspielen.«

Erst jetzt begriff Maria und deswegen war sie auch ein klein wenig enttäuscht. Sie hatte sich sehr auf die Auftritte auf dem Fest gefreut und vor allem auf die Aussicht, bei den Auftritten die erste Stimme spielen zu dürfen.

Fritz, der immer sehr einfühlsam war, ahnte, was Maria in diesem Moment dachte, tröstete sie. »Freue Dich auf deine Rolle. Und die erste Stimme kannst Du ja trotzdem üben.«

Karin wurde etwas skeptisch. »Wenn Du überhaupt noch Zeit findest, zu den Proben zu kommen.« Sie erzählte, dass Kerstin als Katerina fast jeden Abend unterwegs war.

Marias Augen begannen zu leuchten. Sie blickte sich zu Paul um, der wieder mit zu Probe gekommen war. Sie lächelte. Diesmal war er nicht eingeschlafen.

* * *

Das Telefon klingelte. Missmutig nahm Franz-Ferdinand den Hörer ab. »Freiherr von Schleihthaal, bitte?«

Wenn er als Jura-Student auch sonst wenig von seinem Adelstitel hatte, konnte er ihn doch immerhin dafür nutzen, um sich am Telefon beeindruckend zu melden. Meistens waren es ohnehin nur seine Mitstudentinnen, die ein Rendezvous mit ihm haben wollten. Doch danach verlangte es Franz-Ferdinand nur selten.

Die Stimme am anderen Ende kannte er. »Ach du bist es, Onkel Friedrich.« Er begrüßte den Baron ungern mit dem Titel, der ihm zugestanden hätte, denn vom Adelsrang gesehen stand sein Onkel Baron Harsumstal weit über ihm. Und das wurmte ihn oft.

»Wie Du sicher schon weißt,« Der Baron wusste, dass er es noch nicht wissen konnte, »hatte Deine Cousine einen schweren Unfall und fällt somit für das Fest aus.«

Das Schicksal seiner Cousine war Franz-Ferdinand eigentlich gleichgültig, aber ihren aktuellen Lebenswandel lehnte auch er ab.

»Das bedeutet, dass Du als 'Herzogssohn' mit einer anderen Darstellerin vorlieb nehmen musst«

Franz-Ferdinand fragte sich, wenn aus seiner Familie der Baron wohl ausgewählt hatte. Er brummte ein »Ja?«

»Du wirst mit Maria Beller das Fest spielen?«

Auf einmal war der Neffe hellhörig. »Was? Wer ist das? Doch nicht etwa eine bürgerliche?«

»Ich möchte Dich einladen, morgen Abend ist eine Festsitzung außer der Reihe. Ich würde Euch beide gern vorstellen.«

Franz-Ferdinand war verärgert. Was fiel seinem Onkel ein, einfach so über seine Zeit zu verfügen. »Da kann ich nicht. Wir müssen das letzte Examen von Ludwig besprechen.« Eigentlich wollte er 'begießen' sagen, aber im letzten Moment konnte er sich noch beherrschen. Allerdings ahnte er, dass sein Onkel genau wusste, was dieses Besprechen wirklich war.

Der Baron stöhnte und geriet langsam in Sorge. Er konnte es nicht zulassen, dass jetzt ausgerechnet sein Neffe ihm einen Strich durch die Rechnung machen würde. »Dann schau sie Dir wenigstens mal an. Ich möchte, dass ihr das Fest zusammen spielen sollt.«

Der Neffe rang sich ein »Mal sehen« heraus, dann legte er auf.

Der Baron machte ein sorgenvolles Gesicht und ärgerte sich. Warum hatte er bloß die Rolle des Herzogssohns nicht bedacht. Sein so mühsam gezimmerter Plan könnte ins Wanken kommen und das musste er unbedingt verhindern.

* * *

Jetzt wo er offiziell Schlüssel für Maria bekommen hatte, fiel Paul der Umgang mit Marias Cape etwas leichter. Er holte es von dem Haken, wo er es vor der Probe aufgehängt hatte und trat zu Maria. Er breitete das Cape aus und hielt es Maria so hin, das sie leicht hinein kommen könnte. Dabei fragte er sich, ob Maria wohl wieder die Ärmel in dem Cape benutzen würde. Er ahnte, dass Maria wohl ziemlich hilflos war, wenn ihre Arme so festgehalten wurden. Er blickte Maria fragend an.

Doch Maria war noch so in Gedanken, dass sie gar nicht auf Paul achtete. Sie steckte fast automatisch ihre Arme in die bereitgehaltenen Ärmel.

Paul war schon etwas verwundert, denn er hatte insgeheim damit gerechnet, dass Maria heute die Bewegungsfreiheit ihrer Arme bevorzugen würde. Doch um ihre Stimmung nicht zu stören, ließ er sich viel Zeit und schloss ihr Cape bewusst sehr langsam. Denn es war ihm bewusst, dass es den anderen Musikern vielleicht auffallen würde, dass Maria ihnen jetzt nicht mehr die Hand reichen konnte. Andererseits, so sagte er sich, sie wären bestimmt die eine oder andere Besonderheit von Maria gewöhnt.

Erst als Paul sehr langsam den Kragenriegel zusammen schob und es leise »Klick« machte, schien Maria zu erwachen. Erst jetzt versuchte sie ihre Arme zu bewegen und stellte natürlich fest, das sie dieses nicht mehr machen konnte. Sie blickte Paul etwas erschrocken an. »Ich wollte die Ärmel gar nicht nutzen.«

Paul sah recht fasziniert, wie Maria ihren verbliebenen Freiraum auslotete. Doch dann vertrieb er seine egoistischen Gedanken und begann zu überlegen. Er tastete nach seinem neuen Schlüsselbund und fragte Maria, ob er Maria das Cape wieder öffnen sollte.

Maria hielt auf einmal in ihren Bewegungen inne. Sie schien zu überlegen. Auf einmal sah Paul, wie sie ihre Arme bewusst langsam in ihren Gefängnissen zu bewegen schien. Ihre Augen glänzten. »Nein, lass nur, dass ist ja ganz bequem so.« Und um Paul zu beruhigen, küsste sie ihn kurz auf die Wange.

Paul blickte sehr fasziniert auf Maria und ihre sehr stolze Haltung.

»Maria, hast Du noch einen Moment Zeit?« die Stimme von Karin klang etwas hektisch, als sie eilig auf Maria zu kam.

Paul bekam einen Schreck, denn er wusste nicht, ob die anderen Musiker über Marias besonderes Cape Bescheid wussten oder ob Maria ihren Zustand geheim halten wollte.

Maria drehte sich langsam zu Karin hin und blickte sie etwas unsicher an.

Doch zum Glück schien Karin die Besonderheit des Cape nicht wahrzunehmen. Oder sie hatte sich längst dran gewöhnt. Paul wusste es nicht.

»Wenn Du möchtest, dann kann ich Kerstin fragen, ob sie Dich mal besuchen kommt.« Der Blick von Karin hatte in diesem Moment etwas träumerisches. »Sie war damals eine tolle Katerina und wird Dir sicher sehr viel Tipps geben können.«

Maria nahm das Angebot dankbar an. »Sie soll mal kurz anrufen, dann können wir einen Termin ausmachen.«

Karin wünschte Paul und Maria noch einen schönen Abend, dann drehte sie sich um und ging zu ihrer Tasche zurück.

Paul nahm unbewusst Maria in den Arm und flüsterte ein »Ich hatte schon Angst, sie hätte was gemerkt«

Maria blickte ihn an und lächelte. »Mach Dir keine Sorgen, die anderen wissen fast alle Bescheid.«

Auf der einen Seite fand Paul es beruhigend, andererseits hätte er auch gern mehr über Marias Geheimnis gewusst.

* * *

Sie gingen langsam auf die Straße. Paul hatte Maria zärtlich und sehr vorsichtig in den Arm genommen. Er versuchte sensibel darauf zu achten, ob Maria mit dieser Umarmung einverstanden war. Doch da er keinerlei Anspannung spürte und sich Maria sogar etwas an ihn schmiegte, schien alles in Ordnung zu sein.

Nach einiger Zeit blieb Maria stehen und ein Leuchten war in ihrem Gesicht zu sehen. Sie schluckte. »Paul, ich würde Deine Oma gern noch mal etwas fragen. Meinst Du, sie hätte mal Zeit für mich?«

»Oh, wir können kurz bei uns vorbei gehen, um diese Zeit ist sie immer noch auf.« Auch wenn Paul nicht wusste, was Maria wohl von seiner Oma wissen wollte, freute ihn diese Anfrage sehr.

Maria wollte abwiegeln. »Oh, um diese Zeit mag ich aber nicht mehr stören.«

»Du störst nicht.« Jetzt spürte Paul eine Spannung in Marias Körper, doch er wusste, wie er damit umzugehen hatte. »Wir gehen jetzt einfach zu ihr. Sie freut sich sicher über Deinen Besuch.«

In Maria kämpften ihr sehnsüchtiger Wunsch, noch einmal einen Blick auf die Zeichnung mit dem »Gebet auf dem Rücken« mit ihrer guten Erziehung und dem Wissen, dass es wohl eher unhöflich war, um diese Zeit noch fremde Leute zu besuchen.

Doch beim Weitergehen spürte Maria eine immer stärker werdende Dominanz von Paul. Er ließ ihr einfach keine Wahl mehr, sondern schob sie sanft voran. Besonders deutlich wurde dies an der Kreuzung, wo sie zu Pauls Haus abbiegen mussten So langsam begriff Maria, dass sie sich in diesem Moment Paul unterzuordnen hatte. Auf einmal kribbelte es in ihrem Bauch.

Paul fiel auf, dass die Anspannung ihres Körpers wieder nachgelassen hatte.

* * *

Zu Marias Erleichterung war Pauls Oma tatsächlich noch wach. Sie saß auf der Bank vor dem Haus und strickte an einem Pullover. Als sie die beiden kommen sah, stand sie auf, legte ihr Strickzeug weg und kam ans Gartentor. »Das ist schön, dass Du Maria mitbringst.«

Beiden begrüßten Pauls Oma artig und fast etwas übertrieben höflich.

Selma lächelte. »Was führt Dich zu mir?« Sie blickte fragend auf Maria. Irgendwie wusste Selma, dass Maria nicht so einfach von ihrem Weg abweichen würde. Es musste einen Grund für diesen Besuch geben.

Marias Stimme war sehr leise. »Ich hätte da eine Frage.«

Selma lächelte hintergründig. »Gern, kommt nur herein.«

Sie öffnete die Haustür und bat die beiden herein. Dabei warf sie einen sehr interessierten Blick auf Marias Cape. Fast schien es, als würde sie durch das Cape auf Marias gefangene Arme blicken wollen.

Maria blickte Paul auf einmal etwas sorgenvoll an. »Ich muss 'sie' anrufen, dass ich später komme.« Paul wusste sofort, wer gemeint war. Er zeigte Maria das Telefon.

Es war deutlich zu sehen, dass Maria in alter Gewohnheit das Cape hoch heben wollte. Doch sie musste sofort feststellen, dass sie in dem Cape gefangen war. Sie lächelte in sich hinein und blickte Paul fragend an. »Könntest Du für mich anrufen?« Sie nannte ihm die Nummer.

Paul musste erst einmal schlucken, denn er hatte immer noch großen Respekt vor Marias Erzieherin. Doch er wollte Marias Bitte auf jeden Fall nachkommen. Mit etwas zitternder Hand wählte er die Nummer und wartet.

»Mrs. Potter.« hörte er die Stimme aus dem Hörer.

»Hier ist Paul,« in diesem Moment fiel ihm ein, dass er vielleicht auch seinen Nachnamen nennen sollte. »Paul Mohr. Ich soll von Maria ausrichten, dass sie später kommt.«

»Warum kommt sie später?« Ihre Stimme klang streng und Pauls Herz rutschte noch weiter die Hose herunter.

Er musste sich räuspern, bevor er weiter sprechen konnte. »Wir sind bei meiner Oma, weil Maria sie etwas fragen möchte.«

Auf einmal klang die Stimme von Mrs. Potter viel freundlicher. »Na dann ist ja gut. Ich wünsche Euch noch einen schönen Abend.«

Sie verabschiedeten sich und Paul legte auf. Er war sehr erleichtert und blickte Maria freudig an. »Sie wünscht uns einen schönen Abend.«

Maria kam zu Paul her und küsste ihn auf die Wange. »Danke, das war sehr nett von Dir.« Sie versuchte ihn zu streicheln. »War sie sehr streng?«

Paul war wegen dieser Frage überrascht, doch dann erzählte er, wie sie erst streng und dann aber sehr freundlich geklungen hatte.

