Maria

Maria – In Amerika

Autor: Karl Kollar

Mittwoch, 25. August 1984

Maria blickte etwas genervt zwischen dem Kllniktelefon und der Krankenschwester hin und her. In den Jahren zuvor hatte sie sich immer sofort nach ihrer Ankunft in der Klinik ihrer Mutter bei ihrer Erzieherin in der Heimat gemeldet, um ihr von dem eigentlich immer sehr langweiligen Flug in die Staaten zu berichten. Ausgerechnet diesmal, wo sie ihren Freund daheim lassen musste, gab es mit diesem Telefonat Schwierigkeiten.

Die diensthabende Schwester wusste weder von irgendwelchen Sonderregeln, die für Maria gelten würden, geschweige denn, dass sie die Tochter der Chefin war. »Sie müssen schon entschuldigen, ich bin neu hier«, versuchte sie eine Entschuldigung. »Und seit der neue Investor hier das Sagen hat, gibt es so viel mehr neue Regeln.«

Maria wunderte sich ein wenig. Von einem neuen Investor hatte ihre Mutter ihr gegenüber bisher nichts erwähnt. Sie lehnte sich zurück und während sie auf die Erlaubnis wartete, ließ sie ihre Gedanken kreisen zu dem sehr bewegenden Abschied von Paul.


Eigentlich hatte sie gehofft, den ganzen Tag mit ihm verbringen zu können. Doch schon bald musste sie erkennen, dass auch Paul nach dem spannenden Wochenende erst einmal auspacken und seiner Oma zur Hand gehen musste. Immerhin war er bald nach dem Mittagessen bei ihnen aufgekreuzt, und er hatte die Gesamtsituation auch besser eingeschätzt, in dem er versuchte, sich nützlich zu machen.

Im Gegensatz zu Maria hatte Mrs. Potter sein ernsthaftes Bemühen durchaus zur Kenntnis genommen und hatte dem Paar im Gegenzug dafür den einen oder anderen zärtlichen Moment genehmigt. Besonders beeindruckt war Maria allerdings, als Paul ihr ihren Knebel angelegt hatte. »Damit du etwas ruhiger wirst«, hatte er noch angefügt.

Erst später hatte sie erfahren, dass Paul ihre Erzieherin vorher um Erlaubnis gefragt hatte. »Mach nur, dann ist sie vielleicht etwas ruhiger.« Das war die Antwort.


Den ganzen Flug über bis jetzt glaubte Maria den Ball im Mund zu spüren, es war fast so etwas wie ein Kuss für sie.


Etwas später hatte Mrs. Potter dann noch eine Überraschung für das verliebte Paar. »Maria darf den Handschuh tragen, wenn Paul mir etwas mit der Wäsche hilft.«

Paul brauchte nur einen winzigen Moment, dann hatte er seine Entscheidung getroffen. Noch während Maria sich noch wunderte, dass Margarethes Verbot anscheinend schon wieder aufgehoben war, war Paul schon dabei gewesen, ihr den Handschuh anzulegen.

Maria war in diese Geste geradezu verliebt. Jetzt, wo sie wusste, dass sie sowohl ihre Stimme als auch ihre Arme für längere Zeit zum letzten Mal an Paul abgegeben hatte, versuchte sie auf die ihr verbleibende Art, sich nützlich zu machen. Aber viel mehr als die Tür der Waschmaschine aufhalten oder den Eimer mit dem Wäscheklammern halten, brachte sie nicht zustande.

»So hättest du mir aber auch mal helfen können.« hatte Mrs. Potter gescherzt.

Maria war so verblüfft, dass ihr keine Antwort einfiel. Zumal diese Bemerkung auch noch ein paar andere Gedanken in ihr auslöste. Wie würde das Zusammenleben mit Paul wohl nach dem Fest aussehen? Ob sie dann den Handschuh immer noch tragen dürfte?

Sie war noch etwas in Gedanken, als auf einmal eine andere Schwester auf sie zu kam.

* * *

Paul hatte den Zettel mit den abgesprochenen Zeiten vor sich liegen, jetzt wartete er darauf, dass Maria anrufen würde. Neben ihm lagen die Bücher, die ihm seine Oma einst bereitgestellt hatte und mit denen er sich über den weiblichen Körper und auch über Marias Orgasmen informiert hatte. An manchen Stellen waren jetzt sogar Lesezeichen angebracht. Einiges von dem, was er auf Sebastians Hütte erlebt hatte, verstand er jetzt etwas besser.

Er blickte auch immer wieder auf die Erinnerungsfotos von der Hütte, die Sebastian geschickt hatte. Besonders mochte er die Bilder, die Maria zeigten. In dem Kleid von Grünbergs sah sie wirklich atemberaubend aus. Und dass ihre Arme nicht sichtbar waren, fiel erst auf den zweiten Blick auf.

Immer wieder fiel sein Blick auf das Telefon. Er erwartete Marias Anruf aus der Klinik. Sie hatte versprochen, sich sofort nach der Ankunft bei ihm zu melden. Paul wunderte sich. Nach dem Zeitplan, den sie zusammen besprochen hatten, hätte sie schon lange in der Klinik sein müssen.

Er dachte an den Montag, den ersten Tag nach der Hütte. Insgeheim hatte er ein wenig Angst vor diesem Tag gehabt. Er glaubte erkannt zu haben, dass die Fesseln für Maria sehr wichtig waren, doch auf der anderen Seite sagte ihm sein gesunder Menschenverstand, dass es wichtiger war, ihre Amerikareise vorzubereiten. Zu seiner Erleichterung kam ihm Mrs. Potter sehr entgegen, als sie den Handschuh für Maria quasi anordnete.

Es hätte ihn schon gereizt, Maria gleich wieder in Fesseln zu legen. Doch er wusste auch, wie wichtig Marias Reise war und dafür war er bereit, seine Wünsche hintenanzustellen. Zumal seine Freundin ihm erzählt hatte, was sie in den vergangenen Jahren in der Klinik so erleben und erleiden musste. Er hatte verstanden, welche großen Opfer Maria für ihre Mutter brachte. Er hatte nur nicht verstanden, warum sie das machte. Doch er hatte auch noch nicht den Mut aufgebracht, sie danach zufragen.

Wieder warf er einen Blick auf die Bilder. Auch ein Bild von Maria als stolzes Ponygirl war dabei. Und obwohl Paul von dieser Spielart bisher noch überhaupt nichts gewusst hatte, hatte ihn »sein« Pony sehr in den Bann gezogen. Immer wieder musste er an den Moment denken, als Maria in seinen Armen wieder einen Höhepunkt hatte.

Er wusste zwar noch nicht wie, aber er war sich sicher, dass er 'ja' sagen würde, falls Maria dieses Spiel noch einmal spielen wollte. Er dachte an die vier geheimnisvollen Kisten, die seine Oma aufbewahrt hatte. Ob dort wohl auch noch eine Ponyausrüstung darin sein würde?

Er war etwas verlegen, als er daran dachte, wie seine Oma ihn auf die Ponyspiele angesprochen hatte. Zum einen schien er auf der Hütte einen sehr faszinierten Eindruck gemacht zu haben, denn genau davon hatte Sebastian seiner Oma erzählt. Zum anderen hatte ihm seine Oma »gestanden«, dass auch sie gern in die Rolle des Ponymädchens geschlüpft war, wenn ihr Rittmeister das von ihr verlangt hatte.

* * *

Endlich waren die Formalitäten geklärt. Maria durfte an dem Telefon, welches auf dem Schreibtisch stand, die lange Nummer wählen. Sie wäre bei diesem Telefonat gern allein gewesen, doch die Schwester schien keine Anzeichen zu machen, sich zu entfernen. So blieb Maria nichts anderes über als sich bei den Themen eher auf Oberflächliches beschränken.

Sie hätte ihm gern noch von dem Traum erzählt, den sie in der Nacht auf den Montag gehabt hatte, in dem sie vom Baron und seinem Neffen entführt wurde. Dabei war ihr Mund so versiegelt, wie sie es bei Christine gesehen hatte. Und sie war sehr erleichtert, als Paul sie aus dem Kerker befreit hatte. Sie hatte ihm noch davon erzählen wollen, doch es hatte sich bei den Reisevorbereitungen einfach nicht ergeben.

Sie war sehr erleichtert, als Pauls Stimme hörte. Sie berichtete zunächst von dem ereignisarmen Flug und die Fahrt zur Klinik. »Bis dahin war es wie immer. Im Flugzeug habe ich fast die ganze Zeit geschlafen« Doch dann wurde ihre Stimme etwas leiser. »Es gibt hier anscheinend einen neuen Eigentümer der Klinik. Irgendeinen Investor.« Sie erzähle von den neuen Regeln, die jetzt gelten würden. »Ich bin auch nicht in meinem Zimmer, sondern im Schwesternzimmer. Vom Zimmer aus sind keine Auslandsgespräche mehr erlaubt.«

Paul begriff sofort, was sie ihm eigentlich damit mitteilen wollte. Sie war nicht allein und musste sich auf Allgemeines beschränken.

»Aber du darfst mich auf dem Zimmer anrufen.« Mit einem Leuchten in der Stimme teilte sie ihm die lange Nummer mit. Den passenden Zeitpunkt für die Anrufe hatten sie schon ausgemacht, um die Zeitverschiebung zu berücksichtigen. »Ich vermisse dich jetzt schon.«

Paul notierte die Nummer sorgfältig. »Leonie hat sich noch nicht bei uns gemeldet.« Er erzählte, dass er den Schlüssel zu ihrem Keuschheitsgürtel immer noch in der Schreibtischschublade verwahrte. »Damit er nicht verloren geht.«

Maria war darüber nicht verwundert. »Erstens stören die Gürtel nicht wirklich... Und Leonie wird sicherlich mit der Silberhochzeit ihrer Mutter beschäftigt sein.«

Paul ging in Gedanken noch einmal die Erlebnisse auf der Hütte durch. »Weiß deine Mutter schon von dem Gebet?«

»Nein, zumindest nicht von mir«, Maria war etwas stiller. »Das wollte ich ihr Morgen beichten, auf dem Mutter-Tochter-Tag. Aber sicher hat Sebastian ihr schon etwas dazu gesagt.« Sie wurde etwas nachdenklich. »Ich kann es gar nicht in Worte fassen, aber irgendwie ist es diesmal anders als die Male zuvor. Manches ist jetzt viel pompöser, anderes geradezu spartanisch.«

Paul hörte nachdenklich zu.

»Ich bin diesmal auch nicht allein auf dem Zimmer.« Maria versuchte sich an das Namensschild auf dem Bett zu erinnern. »Sarah Princesa da Leudvica.«

»Eine Adelige?« Pauls Stimme zeigte ein wenig Ehrfurcht.

»Scheint so.« Maria klang verunsichert. »Ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll.«

»Dann sind eure Hoheit ja standesgemäß untergebracht.« Paul lächelte.

»Jedoch mein Prinz fehlt mir.« Maria griff den Gedanken auf. »Die Schwester hat gesagt, dass sie aus Brasilien ist und eine ähnliche Behandlung bekommt wie ich. Meine Mutter wird mir noch mehr zu ihr erzählen, hat sie gesagt.«

»Ich soll ganz viele liebe Grüße bestellen. Von ihr und auch von meiner Oma.« Paul richtete die Grüße aus und berichtete, dass ihre Erzieherin auch schon beim Koffer Packen war und sich auf den Urlaub freute. »Auch der Baron lässt Grüße ausrichten und wünscht, dass du ab und zu an deine Rolle denken sollst.«

Maria bedankte sich, dann verabschiedeten sie sich. Sie legte auf und sah eher beiläufig, wie die Schwester die Uhrzeit notierte. Dann ging sie wieder auf ihr Zimmer.

* * *

Maria drückte die Tür ins Schloss und ging zu ihrem Bett am Fenster. Dabei fiel ihr Blick wieder auf das Namensschild des zweiten Bettes. »Sarah Princesa da Leudvica.«, der Name, den sie Paul auch schon genannt hatte. Ansonsten war von der Patientin nicht viel zu sehen. Auf dem Tischchen neben dem Bett standen die üblichen Utensilien, eine Medikamentenpackung, ein Glas und einige Illustrierte. Das Tischchen machte trotzdem einen sehr aufgeräumten Eindruck. Nur ein Gegenstand im Zimmer erregte ihre Neugier. Es war eine fast lebensgroße Figur, die etwas halbherzig mit einer durchsichtigen Folie abgedeckt war. Maria trat näher an die Figur heran und jetzt erkannte sie, dass es sich bei der Figur anscheinend um eine Puppe handelte, die ein atemberaubendes Korsett trug.

Sie zog die Folie etwas beiseite und jetzt konnte sie erkennen, dass es wirklich ein Ganzkörperkorsett war. Sie keuchte etwas, denn es war noch strenger als ihr Nachtkorsett, da es auch den Kopf und die Füße mit einbezog. Sie kam ins Grübeln. Würde dieses Korsett für sie sein? Dies hielt sie doch für unwahrscheinlich, denn dazu hätte ihre Mutter bestimmt schon etwas gesagt. Also dann würde es wohl der Prinzessin gehören. Doch wozu würde sie ein so strenges Korsett brauchen?

Maria hatte genügend Erfahrung, um zu erkennen, dass die Person, die darin eingeschnürt war, vollkommen bewegungsunfähig und damit sehr hilflos sein würde. Sie keuchte noch einmal, rückte die Folie wieder zurecht, und ging mit leicht zitternden Knien zum Bett zurück.

Sie setzte sich auf das Bett und griff zu ihrer großen Tasche. Sie hob sie aufs Bett und öffnete den Reißverschluss. Doch irgendwie traute sie sich noch nicht, sie auszupacken. Sie wusste so überhaupt nicht, wie sie sich gegenüber ihrer Zimmernachbarin zu benehmen hatte.

Zuoberst lag ihr weißer Monohandschuh. Sie wusste zwar, dass sie ihn hier nicht brauchen würde, weil es in der Klinik davon genug gab, doch es war ihr Lieblingshandschuh. Außerdem erinnerte sie der Handschuh sehr an Paul, denn in diesen Handschuh durfte er sie schon oft einschnüren. Sie nahm ihn zur Hand und spielte gedankenverloren damit herum. Als sie ihn so im Detail betrachtete, fiel ihr auf, dass er jetzt doch schon einige Abnutzungsspuren zeigte.


Auf dem Flur waren Schritte zu hören, die näher kamen. Maria legte den Handschuh aufs Bett und stand auf. Sie dachte sich, dass es wohl geschickter wäre, die Prinzessin gleich im Stehen zu empfangen als erst in ihrer Gegenwart aufzustehen.

Sie blickte noch einmal auf ihr Bett und hätte den Monohandschuh gern wieder zurück in die Tasche gepackt, als sich die Tür auch schon öffnet und Marias Aufmerksamkeit gefordert war.

Im Nachhinein wusste Maria nicht mehr, was sie erwartet hatte, doch ein Rollstuhl, auf dem eine junge Frau in ihrem Alter von einer sehr missmutigen Schwester in den Raum geschoben wurde, war sicher nicht dabei.

Die Schwester stellte an dem Stuhl die Bremsen fest, trat dann vor die Prinzessin und öffnete einige Schnallen, die die Prinzessin an den Rollstuhl fixiert hatten. Dabei würdigte sie Maria nicht einmal mit einem Blick. Die Schwester wartete, bis die Prinzessin sich erhoben hatte, dann löste sie die Bremsen, schob den Rollstuhl wortlos hinaus und schloss die Tür.

»Du musst Maria Beller sein, die Tochter der Chefin?« Die Prinzessin stand auf einmal vor Maria und reichte ihr die Hand.

Maria reichte ihr ebenfalls die Hand und kam trotzdem nicht umhin, noch einmal einen Blick auf das Namensschild zu werfen. »Und du bist...« Sie zögerte etwas.

»Bitte sag einfach 'Sarah' zu mir.« Der Prinzessin war Marias Blick nicht entgangen. »Lass dich davon nicht irritieren.« Auch sie blickte kurz auf ihr Namensschild.

Marias Blick blieb am Gesicht von Sarah hängen. Dort waren deutlich zwei Schläuche zu sehen, die in ihre Nasenlöcher führten. Sarah hatte sich natürlich auch auf die Gefährtin vorbereitet, die ihr versprochen worden war. »Lass dich davon nicht stören. Das ist für die Magensonde und die Luftzufuhr.« Sie wartete Marias Reaktion gar nicht erst ab. »Das habe ich mir so gewünscht, dann muss ich bei den Mahlzeiten nicht immer befreit werden.« Ihre Augen zeigten dabei ein gewisses Leuchten.

Da Maria das außergewöhnliches Abenteuer von Christine auf der Hütte miterlebt hatte, hatte sie eine Ahnung, um was es sich bei den Schläuchen handelte könnte. Tief in ihrem Inneren regte sich ein Gedanke; ob sie ihre Mutter wohl überreden konnte, ihr so etwas auch anzulegen? Der Gedanke, sich nicht mehr um die Nahrungsaufnahme kümmern zu müssen, hatte etwas Faszinierendes. Doch dann erst begann sie zu realisieren, was die Prinzessin noch gesagt hatte. »Du bist hier gefangen?«

Sarah hatte insgeheim mit dieser Frage gerechnet und ebenso freute sie sich darüber, dass Maria sich nicht abgewandt hatte. »Das habe ich mir ebenfalls so gewünscht.« Dann fiel ihr Blick auf Marias Bett und sah dort den Monohandschuh liegen. »Ist das deiner? Darf ich mal sehen?« Sie ging zum Bett und nahm ihn in die Hand.

Maria war über diese Neugier überrascht. Sie nickte verwundert.

Doch kaum hatte Sarah den Handschuh in ihren Händen, war sie erstaunt. »Den kannst du tragen? Der ist viel enger als meiner.« Es schwang neben viel Bewunderung auch ein wenig Neid in der Stimme mit.

Maria war über den Kennerblick sehr verwundert.

»Musst du auch trainieren?« Sarah klang sichtlich interessiert. Sie schien endlich jemanden zu haben, mit dem sie über ihre wahren Sorgen und Gefühle reden konnte.

Maria war immer noch verwundert. Doch sie spürte, dass Sarahs Interesse ehrlich war. Aber sie wusste nicht, wie viel sie erzählen durfte.


Es klopfte. Frederike Beller trat ein und ging auf die beiden Mädchen zu. Sie gab zuerst der Prinzessin die Hand und begrüßte sie mit »Eure Hoheit«, dann erst nahm sie ihre Tochter in den Arm.

Maria war es schon von den bisherigen Aufenthalten gewohnt, dass ihre Mutter während des Klinikbetriebes wenig Zeit für sie hatte. Dafür gab es morgen den Mutter-Tochter-Tag, für den ihre Mutter wie jedes Mal einen ganzen Tag Urlaub opferte.

»Ich sehe, sie haben sich schon bekannt gemacht?« Sie blickte die beiden Mädchen kurz an. »Den Nachmittag haben sie beide frei, damit sie sich kennenlernen können.«

Sarah blickte etwas unglücklich zu Marias Mutter und schlenkerte etwas mit den Armen.

»Passt etwas nicht?« Frederike war der Blick der Prinzessin sofort aufgefallen. »Seien sie bitte ehrlich.«

Die Prinzessin war verlegen. »Ich möchte keinen 'freien' Nachmittag.« Es war der Prinzessin anzusehen, dass sie lieber geschwiegen hätte, wenn Frederike sie nicht so bedrängt hätte. » Könnten wir nicht wenigstens unsere Handschuhe tragen?« Sie blickte auf das Bett, auf dem Marias Handschuh lag.

Frederike lächelte. Sie war erleichtert, dass es so ein 'einfaches’ Problem war. »Aber natürlich dürfen sie, wenn sie möchten, Hoheit.«

Sie drehte sich zu ihrer Tochter. »Die Prinzessin möchte hier gefangen sein.« Dabei zwinkerte sie unauffällig mit den Augen. »Du kannst dich ihr gern anschließen, wenn du möchtest. Sie kennt sich in der Klinik sehr gut aus.« Dass sie auch sehr unauffällig von einer Wachmannschaft bewacht wurde, behielt sie aber für sich. Sie wusste, dass ihre Tochter sich gefahrlos der Prinzessin anschließen konnte.

Insgeheim war sie erleichtert, dass Sarah ihre Tochter so problemlos akzeptierte. Ihr zukünftiger Schwiegervater, der Herzog von Breganza aus Brasilien, hatte eine Zimmergefährtin für Sarah angefordert, die eine ähnliche Ausbildung machen würde. Und der Herzog war ein wichtiger Geldgeber für die Klinik. Sie hoffte, dass er genauso positiv auf Maria reagieren würde wie seine Tochter, denn entgegen der Anforderungen war Maria eben keine Adelige, sondern eine ganz einfache Bürgerliche. Doch insgeheim vertraute sie auf die Durchsetzungskraft von Sarah. Wenn sie sich einmal mit Maria angefreundet haben würde, dann würde der Herr Papa es sehr schwer haben, Maria abzulehnen.

In diesem Moment war eine Lautsprecherdurchsage zu hören. »Frau Beller bitte dringend in den OP.«

»Präsentieren sie Maria ruhig ihr Prunkstück.« Sie lächelte die Prinzessin an. »Sie können ihr ja dann erst mal die Cafeteria zeigen und dann vielleicht noch den Park.« Sie gab Sarah noch einmal die Hand, dann verlies sie eilig das Zimmer. An der Tür zwinkerte sie Maria noch einmal kurz zu. Sie wusste natürlich, dass ihre Tochter sich selbst gut auskannte, denn sie war schon oft in der Klinik gewesen. Doch so hatte Sarah die Rolle einer Fremdenführerin und sie könnten sich bestimmt leichter kennen lernen.


Maria wusste immer noch, nicht worauf dies hinauslaufen würde. »Was haben sie vor, Hoheit?« Ihr war aufgefallen, dass ihre Mutter die Prinzessin immer sehr formal angesprochen hatte.

Doch Sarah reagierte sofort. »Bitte bleib beim Du... und jetzt komm mit.«

Maria war die ein wenig aufdringliche Prinzessin noch etwas unheimlich.

Sarah war immerhin sensibel genug, um Marias Unsicherheit zu spüren. »Ich helfe dir mit deinem Handschuh und dann lege ich mir meinen an.« Mit dem Kopf deutete Sarah auf den Nachbarraum.

Marias Neugier wuchs. Sie hatte noch keine Idee, wie sich Sarah selbst einen Monohandschuh anlegen konnte, doch sie klang genauso zuversichtlich wie abenteuerlustig. Maria kam sich für einen Moment wie Leonie von der Hütte vor. Es klang aufregend, aber sie wusste nicht, was kommen würde.

Es war nicht das erste Mal, dass Maria von einer nahezu Unbekannten der Handschuh angelegt wurde, doch bei Sarah spürte sie sofort, dass die Prinzessin sich zum einen auskannte und andererseits auch einen gewissen Ehrgeiz mitbrachte. Mit einem Seufzer musste sie an Paul denken.

»Stimmt etwas nicht,« fragte Sarah mit besorgtem Gesicht. Sie war zwar sehr froh, dass ihre lange schon versprochene Kameradin jetzt da war, doch sie wollte sie deswegen nicht überfordern.

»Du erinnerst mich sehr an meinen Freund.« Maria seufzte. »Der ist auch immer so aufmerksam.«

»Davon musst du mir erzählen...« Sarah schien sich mit dem Anlegen des Handschuhs wirklich zu beeilen.

Maria hatte Mühe, ihr Keuchen zu verbergen. Ihre diesjährige Ankunft hatte sie sich etwas weniger spektakulär vorgestellt.

Im Nebenraum angekommen, stellte Sarah sich sofort mit dem Rücken an die Maschine und strahlte, während ein Surren von Motoren zu hören war. »Ein Ingenieur meines Vaters hat sich das ausgedacht.«


Sarah trat wieder von der Maschine weg und drehte sich stolz um. Jetzt waren auch ihre Arme in einem Monohandschuh gefangen. Dass er bei weitem nicht so eng angelegt war, wie bei Maria, übersah diese höflich.

»Das ging aber schnell!« Maria zeigte ihre Überraschung.

»Naja, du hast die Vorbereitungen nicht mitbekommen.« Sarah lächelte stolz. »Ich muss den Handschuh natürlich erst in die Maschine einspannen. Aber das habe ich vorhin schon gemacht.

Maria war mehr als fasziniert. Doch eine Frage bewegte sie. »Hast du keinen Freund, der dir damit hilft?« Sie dachte daran, wie gut und gern Paul sie in den Handschuh schnüren konnte.

Doch zu ihrem Entsetzen wurde Sarah auf einmal sehr traurig. »Ich soll ihn heiraten.« Sie berichtete, dass ihre Eltern ihren zukünftigen Ehemann für sie ausgesucht hatte und sie jetzt in der Klinik war, um das zu lernen, was für die Familie nötig war.

Maria war immer noch sehr unsicher, was sie von der Prinzessin halten sollte. Insbesondere weil sie ihr gesagt hatte, dass die Maschine den Handschuh zwar anlegen konnte, aber noch nicht wieder abnehmen. »Das habe ich von den Ingenieuren meines Vaters aber auch nicht verlangt.« Sie grinste.

Maria blieb nichts anderes über als gute Miene zum bösen Spiel zu machen.


»Hast du schon etwas gegessen?«, fragte Sarah. »Wir könnten in die Cafeteria gehen.« Sie berichtete mit einigem Stolz in der Stimme, dass sie mittlerweile fast in der gesamten Klinik eine ‚Gefangene’ war. »Die Schwestern haben Anweisungen, mich immer an den Rollstuhl zu fixieren, und wenn ich frei habe, dann lege ich mir den Handschuh an. Das ist aber eher selten.«

Maria war verwundert darüber, mit welcher Selbstverständlichkeit Sarah sich in der Klinik bewegte und mit welcher Ehrfurcht sie behandelt wurde, beim Aufhalten der Türen oder Benutzen des Fahrstuhls.


»Was möchtest du essen?« Sarah warf einen Blick auf die Tafel, die in der Klinik-Cafeteria ausgehängt war.

Maria war verunsichert. Sie blickte etwas auf die Riemen vor ihrer Brust, die ihre nicht vorhandene Armfreiheit andeuteten.

»Überlass das nur mir.« Sarah lachte. »Joe macht das hervorragend.«

»Stets zu Diensten, Prinzessin.« Ein offensichtlich aus Südamerika stammender junger Mann war an ihren Tisch getreten. »Das ist deine neue Freundin?« Er verbeugte sich sowohl vor Sarah als auch vor Maria.

Maria hatte trotzdem keine Idee, was sie essen wollte, zumal sie bei einigen Einträgen auf der Tafel nicht einmal wusste, was es sein würde.

»Machst du uns etwas Leichtes?« Sarah ahnte, dass sie Maria die Wahl abnehmen musste.

Joe machte sich gleich darauf in der Küche zu schaffen. Es waren Mixergeräusche zu hören.

Gleich darauf servierte er das Essen. Für Sarah gab es einen Beutel, denn er an Sarahs Schlauch anschloss, und für Maria hatte er ein großes Glas mit Strohhalm vorbereitet. »Guten Appetit.«

Als Maria sehr schüchtern aus dem Strohhalm zu ziehen begann, merkte sie doch, wie hungrig sie doch war. Erst nach einiger Zeit realisierte, was sie hier gerade machte.

Als sie sich umblickte, erkannte sie, dass auch noch andere Patientinnen vor Strohhalmen saßen. Manche trugen Schienen, andere hatte einen Arm in Gips. Aber es gab auch Frauen, die noch über ihre Arme verfügten und trotzdem den Strohhalm benutzten.

Sarah war Marias Blick gefolgt. »Das ist Joes Spezialität.« Sie blickte kurz zur Theke. »Seine Mittagsdrinks sind legendär.«

Mixergeräusche aus der Küche zeigten an, dass Joe wieder dabei war, eine Mittagsportion in einen Drink zu verwandeln.

Maria nahm den Strohhalm zur Hand. »Er ist etwas dicker als normal.«

»Natürlich.« Sarah grinste. »Sonst wäre es zu mühsam mit dem Ansaugen.«

* * *

»Lass uns in den Park gehen«, schlug Sarah vor, nach dem Joe abgeräumt hatte. »Da bin ich gern, denn dort kann ich noch ganz unbeschwert sein.«

Maria war aufmerksam genug, um den deutlichen Unterton zu hören. Doch noch fühlte sie keinen Grund, um nachzuhaken. Sie hatte Mühe, der Prinzessin hinterher zu gehen.


»Ich kriege bei fast jeder Behandlung einen Orgasmus.« berichtete Sara recht freizügig. »Am Abend bin ich dann immer sehr müde und schlafe schnell ein.« Die Stimme der Prinzessin klang sehr schwärmerisch.

»Hast du einen Freund?« Maria fand die Frage passend. Erst danach erinnerte sie sich daran, dass sie diese Frage eigentlich schon gestellt hatte.

Doch zu Marias Entsetzen blieb Sarah stehen und schaute sie mit traurigen Augen an. »Ich bin versprochen«, ließ sie erst nach einer Weile hören. Es schien, als hätte sie erst abwägen müssen, wie viel sie Maria erzählen sollte.

»Und das bedeutet genau was?« Maria fand es sehr faszinierend, an dem Leben einer echten Prinzessin teilhaben zu dürfen.

»Für mich wurde ein Ehemann ausgesucht, ich muss ihn heiraten.« Sie betonte das Wort ‚muss’ so stark, dass Maria nachhakte.

»Du magst ihn nicht?« Maria versuchte Einfühlungsvermögen zu zeigen.

Sarah erzählte von einem Zusammentreffen mit ihrem Verlobten. Nur durch einen dummen Zufall hatte sie gesehen, wie er seinen Diener sehr verliebt geküsst hatte. »Für mich ist eine Welt zusammengebrochen.«

Maria hatte die Zusammenhänge noch nicht verstanden. »Dann kannst du ihn ja gar nicht heiraten.«

Sarah blieb stehen und blickte Maria seltsam an. »Du verstehst das nicht. Wir sind Hochadel, ich muss ihn heiraten.«

»Aber wenn er doch...« Maria schluckte. »Aber wenn er dich doch nicht lieben kann?«

»Offiziell ist natürlich alles in Ordnung.« Sarahs Stimme war sehr traurig. »Seine Neigung wird totgeschwiegen. Homosexualität gibt es im Hochadel nicht.«

»Und was ist mit deinem künftigen Schwiegervater?« Maria begann langsam die wahre Situation der Prinzessin zu verstehen.

»Ich weiß nicht,« Sie seufzte und ihre Stimme wurde etwas leiser. »Entweder ist der Herzog total blind oder er will es einfach nicht wahr haben. Er möchte mich unbedingt als Schwiegertochter. Seinetwegen bin ich ja eigentlich auch hier.«

Maria blickte Sarah neugierig an. »Nun erzähl schon.«

Sarah ging recht zielstrebig auf einer der vielen Parkbänke zu und nahm Platz. Sie wartete, bis Maria sich ebenfalls gesetzt hatte und für ihre Arme eine einigermaßen bequeme Haltung gefunden hatte.

»Kennst du die Legende der Affen auf Gibraltar?« Sie blickte Maria fragend an.

»Die Briten können Gibraltar nur so lange halten, wie die Affen dort auf dem Felsen leben.« Maria gab wieder, was sie vor kurzem erst im Geschichtsunterricht erfahren hatte.

»In der Familie Breganza gibt es eine ähnliche Sage. Solange es in der Familie eine Frau gibt, die das Gebet auf dem Rücken tragen kann, wird es der Familie gut gehen.« Sie ließ ihre Worte ein wenig wirken. »Die letzte Frau, die es konnte, ist in den Zwanzigerjahren gestorben. Bald darauf kam die Weltwirtschaftskrise.«

»Aber das ist doch Quatsch.« Maria war zunächst über solchen Aberglauben empört. Doch dann realisierte sie, dass ihre Worte auch verletzend wirken könnten. »Bitte entschuldige, ich habe nur laut gedacht.«

»Du hast natürlich Recht, es ist Quatsch.« Sie seufzte tief. »Aber mein zukünftiger Schwiegervater ist besessen von der Idee, dass es mit seiner Familie wieder aufwärts gehen könnte, wenn ich die Erbin dieser Tradition werde.«

Maria hielt den Atem an.

»Er hat mich in der Hand.« Es fiel Sarah schwer, über diesen Teil ihrer Vergangenheit zu reden. »Bald nach meiner Geburt wurde ich der Herzogsfamilie versprochen. Und bei uns ist so etwas wie ein Gesetz.« Sie seufzte. »Mir gehören große Ländereien, die die Besitzungen der Breganzas gut ergänzen würden.«

Maria war ein gewisser Unterton aufgefallen. »Wo ist der Haken?«

»Der Herzog hat schon früh dafür gesorgt, dass mein Vater die Ländereien mir überschrieben hat.« Sie seufzte wieder. »Dann hat er ihn zu Börsenspekulationen verleitet.«

»Was ist passiert?« Maria ahnte, dass nichts Gutes kommen würde.

»Der Börsencrash.« Sarahs Stimme ließ viel Bitterkeit erkennen. »Er hat all sein Geld verloren.« Sie legte ihren Kopf auf Marias Schulter. »Er hat die Schande nicht ertragen.«

Maria spürte, dass Sarah bei ihr Halt und Trost suchte. Sie versuchte ein Streicheln, so wie sie so oft Paul gestreichelt hatte.

Sarah schien dies zu trösten. »Ich bin oft an seinem Grab.«

»Und deine Mutter?« Maria war erleichtert, dass die Prinzessin ihren Trost annahm.

»Die hat sich in eine einfache Stadtwohnung zurückgezogen und möchte von der Welt draußen nichts mehr wissen.«

Maria schwieg. Sie begriff, dass die Klinik für die Prinzessin so etwas wie eine neue Heimat geworden war.

»Ich kann es bislang nicht beweisen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er bei der Börsengeschichte die Finger im Spiel gehabt hat.« Sarah richtete sich wieder auf und seufzte noch einmal. »Er hat meinen Vater in den Tod getrieben.«

»Aber du fühlst dich hier in der Klinik wohl?« Maria wollte ihre Vermutung überprüfen.

»Hier habe ich mein Paradies.« Sarah verstand sofort, auf was Maria anspielte. »Ich lebe hier meinen Traum der gefangenen Prinzessin«, sie zeigte ihre Arme im Mono, »und ich komme bei fast jeder Behandlung, die er mit deiner Mutter ausgehandelt hat.«

Maria brauchte einige Zeit, bis sie den vollen Inhalt dieser Aussage begriffen hatte. Gleichzeitig erwachte auf einmal eine große Verbundenheit zu Sarah, denn sie begriff, dass sie beide ähnlich dachten. Auch Maria war es bisher so ergangen, dass sie bei den Behandlungen oft gekommen war, und auch sie hatte bisher stets ein schlechtes Gewissen deswegen gehabt. Erst Sarah zeigte ihr, dass es nicht falsch war, es zu genießen.

»Ich will ihn ja auch heiraten.« Sarahs Stimme klang jetzt fast etwas trotzig. »Wir Mädchen aus dem Hochadel wurden von je her so erzogen, dass wir gewisse Pflichten zu erfüllen haben und dafür Opfer bringen müssen. Doch ich hatte nie gedacht, wie groß dieses Opfer sein würde.«

Maria ging für einen kurzen Moment durch den Kopf, dass an ihrem Prinzessinnentraum doch einiges »richtig« war. Doch sie schwieg.

»An sich ist er ja ganz nett. Aber ich habe solche Angst vor ihm.«

Beide Mädchen schwiegen eine Weile. Sarah hing ihren Gedanken nach und Maria grübelte darüber, vor was die Prinzessin genau Angst hatte.


»Ich habe hier in der Klinik mein Paradies gefunden.« Sarah schwärmte. »Und weil der Herzog glaubt, dass keine Fortschritte da sind, wird es von Mal zu Mal strenger für mich.« Sie lächelte. »Zuletzt hat er eine Gefährtin für mich verlangt.«

Maria begriff erst nach einiger Zeit, dass sie damit gemeint war.

Sarah hatte Marias Einsicht bewusst abgewartet. »Ich finde dich toll, so wie du den Handschuh tragen kannst. Warum bist du eigentlich hier?«

»Ich muss das Gebet auch trainieren.« Maria freute sich, dass die Prinzessin auch für sie Interesse zeigte. Sie gab einen Überblick über das Katerinenfest und was sie bisher so erlebt hatte. Natürlich erwähnte sie auch Paul und das Wochenende auf der Hütte.