»Ja«, bestätigte Maria, »das macht sie oft so.« Sie lächelte.

Oma Selma war neugierig geworden. »Was wolltest Du denn fragen, Maria?«

Maria drehte sich zu Selma hin und blickte sie erwartungsvoll an. »Ich würde gern noch einmal einen Blick auf die Zeichnung mit der Originalhaltung werfen.«

Oma Selma musste Maria nur ganz kurz in das Gesicht blicken, um ihre wahren Absichten zu erkennen. »Du möchtest die Arme auch so tragen können.«

Maria blickte Pauls Oma erstaunt an. »Woher...« Sie staunte. »Ich meinte, wieso weißt Du das?«

Selma streichelte Maria sanft über den Kopf. »Ich habe am Sonntag Deine leuchtenden Augen gesehen. Und jetzt, nach dem Unfall...« Für einen Moment blickte Selma etwas nachdenklich. Doch dann wandte sie ihren Blick wieder auf Pauls Freundin. »Ich denke, Du würdest das schaffen. Du musst nur tüchtig trainieren.«

Paul verstand zwar nicht so recht, worüber die beiden genau sprachen, aber jetzt mischte er sich ein. »Aber Maria muss doch ohnehin schon ständig üben.« Wobei Paul immer noch nicht wusste, für was Maria diesen faszinierenden Handschuh trug.

Maria blickte ihn mit leuchtenden Augen an. »Ja.« Sie strahlte.

Oma Selma blickte die beiden an. »Kommt, wir gehen ins Wohnzimmer.« Doch dann warf sie noch einen Blick auf Maria. »Willst Du Dein Cape nicht lieber ausziehen?«

Maria blickte Selma verwirrt an. Sie wusste nicht so recht weiter. Sie wäre gern der Bitte von selber nachgekommen, doch die besonderen Eigenschaften des Cape unterbanden dies zuverlässig. Sie konnte sich nicht selber aus dem Cape befreien, sie war darin gefangen. Maria fühlte auf einmal ein seltsames Kribbeln im Bauch.

Doch Paul war auch sehr aufmerksam und Maria sah, dass er schon sein neues Schlüsselbund in den Händen hielt. Maria lächelte.

Vorsichtig schaute Paul, das er auch den richtigen Schlüssel hatte dann machte es leise »Klick« und er konnte den Kragenriegel öffnen und dieser gab auch den Reißverschluss frei. Langsam zog Paul diesen nach unten.

Zu beider Überraschung trat Selma jetzt vor Maria und fragte, ob sie das Cape mal genauer in Augenschein nehmen dürfte.

Im ersten Moment wurde Maria rot, doch dann ließ sie Pauls Oma gewähren.

»Ich wollte mal sehen, wie die Ärmel gearbeitet sind.« Ihre Stimme klang sehr interessiert. »Einfach mal sehen, ob sich seit damals viel verändert hat.«

Paul war sehr verwundert. Er dachte eigentlich, dass er seine Oma genug kennen würde.

Maria wäre Selma gern etwas entgegen gekommen, doch solange das Cape um ihre Schultern lag, konnte sie sich darin so gut wie gar nicht bewegen.

Pauls Oma schob das Cape langsam von Marias Schultern und blickte sehr dabei aufmerksam auf die in den Ärmeln steckenden Arme. »Viel Platz bleibt Dir in den Ärmeln nicht oder?«

Maria seufzte zuerst etwas. »Ja, es ist sehr eng darin.« Doch dann glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. »Es fühlt sich toll an und ich mag es gern.« Sie blickte zu Paul. »Wenn Paul dabei ist.« fügte sie verliebt dazu.

Langsam zog Selma das Cape nach unten. »Sag mir bitte, ab wann Du die Arme bewegen kannst.« Sie blickte sehr fasziniert auf Marias immer noch gefangene Arme.

Es war gut zu sehen, wie Maria fast fieberhaft versuchte, der Bitte nachzukommen. Doch erst als die Ärmel schon bis zum Ellenbogen herunter gezogen waren, hatte Maria genügend Freiraum, um selbstständig die Arme aus den Ärmeln zu ziehen.

»Eine sehr gute Arbeit, dieses Cape.« Aus Selmas Stimme klang ehrliches Lob.

»Das haben wir uns zusammen ausgedacht. In den Ferien.« Marias Stimme klang sehr stolz. »Meine Mutter und ich.« Sie kämpfte noch etwas mit den Ärmeln. »Ich wollte unbedingt Ärmel haben und meine Mutter bestand auf einem Cape.« Sie grinste. »Als ich den inneren Ärmeln zugestimmt habe, hatte ich mir die allerdings etwas anders vorgestellt.«

Selma musste lachen.

»Zum Glück muss ich die bei ihr nicht tragen.« Maria verzog ganz leicht das Gesicht. Jeder wusste, wer gemeint war. »Aber bei Paul fühlt es sich toll an.« Sie war jetzt ganz aus dem Cape geschlüpft, nahm es in die Hand, um es sorgfältig zusammen zu legen. Dann erst legte sie es auf die Garderobe.

»Na dann kommt mal mit ins Wohnzimmer.« Sie ging voran.

Sie bot den beiden Plätze an, dann ging sie an den Wohnzimmerschrank und holte die Mappe heraus. Sie legte es vorsichtig auf den Wohnzimmertisch und schlug die betreffende Seite auf.

Maria hielt den Atem an. Wieder war dieses Leuchten in ihren Augen zu sehen.

Auch Paul blickte auf die Zeichnung und so langsam begann er zu begreifen, um was es Maria ging. Er blickte sie verwundert an. »Das willst Du schaffen?«

Maria blickte ihn an und in diesem Moment, als Paul Marias Augen sah, war sogar ihm klar, wie sehr Maria schon von dem Bild gefangen war.

Oma Selma begann auf einmal zu grübeln. »Warte mal, ich glaube, da habe ich auch noch eine andere Zeichnung.« Sie zog die Mappe zu sich hin und blätterte sehr vorsichtig darin. Schon nach wenigen Seiten hatte sie es gefunden.

Die Zeichnung zeigte eine junge Frau, die einen schwarzen Catsuit trug. Sie kniete und saß auf ihren Fersen. Doch das erstaunliche war die Armhaltung. Die Arme lagen über Kreuz auf dem Rücken und wurden von Riemen jeweils zur gegenüberliegenden Schulter gezogen. Die Riemen verliefen über die Schulter, um dann vorn zu einer Art Gürtel geführt zu werden. Durch ihren Schritt verliefen vom Gürtel nach unter verlaufende Riemen. Die Frau zeigte ein sehr stolzes, wenn auch leicht gequältes Gesicht.

Maria blickte sehr fasziniert auf die Zeichnung. Sie stöhnte leise und biss sich auf die Lippen.

Oma Selma hatte Marias Faszination bemerkt. Fast beiläufig, so sollte es rüber kommen, erwähnte sie, dass hier vermutlich einfach eine Zwangsjacke aus Leder umgearbeitet wurde.

Es war Paul, der eher unbewusst den Anstoß gab »So eine hast Du doch auch, Maria. Nur in Weiß.«

Maria griff den Gedanken auf. »Stimmt, die hat sogar rote Riemen.« In ihrer Stimme klang Begeisterung. Erst dann ging ihr durch den Kopf, um was es wirklich ging. »Du meinst, wir sollten sie »so« machen?« Bei dem 'so' hatte Maria noch einmal eindringlich auf die Zeichnung geblickt.

Selma wollte die beiden ermutigen. »Das wäre eine sehr gute Idee.«

Maria blickte sie nachdenklich an. »Wie? Du meinst...«

Selma nickte. »Wenn Du das Gebet trainieren willst, dann wäre so eine Jacke ein sehr guter Anfang.«

Maria schaute etwas zweifelnd. »Aber ob sie das erlauben wird? Immerhin ist das meine Strafjacke.« Sie seufzte etwas.

Auf einmal sah Selma sehr entschlossen aus. »Das mache ich schon.« Sie stand auf. »Wie war noch mal die Telefonnummer?«

Maria nannte die Zahlen. Selma ging aus dem Zimmer. Beide blickten ihr nach.

Paul drehte sich wieder zu der Zeichnung. Er sah noch einmal recht intensiv auf die kniende Frau. Eine seltsame Faszination überkam ihm dabei. »Sie kann ihre Arme gar nicht mehr bewegen«, stellte er flüsternd fest.

Aus Maria sprach die Vorfreude. »Du hast recht. Das ist eine sehr interessante Haltung.«

Selma kam zurück. »Paul, magst Du kurz mal zu Doro gehen und die Jacke holen? Sie weiß Bescheid.«

Maria entglitt ein kurzes »Super«. Dann drehte sie sich zu Paul. »Ach ja bitte, das wäre sehr nett.«

* * *

Pauls Herz klopfte laut, als er jetzt an Marias Haus klingelte. Gleich darauf waren ihre resoluten Schritte zu hören. Die Tür ging auf.

»Ah, Du bist es, Paul.« Sie machte eine einladende Handbewegung. »Komm kurz rein. Ich habe die Jacke schon bereit gelegt.« Ihre Stimme klang ausnehmend nett.

Auf dem kleinen Tischchen neben dem Telefon lag ein weißes Etwas. Auf den ersten Blick hätte man es für einen normal zusammengelegten Pullover halten können. Doch zum einen war deutlich das besondere Material zu erkennen und zum anderen störten einige der roten Riemen, die hier und da aus dem Bündel heraus ragten.

Mrs. Potter ging zu dem Tisch und gab Paul die Jacke. Sie blickte ihn ermunternd an. »Ich bin schon sehr gespannt, wie Maria damit zurecht kommen wird.«

Doch auf dem Tisch lag noch ein kleiner Stoffbeutel. Als Marias Erzieherin den in die Hand nahm, war ein metallisches Klirren zu hören. »Hier ist noch etwas Zubehör. Ich weiß nicht, ob Selma das auch braucht.« Sie reichte Paul auch den Stoffbeutel und Paul war wegen seines Gewichtes erstaunt.

Was mochte wohl in dem Beutel drin sein, schwer und nach Metall klingend? Doch dann war es ihm klar, das es sicher einige Vorhängeschlösser waren, wie sie bei Maria nur allzu oft anzutreffen waren.

Paul blickte Mrs. Potter unsicher an. Wie viel hatte seine Oma ihr denn schon gesagt. Paul wusste nicht, ob er in diesem Moment etwas verraten durfte. Er rang sich zu einem »Danke« durch.

Marias Erzieherin schien Pauls Unruhe zu spüren. Sie ging zur Haustür und öffnete sie. »Na dann viel Spaß mit der Jacke. Ich warte auf Euch.«

Paul blickte sie erstaunt an, dann begriff er, dass sie ihm gerade so einige Brücken gebaut hatte. Dankbar wünschte er Mrs. Potter noch einen schönen Abend, dann ging er mit zunächst langsamen höflichen Schritten aus dem Haus. Doch als er auf dem Kiesweg war, beschleunigte er seine Schritte.

Er dachte über das eben Erlebte nach. Mrs. Potter war sehr freundlich gewesen und er hatte fast ein schlechtes Gewissen, dass er dies gar nicht wahr genommen hatte. Jetzt schämte er sich fast etwas.

* * *

»Oh, die ist ja von vorn zu schließen.« Oma Selma war erstaunt.

»Das durfte ich mir aussuchen.« In Marias Stimme war sehr viel Stolz zu hören.

Oma Selma hielt Maria die Jacke hin und Maria steckte langsam einen Arm in den bereitgehaltenen Ärmel.

»In den Handgelenken ist ein Gummizug.« Ihre Stimme war leise. »Kannst Du mir da rein helfen.«

Selma verstand im Gegensatz zu Paul, was Maria wollte. Sie fasste oben an den Ärmel und hielt ihn fest. Jetzt konnte Maria mit etwas Druck ihre Hand in den eingearbeiteten Handschuh stecken.

»Hast Du darin auch Fingerhüllen?« Selmas Stimme klang sichtlich interessiert.

»Das hatten wir erst überlegt«, sie blickte scheu zu Paul, »aber so streng sollte es dann doch nicht werden.«

Selma bedauerte dies. »es könnte für das Gebetstraining nützlich sein, wenn Du die Hände nicht drehten kannst.« Sie fasste Marias Hand an. »Aber der Handschuh ist ohnehin recht eng gearbeitet. Das müsste auch so gehen.«

Sie half Maria mit dem zweiten Arm. Dann zog sie ihr die Jacke die Schultern hoch.

Selma blickte Paul an, der etwas verloren neben Maria stand. »Magst Du Maria mal die Jacke schließen? Ich halte sie solange fest.«

Paul wunderte sich, was dieser ganze Zirkus sollte, doch seiner Oma wollte er nicht widersprechen. Er fragte sich allerdings, ob seine Oma Maria oder ihre besondere Jacke festhalten wollte.

Er kniete sich vor Maria hin und versuchte die beiden Enden der Jacken zusammen zu ziehen, um den Reißverschluss unten ineinander zu schieben. Doch zu seinem Erstaunen blieb ein Spalt von knapp fünf Zentimeter offen. Er blickte Maria ratlos an. »Die geht nicht zu. Ist sie zu eng?«

Maria wusste im ersten Moment auch nicht, was zu tun wäre. Doch da sie wusste, dass sie die Jacke schon oft getragen hatte, musste es einen Weg geben. »Sie sitzt immer sehr sehr eng. Ich glaube, Du musst kräftig ziehen.«

Paul versuchte es. Es kostete ihm sichtlich Kraft, die beiden Enden zusammen zu bringen und den Reißverschluss zu schließen.

Die Jacke schien aber nur in der Taille so eng gearbeitet zu sein. Ab Marias Brustkorb war die Jacke viel leichter zu schließen.

»Sollten wir den Schrittriemen auch noch schließen?« In Oma Selmas Stimme klang eine seltsame Faszination mit.

Maria war erschrocken. »Nein, das geht nicht.« Dabei blickte sie verängstigt zu Paul. Sie wollte ihr Geheimnis nicht hier vor Paul offenbaren.

Selma trat an Maria heran und fasste sie an ihre Taille. Dann folgte ein prüfender Griff auf Marias Bauch. Sie nickte verständlich. Dann fasste sie kurz an Marias Bein kurz über dem Knie. »Trägst Du den Gürtel immer?«

»Nur wenn ich draußen bin.« ihre Stimme klang ängstlich.

»Das ist sehr weise, mein Schatz.« Selma ging zum Schrank und holte ein Maßband sowie einen Stift und Zettel heraus. »Ich werde dann für die Trainingsriemen maßnehmen.«

Sie trat zu Maria und begann verschiedene Strecken an Maria auszumessen und zu notieren.

Dann setzte sie Stift und Maßband ab und blickte Paul und Maria mit einem sorgenvollen Blick an. »Ich müsste jetzt ein paar Maße nehmen, wenn Maria ihre Arme in der vorgesehen Haltung hat.«

Maria versucht von sich aus, mit ihrem weiß verpackten Arm die Haltung einzunehmen, aber sie musste bald erkennen, dass dieses noch nicht möglich war.

»Ich versuche Euch das erst zu erklären, damit es dann schnell gehen kann.« Sie trat hinter Maria.

»Ich werde Maria Arm in die ungefährer Position schieben, die ich brauche beziehungsweise die Maria später trainieren muss« Sie blickte zu ihrem Enkel. »Paul, Du musst dann den Arm so festhalten und wenn ich es sage, einmal kurz noch etwas nach oben ziehen. Ich versuche, ganz schnell zu messen, dann kannst Du wieder loslassen.«

Sie wandte sich an Maria. »Mein Kind, das wird sicher weh tun. Bitte versuche es durchzuhalten. Ich mache es auch ganz schnell.«

Maria blickte sie ganz zuversichtlich an. »Macht nur, ich werde es aushalten.«

Selma kontrollierte noch einmal, dass alles an seinem Platz bereit lag, dann trat sie hinter Maria und blickte Paul noch einmal an.

Paul nickte.

Sie fasste Maria Arm und zog ihn mit den Fingern voran zu der gegenüberliegenden Schulter. »Jetzt festhalten.«

Sobald Paul Marias Arm sicher in der Hand hatte, griff sie schnell zum Maßband und nahm zwei Strecken ab. »Geht es, Maria?«

Maria hatte ihren Kopf zur Seite gedreht. Sie wollte nicht, dass einer der beiden ihr schmerzverzerrtes Gesicht sehen konnte.

Doch gleich darauf war es geschafft. Paul durfte Marias Arm langsam loslassen.

Die gleiche Prozedur spielte sich für den anderen Arm ab.

»Das war es schon.« Oma Selmas Stimme klang erleichtert.

Sie blickte noch einmal auf ihren Zettel mit den notierten Maßen. »Ich hoffe, ich habe noch genügend Lederriemen dafür.« Sie ging ins Nachbarzimmer und es war zu hören, dass sie dort etwas durchsuchte.

Schließlich kam sie zurück. »Paul, ich muss dich bitten, Morgen noch zu mal zu Tier-Meier zu gehen.«

Paul blickte sie verwundert an. »Ich brauche noch eine rote Hundeleine sowie ein Halsband für Hunde.«

Jetzt verwandelte sich Pauls Blick in Empörung. »Wofür denn das? Soll ich Maria etwa...? Er sprach nicht weiter.

Oma Selma lachte. »Nein, Du Dummchen.« Sie gab ihm einen Stubs. »Maria kommt natürlich nicht an die Leine.« Sie lachte. »Aber Meier hat das beste Leder überhaupt. Und die Hundeleinen sind sehr günstig bei ihm. Ich brauche die Riemen für die Jacke.«

Doch Maria hatte auf einmal einen total verklärten und abwesenden Blick. Sie schaute sehr verliebt zu Paul und schien zu träumen.

* * *

Der Direktor des Gymnasiums warf einen Blick in seinen Terminkalender. Für heute, Mittwoch Morgen, hatte sich ein Baron von Harsumstal angesagt, er wäre der Vorsitzendes des Festausschusses. Es ginge um das Katerinenfest.

Da er erst das zweite Jahr in der Stadt und in dieser Schule war, bat er seine Sekretärin zu sich herein und fragte sie, ob sie etwas über dieses Fest wüsste.

Die Schulsekretärin konnte ihm die wesentlichen Einzelheiten des Festes erklären, ein wenig von dem historischen Hintergrund und genauso etwas zu den drei Tagen, an denen es statt fand. »Aber ich weiß nicht, was wir damit zu tun haben sollen, denn es findet immer zu Ende der Sommerferien statt.« waren ihre abschließenden Worte.

Der Direktor wollte nachhaken. »Wie war es denn beim letzten Mal?«

Die Sekretärin musste erst einmal etwas nachdenken, bevor sie antworten konnte. »Die letzte Darstellerin hat ein Jahr später das Abitur gemacht. Sie war eine Schülerin von uns.«

Der Direktor überlegte, ob es diesmal auch so sein würde.

»Nein, dieses Jahr wird die Tochter des Barons die Katerina darstellen.« Sie verzog das Gesicht. Doch dann verwandelte sich ihr Gesicht in Verwunderung. »Aber die hat doch den schweren Unfall gehabt« sagte sie mehr zu sich selber als zu ihrem Chef.

Dieser blickte sie verwundert an. »Unfall?«

»Haben sie es heute nicht in der Zeitung gelesen?« ihre Stimme klang verwundert.

»Ach da bin ich noch nicht dazu gekommen.« Er nahm sich den Landsbacher Boten zur Hand.

»Gleich auf Seite eins.« Sie zeigte ihm den Artikel. »Leider gibt es kein Foto.«

Er begann zu lesen.

* * *

Es klopfte an der Klassenzimmertür. Die Klasse war verwundert.

Der Hausmeister trat herein. »Maria Beller möchte bitte einmal zum Direktor kommen.«

In der Klasse war es auf einmal sehr still. Es war schon lange nicht mehr vorgekommen, dass jemand zum Direktor gerufen wurde. Meistens ging es dabei um irgendwelche gröberen Streiche oder ähnlicher Unfug.

Doch warum Maria? Diese war die Unschuld in Person. Paul wunderte sich.

Maria stand vorsichtig auf und blickte noch einmal zu Paul, bevor sie mit für ihre Verhältnisse eiligen Schritten die Klasse verließ.

Ein Tuscheln setzte ein. Dass Maria zum Direktor musste, war wirklich etwas außergewöhnliches.

* * *

Mit Herzklopfen klopfte Maria schüchtern an die zum Schulsekretariat. Nach einem kurzen »Herein« trat sie ein.

»Schön, das Du kommst.« Die Schulsekretärin begrüßte sie, dann drückte sie eine Taste auf der Sprecheinrichtung. »Maria Beller ist hier.«

Sofort ging die Tür zum Direktorenzimmer auf und der Schulleiter bat Maria, doch herein zu kommen.

»Nimm Platz.« Er zeigte auf einen Stuhl und Maria setzte sich kam der Anweisung nach.

Jetzt erst bemerkte sie, dass der Direktor einen weiteren Besucher hatte. Baron von Harsumstal. Maria wusste nicht, was sie davon halten sollte.

»Maria«, die Stimme des Direktors klang irgendwie wichtig, »der Herr Baron hat mir gesagt, das er Dich ausgewählt hat, ersatzweise die Rolle der Katerina für seine verunglückte Tochter zu übernehmen.«

Er machte eine Pause, in der Maria einmal heftig schlucken musste

»Ich freue mich für Dich und wünsche Dir alles Gute dafür.«

Maria war etwas verwundert. Um ihr das zu sagen, musste sie extra herkommen?

»Baron von Harsumstal hat mich gebeten, dich wenn nötig von der Schule frei zu stellen.« Er nahm ein Stück Papier zur Hand. »Das ist natürlich schwierig ein Jahr vor dem Abitur.« Er schaute sich das Blatt an. »Aber deine Leistungen sind fast überall sehr gut.«

In Gedanken setzte Maria den Satz fort: 'Nur in Mathematik könnte es besser sein.' Aber seit sie die Nachhilfe von Paul bekam, war sie der Meinung, dass es besser werden würde.

»Ich denke«, so sprach der Direktor mehr zu sich selber als zu Maria, »wir können dem Ansinnen des Herrn Barons nachgeben.«

Maria verstand noch nicht ganz, was dies bedeuten würde.

»Aber Du musst versprechen, Dich über die aufgefallenen Stunden zu informieren und es gegebenenfalls nachholen.

Maria musste sich erst räuspern, bevor sie antworten konnte. »Ich verspreche es.« So ganz hatte sie immer noch nicht begriffen, was hier gerade passierte.

* * *

Obwohl Paul mit Marias Erzieherin jetzt auch schon sehr freundliche Momente erlebt hatte, stand er doch wieder mit Herzklopfen vor dem Tor und klingelte. Er hatte Maria diesmal nicht von der Schule mit nach Haus gebracht, weil er in der Stadt noch die Sachen für seine Oma besorgt hatte.

Der Verkäufer bei Tier-Meier hatte Paul gefragt, für was für einen Hund das Halsband wäre und Paul wurde rot, weil er darauf keine Antwort hatte. Es fiel ihm bloß ein »möglichst groß bitte« ein. Der Verkäufer hatte ihn etwas seltsam angesehen, doch dann bekam Paul das, was auf seinem Zettel stand.

Seine Oma war mit den Sachen zufrieden gewesen und sie hatte sich gleich an die Arbeit gemacht, um Marias Jacke für dieses seltsame Gebet um zuarbeiten. Paul hatte allerdings noch nicht so richtig verstanden, was Maria mit dieser Jacke dann machen würde. Aber bei den vielen Seltsamkeiten, die er bisher so erlebt hatte fiel diese Jacke schon nicht mehr ins Gewicht.

Paul hörte ein Summen und er drückte gegen das Tor. Beim Zugehen auf das Haus sah er, wie sich die Haustür öffnete und zu seiner großen Freude sah er, dass Maria ihm geöffnet hatte. Er winkte und sah dabei, dass Maria diesmal auch frei zurück winken konnte. Diesmal schien sie nicht eingeschränkt zu sein.

»Schön, dass Du gekommen bist. Wir müssen doch noch lernen. Morgen ist die Mathearbeit.« Ihre Stimme klang fast etwas begeistert. Paul fragte sich, ob das an ihm lag oder vielleicht sogar an der anstehenden Schularbeit. Fast konnte man meinen, Maria würde sich über die Arbeit freuen.

Auf einmal war die Stimme von Mrs. Potter zu hören, die gerade auf den Flur trat. »Heute werdet ihr nicht mehr lernen.«

Sowohl Paul als auch Maria blickten sie beide verwundert an. »Ihr habt genug getan. Heute solltet ihr mal entspannen.« Paul sah, dass sie Marias Handschuh in den Händen hielt.

Fast schien es, als war Maria etwas enttäuscht, doch dann blickte sie Paul verliebt an. »Ich muss heute wieder trainieren. Hilfst Du mir?« Sie lächelte und blickte auf den Handschuh in den Händen ihrer Erzieherin.

Diese reichte Paul den Handschuh und blickte ihn auffordernd an. »Magst Du? Du weißt ja jetzt, wie es geht.«

Pauls Hand zitterte etwas, als er den Handschuh entgegen nahm. Er begann die Riemen zu sortieren, dann lockerte er etwas die Schnürung und trat an Maria heran.