Nur bei dem Gedanken an ihre »schöne Nacht« war Maria etwas unentschlossen. Ob die Prinzessin dafür Verständnis haben würde? Sie war sich nicht sicher, deswegen behielt sie es erst mal für sich. Doch etwas anderes traute sie sich zu fragen. »Das große Korsett in unserem Zimmer, das ist deines?«

»Ja, das ist meines.« Sarah seufzte leicht. »Es passt in keinen der Schränke hier.«

Nur am Rande fragte sich Maria, wie wohl die Schränke der Prinzessin aussehen würden, wenn sie Platz für so ein Korsett boten. »Es sieht sehr streng aus.«

»Das sieht nur so aus.« Sarahs Stimme klang fast etwas verächtlich. »Es ist nur das leichte Trainingskorsett.«

Maria wunderte sich. »Leicht?« Sie keuchte etwas. Ihr Korsett daheim war nicht so streng.

»Nun ja, hier sind die Arme noch frei...« Sie blickte sich etwas schüchtern um. »Und die Füße lassen sich auch frei bewegen.«

Maria wunderte sich. Unter 'Frei Bewegen' hatte sie bisher etwas anderes verstanden.

»Es war eines der Verlobungsgeschenke.« Wieder blickte sich die Prinzessin scheu um. »Aber es passt mir nicht.«

Maria fand keine Worte.

»Es wurde nur nach einem Foto von mir angefertigt. Es sollte ja eine Überraschung sein.« Sie seufzte. »Die Familie ist sehr korsettvernarrt. Die Tochter soll sogar eines aus Metall haben. Aber ich habe es bisher noch nicht zu Gesicht bekommen.«

»Ich soll ja auch ein neues Korsett bekommen«, berichtete Maria von den Plänen für sie selbst. »Aber so streng wird es nicht sein.«

»Für meine Hochzeit ist noch ein viel strengeres Korsett geplant.« Sarah stöhnte ein wenig. »Dort sind auch die Arme und die Füße mit eingeschnürt.«

»Das ist doch unmenschlich!« Maria war ein wenig empört.

»Findest du?« Sarah schaute ein wenig verwundert. »Ich freue mich schon darauf. Wenn ich da drin bin, dann kann mir nichts passieren.« Sie zögerte etwas. »Vorausgesetzt, es passt.«

Maria hakte nach.

»Das Korsett im Zimmer haben sie ja nur nach einem Foto angefertigt.« Sie verdrehte die Augen.

Maria war mehr als verwundert. »Ich wurde bisher immer komplett eingegipst, damit sie die genaue Körperform haben.«

»Es hängt wohl auch mit dem Dresscode zusammen, der bei uns üblich ist.« Sarah streckte ihre Arme ein wenig. »Es ist nicht schicklich, seine Arme zu zeigen. Ein Venuskorsett zu tragen gilt als äußerst vornehm. Aber das hat schon lange keine Frau mehr zustande gebracht.«

Maria war der Widerspruch aufgefallen. »Der Herzog setzt deswegen große Stücke auf dich. Und dass obwohl sein Sohn einen Freund hat. Weiß er das nicht?«

»Ich glaube, er will es nicht wahr haben.« Sie seufzte laut. »Er nimmt es einfach nicht zur Kenntnis. Für ihn bin ich die perfekte Schwiegertochter.«

Maria war fassungslos wegen solcher Ignoranz. »Er setzt sein Glück vor alles andere.«

»Das Glück der Familie.« antwortete Sarah mit einem Unterton, der Maria dazu brachte, das Thema zu wechseln. Sie spürte, dass sie kurz davor war, in ein großes Fettnäpfchen zu treten.

* * *

Als die Schwester bald nach dem Abendessen ins Zimmer kam und zielstrebig die Decke von Sarahs Bett nahm, kam ein Segufix zum Vorschein. Maria erstarrte.

Die Prinzessin bemerkte Marias Verunsicherung sofort. »Er hat das angeordnet.«

Maria dachte kurz darüber nach, ob sie ihren zukünftigen Mann oder dessen Vater meinte; doch dann war ihr klar, dass nur der Schwiegervater gemeint sein konnte.

»Meine Glieder schlafen nicht ein, aber ich bin völlig hilflos.« Sarah hatte Marias sorgenvollen Blick bemerkt und wollte sie beruhigen. »Ich kann mich aber trotzdem noch bequem bewegen und gut schlafen.«

Maria war etwas neidisch. Sie hatte zwar in der Hütte auch in einem Segufix schlafen dürfen, aber sie war an dem Abend so müde gewesen, dass sie sofort eingeschlafen war und am nächsten Morgen war sie gleich nach dem Erwachen wieder befreit worden. So richtig spüren konnte sie es bisher eigentlich nicht. Sie sah sehr fasziniert zu, wie Sarah im Segufix auf dem Bett fixiert wurde.

Plötzlich war ein leises Brummen zu hören. Sarah war zunächst etwas erschrocken. »Ich habe das nicht abbestellt.« Sie keuchte schon ein wenig.

Maria begriff die Situation sehr schnell. Sie ahnte, dass die Prinzessin sich wohl etwas schämte, in ihrer Gegenwart zum Orgasmus gezwungen zu werden.

Maria fragte sich, wie sich an ihrer Stelle wohl reagieren und erwarten würde. Sie beschloss, einfach ruhig zu sein und so zu tun, als wäre nichts. Doch insgeheim war sie von dem Leben der Prinzessin sehr fasziniert und versuchte sogar, sich an ihre Stelle zu träumen.

Donnerstag, 26. August 1984

Als Maria erwachte, war Sarah schon wach und hatte auch ihre Morgenhygiene schon beendet. Als sie den verschlafenen Blick ihrer Zimmergefährtin bemerkte, wünschte sie ihr einen guten Morgen.

Maria erwiderte den Gruß. Sie wunderte sich ein wenig über die Hektik, doch traute sich nicht, eine Frage zu stellen.

»Ich habe heute wieder die Eiserne Lunge fast über den ganzen Tag.« erklärte Sarah und blickte auf die Schwester, die gerade den Raum betrat. Dann ging sie zu ihrem Rollstuhl und nahm darauf Platz. Sie achtete darauf, Arme und Beine gleich so zu positionieren, dass sie sofort festgeschnallt werden konnte.

»Frühstück!« Schwester Betty strahlte irgendwie gute Laune aus. Doch als ihr Blick auf Maria fiel, wurde sie verlegen. »Für sie ist aber kein Frühstück vorgesehen«, berichtete sie, nachdem sie einen Zettel aus ihrem Kittel gezogen hatte und kurz darauf geschaut hatte.

Maria war nur in der ersten Sekunde enttäuscht, dann fiel ihr ein, dass ihre Mutter sie heute zu ihrem Mutter-Tochter-Tag abholen würde. Und dieser Tag begann stets mit einem ausgiebigen Frühstück in dem kleinen Lokal um die Ecke.

Doch was so großartig als Frühstück angekündigt war, entpuppte sich als ein weißer Beutel, der von der Schwester einfach nur neben Sarahs Bett gehängt wurde und dann mit dem Schlauch verbunden wurde, der in Sarahs Nase führte. Danach kniete sich die Schwester vor den Rollstuhl und ohne ein weiteres Wort zu sagen, schloss sie die Riemen um Sarahs Arme und Beine.

Maria schaffte es nicht, ihre Verwunderung zu verbergen. »Warum...?« begann sie schüchtern zu fragen.

Die Schwester überzeugte sich noch davon, dass der Beutelinhalt sich auf den Weg machte, streichelte der Prinzessin noch einmal über den Kopf, dann verließ sie wieder das Zimmer.

»Ich habe mir das so gewünscht, weil ich dann bei meine Behandlungen nicht für das Essen unterbrechen muss.« Sie lächelte verlegen, als sie Marias zweifelnden Blick sah. »Fürs Frühstück wäre es natürlich nicht nötig.« fügte sie hinzu. Dann wurde ihre Stimme etwas leiser. »Aber finde ich es sehr faszinierend, dass ich darauf keinen Einfluss mehr habe und es ohne mein Zutun passiert.«

Ein Lächeln glitt über Marias Gesicht. Sie musste an Christine denken, die auf der Hütte Ähnliches geäußert hatte.


Es klopfte und gleich darauf betrat Marias Mutter das Zimmer. Sie begrüßte zunächst Sarah, dann wandte sie sich an ihre Tochter. »Bist du fertig?«

Maria ging zum Schrank und holte sich ihre Jacke heraus, dann sah sie ihre Mutter verlegen an.

Frederike musste lächeln. So sah Maria jedes Mal aus, wenn sie sie zum Mutter-Tochter-Tag abholte. Sie schob jedesmal ein schlechtes Gewissen vor sich her, weil sie sich nicht immer an die Vorgaben ihrer Mutter gehalten hatte.

Diesmal war es besonders schlimm, weil sie sich auf der Hütte mehr als hatte gehen lassen. Und dann war da natürlich auch noch Paul.

»Sebastian hat mir alles erzählt.« Sie streichelte ihrer Tochter über den Kopf. »Ich bin sehr stolz auf dich.«

Marias Miene entspannte sich ein klein wenig, doch dieses Mal gab noch mehr zu beichten.

»Lass uns gehen.« schlug Marias Mutter vor.

»Einen schönen Tag.« wünschte Sarah.

Die beiden Frauen bedankten sich. Maria wunderte sich einen Moment lang, dass ihre Mutter Sarahs Fixierung überhaupt nicht zu bemerken schien. Doch dann ging ihr durch den Kopf, dass Sarah mit ihren Wünschen ja schon länger in der Klinik verweilte.

* * *

Das Cafe war keine zwei Autominuten von der Klinik entfernt. Frederike ging dort sehr gern hin, weil die Eigentümer deutsche Wurzeln hatten und sie dort auch einmal das eine oder andere Wort Deutsch hörte.

Der Chef persönlich empfing sie und führte sie zu einem Tisch am Fenster. »Ich halte ihn immer für sie frei«, flunkerte er höflich. »Heute mit der kleinen Schwester?« Natürlich kannte er Maria, aber er liebte es, solche Komplimente zu machen.

Mutter und Tochter blickten ihn lächelnd an, dann gaben sie ihre Bestellung für das Frühstück auf.


»Ich habe lange mit Sebastian telefoniert und er hat mir erzählt, was du alles gemacht hast, mein kleines Ponygirl.« Sie strich ihrer Tochter über den Kopf. »Ich wusste gar nicht, dass dir so etwas gefällt.«

»Das wusste ich auch nicht.« lächelte Maria. Sie war erleichtert, dass ihre Mutter ihr anscheinend nicht böse war. »Nach den ersten Schritten kam es mir vor, als hätte ich nie etwas anderes gemacht. Und als Paul mich dann in die Arme genommen hat...« Sie erschrak, denn auf einmal wurde ihr bewusst, dass sie ihren Freund auch noch zu beichten hatte. Sicher hatten Mrs. Potter und Sebastian ihn erwähnt, aber es zu erzählen, während sie ihrer Mutter in die Augen blickte, war doch noch etwas anderes. Sie ärgerte sich ein wenig, dass sie jetzt schon davon angefangen hatte.

Doch zu ihrer Erleichterung ging ihre Mutter gar nicht darauf ein. »Wie hat dir das Vakuumbett gefallen?«

Maria war verblüfft. Sebastian hatte scheinbar wirklich alles erzählt. Sie zögerte mit der Antwort.

»Es gäbe da nämlich eine neue Behandlungsmethode, die der Herzog für euch angefordert hat.« Frederike hatte auch ein schlechtes Gewissen, weil sie dies schon zugesagt hatte.

Doch auf einmal wurde Maria ernst. »Wir hatten eine Vereinbahrung.« Sie war etwas enttäuscht, ihre Mutter erst wieder daran erinnern zu müssen, dass ihre anstehenden Behandlungen auf ihrem gemeinsamen Tag tabu waren und sie nicht darüber sprechen wollten.

Frederike fühlte sich ertappt. »Du hast recht, entschuldige bitte.« Sie lächelte verlegen. »Wie hat es dir auf der Hütte gefallen?«

»Es war...« Sie zögerte etwas und suchte nach dem passenden Wort. »Es war faszinierend.« Das war zwar nur die halbe Wahrheit, doch Maria hatte immer noch Probleme damit, zu verarbeiten, wie heftig sie auf die einzelnen »Spiele« reagiert hatte und wie sehr sie die Atmosphäre auf der Hütte in den Bann gezogen hatte. Sie hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie an dem Wochenende gekommen war, doch fast immer war es in Pauls Armen und oder zumindest in seiner Gegenwart. Sie spürte, wie sie gegen ihren Willen rot wurde.

»Du liebst ihn sehr?« Frederike bemühte sich, wie die beste Freundin zu klingen und nicht wie die besorgte Mutter.

Maria hob ihren Kopf und sah ihre Mutter ins Gesicht. Langsam öffneten sich ihre Lippen.

»Das Frühstück, meine Damen.« Der Chef war mit einem Tablett an ihren Tisch getreten und begann zu servieren.

Maria war froh, dass ihr die Antwort auf die Frage nach Paul erst einmal erspart blieb. Doch insgeheim ahnte sie, dass diese Beichte vielleicht doch leichter werden würde als sie ursprünglich gedacht hatte.

»Das hier ist das einzige Lokal, wo es richtige Brötchen gibt.« Frederike blickte den Chef dankbar an.

»Wir backen die selbst.« Der Chef lächelte. »Aber selbst die richtigen Zutaten zu bekommen ist hier nicht einfach.« Er freute sich über das Lob und die Wertschätzung. »Ich wünsche ihnen guten Appetit.«

Maria und ihre Mutter bedankten sich, dann machten sie sich über das Frühstück her.


»Diese Ernährung mit der Magensonde hat mich sehr fasziniert.« Maria sprach ihre Gedanken aus, nach dem sie ihren ersten Hunger gestillt hatte. »Christine sah so glücklich aus. Und Sarah ebenfalls.«

»Ich wollte es ja erst nicht glauben, aber Sebastian hat dich sehr gut eingeschätzt.« Sie legte sich noch ein Brötchen auf ihren Teller. »Die Magensonde ist eigentlich etwas sehr Demütigendes, und um das gut zu finden, muss man schon eine gewisse Veranlagung mitbringen.«

»Du würdest es erlauben?« Maria glaubte einen gewissen Tonfall bei ihrer Mutter entdeckt zu haben.

»Jetzt sprichst du aber von deinen Behandlungen.« ermahnte sie Frederike.

Maria lächelte etwas verlegen.

»Ist ja kein Problem.« Ihre Mutter lachte. »Jetzt möchte ich es aber auch sehen.«

»Was denn?« Maria war etwas verwundert.

»Na, dein Gebet auf dem Rücken, von dem Sebastian so geschwärmt hat.« Frederike strich ihrer Tochter noch einmal über den Kopf. »Er sagt, ich könne sehr stolz auf dich sein.«

Marias Blick zeigte zunächst einmal deutlich ihr schlechtes Gewissen. Sie zögerte mit der Antwort.

»Ich kenne Margarete nicht, aber Sebastian hat mir versichert, dass sie eine hervorragende Ärztin ist. Sie hätte nie zugelassen, dass ihr euch oder eure Gesundheit gefährdet.«

Maria war immer noch etwas wie gelähmt.

»Führe es mir doch bitte einmal vor.« bat Frederike ihre Tochter.

Maria musste erst einmal verarbeiten, was sie gerade von ihrer Mutter erfahren hatte. Doch dann legte sie ihre Arme auf den Rücken und nahm die Position des Backprayers ein, soweit sie es für diese doch sehr unnatürliche Haltung selbst konnte.

Die Mutter war im ersten Moment sprachlos. Sehr vorsichtig glitten ihre Finger über die Arme ihrer Tochter und drückten sie sanft zusammen und nach oben. Marias Ellenbogen berührten sich. »Das wäre das Ergebnis der ersten Woche.« Wieder streichelte sie ihre Tochter. »Wir könnten das jetzt etwas entspannter angehen.«

Maria war trotz ihrer Anspannung der Unterton in den Worten ihrer Mutter nicht entgangen. 'Könnten?' fragte sie mit einigem Zittern in der Stimme, als sie den veränderten Gesichtsausdruck ihrer Mutter bemerkte.

Frederike ärgerte sich. Sie wollte es ihrer Tochter eigentlich erst später und etwas behutsamer beibringen. Doch vielleicht war die Schockmethode in diesem Fall sogar besser. »Dieser neue Investor ist schuld.« ihre Stimme war leise und Maria hatte fast Probleme, zuzuhören. »Und dann war der Herzog da und hielt mir den Scheck unter die Nase.«

»Was hast du gemacht?« Maria war entsetzt, denn diese Stimmung hatte sie bei ihrer Mutter noch nie so deutlich gesehen.

»Ich habe dich verkauft.« Frederike hielt den Blick gesenkt. Sie schaffte es nicht, ihrer Tochter ins Gesicht zu sehen. »Ich wollte es dir erst später sagen, doch der Herzog bezahlt mich dafür, dass du und seine Schwiegertochter genau gleich behandelt werden. Er ist mit ihren bisherigen Leistungen nicht einverstanden.«

Maria hatte ganz etwas anderes befürchtet. Jetzt war sie gerade zu erleichtert. »Ich werde auch so festgeschnallt und bekommen so eine Sonde?«

Frederike war noch vollkommen in ihrem schlechten Gewissen gefangen. »Ich habe ihm gesagt, dass ihr zwei völlig unterschiedliche Vorraussetzungen habt und dass es überhaupt nicht sinnvoll ist, doch er wollte es nicht hören.«

Maria schob ihre Vorfreude beiseite, denn sie spürte, dass es für die Skrupel ihrer Mutter gewichtige Gründe geben musste. »Was ist passiert?« Sie wusste zwar immer noch nicht, was los war, aber sie ahnte, dass es etwas wichtiges sein musste.

»Der neue Investor...« ihre Mutter schluchzte fast. »Diese unfähige Verwaltungsdirektor... Ich muss alles selbst bezahlen.«

Maria ergriff die Hand ihrer Mutter und begann sie zu drücken. »Jetzt erzähl doch mal von vorn.« Insgeheim war sie ein wenig erleichtert, dass ihre Mutter auch große Probleme hatte. So wurden ihren Sorgen wegen Paul etwas in den Hintergrund gedrängt.

Frederike wischte sich mit der freien Hand ihre Tränen weg, dann begann sie zu erzählen. Sie berichtete von dem Verwaltungsdirektor, durch dessen Fehler und Versäumnisse die Klinik in eine gewaltige Schieflage geraten war. »Durch einen Fehler in unserer Satzung war es dem Investor möglich, die Klinik aufzukaufen.« Sie seufzte. »Wir waren alle wie vor den Kopf gestoßen.«

Maria streichelte die Hand ihrer Mutter und war entsetzt über die Lage, in der sie sich im Moment befand.

»Es ist jetzt nicht mehr meine Klinik, sondern ich habe nur noch die medizinische Leitung.« Sie seufzte wieder. »Immerhin konnte ich ihn durch meine bisherigen Leistungen überzeugen.«

»Wie lange ist das her?«

»Gerade mal eine Woche.« Frederike seufzte. »Ich war bei ihm und er hat mir die medizinische Leitung gelassen, weil er von mir überzeugt ist. Aber meine privaten Projekte muss ich ab sofort selbst bezahlen.«

Natürlich hatte Frederike sofort das Konsortium informiert und sie versprachen, sich darum zu kümmern, doch sie wusste aus der bisherigen Erfahrung, dass dies lange dauern würde. Doch von dem Konsortium wollte sie ihrer Tochter nichts berichten, zumindest jetzt noch nicht. »Ich hatte schon überschlagen, was das ungefähr kosten würde, als auf einmal der Herzog vor mir stand und mir einen Scheck unter die Nase hielt, auf dem die zehnfache Summe stand. Dafür muss ich euch beide gleich behandeln.«

Maria begriff auf einmal, was die Worte bedeuteten. Und sie war zwiegespalten. Sicher, ihre Mutter hatte sie quasi an den Herzog verkauft und darüber müsste sie eigentlich erbost sein. Doch gleichzeitig erkannte sie, dass ein erst vor kurzem entstandener Traum dabei war, sich zu erfüllen. Sie würde an dem Leben der Prinzessin teilhaben und sie würde genauso streng behandelt werden.

»Ich werde mich opfern.« war schließlich ihre salomonische Antwort, denn sie hatte erkannt, welch eine faszinierende Zeit in diesem Fall vor ihr liegen würde. Sie seufzte etwas übertrieben und hoffte, dass ihre Mutter ihr das »Opfer« abkaufen würde. Sie wusste, dass eine schöne Zeit vor ihr lag. Natürlich würde es schöner sein, wenn Paul da wäre, doch das konnte sie unmöglich verlangen. Sie begann ihrer Mutter über ihren Freund zu erzählen.


»Freust du dich schon auf das 'erste Mal'«, Frederike hoffte, dass sie so von dem ihr etwas unangenehmen Thema ablenken konnte. Dass sie damit bei Maria mittlerweile offene Türen einrannte, ahnte sie nicht.

»Wie denn?« Maria spielte die Empörte. »Noch trage ich doch diesen schönen Schutzgürtel.« Der Sarkasmus in diesem Moment war grundehrlich.

»Vom Programm her wäre es ja vorgesehen.« Frederike übersah den Einwand. Sie hatte es nicht erhofft, dass diese Möglichkeit schon so früh zur Verfügung stehen würde. »Jetzt möchtest du aber sicher erst Mal das Fest gut spielen.«

»Du hast recht.« Maria war über den Themenwechsel ebenfalls dankbar. »Die Prinzessin sollte nicht an ihren eigenen Vorteil denken.« Sie ertappte sich dabei, dass sie sich mit Sarah verglich, die allerdings ein viel größeres Opfer zu bringen hatte.

»Ich möchte noch einmal auf die Hütte zu sprechen kommen.« Frederike blickte ihre Tochter gespannt an. Es reizte sie, das Programm mit dem Thema zu verknüpfen, welches ihre Tochter gerade zu entdecken schien. »Wie gefällt dir 'Bondage'«?

Sie selbst kannte diese Spielart zwar, konnte ihr aber nicht so viel abgewinnen. Natürlich lag es vor allem daran, dass sie seit dem Unfalltod ihres Mannes keinen Partner mehr hatte, dennoch war sie sich der erotischen Wirkung auf Frauen natürlich bewusst. Spätestens als Maria mit 15 ihr erstes Korsett verlangte und bekam, war ihr als Mutter klar, was sich da entwickle würde.

Maria verschluckte sich und musste erst ein wenig husten, bevor sie antworten konnte. Das gab ihr aber Zeit, über ihre Worte nachzudenken, denn sie fühlte, dass es eine wichtige Frage war. »Ich war von dem Handschuh immer schon fasziniert, auch wenn ich ihn mehr als einmal verflucht habe. Die Hütte hat mir die Augen geöffnet.« Sie beschrieb, dass sie der spielerischen Hilflosigkeit sehr viel Lust abgewinnen konnte. »Ich hatte eher Schwierigkeiten, meinen Gefühlen zu vertrauen. Das Schönste überhaupt war das Vakuumbett...« Sie schloss kurz die Augen. »Seine Hände waren überall und ich musste es hinnehmen und genießen.«

»Sebastian war von euch auch sehr beeindruckt.« Frederike lächelte.

»Das Lebendig Begraben Werden hätte mir nicht gefallen«, lächelte Maria. »Aber es war ja alles freiwillig.«

»Wie wäre es, wenn wir aufbrechen?« Frederike winkte dem Ober. »Ich habe noch eine Überraschung für dich.«

* * *

Sie waren eine knappe halbe Stunde mit dem Auto unterwegs, als Frederike auf einen Parkplatz einbog. »Ich hoffe, es gefällt dir. Ich habe es erst vor kurzem entdeckt.«

Maria blickte sich verblüfft um. Es sah aus wie in den Alpen am Ufer eines Sees. »Wie daheim.«

»Lass uns ein wenig spazieren gehen.« schlug die Mutter vor. »Dort drüben haben sie ein »Bayrisches« Restaurant aufgemacht. Mit typisch bayerischen Gerichten.« Sie zählte auf. »Wiener Schnitzel, Hamburger und Thrüringer Bratwurst.«

Maria lachte.

»Aber der Schweinebraten ist für amerikanische Verhältnisse wirklich gut.« Sie öffnet die Tür und stieg aus.

Maria stieg ebenfalls aus und blickte sich verblüfft um. »Hier sieht es wirklich aus wie daheim.«

»Hier komme ich oft her, wenn mich die Sorgen zu sehr plagen.« Sie seufzte ein wenig. »Es lässt mich vergessen, wie weit ich von unserer Heimat entfernt bin.«

Maria seufzte nur etwas. Sie vermisste ihre Mutter auch sehr.


Einen Großteil des Weges gingen sie schweigend nebeneinander her. Beide waren ihre »großen Brocken« schon losgeworden und jetzt genossen sie die Nähe des jeweilig anderen.

Nach einiger Zeit begann Maria, ein wenig vom Katerinenfest zu berichten. Sie erzählte von den Ketten, die sie jetzt besaß und vor allem behalten durfte. Als ihre Mutter nachfragte, berichtete sie von den aufregenden Momenten in der Schmiede. Von Doris war sie besonders fasziniert, weil diese von ihrem dominanten Freund in Ketten gefangen gehalten wurde. »Sie war von der Probe so begeistert, weil sie dort ihre Ketten einmal zeigen durfte.«

Frederike hörte aufmerksam zu, auch wenn ihre Tochter von Dingen berichtete, die eine Mutter eigentlich lieber nicht hören wollte.

»Stell dir vor, sie übernachtet in einem Käfig, und nur ein Wachssiegel hält sie darin gefangen.« Marias Stimme zeigte ihre Faszination.

»Warum denn das?« auch Frederike begriff die Zusammenhänge nicht sofort.

»Sie wohnen über der Schmiede, und dort ist offenes Feuer. Viel zu gefährlich.« Maria gab die Argumentation wieder. »Schließlich hatte die Mutter die rettende Idee.«

Frederike hielt innerlich die Luft an. Die Parallele war viel zu deutlich.

»Sie hatte erkannt, dass es für ihre Tochter sehr wchtig war, von ihrem Freund gefangen zu sein.« Marias Stimme zitterte ein wenig. »Sie hatte die Wünsche wie auch das Wohl ihrer Tochter im Auge. Von ihr war die Idee mit dem Wachssiegel.« Sie beschrieb, dass Doris auf diese Weise sicher gefangen war und sich im Notfall doch ganz leicht befreien konnte.

»Ich habe auch immer von dem Fest geträumt.« Frederike übersah die Anspielungen ihrer Tochter. »Ich bin unheimlich stolz auf dich.« Sie streichelte ihr über den Kopf. »Ich wollte immer die Prinzessin sein. Doch jetzt bist du es.«

Maria wusste ob dieser so unerwarteten Offenbahrung ihrer Mutter keine Antwort. Sie schwieg.

»Wer weiß eigentlich von der Originalhaltung?« Frederike gab sich neugierig. »Außer Mrs. Potter und Paul natürlich.«

»Eigentlich nur der Baron.« antwortete Maria etwas nachdenklich. »Und natürlich die Schneiderin.«

»Die Schneiderin?« Frederike war etwas verwundert.

»Naja, sie muss ja das Kleid schneidern, wo meine Arme hinein passen.« Maria grinste.

Frederike verstand.

»Ich glaube, sie schneidert sogar zwei, eines für einen Monohandschuh.« Ihre Stimme zeigte sowohl Bewunderung als auch Vorfreude. »Ich frage mich nur, was Herr Weiterer davon halten wird, dass ich keinen Monohandschuh tragen werde.« Maria berichtete von dem faszinierenden alten Herrn. »Als er uns erzählte, dass ich wegen seines Alters wohl seine letzte Katerina sein werde, da hätte ich fast geheult.«


»Wie macht sich Paul als Prinz?« fragte ihre Mutter nach einer gewissen Pause. »Ich glaube, du spielst ja wohl viel lieber mit ihm als mit dem Neffen.«

»Ich weiß nicht, was mit dem los ist.« Maria seufzte, als sie daran erinnert wurde. »Seit Paul ausgewählt wurde, ist er bei jeder Gelegenheit dabei und schaut uns zu.«

»Vielleicht hat der Baron ihn beauftragt, auf euch aufzupassen?« spekulierte Frederike. Wie nah sie dabei an der Wahrheit war, ahnte keine von ihnen beiden.

»Aber Paul als Prinz ist toll.« Maria grinste. »Zuerst war er noch sehr zurückhaltend, aber ich glaube, die Hütte hat auch ihm die Augen geöffnet.« Sie schloss kurz die Augen und schien zu träumen. »Ich freue mich wirklich schon auf die Aufführung.«

»Du stehst dann ja mit ihm vor dem Altar.« Frederike griff den Gedanken auf. Sie dachte an eine ganz bestimmte Frage, wagte es aber nicht sie anzusprechen.

Maria schien sie trotzdem zu verstehen. »Ich möchte jetzt erst mal das Abitur schaffen und die Ausbildung hinter mich bringen. Dann sehen wir weiter.«

Sie gingen schweigend weiter.

* * *

Maria musste lachen, als die »bayrische« Gastwirtschaft in Sichtweite kam. »Der war aber auch noch nie in Bayern.« Das Haus sah so aus, wie sich ein Amerikaner ein bayrisches Haus vorstellt, ohne je eines gesehen zu haben.

»Dieser große Balkon ist hemmungslos übertrieben.« bestätigte ihre Mutter. »Aber von dort hat man einen schönen Blick auf den See.«

Sie kamen dem Haus näher. »Setzen wir uns auf den Balkon?« Es war wenig los. »Am Wochenende bekommst du hier keinen Platz.«

Maria lächelte. »Können wir machen.« Am Eingang war schon eine Speisekarte ausgehängt. Sie amüsierte sich sehr über die fast wörtliche Übersetzung der bayrischen und deutschen Gerichte.

Auf dem Balkon angekommen, musste Maria erst einmal die Aussicht genießen, bevor sie sich an den Tisch setzte. »Wirklich wie daheim.« Sie strahlte. Dann wandte sie sich der Speisekarte zu.

»Der Schweinebraten hier ist wirklich gut.« empfahl ihr ihre Mutter, »zumindest für hiesige Verhältnisse. Du solltest ihn aber mit Pommes Frites nehmen. Knödel können sie wirklich nicht.«

Sie entscheiden sich für zwei Portionen von dem Braten und bestellten sich jeweils ein Erdinger-Weißbier, welches Maria auf der Karte entdeckt hatte.

»Meine Tochter darf das.« bestätigte Frederike, als die Bedienung die Stirn runzelte. »Sie sieht nur so jung aus.«


»Hast du dich schon mit der Prinzessin angefreundet?« fragte ihre Mutter nach ihrer Zimmergefährtin.

»Auf sie wartet ja ein trauriges Schicksal.« Maria gab wieder, was sie schon von Sarah erfahren hatte.

»Der Herzog setzt große Stücke auf dich.« Frederike seufzte. »Ich weiß immer noch nicht, ob es richtig war.«

»Mir ist noch nicht klar, was er von mir erwartet.« Maria zuckte mit den Armen.

»Naja, es ist schon etwas seltsam.« Frederike seufzte ein wenig. »Unter der Woche zeigt die Prinzessin immer normale Leistungen. Aber immer, wenn ihr Schwiegervater in der Klinik ist, ist sie wie verwandelt. Dann bekommt sie kaum ihre Arme auf den Rücken.«

»Sie soll ja auch das Gebet auf dem Rücken tragen.« Maria erinnerte sich daran, wie die Prinzessin sie fast ausgehorcht hatte. »Sie war sehr erfreut, dass ich das auch trainieren muss.«

»Der Herzog hofft, dass ihre Leistungen besser werden, wenn sie eine Gefährtin hat.« Sie blickte ihre Tochter kurz an. »Er setzt große Hoffungen in dich.«

»Was kann ich denn machen?« Maria versuchte die Freude darüber, genauso wie die Prinzessin behandelt zu werden, erst einmal zu verdrängen. Schließlich war sie nicht zu ihrem Vergnügen in der Klinik.

»Sarah ist jetzt schon gut ein viertel Jahr hier. Und sie hat bestimmt die körperlichen Vorraussetzungen, um dieses Kunststück zu schaffen.« Die Stimme von Frederike zeigte einige Resignationen. »Doch immer, wenn es Ernst wird, dann scheint sie kneifen zu wollen.«

Die Bedienung brachte das Essen.

»Oh, das sieht ja lecker aus.« Maria war erfreut, auch wenn die Pommes Frites etwas befremdlich neben den Fleischscheiben lagen.

Sie ließen es sich schmecken.


»In einem halben Jahr ist die Hochzeit«, sagte Frederike, nachdem sie ihr Besteck weggelegt hatte. »Bis dahin muss sie die Haltung können.«

Auf einmal wurde Maria etwas klar. »Sie hat Angst vor der Hochzeit und möchte ‚es’ so lange wie möglich hinauszögern.«

»Meinst du?« Ihre Mutter blickte sie verwundert an. »Warum sollte sie das tun?«

«Du weißt das nicht?« Maria war verblüfft. »Ihr zukünftiger Mann hat einen Freund.«

»Ja und?« Frederike es verstand noch nicht. »Eine sehr innige Männerfreundschaft eben. Sagt der Herzog auch.«

»Ihr wollt es nicht sehen?« Maria wischte sich den Mund ab. »Er ist schwul.«

»Meinst du?« Ihre Mutter zeigte einige Zweifel. »Er soll sie doch heiraten.«

Maria erkannte, dass ihre Mutter in dieser Richtung wohl keine Hilfe war. Sie begriff, das sie dieses Problem selbst lösen musste.

»Ich habe noch ein Geschenk für dich.« Marias Mutter wechselte das Thema. »Es liegt im Kofferraum.«

Maria blickte ihre Mutter neugierig an. »Was ist es?«

»Lass dich überraschen.« Sie winkte dem Ober. »Zahlen bitte.«

* * *

»Aber das ist ja ein Ponygirl-Geschirr.« Marias Hände zitterten, als sie das aufregende Leder in der Hand hielt.

»Hufstiefel gehören auch noch dazu, aber die waren noch nicht fertig.« Frederike nahm ihre Tochter in den Arm. »Ich bin sehr stolz auf dich.«

»Aber ich sehe keine Armfesseln?« Maria hielt das Leder in die Höhe. »Ein Pony braucht doch keine Arme.« Sie wunderte sich ein wenig, dass sie solche Sätze von sich gab.

»Das weiß ich«, grinste ihre Mutter. »Ich darf heute ja nicht über die Behandlungen reden, aber du wirst es bald tragen dürfen.« Sie lächelte verschmitzt. »Es sind ein paar spezielle Übungen für die Prinzessin vorgesehen.«

Maria ließ das Geschirr sinken und blickte verträumt über den See. »Ich habe immer davon geträumt, eine Prinzessin zu sein. Jetzt bin ich mit einer zusammen und nehme an ihrem Leben teil. Das ist schon fast so, wie wirklich eine zu sein.«

»Ich dachte mir schon, dass dir das gefallen wird, auch wenn es ziemlich von dem Programm abweicht.« Ihre Mutter bat sie, im Auto Platz zu nehmen.

»Darf ich dann auch in diesem Segufix übernachten?« fragte Maria, nach dem sie sich angeschnallt hatte.

»Ich dachte, das kennst du von der Hütte?« Frederike war verwundert.

»Och, dort konnte ich es gar nicht genießen.« Ihre Stimme klang etwas enttäuscht. »Ich bin sofort eingeschlafen, weil ich so müde war. Und am Morgen haben sie mich so schnell wieder befreit...« Dass sie gern von Paul geweckt worden wäre, behielt sie lieber für sich.

»Und ich hatte Angst, ich würde etwas Schlimmes von dir verlangen.« Die Erleichterung war Frederike deutlich anzumerken. »Aber du scheinst dich ja geradezu darauf zu freuen.«

Maria blickte ihre Mutter nur kurz an und lächelte etwas verlegen.

»Dir ist schon bewusst, dass die Prinzessin auf ihren eigenen Wunsch hin bei uns quasi rund um die Uhr von Fesseln und Einschränkungen umgeben ist.« Frederike hatte wieder etwas Sorgenvolles in der Stimme.

Maria bekam auf einmal einen sehr glasigen Blick. »Ja«, begann sie und ihre Stimme war sehr leise. »Ich werde diese Opfer ebenfalls bringen.«

Sie bedauerte es sehr, dass Paul nicht da war. Obwohl es eigentlich unsinnig war, machte es Maria sehr viel aus, von wem sie die Fesseln angelegt bekam. Und es war noch ein großer Unterschied, ob sie sich nur einredete, dass es seine Fesseln wären, oder ob er sie ihr tatsächlich angelegt hatte. Doch dann hielt sie in ihren Gedanken inne. War es nicht auch ein Teil ihres Traumes, sich aufopfern zu müssen? Wenn sie die nächsten Wochen als Gefangene verbringen musste, dann würde sie sich gern dafür hergeben.