Er versuchte sich an die Worte zu erinnern, die er sich zurecht gelegt hatte. »Nun denn liebe Prinzessin, seit Ihr bereit, Euer Training zu beginnen?«

Maria blickte Paul sehr erstaunt an, dann jedoch glitt ein großes Lächeln über ihr Gesicht. Sie machte einen Knicks, dann blickte sie auf zu Paul und fast etwas ehrfürchtig sprach sie leise: »Ja, mein Prinz, ich bin bereit. Gebt mir die Freiheit, in dem Ihr sie mir nehmt.«

Paul spürte die feierliche Stimmung und war bemüht, das etwas seltsame Spiel weiter mit zuspielen. »Nun legt also Eure Arme bereit für den Handschuh.« Er musste schlucken, denn eine seltsame Erregung überkam ihm.

Doch als er dann langsam die Lederhülle über Marias Arme schob, wurde ihm wieder etwas nüchtern und er versuchte sich an alle Tipps seiner Oma zu erinnern, was das Anlegen dieses seltsamen Dings betraf.

Seit er wusste, dass seine Oma früher diese Trainingssachen früher auch gemacht hatte, gab ihm dies ein gewisses Gefühl von Sicherheit und er hoffte, es diesmal gleich so hin zubringen, dass sowohl Maria als auch ihre Erzieherin zufrieden waren.

* * *

Marias Augen leuchteten. So gut saß der Handschuh schon lange nicht mehr. Sie spürte überall einen gleichmäßigen Druck und nirgends wurde etwas eingeklemmt oder drückte etwas. Sie war sehr zufrieden mit Paul und drehte sich wieder zu ihm hin.

»Danke mein Prinz«, ihre Stimme klang fast etwas zitternd. »Der Handschuh sitzt heute besonders gut.«

»Es ist gern geschehen, meine Prinzessin.« Paul fühlte sich sehr geschmeichelt. Er war bemüht, weiter zu machen. »Es freut mich, wenn der Prinzessin meine Arbeit gefällt.«

Mrs. Potter trat näher und warf einen Blick auf die Schnürung des Handschuhs. Zu Pauls großem Erstaunen schien sie das Spiel mit zuspielen. »Oh ja, Prinzessin, eine vorzügliche Arbeit. Ein großes Lob für Euren Prinzen.« Sie blickte Paul schmunzelnd an.

Paul wusste in diesem Moment gar nicht, wie ihm geschah.

Mrs. Potter reichte ihm die Schlösser. »Nun lasst es uns vervollständigen.«

Mit jedem »Klick«, welches jetzt zu hören war, wurde Pauls Gänsehaut stärker. Sie schienen es diesmal richtig zu zelebrieren. Paul wollte auf keinen Fall als erster aus der Rolle fallen, doch er wusste auch nicht was er jetzt machen könnte oder sollte.

»Wie wäre es, mein lieber Prinz«, die Stimme von Mrs. Potter klang seltsam heiter, »wenn ihr nun die Prinzessin in ihre Gemächer begleitet?« Sie blickte ihn aufmunternd an. »Dort wartet ein sehr gemütliches Plätzchen auf Euch beide.«

Paul stellte sich neben Maria und war etwas unsicher, ob er sie wieder umarmen dürfte. Immer wenn Maria in ihrem Handschuh so hilflos war, wollte er dies auf keinen Fall ausnutzen.

Maria schien diese Unsicherheit zu spüren und sie wollte ihm entgegen kommen. »Mein Prinz«, sie blickte ihn an. »Ich könnte euren helfenden Arm gebrauchen.«

Dankbar für dieses Zeichen legte Paul seinen Arm um Marias Schulter und zog sie etwas zu sich heran. Fast war ihm, als würde er ein Zittern in Marias Körper spüren. Deutlich jedoch spürte er, wie Maria mit ihren verpackten Händen versuchte, ihn etwas auf dem Rücken zu streicheln. Sie war bemüht, den winzigen Freiraum, den ihr der Handschuh bot, auch auszunutzen.

* * *

Das kleine Sofa in dem Raum, in den Maria sie beide führte, sah wirklich sehr gemütlich aus. Maria ging auf das Sofa zu und setzte sich vorsichtig hin. Dann blickte sie Paul liebevoll und auffordernd zugleich an.

Paul setzte sich neben sie. Sofort lehnte sich Maria an ihn und flüsterte. »Haltet mich fest, mein Prinz.«

Paul kam dieser Bitte sehr gern nach. Beide genossen die Ruhe und ihre gegenseitige Nähe.

»Wie ging noch mal der Sinus-Satz?« Auf einmal war Marias Stimme wieder etwas nüchtern. Sie sagte das auf, was sie gelernt hatte.

Paul konnte sie loben. Sie hatte den Satz richtig gelernt und wusste jetzt auch wie er anzuwenden war.

Er nahm ihren Stimmungswechsel auf und stellte diesmal eine Fangfrage.

Im ersten Moment fing Maria an, ernsthaft nachzudenken, dann jedoch erkannte sie die Fangfrage und fast liebevoll stubste sie ihn mit ihren verpackten Händen in die Seite. Sie schob ein liebevolles »Du Schuft« hinterher.

Paul freute sich, dass sein kleiner Scherz gelungen war. Zudem stellte er fest, dass er immer dann, wenn er Maria so provozierte, eine gewisse Faszination von ihrer Hilflosigkeit ausging. Er überlegte, ob er wohl mal mit seiner Oma drüber sprechen könne. Etwas an Marias Zustand zog ihn unheimlich an und er verstand noch nicht warum.

»Das geht jetzt nicht, Maria muss ihren Mittagsschlaf halten.« Die Stimme von Mrs. Potter war sehr deutlich im Haus zu hören.

Eine fremde Stimme schien etwas zu antworten.

»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass sie Sie jetzt nicht empfangen kann. Sie schläft.«

Sowohl Paul als auch Maria zuckten beide zusammen. So energisch hatte die Stimme der Erzieherin schon lange nicht mehr geklungen.

Doch ihr Gesprächspartner schien dies nicht zu beeindrucken. Er wurde ebenfalls etwas lauter. »Dann wecken Sie sie eben.« Fast schien es, als wolle er sie durch seine Lautstärke wecken.

Maria blickte Paul ängstlich an. »Wer ist das bloß?«

Paul sah ebenfalls ziemlich aufgebracht aus. »Und was will er wohl von Dir?«

Es schien, als würde Maria erst jetzt ihr tatsächlicher Zustand bewusst »Wer auch immer das ist, er darf mich so nicht sehen.« Sie blickte auf die Riemen über ihrer Brust und auf die auf dem Rücken verpackten Hände, die sie hektisch hin und her bewegte.

»Ich könnte Dir den Handschuh öffnen.« Paul war schon dabei, seinen Schlüsselbund zu suchen.

»Nein«, Maria musste nicht lang überlegen, »das wird zu lange dauern. Außerdem darf ich das nur im Notfall.« Sie hatte eine Idee. »Geh schnell in mein Zimmer und hole mein Cape. Es müsste im Schrank ganz rechts hängen.«

Paul war schon aufgestanden.

»Nein, warte, ich komme gleich mit.« Maria stand ebenfalls auf.

Die Schritte von Mrs. Potter waren überdeutlich auf der Treppe zu hören. Es schien aber, als würde sie diesmal ganz bewusst sehr langsam gehen.

Auf dem Weg in ihr Zimmer fiel Paul auf, das Maria leise mit zählte. Er verstand erst nicht.

»Geht das nicht etwas schneller?« Die fremde Stimme klang sehr ungeduldig, doch es schien, als ließe sich Mrs. Potter davon nicht aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil, Sie blieb stehen, um ihm zu antworten.

Paul und Maria hatte inzwischen das Zimmer erreicht und Maria war gerade bei »Neun«. Jetzt dämmerte es ihm, dass Maria die Stufen mit zählte.

Paul sah das Cape über einem der Stühle liegen. Schnell nahm er es hin und hängte es über Marias Schultern. Genauso schnell hatte er Reißverschluss und Kragenriegel geschlossen.

Maria blickte hektisch an sich herunter. Sie schien fast so etwas wie Panik zu haben. »Schnell, mach die Bänder auch noch fest.«

Paul wusste, dass das Cape innen noch Bänder hatte, die ein Hochziehen verhindern sollten. Er kniete sich vor Maria hin und hob das Cape etwas hoch. Er löste die Schleife und wollte die Bänder um Marias Bein schlingen. »Die sind zu kurz.« Er blickte zu ihr hoch.

Maria war mit dem Zählen mittlerweile bei 13 angekommen und sechzehn Stufen waren es bloß. Zudem waren jetzt auf einmal weitere Schritte auf der Treppe zu hören. Der unbekannte Besucher schien ebenfalls herauf zu kommen. »Schnell, hebe meinen Rock hoch. Da muss ein Ring sein.«

Paul ließ sich von Marias Hektik anstecken, denn er war bemüht, sehr schnell ihren Wünschen nach zu kommen.

»Nein, ich lasse Sie hier nicht vorbei.« Selbst von der sehr eisigen Stimme von Mrs. Potter ließ der Besucher sich nicht beeindrucken. Immerhin waren seine Schritte jetzt nicht schneller als die von ihr.

Paul sah, dass Maria einen Metallring um ihren Oberschenkel trug. Sofort sah er auf der Außenseite den kleinen Ring und dort hin band er die Bänder des Capes. Auf die Schnelle machte er zwei Knoten.

Er war gerade mit dem zweiten Band fertig geworden, als Mrs. Potter mit dem Besucher in das Zimmer trat.

Dieser stürmte an der Erzieherin vorbei zu Maria und blickte sie geringschätzig an. »So, ein Mittagsschlaf.« Er zerrte an Marias Cape. »Und was ist das hier.«

Mrs. Potter war die erste, die wieder Worte fand. »Das ist zu ihrem Schutz.«

Der Fremde trat einen Schritt zurück und blickte verachtend auf Maria. »Ihr könnt Sophie doch nie das Wasser reichen.« Er war sichtlich aufgebracht und blickte Maria geringschätzig an. »Damit Sie es weiß, ich bin nur hier, weil mein Onkel es wünscht.«

Maria blickte ihn verschüchtert und ängstlich an. Sie wusste keine Antwort. Dabei hatte sie weniger Angst vor dem Besucher als mehr Angst vor der Entdeckung ihres Handschuh. Doch sie versuchte sich zu beruhigen, Paul hatte das Cape verschlossen und sie wusste aus leidvoller Erfahrung, dass sie dann nicht mehr heraus kam. Es kam aber auch genauso keiner an sie heran.

»Welche Sprachen spricht Sie?« Dabei blickte er aus dem Fenster.

Maria begriff überhaupt nicht, dass sie gemeint war.

»Redet Sie nicht mit mir?« Seine stimme klang noch seltsamer.

Mrs. Potter nannte Englisch und Französisch.

Er schüttelte den Kopf. »Sie hat weder das Format noch die Größe von Sophie.« Auch jetzt blickte er Maria nicht an.

Diese stand mit offenem Mund da und schaute sehr verwundert.

»Das kann doch mein Onkel nicht ernst meinen, dass ich mit Ihr spielen soll. Mit Euch nicht!« Er drehte sich um und lief laut stampfend aus dem Zimmer. Gleich darauf war er auf der Treppe zu hören und einen Moment später klappte recht deutlich die Haustür zu.

»Wer war denn das?« Paul fand als erster wieder Worte.

Mrs. Potter blickte ihn bedrückt an. »Das war seine Hoheit Freiherr Franz-Ferdinand von Schleihthal, der Neffe von Baron Harsumstal.« Ihre Stimme war fast etwas belegt.

Dann blickte sie zu Maria. In ihrer Stimme klang fast so etwas wie Mitleid. »Er wird auf dem Katerinenfest den Herzogssohn spielen.«

Maria erstarrte. »Was?« Sie stotterte fast. »Mit dem... soll ich?« Eine Träne lief über ihre Wange. Auf einmal schien ihr Traum zu zerplatzen.

Mrs. Potter ging auf sie zu und nahm sie in den Arm. »Ich fürchte, mein Schatz«, sie streichelte sie über das Cape, »das wirst Du Dir nicht aussuchen können.«

Paul war verwundert. Es war das erste Mal, dass Marias Erzieherin Gefühle zeigte.

Maria war für einen Moment trotzig. »Aber mit dem Schnösel doch nicht.«

Mrs. Potters Stimme klang leicht verändert. »Die Prinzessinnen früher konnten sich ihren Mann auch oft nicht aussuchen. Und die mussten ein Leben lang mit ihm auskommen.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Oder muss ich mich noch mal räuspern?«

Maria blickte sie verklärt an. »Die Prinzessinnen... Früher.« Es schien, als erkenne sie gerade die ganze Dimension ihres Traumes.