Und noch etwas anderes bewegte sie. Bisher waren die Aufenthalte in der Klinik immer noch abstrakt gewesen. Diesmal hatte sie etwas Greifbares als Ziel. Sie wollte Sarah beistehen und ihr bei ihrem schweren Schicksal helfen. Und natürlich würde sie auch das Katerinenfest sehr würdevoll spielen und hinter sich bringen. Insgeheim sah sie sich und Paul schon vor dem Altar stehen. Paul in der schicken Uniform und sie in dem Kleid, von dem sie bisher nur wusste, dass es in hellem Beige gehalten war.

* * *

Frederike hatte den Wagen von der Wirtschaft auf einen Parkplatz dicht am See gefahren. Jetzt gingen sie am See spazieren. Maria berichtete von den Vorbereitungen für das Katerinenfest.

Auch ihre Mutter hatte sich über das seltsame Verhalten des Barons gewundert. »Er hat schon zweimal in der Klinik angerufen und sich nach dem Ausbildungsstand erkundigt. Es scheint ihm sehr wichtig zu sein.«

Maria war ebenfalls sehr verwundert. »Was macht das für einen Unterschied, ob ich nun meinem Handschuh trage oder das Gebet?«

Ein Klingeln war zu hören.

»Ich habe doch gesagt, dass ich Urlaub habe.« Frederike hatte sich für den Mutter-Tochter-Tag extra frei genommen. Sie kramte etwas in ihrer Handtasche und nahm etwas Längliches zur Hand und hielt es sich an Ohr. »Beller?«

»Ja, das ist richtig. Genauso wie bei der Prinzessin.« Die Ärztin blickte kurz auf ihre Tochter. »Die Kosten dafür übernehme ich persönlich.«

Maria ahnte, dass es wohl um sie ging.

Frederike packte das tragbare Telefon wieder weg, dann legte sie ihrem Arm um ihre Tochter. »Der Herzog hat nachgefragt, warum für dich kein Segufix bereit stand.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist unheimlich, was für einen Druck er aufbaut.«

Maria war unsicher, welche Reaktion ihre Mutter von ihr erwartete. Insgeheim freute sie sich schon darauf, die Nacht festgeschnallt zu übernachten, auch wenn sie es bedauerte, dass Paul nicht da war. Auf einmal hatte sie eine Idee. »Ich dachte, meine 'Gefangenschaft' fängt erst am Montag an.«

»Der Herzog zahlt eine Menge Geld dafür, dass du mit Sarah leiden musst.« seufzte Frederike.

»Bekomme ich eigentlich etwas von dem Geld ab?« Im Nachhinein wusste sie nicht, wo ihre Worte herkamen.

»Du hast recht, immerhin bist du die Hauptperson.« Sie nannte die Summe, die der Herzog auf den Scheck geschrieben hatte.

Maria blieb stehen und keuchte. »Soo viel?«

»Naja, dafür musst du zwei Wochen leiden.« Frederike zeigte einige Besorgnis.

»Es gibt Schlimmeres.« Maria hatte Schwierigkeiten, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. Die Summe, die ihre Mutter genannt hatte, lag jenseits ihrer Vorstellungskraft, was ihren finanziellen Horizont betraf.

»Mit dem Geld könntest du noch locker studieren.« Frederike zeigte, dass sie sich schon Gedanken gemacht hatte über die Zukunft ihrer Tochter.

Maria wurde nachdenklich. »Wenn ich mich etwas einschränke...« Sie zögerte ein wenig. »... Dann könnte das Geld vielleicht auch für Paul reichen? So könnten wir zusammen bleiben.«

Marias Mutter hatte große Mühe, ihre Begeisterung zu verbergen. Dass Maria mit diesem Wunsch sozusagen ihrem geplanten Programm vorgriff, war weit mehr, als sie je zu hoffen gewagt hatte. Besser konnte es gar nicht kommen. »Ich glaube, das lässt sich einrichten.«

Maria ging schweigend weiter.

»Wir müssen dann zurück in die Klinik. Die Schwester, die eben angerufen hat, möchte das Segufix an deine Größe anpassen, und sie hat schon bald Feierabend.«

Maria seufzte. Eigentlich genoss sie jede Minute, die sie mit ihrer Mutter verbringen konnte, doch die Aussicht auf die besondere Übernachtung tröstete sie über die Unterbrechung des besonderen Tages hinweg.

* * *

Als Maria zusammen mit ihrer Mutter ihr Zimmer betrat, waren die Oberschwester und Lernschwester Erica schon damit beschäftigt, die Riemen an der Matratze anzubringen.

»Da sind sie ja endlich.« Die Oberschwester blickte auf die Uhr. Es war ihr deutlich zu sehen, dass sie geschimpft hätte, wenn nicht die Chefin mit im Raum gewesen wäre.

Maria hatte das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen. Schließlich wollte sie der Schwester nicht den Feierabend verderben.

Doch die Erica gab sich dann doch eher freundlich. »Ich soll für sie ein Segufix anpassen.« Sie blickte Maria an, die sich gerade die Jacke auszog. »Wenn sie bereit sind, legen sie sich bitte kurz auf das Bett.«

Maria kam der Bitte nach und konnte gleich darauf zusehen, wie die Erica verschiedene Riemen auf dem Bett festschnallte.

»Die Riemen müssen an ihre Größe angepasst werden, sonst wird es sehr unbequem.« Sie schien den Umgang mit diesen Fixierungen gewöhnt zu sein, denn nachdem Marias Größe genommen war, brachte sie die weiteren Riemen ohne weitere Hilfe an.

* * *

»Seid ihr fertig?« Frederike betrat wieder das Zimmer. »Ich hätte da noch etwas vorbereitet.« Sie blickte ihre Tochter erwartungsvoll an.

»Ja, wir sind so gut wie fertig.« Erica war anzusehen, dass sie vor ihrer obersten Chefin sehr viel Respekt hatte.

Maria musste sich erst noch einmal kurz bei Erica vergewissern, dass alles bereit war, dann stand sie auf und ging zu ihrer Mutter. An der Tür blickte sie noch einmal sehnsüchtig auf ihr jetzt sehr verlockend aussehendes Bett.


In der Kantine wartete Joe schon auf sie. »Ich habe extra das Nebenzimmer geöffnet.« Mit einer einladenden Handbewegung bat er Maria und ihre Mutter herein.

»Joe«, Frederike spielte die Empörte, »ich hatte doch nur einen kleinen Imbiss bestellt.« Sie ließ ihren Blick über den so liebevoll gedeckten Tisch wandern. »Das war nun wirklich nicht nötig.«

»Wenn sich die Chefin persönlich anmeldet und auch noch einen Tisch reserviert...« Joe grinste. »Dann muss ich doch ins Zeug legen.«

Maria war von dem Arrangement ebenfalls sehr begeistert. »Sie haben extra Blumen geholt?« Es war ihr aufgefallen, dass auf den anderen Tischen keine Blumen standen.

»Ich hatte bloß keine karierte Tischdecke.« Er wartete, bis die Damen Platz genommen hatten. »Ich habe Sekt kalt gestellt.« Er griff zur bereitgestellten Flasche. »Zur Feier des Tages.«

* * *

Als Maria wieder in ihre Zimmer kam, lag Sarah schon auf dem Bett und war im Segufix fixiert. »Oh, ich wusste nicht, dass ihr schon fertig seid.«

»Naja«, Maria grinste, »meine Mutter hat gespürt, dass ich mich auf die Nacht freue.« Sie zog sich schnell um und flitzte einmal durchs Bad, dann legte sie sich auf das Bett und griff erwartungsvoll nach der Klingel. Nach dem Klingeln dauerte es erst einige Zeit, bis die Nachtschwester kam. »Sie wünschen?«

Maria zeigte auf das Segufix. »Ich müsste fixiert werden.« Ihre Augen leuchteten erwartungsvoll.

»Das darf ich nicht.« Die Nachtschwester schüttelte den Kopf.

Marias Miene war erstarrt. »Wie? Das dürfen sie nicht?«

»Ist sonst noch irgendwas?« Die Schwester wartete die Antwort nicht ab. Sie verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.

Maria ließ sich in das Kissen fallen. »Das darf doch nicht war sein.«


Sarah hörte von ihrem Bett ein leises Schluchzen. »Maria?« Irgendwie spürte die Prinzessin, das ihre Bettnachbarin Trost brauchen konnte. »Maria?«

Maria wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Was ist denn?«

»Ich glaube, ich kann dir helfen.« Sarah hatte eine Idee.

»Wie denn?« Maria schluchzte. »Du bist doch schon...« Sie schaffte es nicht, es auszusprechen.

»Aber ich kann dir erklären, wie es geht.« Die Stimme der Prinzessin strahlte auf einmal Begeisterung aus.

»Du meinst, ich soll mich selbst...?« Maria wischte sich die Augen aus.

»Du musst nur vorsichtig sein.« Sarah ahnte, dass Maria ihre Idee aufgreifen würde. »Nur eine Hand wird frei bleiben. Das geht dann nicht mehr selbst.«

Irgendwie ahnte Maria, dass die Prinzessin aus eigener Erfahrung sprach. Etwas ermutigt griff sie zu den weißen Riemen und zog sie zu sich heran.

* * *

Frederike betrat am späten Abend noch einmal das Zimmer ihrer Tochter und der Prinzessin. Sie hatte das Gefühl, sich entschuldigen zu müssen. »Der Herzog hat das mit der Fixierung angeordnet. Ich kann nichts dafür.«

Maria war unentschlossen. Sollte sie zeigen, dass sie sich selbst fixiert hatte, weil die Schwester es nicht gemacht hatte? Ihre Mutter würde sie bestimmt richtig festschnallen können, aber war es auch richtig, danach zu fragen?

Sarah kam ihr zu Hilfe. »Frau Beller?«

»Hoheit?« Sie trat an das Bett der Prinzessin.

»Die Fixierung für Maria...« Sie stockte etwas.

»Ich kann ihr das nicht ersparen.« Frederikes Stimme zitterte ein wenig. »Ihr Schwiegervater hat es angefordert.«

»Nein, das meine ich nicht.« Sarah fiel das Sprechen schwer. »Maria musste sich selbst...« Sie kam ins Stocken, »weil die Nachtschwester nicht...«

Marias Mutter erkannte schnell, dass die Prinzessin Marias helfen und ihren Zustand verbessern wollte, ohne dass es wie eine Beschwerde über das Personal aussah. Auf einmal hatte Frederike eine Idee. Sie griff sich ein paar der Verschlüsse vom Nachttisch und trat an das Bett ihrer Tochter. »Ich glaube, da möchte jemand schummeln.«

Maria begriff sofort, dass ihre Mutter ein Spiel versuchte und deswegen ging sie bereitwillig darauf ein. Sie setzte eine Schmollmiene auf und versuchte ihre Hände auf die Gurte zu pressen. »Nein, bitte nicht, bitte nicht festschnallen, Frau Doktor.«

Auch Sarah erkannte recht schnell, dass Mutter und Tochter ein Spiel spielten. Sie hob den Kopf. »Sie ist schon den ganzen Tag so renitent.«

Normalerweise mochte es Maria gar nicht, wenn sich Fremde in ihre Spiele einmischten, doch für Sarah machte sie genauso gern eine Ausnahme wie für Paul.

»Na warte, du kleines Biest.« Frederike gab sich resolut und fixierte den Riemen um Marias bislang noch freie rechte Hand. »Ich werde deine Mutter informieren, wie ungehorsam du bist.«

Marias leuchtende Augen zeigten, wie sehr sie das Spiel genoss. »Die ist weit weg.« Sie grinste.

»Wer hat dich denn festgeschnallt?« Ihre Mutter gab sich erbost. »Da stimmt ja überhaupt nichts.«

»Das war Schwester Maria«, Sarah gab Empörung vor, »ich glaube, da ist eine Beschwerde fällig.«

Es waren tatsächlich ein paar Riemen, die Frederike korrigieren musste. »Ich werde dafür sorgen, dass ihnen neues Personal zugeteilt wird.«

»Bitte sagen sie meiner Mutter nichts davon, Frau Doktor.« Maria versuchte ein verlegenes Lächeln.

»Ich bin verschwiegen«, grinste ihre Mutter. »Aber ich werde mich bei der Chefin über das lausige Personal beschweren.«

Sie deckte ihre Tochter zu und ging zur Tür. »Gute Nacht, ihr Zwei.«

Freitag, 27. August 1984

Maria erwachte, als die Schwester schon fast damit fertig war, sie aus dem Segufix zu befreien. Wieder ärgerte sie sich, denn sie hatte es schon wieder nicht geschaffte, im Segufix aufzuwachen. Sie hatte von dem schönen Mutter-Tochter-Tag geträumt. In ihrem Traum war auch Paul anwesend und Maria konnte ihn ihrer Mutter vorstellen.

Als sie aus dem Bad kam und die Schwester ihr geholfen hatte, das Nachtkorsett gegen ihr Tageskorsett zu tauschen, legte sie legt ihre Tasche auf das Bett und beginnt sie auszupacken. Bisher war sie noch nicht dazu gekommen.

Sarah wurde auf Marias Aktivität aufmerksam. »Was hast du denn da Feines?« Sie trat an Marias Bett und griff zu dem Keuschheitsgürtel, den ihre Zimmergenossin gerade aufs Bett gelegt hatte. »Der sieht schön aus.«

»Meine Erzieherin hat ihn eingepackt.« Irgendwie war ihr das Thema unangenehm.

»Ich muss auch einen tragen.« Sarah ergriff Marias Hand und führte sie auf ihren Bauch. »Als ob ich von ihm etwas zu befürchten hätte.« Sie verdrehte die Augen, dann blickte sie zwischen Maria und dem Gürtel hin und her. »Ich habe eine Idee«, grinste sie.

Maria kannte die Prinzessin noch nicht lange, doch sie wusste schon, dass dieses Lächeln »gefährlich« war.

* * *

Es war wieder acht Uhr Ortszeit, als Maria zum Hörer griff und die lange Nummer wählte, nach dem sie bei der Schwester geklärt hatte, dass sie zu diesem Anruf in Australien berechtigt war und dass ihre Mutter die Kosten dafür übernahm.

Während sie die lange Nummer wählte, musste sie amüsiert an den ersten Freitagsanruf aus den Staaten denken. Rosalie hatte erst lange auf den Anruf gewartet und war dann schon ins Bett gegangen. Erst mitten in der Nacht hatte Maria dann ihre Freundin aus dem Bett geklingelt.

Doch jetzt hatten sie es besser im Griff. Maria rief noch vor dem Frühstück an und erwischte Rosalie nach dem Spielfilm im Abendprogramm.

Wie immer hörte sich Maria erst an, was Rosalie zu berichten hatte. Obwohl sie so weit entfernt waren, wussten sie trotzdem so gut wie alles von einander. Insgeheim war es Maria auch recht so, denn dann konnte sie sich noch etwas überlegen, wie viel sie von den Erlebnissen auf der Hütte berichten wollte. Während sie Rosalies Ärger mit dem neuen Nachbarn lauschte, fragte sie sich, wie sie ihre Verwandlung ihrer besten Freundin erklären sollte.

Doch dann lächelte sie. Rosalie hatte ihr schon länger unterstellt, dass sie fesselnden Aspekt ihres Programmes besonders mochte, und nur der Begriff 'Bondage' war bisher so deutlich nicht gefallen.

Dann kam Maria zum Zug, und sie berichtete im Überblick über das, was sie auf der Hütte in der besonderen Gemeinschaft erleben durfte. Besonders das Vakuumbett schilderte sie sehr intensiv, denn für sie stellte es so etwas wie den Höhepunkt des Wochenendes dar, obwohl sie es vorher gar nicht gekannt hatte. »Ich hatte mir eingebildet, seine Hände zu erkennen, aber das war wohl Quatsch. Petra war genauso zärtlich zu mir.«

Rosalie lauschte gebannt.

»Erst als er allein mit mir war, war ich mir wirklich sicher.« In Marias Stimme lag großes Schwärmen. »Er hat mich wirklich überall berührt.«

»Überall?« Rosalie wollte es zunächst nicht glauben. »Auch dort?«

»Auch dort.« Marias Stimme klang fast etwas amüsiert. Es fiel ihr verblüffend leicht, über Pauls besondere Zärtlichkeit zu berichten. »So intensiv war es noch nie.« Ein Strahlen lag in ihrer Stimme.

Rosalie war schwer beeindruckt.

»Der Abschied ist mir besonders schwer gefallen.« Maria seufzte. Sie berichtete von der schweigsamen Fahrt zum Flughafen und wie sie die ganze Zeit durch ihren Handschuh seine Hand gehalten hatte. »Wir haben fast den ganzen Tag miteinander verbracht und ich wollte noch mal 'seinen' Handschuh spüren.«

Rosalie war sich nicht sicher, ob sie sich nicht verhört hatte. »Du trugst die ganze Zeit deinen Handschuh und hattest die Arme nicht frei?«

»Ja, so war es.« Sie schwelgte etwas in der Erinnerung. »Sie haben alle gespürt, wie schwer uns der Abschied fiel und waren sehr rücksichtsvoll. Mrs. Potter und seine Oma haben sich um das Packen gekümmert und haben uns auf einen Spaziergang geschickt.«

Maria hielt inne und dachte an die Reaktionen, als sie mit angelegtem Monohandschuh durch den Ort spaziert waren. Sie bekamen fast ausnahmslos Bewunderung und Zuspruch sowie die besten Wünsche für das Fest. Dass sie eigentlich gefesselt war, schien dabei keinen zu stören. Marias Gefühle schwankten sehr zwischen Vorfreude und Abschiedsschmerz. Und sie fragte sich, was die Leute wohl zu dem Gebet auf dem Rücken sagen würden. Sie war sich mittlerweile sicher, dass sie es schaffen würde.

»Wie war der Flug?« Rosalie riss ihre Freundin aus ihren Gedanken.

»Langweilig wie immer.« Maria seufzte. »Ich habe fast die ganze Zeit geschlafen und geträumt.«

»Von ihm?« Rosalie konnte es sich nicht verkneifen.

»Von ihm, von der Hütte und vom Fest.« Maria übersah die kleine Provokation. »Ich freue mich sehr.«

»Was macht deine Mutter und wie geht es in der Klinik?« Rosalie besann sich auf die aktuelle Situation von Maria.

»Oh, sie hat sehr viel Ärger mit einem neuen Investor.« Sie berichtete, was sie schon erfahren hatte. »Ich habe diesmal auch eine Zimmergefährtin. Eine echte Prinzessin.«

Rosalie horchte auf. Da war ein besonderer Unterton in Marias Stimme, den sie schon länger nicht mehr gehört hatte. »Was heißt 'echt'?«

»Brasilianischer Hochadel, so viel habe ich schon verstanden. Der Onkel ihres Schwiegervaters wäre der König, wenn es die Monarchie noch gäbe.«

Doch Rosalie ließ sich davon nicht beeindrucken. »Waren keine anderen Zimmer mehr frei?«

Maria übersah den Spott gönnerisch und berichtete davon, dass der Herzog sie extra für seine Schwiegertochter angefordert hatte.

Rosalie lachte. »Genau wie bei Johanna Spyris Heidi. Das kleine Mädchen vom Land für die Tochter aus bestem Hause.«

Maria lachte. »Naja, ein paar Unterschiede gibt es da aber schon noch.« Doch dann wurde sie ernst. »Sie hat ähnliche Sorgen wie 'Klara', aber die lassen sich vermutlich nicht so einfach heilen.« Sie erzählte von dem Gebet auf dem Rücken, das die Prinzessin wegen der angeblichen Familientradition lernen musste und von der wichtigen Hochzeit mit dem Sohn vom anderen Ufer.

Rosalie zeigte überraschend einiges Mitgefühl. »Da werden die eigenen Probleme ganz klein.« Dann gähnte sie. »Ich bin müde.« schob sie entschuldigend hinterher.

Maria wurde sich wieder der Zeitverschiebung bewusst. »Ich glaube, dass war alles Wichtige.« Sie leitete die Verabschiedung ein.

Erst als sie aufgelegt hatte, fiel ihr noch ein, dass sie von noch von ihrer Idee berichten wollte, für Paul ein Tagebuch zu schreiben. Doch für einen erneuten Anruf war es nicht wichtig genug. Dann würde sie es eben beim nächsten Mal berichten. Sie wartete noch, bis die Schwester die Uhrzeit notiert hatte, dann machte sie sich auf zu dem kleinen Kiosk auf dem Klinikgelände. Dort gab es auch Blöcke und Schreibzeug zu kaufen. Ein richtiges Tagebuch wäre zwar schöner gewesen, doch so etwas gab es dort nicht.

Erst im Nachhinein wunderte sich Maria. Rosalie hatte sie dieses Mal gar nicht nach dem 'ersten Mal' gefragt. Die Frage war sonst immer fällig. Maria hätte diese Frage auch sehr in Verlegenheit gebracht, denn ihre Mutter hatte ihr schon angedeutet, dass 'es' durchaus in Reichweite liegen könnte und es war ihr klar, dass sie sich bald dem Thema stellen werden müsste.

* * *

Der Besprechungsraum füllte sich rasch. Es standen überall Namensschilder auf den Tischen, und so konnte Maria sich ein Bild davon machen, dass fast alle medizinischen Sparten anwesend waren. Manche der englischen Begriffe konnte sie sich übersetzen, bei anderen wusste sie die deutsche Entsprechung nicht.

Auf zwei Tischen lagen diverse Geräte bereit, Maria erkannte davon nur ganz wenige. Ein Halskorsett erkannte sie, und es erinnerte sie daran, wie streng diese Dinger ihren Kopf doch fixieren konnten. Andere Gegenstände erkannte sie nicht, aber die vielen Riemen und Schnallen ließen erahnen, dass sie vermutlich alle mit ihrer Behandlung zu tun haben würden.

Es dauerte keine fünf Minuten, bis alle Plätze bis auf ein paar wenige Stühle besetzt waren. Marias Mutter trat ebenfalls ein und verteilte die Unterlagen, die sie vorbereitet hatte.

Mit einigem Stirnrunzeln nahm sie zur Kenntnis, dass auch der Herzog anwesend war. Für ihn musste die Sekretärin extra noch ein Namensschild anfertigen. Auf seinen Platz legte sie das Exemplar, welches sie für sich selbst gedacht hatte. Die Blöße wollte sie sich nicht geben. Außerdem wusste sie sowieso, was auf den Seiten stand. Es waren die Berichte über Marias neueste Untersuchungen.


Der Platz des Herzogs war eigentlich Marias Platz gewesen. Doch sie spürte, dass sie das nicht reklamieren durfte. So nahm sie auf einem der wenigen Besucherstühle hinten an der Wand platz. Sie war genau genommen sogar ganz froh darüber. So konnte sie den Vorträgen folgen, ohne selbst groß aufzufallen.

»Ich freue mich, dass sie alle diesen Termin möglich machen konnten.« Marias Mutter begrüßte die Anwesenden. »Wir möchten heute beratschlagen, wie wir das Intensivtraining für Maria Beller am besten ausgestalten können.«

Sie schaltete den Projektor an. »Ich habe sie gebeten, sich entsprechende Gedanken zu machen und möchte sie nun bitten, ihre Vorschläge vorzustellen. Nach der Mittagspause werden die Stationsärztin und ich dann die konkrete Therapie beschließen.«

Sie bat Maria nach vorn zu kommen. »Bitte führe doch einmal vor, was du mir gestern gezeigt hast.« Sie blickte sie ermunternd an.

Maria kannte außer ihrer Mutter nur einige der Ärzte flüchtig, dennoch war sie etwas nervös, als sie ihre Arme soweit in die Backprayer-Position brachte, wie es ihr möglich war. Wie gestern schob Frederike ihre Arme dann weiter zusammen. Wieder berührten sich Marias Ellenbogen, ohne dass sie das Gesicht verziehen musste.

»Von diesen Fähigkeiten können wir ausgehen.« Frederike legte eine Folie auf. »Ich denke, wichtig wird vor allem alles, was zur Ausdauer beiträgt.«

Auf der Folie standen einige medizinische Begriffe, wie Maria schnell erkannte.

* * *

Die Silberhochzeit ihrer Eltern stand an und Leonie war fast die ganze Zeit zusammen mit ihrer Schwester Christine mit den Vorbereitungen beschäftigt. Nur in wenigen Momenten fand sie etwas Zeit für sich und zog sich in ihr Zimmer zurück. Meistens war sie so müde, dass sie sich auf ihr Bett legte und ein kurzes Nickerchen machte.

Nur manchmal verirrten sich ihre Hände an ihre Taille und ihren Schritt. Doch davon fühlte sie nichts, denn sie trug immer noch den Keuschheitsgürtel, den sie damals auf der Hütte mit Begeisterung angezogen hatte.

Sie hatte Paul den Schlüssel gegeben, denn insgeheim mochte sie es, wenn jemand auf sie aufpasste. Doch dann hatten sie dieses vergessen und so kam es, dass Paul immer noch den Schlüssel besaß. Und es war der einzige Schlüssel. Der Haushalt ihrer Familie war auf Trägerinnen von Keuschheitsgürteln eingestellt und im Bad gab es extra dafür eine Sitzbadewanne.

Sie hätte sich gern mal wieder so richtig berührt, doch das Metall war im Weg. Natürlich hätte sie mit gröberem Werkzeug an die Sache gehen können, doch dann hätte sie den Keuschheitsgürtel zerstört und das wollte sie auch nicht.

Sie musste diesen Paul aufsuchen und ihn persönlich um den Schlüssel bitten, doch Sebastian nach der Adresse zu fragen, diese Blöße wollte sie sich nicht geben. Den Ort wusste sie und in Landsbach würde sie sich zunächst bei Maria melden. Die Adresse hatte sie zwar auch nicht, doch die Hauptdarstellerin des Festes würde sicherlich bekannt sein und sie konnte sich durchfragen.

Ihre Tasche hatte sie schon gepackt mit den Sachen, die sie für einen kurzen Ausflug brauchen würde. Dabei war ihr auch wieder der Trainingsplan in die Hände gefallen, den die Ärztin Margarete für sie ausgestellt hatte. Optimistisch hatte sie ihn eingepackt. Vielleicht konnten Paul oder Maria ihr bei ihrem Training helfen. Von ihren Eltern konnte sie keine Hilfe erwarten, und ihre Schwester wollte Leonie nicht fragen. Mit viel Sehnsucht dachte sie an die Abenteuer auf der Hütte zurück. Es hatte ihr sehr viel Freude bereitet, sich Maria quasi zu unterwerfen und insgeheim träumte sie davon, so etwas Ähnliches in Landsbach zu wiederholen.

* * *

»Herr Kollege, ich danke ihnen für den Vortrag.« Frederike trat wieder nach vorn. »Nun bitte zur Orthopädie... « Doch ein Klopfen unterbrach sie.

Die Tür des Besprechungszimmers ging auf und ein streng aussehender Herr mit Anzug und Krawatte betrat den Raum. »Lassen sie sich nicht stören.« ließ er in den Raum hören, dann ging er zielstrebig auf Maria zu und setzte sich auf den Stuhl neben ihr.

Maria sah, dass ihre Mutter erbleichte, als sie sah, wer sich neben sie gesetzt hatte.

»Ich wollte sie kennenlernen«, begann der Herr recht unvermittelt. »Ihre Ausbildung scheint ja recht wichtig zu sein.«

Maria spürte, dass ihrer Mutter der Kontakt zu diesem Herrn nicht recht war, denn sie schaute oft zu ihnen herüber.

»Als erstes möchte ich den Orthopäden um seine Meinung bitten.« Frederike blickte ihren Kollegen auffordernd an, dann setzte sie sich auf ihren Platz und griff ebenfalls zu Stift und Papier.

Der Orthopäde stand auf und ging nach vorn. Er hatte einige Folien vorbereitet, von denen er die erste auflegte. Zu sehen war eine stilisierte Frauengestalt mit einer sehr schmalen Taille. Er begann recht unvermittelt. »Es wäre schädlich, die Taille von Fräulein Beller einfach zusammen zu quetschen, genauso können ihre Arme nicht einfach in den Backprayer gezwungen werden. Eine Lockerung von ihrem Körper, ihrer Muskulatur und vor allem ihres Brustkorbes ist erforderlich.«

Er legte die zweite Folie auf. Sie enthielt nur eine Sammlung medizinischer Begriffe, von denen Maria nur einige wenige übersetzten konnte. »Zunächst einmal sollten ihre Muskeln mit Hilfe von leichtem Reizstrom gelockert werden. Ich denke, eine halbe Stunde sollte dafür ausreichen.«

Maria blickte etwas besorgt zu ihrer Mutter, die ihrerseits aber gerade zum Herzog blickte.

»Die wichtigste Anwendung sehe ich dann in einer Kombination aus einem Grundkorsett aus Gummi und einem zweiten Korsett mit internen Luftkammern.« Er legte eine weitere Folie auf, die wieder eine taillierte Figur zeigte. Diesmal waren mit zwei farbigen Strichen die beiden angesprochenen Korsetts angedeutet.

»Die Luftkammern des äußeren Korsetts werden wellenförmig nacheinander von kräftigen Druckwellen durchlaufen, und die Taille und Brustkorb insbesondere der untere Teil, werden dabei weiter komprimiert. Dabei wird der obere Brustkorb gelockert und den inneren Organen Gelegenheit geben, sich neu zu verteilen.« Er machte eine Pause und blickte Maria kurz an.

»Diese Kompressionswellen wären aber gefährlich, wenn sie auf eine volle Blase treffen. Deswegen empfehle ich für diese Zeit dringend das Tragen eines Blasenkatheters.« Wieder suchte er Marias Blick und machte einen erleichterten Eindruck, als er bei ihr ein fast unmerkliches Nicken zu erkennen glaubte.

»Weiterhin ist die Anwendung der eisernen Lunge unerlässlich, um die vorgegebenen Ziele zu erreichen. Wir müssen erreichen, dass ihre Brustatmung ausgebaut wird und der Brustkorb geweitet wird. Damit kann sie dann auch ihre Arme weiter zurücknehmen. Mit dem Trainingsfortschritt könnten sogar Korsetts zum Einsatz kommen, die in der Taille nach innen aufblasbar sind und eine Bauchatmung vollständig unterbinden. Haben sie dazu bisher Fragen?« Er blickte erwartungsvoll in die Runde. Das Maria ein wenig keuchte, übersah er bewusst.

»Für das Gebet auf dem Rücken werden wir etwas improvisieren müssen. Sie werden einsehen, dass diese gewünschte Haltung sehr ungewöhnlich ist. Aber ich halte es durchaus für möglich, sie auch über eine längere Zeit einzunehmen, wenn dies ausführlich trainiert wurde.« Wieder warf er Maria einen eindringlichen Blick zu.

»Der Monohandschuh ist ja schon seit längerer Zeit Teil ihres Trainings; und wie uns ihre Mutter berichtet hat, können sie ihn nun schon über mehrere Stunden ganz zugeschnürt und ohne größere Beschwerden tragen?« Er hatte es zwar als Frage formuliert, aber eine Antwort erwartete er nicht. »Ich möchte darauf aufsetzen und habe mir ein Gerät ausgedacht, mit dem wir die Haltung gut einführen können.«

Er ging zum Tisch und hob ein Gerät vom Tisch. Es hatte entfernt Ähnlichkeit mit einer altertümlichen Armbrust.

»Was ist denn ein ‚Monohandschuh’?« Der Herr neben ihr blickte sie neugierig an. Er hatte leise gesprochen, trotzdem hatte Maria die Frage gut verstanden.

Maria musste schlucken, denn sie hatte zunächst keine Idee, wie sie das erklären sollte. »Es wäre einfacher, wenn ich es einfach vorführe, aber das geht erst nach dieser Versammlung hier.«

Der immer noch sehr freundliche Herr brummte ein wenig. »Soviel Zeit habe ich aber nicht.«

Er stand auf und ging nach vorn. »Entschuldigen sie bitte, Frau Beller, aber ich hätte eine Bitte.« Er beugte sich zu ihr herüber und sprach mit leiser Stimme weiter. Maria konnte nicht verstehen, was er sagte.

Frederike war diese Unterbrechung nicht recht, dass war ihr deutlich anzusehen. Dennoch nickte sie ihm kurz zu und bat dann ums Wort. »Wir machen eine kurze Pause.«

Sie bat Maria zu sich. »Holst du bitte deinen Handschuh?« Sie versuchte ein ermutigendes Lächeln, aber es war gequält.


Maria kannte sich in der Klinik gut aus und so hatte sie keine Probleme, schnell ihre Station zu finden. Das Zimmer war wie zu erwarten leer. Es ärgerte sie allerdings, dass sie bis jetzt noch keine Gelegenheit gefunden hatte, ihrer Mutter den Keuschheitsgürtel zu beichten. Doch sie war recht zuversichtlich, dass es in der Klinik die richtigen Schlüssel geben würde.


Der Handschuh lag noch dort, wo sie ihn gestern hingelegt hatte, nachdem Sarah ihr beim Abnehmen geholfen hatte. Sie musste immer noch lachen darüber, wie erschrocken sie war, als Sarah ihr gebeichtet hatte, dass ihre Maschine ihr den Handschuh zwar anlegen, aber nicht wieder abnehmen konnte.

Als sie dann im Schwesternzimmer waren, war nur die Lernschwester anwesend, die mauerte »Ich darf das nicht.« Maria und Sarah blickten sich sehr seltsam an. Es lag fast so etwas wie Erregung in ihrem Blicken. »Dann müssen wir eben warten.«

Sie lächelte weiter. Erst am späteren Abend hatten sie jemand gefunden, der bereit war, ihnen die Handschuhe zu öffnen. Doch als Maria glaubte, Sarah hätte daraus etwas gelernt, wurde sie eines besseren belehrt. Sie strahlte Maria an. »Das machen wir morgen gleich wieder.«

Maria hatte diese Gefangenschaft ebenfalls gut gefallen. Es war aufregend nicht zu wissen, ob und wann sie aus dem Handschuh befreit werden könnten. So etwas kannte sie bisher nicht. Bisher konnte sie sich immer auf Mrs. Potter und vor allem auf Paul verlassen. Sich der wilden und ungestümen Sarah anzuvertrauen hatte etwas sehr Aufregendes. Sie überlegte schon, ob es morgen nach dem geplanten Ausflug wohl schon wieder möglich wäre.

Maria zitterte ein wenig, als ihre Mutter ihr vor allen Ärzten, dem Herzog und dem Investor den Handschuh anlegte. Auch dieser Vorgang war natürlich schon mehrmals passiert, doch so aufregend wie dieses Mal war es noch nie.

Der Investor war von Marias Fähigkeiten sehr angetan. »Bitte darf ich das mal berühren?«

Maria nickte vorsichtig.

Während sie seine Hände recht zärtlich spürte, fragte er weiter. »Wie lange halten sie das aus?«

Maria musste sich erst mehrmals räuspern, bevor sie antworten konnte. »So zwei bis drei Stunden. Ich mache hier ein Ausdauertraining.«

»Ich verstehe.« Der Investor war ehrlich interessiert.

»Aber eigentlich trainiere ich ja das Gebet auf dem Rücken.«

Der Investor blickte sie fragend an, aber eine Frage stellte er nicht.

»Das würde ich auch lieber vorführen, aber das geht ja jetzt nicht.« Sie wackelte ein wenig mit den Armen. Dann versuchte sie die Haltung zu beschreiben. Als sie den Eindruck hatte, das ihr Gegenüber sie verstanden hatte, hörte sie auf.

»Können wir weitermachen?« Marias Mutter bemühte sich, ihrer Stimme einen freundlichen Ton zu geben, obwohl sie von der Störung und der Anwesenheit des Investors alles andere als begeistert war.

Als nächste wurde der Urologe um seinen Vortrag gebeten. Dieser hatte jedoch keine Folien vorbereitet, stattdessen bat er eine der Schwestern vorzutreten.

Maria kannte die Schwester vom Sehen her. Diesmal trug sie anstand der Schwesterntracht einen fast übertrieben kurzen Minirock. Ihre Beine waren fast in voller Länge zu sehen. Zu Erkennen war nur, dass sie eine blickdichte Strumpfhose trug.

»Wie lange trägst du das schon?« Er lächelte seine Kollegin verliebt an.

»Schon fast zwei Jahre.« Sie lächelte ähnlich zurück. »Und ich bin sehr glücklich darüber.«

Der Arzt wandte sich wieder an die Versammlung. »Sie trägt eine Neuentwicklung zur Probe. Die Firma wird das in diesen Tagen auf den Markt bringen.« Er hob den Rock hoch. Zum Vorschein kam etwas, was einem Keuschheitsgürtel ähnlich sah. »Die Strumpfhose ist doppelwandig und hat ein Fassungsvermögen von einigen Litern.«

»Ich habe eine neue Freiheit bekommen.« Die Schwester strahlte und berichtete dann von ihren bisherigen Leben, in dem sie unter einer Blasenfehlfunktion zu leiden hatte.

Marias Mutter war verblüfft. »Davon haben sie nie etwas gesagt.«

»Wir haben es geheim gehalten, weil das System noch nicht zugelassen ist.« Die Schwester wurde etwas rot dabei.

»Vor einer Woche wurde die Zulassung erteilt und wir schlagen vor, dieses System in das Training zu integrieren.« Dem Arzt war der Stolz anzusehen.

»Maria, magst du mal noch einmal nach vorn kommen?« Frederikes Stimme zeigte noch einige Zweifel. »Könnten sie meiner Tochter die Details zeigen?« Sie deutete mit dem Kopf auf das Nachbarzimmer. Doch dann fiel ihr Blick auf Maria, und als sie ihren Blick bemerkte, wusste sie, dass es keine weiteren Argumente brauchen würde. Diesen besonderen Gesichtsausdruck ihrer Tochter fürchtete sie, denn er zeigte große Entschlossenheit.


Maria war richtig froh, in den Nachbarraum verschwinden zu dürfen. Sie hatte gar kein Interesse daran zu erfahren, was die Ärzte sich für sie so alles ausgedacht hatten. Insgeheim hoffte sie, dass ihre Mutter einen Großteil davon ohnehin ablehnen würde.

Sie sah sehr interessiert zu, als die Schwester sich einmal für sich die Strumpfhose herunterzog. Maria konnte sich so genau ansehen, wie »es« funktionierte.

Die Schwester zog sich gleich darauf wieder an, doch Maria ließ sich noch von ihr berichten, wie es dazu gekommen war und warum sie sich dafür entschieden hatte. Sie hörte lieber der Schwester zu, als der Versammlung der Ärzte. Die Schwester hatte lange unter ihrer Blasenschwäche gelitten, und erst mit dieser neuen Methode hatte sie auch eine neue Freiheit bekommen.


Als Maria wieder im Besprechungsraum war, bat ihre Mutter den Zahnarzt um seinen Vortrag.

Der Arzt war zunächst sehr verwundet. »Das ist etwas sehr Demütigendes und wir setzen es nur im äußersten Notfall ein.«

»Aber deswegen können sie es doch vorstellen.« Frederike wollte den Kollegen ermutigen. Insgeheim wusste sie schon, was ihre Tochter von dem Vorschlag halten würde. Dennoch war sie hin- und hergerissen. Als Ärztin war es eine tolle Gelegenheit für sie, mal einige außergewöhnliche Gerätschaften auszuprobieren - als Mutter zerbrach es ihr fast das Herz bei dem Gedanken an all die Zumutungen, die sie ihrer Tochter antat. Und dass es ihrer Tochter sogar gefiel, tröstete sie nur minimal.

»Länger als fünf Tage sollte es nicht angewendet werden, weil es sonst zu Beeinträchtigungen bei der Stimme und auch bei der Verdauung kommt.« Der Arzt hatte sich erhoben und begann mit seinem Vortrag.

Maria hörte ihm so gut wie überhaupt nicht zu, denn ihre Aufmerksamkeit galt dem Gerät, welches er mitgebracht hatte. Sie hatte es sofort als einen dieser Mundverschlüsse erkannt, wie Christine ihn auf der Hütte getragen hatte. Sie wäre gern aufgestanden und hätte es gern in die Hand genommen, doch das traute sie sich nicht.

»Fräulein Beller?« Die Stimme des Arztes riss sie aus ihren Gedanken.

»Entschuldigung, ich habe nicht zugehört.« Maria war verlegen. »Könnten sie die Frage wiederholen?«

»Möchten sie nach vorne kommen und sich den Mundverschluß ansehen?« Der Arzt blickte sie ermutigend an.

Maria suchte erst noch den zustimmenden Blick ihrer Mutter, bevor sie der Aufforderung nachkam. Ihre Hände zitterten, als sie das Modell in die Hand nahm. Sie war etwas verwundert über die Größe.

»Dieses Modell ist etwas größer angefertigt, damit sich die Details leichter zeigen lassen.« Der Arzt war anscheinend Marias Gedanken gefolgt. »Der Mundraum wird soweit ausgefüllt, dass wir für die Zunge einen Platz vorsehen mussten.« Er bat Maria, einmal die Rückseite des Modells zu zeigen. »Die beiden Hälften werden einzeln angefertigt und werden dann im Mund zusammengeschraubt.« Er ließ seine Worte etwas wirken. »Die Anschlüsse für die Magensonde und die sichere Luftzufuhr werden durch die Nase geführt.«

Maria schaffte es nicht, ein Keuchen zu unterdrücken. Das mit den Schläuchen hatte sie schon bei Sarah gesehen.

»An der Seite sind die Anschlüsse für die Zahnpflege.« Er drehte sich zu einer Schwester, die ebenfalls im Raum war. »Wie waren deine Erfahrungen?«

»Es war schrecklich, vier Tage nicht reden zu können.« Die Schwester stand auf und ging nach vorn.

Im Besprechungsraum war ein unterdrücktes Lachen zu hören.

»Es lässt sich sehr gut tragen.« Sie blickte Maria in die Augen. »Und nach kurzer Zeit hat man es schon vergessen.«

Maria lächelte verlegen.

»Aber jegliche Äußerung wird sicher unterbunden.« Die Schwester stöhnte etwas und verdrehte die Augen.

»So ruhig war es schon lange nicht mehr auf der Station.« Der Arzt lächelte, doch dann wurde er ernst. »Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass dieses Gerät nur im äußersten Notfall eingesetzt werden sollte, weil seine Auswirkungen schon sehr extrem sind.«

Maria zuckte kurz zusammen, dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Sie wollte sich vor der Versammlung keine Blöße geben. Aber sie überlegte schon, wie sie ihre Mutter überreden konnte, den Mundverschluß zum Einsatz zu bringen. Und vielleicht konnte sie ihn sogar behalten. Sie träumte schon davon, sich von Paul so zum Schweigen zwingen zu lassen.

»Danke Herr Kollege«, Frederike erhob sich. »Ich denke, wir haben dann alles besprochen.« Sie gab das Signal, die Besprechung zu beenden.

Maria war erleichtert, als die Besprechung vorbei war. Zumindest bei den Gegenständen, bei deren Vorstellung sie dabei gewesen war, waren keine schlimmen Sachen. Im Gegenteil, mit dem Modell der Strumpfhose würde ihr dieses Mal vielleicht sogar die sonst so demütigende Windel erspart bleiben.

* * *

»Ich dachte, sie hätten heute noch einen wichtigen Termin?« Frederike hatte Mühe, ihren Ärger zu verbergen.

»Den habe ich verschoben.« Der Investor stellte sein Tablett neben das von Maria. »Ich darf mich doch zu ihnen setzen?« Er lächelte gewinnbringend.

Da er schon so gut wie Platz genommen hatte, machte Marias Mutter nur eine müde Handbewegung.

»Maria erinnert mich sehr an meine Enkeltochter.« Er seufzte. »Aber meine Tochter kommt viel zu selten mit ihr zu Besuch.«

»Liegt es nicht auf daran, dass sie ständig irgendwo auf Geschäftsreise sind?« Frederikes Stimme klang etwas gereizt.

Doch der Investor übersah das bewusst. »Ich wünsche ihnen und ihrer netten Tochter guten Appetit.«

Frederike blieb nichts anderes über, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie hätte ihm gern gesagt, dass er sie und ihre Tochter in Ruhe lassen solle und dass dies ihr privates Projekt sei, doch sie wusste, dass sie damit wirklich alles riskieren würde. Innerlich seufzend griff sie zum Besteck und wünschte ebenfalls guten Appetit.


»Sie sagten, dass sie für ein Historienspiel trainieren? Ist das so etwas wie die Landshuter Hochzeit?« Der Investor wischte sich den Mund ab und blickte Maria neugierig an.

»So ähnlich. Es geht um einen Grafen, der die Hochzeit seiner Tochter...« Doch dann hielt sie inne. »Woher kennen sie das Fest in Landshut?«

»Ich habe deutsche Wurzeln.« Robert Brown lächelte. »Und als ich sie bei der letzten Dienstreise in Europa besuchen wollte, waren gerade alle in Vorbereitung auf das Fest.«

Maria versuchte ebenfalls ein Lächeln, obwohl sie deutlich die Ablehnung ihrer Mutter fühlte.

»Und um was geht es bei ihrem Fest?« Er schien Frederikes Miene nicht zu bemerken.

»Im Gegensatz zur Landshuter Hochzeit findet unser Fest nur alle sieben Jahre statt.« Maria begann vom Fest zu erzählen. Sie berichtete über fast alles, lediglich das Gebet auf dem Rücken erwähnte sie nicht.

Robert Brown hörte mit echtem Interesse zu. »Und sie spielen die Hauptrolle und trainieren dafür?«

»So ist es!« bestätigte Maria, »und Paul spielt den Prinzen.« Als sie den fragenden Blick des Investors bemerkte, fügte sie ein »Paul Mohr« hinzu. Nach einem etwas verunsichertem Blick ergänzte sie, »Das ist mein Freund.«

»Es ist wohl was Ernstes, wenn sie auch vor dem Altar stehen?« Herr Brown grinste ein wenig.

»Nein, das ist ja nur in dem Spiel.« Doch dann wurde sie etwas wehmütig. »Es wäre viel leichter, wenn er hier wäre.«


Bei all dem Schwärmen über das Fest hatten sie die Zeit vergessen, und erst als die Stationsärztin an den Tisch kam, erinnerte sie Frederike daran, dass sie den nächsten Termin hatten. »Ich muss uns jetzt leider entschuldigen«, erklärte sie mit fester Stimme, nachdem sie sich geräuspert hatte. »Wir wollen jetzt den konkreten Behandlungsplan ausarbeiten.«

»Selbstverständlich, meine Damen. Lassen sie sich von mir nicht aufhalten.« Der Investor griff zu seinem Tablett. »Es war eine Freude für mich, ihre reizende Tochter kennen zu lernen.« Er reichte Frederike zum Abschied die Hand.


»Was hast du gegen ihn?« fragte Maria ihre Mutter, als sie außer Hörweite vor dem Lift standen. Ihr war die ablehnende Haltung ihrer Mutter durchaus aufgefallen. »Er war doch sehr nett?«

Doch zu Marias Verwunderung seufzte ihre Mutter. »Er hat jetzt das Sagen. Ich leite diese Klinik quasi unter ihm.« Sie schwieg bis der Lift kam. Beim Eintreten seufzte sie noch einmal. »Ich würde gern Privates und Berufliches trennen.«

* * *

»Ich würde dich gern untersuchen, bevor wir den Therapieplan ausarbeiten.« Die Stationsärztin stand von ihrem Schreibtisch auf und stellte sich vor Maria. »Ziehst du dich bitte aus?«

»Nein« rief Maria zunächst erschrocken, doch dann erkannte sie ihre Situation und beschloss die Flucht nach vorn. »Ich habe wohl eine Dummheit gemacht.« Sie zog sich zunächst die Bluse aus, dann die Hose.

»Seit wann trägst du den?« Frederike musste schmunzeln, als sie Marias stählernes Höschen sah. »Damit bist du doch sicherlich nicht geflogen.«

Maria musste noch einmal schlucken, bevor sie antworten konnte. »Als ich heute morgen meinen Koffer ausgepackte, habe ich gesehen, dass Mrs. Potter ihn eingepackt hat. Sarah hat es auch gesehen und sie hat mir gezeigt, dass sie auch einen tragen muss.« Sie seufzte wieder. »Ich weiß nicht, was mich geritten hat, aber ich habe ihn mir angelegt und erst als ich ihn wieder ablegen wollte, habe ich festgestellt, dass sie mir die falschen Schlüssel mitgegeben hat.« Sie schaute sehr schuldbewusst.

Frederike lachte zunächst und streichelte ihrer Tochter über den Kopf. »Eigentlich ist es doch gut so.«

Maria blickte ihre Mutter etwas empört an.

Doch dann griff Frederike zum Telefon und wählte. Es dauert lange, bis sich etwas tat. »Guten Tag, ich hätte gern die 354.« Sie wartete.

»Wie, da ist keiner mehr?« Ihre Miene wurde länger. »Ja, ich verstehe. Montagmorgen erst wieder.« Sie legte auf.

»Was hast du vor?« Maria begann zu ahnen, dass jetzt eine schlechte Nachricht kommen würde.

»Nun ja, nach dem deine Gürtel alle aus unserem Haus stammen, stehen auch die passenden Nachschlüssel zur Verfügung.« Sie machte eine Pause, die nichts Gutes verhieß. »Aber wegen der neuen Dienstzeiten hat die Versorgungsstelle schon zu.«

»Notdienst?« fragte die Stationsärztin, entsprechend der Situation ebenfalls etwas besorgt.

»Ist nicht vorgesehen.« Frederike blickte ihre Tochter verlegen an. »Ausserdem könnten wir ohne die Unterlagen ohnehin nichts finden. Ich fürchte, du musst es bis Montag so aushalten.«

»Das bin ich ja gewöhnt.« Maria nahm es mit etwas Galgenhumor auf.

»Darf ich dich dann mal untersuchen?« fragte sie Ärztin etwas unsicher. »Deine Unterlagen kenne ich, doch ich möchte mir auch ein persönliches Bild von deinen Fähigkeiten machen.« Die bisherige Stationsärztin hatte die Klinik bei der Übernahme verlassen.

Während sie Maria abtastete, gab sie sich sehr beeindruckt von Marias Vorführung gegenüber dem Investor. »Ich wusste gar nicht, dass es in der Klinik auch Monohandschuhe gibt.« Sie blickte ihre Chefin etwas verwundert an.

Frederike schaffte nur ein verlegenes Lächeln. »Fangen wir mit dem Plan an?« Sie hoffte, dass sie darüber hinweg täuschen konnte, dass sie die Stationsärztin immer noch nicht über Marias tatsächliche Vorgeschichte informiert hatte.

Es klopfte. Der Herzog trat ein. »Entschuldigen sie, man hat mir gesagt, dass ich sie hier finden kann.«

Maria hob reflexmäßig ihre Arme vor die Brust und drehte sich um.

»Wir arbeiten gerade den Behandlungsplan für Maria aus.« Frederike war aufgestanden. Den zweiten Teil des Satzes, dass er sie dabei störte, behielt sie lieber für sich.

»Ich mache es auch kurz.« Der Herzog ließ seinen Blick kurz über die Unterlagen gleiten, die auf dem Tisch ausgebreitet waren. »Ich möchte, dass alle heute vorgestellten Maßnahmen auch wirklich angewendet werden. Und ich möchte, dass alles, was für Maria geplant ist auch an Sarah angewendet wird.« Sein Ton machte deutlich, dass er keinen Widerspruch akzeptierte. »Sarahs Leistungen müssen unbedingt besser werden, egal wie.«

»Das geht nicht.« antwortete Frederike schwach, obwohl sie bereits spürte, dass ihr Widerstand aussichtslos sein würde.

»Ist es eine Geldfrage?« Der Herzog schien damit gerechnet zu haben. Er legte einen unterschriebenen Blankoscheck auf den Tisch. »Tragen sie die Summe selbst ein. Meine Bank weiß Bescheid.«

»Aber,« die Stationsärztin suchte nach Worten, »aber... aber es geht doch gar nicht um Sarah, sondern um Maria?«

»Eben«, antwortete der Herzog, »beide Mädchen sollen lernen einen Backprayer zu tragen. Wo ist das Problem?«

»Aber die Mädchen haben doch ganz unterschiedliche Voraussetzungen«, erwiderte Frederike schwach.

»Mag ja sein.« Der Herzog war nicht bereit zu diskutieren. »Aber das Ziel ist das gleiche.«

Auf dem Weg zur Tür drehte er sich noch einmal um. »Sie schaffen das, da bin ich mir ganz sicher.« Dann verließ er das Zimmer.


Erst als seine Schritte im Flur verklungen waren, fand Frederike wieder Worte. »Was machen wir nun?« Sie sah ratlos aus.

»Auf jeden Fall erst mal den Scheck einlösen«, sagte die Ärztin, doch dann wurde auch sie ernst. »Maria?«

»Also die Magensonde und der Mundverschluß habe ich schon auf der Hütte sehr bewundert.« Maria drehte sich langsam wieder um. »Das möchte ich unbedingt ausprobieren.«

Frederike überblickte die Zusammenhänge als erstes. »Du übersiehst nur eine wichtige Kleinigkeit.«

»Die wäre?« Irgendwie spürte auch Maria den Ernst der Situation.

»Auf der Hütte war es ein Spiel, und du konntest dort jederzeit aussteigen.« Frederikes Stimme war ungewohnt ernst. »Hier gibt es keine Erleichterungen, keine Unterbrechungen und vor allem kein Safeword.«

»Das weiß ich doch.« Maria dachte an ihre bisherigen Aufenthalte in der Klinik. »Es wird mich schon nicht umbringen.« Trotzdem zitterte ihre Stimme etwas.

»Wenn alle vorgestellten Maßnahmen angewendet werden sollen und sie aber nur zwei Wochen hier sind...« Die Ärztin schien es in Gedanken zu kalkulieren. »Das geht doch rein zeitlich gar nicht.«

»Das kommt noch dazu.« seufzte Frederike.

»Und wenn die Behandlungen kombiniert werden?« fragte Maria mit einer Mischung aus Besorgnis und Vorfreude.

»Das eigentliche Problem ist doch Sarah.« Die Ärztin überhörte Marias Vorschlag. »Jedes Mal, wenn wir eine vom Herzog angesetzte »Prüfung« veranstalten, dann zeigt Sarah schlechte Leistungen. Egal wie gut sie vorher schon war.«

»Du meinst, sie spielt ihm schlechte Leistungen vor?« Frederike hatte bisher mit Sarahs Behandlung wenig zu tun gehabt, doch jetzt, wo ihre Tochter involviert war, änderte sich alles.

»Bei allen Untersuchungen sind ihre Werte optimal und sie würde das Gebet problemlos schaffen, doch bei den Prüfungen mauert sie. Es ist fast, als wolle sie sich vor etwas drücken.«

»Aber damit schadet sie sich doch selbst, wenn der Herzog jedes Mal eine Verschärfung ansetzt.« Frederike war verwundert.

»Oh, ich habe den Eindruck, dass Sarah die strengen Behandlungen genießt.« Die Ärztin schmunzelte. »Bei der einen oder anderen Gelegenheit habe ich gesehen, wie sie vor mir einen Orgasmus verstecken wollte.«

»Es muss für ihr Verhalten aber einen Grund geben.« Frederike nahm den Scheck zur Hand. »Selbst wenn wir darauf eingehen, wird sie ihr Verhalten nicht ändern.«

Maria musste sich erst räuspern, bevor sie antworten konnte. »Ich habe einen Verdacht, warum sie das macht und vor was sie Angst hat.«

»Du kennst sie doch erst zwei Tage?« Ihre Mutter hatte Zweifel.

»Sarah ist einsam und sie hatte bisher keinen, dem sie sich bisher so richtig anvertrauen konnte.« Maria konnte das Argument ihrer Mutter nicht entkräftigen. Sie berichtete trotzdem einfach davon, was sich bisher ereignet hatte. »Sie weiß, dass ihr künftiger Ehemann homosexuell ist und sie fürchtet sich sehr vor ihrer Hochzeit.«

»Das würde so ziemlich alles erklären.« Die Stationsärztin hatte aufmerksam zugehört. »Damit wären ihre Handlungen plausibel.«

»Der Herzog hat mir versichert, dass mit der Hochzeit alles in Ordnung ist und dass vor Sarah eine glänzende Zukunft liegt.« Frederike begann, an ihren Worten zu zweifeln. »Wenn du wirklich recht haben solltest....« Sie wusste aber nicht, wie sie den Satz vollenden sollte.

»Wir machen einfach weiter wie geplant, schreiben aber etwas anderes in unsere Berichte, die der Herzog bekommt.« schlug die Ärztin vor.

»Das wollte ich auch vorschlagen, aber«, Frederike seufzte laut. »Ab morgen ist der Herzog mit seiner Frau in der Klinik. Sie bereiten die Geburtstagfeier ihrer Tochter vor und haben nebenbei ein Wellness-Programm bestellt. Er würde die Berichte sofort als falsch entlarven. An die weiteren Konsequenzen mag ich gar nicht denken.«

»Was machen wir da nur?« Die Ärztin zeigte ihre Ratlosigkeit.

»Wir müssen Sarah die Angst vor ihrer Hochzeit nehmen, das ist wohl das wichtigste.« Frederike spielte nervös mit ihrem Stift. »Nur dann wird der Herzog Ruhe geben. Ich denke, die Behandlungen sind dann zweitrangig.«

»Aber wie soll das gehen?« Es war der Ärztin anzuhören, dass sie keine Idee hatte.

»Getrennte Schlafzimmer, in der Hochzeitsnacht betrunken und ein persönlicher Diener.« Marias Stimme war leise, doch ihre Worte waren im Raum deutlich zu hören. »Im Hochadel müssen die persönlichen Interessen öfters mal zurücktreten.« Ihre Worte zeigten, dass sie sich mit dem Leben der Prinzessin und des Adels schon intensiv befasst hatte. »Ich werde mal mit ihr reden.« Sie griff sich eines der noch leeren Formulare auf dem Tisch. »Was ist jetzt mit meinem Behandlungsplan?« Sie blickte abwechselnd ihre Mutter und die Ärztin fragend an.


Die beiden Blätter auf dem Tisch füllten sich schnell. Maria zeigte dabei großes Interesse und brachte viele Ideen selbst ein. Sie kannte die einzelnen Behandlungen von den bisherigen Aufenthalten und entwickelte ein Gefühl dafür, was sie sich zutrauen konnte.

Frederike zeigte ein sorgenvolles Gesicht. »Willst du dir das wirklich zumuten?«

»Wir machen jeden Mittag und Abend eine kurze Besprechung, bei denen wir korrigierend eingreifen können.« Die Ärztin machte sich eine Notiz. »Ich denke, dann wird sogar der Herzog verstehen, wenn wir den Plan kurzfristig ändern.«

Maria blickte auf die ausgefüllten Blätter, die vor ihr lagen. Es war ein Gemisch aus Vorfreude und Sorge, und sie hätte nicht einmal sagen können, welches der Gefühle überwog. Dabei wurde dies aber von etwas viel Wichtigerem überlagert. Sie musste einen Weg finden, wie sie Sarah die Angst vor der Zukunft nehmen konnte. Gewiss, für sie selbst hatte es keine Bedeutung, aber sie fühlte sich sowohl ihrer neuen Zimmernachbarin als auch ihrer Mutter sehr verpflichtet. Besonders freute sie darauf, dass mehrmals eine Übernachtung im Vakuumbett vorgesehen war. Auch wenn sie Pauls Hände sehr vermissen würde.


»Und jetzt möchte ich dich gern noch röntgen.« Die Ärztin nahm eine neue Liste zur Hand und zeigte sie den beiden vor.

Maria war einen Blick darauf. »Um drei habe ich mich mit Sarah in der Cafeteria verabredet.« Sie blickte kurz zur Uhr. »Ich wusste nicht, dass es so viel ist.«

»Drei Uhr wird etwas sportlich.« Frederike blickte die Ärztin zweifelnd an. »Ich sage der Prinzessin, dass es später wird.« Sie blickte noch einmal auf die Liste. »Sagen wir um vier?«

Maria war erleichtert, dass ihre Mutter neben dem medizinischen Programm auch noch ein Auge für das Privatleben ihrer Tochter übrig hatte.

»Vier Uhr ist gut.« Die Ärztin blickte Maria ermutigend an. »Das sollten wir schaffen.«

Maria kannte diese Untersuchung schon von den letzten Malen. Doch diesmal kam auch noch eine Gelenkigkeitsprüfung dazu. Mit dem konkreten Ziel des Gebetes waren weitere Untersuchungen nötig.

Auch das Röntgen würde aufwendiger werden. Dass Maria mit ihren Korsetts geröntgt wurde, kannte sie. Diesmal kamen auch noch die Haltungen für das Gebet dazu. Doch Maria liebte das Röntgen, weil sie für eine kurze Zeit wirklich alles tragen musste oder besser durfte. Es begann schon mit den Ballettstiefeln, dann natürlich beide Korsetts, das große und das Ganzkörperkorsett wegen der Verteilung der Organe. Und natürlich war auch die Armhaltung im Monohandschuh wichtig.

Erst als sie schon den Raum verlassen hatte, fiel ihr ein, dass sie gegenüber ihrer Mutter vielleicht etwas Angst hätte zeigen sollen. Doch insgeheim ahnte sie, dass ihre Mutter sie in dieser Richtung schon durchschaut hatte.

* * *

Sie hatten sich in der Cafeteria verabredet. Maria war gleich nach ihrer großen Untersuchung dorthin gegangen, während Sarah etwas später kam. Sofort fiel Maria der veränderte Gesichtsausdruck der Prinzessin auf. Sie musste gar nicht fragen.

»Sie kommen schon morgen.« Es tat Sarah offensichtlich sehr gut, endlich mit jemand ihre Probleme teilen zu können.

Maria überlegte erst, ob sie aus den bisherigen Erzählungen der Prinzessin schließen konnte, wen sie meinte, doch dann beschloss sie, doch nachzufragen. »Wer kommt?«

»Mein baldiger Schwiegervater mit seiner Frau.« Sarah seufzte. »Ich dachte, sie kommen erst nächste Woche, doch jetzt haben sie noch eine Woche 'Wellness'-Programm dazu gebucht.« Sie begann zu weinen.

»Was ist denn so schlimm daran?« Maria verstand die heftige Reaktion nicht.

»Sie könnten meine Behandlungen beobachten.« Sarah schluchzte ein wenig.

»Und was ist so schlimm daran?« Maria verstand Sarahs Beweggründe noch nicht.

Sarah stutzte einen Moment. Maria war es, als fiele ein Schatten über ihr Gesicht. »Ich möchte nicht darüber reden.« Sie versuchte, sich die Tränen wegzuwischen.

Maria ahnte, um was es Sarah ging, doch wenn sie jetzt nachhaken würde, dann würde sich die Prinzessin vermutlich ihr gegenüber auch verschließen, und das wollte Maria auf keinen Fall. Außerdem, dass musste Maria sich selbst eingestehen, wusste sie selbst auch noch nicht, auf wessen Seite sie eigentlich stand. Sie ahnte, dass die Doppelrolle 'Tochter der Chefin' und 'Freundin der Prinzessin' nur schwer einzunehmen war.

»Schließen wir uns wieder in die Handschuhe ein?« Sarah blickte sie geradezu flehend an.

Maria wollte im ersten Moment 'nein' sagen, denn sie hatte noch vor dem Abendessen noch zwei Dinge vor, bei denen sie auf ihre Arme nicht verzichten wollte. Doch als sie die traurigen Augen der Prinzessin sah, brachte sie es nicht übers Herz, ihr abzusagen.

Sarah sprang auf und griff Maria bei der Hand. »Dann komm«, grinste sie und zog sie von ihrem Platz.

Auf dem Weg in ihr Zimmer dachte Maria darüber nach, wie sie das Tragen des Handschuhs ihrer Mutter gegenüber erklären sollte. Immerhin stand noch eine Besprechung mit der Schwester an, die die komische Strumpfhose vorgeführt hatte. Naja, ihre Mutter würde sicher Verständnis dafür haben, wenn sie noch etwas »trainierte«. Doch dann blieb sie kurz stehen und flüsterte »Paul!«

»Was ist los?« Sarah blickte ihre Freundin ungeduldig an.

»Ich wollte doch ein Tagebuch für ihn schreiben.« Maria ahnte, dass ihre Argumente nicht stark genug waren. »Mit dem Mono geht das nicht.«

»Dann schreibst du es eben morgen,« antwortete Sarah mit etwas Pragmatismus. »Ich brauche jetzt etwas Ablenkung.«

Maria seufzte, dann gab sie dem Drängen der Prinzessin nach.

* * *

»Sag mal, du nimmst dein Training aber sehr ernst.« Frederike lächelte, als ihre Tochter etwas verlegen das Zimmer betrat. »Ist dir die Rolle so wichtig?«

»Ich habe es Sarah zuliebe gemacht.« Maria übersah den Spott ihrer Mutter. »Sie war so traurig, als sie von der Ankunft des Herzogspaares erfuhr.«

»Für die Klinik ist es etwas Besonderes, so hohe Gäste beherbergen zu dürfen.« Stolz war in ihren Worten zu hören. Doch dann realisierte sie, was ihre Tochter gerade gesagt hatte. »Warum ist Sarah traurig?«

»Sie wollte nicht darüber reden.« Maria gab einen kurzen Überblick über das Gespräch. »Aber ich habe einen Verdacht.«

»Und zwar?« Frederike war über die Bemühungen ihrer Tochter sehr erfreut.

»Meiner Meinung nach hat sie Angst, dass der Herzog sie bei den normalen Behandlungen sehen könnte und dann merkt, dass sie ihm in den Prüfungen etwas vorspielt.« Maria hatte unbewusst etwas leiser gesprochen.

»Das wäre auch der Klinik nicht recht.« Marias Mutter erklärte, dass unter normalen Umständen Sarahs Ausbildung schon lange vorbei gewesen wäre, und nur weil der Herzog immer wieder Verschärfungen forderte, sei sie noch da.

Maria erkannte den tieferen Inhalt der Aussage sofort. »Die Klinik würde auf viel Geld verzichten, wenn es herauskäme.«

»Naja, der Investor macht schon sehr viel Druck bezüglich der Gewinne.« Frederike seufzte, »und Sarah bringt sehr viel Geld herein.«

Maria begriff sofort, was sie damit zwischen den Zeilen auch sagte. Ihre eigene Ausbildung war jetzt nur noch ein Kostenfaktor, der nichts einbrachte.

Es klopfte, und gleich darauf traten der Orthopäde und die Schwester ein. Der Arzt trug eine große Tasche bei sich. Er grinste, als er sie auf den Tisch stellte. »Es ist kaum etwas darin, aber ich möchte kein dummes Gerede.« Er packte die Tasche aus und wandte sich an Frederike. »Ich habe um diesen Termin gebeten, weil es doch noch einige recht intime Details zu besprechen oder zu klären gäbe.«

»Gewiss, die doppelwandige Strumpfhose trägt schon ziemlich auf.« Die Schwester griff sich das Exemplar, welches auf dem Tisch lag. »Aber den Preis zahle ich gern.«

Diese Variante fand Maria sehr aufregend. Bei den bisherigen Aufenthalten hatte sie immer die Beutel am Bein getragen und traute sich damit nicht aus dem Zimmer. Oder sie trug eine Windel, und das war noch viel schlimmer.

* * *

»Ach da bist du ja endlich« Sarah stand auf, als Maria ihr Zimmer betrat. »Ich habe uns schon angemeldet.«

Maria seufzte innerlich. Sie hätte jetzt gern ein paar Worte in das Tagebuch für Paul geschrieben, doch der Prinzessin zuliebe verzichtete sie auf ihre Arme. Und selbst, wenn sie einen Stift hätte halten können, waren ihre Arme doch auf dem Rücken und sie konnte nicht sehen, was sie schreiben würde. Außerdem hatte sie noch sehr mit dem zu kämpfen, was sie soeben von ihrer Mutter erfahren hatte.

Ihre Mutter hatte, als sie wieder mit ihrer Tochter allein war, ein ganz heikles Thema angesprochen, welches für Maria aber bald wichtig werden könnte, die Verhütung. Die Pille kam nicht in Frage, denn Maria würde oft nicht in der Lage sein, sie zu nehmen. Wegen der Korsetts, die sie trug, kam auch eine Spirale nicht in Frage. Ein Implantat wäre die Lösung, und dafür wollte Frederike ihre Zustimmung. Bis Montag müsse sie sich entschieden haben.

»Was ist denn jetzt schon wieder?« fragte Maria und ärgerte sich gleichzeitig, weil sie einen gewissen genervten Unterton nicht unterdrücken konnte.

»Ich habe mir etwas ausgedacht.« Sarah strahlte. »Und Erica ist einverstanden.«

Maria hatte den Namen Erica noch nicht gehört, doch sie hatte nicht die Kraft, nachzuhaken. So trottete sie einfach hinter der Prinzessin her.

Im Schwesternzimmer stand die Lernschwester schon an der Tür und hielt einen Block in der einen und einen Stift in der anderen Hand. »Ich habe aber nicht viel Zeit.«

Als sie Sarahs verwunderten Blick sah, ergänzte sie. »Die Oberschwester hat mich heute mit für das Abendessen-Ausgabe eingeteilt.« Sie seufzte. »Sonst darf ich immer nur zuschauen, und wenn ich mal was Spannendes zu tun hätte, dann gibt sie mir Arbeit.« Sie blickte Maria und Sarah an. »Wo gehen wir hin?«

Als sie in zwei verwunderte Gesichter blickte, fügte sie hinzu. »Hier im Schwesternzimmer kommt sie immer vorbei und scheucht mich auf.«

»Im Aufenthaltrsaum?« Maria erinnerte sich daran, dass er um diese Uhrzeit meists leer war.

»Warum nicht? Probieren wir es.« Sarah ging wie üblich voran.

»Um was geht es eigentlich?« fragte Maria, als sie im Aufenthaltsraum Platz genommen hatten.

»Du wolltest doch Tagebuch schreiben.« Sarahs Augen funkelten. »Du diktierst und Erica schreibt es auf.«

Maria seufzte innerlich. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Doch sie spürte auch, dass Sarah ihr helfen wollte.

Auch Erica blickte sie erwartungsvoll an. »Nun mach schon, wir haben nicht viel Zeit.«

Maria seufzte noch einmal, dann begann sie. »Liebes Tagebuch, heute war ein spannender Tag...«

* * *

»Deine Tochter ist aber sehr abgeklärt.« Die Stationsärztin blätterte noch einmal in ihren Unterlagen. »Aber warum macht sie das alles?«

»Ja, sie ist sehr reif, mehr als es einer Mutter recht sein kann.« Sie seufzte. »Du musst noch einiges zu Marias Vorgeschichte wissen.«

»Ich habe mich schon gefragt, warum so ein junges Mädchen solche Fähigkeiten hat.« Sie schlug die Mappe zu und blickte auf. »Hängt das nur mit diesem Fest zusammen?«

»Nein, das Fest war nur ein ungeheurer Glücksfall, ebenso der Junge, mit dem sie sich angefreundet hat.« Frederike grinste. »Die Trennung von ihm ist ihr sehr schwer gefallen. Aber es dient einer höheren Sache.«

»Lass hören« Die Stationsärztin blickte sehr gespannt auf ihre Chefin.

* * *

»Und jetzt trage ich schon wieder den Handschuh und stelle mir vor, Paul hätte ihn angelegt.« Maria diktierte den letzten Satz für ihr Tagebuch. »Das war es für heute.« Sie blickte Erica dankbar an. »Vielen Dank dafür.«

»Immer wieder gern.« Erica riss das Blatt, welches sie eben beschrieben hatte, vom Block herunter und reichte es Maria. Erst jetzt bemerkte sie, dass Maria ihre Arme nicht benutzen konnte. »Ist das nicht schwer, die Arme nicht benutzen zu können? Was habt ihr denn ausgefressen?«

»Oh, die haben wir uns selbst angelegt.« Sarah strahlte bis über beide Ohren.

Erica war sehr verwundert. »Warum denn das?«

Maria grinste. »Das ist eine lange Geschichte.«

Die Tür ging auf und die Oberschwester stand im Raum. »Ach hier sind sie.« In ihrer Stimme klang etwas Ärger mit. Doch dann fiel ihr Blick auf Marias und Sarahs Arme und ihre Stimmung schien sich zu ändern. »Wenn sie mit der Patientenbetreuung fertig sind, kommen sie bitte zum Austeilen des Essens.« Sie drehte sich um und schloss die Tür hinter sich.

»Wer sind sie und was haben sie mit der Oberschwester gemacht?« Erica grinste über das ganze Gesicht. »So freundlich war sie noch nie zu mir. Sonst schimpft sie immer nur herum, und ich kann ihr kaum etwas recht machen.« Sie stand auf. »Ich muss dann, die Pflicht ruft.« Erst jetzt bemerkte sie, dass sie den Zettel mit Marias Diktat immer noch in der Hand hielt. »Ich lege ihn dir auf den Nachttisch.«


Ein wenig später kam Erica wieder in den Raum. Sie trug ein Tablett. Hinter ihr kam die Oberschwester und trug ebenfalls ein Tablett. »Ich versorge Sarah mit dem Beutel und sie helfen Maria, damit sie ihre Therapie nicht unterbrechen muss.«

Bei dieser Ankündigung hätte Maria sich fast verschluckt. Sie und Sarah tauschten kurz ein paar intensive Blicke aus. »Erica, kennen sie sich mit diesen Armhaltern aus? Sie werden sich in Zukunft darum kümmern.«

Erica blickte etwas hilflos zwischen den Mädchen und der Oberschwester hin und her.

Sarah kam der Lernschwester zu Hilfe. »Wir zeigen ihr alles, was wichtig ist.«

Damit war die Oberschwester zunächst zufrieden. »Aber bitte informieren sie sich auch in der Literatur. Es kann nicht angehen, dass wir von den Patienten gesagt bekommen, wie wir unsere Arbeit zu tun haben.«


»Sie weiß es selbst auch nicht, da bin ich mir sicher.« sagte Erica noch etwas ärgerlich, als die Oberschwester den Raum wieder verlassen hatte.