»Immerhin bleibt Dir die Hochzeitsnacht erspart.« Paul brachte den Satz eigentlich recht trocken, doch er bewirkte, dass alle drei trotz der Stimmung etwas lachen konnten.

»Du wirst auch diesem Kerl zeigen, was in Dir steckt.« Sie blickte auf Marias Cape. »Wollt ihr nicht vielleicht noch etwas spazieren gehen? Jetzt wo Du das Cape schon an hast?«

Es wäre sicher besser für Maria, wenn sie jetzt auf etwas andere Gedanken kommen würde. »Aber bleibt besser in Rufweite, wer weiß, was heute noch passieren wird.«

* * *

Sie waren noch nicht bei der Haustür, als es schon wieder am Tor klingelte. Mrs. Potter warf einen Blick durch das Fenster und stöhnte leise vor sich hin. »Noch eine von der Bande.«

Doch dann erinnerte sie sich an die ermahnenden Worte ihrer Auftraggeberin und ließ deswegen ein »Der Baron« folgen.

Baron Harsumstal kam schnell näher. »Ich hoffe, ihr habt kurz etwas Zeit? Es hat sich etwas wichtiges ereignet.« Eine formale Begrüßung hatte er ausgelassen.

»Was führt Euch zu uns, Baron?« Mrs. Potter bemühte sich, neutral zu klingen.

»Ihr habt es sicher schon gehört,« seine Stimme klang leicht nervös, »meine Tochter hatte einen schweren Unfall.«

Die Erzieherin blickte ihn wissend an. »Ja, wir haben schon davon gehört.« In ihrer Stimme kämpften Schadenfreude und Mitleid miteinander.«

Der Baron war weiterhin bemüht, den sorgenden Vater vorzugeben. »Die Ärzte sagen, dass sie auf keinen Fall an dem Fest teilnehmen kann und jetzt hoffe ich, Maria ist in der Lage, zu ihrem Wort zu stehen?« Er blickte Maria fragend an.

Diese wollte ihren Ärger über den Neffen loswerden. Sie erzählte, was sich gerade abgespielt hatte.

Der Vater von Sophie seufzte. »Ja, mein Neffe schießt da im Moment etwas quer. Ich werde ihm noch mal ins Gewissen reden.« Letzteres war nicht mal gelogen, Baron Harsumstal ärgerte sich gewaltig über den auf einmal so schwachen Punkt in seinem Plan.

Er versuchte, seinen Köder auszulegen. »Ihr habt am Sonntag gesagt, Maria würde die Originalhaltung auch tragen können?«

Mrs. Potter ging ihm wieder auf den Leim, diesmal allerdings aus Eitelkeit. »Ich bin mir sicher, Maria würde das Gebet tragen können.«

Der Baron nahm dies erleichtert zur Kenntnis. »Heute Abend wäre eine außerordentliche Sitzung des Fest-Vorstandes. Wir wollen die Ersatzbesetzung für die Katerina besprechen. Es wäre sehr gut, wenn ihr kommen könntet.«

»Wann beginnt das denn? Maria muss heute noch ihren Sport machen.« Doch dann erinnerte sie sich an die Worte von Marias Mutter, die die Prioritäten neu gesetzt hatte.

»Es wäre gut, wenn ihr das verschieben könntet.« Der Baron nannte die Uhrzeit.

Mrs Potter wollte andererseits auch nicht das Gesicht verlieren. Sie blickte noch einmal streng auf Maria, dann auf die Uhr. »Das sollte gehen. Wir werden kommen.«

* * *

Es tat ihm zwar weh, aber er musste das einzige Druckmittel benutzen, welches er gegenüber seinem Neffen hatte. »Wenn Du weiter Geld zum Studieren bekommen möchtest, dann wirst Du beim Fest mit Maria tanzen, ist das klar?«

Franz-Ferdinand hatte außer chronischer Unlust nicht wirklich Argumente vorzubringen, warum es denn nicht gehen würde. Das eine Bürgerliche unter seine Würde sei, dass ließ der Baron nicht gelten. »Du sollst sie ja auch nicht heiraten, sondern nur das verdammte Fest mit ihr spielen.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Ist das dein letztes Wort?« Der Neffe glaubte noch, uneinsichtig sein zu können.

»Ich warne Dich, ich werde meinen gesamten Einfluss geltend machen, um dich von der Uni und der Burschenschaft auszuschließen, wenn Du jetzt quer schießt.«

Franz-Ferdinand musste schlucken. Er ahnte, dass sein Onkel nicht bluffte. Er hatte wirklich einflussreiche Kontakte, die er sonst sehr gewinnbringend zu nutzen verstand. Er begriff, dass er hier wohl den kürzeren ziehen würde. Er versprach, sich mit Maria abzufinden.

Aber leicht würde er es ihr nicht machen.

* * *

Eigentlich bräuchte es die Namensschilder nicht, denn hier in Landsbach kannte doch jeder jeden. Doch es hob die Bedeutung der Versammlung und es gab dem Baron ein wenig Sicherheit, keinen vergessen zu haben.

Zu seiner Überraschung hatten alle Angesprochenen die Teilnahme an dieser etwas überstürzt angesetzten Versammlung zugesagt. Alle bis auf seinen Neffen, dachte der Baron verärgert.

Doch vielleicht hatte es auch etwas Gutes, das er fehlte, denn so konnte er nicht quer schießen. Nach seinem Auftritt bei Maria und vorhin bei ihm war dem Baron wichtig, seinen Neffen im Auge zu behalten. Er hoffte sehr, dass er ihn noch zur Vernunft bringen konnte.

Er nahm sich noch einmal die Tagesordnung zur Hand. Bei jedem der Punkte hatte er sich schon überlegt, wer da jeweils Einwände erheben könnte und wie er diesen begegnen würde. Es durfte jetzt nichts mehr schief gehen.

Das Schlagen der Rathausuhr erinnerte ihn daran, dass er vor der Sitzung seine neue Hauptdarstellerin noch etwas einweisen wollte. Er hoffte, dass Maria seiner Bitte um frühes Erscheinen folgen würde.

* * *

Diesmal konnte Maria sich selbst an dem Treppengeländer festhalten, als sie die Stufen zum Rathaussaal hinauf ging. Paul brauchte sie nicht festzuhalten. Doch dafür war sie ziemlich aufgeregt. Sie fragte sich, was der Baron wohl noch von ihr wollte. Aber sie war seiner Bitte um frühes Erscheinen gern nachgekommen.

Außerdem freute es sie, dass sie dafür ihren Sport ausfallen lassen durfte. Das war immerhin das erste Mal gewesen. Sonst hatte ihre Erzieherin immer sehr streng darauf geachtet, wunderte sich Maria.

Auch hatte sie diesmal nicht darauf bestanden, dass das Cape ordentlich verschlossen war. Im Gegenteil, sie hatte Paul und ihr sogar geraten, das Maria den Umgang mit dem Cape diesmal selbst probieren sollte. Maria hatte festgestellt, dass sie es ohne den Kragenriegel und mit offenen Durchgriffen bequem selbst an- und ausziehen konnte.

Als sie den großen Sitzungssaal betrat, kam ihr der Baron gleich entgegen und reichte ihr die Hand. Maria war sehr erleichtert, dass sie diesen Gruß korrekt erwidern konnte. Gleich darauf zogen sie sich ihr Cape aus und reichte es Paul, der schon den Arm danach ausgestreckt hatte. Sie flüsterte eine liebes »Danke« dazu.

»Bitte entschuldigt, dass ich Euch gleich so überfalle, aber wir haben nicht viel Zeit, bis die anderen eintreffen.« Die Stimme des Barons klang ziemlich nervös und angespannt.

Maria blickte ihn fragend an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

»Ich möchte Euch bitten«, seine Stimme hatte jetzt etwas verschwörerisches, »heute noch nichts von der Originalhaltung zu sagen. Die Versammlung soll erst mal davon ausgehen, dass ihr den Handschuh tragt wie die anderen Mädchen auch.«

Maria sagte ihm zu, daran denken zu wollen. Dann fiel ihr ein, dass sie ja auch ein Anliegen hatte. Sie hatte Paul mitgebracht, obwohl dieser nicht eingeladen war. Sie fragte, ob er bleiben könne.

Dem Baron kam diese Anfrage recht gelegen, denn so konnte er den freien Platz neben Maria kaschieren. Wenn Paul dort saß, gab es hoffentlich keine Fragen zu seinem Neffen. Es würde auf jeden Fall besser aussehen, als wenn der Platz des »Herzogssohns« leer bleiben würde.

Der Baron nahm eines der noch leeren Ersatztischkärtchen und fragte Paul nach seinem Namen. Dieser gab bereitwillig Auskunft und der Baron schrieb den Namen auf das Kärtchen. Das Feld mit der Funktion ließ er einfach leer. Dann bat er die beiden, sich schon einmal hinzusetzen. Die Anderen würden gleich kommen.

* * *

Paul nutzte die Wartezeit, um sich die einzelnen Namensschilder anzusehen. Die meisten der Namen sagten ihm nichts. Doch er war erstaunt über die verschiedenen Funktionen, die hier vertreten waren. Vier Leute kamen aus dem Katerinenfest-Vorstand, so stand es auf dem Schild, dann war ein Vertreter des Bürgermeisters da sowie einige Stadträte. Es wurde ihm so langsam bewusst, dass dies wohl eine wichtige Sitzung werden würde.

Es war ein ein Arzt der Unfallklinik anwesend sowie einige Vertreter der Sponsoren. Auch ein Orthopäde hatte seinen Platz sowie die Darstellerin vom letzten Fest. Paul war beeindruckt.

So nach und nach füllten sich die Plätze und als alle Platz gefunden hatten, stand der Baron auf und begrüßte die Anwesenden. Er kam sofort zu dem Unfall seiner Tochter und dass sie wohl für länger im Krankenhaus bleiben müsste. Er verwies auf den Arzt, der darüber berichten würde. »Deswegen habe ich diese Versammlung einberufen, damit wir entscheiden können, wie es mit dem Fest weiter gehen soll. Maria Beller wäre bereit, die Vertretung für Sophie zu übernehmen. Ihr Freund begleitet sie heute.«

Auf einmal richteten sich alle Blicke auf Maria. Sie blickte den Baron etwas unsicher an.

Aufgrund einer kleinen Handbewegung des Barons stand Maria auf und verbeugte sich kurz. Es war ein kurzer zaghafter Applaus zu hören.

Der Baron sprach weiter. »Robert wird dann den neuen Ausbildungsplan vorstellen. »Er wies auf den Platz des zweiten Vorsitzenden. »Und die Meinung der Sponsoren wollen wir dann auch noch hören.« Er warf einen Blick auf die vier Herren gegenüber.

Dann verwies er noch auf die letzten beiden Punkte der Tagesordnung: »Noch anstehende Fragen und die endgültige Entscheidung werden wir dann unter »Verschiedenes« und »Beschlussfassung« abhandeln.«

Er warf einen Blick auf seine Notizen. »Dann möchte ich noch meinen Neffen entschuldigen, der heute keine Zeit hat.« Der ärgerliche Ausdruck in seinem Gesicht war nicht gespielt.

Er blickte einmal in die Runde. »Sind soweit alle einverstanden?«

Es kam kein Widerspruch.

»Dann würde ich sagen, dass wir direkt mit dem Bericht aus dem Krankenhaus beginnen.« Er bat den doch recht jungen Arzt um seinen Beitrag.

Der junge Mann stellte sich als der Assistenzarzt der Station vor, auf der Sophie lag. Er nahm seine Unterlagen zur Hand und blickte unsicher in Richtung des Barons. »Der Chef hat mir einen Bericht mitgegeben, denn könnte ich vortragen.«

Im Moment war der Baron noch etwas unsicher, in welche Richtung dies gehen würde. Es musste vor allem überzeugend sein, so dass keiner Sophies Zustand anzweifeln würde.

Doch als der Arzt mit dem Vorlesen begann, wusste er, dass der Chef der Klinik genau das richtige gemacht hatte. Es war ein anscheinend sehr ausführlicher Bericht, der mit medizinischen Fachausdrücken nur so gespickt war.

Doch schon nach dem vierten Satz wurde er vom zweiten Vorsitzenden unterbrochen. »Bitte sagen Sie uns doch einfach nur, ob die Baroness auf dem Fest spielen kann.«

Der Arzt wurde nervös und begann in den verschiedenen Seiten hin und her zu blättern. Schließlich hatte er etwas gefunden, was die Frage beantwortete. Vor Ende September sei nicht damit zu rechnen, dass die Patientin überhaupt in der Lage wäre, aufzustehen, zitierte er aus dem Bericht.