Maria und Sarah lachten.

Doch dann wurde Erica etwas verlegen. »Ich weiß nicht, was ich jetzt machen muss. Es ist das erste Mal, dass ich jemand ohne Arme...« Sie stotterte etwas.

Maria hatte ein seltsames Kribbeln im Bauch, als sie Erica erklärte, wie sie ihr helfen konnte. Irgendwie war es sehr aufregend. Sie trug ihren Handschuh, und ganz fremde Leute kümmerten sich um ihr Wohlergehen.

* * *

Noch zwei Tage würde es dauern, bis ihre Behandlungen begannen. Sie blickte etwas wehmütig auf ihr Bett. Über das Wochenende war weniger Personal in der Klinik, und deswegen kam in den drei Nächten über das Wochenende eine Fixierung nicht in Frage. Sarah litt darunter ebenfalls, und obwohl der Herzog deswegen schon interveniert hatte, blieb es bei den Nächten ohne Segufix. »Die Klinik ist doch kein Gefängnis.« hatte Frederike argumentiert, und dem hatte der Herzog nichts entgegen zu setzen.

Samstag, 28. August 1984

Maria mochte das erste Wochenende in der Klinik überhaupt nicht. Wie bisher jedes Mal war ihre Mutter mit Verwaltungsaufgaben beschäftigt und hatte deswegen für sie keine Zeit. Diesmal musste Frederike auch noch die Extra Behandlungen für sie und Sarah ausarbeiten. Das Personal war fast ausschließlich im Wochenende, und in der Patientenbibliothek kannte Maria auch schon alle interessanten Bücher.

Mit Sarah war auch nicht zu rechnen. Heute hatten sich ihre Schwiegereltern angekündigt, und die Prinzessin hatte deswegen für andere Unternehmungen keinen Kopf.

Es lohnte sich auch nicht, außerhalb der Klinik etwas unternehmen zu wollen. Der kleine Ort bot vor allem am Wochenende keinerlei Abwechslung.

Seufzend schlug sie die Bettdecke weg und stand auf. Sarah war auch schon wach, wie Maria sich mit einem kurzen Blick auf das Bett überzeugen konnte. Doch die traurige Miene der Prinzessin hielt Maria davon ab, ihr mehr als einen guten Morgen zu wünschen.

Weil die Klinik hauptsächlich ambulant arbeitete, war für das Wochenende auch keine Verpflegung für die Patienten vorgesehen, zumindest nicht ohne extra Bezahlung.


Als sie aus dem Bad kam, lag Sarah immer noch im Bett. »Joe wartet mit dem Frühstück.« Sie erinnerte die Prinzessin daran, dass sie bei ihm das Essen bestellt hatten.

»Ja, ich komme.« Sarah seufzte. »Geh schon mal vor.«

* * *

»Wo ist denn Betty?« Joe brachte das bestellte Frühstück.

»Die hat dieses Wochenende eine Weiterbildung.« Sarah seufzte ein wenig.

Maria blickte auf den liebevoll gedeckten Tisch. »Du hast schon wieder Blumen geholt.«

Joe beugte sich zu ihr herunter. »Verratet mich nicht, aber die wachsen auf der Wiese hinter der Orthopädie.«

Maria lächelte. Sie erinnerte sich daran, dass dort sie schon oft auf dem Fenster gesehen hatte und sich an den Blumen erfreute.

»Was liegt denn heute an?« Joe versuchte etwas Smalltalk.

»Er und sie werden die Suite belegen.« Sarah seufzte wieder etwas.

Joe kannte Sarah gut genug, um zu wissen, wen Sarah meinte. »Wann kommen sie denn?« Natürlich war er auch Geschäftsmann und hoffte, von dem Herzogs-Kuchen auch etwas ab zu bekommen.

»Gegen elf Uhr wollen sie kommen.« Sarahs Stimme zeigte ihre traurige Stimmung.

Joe wusste ein wenig von dem schwierigen Verhältnis zwischen Sarah und ihren Schwiegereltern. Er zog es vor, nicht nachzuhaken.

* * *

Marias Mutter kam in die Kantine. »Wann kommt das Herzogspaar?« fragte sie mit etwas Zittern in der Stimme, gleich nachdem sie ihre Tochter und Sarah begrüßt hatte.

Sarah nannte die Uhrzeit. Wieder seufzte sie dabei.

»Ja, wir sind alle nervös.« Frederike griff die Stimmung der Prinzessin auf. »Von dem Aufenthalt hängt viel ab.«

Maria war verwundert. Ihre Mutter war sonst nicht so angespannt. »Was ist denn los?«

»Sie wollen hier in der Klinik in der Aula den Geburtstag ihrer Tochter feiern.« Frederike blickte ihre Tochter ermutigend an.

»Und warum machen sie das nicht daheim in Brasilien?« Maria blickte zwischen Sarah und ihrer Mutter hin und her.

»Die Stimmung im Land ist im Moment eher gegen den Adel.« Sarah blickte Maria nervös an. »Hier können sie ungestört feiern.«

»Der Investor hat sie eingeladen.« Frederikes Stimme zeigte, wie wütend sie über die Entscheidung war. »Dem Adel schmeißt er das Geld hinterher, und ich muss alles selbst zahlen.«

»Die Woche Wellness auch?« Sarah war verwundert.

»Nein, die zahlen sie selbst.« Frederike schien jetzt erst zu realisieren, dass die Prinzessin mit am Tisch saß. »Aber das Fest wird von der Klinik ausgerichtet. Als Dankeschön.«

Sie drehte sich zu ihrer Tochter. »Ich habe dir in der Bibliothek ein paar Bildbände und Nachschlagewerke bereitgestellt.«

* * *

Maria ging eher gelangweilt in den kleinen Raum, der den Namen Bibliothek nun wirklich nicht verdiente. Doch als sie sah, welche Bücher jetzt neu bereit lagen, war sie auf einmal sehr aufgeregt. Es waren mehrere Bände mit Berichten über den brasilianischen Adel sowie mehrere Fotobände mit entsprechender Mode. Sie setzte sich an den kleinen Tisch und begann sofort zu blättern.

Sie war fasziniert. Es gab anscheinend eine Kleiderordnung, die den adeligen Damen vorschrieb, die Arme zu verstecken. Bei jungen Prinzessinnen wurde die Arme in der Kleidung fixiert, während den reiferen Damen zugetraut wurde, sich selbst unter Kontrolle zu halten. Der entsprechende Bildband zeigte diverse Modelle, doch die Texte waren in Portugiesisch. Sarah würde ihr das bestimmt übersetzen können.

Ein anderes Buch schien auch sehr interessant zu sein. Es war die Geschichte der Prinzessin Margarete von Mantua, die auch als die brasilianische Sissi bezeichnet wurde. Maria nahm es zur Hand und begann darin zu blättern.

* * *

Frederike lehnte sich erleichtert zurück. Vor ihr lagen zwei Blatt Papier, die sie soeben mit den Terminen für die nötigen Behandlungen ausgefüllt hatte. Sie hoffte sehr, dass sie ihre Tochter und die Prinzessin damit nicht überfordern würde.

Sie hatte einen Plan entwickelt, der medizinisch nicht zu abwegig war und dennoch alle Wünsche des Herzogs erfüllte. Sie hatte sogar noch zwei Eskalationsstufen vorgesehen, obwohl sie sehr hoffte, dass es dazu nicht kommen würde. Aber der Herzog hatte es verlangt. Irgendwie schien er so langsam die Geduld zu verlieren.

Am Vormittag waren jeweils drei Stunden für die Behandlung vorgesehen, am Nachmittag zwei mal zwei Stunden. Trotzdem war auch für die Mahlzeiten noch genügend Zeit eingeplant. Lediglich für die Freizeit der Mädchen blieben nur die Stunden nach dem Abendessen und vor der Bettruhe übrig. Doch sie war zuversichtlich, dass die Mädchen das zwei Wochen lang aushalten würden.

Sie blickte mit sorgenvollem Blick auf die Uhr. Es war halb elf. Für elf Uhr hatte sich der Herzog mit seinem Gefolge angesagt. Und sie wusste, dass sie dann keine Ruhe mehr finden würde, auch wenn der Herzog die Listen erst am Sonntagabend sehen wollte. Immer gab es auch noch das Wellness-Programm, welches zu besprechen war.

Frederike war sich sicher, dass das Wellness-Programm nur ein Vorwand war, um Sarahs Ausbildung zu überwachen. Sie ahnte es, seit der Herzog einmal laut geseufzt hatte. »Die Hochzeit kommt immer näher, und es sind noch überhaupt keine Fortschritte zu erkennen.«

Bisher hatte ihr die Ausbildung von Sarah nicht viel bedeutet. Sie brachte der Klinik viel Geld ein, und das war wichtig. Doch jetzt war mit Maria ihre Tochter involviert, und sie sah die Ausbildung mit anderen Augen.

* * *

»Wo ist denn die Prinzessin?« Joe servierte das Mittagessen.

Maria hatte sich von den faszinierenden Büchern losgerissen und war in die Kantine gegangen, um ein wenig zu essen. »Die Herzogin ist da. Und Sarah möchte sie begrüßen.«

»So, möchte sie das?« Joe hatte da seine eigene Meinung. »Ich hatte eigentlich einen anderen Eindruck.«

»Immerhin ist sie sehr erleichtert, dass der Sohn nicht dabei ist.« Maria gab Sarahs Erleichterung wieder, als diese gesehen hatte, dass die Herzogin allein angekommen war.

»Allein?«, Joe runzelte die Stirn, »Normalerweise reist sie doch immer mit großem Gefolge. Mehr Dienerinnen als Finger.« Sein Tonfall zeigte, was er von diesem Protz hielt.

»Ja, natürlich.« Maria grinste. »so meinte ich das.«

»Warum wehrt sie sich bloß so gegen ihre Hochzeit?« Joe rückte ein paar Stühle zurecht. »Sie ist jetzt schon fast ein halbes Jahr hier.«

»So lange?« Maria war ehrlich erstaunt.

»Ja«, bestätigte Joe, »sie ist immer wieder durch die Prüfung gerasselt.«

»Danke, Joe, das war sehr lecker.« Maria wollte von dem Thema ablenken. Sie stand auf und ging zur Tür.

»Ach hier sind sie.« Lernschwester Erica stand in der Tür. »Die Herzogin bittet sie, sie einmal in ihrer Suite zu besuchen.«

»Bittet?« Joe blickte zu Maria. »Ich würde das einen Befehl nennen.« Er grinste.

Maria blickte sich zu ihm um und grinste zurück. »Dann wollen wir mal.«

* * *

Maria blickte zunächst etwas zweifelnd an sich herunter. War sie für eine »Audienz« bei der Herzogin wirklich richtig angezogen? Doch schließlich schob sie ihre Zweifel beiseite. Sie war hier in einem Krankenhaus und nicht in einem Palast, Jeans und T-Shirt mussten reichen. Etwas anderes hatte sie ohnehin nicht eingepackt.

Trotzdem ging sie mit sehr gemischten Gefühlen in die Suite des Herzogs. Sie wusste, dass die Herzogin sie kennenlernen wollte, doch über was sie mit der Herzogin reden sollte, dazu hatte sie gar keine Idee.

Als sich die Tür zur Suite öffnete, wusste Maria nicht, über was sie sich am meisten wundern sollte. Die Herzogin öffnete selbst. Maria hatte sie zwar noch nie gesehen, aber sie spürte irgendwie, das die Frau in dem schicken Hosenanzug die Herzogin war. Und sie reichte ihr zur Begrüßung die Hand.

Maria erwiderte den Gruß und versuchte ein höfliches Lächeln, trotzdem konnte sie ihre Überraschung nicht verbergen.

»In Brasilien sind wir immer der strengen Etikette unterworfen, doch hier können wir etwas freier auftreten, auch wenn mein Mann das nie zugeben würde.« Sie hatte Marias Verwunderung durchaus bemerkt.«Wenn wir Damen allein sind, dann sind wir sehr viel vertrauter miteinander.« Sie deutete auf einen der Sessel. »Wenn wir unter uns sind, dann bin ich Maguerite.«

»Maria Beller.« Maria hatte das Gefühl, sich auch vorstellen zu müssen.

»Sie sind die Tochter der Chefin?« Die Herzogin setzte sich in den Sessel neben Maria.

Maria nickte immer noch sehr eingeschüchtert.

»Es hatte zuerst viel Ärger gegeben, weil mein Mann erst unbedingt auf einer adligen Dame bestanden hatte.« Sie griff zu der kleinen Glocke, die auf dem Tisch stand und läutete. »Irgendwie hat ihre Mutter es geschafft, meinen Mann zu überzeugen. Ich weiß nicht, wie sie das geschafft hat.«

Eine ältere Frau in einem Dienstmädchenkleid erschien. »Madame?«

»Bringen sie uns bitte etwas zu trinken.« Sie blickte Maria ermunternd an. »Ich nehme ein Wasser.«

Maria hatte immer noch Schwierigkeiten, sich zu äußern. »Für mich bitte auch.« Sie hatte mit dem zu kämpfen, was sie gerade von der Herzogin erfahren hatte. Für die Prinzessin war eine adelige junge Dame gesucht worden, und ihre Mutter hatte sie durchgesetzt. Sie hatte also den Platz einer Prinzessin eingenommen. Sie nahm sich vor, ihre Mutter dazu zu befragen und sich vor allem zu bedanken.

»Mein Mann setzt große Stücke auf sie.« Die Herzogin hatte auf einmal etwas sorgenvolles in der Stimme. »Bitte helfen sie Sarah bei ihrem Training.«

»Ich gebe mir alle Mühe.« Maria wusste nicht, ob sie schon von Sarah Zukünftigen erzählen konnte.

»Sie trainieren auch das Gebet auf dem Rücken?« Herzogin blickte auf Marias Arme.

»Ja, ich soll es auf dem Fest in Deutschland tragen.« Maria war etwas verwundert.

»Er hat mich nur genommen, weil er glaubte, ich könnte das auch.« Die Herzogin seufzte. »Doch seit dem Reitunfall geht es überhaupt nicht mehr. In unserem gesellschaftlichen Rahmen kam eine Scheidung nicht in Frage. Diesmal will er es vor der Hochzeit geklärt haben.«

»Sie haben auch eine Tochter?« Maria versuchte vorsichtig einen Themenwechsel.

»Ja, meine Elisabeth, aber wir nennen sie immer nur Sabeth.« Die Herzogin blickte kurz auf die kleine Kommode, auf der einige Fotos standen. »Sie feiert nächste Woche Geburtstag.« Sie spürte die Frage, die Maria nicht zu stellen wagte. »Sabeth ist mit einer Fehlstellung geboren, so dass das Gebet für sie nie in Frage kam.«

Maria begriff, dass der Herzog schon einige Schicksalsschläge hatte hinnehmen müssen.

»Sie werden demnächst heiraten?« Die Herzogin lächelte.

»Naja, es ist nur in einem Historienspiel.« Maria war erstaunt, wie gut die Herzogin informiert war. »Es ist nichts Ernstes.«

»Im Hochadel haben die Hochzeiten auch selten etwas mit Gefühlen zu tun.« Sie seufzte. »Meistens sind es gesellschaftliche Verpflichtungen. Liebesheiraten gibt es so gut wie nie.«

Maria begriff, dass die Herzogin sie missverstanden hatte. »Oh, ich stehe schon mit meinem Freund vor dem Altar. Aber es hat keine rechtliche Bedeutung.«

Die Dienerin brachte das Wasser. Die Herzogin nahm es vom Tablett und stellte vor die Herzogin. Diese nahm die Gläser herunter und reichte Maria ihr Glas.

Maria wunderte sich ein wenig, und es war anscheinend so deutich, dass es der Herzogin auffiel. »Ist etwas nicht in Ordnung?«

Maria musste sich erst räuspern, bevor sie antworten konnte. »Ich habe viel über den brasilianischen Adel gelesen.« Ihr war die Frage zwar unangenehm, doch sie war viel zu neugierig, um sie nicht zu stellen. »Und es war immer davon die Rede, dass es nicht schicklich ist, die Arme zu zeigen.«

»Ja, das ist im Prinzip richtig«, wiederholte die Herzogin, »es ist für die Frau nicht schicklich, ihre Arme zu zeigen. Es symbolisiert das Privilieg des Adels, nicht arbeiten zu müssen. Aber das gilt zum Glück nur, wenn auch Herren anwesend sind.« Sie grinste. »Wenn wir Frauen unter uns sind...« Nur am Rande fiel es Maria auf, dass die Herzogin ‚wir’ gesagt hatte und sie offensichtlich damit einschloß.

»Der Handschuh, den ich auf dem Fest tragen soll, geht auf eine ähnliche Tradition zurück.« Maria war erleichtert, auf ein ihr angenehmes Thema gestoßen zu sein. »Es sollte damals die Prinzessin daran hindern, mit ihrem Liebsten zu tanzen.« Sie erzählte ein wenig von den Ursprüngen des Festes. »Nur bei mir hat der Handschuh eine tiefere Bedeutung.«

»Sie helfen ihrer Mutter bei einem Forschungsauftrag über Erziehung.« Die Herzogin schien ehrlich interessiert zu sein.

»Ja, es geht irgendwie darum, jugendliche Damen zu einem gesitteten Leben zu führen.« Maria gab das wenige, was sie wusste, wieder.

»Bei ihnen wirkt es ja sehr gut.« Die Herzogin lächelte.

Maria begriff erst nach einiger Zeit, dass es als freundliches Kompliment gedacht war. »Danke.«

»Bei uns ist man da weniger einfühlsam.« Margerit seufzte. »Mit Zwölf bekommen wir unser erstes Ballkleid. Und dann wird es immer mehr.«

»Ballkleid?« Maria horchte auf. Doch gleich darauf ärgerte sie sich, weil sie sich nicht so unter Kontrolle hatte, wie sie es eigentlich konnte.

»Naja, es wird als Ballkleid verkauft, aber letztendlich ist es eine bessere Zwangsjacke.« Sie seufzte wieder. »Die Arme werden in dem Kleid fixiert, und dann darf frau damit in die Öffentlichkeit.«

Maria hörte sehr interessiert zu.

»Jedes junge Mädchen träumt davon, erwachsen zu werden, und jede fiebert auf den ersten Ball hin. Man bewundert die etwas älteren Mädchen, wie ruhig und beherrscht sie auf einmal sind, wenn sie auf den Ball gehen und das Ballkleid tragen.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Und dann ist man alt genug und die Schneiderin kommt wegen dem ersten Ballkleid. Es ist vor allem aufregend.«

»Und dann...« Maria ahnte, dass etwas Einscheidendes kommen würde.

»Dann stellt man fest«, die Stimme der Herzogin zeigte etwas Resignation, »dass man in dem Kleid überhaupt keine andere Möglichkeit hat, als sich langsam zu bewegen und gerade und würdevoll dazustehen.«

»Warum denn das?« Maria sah sich schon als Prinzessin vor ihrem nächsten Ball.

»Zu dem Kleid gehört stets ein langer enger Unterrock, der nur winizige Schritte zulässt. Und selbst die sind anstrengend. Von Tanzen kann überhaupt keine Rede sein.«

Maria begriff, dass die Herzogin aus eigener Erfahrung sprach.

»In dem Korsett kann man nur stehen, und es umfasst den ganzen Oberkörper wie ein Schraubstock.« Sie seufzte. »Und natürlich hat es auch einen hohen Spitzenkragen. Ein Bewegen des Kopfes wird auch sehr erschwert. Natürlich werden die Arme mit in das Korsett eingeschnürt.«

Maria horchte auf. Da war ein besonderer Unterton in den Worten der Herzogin, der sie stutzig machte. »Das Kleid macht dann ja vollkommen hilflos.« Sie sprach leise.

»Ich weiß nicht, ob es überall so gehandhabt wird.« Die Herzogin merkte erfreut, dass Maria ihr fast atemlos zuhörte. »Aber in unserer weit verzweigten Familie werden alle Damen so aufgezogen. Und wir haben uns alle auf das erste Ballkleid gefreut.«

»Um danach enttäuscht zu sein.« Wieder ärgerte sich Maria, dass sie es nicht schaffte, sich gegenüber einer fast fremden Frau nicht unter Kontrolle zu halten. Doch irgendwie spürte sie eine Verbundenheit zu ihrem Gegenüber.

»Das sollte man meinen, im Rückblick.« Die Herzogin lächelte. »Doch als junges Mädchen ist man erst einmal sehr stolz. Das erste Mal auf dem Fest. Außerdem dauert der ganze Auftritt nur zehn Minuten, dann muss man das Kleid schon wieder ausziehen.«

Maria schwieg. Sie wollte sich nicht schon wieder verplappern. Dabei war die Erzählung der Herzogin aus ihrer Jugend sehr spannend.

Auf einmal geschah etwas Seltsames. Die Herzogin richtete sich auf und setzte sich ganz gerade hin. Dann begann sie Maria fest ins Gesicht zu sehen.

Maria bemerkte die Veränderung an der Herzogin erst nicht, doch dann nahm Maria unbewusst die gleiche Haltung an und blickte zurück. Den Gedanken daran, dass es womöglich unhöflich wäre, drängte sie zurück. Irgendwie begriff sie, dass die Herzogin sie irgendwie einer Prüfung unterzog. Sie bemühte sich, dem Blick stand zu halten.

»Mein Mann sagt über mich, dass ich eine große Menschenkenntnis habe.« Sie nahm wieder eine für sie bequeme Haltung an. »Ich habe darüber noch mit keinem einzigen Menschen gesprochen.«

Maria begriff, dass die Herzogin ihr zu vertrauen schien. Sie wusste nicht, womit sie das Vertrauen verdient hatte, doch sie war genauso entschlossen, es nicht zu enttäuschen.

»Ich habe es vom ersten Augenblick an genossen.« Die Herzogin machte auf einmal einen sehr zarten und zerbrechlichen Eindruck. »Die Hilflosigkeit, die feste Umarmung des Korsetts.«

Auf einmal begriff Maria, was gerade passierte. Die Herzogin vertraute ihr so sehr, dass sie bereit war, ihr Innerstes nach außen zu kehren.

Und alles, was sie sagte, kam Maria sehr bekannt vor. Irgendwie unbewusst wusste Maria, dass sie ihren Kopf ausschalten und ihrem Herz zu folgen hatte, dann würde sie es richtig machen. »Und wenn er einen dann in den Arm nimmt und man hilflos seine Zärtlichkeit entgegennehmen muss.« Maria sprach sehr leise.

»Ich bin wohl das einzige 'schwarze Schaf' in der Familie.« Die Herzogin lächelte. »Meine Schwestern und Cousinen wollten nach dem Ball immer sofort wieder aus dem Kleid heraus. Ich habe immer Ausreden gesucht, noch länger drin bleiben zu dürfen.«

Maria schwieg. Sie spürte den Zauber des besonderen Moments.

»Ich habe auch oft in dem Ballkleid übernachtet.« Sie grinste. »Ich konnte mich darin kaum bewegen, deswegen war es am nächsten Morgen auch nur minimal zerknittert.«

»Und man hat wunderschöne Träume darin.« Maria ließ ihr Herz sprechen.

»Entsprechend ging es dann weiter. Die Bälle wurden häufiger und die Abende länger.« Die Herzogin geriet ins Schwärmen.

»Und dann kam 'er'?« Maria war tief in dem Gedankengang versunken.

»Indirekt.« Die Herzogin blickte auf und ergriff Marias Hand. »Es ist bei uns im Hochadel nicht so wie bei Sissi. Wir waren schon lange für einander ausgesucht.«

Maria versuchte sich zu entschuldigen, doch die Herzogin sprach gleich weiter.

»Aber er hatte großes Interesse an mir und meiner Garderobe.« Die Herzogin zeigte in diesem Moment etwas Verliebtes. »Ich hatte sogar begonnen, für ihn das Gebet zu trainieren, nachdem er mir von seiner Verwandten berichtet hatte.«

»Aber?« Maria ahnte, dass ein Einschnitt kommen würde.

»Ich hatte einen Reitunfall und lag wochenlang in Gips. Mein Hausarzt hat mir danach verboten, weiter zu trainieren.« Die Ernüchterung der Herzogin war jetzt noch zu hören.

»Das war sicher eine große Enttäuschung für ihren Mann.« Maria gab sich sehr einfühlsam.

»Er hat mich das nie spüren lassen, aber ich weiß, wie sehr er darunter gelitten hat.« Die Herzogin widersprach. »Bald darauf kam unsere Tochter zur Welt, und schon bald nach ihrer Geburt wurde die Fehlstellung erkannt, die zwar geheilt werden konnte, die das Gebet aber ebenfalls verhindert.«

Maria fiel nichts ein, was sie hätte antworten können. Doch sie legte ihre zweite Hand auf die Hand der Herzogin.

»Ich glaube, ich habe Sabeth sehr viel vererbt.« Die Herzogin lächelte geheimnisvoll. »Aber bisher ist es noch nie zu einem Gespräch deswegen gekommen.«

Maria spürte, dass es der Herzogin sehr gut tat, einmal ihr Herz zu erleichtern.

»Mein Mann gibt heute Abend einen kleinen Empfang, und ich würde sie gern dazu einladen.« Sie zog ihre Hand zurück.

»Ich würde sehr gern kommen«, erwiderte Maria, »aber ich habe kein Kleid dafür.« Diesmal war es ihr Bauch, der Maria die Worte in den Mund legte. »Vor allem keines, was ihrem Dresscode entspricht.« Sie sprach langsam und blickte dabei der Herzogin in die Augen.

»Einen Augenblick.« Sie griff zur Klingel. »Da lässt sich bestimmt etwas machen.«

Die Dienerin erschein. »Hoheit?«

»Haben wir in unserer Garderobe ein Ballkleid, welches Maria passen könnte?« Sie bat Maria, einmal aufzustehen.

»Ein Ballkleid?« fragte die Dienerin. »Sind sie sicher?« Das Wort 'Ballkleid' hatte sie besonders betont.

»Ich habe ihr etwas aus meiner Jugend erzählt und sie ist sehr begierig darauf, so ein Kleid einmal tragen zu dürfen.« Die Herzogin drehte sich zu Maria. »Du kannst dich Nora anvertrauen. Sie ist verschwiegen, loyal und stellt keine unnötigen Fragen. Sie kennt sich mit der Kleidung besonders gut aus.« Den letzten Satz hatte die Herzogin besonders betont.

»Ich glaube, da lässt sich was machen.« Nora erweckte den Eindruck, als ob sie oft schon ungewöhnliche Wünsche ihrer Herrin erfüllen musste. Sie musterte Maria kurz. »Aber es wird etwas dauern.«

»Wollen sie gleich mitgehen?« Die Herzogin sah sie ermunternd an. »Sie werden sich vielleicht noch etwas an das Kleid gewöhnen wollen.«

Maria kam es vor, als hätte die Herzogin eben sogar gezwinkert.

»Nora, sie bringen sie dann bitte zum Empfang.«

Maria stand auf und blickte Nora etwas unsicher an.

Nora blickte Maria freundlich an. »Folgen sie mir bitte.«

* * *

Neben der Präsidentensuite 'Berlin', die sich über fünf Zimmer erstreckte, gab es noch zwei kleinere Suiten 'Hamburg' und 'München', die der Herzog ebenfalls gebucht hatte. Die Namen hatte Frederike bald nach ihrer Ankunft vergeben, weil sie sie ein wenig an ihre Heimat erinnerten. Nora öffnete die Tür zu 'München' und trat ein.

Maria keuchte, als sie das Innere erblickte. Die drei Räume waren vollgestellt mit Kleiderständern.

»Sie sind etwas Besonderes.« Nora lächelte. »Außenstehende bekommen dies sonst nicht zu Gesicht.«

Maria war noch wie gelähmt. »So viel?« Sie musste daran denken, dass selbst ihre gesamte Ausrüstung für das Programm in zwei Schränke passte.

»Das ist aber nur die kleine Reisegarderobe.« Nora lächelte. »Fürs Ausland.«


»Wenn sie das Ballkleid tragen, sollten sie mindestens Highheels anziehen.« Nora blickte an Maria herunter. »Besser wären natürlich Ballettstiefel, aber ich möchte sie nicht überfordern.«

»Oh, ich bin die Stiefel gewohnt.« Marias Stimme überschlug sich fast. »Ich gehen oft darin.«

»Haben sie sie dabei?« Nora öffnete einen Schrank, der mit Schuhen und Stiefeln vollgestopft war. »Wenn es keine Maßanfertigungen sind, werden sie schnell unbequem.«

»Ich kann sie holen. Sie sind noch im Koffer.« Maria erinnerte sich daran, dass sie noch nicht alles ausgepackt hatte.

»Lassen sie uns erst das Kleid aussuchen.« Nora schloss die Schranktüren wieder. »Dann können sie die Stiefel holen und ich helfe ihnen beim Ankleiden.

Sie ging zu einem der vielen Kleiderständer. »Das hier hat Sarah schon einmal getragen.« Sie zog einen Bügel heraus.

Maria sah auf den ersten blick, dass es hochgeschlossen war und vorallem keine Ärmel hatte.


Das Kleid war zu groß. Nora ging zu einem anderen Ständer. »Das hier war Sarah zu klein, das sollten wir mal probieren.«

Maria blickte interessiert auf den Bügel, den Nora heraus zog.

»Ach nein, das geht nicht. Sie müssten dazu einen Monohandschuh tragen.« Sie begann, dass Kleid wieder wegzuhängen.

»Warten sie.« Maria war aufgeregt. »Der Handschuh wird kein Problem sein.«

»Das ist nicht einfach nur ein Handschuh.« Nora war über Marias scheinbare Naivität etwas verärgert. »Es ist ein »Mono«handschuh, eine Hülle, die ihre Arme auf dem Rücken zusammenhält.« Sie hängte das Kleid wieder auf den Ständer.

»Warten sie, ich kann das.« Maria war eingefallen, dass sie ja einfach die für den Handschuh nötige Haltung einnehmen konnte. Sie drehte sich um und presste auf dem Rücken ihre Arme zusammen. So fest, wie sie es noch nie gemacht hatte. Es war irgendwie ein besonderer Moment, ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten einem wildfremden Menschen zu zeigen.

»Sie können das ja wirklich.« Nora keuchte. Sie blickte noch einmal an Maria herunter. »Monohandschuh, Ballettstiefel und ein Korsett.« Noras Blick entging es nicht. »Ich glaube, die Herogin hat recht. Sie sind eine sehr interessante Person.«

»Können wir dann das Kleid probieren?« Maria war zu ihrem eigenen Erstaunen ungeduldig.

Nora blickte Maria kurz an, sie schien ihr Gegenüber zu taxieren, dann begann sie auf einmal mit einer etwas veränderten Stimme zu reden. »Was ist denn das für eine ungebührliche Frage? Warten sie gefälligst, bis ich so weit bin, Hoheit.«

Sowohl der Stimmungswechsel als auch die plötzliche Anrede 'Hoheit' kamen für Maria völlig unerwartet. Doch in ihr begann sich etwas Besonderes zu regen. Die Dienerin der Herzogin begann sie wie eine junge ungehorsame Prinzessin zu behandeln. Und es war deutlich zu spüren, dass Maria nicht die erste Prinzessin war, die zu ungeduldig war. Außerdem strahlte Nora so etwas wie eine natürlich Autorität aus, was natürlich auch ihrem Alter zuzuschreiben war.

»Gehen sie jetzt bitte und holen sie ihre Ballettstiefel. Und ihren Handschuh bringen sie bitte auch mit.« Nora hatte einen sehr befehlenden Ton.

Maria wollte sich gerade zur Tür drehen, als sie von Nora unterbrochen wurde. »Noch etwas. Sie sind eine Prinzessin und bewegen sich würdevoll. Ich will keine schnellen Schritte oder gar Laufen hören.«

Maria drehte sich noch zu Nora und machte einen Knicks. »Jawohl, Madame.« Dann ging sie langsam zur Tür.

Auf dem Flur überkam Maria natürlich sofort der Drang, jetzt schnell zu ihrem Zimmer zu eilen. Doch die Worte von Nora vermischten sich mit den Filmbildern von Sissi, als sie wiederholt von der Erzherzogin Sophie zurechtgewiesen wurde. Sie zwang sich zu langsamen und würdevollen Schritten. Obwohl es nur die Dienerin der Herzogin war, hatte Maria doch einen gewissen Respekt vor ihr und gab sich Mühe, ihrem Befehl zu folgen. Doch innerlich brannte sie voll Feuer.


Das Zimmer war leer, als Maria eintrat. Sie ging an ihren Schrank und holte Stiefel und Handschuh heraus. Es kam ihr vor, als würden sie in ihren Händen brennen, so aufgeregt war sie. Dennoch zwang sie sich zu ruhigen und langsamen Schritten.

Als sie die Tür zur Suite 'München' öffnete, schien Nora schon auf sie zu warten. »Setzen sie sich dort hin.« Die Stimme zeigte jetzt eine eher nüchterne Sachlichkeit.

Es kam Maria höchst seltsam vor, dass eine wildfremde Frau ihr die Stiefel anzog, doch sofort spürte Maria die Erfahrung der Frau. Es ging sehr schnell und die Stiefel waren angezogen. »Haben sie keine Schlösser mitgebracht?«

»Nein.« Maria war wegen der zwei Sätze der Dienerin sehr eingeschüchtert, »das habe ich nicht.«

»Macht nichts, dann nehme ich welche von uns.« Sie griff in eine Schublade und nahm zwei geöffnete Schlösser heraus.

Maria konnte ihren Bewegungen kaum so schnell folgen, da waren ihre Stiefel verschlossen, und sie war nicht mehr in der Lage, sie auszuziehen, ohne sie kaputt zu machen. Nach den Schlüsseln zu fragen, wagte sie nicht, da sie die Antwort, die kommen würde, ohnehin ahnte. 'Sie werde dann schon sehen.' Eine konkrete Antwort stand ihr als Prinzessin ohnehin nicht zu.

»Stehen sie bitte auf und legen sie ihre Arme auf den Rücken.« Nora war immer noch eher sachlich streng.

Eigentlich liebte Maria diesen Satz, doch dieses Mal mischte sich etwas Angst unter die Vorfreude. Zum einen, weil Nora eine Fremde war, die ihr vorher noch nie begegnet war und andererseits, weil Maria auch nicht wusste, was kommen würde. Trotzdem kam sie dem Befehl unverzüglich nach. Sie spürte eine gewisse Ähnlichkeit zu Mrs. Potter und sie wusste, dass Erzieherinnen auch 'anders' konnten. Maria hatte wenig Lust, Noras diesbezügliche Fähigkeiten auszuprobieren.

Maria liebte das Gefühl, wenn das Leder langsam an ihren Armen heraufgezogen wurde, doch dieses Mal konnte sie es nicht genießen. Nora war mit dem Anlegen so geübt, dass der Handschuh schon vollständig geschlossen war, als Maria erst die Berührungen des Leders zu spüren begann.

»Ich habe ihnen dieses Korsett herausgesucht.« Nora war auf einmal wieder die aufmerksame Dienerin. »Es läßt sich in der Breite verstellen, dafür sitzt es dann nicht ganz optimal.« Sie blickte Maria fragend an. »Ich denke, für den Empfang müßte es aber gehen.«

Maria begriff erst nach einiger Zeit, dass Nora auf ihre Zustimmung wartete. »Ja, bitte.« Sie hatte große Schwierigkeiten zu antworten. Trotzdem musste sie keuchen, als sie realisierte, dass das Korsett von ihrem Kinn bis zu ihren Waden reichen würde. »Setzen geht damit aber nicht.« seufzte sie.

»Es ist doch ohnehin nur ein Stehempfang.« Nora lächelte, als sie das Korsett auf Marias Größe einstellte.


»Sie haben ein gutes Augenmaß.« Maria keuchte, als sie die zunehmende Enge des Korsetts spürte.

»Das will ich meinen,« Nora stöhnte, als sie an den Schnüren zog. »Ich habe schon für die Mutter der Herzogin arbeiten dürfen.«

Es klopfte.

Nora blickte Maria an und wartete.

Maria brauchte einen Moment, bis sie die Situation begriff. Sie als 'Prinzessin' hatte 'herein' zu sagen, nicht Nora als Dienerin. »Ja bitte.«

»Entschuldigung, aber man hat mir gesagt, dass du hier bist.« Frederike trat ein und begrüßte auch Nora wie eine alte Bekannte.

»Was gibt es denn?« Maria war sichtlich nervös, denn sie hatte ihrer Mutter bisher nichts von der überraschenden Einladung gesagt. Es wäre nicht schön, wenn sie sie aus ihrem Prinzessinnentraum herausreißen würde.

»Kannst du vor dem Empfang noch einmal bei mir kurz vorbei kommen?« Frederike spürte, dass ihre Tochter spannend beschäftigt war.