Der Baron bedankte sich sehr freundlich bei dem Arzt. Insgeheim war er sehr zufrieden. Besser hätte es wohl nicht laufen können.

Doch er blickte mit leichten Sorgen auf seine Notizen. An dieser Stelle hätte er eigentlich mehrere Kandidatinnen präsentieren müssen, aus denen dann die Beste ausgewählt werden würde. Er hoffte sehr, dass er dies mit den Problemen rund um Marias verkürzte Ausbildung kaschieren konnte.

Er räusperte sich, dann gab er das Wort an seinen Vertreter Robert Greinert weiter. Dieser stellte sich ebenfalls kurz vor, dann reichte er einen kleinen Stapel Papier weiter. »Ich habe hier mal einen Entwurf gemacht, wie eine verkürzte Ausbildung aussehen könnte.«

Er wartete, bis sich jeder ein Blatt genommen hatte. »Wir müssen bis zum USA-Aufenthalt fertig sein.« Er machte eine kleine Pause, damit sich jeder zurecht finden konnte.

Besonders Paul und Maria blickten sehr interessiert auf die Übersicht. Es hatte fast so etwas wie ein Stundenplan. Allein zehn Tanzstunden standen darauf, vier mal Sprachunterricht, diverse Termin bei den Sponsoren und mehrere Besuche beim Kunstschmied. Auch ein Probenwochenende war vorgesehen sowie ein Erholungsausflug in die Berge.

»Im Prinzip haben fast alle Lehrer die neuen Termine schon zugesagt.« Er betonte dies deutlich, als wolle er seine eigene Leistung herauszustellen. »Nur die Geschichtslehrerin habe ich noch nicht erreicht, da kämen dann noch drei oder vier Stunden dazu.«

So langsam dämmerte es Maria, dass sie in der nächsten Zeit wohl sehr oft mit Franz-Ferdinand zu tun haben würde. Sie stöhnte innerlich und fragte sich sofort, ob sie das wirklich durchhalten würde. Doch dann erinnerte sie sich an die Worte ihrer Erzieherin, die sie an das Schicksal und die Pflichten einer echten Prinzessin erinnert hatte.

»Maria?« die Stimme von Robert riss sie aus ihren Gedanken.

»Oh, Entschuldigung, ich habe nicht zugehört.« Maria war wirklich verlegen.

»Ich hatte euch gefragt«, die Stimme klang trotzdem nett, »ob ihr mit dem Plan zurecht kommen werdet.«

Maria musste erst kurz überlegen, dann kam ihre Stimme etwas leise. »Das werde ich schaffen.«

Robert sprach weiter. »Es wird sicher noch zu der einen oder anderen Verschiebung kommen, doch da sind alle sicher flexibel genug.« Er versuchte einen zuversichtlichen Eindruck zu machen. »Wir dürfen nur den fünfundzwanzigsten Juli nicht aus den Augen verlieren.« Das war Marias Flug nach Amerika.

Der Baron übernahm wieder das Wort und dankte seinem Vertreter für die schnelle und gute Arbeit. Zu Maria blickend, ließ er ein »Wir werden das schon schaffen« hören. Maria kam es fast vor, als hätte er ihr eben zugezwinkert. Dann gab er das Wort weiter an den Kassenwart.

Dieser stand auf und nahm ebenfalls ein Blatt Papier zur Hand. »Ich habe mit den Sponsoren Kontakt aufgenommen.« Er machte eine bedeutsame Pause. »Sie möchten vor allem wissen, ob Maria Beller den Handschuh der Darstellerin überhaupt tragen kann, bevor sie weiteres entscheiden.«

Es entstand Gemurmel. Sophie hätte den Handschuh auch nicht tragen können, dies wusste eigentlich jeder. Deswegen war die Forderung der Sponsoren eigentlich eine Frechheit. Doch der Baron hatte genau diesen Einwand voraus gesehen.

Er wandte sich an Kerstin. »Liebe Frau Richards, habt ihr das gemacht, um das ich Euch gebeten hatte?«

Kerstin griff zu ihrer großen Tasche und machte sie auf. Sie nahm ein großes Lederbündel heraus und legte es auf den Tisch. »Das ist mein Handschuh vom letzten Fest.« Es war stets Brauch, dass die Darstellerinnen ihn als Erinnerungsstück behalten durften.

Der Baron blickte auf die Uhr. »Ich schlage vor, dass wir eine kurze Pause machen, dann wird Maria uns vorführen, dass sie diesen Handschuh tragen kann.«

Natürlich quälten den Baron noch leise Zweifel, ob Maria es wirklich schaffen würde. Er ging zu ihr und bot ihr an, zunächst in den kleinen Nachbarraum zu gehen.

* * *

»Hallo Maria«, Kerstin reichte ihr die Hand, »Ich freue mich für Dich. Du wirst das sicher schaffen.«

Maria hatte noch etwas Zweifel im Blick. Aber sie wollte ihr Bestes geben. Sie legte ihre Arme auf den Rücken.

Kerstin blickte Paul fragend an. »Magst Du kurz mit anfassen? Ich weiß nicht mehr genau, wie das ging, aber bei mir brauchte es immer zwei Leute zum Anlegen.«

Paul kam der Aufforderung gern nach. Immerhin hatte er schon etwas Erfahrung mit Marias seltsamen Handschuhen.

Maria spürte, wie sich auch diese Lederhülle ihre Arme hoch schob. Sie lächelte, als Paul ihr die Riemen über die Brust legte und wieder am Handschuh befestigte. Sie hatte bisher die Arme streng festgehalten, jetzt versuchte sie vorsichtig, sie etwas zu bewegen. Doch da sie überhaupt keinen Widerstand spürte, hielt sie ihre Arme wieder unter Spannung und blickte Paul an. »Du kannst ihn zumachen.«

Paul war ebenfalls erstaunt. »Der Handschuh ist komplett geschlossen.«

Kerstin blickte bewundernd auf Marias Arme. »Man, bist Du beweglich. So weit habe ich das nie geschafft. Ich konnte den Handschuh gerade so tragen.«

Maria wollte jetzt selber ausprobieren, wie viel Platz der Handschuh ihr bot. Sie löste die Anspannung und war erstaunt, als sie ihre Arme fast zehn Zentimeter auseinander nehmen konnte. 'Das ist ja ein Witz', dachte sie bei sich, doch sie sprach es nicht aus, weil sie Kerstin nicht verletzten wollte.

Erst jetzt wurde Maria klar, dass sie zum ersten Mal einen Monohandschuh in Gegenwart von Fremden tragen durfte. Sie wurde nervös.

Auf einmal hatte Kerstin eine Idee. »Das machen wir ganz dramatisch.« Sie grinste und blickte Paul an. Sie reichte ihm ihr Halstuch. »Kannst Du, wenn ich es dann vor den anderen sage, Maria die Arme soweit zusammenbinden, wie sie sie vorhin hatte?«

Paul blickte etwas unsicher auf Maria. Doch diese hatte Kerstins Idee verstanden und fand sie gut. Sie wollte Paul ermutigen. »Probiere es einfach mal.«

Kerstin reichte Paul das Tuch und Paul legte es vorsichtig um ihre Unterarme knapp unter den Ellenbogen. Er zog vorsichtig zusammen. Maria machte ihm Mut. »Ich sage schon, wenn es zu weit ist.«

Es war nur noch ein ganz kleiner Spalt über, als Maria leicht stöhnte. Sofort hörte Paul auf zu ziehen und ließ das Tuch wieder ein klein wenig lockerer.

Kerstin war zufrieden. »Ja, das geht gut so.« Es war gut zu sehen, wie locker der Handschuh saß. »Das sollte sie überzeugen.« Sie kicherte. »Das wird gut.« Sie blickte Paul und Maria siegesgewiss an. »Macht einfach nur, was ich Euch sage, dann werden wir sie überzeugen.«

* * *

Zunächst ging nur Kerstin in den Raum.

Paul bleib anweisungsgemäß bei Maria zurück. Er warf einen Blick auf Maria. Kerstins Tuch war locker um ihre Schultern gelegt, so dass es bei einem Blick von hinten den Handschuh verbarg und vorn nur einen Blick auf die Riemen erlaubte.

Von draußen hörten sie Kerstins Stimme. »Maria kann den Handschuh tragen.«

»Das wollen wir schon sehen.« Es war einer der Sponsoren, der sich schon von Sophie ordentlich an der Nase herumgeführt fühlte.

Kerstin bat Maria herein zu kommen. Es waren zwar die Riemen zu sehen, aber der Blick auf den Handschuh war durch das Tuch verdeckte.

»Seht ihr, sie kann es doch nicht.« Es war der selbe Sponsor, der schon Zweifel geäußert hatte. »Er will uns schon wieder täuschen.«

Kerstin hatte mit einem Einwand dieser Art gerechnet. Sie hatte die Situation gut eingeschätzt. Jetzt wollte sie Maria den kleinen Triumph gönnen. »Sie haben Recht, meine Herren, der Handschuh passt doch nicht.«

Sie ging auf Maria zu und bat sie, sich umzudrehen, dann zog sie mit einem Ruck das Tuch von den Schultern. »Er ist zu groß!«

Sie blickte Paul an und reichte ihm das Tuch. »Jetzt.«

Paul nahm es entgegen und wie eben geprobt, band er es Maria um die Arme und zog ihre Arme bewusst sehr langsam zusammen. Jetzt hatte er verstanden, worauf es ankam.

Es waren erste Stimmen im Saal zu hören. »Nein, hör auf.« und »Wir glauben es.«

Doch Paul zog langsam weiter bis kurz vor den Punkt, bei dem Maria vorhin gestöhnt hatte. Er machte einen Knoten.

Der Baron hatte bisher nur still zugeschaut. Jetzt erhob er sich und ging auf Maria zu. »Danke für diese beeindruckende Vorführung. Wir sind sehr stolz auf Dich.« Er streichelte ihr leicht über den Kopf.

Marias Augen strahlten.

Doch der Baron wollte auch die letzten Zweifler herum kriegen. Er bat den Orthopäden, sich Maria in dieser Haltung anzusehen.

Der angesprochene Mediziner trat vor Maria und fragte sie, ob er sie mal berühren dürfe.

Maria nickte. Zu einer Antwort war sie im Moment nicht fähig.

Er tastete Maria vorsichtig an einigen Stellen ab, dann blickte er sehr zufrieden in Richtung des Baron. »Sie haben recht, Maria ist sehr gelenkig. Ich habe keine Einwände, wenn sie genügend Training bekommt.« Er blickte Paul an. »Kannst Du sie jetzt wieder befreien?«

Paul kam der Bitte gern nach, denn insgeheim war ihm diese Vorführung nicht ganz geheuer.

Nach dem er das Tuch entfernt hatte, ließ Maria ihre Arme kurz noch etwas in der vom Tuch aufgezwungenen Haltung, dann erst ließ sie locker.

»Den Handschuh auch?« Paul blickte fragend in Richtung Kerstin.

Sie kam auf Paul und Maria zu und gemeinsam öffneten sie Maria die Riemen. Paul zog den Handschuh von Marias Armen herunter.

»Darin hätte ich ja stricken können.« Maria flüsterte dies sehr leise in Richtung Paul. Dieser grinste, denn er wusste, wie Maria sonst die Arme hielt.

* * *

»Bitte nimm mich in den Arm.« Paul war Marias Bitte gern nachgekommen. Gemeinsam kamen sie von der Versammlung zurück. Sie waren auf dem Weg zu Pauls Oma, wo Maria heute noch die neue Trainingsjacke probieren wollte.

»Du warst echt toll.« Paul wollte etwas Nettes sagen.

Maria freute sich über das Lob. »Dabei habe ich doch eigentlich gar nichts gemacht.« Sie grinste.

Paul wollte Marias Leistung aber nicht schmälern lassen. »Aber Du hast durch die Vorführung alle überzeugt.« Er dachte laut darüber nach, dass dies wohl sehr wichtig für den Baron war.

Maria blieb stehen und drehte sich zu Paul hin. Sie strahlte sehr glücklich. »Ich habe den Handschuh zeigen dürfen.« Das war ihr sehr wichtig.

Paul schlang beide Arme um seine Freundin und zog sie an sich heran. »Ich bin sehr stolz auf Dich.«

Ihre Lippen trafen sich. Es wurde ein langer Kuss

»Ich würde Dich auch gern umarmen.« In Marias Stimme klang etwas Sehnsucht.

»Na komm«, Pauls Stimme klang belustigt, »daran bist Du jetzt aber wirklich selber schuld.« Er erinnerte sie daran, dass sie die Ärmel tragen wollte.

Spielerisch kämpfte Maria mit ihren Armen in dem Cape. Es war sehr gut gearbeitet und Paul spürte, dass sie ihre Arme kaum bewegen konnte.

»Ich weiß.« Maria grinste. »Du kommst ja nicht auf solche Ideen.« Sie blickte ihn herausfordernd an.

Paul kam ins Grübeln. »Ich dachte, Du machst das alles nur für Deine Mutter.«

Maria wurde ein klein wenig rot. »Naja, es gefällt mir aber auch, so wenig tun zu können.«

Paul war sich nicht sicher, ob er seine Freundin richtig verstanden hatte.« Du meinst, ich sollte Dich...« Er wusste nicht, was er genau sagen sollte. »Und Du magst es?«

Maria blickte ihn mit leuchtenden Augen. »Bei Dir fühlt sich das ganz anders an als bei 'ihr'.« Ihre Stimme zitterte. »Es ist so aufregend.«

In diesem Moment war das Schlagen einer Kirchturmuhr zu hören.

Maria seufzte. »Wir müssen weiter gehen. Ich will sie gleich anrufen.«

* * *

Oma Selma saß wieder draußen auf ihrer Bank, als Paul mit Maria im Arm vor dem Haus ankam. Sie sah schon mit dem ersten Blick, dass sich etwas besonderes ereignet haben musste Selma unterdrückte ihre Neugier und hieß die beiden erst mal herein kommen.

Maria war wie immer sehr pflichtbewusst. »Darf ich sie bitte an anrufen? Ich soll ihr sofort berichten.«

Oma Selma warf einen Blick auf Maria, dann musste sie lächeln. »Sollte Dir Paul nicht erst mal das Cape ausziehen?«

Maria musste auch lächeln. Sie hatte fast etwas enttäuschtes im Blick. »Ja, das wäre wohl besser.«

Paul kam der Bitte nach, dann zeigte er Maria, wo das Telefon stand.

Selma bat Maria, von ihr Grüße zu bestellen, dann bat sie Paul nach draußen. »Ich wollte Dir noch etwas sagen, bevor Maria die Jacke probiert.« Ihre Stimme klang fast etwas geheimnisvoll.

Paul blickte sie aufmerksam an.

»Marias erste Erfahrung in der Jacke muss unbedingt etwas positives sein.« Sie hörte sich sehr wichtig an. »Nimm sie zärtlich in den Arm und streichle sie.«

Paul war ernsthaft bemüht, den Gedanken seiner Oma zu folgen. »Küssen darf ich sie wohl nicht?«

»Zwinge es ihr nicht auf, aber gehe darauf ein, wenn sie es möchte.« Selma wollte Paul gut vorbereitet haben. »Es kann sein, dass Maria wieder kommen wird.«

Paul musste erst einen Moment überlegen, bevor er wusste, was seine Oma meinte. Er wurde rot.

»Es ist sehr wichtig, dass sie jetzt in der Jacke etwas schönes erlebt. Später wird sie es sehr schwer haben, also mache es ihr jetzt leicht.«

Paul fühlte einen großen Druck auf sich lasten und er hoffte, immer das richtige zu tun.

Seine Oma schien seine Sorgen zu spüren. »Ich bin ja in der Nähe. Sei einfach sehr aufmerksam.«

Maria kam nach draußen. »Sie lässt ebenfalls schön grüßen.«

Oma Selma bedankte sich. »Und wie war es jetzt auf der Versammlung? Was hat der Baron gemacht?«

»Oh, es war sehr gut vorbereitet.« Paul und Maria waren sich da einig. Paul zeigte seiner Oma den Plan für Marias weitere Ausbildung.

Oma Selma warf einen kurzen Blick darauf, dann blickte sie Maria leicht bedauernd an. »Das wird aber nicht einfach.«

Maria war zuversichtlich. »Ich werde es schaffen.«

Pauls Oma fragte nach den Geschehnissen.

Ihr Enkel erzählte von der guten Vorbereitung und dem Verlauf. »Und gegen Ende kam die große Abstimmung. Es waren sich alle einig und Maria wurde einstimmig gewählt.«

Maria ergänzte: »Nur der Kassenwart bat sich einen Vorbehalt aus. Ich soll mich sobald wie möglich bei den einzelnen Sponsoren vorstellen.«

»... mit dem Handschuh.« Sogar in Pauls Stimme klang jetzt Stolz mit.

Oma Selma nickte mit dem Kopf. »Ja ja... Das liebe Geld.«

Maria griff Pauls Einwurf auf. »Ich darf dabei den Handschuh sogar tragen.« Ihre Augen strahlten.

Oma Selma blickte Maria nachdenklich an. Doch sie sagte nichts, stattdessen nahm sie Marias neue Trainingsjacke zur Hand. »Wir könnten sie dann probieren. Aber dazu gehen wir rein.«

* * *

Oma Selma hatte die Jacke auf den Tisch gelegt und zeigte Maria und Paul die Änderungen, die sie gemacht hatte. »Ich habe hier an den beiden Schultern eine jeweils eine Schlaufe angebracht, damit die Riemen nicht von den Schultern rutschen können.« Sie zeigte auf das aufgenähte Stück. »Und die Riemen an den Händen habe ich ausgetauscht.« Sie breitete die Ärmel aus und holte die Riemen an den Fingerspitzen hervor. »Jetzt sind die beiden Riemen gleich lang.«

Marias Augen leuchteten. »Ich bin ja sehr gespannt.«

Oma Selma drehte die Jacke um. »Die anderen Riemen sind unverändert. Die können wir so brauchen, wie sie schon waren.« Sie machte noch darauf aufmerksam, dass in den Riemen zum Festschnallen der Arme noch ein paar Löcher fehlen. »Die müssen wir jetzt noch anbringen.«

Sie hatte ein paar Büroklammern als Markierungen vorbereitet. Sie wandte sich an Paul. »Könntest Du bitte mal die Lochzange aus der Werkstatt holen?«

Paul kam der Bitte gern nach. Er verließ den Raum.

Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, als Selma etwas auf Maria zu ging. Sie versuchte ihre Stimme bewusst liebevoll und zärtlich klingen zu lassen, obwohl sie Pauls Freundin etwas ziemlich heikles fragen wollte. »Maria, wann trägst Du den Keuschheitsgürtel? Wie oft meine ich.«

Maria musste zunächst schlucken, doch dann spürte sie irgendwie, dass sie zu Pauls Oma Vertrauen haben konnte. »Ich soll ihn eigentlich immer nur tragen, wenn ich draußen bin. Daheim müsste ich ihn nicht tragen. Doch oft ist es praktischer, wenn ich ihn tagsüber gar nicht erst ablege.«

Selma begriff. »Er ist also vorrangig zu Deinem Schutz?«

Maria fühlte sich verstanden. »Ja, genauso wie dieser seltsame BH auch. Im Training bin ich oft recht hilflos.«

»Und in der Nacht?« wollte Selma wissen.

Maria spürte, wie sie leicht rot wurde. »Da brauche ich ihn nicht zu tragen.« Sagen tat sie mit ihren Worten aber viel mehr.

»Warum trägst Du die Schenkelbänder?«

Maria seufzte. »Die gehören zum Programm. Wegen der damenhaften Bewegung.« Ein winziges bisschen Spott klang in ihrer Stimme mit.

»Weiß Paul schon davon?« Selma dachte an ihren Enkel.

Auf einmal wurde Maria traurig. »Nein.« Sie seufzte. »Und ich weiß auch immer noch nicht, wie ich ihm das erklären soll.«

Selma schien eine Idee zu haben. »Dürfte er es denn wissen?«

Maria dachte nach. »Eigentlich schon.«

Ein Lächeln glitt über das Gesicht von Pauls Oma. »Vertraust Du mir?«

Das »Ja« von Maria klang noch recht unsicher.

»Dann lass mich nur machen.« Im Gegensatz zu Maria klang Selma Stimme sehr zuversichtlich. »Was trägst Du denn darunter?«

»Einen ganz normalen Gymnastik-Anzug.« Maria wunderte sich.

In diesem Moment ging die Tür auf und Paul kam mit der Lochzange zurück.

Selma dankte ihm, dann nahm sie die Jacke zur Hand und erklärte, worauf es jetzt ankam. »Wir wollen ausmessen, wo wir in den Armriemen Löcher brauchen. Aber dazu muss Maria die Jacke einmal anziehen.«

Sie drehte sich fast etwas übertrieben zu Maria hin. »Zieh Dir bitte Rock und Bluse aus, dann ist es leichter.« In Wirklichkeit konnte sie so Maria zuzwinkern, ohne das Paul es sehen konnte.

Maria war im ersten Moment sehr erschrocken, doch dann erinnerte sie sich an die Bitte um Vertrauen. Sie knöpfte sich also langsam die Bluse auf, zuerst die Knopfleiste, dann die Knöpfe an den Ärmeln. Der Stahl-BH kam zum Vorschein, und das Schloss, mit der er verschlossen war, war recht deutlich zu sehen.

Ohne weiteres Zögern zog Maria den Reißverschluss ihres Rockes auf und ließ diesen mit einer gewissen Dramatik zu Boden fallen. Sie stieg heraus und bückte sich, um ihn aufzuheben. Sowohl der Keuschheitsgürtel als die Schenkelbänder waren nicht mehr zu übersehen. Zumal sich das Metall deutlich von dem Sporttrikot abhob.

Paul wurde mit jeder Bewegung von Maria nervöser. Er blickte ziemlich irritiert zwischen Maria und seiner Oma hin und her. Es war gleich doppelt verwirrt, zum einen natürlich von Marias sehr seltsamer Stahl-Unterwäsche, aber nicht minder davon, das seine Oma überhaupt keine Reaktion zeigte, sondern so tat, als wäre es das selbstverständlichste von der Welt, dass Maria ihre seltsame Metallunterwäsche zeigte.

»Hilfst Du Maria bitte beim Anziehen?« Oma Selma reicht Paul die Jacke. »Ich bereite das Maßnehmen vor.«

Es war Paul anzusehen, dass es ihn sichtlich irritierte. Seine Hände zitterten.

Doch auch in Maria war eine gewaltige Anspannung zu spüren. Es war die Anwesenheit von Selma, welche bei ihnen beiden beruhigend wirkte.

Paul hielt Maria die Jacke so hin, dass sie ihre Arme in die engen Ärmel stecken konnte. Dann kniete er sich vor sie hin und schloss den Reißverschluss Jetzt hatte er sein Gesicht direkt vor ihrem Stahl-Höschen, doch er sagte nichts.

Oma Selma hatte ihm heimlich aus den Augenwinkeln zugesehen. »Die Riemen zwischen Beinen bitte auch, jetzt brauchen wir die.«

Paul nahm die Riemen, die vorn an der Jacke angebracht waren in die Hand, doch dann ließ er sich wieder los und blickte zu seiner Oma hin. »Das kann ich nicht.« Seine Stimme zitterte.

Selma war bemüht, ihre Stimme sehr bestimmt und doch auch liebevoll klingen zu lassen. »Bitte trau Dich. Genau dafür trägt Maria doch den Keuschheitsgürtel. Damit ist sie sicher geschützt und du tust ihr nicht weh.«

Hätte Paul in diesem Moment auf Maria geblickt, dann hätte er gesehen, wie sie bei dem Wort 'Keuschheitsgürtel' zusammenzuckte. Doch er wandte nur langsam seinen Blick wieder zurück zu Maria. Seine Hände zitterten sehr, als er die beiden Riemen durch ihre Beine zog.

Maria hielt in diesem Moment den Atem an. Gewiss, durch den Gürtel spürte sie im Schritt keine der Berührungen der Riemen. Aber ihre Schenkelinnenseiten waren nicht geschützt und jede Berührung von Paul ließ Blitze durch ihren Körper schießen. Sie biss sich auf die Lippen, um ein Stöhnen zu vermeiden. Sie wollte es Paul nicht noch schwerer machen.

Pauls Oma war an ihn herangetreten und prüfte die Spannung der Riemen. Sie bat ihn, es noch zwei Löcher enger zu machen. »Es ist wichtig, dass die Jacke von unten gut festgehalten wird.«

Maria fragte sich in diesem Moment, wie es wohl sein würde, wenn sie die Jacke mal ohne den schützenden Gürtel tragen würde. Ein seltsames Ziehen ging durch ihren Bauch.

Paul stand auf und blickte Maria verwundert an. Er rang sich ein »Trägst Du immer so etwas?« heraus.

Marias Stimme war sehr leise, als sie ihm antwortete. »Immer wenn ich raus gehen möchte.«

Oma Selma hatte den beiden zugesehen und war mit dem Ablauf sehr zufrieden. Sie hatte nicht weiter eingreifen müssen und Paul hatte sehr gut reagiert. »Gut, dann wollen wir mal maßnehmen.«

Sie bat Maria, ihren Arm so auf den Rücken zu legen wie sie es auf der Zeichnung gesehen hatte. Maria schaffte dies fast bis zum Schulterblatt.