Maria wollte den Kopf drehen, doch sie spürte den Kragen des Korsetts. »Ja, kann ich machen.«

»Entschuldigen sie bitte, wenn ich mich aufdränge.« Es war Nora unangenehm, sich einmischen zu müssen. »Aber wenn wir hier fertig sind, dann ist es aus mit 'kurz vorbeikommen'. Diese Kleider sind bewusst so entworfen wurden, dass sie die Trägerin sehr hilflos machen. Ich darf ihre Tochter dann nicht mehr aus den Augen lassen.«

Frederike blickte mit gemischten Gefühlen auf den Korsettpanzer, der ihre Tochter umgab. »Ach, das kann auch warten.« Sie verließ den Raum wieder.

»Ihre Mutter ist aber sehr nervös.« Nora ließ fast so etwas wie Humor hören.

Maria war verwundert, wie viele Rollen Nora innerhalb von kürzester Zeit einnehmen konnte. War es zuerst die strenge Erzieherin, dann die unterwürfige Dienerin, so war sie jetzt die verschwörerische Freundin. Sie ahnte, dass es für ihre Position wichtig war. Sie war vermutlich mehr als nur die Dienerin der Herzogin. Trotzdem schaffte Maria es, die Stimmung aufzunehmen. »Ja, der Herzog ist ein wichtiger Besuch.«

»Wollen wir weitermachen?« Nora ging zu einem Kleiderständer und zog einen weiteren Bügel heraus.

Maria wurde wieder an ihre nähere Zukunft erinnert, und schlagartig war ihre Aufregung wieder da. »Ja, bitte.«

»Das Oberkleid hat vor allem die Aufgabe, das Korsett zu verstecken.« Sie bat Maria, näher zu kommen.

Marias Herz klopfte laut, als sie langsam und mühsam näher kam und dabei zusah, wie Nora die Schutzfolie vom Bügel nahm. Zum Vorschein kam etwas, dass Maria gar nicht bezeichnen konnte, was sie aber stark an die Sissi-Filme erinnerte. Ein breiter Reifrock unter einer sehr schmalen Taille. Nur hatte das Kleid keine Arme, stattdessen war es hochgeschlossen, und ein Gewirr von Spitze verbarg das Halskorsett.

»Bitte bleiben sie ruhig stehen.« Nora kam mit dem Kleid näher.


Maria kam kaum zu Atem, als sie sich im Spiegel betrachten konnte. Sie sah wirklich aus wie Sissi in ihren Filmen. Es glitzerte und funkelte überall, und gern hätte Maria einmal mit ihrer Hand über den Stoff gefasst, doch die war sicher im Handschuh verstaut.

»Ich finde, es steht ihnen gut.« Nora blickte zufrieden auf die Gestalt vor dem Spiegel.

Maria drehte sich fasziniert vor dem Spiegel. Sie war mehr als erleichtert darüber, auf den Ballettstiefeln so gut gehen zu können. Jetzt half es ihr, ohne ihre Arme die Balance zu halten. »Es ist so als ob ich träume.«

»So können sie bei dem Empfang erscheinen.« Noras Worte erinnerten sie wieder an den eigentlichen Anlass, weswegen sie sich so hilflos hatte machen lassen. Sie fühlte sich wie eine brasilianische Prinzessin vor einem ihrer ersten richtigen Bälle. Ob sie wohl dem Prinzen gefallen würde? Mit etwas Wehmut dachte sie an Paul. Was würde er wohl davon halten, sie so zu sehen? Ob ihm dieser besondere Dresscode gefallen würde?

* * *

Maria hatte zunächst Bedenken, ob sie mit diesem zugegeben sehr faszinierenden Kleid die einzige Dame gemäß der speziellen Kleiderordnung auf dem Empfang sein würde. Doch ihre Bedenken waren nicht angebracht.

Die Herzogin trug ein ähnliches Kleid wie sie, und auch ihres war hochgeschlossen und ihre Arme waren nicht sichtbar. Später hatte sie Maria verraten wie es bei ihr 'darunter' aussah. Einen Arm trug sie längs am Körper, den anderen versteckt im Umhang. »So kann ich auch noch etwas Taille zeigen.«

Marias Mutter hatte sich für einen Hosenanzug entschieden, das Haar hochgesteckt und dabei auf jeglichen Schmuck verzichtet. Das war die einzige Möglichkeit, dem vorherrschenden Dresscode für Frauen zu entgehen. Auch Nora hatte sich für diese Variante entschieden.

Zwei weitere Frauen in Barockkleidern waren noch anwesend sowie einige Ärztinnen, die etwas halbherzig mit einem Umhangtuch versuchten, sich dem Dresscode anzupassen. Hier in den Staaten wurde so etwas toleriert.


Der Empfang als solches verlief eher langweilig. Der Herzog hielt zunächst eine lange Rede, in dem er ausführlich auf seine Bedürfnisse einging, dann bat er Frederike um einige Worte.

Maria genoss jede Sekunde des Empfangs, doch sie war so sehr mit sich selbst und dem Anblick der anderen Frauen beschäftigt, dass sie den Reden nicht folgen konnte.

Sarah kam ein paar Minuten zu spät zu dem Empfang, sie hätte diesen Termin gern ausgelassen, doch sie wusste, dass sie sich so einen großen Affront nicht leisten konnte.

Sie hatte ein sehr eigenwilliges Kostüm gewählt, um sich dem Dresscode anzupassen. Sie trug einen schwarzen Catsuit und darüber ein kurzes Kleid. Das besondere waren jedoch ihre Arme, die quasi ein Spiegelbild ihrer Beine waren. Von der Schulter herab kamen je zwei Strumpfhalter, die einen Strumpf festhielten. Und sie trug an den Armen und Beinen gleich aussehende Stiefel.

Der Herzog war sehr erbost, als er seine künftige Schwiegertochter so sah. Er rief Nora zu sich und sprach kurz mit ihr. Seiner Miene nach war er nicht amüsiert.

Sarah wurde gleich darauf von Nora aus dem Raum gezogen.


Sehr viel später während der Rede des Herzogs kam sie in einem ähnlichen Kleid zurück, wie Maria eines trug.

Maria war erfreut, Sarah endlich an ihrer Seite zu haben. Sie ging freudig zu ihr. Doch Nora nahm sie beiseite. »Du kannst nicht mit ihr reden, wir mussten sie zum Schweigen bringen.«

Maria sah sich daraufhin Sarahs untere Gesichtshälfte genauer an, doch selbst dabei konnte sie nichts Auffälliges erkennen.

»Ihr Mund ist zugeklebt und das Klebeband ist mit Theaterschminke versteckt«, flüsterte Nora. »Und der Mund ist gefüllt.«

Maria war fasziniert und voller Mitleid zugleich. Warum taten sie ihr das an? Doch dann fiel ihr Blick in Sarahs Augen, und dort entdeckte sie ein Funkeln, welches sie sehr verdächtig fand. Sollte Sarah ihren Zustand etwa genießen?


»Wie meinte Sarah eigentlich das komische Kostüm, was sie angehabt hat?« Frederike ließ sich in ihr Sofa fallen.

Maria war noch nicht von Nora aus den Sachen vom Empfang befreit worden. »Ich glaube, sie wollte damit ihre Arme zu Beinen machen. Es ist ja nur unschicklich, die Arme zu zeigen.«

»Dem Herzog hat es nicht gefallen.« Frederike gab sich amüsiert. Doch dann fiel ihr Blick auf ihre Tochter. »Das Kleid scheint dir zu gefallen.«

»Nein, es macht so furchtbar hilflos.« Maria hatte das Bedürfnis zu protestieren. »Aber es ist ein Traum, mal eine Prinzessin zu sein, wenn auch nur für ein paar Stunden.«

Sonntag, 29. August 1984

»Heute sind sie nicht da.« Mit diesen Worten erschien Sarah bei Joe zum Frühstück.

»Aha«, Maria spürte die Erleichterung der Prinzessin. »Wo sind sie denn?« Erst als sie die Frage gestellt hatte, hatte sie Zweifel, ob ihr eine solche Äußerung überhaupt zustand.

Doch Sarah übersah das. »Der Investor hat sie eingeladen.«

Joe kam an den Tisch. »Sie sind wohl den ganzen Tag weg.« Er grinste. »Jedenfalls haben sie kein Essen bei mir bestellt.«

Maria wusste, dass die Kantine am Wochenende die einzige Gelegenheit in der Klinik war, etwas zu essen zu bekommen.

»Joe?« Sarah hatte eine Bitte. »Ich weiß, dass ich mich wegen der Sonde und der Blase nur durch den Schlauch ernähren kann und ich finde das auch in Ordnung so.« Sie blickte sich kurz um. »Aber ich würde gern den Duft von frisch gemachten Kaffee riechen, auch wenn ich ihn nicht trinken kann.«

»Kann ich machen, ist kein Problem.« Joe fragte Maria nach ihren Wünschen für das Frühstück.

»Bring mir Marmelade zum Toastbrot.« Sie hätte lieber gern die Brötchen gehabt, die es in dem kleinen deutschen Lokal gab, doch die backten meistens nur für den Eigenbedarf.

»Was hast du dir gestern eigentlich bei dem Kostüm gedacht?« Maria äußerte ihren Verdacht. »Sollten das noch mal Stiefel sein?«

»Es hat nicht funktioniert.« Sarah musste lächeln und zugeben, dass es ganz schlecht gelaufen war. »Sie haben mir das mit den vier Beinen einfach nicht abgenommen.«

»Was hast du gemacht?« Joe war neugierig, als er den Kaffee und Marias Kakao brachte.

Maria und Sarah beschrieben Sarahs Outfit von gestern.

Joe musste lachen. »Das hätte ich dir auch nicht durchgehen lassen.«

»Ich habe schon so viel probiert.« Sarah seufzte. »Aber nichts ist geeignet, um mich unmöglich zu machen.«

Maria war sich nicht sicher, ob sie richtig zugehört hatte. »Du meinst, damit du als Schwiegertochter nicht in Frage kommst?«

»Ja,« in ihren Augen keimte kurz etwas wie Hoffnung auf.

Ein Klingeln erforderte Joes Aufmerksamkeit. Gleich darauf kam er mit dem Frühstück zurück. Er stellte Maria das Tablett hin, bei Sarah hängte er nur den Beutel an den bereitstehenden Ständer und schloss ihn an. »Lasst es euch schmecken.«

* * *

In der sogenannten Patientenbibliothek hatte Frederike ihrer Tochter einige Bücher über den brasilianischen Adel bereitgestellt, die Maria mehr oder weniger verschlang. Auch einige Bücher über Mode waren dabei, in denen Maria zwar viele faszinierende Kleiderentwürfe gesehen hatte, doch ein Kleid für das Gebet war nicht dabei.

Fast immer wurden die Arme vor dem Körper oder längst an der Seite fixiert. Selbst die Monohandschuh-Haltung war eher selten. Die Pflicht, die Arme nicht zu zeigen, galt erst mit der Volljährigkeit, doch viele junge Mädchen eiferten geradezu darauf hin, ihre Arme wenigstens symbolisch fixiert zu bekommen, um erwachsen zu erscheinen.

Maria musste über ihre Vorlieben und Wünsche denken. Sie mochte vor allem das Flötespielen sehr gern, und sie liebte es, in den Barock-Kostümen aufzutreten. Sie machte sich auf die Suche und fand in dem Raum tatsächlich einen Band über die europäische Barockmusik. Doch zu ihrer Enttäuschung musste sie feststellen, dass die Musiker damals wohl fast ausschließlich Männer gewesen waren. Es gab nur sehr wenig weibliche Musiker, und über ihre Kleidung war noch weniger bekannt.

Insgeheim war Maria stolz darauf, dass sie mit dem Korsett so gut spielen konnte. Freilich brauchte natürlich die Flöte wenig Luft; und durch das Training hier in der Klinik war sie es außerdem gewöhnt, nur mit dem Brustkorb zu atmen. Sicher, ihr Ton wäre etwas eindringlicher, wenn sie auch ihr Zwerchfell einsetzen konnte, doch genau das war eben der Reiz ihrer Musikgruppe, bei der alle Frauen mit mehr oder weniger streng geschnürtem Korsett auftraten.

Es tat ihr etwas weh, dass sie auf dem Fest nicht mitspielen konnte. Sie hätte bestimmt die schmalste Taille gehabt. Doch auf einmal stutzte sie. Wenn sie das Gebet tragen würde, dann wäre ihre Taille ebenfalls sehr schmal. Sie musste an die Zeichnung denken, die sie damals bei Pauls Oma gesehen hatte.

Maria richtete sich kurz auf und nahm die Gebetshaltung ein, soweit sie das selbst konnte. Sie überlegte. Wenn sie das Gebet trug, dann würden ihre Ellenbogen nur bis zum oberen Ende ihre Taille reichen. Sie würden dem Korsett nicht im Wege sein, wie es bisher immer der Fall war, wenn sie mal den Monohandschuh unter dem Korsett trug. Sie mochte beide Varianten, denn bei beiden waren ihre Arme aus dem Weg geräumt. Und letzteres mochte sie besonders gern, weil sie damit fast immer im Mittelpunkt stand.


»Ach hier bist du.« Sarah stand in der Tür der kleinen Bibliothek, die den Namen eigentlich nicht verdiente.

Maria sah von ihrem Buch auf. »Ich lese gerade etwas über deine Familie.«

»Wollen wir uns wieder die Handschuhe anlegen?« Sarah hatte ein Leuchten in den Augen.

Maria musste nicht lange überlegen. »Warum eigentlich nicht.« Zum einen erinnerte sie der Handschuh an Paul. Und es reizte sie auch zu erfahren, wie Sarahs Maschine genau funktionierte.


Sarah zog den Vorhang auf, der die große Maschine etwas abschirmte. »Die sieht nur so martialisch aus, weil sie komplett mechanisch funktioniert.« Sie ging an ein großes Rad und begann daran zu drehen. »Zuerst muss ich die Feder spannen.« Sie begann zu keuchen. »Je stärker ich sie spanne, desto fester wird später der Druck im Handschuh.«

Maria hätte ihr gern geholfen, doch sie trug schon ihren Handschuh. Und sie musste zugeben, dass Sarah durchaus auch einige Erfahrung mit dem Anlegen von Handschuhen hatte.

»Jetzt muss ich den Handschuh einspannen.« Sie griff zu der Lederhülle und begann damit, eine neue Schnur einzufädeln. Als sie Marias verwunderten Blick sah, musste sie lachen. »Ja, wenn die Maschine fertig ist, werden die Schüre abgeschnitten.« Sie seufzte fast etwas verliebt. »Aber dieses Opfer bringe ich gern.«

Maria war dem Blick der Prinzessin gefolgt. Neben der Maschine stand eine große Kiste mit Bündeln von Schnüren. Allerdings fiel ihr auf, dass die Kiste schon halb leer war.

Sarah lächelte, als sie Marias Blick bemerkte. »Ich muss sie bald wieder auffüllen lassen. Sonst ist es vorbei mit den Handschuhen.«

Es dauerte noch eine Weile, dann stellte Sarah sich mit dem Rücken zur Maschine. »Mit dem Fuß kann ich jetzt die einzelnen Vorgänge auslösen.« Sie sprach etwas leiser. Ihre Anspannung und Vorfreude waren deutlich zu spüren.

Wie schon beim letzten Mal ging es sehr schnell, und Sarah trat von der Maschine weg. Ihr erster Weg führte sie vor den Spiegel. »Zwei Zentimeter.« Sie hörte sich sehr stolz an.

»Zwei Zentimeter?« Maria konnte mit den Worten nichts anfangen.

Sarah musste lächeln. »Ich schaue immer, wie weit die Schnürung oben geschlossen ist. So ist es schon sehr gut.«

Maria lächelte verträumt. Wenn Paul ihr den Handschuh anlegte, dann blieb mittlerweile gar kein Spalt mehr übrig.

Sarah schien diesen Blick nicht zu mögen. »Komm, lass uns in den Park gehen.« Sie ging in Richtung Treppenhaus.

Maria ging seufzend hinterher.

* * *

Am Wochenende war in der Klinik wenig los, weil die meisten Patienten das Wochenende daheim verbrachten. Dafür kamen einige Bewohner des Ortes in den Park, da er ein klein wenig Abwechslung bot.

Maria liebte es, in den Park zu gehen und an dem See die Enten zu beobachten. Vermutlich war der See oder zumindest seine Gestaltung auf ihre Mutter zurückzuführen, denn er sah sehr europäisch aus.

Fast immer konnte sie beobachten, wie eine Entenmutter ihre Küken groß zog. Sie saß dann gern auf der Bank und ließ ihren Blick über den See gleiten, dessen Oberfläche sich in ganz leichten Wind kräuselte. Von den wenigen Sachen, die sie hier unternehmen konnte, war der See ihr noch am liebsten.

Doch diesmal war es anders. Sie hätte gern Paul an ihrer Seite gehabt. Wie würde es wohl sein, wenn sie mit dem Gebet auf dem Rücken durch Landsbach gehen würde? Sie dachte an Doris, die schon die große Probe so sehr genossen hatte.

Maria liebte es, mit dem Handschuh im Park umher zu gehen, denn so bekam sie ähnliche Aufmerksamkeit, als wenn sie ihre Arme in Gips gehabt hätte. Allerdings wagte sie es nur deswegen so sicher aufzutreten, weil sie wusste, dass ihr Keuschheitsgürtel sie im Ernstfall beschützen würde.

Die Sonne spiegelte sich im Wasser und Enten schwammen lustig umher. Manchmal verirrte sich auch ein Schwanenpaar hierher, doch heute war es nicht zu sehen. »Ich bin gern hier, weil mich der See an meine Heimat erinnert.« sagte sie zu Sarah.

Eine junge Frau kam auf den See zu. »Da habe ich doch richtig geschaut.« Sie breitete die Arme aus. »Maria?« Erst jetzt bemerkte sie die Handschuhe, die die Mädchen trugen.

Maria drehte sich um und blickte auf die offenen Arme. »Vicky?« Sie war erstaunt. »Bist du auch wieder da?« Sie hieß eigentlich Ludovica.

»Ja«, seufzte das Mädchen. »Mein Freund meint, dass ich noch viel trainieren muss. Er verlangt von mir das Tragen eines Korsetts.«

Maria hatte schon beim letzten Mal die sehr schmale Taille bewundert. »Es hat ihm nicht gereicht?« ihre Stimme hatte einen empörten Unterton.

»Nein, das ist es nicht.« Ludovica blickte sich kurz um. »Ich möchte nach der Geburt meiner Tochter wieder so eine schmale Taille bekommen.«

»Wo ist sie denn?« Maria war sehr gespannt.

»Sie ist im Moment bei ihm.« Sie lächelte. »Er kümmert sich rührend um sie. Hätte ich gar nicht von ihm gedacht.«, grinste sie.

Maria lächelte verhalten. »Ja, da kann man Überraschungen erleben.« Sie schaute verträumt auf den See.

»Ah, da kommen sie.« Sie blickte zu einem jungen Mann, der näher kam und einen Kinderwagen vor sich her schob.

»Hallo Schatz.« Sie begrüßte ihn. »Wir sprechen gerade von dir.«

Der Mann blickte sich erstaunt um. »Magst du mir deine Freundinnen vorstellen?«

»Das ist Maria, ich kenne sie noch vom letzten Jahr.« Sie blickte etwas verlegen zu Sarah.

Maria kam ihr zu Hilfe. »Das ist Sarah, eine Freundin von mir.« Sarahs dankbaren Blick entnahm sie, dass es wohl richtig war, ihre Herkunft erst einmal nicht zu erwähnen.

»Denkst du noch an unsere Wette von damals?« Ludovika grinste.

»Ich hätte ja nicht davon angefangen.« Maria lächelte. »Aber er heißt Paul.«

»Was?« Ludovika war begeistert. »Davon musst du mir erzählen. Ich will alles wissen.«

Maria seufzte.

»Wollen wir noch etwas spazieren gehen?« Sarah wollte etwas Ablenkung haben.

* * *

»Verdammt, das geht so nicht.« Sarah blickte auf die Umhängetasche, die an der Garderobe in ihrem Zimmer hing. »Ich wollte mir die Tasche um den Hals hängen, aber das geht so nicht.«

Maria blickte sie erstaunt an. Die Prinzessin hatte ihr noch eine Überraschung angekündigt, die sie vorbereitet hätte. »Warum nimmst du sie nicht mit dem Arm?«

»Wie soll denn das gehen?« Sarah blickte etwas verärgert auf ihren Handschuh.

Maria schob ihre vom Monohandschuh zusammengehaltenen Arme durch die Henkel und zog daran. Die Tasche löste sich von dem Haken und rutsche auf Marias Arme.

»Bitte lass es nicht fallen.« Sarah war sichtlich besorgt. »Ich hüte es sonst wie meinen Augapfel.«

»So etwas mache ich nicht zum ersten Mal.« Sie lächelte etwas verlegen. »Die Tasche wird nicht herunter fallen.« Trotzdem gab sie sich Mühe und wackelte mit den Armen, bis die Henkel zum Ellenbogen gerutscht waren. »Jetzt lass uns gehen.« Trotzdem bog sie auch ihren Hände nach oben, falls die Tasche wieder herunter rutschen sollte.


Auf dem Weg zur Kantine ließ Sarah ihre Tasche nicht aus den Augen, doch so nach und nach bekam sie Vertrauen in Marias Fähigkeiten. Sie schien schon öfters Sachen auf diese Weise transportiert zu haben.

»Wir brauchen deine Hilfe, Joe.« Sarah sah, dass er am Tresen stand.

»Aber gern«, Joe trat auf Maria zu und machte Anstalten, ihr den Handschuh zu öffnen.

»Stopp, nein!« Sarah unterbrach ihn, als sie erkannte, was er vorhatte. »Wir brauchen dich für etwas anderes.« Sie blickte auf die Tasche, die an Marias Arm hing. »Da ist ein Fotoalbum drin, das wollte ich Maria zeigen.« Sie wedelte etwas mit ihren Armen. »Könntest du uns umblättern?«

»Wenn ich auch mit schauen darf?« Joe lächelte. Vielleicht gab es etwas neuen Klatsch zu erfahren. Dafür war er immer offen. »Darf ich euch auch was zu trinken bringen?«

Maria nahm einen Orangensaft. »Mit Strohhalm bitte.«

Sarah wollte nichts. »Ich schmecke es ja doch nicht.« Nur für einen winzigen Moment war so etwas wie Resignation zu hören.

»Ich wollte euch zeigen, wo ich aufgewachsen bin.« Sie ließ Joe die nächste Seite aufschlagen. »Das war unser Schloss.« Sie zeigte ihnen ein Bild. Dabei klang sie sehr wehmütig. Es kam nicht sehr oft vor, dass sich jemand für den traurigen Rest ihrer Familie interessierte.

Maria blickte sehr interessiert auf das Bild und sah, dass das Schloss doch sehr europäisch geprägt war.

»Dort bin ich aufgewachsen.« Sie seufzte. »Jetzt gehört es ihm.«

Maria begriff sofort, dass nur der Herzog gemeint sein könnte.

Ein Umschlag lag in dem Album. »Joe, kannst du den bitte vorsichtig aufmachen.«

Der Kantinenwirt kam der Bitte nach.

»Das hüte ich wie meinen Augapfel.« Es war ein Foto, das sie mit ihrem Vater zeigte.

Maria hatte einen Kloß im Hals.

»Damals war er noch ein stolzer Mann.« Es klang sowohl Wehmut als auch Trauer aus ihrer Stimme.

»Ich war sechzehn, als er uns verließ. Offiziell hatte er einen tragischen Unfall...« Sie sprach nicht weiter.

Maria verstand auch so, was die Prinzessin sagen wollte. Sie legte ihre gefangenen Arme auf Sarahs Rücken, so wie sie es sonst nur bei Paul tat. Sie hätte sich gern noch mehr Bilder aus dem Leben der Prinzessin angesehen, doch sie spürte, dass es Sarah wehtat, wenn die Erinnerungen wieder hoch kamen.

»Hier soll die Hochzeit stattfinden.« Sarah war sehr nachdenklich. Das Bild zeigte eine Kirche von außen. Es war eine moderne Kirche mit vielen Elementen aus der Gotik. »Der Herzog wollte ursprünglich eine Hochzeit auf dem Schloss, doch die Kirche dort ist nicht groß genug.«

»Ach hier seid ihr.« Betty stand in der Kantinentür. »Naja, sonst ist ja auch nichts los in diesem Laden.«

»Bist du mir der Weiterbildung fertig?« Sarah wirkte auf einmal recht aufgeweckt.

»Ja«, Betty grinste. »Jetzt weiß ich, wie ich euch noch besser quälen kann.« Sie kam an den Tisch.

»Ich bitte darum.« Sarah griff die Stimmung auf. »Machst du bitte das Album zu und hängst es mir um den Hals?« Sie zeigte auf die Tasche, die auf dem Tisch lag.

Betty kam der Bitte nach, dann steckte sie das Album in die Tasche und hängte es Sarah um. Zusammen verließen sie die Kantine.

»Die haben es ja eilig.« Maria blickte Joe verblüfft an.

»Naja, immerhin waren sie zwei Tage getrennt.« Joe grinste. »Da hat frau es dann auch eilig.« Er erhob sich ebenfalls und ging an seinen Tresen.


Maria seufzte. Jetzt war sie allein. Sie hätte sich gern noch mit Joe und Sarah über den Adel unterhalten. Doch auch Joe hatte ihren Tisch verlassen. Insgeheim begriff sie, dass eine brasilianische Prinzessin interessanter war als eine deutsche Bürgerliche, auch wenn sie die Tochter der Chefin war.

Maria seufzte leise. Jetzt würde es ein langweiliger Abend werden. Irgendwie ahnte sie, dass sie Sarah heute nicht mehr wiedersehen würde. Zumindest nicht vor dem Zubettgehen.

Sie hatte gerade ihre wenigen verbleibenden Möglichkeiten abgewogen, als auf einmal Ludovika in den Raum kam. »Deine Mutter meinte, dass du vielleicht hier sein könntest.«

Maria versuchte eine Handbewegung, um die Patientin vom letzten Mal zu sich zu winken.

»Wie immer im Training?« Ludovika blickte Maria bewundernd an.

»So ungefähr«, Maria hatte keine Lust, die Zusammenhänge zu erklären.

»Die Kleine schläft, jetzt habe ich frei.« Ludovika strahlte.

Maria war verwundert. »Möchtest du nicht bei deinem Kind sein?« Sie fragte sich, wie es wohl einmal sein würde, wenn sie einmal Mutter werden sollte.

»Er passt auf sie auf.« Sie lächelte verliebt. »Er schenkt mir diesen Abend.«

Maria war von Ludovika schwer beeindruckt. »Du hast es gut getroffen.« Sie erinnerte sich an die Träume von damals.

»Das will ich meinen.« Ludovika grinste. »Jetzt will ich aber auch alles von Paolo wissen.«

»Paul«, Maria korrigierte sie, »er heißt Paul.« Der richtige Namen war ihr wichtig. Dann begann sie leise zu erzählen.

Montag, 30. August 1984

Das Wecken am Montag als dem ersten Behandlungstag verlief so, wie sie es schon von all den Malen zuvor kannte. Es galt, den Blutdruck zu messen, das Gewicht zu bestimmen und noch einiges anderes. Bedingt durch Marias Programm wurden auch gewisse Werte über ihre Beweglichkeit genommen. Wie immer war das Personal eher unfreundlich, gerade so, dass es noch keinen Anlass zur Beschwerde bot.

Beim Hinausgehen fiel der Blick der Schwester auf den Behandlungsplan, der neben der Tür hing. »Oh, hier ist es noch nicht korrigiert«, sagte sie mehr zu sich selbst und fingerte kurz an der Halterung. Sie legte den Plan auf den Tisch und schien einen Eintrag zu ändern. Maria konnte es nicht genau erkennen.

Nachdem die Schwester wieder gegangen war, stand Sarah neugierig auf. »Bis zum Frühstück haben wir jetzt Ruhe«, grinste sie zu Maria und ging auf den Plan. »Ich möchte wissen, was geändert wurde.«

Doch als sie vor dem Plan stand, konnte Maria deutlich sehen, wie sie zusammenzuckte, und als sie sich wieder zu ihrem Bett umdrehte, konnte Maria sehen, dass alle Fröhlichkeit aus ihrem Gesicht verschwunden war. »Morgen hat der Herzog wieder eine 'Prüfung' angesetzt« sagte sie mehr zu sich selbst. Doch dann fiel ihr Blick auf Maria und sie stutzte. »Wir werden zusammen geprüft.« Sie begann zu weinen. »Du musst mir helfen.«

* * *

Leonie war ziemlich enttäuscht, als sie bei Marias Adresse niemanden angetroffen hatte. Die Nachbarin hatte ihr über den Zaun zugerufen, dass alle ausgeflogen seien. Sie selbst würde ab und zu im Haus nach dem Rechten sehen.

»Sie wissen nicht, wo sie hin sind?« Leonie hoffte irgendwie, dass es vielleicht nur ein Tagesausflug wäre.

Doch die Nachbarin musste sie enttäuschen. »Sie kommen erst in einigen Wochen zurück.«

Erst jetzt bemerkte Leonie, dass sie von Paul nur den Vornamen kannte. Sie hatte einfach nicht damit gerechnet, sich durchfragen zu müssen. »Sie wissen nicht zufällig, wo Marias Freund wohnt, der Paul?« Sie versuchte, ihre Stimme belanglos klingen zu lassen, doch ihre Finger, die nervös am Schloss des Keuschheitsgürtels spielten, verrieten ihre Nervosität. Natürlich war der Gürtel durch ihre Kleidung verborgen, doch er war da; und Leonie hoffte, ihn jetzt endlich los zu werden.

Die Nachbarin wusste die Adresse und sie verriet Leonie auch nebenbei den Familiennamen 'Mohr'.

Seufzend machte sie sich auf den Weg. Schon wieder war sie auf dem Weg ins Ungewisse, doch auch diesmal würden sie hoffentlich einige fesselnde Abenteuer erwarten.

* * *

»Danke, dass du mir helfen willst.« Sarahs Blick hatte sich wieder etwas aufgehellt. Sie saß Maria gegenüber an dem kleinen Tisch und schaute erwartungsvoll auf den Tablettwagen, den die Schwester gerade hereingefahren hatte. Es duftete nach Kaffee.

Für Sarah lag nur der übliche Beutel bereit, während Maria ihr Frühstück genießen konnte.

Während Maria ihr Toastbrot strich, musste sie abwechselnd an die leckeren Brötchen denken und dann wieder auf den weißen Beutel schauen, der neben Sarah an dem Ständer hin und der sich langsam leerte. Sie hatte große Mühe, ihren Neid zu unterdrücken.

Doch zu ihrer Überraschung seufzte Sarah. »Ach, ich würde gern mal wieder etwas schmecken.«

Maria blickte verwundert auf.

»Naja, am Anfang war diese Art der Ernährung noch sehr reizvoll, doch so langsam fehlt es mir.«

Es klopfte. Marias Mutter trat ein.

Maria versteifte sich unmerklich.

Frederike warf einen Blick auf den Behandlungsplan. »Ah, ihr wisst schon Bescheid.« Sie lächelte zum Tisch hinüber. »Der Herzog ist vor allem auf deine Leistungen gespannt, Maria.«

Maria seufzte innerlich, als sie daran dachte, was sie gerade ihrer Zimmernachbarin versprochen hatte. Doch sie bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen.

»Sarah würde gern mal wieder etwas Essen spüren.« Sie sah ihre Mutter bittend an. »Lässt sich da was machen?«

»Ich weiß es nicht.« Frederike wollte ehrlich sein. »Ich muss beim Facharzt nachfragen.« Sie warf einen Blick auf die Uhr. »Schwester Betty wird gleich kommen, sie bringt euch zur ersten Behandlung.«

Maria wollte protestieren. So groß war die Klinik auch wieder nicht, dass sie den Weg zum Behandlungstrakt nicht auch allein finden würde. Doch ein schneller Blick ihrer Mutter hielt sie davon ab.

* * *

Die Oberschwester war etwas sauer, weil Frederike gerade dabei war, ihr mehr oder weniger offen zu erklären, wie sie ihre Arbeit zu machen hätte. So etwas mochte sie überhaupt nicht. »Wir haben die Eiserne Lunge seit dem letzten Mal noch etwas verändert.« Dabei wollte sie nur ihrer Tochter die Neuerungen seit dem letzten Mal zeigen.

Maria blickte etwas verwundert auf die Liege, in der eine große Aussparung drin war. »Wie für einen Monohandschuh.« grinste sie.

»Du wirst lachen, das ist für deinen Handschuh.« Sie zögerte etwas. »Wir probieren eine etwas radikalere Methode aus.«


Maria wusste nicht, was die einzelnen Behandlungen genau bei ihr bewirkten, und es interessierte sie auch überhaupt nicht. Aber sie hatte erkannt, dass sie jedes Mal nach dem Klinikaufenthalt mit dem Korsett und vor allen mit dem Handschuh besser zurecht kam.

Sie schaute zu, wie der Deckel sich langsam senkte, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Sie kannte die Geräusche alle zur Genüge, das Klicken der Riegel, das Anlaufen der Maschine und das Pumpen der Luft.

Diesmal war es ein klein wenig anders, denn sie trug in der Elektrischen Lunge auch den Handschuh, das war bisher nicht vorgekommen. Es hatte streng genommen neben den medizinischen Aspekten auch den Vorteil, dass sie sich jetzt nicht um ihre Hände kümmern musste.

Anfangs hatte sie immer noch nach irgendwelchen Öffnungen gesucht, um sich befreien zu können, und obwohl sie doch wusste, dass dies aussichtslos war, half es ihr doch, die Zeit in der Maschine zu überstehen. Jetzt waren ihre Arme auf dem Rücken verpackt und so war sie wenigstens von dieser Sorge befreit.

Als die Eiserne Lunge ihre Arbeit aufnahm, spürte sie, wie ihr Brustkorb sich durch die erzwungenen tiefen Atemzüge zu weiten versuchte, und sie dachte mit gemischten Gefühlen daran, dass ihr diese Behandlung immer auch einen ordentlichen Muskelkater in allen Muskeln ihres Brustkorbes bescherte, der noch tagelang bei jedem Atemzug zu spüren sein würde. Doch jedes Mal war ihr danach die Brustatmung leichter, und ihre Taille konnte noch enger eingeschnürt werden, ohne ihr beim Atmen wesentliche Probleme zu bereiten.

Wie all die Male zuvor schaffte es Maria sehr schnell, sich gedanklich fallen zu lassen. Vor zwei Tagen war der Herzog mit seiner Frau und einer nicht geringen Zahl an Personal in der Klinik angekommen. Maria hatte die Anspannung ihrer Mutter gespürt, der der hohe Besuch sehr wichtig war, insbesondere weil auch der Investor Brown extra vorbei gekommen war, um den Herzog zu begrüßen.

Maria hatte sich an dem Wochenende eher gelangweilt, weil Sarah die ganze Zeit bei ihren Schwiegereltern war und Maria sich allein beschäftigen musste. Ihre Mutter hatte ihr etwas Literatur zur Verfügung gestellt, mit der sie sich über die Familie Breganza und die Umgangsformen im dortigen Hochadel informieren konnte.

Besonders eine Regel fand Maria faszinierend und begrüßenswert. Es war für eine herrschende Dame des Hochadels nicht schicklich, die Arme zu zeigen. Deswegen gab es in der Kleidung die verschiedensten Möglichkeiten, die Arme zu verstecken. Die älteren erfahrenen Damen hielten sie einfach verdeckt, weil sie diszipliniert genug waren, aber für die jungen ungestümen Damen gab es diverse Vorrichtungen, die Maria sehr bekannt vorkamen. Sie ähnelten sehr der Armtasche, die Maria bei Margarete auf der Hütte gesehen hatte.

Mit sehr viel Gänsehaut dachte sie an das 'Ballkleid', das sie auf dem Empfang tragen durfte. Das erste Mal war es sehr aufregend, doch wenn die Prinzessin jeden Tag...

Maria hatte sich bisher nur mit den europäischen Prinzessinnen befasst, doch die Regeln und Gepflogenheiten des brasilianischen Hochadels sagten ihr auch sehr zu. Zumal es auf die gleichen Regeln hinaus lief. Die Kleidung und das Benehmen zeigten an, dass die Dame es nicht nötig hat zu arbeiten.

Wie fast jedes Mal hatte Maria es geschafft, das Arbeiten der Maschine nach kurzer Zeit auszublenden und sich stattdessen in eine Traumwelt zu flüchten. Doch diesmal war es anders. Sie träumte nicht von einem unbekannten Prinzen, auf den die Prinzessin wartete, sie träumte von Paul.

Paul.

Das war der Unterschied zu den bisherigen Klinikaufenthalten. Jetzt hatte sie einen Freund, in den sie verliebt war, und nicht nur einen anonymen Prinzen. Im Gegenteil, wenn sie mit etwas Phantasie auf der Fest schaute, das vor ihr lag, dann war Paul ihr Prinz, den sie demnächst heiraten würde.

Sie hatte den Termin, zu dem sie vor dem Altar stehen würde, schon fest vor Augen und sie zählte die Tage, bis sie ihrem Prinzen das Ja-Wort geben würde. Natürlich wusste sie, dass es nur ein Historienspiel war und dass das Ja-Wort keine rechtliche Bedeutung haben würde. Trotzdem freute sie sich sehr darauf. Und dabei gab sie sich große Mühe, nicht auf die Zeit nach dem Fest zu schauen.

* * *

Sarah betrat das Behandlungszimmer, und auch für sie lag ein Handschuh bereit. Dies war wahrscheinlich auf die Forderung zurückzuführen, dass der Herzog für Sarah die gleiche Behandlung forderte wie für Maria.

Insgeheim wusste Maria, dass auch diese Behandlung umsonst sein würde, wenn man es nicht schaffte, Sarah die Angst vor der Hochzeit zu nehmen. Doch sie hatte immer noch keine Idee, wie sie das erreichen konnte, denn irgendwie war es aussichtslos. Wer würde denn freiwillig eine Verbindung mit einem Partner eingehen, dessen Abneigung beziehungsweise Widerwillen offen zutage trat.

Maria versuchte ein Lächeln.

Sarah lächelte zurück und ließ sich ihre Arme in den Handschuh einschnüren. Ihrem heftigen Atem nach schien sie erregt zu sein.


Maria hatte Sarah zunächst ein wenig von ihrer baldigen Hochzeit auf dem Fest berichtet. Sie hoffte insgeheim, von da aus den Bogen schlagen zu können zu Sarahs Hochzeit. Und es funktionierte. Sie konnte die Prinzessin dazu bringen, etwas über ihre Erlebnisse aus der Vergangenheit zu erzählen.

Vielleicht lag es auch daran, dass sie sich in den Maschinen nicht so einfach ansehen konnten. So mussten sie vor allem auf die Stimmung im Tonfall achten, während ihr Blick über den Spiegel oberhalb der Maschine nach draußen durch das Fenster fallen konnte. Sarah berichtete von dem letzten größeren Fest, auf dem sie ihren Verlobten wieder gesehen hatte.

Maria bemerkte den Stimmungswechsel sofort. Es kam ihr vor, als mische sich etwas Angst in Sarahs Erzählung. Vorsichtig hakte sie nach.

»Ich habe gesehen, wie er ihn geküsst hat.« Sarah keuchte unter der Maschine. »Es war kein kurzer Kuss, sondern ein sehr leidenschaftlicher.« Sie seufzte. »Normalerweise hätte ich nicht gelauscht, doch in dem Augenblick war ich wie festgenagelt und konnte mich nicht mehr bewegen. 'Und du musst sie wirklich heiraten?' fragte der Diener, und der Herzogssohn blickte seinen Freund kurz an. »Das hatten wir doch schon oft diskutiert. Du wirst keinen Grund zur Eifersucht haben.'«

Maria begann, die Prinzessin zu verstehen.

Immer wieder hatte Sarah über diesen Satz nachgedacht und sie fragte sich, was er wohl wirklich bedeuten würde. Würde er sie beseitigen? Doch bei der strengen Gesellschaftsordnung war dies höchst unwahrscheinlich. Doch dann sah sie sich in einem brennenden Auto und sie ahnte die Schlagzeile schon ‚Bei einem tragischen Autounfall gestorben.’ »Ich habe Angst, schreckliche Angst.« Aus irgendeinem Grund hatte sie Vertrauen zu Maria. Ihr berichtete sie von ihren Alpträumen, die sie regelmäßig heimsuchten, seit sie diesen gewissen Satz gehört hatte.

Maria blieb fast das Herz stehen, als sie hörte, mit welchen Problemen ihre neue Freundin zu kämpfen hatte. Am Wochenende hatte sie auch Gelegenheit gehabt, die zukünftige Familie von Sarah kennenzulernen und auch bei ihr war der Eindruck geblieben, dass sie alle sehr zielstrebig waren und stets zu ihrem Wort standen.

»Morgen ist die nächste Prüfung angesetzt«, seufzte Sarah. »Ob sie es mir noch mal glauben werden?«

Nur langsam begriff Maria die gesamten Zusammenhänge, und trotzdem erkannte sie sofort, dass etwas sehr Schwieriges, wenn nicht sogar Unmögliches vor ihr lag. Es hatte ja schon oft Gerüchte gegeben, dass unliebsame Verwandte aus dem Weg geräumt wurden. Es kam zwar selten vor, dass gleich ein Mord dahinter stand, aber auch eine Einweisung in eine geschlossene Anstalt oder ein Gefängnis soll es gegeben haben.

Immer wieder blickte Maria durch den Spiegel aus dem Fenster, und nur ganz nebenbei fiel ihr auf, dass sie völlig in Gedanken war, weil sie die Arbeit der Maschine überhaupt nicht mehr wahrnahm. Sie grübelte lange, was sie wohl tun konnte, um Sarah ihre Angst zu nehmen. Und je länger sie grübelte, desto klarer wurde ihr, dass es eine offene Aussprache zwischen dem Herzogssohn, seinem Diener und Sarah geben musste. Nur so, wenn sich alle ausgesprochen hatten, würde sich Sarah vielleicht sicher fühlen. Maria war von ihrer Menschenkenntnis zwar nicht besonders überzeugt, doch irgendwie fühlte sie, dass der Herzogssohn nichts Böses im Schilde führte. Doch ihren Worten allein würde Sarah auch nicht glauben.

* * *

Gleich nach dem Mittagessen betrat Frederike das Zimmer, in das Maria und Sarah nach der Eisernen Lunge gebracht worden waren. »Ich bringe euch zum Training mit den Ballettstiefeln.« Nach ihr betrat auch der Herzog das Zimmer.

Maria sah, wie Sarah zusammenzuckte. Sie warf ihrer Mutter schnell einen fragenden Blick zu und blickte kurz auf den Herzog, in der Hoffnung, dass dieser den Blick nicht bemerken würde. Tatsächlich war der Herzog damit beschäftigt, Sarah zu mustern.

Ihre Mutter blickte ebenfalls kurz auf den Herzog, dann zuckte sie mit den Achseln.

»Und welchen Zweck hat dieses seltsame Training?« fragte der Herzog, nachdem er die Stiefel gesehen hatte, die Frederike mitgebracht hatte.

Frederike schaffte es nicht, einen Seufzer zu unterdrücken. »Ich hatte ihnen das doch schon erläutert. Mit den Ballettstiefeln erreichen die Mädchen die höchstmögliche Absatzhöhe. Damit wird erreicht, dass der Körper eine aufrechte Haltung annimmt, die Schultern werden zurückgenommen und der Brustkorb weitet sich.« Sie blickte sich um. »Können wir dann gehen?«


Schon nach den ersten Metern in der Turnhalle war zwischen den beiden Mädchen ein deutlicher Unterschied zu erkennen - so deutlich, dass es auch dem Herzog auffiel. Maria bewegte sich auf den Schuhen, als hätte sie nie etwas anderes getan, obwohl sie sogar einen Monohandschuh trug. Doch Sarah hatte große Mühe, sich überhaupt auf den Beinen zu halten. Sie wagte es nicht, die Hilfsstange an der Wand loszulassen.

»Warum gibt es zwischen den Mädchen so einen großen Unterschied?« Der Herzog war etwas angespannt. »Ich dachte, sie werden beide für das Gebet ausgebildet. Warum trägt Maria so einen Armhalter und Sarah nicht?«

Frederike ging zu Maria und zog die Schnürung am Handschuh noch einmal nach.

Maria bemerkte aber sofort, dass sie nur so tat. Trotzdem schwieg sie. Sie ahnte, was ihre Mutter in Wirklichkeit bewegte. Sie wollte Zeit gewinnen. Schließlich entschied sie sich dafür, zumindest einen Teil der Wahrheit preiszugeben. »Maria trainiert schon viel länger, erst vor kurzem ist das Gebet auf dem Rücken dazu gekommen.«

Maria hatte gesehen, wie Sarah immer wieder verängstigt zum Herzog blickte. Sie hatte eine Idee. Sehr selbstsicher ging sie zum Sarah und stupste sie mit ihren Armen an. »Komm, wir gehen nach draußen.« Sie spürte, dass die Aussicht, aus dem Blickfeld des Herzogs zu kommen, Sarah anspornte. »Halte dich an meiner Schulter fest.« Maria warf ihrer Mutter noch einen kurzen Blick zu. »Ich zeige der Prinzessin den Garten.«


»Eigentlich kann ich ja auf High-Heels gut laufen.« Sarah lachte, als sie die Tür hinter sich gelassen hatten und aus dem Sichtfeld des Herzogs waren.

Maria verkniff sich die Frage, warum Sarah so mauerte, da sie die Antwort ohnehin kannte. Stattdessen wunderte sie sich ein wenig über die Prinzessin, die auf einmal gehen konnte, als wäre nie auf etwas anderem als Ballettstiefel unterwegs gewesen. Als sie Marias verwunderten Blick sah, lächelte sie. »Als Prinzessin bekommt man natürlich auch Ballettunterricht.« Sie keuchte etwas. »Ich wünschte mir nur, ich hätte damals etwas besser mitgemacht.«

Nach einiger Zeit kam Frederike aus der Turnhalle. »Der Herzog ist wieder gegangen. Warum lauft ihr hier draußen herum und dreht nicht in der Halle eure Runden, so wie es gefordert ist?« Sie war etwas aufgebracht. »Der Herzog besteht darauf, dass der Ausbildungsplan genau eingehalten wird.«

»Es macht doch keinen Unterschied, ob wir hier laufen oder in der Halle.« Maria hatte wenig Lust auf die bisher so stupiden Übungen. Bisher durfte sie die Gehübungen immer draußen machen.

Frederike hatte auf einmal eine Idee. »Die Halle hätte aber den Vorteil, dass euch der Herzog nur dann sehen kann, wenn er in die Halle kommt.« Sie warf ihrer Tochter einen ermutigenden Blick zu. »Wenn ihr hier im Freien seid, muss er nur ans Fenster gehen und kann euch jederzeit beobachten.«

* * *

Als sie in die Halle zurückkamen, stand die Oberschwester neben der Tür und Schwester Betty stand hinter ihr. »Fräulein Breganza, sie sollen den Armhalter doch schon jetzt tragen. Die Chefin sagt, sie kommen mit den Stiefeln gut zurecht.« Sie bat Betty, der Prinzessin den Handschuh anzulegen.

In Sarah kämpften die Gefühle miteinander. Natürlich trug sie den Handschuh sehr gern und sie hatte auch viel Übung darin, aber dazu trug sie meistens bequeme Schuhe. In dieser Kombination war es neu für sie, und wären da nicht die Sorgen um ihre Zukunft, dann hätte sie es vielleicht sogar aufregend gefunden.

* * *

Leonies Herz klopfte laut, als sie auf den Klingelknopf drückte, auf dem ‚Mohr’ stand. Würde wenigstens er da sein, wenn schon Maria abwesend war? Leonie fragte sich, ob sie nicht etwas zu impulsiv gehandelt hatte.

Die Haustür öffnete sich und Paul trat vor die Tür. »Leonie? Was macht du hier?« Mit einer einladenden Handbewegung bat er sie herein.

»Ich war schon bei Maria, aber da war keiner.« Leonie wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.

»Maria ist in den USA.« Er führte Leonie ins Wohnzimmer.

»Was macht sie denn da?« Leonie war verwundert, dass Maria allein dort war.

»Sie ist in der Klinik ihrer Mutter. Aber was sie da macht, weiß ich auch nicht so genau.« Paul war bewusst etwas zurückhaltend, da das Gebet auf dem Rücken noch ein großes Geheimnis war. »Möchtest du etwas trinken?«

»Dann wären wir ja allein«, entdeckte Leonie und ihre Augen begannen zu funkeln. »Wenn du ein Wasser hast, das täte mir reichen.«

Paul ging kurz in die Küche und kam gleich darauf mit einem Glas zurück.

Leonie zeigte großes Einfühlungsvermögen. Sie wollte auf der einen Seite wieder die tolle Hilflosigkeit in den Fesseln erleben, auf der anderen Seite wollte sie sich aber auch nicht zwischen Maria und Paul drängen. »Meinst du, Maria würde es erlauben, wenn du mir noch mal einen Handschuh anlegst?«

Pauls nachdenkliches Gesicht zeigte ihr, dass sie den richtigen Ton getroffen hatte. Doch seine Gegenfrage verblüffte sie und lies ihre Augen fast etwas glasig werden. »Mir oder ohne Schrittseil?«

Leonie keuchte. Nur noch mit leiser Stimme antwortete sie. »Mit.«

Paul hatte schnell erkannt, dass er gegenüber Leonie seine Dominanzversuche austesten konnte, ohne seine Liebe zu Maria in Gefahr zu bringen. Er hatte Leonie so eingeschätzt, dass sie ihm viel verzeihen würde.

Erst jetzt begann Leonie mit ihrem eigentlichen Anliegen und fragte nach dem Schlüssel zum ihrem Keuschheitsgürtel. »Ich hoffe, den hast du noch?« Sie hatte allerdings etwas Lustvolles im Blick. Doch dann wurde ihre Stimme sehr leise. »Bei mir hat sich einiges angestaut.«

Paul konnte sie gerade so verstehen und er wusste auch sofort, was sie damit sagen wollte. »Der hängt an Marias Schlüsselbund.«

Leonie erschrak. »In den USA?«

»Nein.« Paul lachte wegen Leonies entsetzter Miene. »Das Bund ist bei Maria im Haus.«

»Aber da ist doch keiner.« In Leonies Stimme war ein leiser Frust zu hören.

»Aber ich habe einen Schlüssel.« Paul ahnte, was sein Gegenüber bewegte. »Ich kann ihn holen, sobald meine Oma wieder da ist.« Er wollte Leonie nicht allein im Haus lassen.

* * *

Die zehn Runden auf dem kleinen Parcours waren geschafft und die beiden Mädchen ließen sich erschöpft auf die Matten fallen. Nach der dritten Runde hatte Sarah die Idee zu einem Wettlaufen über den Parcours. »Damit es nicht so eintönig ist«, hatte sie angeregt. Maria war mit vier gewonnenen Runden die Siegerin. Dreimal war Sarah schneller gewesen.

Als Betty vorbei kam, um sie zur Kaffeepause abzuholen, musste sie sich wundern. »Ist das Gehen in den Stiefeln so anstrengend?« Sie half den Mädchen beim Aufstehen, dann holte sie ein paar Handtücher.

»Nein, wir haben ein Wettrennen gemacht.« Maria lachte.

Betty reichte ihnen die Handtücher. »Wie ist es ausgegangen?«

»Ich habe einen hervorragenden zweiten Platz belegt, während Maria nur vorletzte geworden ist.« sagte Sarah mit übertriebenem Ernst.

Sowohl Betty als auch Maria stutzten etwas, bevor sie laut loslachten.

»Mein Vater hat das immer gesagt, wenn er beim Tennis verloren hat.« Sarah grinste.

Betty hielt den Mädchen immer noch die Handtücher hin. Erst jetzt bemerkte sie ihren Fehler. »Ach entschuldigt bitte, ihr tragt ja noch die Armhalter.« Sie trat hinter sie und öffnete die Verschlüsse. »Ist das nicht gemein, die Arme nicht benutzen zu können?«

Sarah zuckte mit den Schultern. »Ich bin damit aufgewachsen, ich kenne es nicht anders.«

Betty wartete, bis die Mädchen sich aus dem Handschuhen befreit hatten, dann stand sie auf und verbeugte sich übertrieben. »Wenn ich dann zum Kaffee bitten dürfte?«

Maria war froh, dass ihr die Antwort erspart blieb. Sie hätte nicht so unbefangen antworten können, insbesondere seit den Erlebnissen auf der Hütte.

* * *

»Da sind sie ja endlich« Die Oberschwester hatte sie schon auf der Station erwartet.

»Der Kaffee wird gut tun nach den Rennen.« Maria lächelte zu Sarah.

»Es gibt keinen Kaffee« erwiderte die Oberschwester grimmig. »Sie werden im Zahnlabor erwartet zwecks Mundvermessung.«


Im Zahnlabor wurden sie von einem älteren Arzt erwartet, der von einer sehr jungen Dame begleitet wurde. Beide trugen sie die üblichen Arztkittel. Der Arzt stellte sich und die Dame vor. »Das ist Judith, sie lernt bei uns Zahnarzthelferin. Sie erlauben, dass sie bei ihnen üben darf?«

»Ob das der Herzog weiß?« dachte Maria leise bei sich, dann gab sie ihre Einwilligung, wie es zuvor schon Sarah getan hatte.

Der Arzt wandte sich zunächst an seinen Lehrling. »Die Mädchen bekommen den ganz neu entwickelten Mundverschluß, und dafür müssen wir den Mundraum ganz genau ausmessen.«

Judith blätterte hektisch in einer Mappe, bis sie anscheinend gefunden hatte, was sie suchte. Sie schlug die Seite auf, die mit 'Zahnspangen' beschriftet war.

»Sie haben recht, es geht so ähnlich wie bei den Zahnspangen, nur dass sie hier beide Abdrücke gleichzeitig im Mund haben werden, weil wir die Position der Kiefer zueinander auch bestimmen müssen.«

Er ging zu einem Schrank und holte ein Tablett heraus. »Hier ist ein Modell, an dem sie sehen können, was passieren wird.« Er nahm das Modell zur Hand und zeigte den Umgang damit. »Und hier werden die beiden Hälften miteinander verbunden und verriegelt. Man braucht dieses Werkzeug, um den Mund wieder öffnen zu können.«

Er nahm das Gerät in die Hand, welche etwas Ähnlichkeit mit einem Schraubenzieher hatte. »Dieses Werkzeug ist eine Spezialanfertigung. Wir haben im Moment nur dieses eine Exemplar.« Er schien die Sorgen der Mädchen zu spüren. »Es sind schon weitere Exemplare angefordert.«

Maria erinnerte sich daran, dass sie dieses Modell auf der Vorführung am Freitag schon gesehen hatte.

»Und wie lange müssen die Damen das dann tragen?« Judiths Stimme zitterte. »Essen und Trinken geht damit ja nicht mehr.«

»Also erstmal ist noch überhaupt nicht raus, ob es überhaupt zum Einsatz kommt, aber da wir noch zwei Tage Vorlauf brauchen, sollen wir sicherheitshalber schon mal je ein Exemplar anfertigen.«

»Und wer entscheidet so etwas Grausames?« Judith war sichtlich empört.

Der Arzt blickte Maria und Sarah einen Moment an, bevor er antwortete. »Verantworten muss es die Chefin, aber das geht wohl auf Herzog Breganza zurück.« Dass der Herzog in der Klinik weilte, war dem Personal bekannt.

»Können wir dann anfangen?« fragte Sarah etwas ungeduldig.


Schon als Judith die beiden Formen vorbereitete, kam es Maria vor, als hätte sie tausend Schmetterlinge im Bauch. Ohne dass sie Christines Mundverschluß genau kannte, ahnte sie doch, dass für sie jetzt etwas Ähnliches angefertigt wurde. Sie hatte größte Mühe, ihre Erregung zu verbergen. Erst als sie Sarahs trauriges Gesicht sah, erkannte sie, dass dieses Ding für Sarah alles andere als verlockend war.

Als Maria die knetartige Masse im Mund spürte, fühlte sie sich an ihre frühe Jugend erinnert, als damals ein Abdruck für die Spange gemacht wurde, die sie damals tragen musste. Ansonsten war die Prozedur erschreckend harmlos im Vergleich dazu, welche Konsequenzen auf sie warteten, wenn es denn tatsächlich zum Einsatz käme. Doch insgeheim hoffte Maria sogar, dass 'es' passieren würde, weil sie auf der Hütte sehr neugierig geworden war.

Ob sie wohl auch mal für Paul schweigen dürfte?

»Bitte jetzt die Lippen auseinander, ohne den Biss zu lockern.« Judiths Stimme riss Maria aus ihren Gedanken.

Die Azubine brachte an den Formen an einigen Stellen Markierungen an.

»Jetzt bitte den Mund wieder öffnen.« Judith griff zu den Formen und war bemüht, sie vorsichtig wieder herauszuziehen. Doch es ging nicht.

Der Arzt hatte auf einmal einen ganz seltsamen Gesichtsausdruck. »Womit haben sie die Formen gefüllt?«

Judith zeigte auf den Tisch, wo noch die Verpackung der Knete lag.

»Ich habe es befürchtet.« Er wurde auf einmal etwas bleich und griff zum Telefon. »Die Chefin bitte.«

»Es ist in der Hektik etwas schief gegangen«, er war sichtlich nervös, als er kurz über die Vorgänge informierte. »Wir haben die falsche Knete benutzt.«

»Naja, es ist die alte, die zwei Stunden aushärten muss.« Er blickte die beiden Mädchen verlegen an. »Und die Mädchen dürfen dabei ihren Kiefer nicht bewegen.«

»Nein, herausnehmen lässt es sich jetzt auch nicht mehr.« Erst wenn es ausgehärtet ist, und das wird eben so zwei Stunden dauern.«

»Naja, früher haben wir den Patienten Schnürhauben angelegt, damit der Kiefer ruhiggestellt bleibt.«

»Ja, okay, dann machen wir dies jetzt auch.« Er legte auf. »Judith, achten sie darauf, dass die Patientinnen ihren Kiefer nicht bewegen, das ist ganz wichtig.«

»Ja, mache ich.« Sie war noch sehr verwirrt, denn ihr Chef hatte gerade für sie die Schuld übernommen. Sie kannte den Unterschied der Kneten durchaus und hatte die Packungen verwechselt.

Sarah und Maria blickte sich verblüfft an. Sarah seufzte innerlich, denn eigentlich hatte sie schon genug Sorgen, und Maria hatte große Schwierigkeiten, ihre Erregung unter Kontrolle zu halten. Irgendwie ahnte sie, dass sich demnächst ein großer Traum erfüllen würde.


Der Arzt kam zurück und hielt in seiner Hand ein weißes und ein schwarzes Bündel. Er legte sie auf den Tisch. »Ich habe nur noch eine Haube aus Stoff und eine aus Leder. Die Lederhaube kann strenger geschnürt werden, dafür hat sie aber Augenöffnungen. Er legte sie auf den Tisch vor sich und schob sie auseinander.

Wieder blickten sich die Mädchen nur kurz an, dann schaute jede von ihnen auf die Haube, die sie haben wollte. Ohne dass sie lange überlegen mussten, waren sie sich einig. Sarah waren die Augen sehr wichtig, damit sie sehen konnte, ob der Herzog in Sichtweite war, und Maria war es wichtiger, ihre Augen verstecken zu können. Sie hatte zwar schon etwas Übung darin, einen Orgasmus zu verstecken, doch mit ihren Augen hätte sie sich bisher noch jedes Mal verraten. Und dass ihre Augen in der Haube versteckt wären, war ihr mehr als recht.


»So, das war es.« Judith hatte auch die zweite Haube angelegt und genauso fest gezogen wie die erste. Es war jetzt beiden Mädchen nicht mehr möglich, den Kiefer zu bewegen. »Danke noch mal Chef, dass sie nichts gesagt haben.« Sie blickte zum Arzt.

»Was soll ich gesagt haben?« Er war etwas erbost. »Ich habe ihnen die falsche Knete gegeben und so habe ich das auch der Chefin gesagt..« Er blickte sie eindringlich an.

* * *

Leonie war etwas verlegen. So verlockend die Aussicht auch war, mit Paul ein paar fesselnde Abenteuer zu erleben, wollte sie doch ihren Platz unterhalb von Maria einnehmen und nicht an ihrer Stelle. »Auf der Hütte hat es mir echt toll gefallen, besonders wenn ihr euch um mich gekümmert habt.« Sie versuchte eine Brücke zu bauen, auch wenn sie sich lieber Maria untergeordnet hätte.

»Ich glaube, Maria würde es erlauben.« Paul war etwas nachdenklich. Er wusste noch nicht so recht, was er mit der aufdringlichen Leonie anfangen sollte.

»Was würde Maria erlauben?« Seine Oma Selma war vom Einkaufen zurück und blickte kurz ins Wohnzimmer, bevor sie ihre Taschen in die Küche brachte. Als sie zurückkehrte, war Leonie aufgestanden.

»Ich bin Leonie Wolkenberg.« Sie reichte Selma die Hand. »Ich habe Paul und Maria auf der Hütte von Sebastian kennengelernt.«

»Selma Mohr.« Pauls Oma erwiderte den Gruß. »Und jetzt möchtest du deinen Schlüssel abholen?«

Leonie war verblüfft. »Ja.« Sie blickte kurz zu Boden. »Und ich hatte gehofft, hier etwas trainieren zu können.«

»Was möchtest du denn trainieren?« Selma war von dem recht aufdringlichen Mädchen fasziniert, die anscheinend recht zielstrebig ihrem Wunsch nach Fesselungen nachging. Paul hatte ihr von Leonies Auftauchen auf der Hütte berichtet.

»Margarete hat mir einen Trainingsplan erstellt.« Sie kramte kurz in ihrer Tasche und nahm ein etwas zerknittertes Blatt Papier heraus. »Diesen hier.« Sie reichte ihn Selma.

Selma nahm den Plan entgegen und studierte ihn kurz. »Ein Lob für eure Ärztin. Der Plan ist wirklich gut ausgearbeitet.« Sie blickte Leonie wieder ins Gesicht. »Und du möchtest, dass wir dir zu einem Orgasmus verhelfen.«

Leonie war für einen Moment sprachlos. Mit einer solchen Direktheit hatte sie nicht gerechnet. Beschämt quälte sie sich ein »Ja« heraus.

Paul fiel auf, dass seine Oma von 'wir' gesprochen hatte. Sie wollte ihn also mit einbeziehen. Er kannte seine Oma gut und sah, dass sie etwas Bestimmtes vor hatte.

Selma blickte noch einmal auf den Trainingsplan. »Und du möchtest dabei gefesselt sein.«

Leonie senkte den Kopf. Natürlich war dies ihr innigster Wunsch, aber die Art und Weise, wie Selma sie damit konfrontierte, machte sie verlegen. Wieder konnte sie nur ein »Ja« flüstern.

Selma war fasziniert, gab sich aber große Mühe, dies nicht zu zeigen. Mit Leonie könnte sie seit langer Zeit einmal wieder ein Mädchen in Gefangenschaft halten. In ihr begann ein Plan zu reifen.

»Ich bin bereit, dich auszubilden, aber dazu erwarte ich strikten Gehorsam.« Selmas Stimme war auf einmal recht streng. So streng, dass Paul erstaunt aufblickte.

»Ja, Frau Mohr, ich werde gehorchen.« Leonie war von der plötzlichen Autorität fast geblendet.

* * *

»Betty, bringen sie die Patientinnen zur Elektro-Massage.« Die Stimme der Oberschwester war deutlich zu hören.

Maria war nervös. Jetzt würde auch noch eine Massage dazukommen. Sie war durch den Knebel im Mund schon sehr erregt. Gewiss, es war nur ein Unfall im Zahnlabor, und es war auch kein echter Knebel, doch auf Maria hatte es die gleiche Wirkung. Sie hatte sich auch in der Klinik schon oft den Monohandschuh anlegen lassen, auch mit Korsett und Ballettstiefeln, trotzdem war es jetzt etwas Neues, sehr Erregendes. Da war ihr Mundverschluß, die strenge Haube und das verlorene Augenlicht.

Obwohl ihre Haube angeblich nur aus Stoff war, war sie doch so streng, dass Maria sie um ihren ganzen Kopf spürte. Wenn sie jetzt jemand berühren würde, dann würde sie explodieren, da war sie sich sicher.


Sie war geradezu erleichtert, als sie hörte, wie zunächst Sarah festgeschnallt wurde. Anscheinend gab die Oberschwester Anweisungen und Betty hatte sie auszuführen. Sarah wurde mit Riemen festgeschnallt, so vermutete Maria.

Gleich darauf wurde ihr das Klinik-Nachthemd abgenommen, welches unterhalb ihrer Arme nur von kurzen Bändeln zusammengehalten wurde, so dass es trotz ihres angelegten Monohandschuhs ausgezogen werden konnte. Nachdem sie auf ein Trittbrett geführt und leicht vorgebeugt an eine leicht geneigte gepolsterte aufrechte Fläche angelehnt wurde, spürte sie, wie sich die Riemen um ihren Körper legten, und nur die nervige Stimme der Oberschwester hielt sie noch davon ab, sich ihren Gefühlen hinzugeben.

»Hier dieser Riemen ist noch locker« hörte sie die Stimme der Oberschwester, »den ziehen sie bitte noch fest.«

Maria merkte, wie an den Riemen gewackelt wurde. Dann spürte sie, wie mehrere Klebepads an und um ihre Schultern angebracht wurden, von denen Kabel abgingen, die sie streiften. Ein unangenehmer Moment war, als die Oberschwester ihre in den Handschuh geschnürten Arme anhob, um Betty Gelegenheit zu geben, weitere Klebepads auf ihrem Rücken unter ihren Schulterflügeln anzubringen. Doch Betty arbeitet schnell, und ihre Arme wurden bald wieder herabgelassen. »Schalten sie dann die Maschine ein und kommen sie ins Schwesternzimmer.«


Maria hielt den Atem an, als sie die Tür ins Schloss fallen hörte. Ihr ganzer Körper spannte sich an und sie hoffte insgeheim, dass die Riemen sie festhalten würden.

Es dauerte keine zwei Sekunden nach Einschalten der Maschine, in denen Maria die ersten Reiz- und Kribbelströme auf ihrem Rücken spürte, dass sie in einem gewaltigen Orgasmus kam. Sie schrie laut in den Knebel und zerrte wie wild an den Riemen.

Erst sie Bettys Stimme hörte, beruhigte sich Maria wieder. »Es tut mir leid, wenn es weh tut, aber ich darf die Einstellungen nicht ändern.« Wie durch einen Nebel spürte Maria, wie eine Hand über ihren Körper strich. »So schlimm ist es doch gar nicht.« hörte sie ihre Stimme.


Maria kam erst wieder kurz zu sich, als sie spürte, wie die Riemen langsam gelöst wurden. Bis dahin war sie in einer Traumwelt, in der sie von tausend Händen berührt wurde und in der sie sich ihrer Umgebung komplett hingeben konnte. Sie liebte es, sich gegen ihre Fesseln mit all ihrer Kraft zu wehren, wenn sie wusste, dass die Fesseln sie mit mehr Kraft festhielten, als sie aufbringen konnte. Dazu kam das Wissen, ihrer Stimme beraubt zu sein. Sie bedauerte es sehr, dass ihr ihre Stimme bald wieder gehören würde.

Fast die ganze Massage war ein einziger langer Orgasmus. Als der Riemen um ihren Bauch gelöst wurde, sank sie einfach in sich zusammen.


»War die Massage zu schlimm?« Betty kniete vor ihr und blickte sie sorgenvoll an.

Maria schüttelte den Kopf. »Nein, das hatte anderen Gründe.« Sie wurde etwas rot dabei.

Auf einmal grinste Betty etwas verschlagen. »ich hatte dich ja schon länger in Verdacht.«

Maria legte ihren Finger auf den Mund. »Bitte nichts verraten.« Erst jetzt realisierte sie ihren Zustand und bemerkte, dass sie die Haube, die Mundformen und ihren Handschuh nicht mehr trug und stattdessen in einem Klinik-Rollstuhl saß, vor dem Betty nun kniete. »Wo bin ich?«

»Wir sind auf dem Rückweg vom Zahnarzt.« Betty beschrieb ihr, dass sie nach der Massage einfach zusammengebrochen war. »Wir hatten erst etwas Schlimmeres vermutet, doch die Notärztin hat mir dann verraten, was mit dir los war.« Sie streichelte Maria über den Kopf. »Die Oberschwester weiß davon nichts.«

Erst jetzt realisierte Maria, dass sie wieder über ihre Stimme verfügte. »Wo ist Sarah?«

»Sie wartet im Zimmer auf dich.« Betty grinste. »Ich glaube, sie hat die Massage auch 'genossen'.«


Maria musste lächeln, als sie in ihr Zimmer kam. Auf dem Tisch stand noch der Kuchen und der mittlerweile kalte Kaffee. »Muss ich das noch essen?« fragte sie Betty, als sie aus dem Rollstuhl aufgestanden war.

»Nein, das räume ich weg.« Sie stellte das Tablett auf die Sitzfläche des Stuhls. »Gleich gibt es Abendessen.«

»Da bist du ja endlich.« Sarah kroch aus dem Bett. »Wie geht es dir? Wir haben uns Sorgen gemacht.«

Maria und Betty blickten sich kurz an. Maria bemerkte dabei Bettys fragenden Blick, und als sie nickte, grinste Betty zu Sarah. »Sie ist auch geflogen.« Sie zögerte einen Moment. »Sogar noch heftiger als du.«

Sarah blickte Maria verwundert an. »Du auch?«

Maria blickte beschämt zu Boden. Ihr 'Ja' war sehr leise.

»Na dann willkommen im Club.« Bei Sarah war die Befangenheit gewichen. »Ich komme bei fast jeder Behandlung.«

»Und Betty weiß das?« fragte Maria sehr vorsichtig.

»Sie ist meine Komplizin.« Sarah warf einen intensiven Blick zu Betty. »Und ich glaube, sie hat auch Spaß daran, mich so zu quälen.«

»Wieso?« Betty grinste breit. »Das haben doch alles die Ärzte angeordnet.« Dann fiel ihr Blick auf die Uhr. »Der Dienst ruft.« seufzte sie. »Ich muss zum Essen austeilen, sonst holt sie mich wieder.« Es war allen klar, dass die Oberschwester gemeint war.

Maria war sehr erleichtert, dass sie von Sarahs Verbindung zu Betty erfahren hatte. Vielleicht konnte ihr Betty auch dabei helfen, den Zugang zu Sarah zu finden.

* * *

Selma blickte ihren Enkel verschwörerisch an. »Paul, kannst du kurz zu Marias Haus gehen und den Schlüssel holen?«

Paul machte sie sofort auf den Weg. Er war sehr gespannt, was seine Oma mit Leonie vor hatte.

»Du wirst bei uns schlafen.« Selma ging zur Tür. »Kommst du bitte mit?«

Leonie ging es fast etwas zu schnell, doch sie musste sich eingestehen, dass sie auch sehr naiv in dieses Abenteuer gestartet war. Über so etwas wie ein Hotelzimmer hatte sie natürlich nicht nachgedacht. Sie stand auf und ging Pauls Oma hinterher.

»Wir haben hier im Haus so etwas wie eine zweite Wohnung. Hier kannst du bleiben und trainieren.« Selma erklärte dies, während sie die Treppe hinauf stieg.

Leonie ging verwundert, aber gehorsam hinterher.

»Dies ist unser Gästezimmer.« Selma öffnete die Tür und trat ein. Hinter ihr betrat Leonie das Zimmer und bemerkte ein Bett, ein Nachtschränkchen sowie einen Tisch mit zwei Stühlen und einen großen Schrank.

Selma ging zum Schrank und öffnete ihn. Sie nahm einen Stapel heraus und reichte ihn Leonie. »Du kannst schon mal das Bett beziehen.« Sie drehte sich zur Tür. »Ich muss noch etwas holen.« Sie verließ das Zimmer.

Leonie war zunächst erleichtert, dass ihr Zimmer-Problem so einfach gelöst war. Doch während sie das Laken aufzog, fiel ihr auf einmal auf, dass an dem Bett an allen vier Ecken Metallösen angebracht waren. Sie begann zu zittern, denn sie wusste, was mit diesen Ösen gemacht werden konnte. Beim Bett ihrer Schwester gab es diese Ösen ebenfalls, und sie war sich sicher, dass sie für Fesselungen gedacht waren. Ob Leonie dieses Ösen wohl auch einmal würde benutzen dürfen? Sie begann etwas zu zittern, während sie den Bettbezug aufzog.


»Ein Nachthemd oder einen Pyjama hast du vermutlich nicht eingepackt.« Selma betrat wieder den Raum.

Doch als Leonie sah, was Selma mitgebracht hatte, erstarrte sie. Die Halbkugeln aus Metall ließen keinen Zweifel daran, das es ein Keuschheits-BH war.

»Zieh dich aus.« sagte Selma eher beiläufig. Sie legte die mitgebrachten Sachen auf den Tisch.

Leonie erkannte jetzt auch die vier Ledermanschetten und begann zu erkennen, was wohl als nächstes mit ihr passieren würde. Doch sie zögerte.