Selma nahm den langen von ihr angebrachten Riemen und schob ihn unter der Lasche auf der Schulter durch. Sie bat Paul, ihn doch vorn durch die Schnalle zu ziehen. »Bitte festhalten.«

Das gleiche tat sie mit Marias anderem Arm. Diesmal hielt sie selber den Riemen in der Schnalle fest. Sie nahm die bereitgelegten Büroklammern und markierte die Stelle auf dem Riemen. »Hier müssen die Löcher anfangen«

Sowohl Paul als auch Maria begriffen, was sie meinte.

Selma blickte Maria fragend an. »Welchen Arm sollen wir nehmen?«

Maria war der linke Arm lieber.

»Ich möchte jetzt noch wissen, wie weit wir die Riemen noch kürzen können. Dazu soll Paul den Arm noch einmal hoch drücken.« Sie erinnerte das Liebespaar daran, wie sie es gestern gemacht hatten.

Maria biss die Zähne zusammen und wollte gerade mit einem leichten Stöhnen beginnen, als Selma auch schon ein »Danke« sagte. Paul ließ sofort wieder los und Marias Arm lockerte sich.

Selma war mit dem bisherigen Verlauf sehr zufrieden. Sie bat Maria, die Jacke noch einmal auszuziehen. Maria lächelte und blickte Paul fragend an. Selma bemerkte ihren Fehler und lächelte. »Oh sorry, ja, bitte Paul, die Jacke noch einmal ausziehen. Ich muss damit noch mal an die Maschine.«

Das wäre zwar nicht nötig gewesen, aber Selma sah eine gute Gelegenheit, Paul und Maria sich ein wenig mit Marias seltsamer Unterwäsche befassen zu lassen. Sie bot den beiden an, sich auf das Sofa zu setzen, während sie mit der Jacke auf die Nähmaschine zu ging. »Ich werde die Enden der Riemen noch kürzen und vernähen.«

* * *

Paul war immer noch sehr verwirrt wegen der Ereignisse. Besonders die sehr seltsame Unterwäsche aus Metall irritierte ihn sehr. Natürlich hatte er im Museum mal so etwas wie einen Keuschheitsgürtel gesehen, doch er hielt das bisher für ein Relikt aus der Vergangenheit.

Aber er genoss nach wie vor die Nähe zu Maria. Sie saßen zusammen auf dem Sofa und blickten beide interessiert zu Selma. Paul traute sich nicht, den Arm um Maria zu legen und Maria traute sich nicht, darum zu bitten. Irgendwie lag eine viel zu große Anspannung in der Luft.

Nur gelegentlich warf Paul einen Blick auf Marias so seltsam verpackten Körper. Schließlich rang er sich zu einer Frage durch. »Trägst Du das in der Schule auch?«

Maria war nicht ganz klar, was Paul genau meinte, aber er konnte eigentlich nur ihre Stahl-Unterwäsche meinen. Sie wackelte etwas mit den Beinen, um die Kette etwas in Bewegung zu bringen. Als Paul seinen Blick darauf gerichtet hatte, sagte mit leiser Stimme. »Das brauche ich nicht, wenn ich einen engen Rock trage.«

Die beiden Metallringe um die Oberschenkel hatte Paul schon heute Nachmittag gesehen, doch in der Hektik hatte er keine Zeit gehabt sich darüber zu wundern. Jetzt konnte er die Schenkelbänder in aller Ruhe betrachten und besonders fiel ihm die kurze Kette zwischen den Beinen auf. Er erkannte endlich, warum Maria immer nur so kleine Schritte machen konnte. Er rang sich ein »Du bist sehr tapfer« ab.

Nur ganz langsam wich Marias Anspannung und ein wenig Glücksgefühl nahm den Platz ein. Sie drehte sich zu ihm hin. »Danke«

Selma hantierte weiter ziemlich umständlich mit der Jacke herum. Sie wollte den beiden noch etwas Zeit lassen, ihre Erlebnisse zu verdauen.

Maria wurde mutig. »Du kannst es ruhig mal anfassen. Ich spüre davon nichts.«

Pauls Hand zitterte sehr, etwas als sie sich Marias Busen näherte. Erst als er realisierte, das er wirklich nur Metall spürte, ließ seine Nervosität etwas nach.

* * *

Selma stand auf und fragte Paul nach der Lochzange.

Paul und Maria standen beide vom Sofa auf. Paul blickte sich im Raum um und holte die Zange von der kleinen Anrichte.

»Ich denke, dass machen wir zu dritt. Paul macht die Löcher, ich halte den Riemen fest und Maria, bitte halte das Maßband.« Selma wusste, das sie natürlich auch die Löcher hätte anzeichnen können, doch sie wollte eine enge Zusammenarbeit zwischen Paul und Maria erreichen. »Bitte alle eineinhalb Zentimeter ein Loch genau in die Mitte.«

Insgeheim lächelte sie. Das wäre natürlich auch leichter gegangen, aber es war sehr schön anzusehen, wie konzentriert die beiden zusammen bemüht waren, die Löcher akkurat in die Mitte und im richtigen Abstand zu setzen. Vergessen waren Keuschheitsgürtel und Schrittbänder. Selma war sehr zufrieden.

Nach dem der zweite Riemen mit den gleichen Löchern versehen war, blickte Selma noch einmal auf ihre beiden Schützlinge. Sie schienen sich beruhigt zu haben. Besonders Maria machte einen sehr gelösten Eindruck und Paul schien sich auch gut unter Kontrolle zu haben.

»Dann wollen wir die Jacke mal ausprobieren.« Sie war bemüht, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen, doch auch Selma war in diesem Moment etwas aufgeregt. Das Vorhaben von Pauls Freundin war doch etwas außergewöhnliches.

Marias Augen leuchteten. Sie blickte noch einmal an sich herunter und konnte es immer noch kaum glauben. Sie trug ihr Keuschheitsgeschirr in der strengen Variante und Paul hatte sich nicht daran gestört. Ein großer Stein war ihr damit vom Herzen gefallen.

Selma reichte Paul die Jacke. »Hilfst Du Maria bitte beim Anziehen? Ich schaue dann noch mal, ob alles richtig sitzt.« Sie überlegte einen Moment. »Die Arme machst Du bitte noch nicht fest.«

Es kam Paul schon sehr seltsam vor, von seiner Oma hier so befremdliche Anweisungen für seine Freundin zu bekommen, doch als er Maria anblickte, sah er, dass sie auch auf seine Taten wartete.

Seine Herz klopfte laut, als er Maria die Jacke hin hielt.

Maria war ebenfalls sehr aufgeregt, als sie ihre Arme in die Ärmel steckte, die ihr Freund bereit hielt.

Paul zog die Jacke hoch und legte sie um Marias Schultern. Dann trat er vor sie und schloss den Reißverschluss Diesmal ließ er sich von dem Keuschheitsgeschirr gar nicht mehr irritieren.

Selma war mit dem bisherigen Verlauf sehr zufrieden. »Die Riemen zwischen den Beinen bitte auch, die sind jetzt wichtig, weil die Arme am Gürtel ziehen werden.«

Pauls Hände zitterten etwas. Es war noch lange nicht selbstverständlich, dass er seine Freundin einfach so in eine Zwangsjacke einsperren würde und entsprechend groß war sein Respekt. Ohne den Stahlgürtel zwischen Marias Beinen hätte er das Anlegen der Schrittriemen vermutlich abgelehnt. So wusste er zumindest, dass Maria davon nichts spüren würde und das beruhigte ihn.

»Fertig.« Seine Stimme zitterte noch mehr als seine Hände.

Beide blickten Selma mit Spannung an. Jetzt würde es passieren.

Pauls Oma trat langsam hinter Maria und bat sie um einen Arm. Paul sollte sich vor Maria aufstellen und bereit sein.

Maria legte einen Arm auf ihren Rücken, so wie sie es schon beim Maßnehmen gemacht hatte. Selma war mit der Armhaltung schon recht zufrieden. Sie nahm den Lederriemen an den Fingerspitzen und schob ihn durch die Lasche über der Schulter. Sie bat Paul, ihn ganz langsam nach vorn zu ziehen.

Paul kam der Bitte nach. Knisternde Spannung lag im Raum. Auf einmal spürte Paul Widerstand. Er hörte auf zu ziehen.

»Bis hier hin erst mal.« Auch die Stimme seiner Oma verriet etwas von ihrer Anspannung. »Bitte führe den Riemen jetzt in die Schnalle am Gürtel. Auf der anderen Seite.«

Paul schaute einmal auf den Gürtel und wusste, wie es gemeint war. Er zog den Riemen durch die Schnalle und fragte mit leiser Stimme. »Gleich ins erste Loch?«

Selma ließ Maria dies entscheiden, doch diese war unentschlossen. Sie schob ihren Arm etwas nach oben. »Welches Loch wäre das?«

Paul zog den Riemen etwas an und schaute nach. »Das wäre das zweite.«

Marias Stimme klang in diesem Moment mutig. »Dann bitte das vierte.«

Doch Selma widersprach. »Maria, Du solltest es gerade am Anfang langsam angehen. Das zweite Loch reicht.«

Im ersten Moment war Maria enttäuscht, doch dann nahm sie den Rat von Pauls Oma an. »Gut, das zweite.«

»Jetzt bitte den anderen Arm.« Selma kam Maria zu Hilfe, den sie musste ja jetzt den zweiten Arm über den ersten Arm darüber legen.

Maria spürte, wie Paul auch diesen Riemen fest zog. Jetzt konnte sie die Anspannung aus ihren Armen lösen und trotzdem blieben diese in ihrer Position. Marias Atem ging etwas heftiger. Die neue erzwungene Haltung war sehr aufregend.

Selma ahnte, das es wohl nicht mehr lange dauern würde, bis Maria kommen würde. Sie bat sie, sich jetzt auf das Sofa zu setzen. Paul sollte sie dabei begleiten.

Selma gab Paul ein Zeichen und dieser legte seinen Arm um Maria. Zärtlich begann er Maria zu streicheln.

Marias Atem ging heftiger. Die sehr gelöste Stimmung und das Vertrauen zu Paul und seiner Oma erlaubten ihr, sich in ihre Gefühle fallen zu lassen. Sie war sehr erregt. Pauls Berührungen elektrisierten sie. Sie schloß die Augen und keuchte. Ein Zittern ging durch ihren Körper.

Maria drehte ihren Kopf etwas unsicher zu Paul und blickte ihn verliebt an. Langsam kamen ihre Lippen sich näher.

* * *

Selma blickte zufrieden auf das Liebespaar auf dem Sofa. Es war genauso gekommen, wie sie es vorausgeahnt hatte. Maria war nach ihrem Höhepunkt sehr glücklich und ließ sich in ihrer Wehrlosigkeit von Paul verwöhnen.

Oma Selma schaute auf die Uhr. Zulange sollten Marias Arme beim ersten Mal nicht in dieser Haltung gefangen sein. Es tat ihr zwar etwas weh, aber sie musste die romantische Stimmung jetzt unterbrechen.

Sie ließ ihre Stimme bewusst leise klingen. »Für heute soll es genug sein.« Als sie Marias enttäuschtes Gesicht sah, fügte sie hinzu. »Gerade am Anfang darfst Du es nicht übertreiben.«

Maria sah es ein und seufzend bat sie Paul, ihr die Arme wieder zu befreien.

Paul war noch ganz benommen von den Ereignissen, deswegen kam er der Bitte nur langsam nach. Zu viel war auf ihn eingeströmt, als das er noch normal denken konnte. Ihm kam es vor, als würde er träumen.

»Aber ich bin mir ziemlich sicher«, jetzt war die Stimme von Selma wieder normal, »dass Du das Gebet auf dem Rücken schaffen wirst.«

Maria blickte sie etwas unsicher an. Sagen konnte sie noch nichts.

»Aber eben hat Maria es doch schon fast geschafft.« Paul streichelte Maria noch einmal sehr zärtlich.

»Ja schon,« Selma lächelte verständnisvoll, »aber auf dem Fest müssen die Arme über mehrere Stunden so getragen werden. Und das muss lange und hart trainiert werden.«

Maria drehte sich noch einmal zu Paul und küsste ihn. »Danke.«

Selma tat es zwar etwas weh, aber es war ihr wichtig, dass Maria gut vorbereitet war. »Es wird sehr schwer für Dich werden. Du wirst viel Kraft brauchen. Aber Du kannst es schaffen.«

Zu einer Antwort war Maria nicht fähig, doch ihr Blick zeigte Entschlossenheit.