Selma lächelte in sich hinein. Jetzt könnte sie den ersten Schuß abgeben. »Ich habe von dir Gehorsam verlangt. Wenn du dem nicht nachkommst, kannst du jederzeit wieder gehen.«

Leonie erschrak. »Nein, bitte schicken sie mich nicht weg. Ich will gehorchen.«

»Dann ziehe dich jetzt aus.« Selma blickte auf das Bett. »Ich kümmere mich noch um das Kopfkissen.«

Leonie war etwas irritiert, denn sie hatte angenommen, sie hätte das Kopfkissen noch beziehen müssen.

»Nun?«

»Ich bitte um Entschuldigung, es kommt alles etwas überraschend.« Leonie begann sich auszuziehen.

»Wir müssen dieses Ding noch auf deine Größe einstellen.« Sie griff sich den Metall-BH und hantierte daran herum.

Leonie hätte gern angemerkt, dass sie doch eigentlich von ihrem Keuschheitsgürtel befreit werden wollte, doch sie war schon zu sehr eingeschüchtert. Gehorsam streifte sie ein Kleidungsstück nach dem anderen ab, bis sie schließlich bis auf den Keuschheitsgürtel nackt im Zimmer stand.

»Du darfst gern mit anfassen.« Selma gab sich ernst, als sie Leonie den BH umlegte und auf ihre Größe einstellte.

Die Haustür war zu hören. »Wir sind oben im Gästezimmer.« Selma rief es aus der Tür. »Kommst du bitte herauf?«

Paul ging langsam die Treppe hoch, nachdem er die Haustür hinter sich geschlossen hatte.

Leonie wollte Paul nicht nackt gegenüber treten, und so half sie mit, sich den Keuschheits-BH anzulegen. Als Paul ins Zimmer trat, war Leonie gerade dabei, das Schloss zwischen ihren Brüsten anzubringen.

»Hier ist der Schlüssel.« sagte Paul und legte ihn auf den Tisch. Sein Blick fiel auf die Ledermanschetten, die seine Oma auf den Tisch gelegt hatte. Es gab ihm einen kleinen Stich, denn es waren die Manschetten, mit denen er auch Maria ans Bett gefesselt hatte.

Selma hatte die Bettdecke über das Fußteil gelegt und bat Leonie, sich auf das Bett zu legen.

Normalerweise hätte Leonie protestiert, weil sie so früh nie ins Bett ginge, doch Selmas autoritäre Ausstrahlung bewirkte, dass sie der Bitte widerspruchslos nachkam.

Selma griff sich zwei der Manschetten vom Tisch und reichte Paul wortlos eine davon, dann ging sie zum Bett und blickte Leonie streng an.

Leonie schluckte, dann streckte sie ihre Arme nach oben in Richtung der Ösen, die sie dort schon entdeckt hatte. Sie hatte zwar gehofft, sie einmal ausprobieren zu können, doch jetzt ging es ihr eher zu schnell. Kaum hatte sie ihre Arme in die erforderliche Position gebracht, als sie auch schon das Leder um ihre Handgelenke spürte.

Ihre Beine spreizte Leonie ohne weiteren Befehl, es war ihr einfach klar, was von ihr erwartet wurde. Sie begann leise zu keuchen. Ihre Ankunft in Landsbach hatte sie sich weniger spektakulär vorgestellt.

Auf einmal spürte sie ein gleichzeitiges Ziehen an Händen und Füßen; und ganz plötzlich schoss der Orgasmus durch ihren Körper. Sie zerrte wie wild an ihren Fesseln, doch die Lederriemen hielten sie verlässlich fest. Dann wurde es schwarz vor ihren Augen.


»Nur eine kurze Ohnmacht.« Selma blickte etwas besorgt auf Leonie.

Leonie blickte sich um. Sie war immer noch in dem Gästezimmer auf das Bett gefesselt, doch sofort spürte sie, dass sie ihren Keuschheitsgürtel nicht mehr trug. Auf einmal spürte sie Hände an ihrer intimsten Stelle und sie blickte sich erstaunt um. Paul war nicht im Raum, also war es Selma, die sie dort anfasste. Der Duft von Penaten lag in der Luft, und auf einmal erkannte Leonie, was Selma gerade machte. Sie cremte sie ein.

»Wenn man den Gürtel so lange trägt, bilden sich manchmal Druckstellen. Ich creme sie ein.« Selma wollte Leonie ein paar Erklärungen geben, was in ihrer Ohnmacht passiert war. »Paul holt noch etwas Babypuder.«

Leonie blickte Selma verwundert an, doch sie wagte es nicht, eine Frage zu stellen.

»Du wirst die nächsten Wochen weiter den Gürtel tragen, wenn ich dich ausbilde.« Selma hatte die ernste Miene aufgesetzt. »Bist du einverstanden?«

Obwohl Leonie sich so sehr danach gesehnt hatte, den Gürtel endlich loszuwerden, nickte sie vorsichtig. Die Gefahr, von Selma weggeschickt zu werden war größer als die Beschwernisse, den Gürtel noch einige Zeit tragen zu müssen. Tief in ihrem Inneren regten sich Gefühle, von denen sie nicht gar wusste, dass sie solche überhaupt hatte.

* * *

Sarah und Maria waren sich einig, dass sie nach dem anstrengenden Tag sofort ins Bett wollten. Doch statt der Oberschwester kam Marias Mutter zusammen mit Betty herein, um sie beim Zubettgehen zu begleiten. »Die Oberschwester habe ich in den Keller geschickt.« Sie grinste. »Sie muss nicht mitbekommen, was ich mit euch zu besprechen habe.«

Frederike ging auf ihre Tochter zu. »Die Notärztin hat mir von deinem Vorfall berichtet.« Sie blickte ihre Tochter mit einer gewissen Anspannung an.

Maria blickte schuldbewusst zurück. »Ich ... Ich..« Sie stotterte etwas.

Frederike gab sich alle Mühe, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. »Ein Orgasmus kann durchaus als Schmerzmittel eingesetzt werden, denn die dabei produzierten Endorphine sind ein körpereigenes Schmerzmittel. Damit lassen sich viele Behandlungen leichter ertragen. Das ist therapeutisch sogar sehr sinnvoll.«

Maria war sich nicht sicher, ob sie ihre Mutter richtig verstanden hatte.

»Du meinst, wir dürfen...« Sie stockte ein wenig. »Wir müssen?«

Frederike war über die Reaktion ihrer Tochter erleichtert. »Ich bespreche das noch mal mit Betty.« Doch dann fiel ein Schatten über ihr Gesicht. »Ihr dürft euch nur nicht von der Oberschwester erwischen lassen.« Sie seufzte. »Ich habe mehrmals versucht, ihr diese Therapie zu erklären, doch sie will es einfach nicht hören.«

Sie ging zu Betty »Ich habe Vertrauen zu dir.« Sie streichelte sie über das Gesicht. »Ihr könnt euch ihr vollkommen anvertrauen.« Sie lächelte. »Ich weiß, dass du etwas sadistisch veranlagt bist. Aber du verstehst es gut, Dienst und Privatleben zu trennen. Ich habe Vertrauen zu dir.«

Sie blickte zu Sarah. »Ausserdem haben wir einen gemeinsamen Feind, dass verbündet auch.« Sie ließ es aber offen, ob sie auf den Herzog, den Investor oder beide anspielte.

Dienstag, 31. August 1984

Wie auch die Male zuvor wachte Maria am zweiten Behandlungstag mit heftigem Muskelkater auf. Natürlich wusste sie, dass sie es positiv zu nehmen sollte, doch da sie bei jeder noch so kleinen Bewegung daran erinnert wurde, tat sie sich mit den guten Ratschlägen der Schwestern und ihrer Mutter sehr schwer.

»Was haben wir gestern bloß gemacht?« Sarah streckte sich, nachdem Betty sie befreit hatte.

Insgeheim ärgerte sich Maria. Sie wachte jetzt schon zum dritten Mal im Segufix auf und wieder konnte sie es nicht so genießen, wie sie sich das eigentlich vorgestellt hatte. Dies schien sich zu einem Running Gag zu entwickeln.

Ihr Blick fiel auf den Plan, der neben der Tür hing und bei dem die handschriftliche Änderung sie sofort an den wichtigen Termin heute erinnerte.

Sarah hatte ihr gesagt, was sie vorhatte, und Maria hatte ihr versprochen, sie dabei zu unterstützen. Dass sie dabei nicht unbedingt im Interesse ihrer Mutter handelte, war ihr bewusst, doch sie war bereit, für die Ängste der Prinzessin ihre eigenen Interessen zurückzustellen.

Seufzend schwang sie sich aus dem Bett, um sich dem morgendlichen Klinikgeschehen zu stellen.

* * *

»Frühstück.« Betty strahlte, als sie die Zimmertür öffnete und die beiden Tabletts herein trug.

»Warum hast du so gute Laune?« Sarah wunderte sich. »Ist die Oberschwester krank?«

»Schön wäre es.« Sie grinste. »Aber der Herzog hat veranlasst, dass ich nur noch euch zwei betreuen muss.« Sie stellte Maria das Tablett auf den Tisch und wartete, bis Sarah sich gesetzt hatte. Dann schloss sie ihren Beutel an.

Doch dann seufzte sie. »Die Oberschwester verlangt, dass ich über jeden Handgriff Buch führe. Sie ist mit der Anweisung vom Herzog so gar nicht einverstanden.«

Sarah lächelte.

* * *

»Der Chef meinte, ihr wollt mir vielleicht noch ein paar Fragen stellen?« Die Schwester, die die Katheter-Strumpfhose vorgeführt hatte, betrat das Zimmer »Er kommt dann etwas später vorbei und bringt eure Exemplare mit.«

Maria war etwas erstaunt. »Wir müssen doch dann rudern.«

»Aber doch keine drei Stunden.« Die Schwester war verwundert. »Obwohl, er hat gesagt, dass wir für das Anziehen nur wenig Zeit haben.« Sie strahlte. »Freut ihr euch schon?«

»Worauf sollen wir uns freuen?« Maria war etwas verärgert. »Aufs Rudern oder dass uns jemand am Unterleib herumfummelt?«

»Entschuldigt bitte, das war ungeschickt von mir.« Die Schwester entschuldigte sich. »Also, was wollt ihr wissen?«

Maria war zwar erleichtert, dass ihr dieses Mal die wenig geliebten Windeln erspart blieben, doch begeistert war sie nicht. »Sie werden das schon richtig machen.«

Sarah wollte auch nichts weiter wissen, sie war viel zu sehr mit der anstehenden Prüfung beschäftigt.

»Kommt dann bitte in den Aufenthaltsraum.« Die Schwester ging zur Tür und öffnete sie. »Ich soll euch mitbringen, wenn ihr keine Fragen mehr habt.«


Im Aufenthaltsraum war schon viel los. Die Oberschwester beaufsichtigte Betty, die einen gynäkologischen Stuhl aufbaute. Eine weitere Schwester half dem Urologen, seine Tasche auszupacken und die benötigten Dinge bereit zu legen.

Maria wunderte sich über den großen Auflauf, doch sie wagte es nicht, sich zu äußern.

»Was glauben sie denn?« Die Oberschwester schien ihre Verwunderung trotzdem bemerkt zu haben. »Wir müssen ihnen den Keuschheitsgürtel abnehmen, und dafür gibt es einige Vorschriften.« Sie drehte sich zu Betty. »Sind sie fertig?«

Betty keuchte etwas. »Nur noch diese Schraube festziehen.« Ihre Bewegungen wurden schneller.

»Sarah, sie fangen an.« Die Oberschwester machte eine einladende Handbewegung in Richtung des Stuhls.

Die Oberschwester wartete, bis Sarah auf dem Stuhl Platz genommen hatte, dann drehte sie sich wieder zu Betty. »Wir haben hier eine Anwendung der Stufe zwei, was bedeutet das?«

»Die Arme und Beine der Patientin müssen vor Beginn der Behandlung fixiert werden.« Sie zitierte anscheinend aus einem Lehrbuch oder einer Vorschrift. »Und die Augen werden verschlossen.«

Maria bemerkte, dass Betty bemüht war, ihr Gesicht zu verstecken. Doch Maria genügte ein kurzer Blick um zu erkennen, wie erregt Betty in diesem Moment war.


Was mit ihr selbst passierte, dass bekam Maria so gut wie gar nicht mit. Betty hatte sie genauso wie Sarah festgeschnallt und ihr die Augenbinde über die Augen gezogen. Der Arzt hatte ihr noch mit leiser Stimme erklärt, dass er ein Kältespray einsetzen würde, und dass sie dann gar nichts spüren würde.

Das erste, was sie bewusst spürte, war das Anziehen der Strumpfhose.

»Beeilen sie sich bitte.« Die Oberschwester befahl Betty, Maria wieder loszuschnallen. »Die Mädchen müssen dann zum Rudern.«

Maria seufzte. Insgeheim hatte sie gehofft, dass es ihr vielleicht erspart bleiben würde, doch genauso wusste sie, dass die Hoffnung vergeblich sein würde.

Sie blickte an sich herunter und war fast ein wenig enttäuscht. Es sah sehr unauffällig aus. Ihre Beine waren jetzt eine Winzigkeit dicker, und der Keuschheitsgürtel war über der Strumpfhose angelegt. Immerhin zeigten ihre Beine jetzt dieses Glänzen, das sie schon bei den Faschingsgarden immer bewundert hatte.

* * *

Während der zweiten Pause kam Betty vorbei. »Ihr sollt mitkommen.«

»Was ist denn nun schon wieder?« Maria versuchte Ärger vorzutäuschen. In Wirklichkeit war ihr alles recht, wenn das Rudern damit verkürzt würde.

»Die Firma Stonemiller ist da wegen der Exoskelette.« Betty schien nicht zu wissen, um was es ging. »Sie wünschen ein Maßnehmen.«

»Oh nein, er hat das wirklich ernst genommen.« Sarah keuchte heftig.


»Was ist denn ein Exoskelett?« Maria fragte Sarah, als sie auf dem Weg in die Eingangshalle waren. Sie hatte den Begriff noch nie gehört.

»Es war auf einem der letzten Familienfesten, zu vorgerückter Stunde.« Sarah seufzte. »Ich hatte schon etwas getrunken.«

»Was ist passiert?« Maria ahnte, dass etwas Unheilvolles kommen würde.

»Wir Jugendlichen waren eigentlich unter uns.« Sarah seufzte noch einmal. »Wir haben von unseren geheimen Träumen berichtet und überlegt, wie man sie verwirklichen könnte.«

»Und dein Wunsch war was?« Maria hatte noch keine Idee, was kommen würde.

»Ich habe gesagt, dass ich gern eine Puppe wäre.« Es fiel Sarah nicht leicht, über das Thema zu sprechen. »So wie Barbie.«

»Wer hat nicht davon geträumt?« Maria verstand noch nicht, worauf Sarah hinaus wollte.

»Der damalige Verlobte meine Schwester hat gesagt, er hätte da Kontakte zu einer Firma, die sich mit Raumfahrt befasst.« Sarah blieb stehen und drehte sich zu Maria. »Mit einem Exoskelett können alle Gelenke kontrolliert und versteift werden. Es ist wie eine Ritterrüstung.«

»Ja und?« Maria begriff noch nicht die Zusammenhänge.

»Irgendwie hat er von meinem Wunsch erfahren und hat für mich so ein Modell bestellt.« Sarah hatte Entsetzen in der Stimme. »Jetzt kommen sie zum Maßnehmen.«

Betty hatte bisher geschwiegen, jetzt drehte sie sich um und grinste. »Ich freue mich schon.« Sie drehte sich weiter zu Maria. »Für dich ist auch eines bestellt.«


Das Maßnehmen verlief vollkommen unspektakulär. Vier Frauen waren von der Firma gekommen, und sie waren die ganze Zeit nur damit beschäftigt, Marias und Sarahs Körper zu vermessen.

»Was machen sie da?« Frederike kam in die Eingangshalle.

»Wir haben eine Bestellung bekommen und sind zum Maßnehmen hier.« Eine der Frauen reichte Marias Mutter eine Mappe. »Hier sind auch noch ein paar Prospekte.« Sie legte die Handzettel auf den kleinen Tisch an der Wand.

Frederike blätterte die Mappe durch. Maria blickte ab und zu zu ihrer Mutter und bemerkte, wie sich deren Miene wandelte. Zunächst war es noch Ablehnung und Widerwillen, doch gegen Ende der Mappe erkannte Maria so etwas wie Faszination. »Wann wird das fertig sein?«

Die Frau, die so etwas wie die Leiterin zu sein schien, antwortete. »Wir brauchen eine Woche für die Fertigung und dann noch mal zwei Tage für das Finetuning.«

»Faszinierend.« Frederike gab die Mappe zurück. »Warum erfahre ich erst jetzt, dass es so etwas gibt?«

»Mama?« Maria war entsetzt. Doch zu ihrem Erstaunen strich Frederike ihrer Tochter nur über den Kopf. »Du wirst das schon schaffen.« Sie blickte auf die Uhr. »Wenn ihr hier fertig seid, dann geht am besten gleich zum Mittagessen. Schwester Sandy wird euch dann ab zur 'Prüfung' abholen.«

Sarah ergriff Marias Hand und drückte sie.

»Du denkst daran, was du mir versprochen hast?« Sarah flüsterte, als Frederike außer Hörweite war.

»Ja klar.« Maria spürte die Ängste der Prinzessin sehr deutlich. »Habe ich doch gesagt.«

* * *

Leonie hatte ihrer Schwester nur erzählt, dass sie wieder ein Abenteuer vor sich hatte, aber was sie genau machen wollte, hatte sie nicht gesagt. Jetzt hatte sie sich in den Flur im Erdgeschoss zum Telefon geschlichen und Christine angerufen. »Ich bin in Landsbach bei Paul.«

»Das hätte ich mir ja fast denken können.« Christine musste lachen, als sie das hörte. »Pass auf dich auf.«

»Klar.« Leonie verdrehte kurz die Augen. »Stell dir vor, Maria ist in Amerika und ich bin mit ihm allein. Jetzt werde ich ihn um den Finger wickeln. Ich freue mich schon auf die strengen Fesselungen.«


Selma legte das Geschirrhandtuch weg, ging langsam zu der Küchentür und blieb davor stehen. Sie wollte erst hören, was dieses Mädchen zu telefonieren hatte, bevor sie sie dabei ertappen würde.


»Ich habe Margaretes Ausbildungsplan dabei. Sie hat mir versprochen, mich auszubilden.« Leonie vergaß vor lauter Begeisterung, dass sie eigentlich leise telefonieren wollte.

»Wer? Maria?« fragte Christine etwas verwundert.

»Nein, die Oma vom Paul.« Sie berichtete, was sich gestern schon im Gästezimmer ereignet hatte.


Selma war der Meinung, genug gehört zu haben. Wenn sich dieses Mädchen strenge Fesselungen wünschte, dann würde sie diese auch bekommen. Selma lächelte, als sie an den alten Spruch dachte. »Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünscht, es könnte wahr werden.« Sie öffnete die Küchentür und trat geräuschvoll in den Flur. Sie blickte Leonie streng an.

»Ich muss Schluss machen«, sagte Leonie hastig, als sie Selma entdeckte, dann legte sie auf und blickte Selma verlegen an.

»Hast du gefragt, ob du telefonieren darfst?« Selma wusste, das es ein wichtiger Moment für das zukünftige Zusammenleben sein würde.

»Nein.« Leonie war verlegen.

»Hatte ich dir das Telefonieren erlaubt?« fragte Selma im gleichen Tonfall.

»Nein.« Leonie war sehr eingeschüchtert.

»Bitte gehe jetzt auf dein Zimmer und denke dir eine Strafe für dich aus.« Selma drehte sich um und ging wieder in die Küche.

Leonie war bis ins Mark getroffen. Sie war jetzt nicht einmal einen Tag bei Frau Mohr und hatte sich schon die erste Strafe eingehandelt. Zudem noch eine Strafe, die sie sich selbst aussuchen musste. Langsam ging sie die Treppe hoch, während sie darüber grübelte, was sie Pauls Oma als Strafe anbieten konnte.

* * *

Es ärgerte Frederike, dass sie bei der sogenannten Prüfung nicht dabei sein durfte, doch der Herzog hatte stets darauf bestanden, dass nur er und eine Schwester anwesend waren. So blieb ihr wie die Male zuvor nur, es abzuwarten und auf die Ergebnisse zu warten, die die Schwester vorbei bringen würde.

Schwester Betty betrat das Büro und reichte Frederike zwei Zettel. »Dies sind die Prüfungsergebnisse.« Vor dem letzten Wort hatte sie eine deutliche Pause gemacht. Obwohl sie keine Miene verzog, war doch deutlich zu hören, was sie von dieser Art von Prüfung hielt.

Frederike sah sich die ca. 20 Werte an, erst bei Sarah, und dann die von ihrer Tochter. Doch dann stutzte sie. »Das kann doch nicht sein.« Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und ließ den Blick immer wieder zwischen den Listen hin und her wandern. Sowohl Maria als auch Sarah zeigten beide sehr schlechte Werte.

Sie hatte noch nie etwas von den Kriterien gehalten, die sich der Herzog ausgedacht hatte, doch sie hatte es bisher auch nie gewagt, ihn darauf anzusprechen. Der Abstand der Finger bis zum ersten Halswirbel sagte ebenso wenig etwas aus wie der Abstand der Ellenbogen. Aber der Herzog glaubte, damit den so dringend erwarteten Fortschritt messen zu können. »Wer hat gemessen?«

Betty war etwas verlegen. »Schwester Sandy.« Sie blickte zu Boden. »Der Herzog war mehr als sauer, besonders von Marias Werten. Er fragt sich, ob dies wirklich die richtige Klinik sei.«

Auch die Werte von den Kraftmessungen waren schlecht, nur die Werte, die die Ausdauer maßen, waren in Ordnung und wie immer.

»Wo sind die Mädchen jetzt?« Frederike wollte ihre Tochter zur Rede stellen. Sie hatte einen Verdacht, dem sie unbedingt nachgehen wollte.

»Ich habe sie vorhin beim Zahnarzt abgeliefert.« Betty war sichtlich verunsichert. »Er möchte noch mal ein paar Sachen nachmessen.«

»Ach ja«, Frederike erinnerte sich an das, was abgesprochen war. »Ich muss unbedingt mit meiner Tochter reden.«

Bei dem Gedanken an den Mundverschluß erschauderte sie. Diesen Gegenstand wollte sie ihrer Tochter eigentlich sehr gern ersparen, denn sie hielt ihn für zu grausam. Doch jetzt sah sie keine Möglichkeit mehr, es abzuwenden.

Es klopfte. Nach ihrem 'Herein' betrat der Herzog den Raum. Seine Miene verhieß nichts Gutes. »Bitte setzen sie die erste Verschärfung in Kraft.«

Frederike seufzte innerlich. Sie hatte sehr gehofft, es müsse nicht dazu kommen, doch jetzt sah sie keine Handhabe mehr, um es noch zu verhindern. »Die Mädchen sind jetzt schon wieder bei der Elektro-Massage, es wäre medizinisch nicht klug, das zu unterbrechen.« Sie hoffte, dass sie es eindringlich genug darstellte.

»Hmm... gut, Aber morgen früh will ich alle geplanten Maßnahmen umgesetzt wissen.« Der Herzog drehte sich um und verließ das Büro.

* * *

»Was habt ihr euch bloß dabei gedacht?« Frederike war sichtlich enttäuscht.

Maria war der Bitte ihrer Mutter gefolgt und war nach dem Abendessen zu ihr ins Büro gekommen. Sie ahnte, dass sie eine Dummheit begangen hatte und schob entsprechend ein schlechtes Gewissen vor sich her. Sie schwieg.

»Der Herzog hat die Verschärfung der Maßnahmen gefordert.« Frederike war verärgert. »Außerdem stellt er mein Programm in Frage, weil es bei dir ja auch nicht wirkt.«

Erst jetzt begriff Maria, welchen Schaden sie angerichtet hatte. »Aber ich wollte doch nur Sarah helfen.« Mit leiser Stimme begann sie von Sarahs Ängsten zu erzählen.

* * *

Leonie war nach ihrem Telefonat wie von Selma befohlen in ihr Zimmer gegangen und hatte sich auf das Bett gesetzt. Sie grübelte lange darüber nach, was sie sich als Strafe 'wünschen' sollte. Doch je länger sie darüber nachdachte, desto entspannter wurde sie. Es musste ja nur eine Strafe sein, von der Pauls Oma denken würde, dass es eine Strafe sein würde. Ob sie selbst es als Strafe empfinden würde, konnte sie ja nicht wissen. Doch ihr fiel nichts ein, was sie sich wünschen sollte.

Selbst als sie die Schritte von Selma auf der Treppe hörte, war ihr immer noch nichts eingefallen. Mit etwas Ironie dachte sie daran, dass sie gerade dabei war, sich eine Strafverschärfung einzuhandeln, weil sie sich keine Strafe ausgedacht hatte.

Selma betrat das Zimmer und setzte sich an den Tisch. »Setzt dich bitte zu mir.«

Leonie kam der Bitte nach; beim Hinsetzen fiel ihr auf, dass Selma etwas zu schreiben und Papier mitgebracht hatte.

»Warum bist du wirklich hier?« Selmas Stimme durchschnitt den Raum wie ein Schwert.

Leonie erstarrte. Sie hatte mit allem gerechnet, doch nicht mit dieser Frage. »Ich... Ich...« Sie stotterte etwas.

»Du träumst davon, ein Leben in Fesseln zu führen und hoffst, es hier erleben zu können.« Selma sprach auf einmal sehr nüchtern und ruhig.

Leonie war verblüfft. »Ich träume ständig davon, gefangen zu sein. Mit richtigen Fesseln.« Sie blickte kurz aus dem Fenster. »Ich wollte mich Maria ausliefern und ihre Gefangene sein.«

»Maria ist im Moment nicht da...« Selma blickte kurz in die Unterlagen, die sie mitgebracht hatte. »Und bis zum Katerinenfest wird sie sich nicht um dich kümmern können.«

»Sie hat davon erzählt.« Leonie war erleichtert, weil das Gespräch in eine ganz andere Richtung ging als sie erwartet hatte.

»Wärst du auch bereit, dich mir auszuliefern? Ich entbinde dich für diese Frage von dem Gehorsam, du darfst auch 'Nein' sagen, ohne das ich dich weg schicke.«

Leonie musste schwer schlucken, bevor sie antworten konnte. »Ja, ich bin bereit.«

»Du möchtest meine Gefangene werden und wirst alles tun, was ich von dir verlange?« Selma war gespannt, wie weit sie gehen konnte.

Leonie blickte auf. So langsam schien auch sie die wahre Tragweite dieser Frage zu erkennen. Sie zögerte etwas.

»Jeden Morgen werde ich dich fragen, ob du deine Ausbildung fortsetzen möchtest. Du kannst 'nein' sagen, aber dann musst du uns sofort verlassen.« Selmas Stimme zeigte, dass sie es ernst meinte.

»Ich bin einverstanden.« Leonies Abenteuerlust war größer als ihre Vorsicht.

Selma nahm sich einen der Stifte und schrieb auf zwei Zettel jeweils die Worte »Ich mag« und »Ich mag nicht«, dann reichte sie Leonie die Blätter. »Bitte schreibe mir auf, was du magst und was du nicht magst. Je mehr du schreibst, desto besser kann ich dich ausbilden.« Sie reichte ihr noch einen eng beschriebenen Zettel. »Das sind Stichworte, die du bitte einordnen kannst.«

Leonie warf einen kurzen Blick auf die Liste. Sofort sprangen ihr Begriffe wie 'Monohandschuh', Kopfgeschirr und Ballknebel entgegen, aber auch Wörter wie Arbeiten in Fesseln oder Orgasmus-Verbot. Ein leises Stöhnen entglitt ihrem Mund.

»Und welche Strafe hast du dir ausgedacht?« Selma brachte die Frage bewusst im gleichen Tonfall wie alle Fragen zuvor.

Leonie zuckte zusammen. »Mir ist nichts eingefallen.« Sie senkte ihren Kopf.

»Was hältst du davon, wenn du heute Abend für uns drei den Tisch deckst und Paul und mich bedienst?« Selma legte einen kleinen Köder aus.

»Das kann ich machen.« Leonie ließ ein wenig Erleichterung hören.

»Du kannst dir bis dahin noch überlegen, ob wir dir die eine Hand auf dem Rücken festbinden oder ob wir dir die Hände vor dem Körper zusammenbinden.«

Leonie keuchte.

»Und jetzt fülle bitte die Zettel aus.« Selma erhob sich und ging zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um. »Und wenn du noch einmal telefonieren möchtest, fragst du vorher.«

»Ja, Frau Mohr.« Leonie war erleichtert, so glimpflich davon gekommen zu sein.

* * *

Frederike hörte ihrer Tochter bis zum Schluss zu. »Und dafür opferst du dich?« Sie streichelte ihr über den Kopf. »Ich bin sehr stolz auf dich.« Doch dann kam wieder die Ärztin durch. »Aber wir müssen auch und vor allem unsere Geldgeber zufriedenstellen.«

Maria seufzte.

»Ich denke, ich muss etwas unternehmen.« Ihre Mutter lächelte. »Du wirst dich ja ab Morgen nicht mehr mit Sarah unterhalten können.«

»Werden wir getrennt?« Marias Stimme hatte auf einmal etwas Weinerliches.

»Nein, ihr werdet weiterhin gemeinsam behandelt. Aber ihr werdet den Mundverschluß angelegt bekommen.« Sie zeigte etwas Mitleid. »Der Herzog hat es gefordert, damit ihr euch besser auf eure Ausbildung konzentrieren könnt.«

Maria seufzte wieder.

»Ich hätte es vielleicht verhindern können, wenn ihr heute nicht so gelogen hättet.« Dass die nächste Verschärfung auch schon angedroht war, behielt sie erst einmal für sich. »Ihr habt ab Morgen keine Freiheiten mehr und werdet ständig unter Kontrolle stehen.« Sie seufzte. »Ich hatte auf der Versammlung unvorsichtigerweise auch die Ballettstiefel erwähnt, die beim Haltungstraining wichtig sein können. Der Herzog scheint das in den falschen Hals bekommen zu haben.«

»Naja, die können wir ja ausziehen, wenn er nicht da ist.« Maria gab sich etwas trotzig.

»Ich muss dich enttäuschen, ihr werdet ab sofort unter strengster Kontrolle stehen.« Es tat ihr leid, ihrer Tochter das anzutun. »Und eure Kleidung wird verschlossen werden.«

Zum Erstaunen ihrer Mutter musste Maria stöhnen. Seit dem Abenteuer auf der Hütte beschäftigten sie gewisse Träume. »Wie lange?« Die Besorgnis in ihrer Frage hatte aber andere Gründe.

»So lange, wie der Herzog hier ist.« Frederike seufzte. »Er wird immer mal wieder vorbei kommen und kontrollieren, ob seine Vorgaben eingehalten werden. Und ich mag mir nicht ausmalen, was passiert, wenn er Grund zum Klagen findet.«

»Oh Mann, da haben wir wirklich Mist gebaut.« Maria floss eine Träne über das Gesicht. »Ich wollte Sarah doch nur helfen.«

»Genieße deine letzte Nacht in Freiheit.« Sie streichelte ihrer Tochter noch einmal über den Kopf. »Morgen früh beginnt die Verschärfung.«

»Paul!« Auf einmal erschrak Maria. »Ich wollte doch mit ihm telefonieren.«

»Ich fürchte, das hast du dir auch verbaut.« Doch dann hatte sie Mitleid. »Ich werde ihn anrufen und erklären, warum du nicht mehr telefonieren kannst.«

Maria war verzweifelt. Sie hatte Paul für die Prinzessin verraten.

Mittwoch, 1. September 1984

»Und es muss alles auch richtig verschlossen werden.« sagte die Oberschwester zu Betty, als sie zusammen das Zimmer von Sarah und Maria betraten. Betty zog einen Wagen hinter sich her.

»Sagt, unsere Behandlungen würden nicht wirken.« Die Oberschwester war empört. »Was fällt dem eigentlich ein?«

Maria war entsetzt. Sie hatte die Oberschwester schon oft erlebt, doch so schlechte Laune wie heute hatte sie noch nie gehabt. Auch Betty hatte eher einen besorgten Blick.

Heute gab es keine Rücksichtnahmen auf irgendwelche Befindlichkeiten, die beiden Schwestern spulten ihr Pflichtprogramm ab. Nicht einmal Betty schien etwas Mitgefühl zu haben.

Für Sarah gab es den üblichen Beutel, während Betty Maria das Frühstückstablett reichte. »Hier, deine Henkersmahlzeit.«

Maria sah Betty verwundert an, doch die Schwester schien wirklich verärgert zu sein. Langsam begann Maria den tatsächlichen Umfang der Konsequenzen ihres Handelns zu erkennen.


»Ist das nicht schädlich?« fragte die Stationsärztin, als sie sah, wie Sarahs und Marias Hände in Stummelhandschuhen verschwanden und mit Schlössern verriegelt wurden. Beide Mädchen mussten im Inneren der Handschuhe ein Stück Rohr umfassen, dann wurden ihre Hände in den Ledersäckchen zu Fäusten geschnürt.

»Nur, wenn es über längere Zeit getragen wird.« Frederike räumte den Einwand der Ärztin beiseite. »Bis Freitag wird es zu keinerlei Muskelrückbildung kommen. Hier, das Siegel sollen wir anbringen.« Sie reichte der Ärztin einige Schnüre mit Wachsplätzchen.

Unter normalen Umständen hätte Maria sich vielleicht darüber gefreut, doch heute hatte sie nur noch ein schlechtes Gewissen, weil sie sich auf die Intrige der Prinzessin eingelassen hatte. »Ist das nicht übertrieben?« fragte sie vorsichtig.

»Der Herzog möchte auf keinen Fall, dass geschummelt wird.« Frederikes Stimme zeigte, wie sehr sie das verletzte. »Er hat schon einiges Misstrauen entwickelt.«

»Rudern können wir so aber nicht mehr.« versuchte Sarah einen schwachen Einwand.

»Seid sicher, dass wir auch dafür eine Lösung haben.« Frederike und die Stationsärztin waren beide deutlich verärgert über die Prinzessin, weil sie die Klinik in so einem schlechten Licht dastehen ließ.

»Was hat der Herzog noch auf der Liste?« fragte die Stationsärztin.

»Die Ballettstiefel.« Frederike zeigte auf das Regal, in dem sie bereit standen. »Die werden nicht versiegelt, denn in der Nacht würden die stören.«

»Außerdem, wie sollten die Mädchen sich die auch ausziehen?« Die Ärztin blickte auf die Stummelchen, wo sich sonst die Hände zeigten. »Sie könnten das Personal um Hilfe bitten.«

»Ja« bestätigte Frederike, »das könnten sie machen, wenn sie reden könnten.«

Die Ärztin war verwundert.

»Sie werden den neuen Mundverschluß tragen.« Marias Mutter hatte etwas Bedauern in der Stimme.

»Hat das auch der Herzog angeordnet?« Die Ärztin wusste, dass die Klinik normalerweise solche extremen Behandlungen ablehnte.

Frederike verdrehte nur die Augen. Trotzdem hielt sich ihr Mitleid in Grenzen. Obwohl Maria ihre Tochter war, hatte sie die Klinik etwas in Verruf gebracht. Sie blickte etwas enttäuscht zu ihrer Tochter.

»Ich wollte doch nur helfen.« Maria versuchte sich zu rechtfertigen. Ihr eigenen Ausbildungsziele hatte sie dabei immerhin hintenan gestellt.

»Ein paar der angeforderten Maßnahmen konnte ich weg diskutieren, weil sie wirklich gesundheitsgefährdend gewesen wären.« Frederike seufzte. »Aber der Rest...«

»Es muss alles verschlossen werden?« Die Stationsärztin war erstaunt, als Marias Mutter ihr die Liste reichte. »Krass...«

»Sehr viel strenger geht es eigentlich gar nicht.« Frederike bestätigter ihre Meinung.

»Das hat doch medizinisch überhaupt keinen Nutzen?« Sie wunderte sich.

»Wem sagst du das?« Sie seufzte. »Aber wenn wir die Wünsche des Herzogs nicht erfüllen, dann bekommen wir Schwierigkeiten mit Herrn Brown.«

»Dem Investor?« die Stationsärztin begann die Zusammenhänge zu verstehen.

»Der Herzog scheint ihm viel Geld versprochen zu haben, wenn wir seine Tochter und Maria entsprechend seinen Vorgaben ausbilden.«

Maria verfolgte die Diskussion mit angehaltenem Atem. Erst jetzt erkannte auch sie die größeren Zusammenhänge. So sehr sie sich auch über den Mundverschluss gefreut hatte, ihr Weitblick sagte ihr, dass sie dringend mit der Prinzessin reden musste. So lange der Knebel noch nicht eingesetzt war. Danach würde es zu spät sein.

Doch wie sollte sie dieses so heikle Thema bloß ansprechen? Ihr fehlte eine Idee, wie sie es angehen konnte. Insgeheim fürchtete sie sogar, Sarah könnte mit ihrer Vermutung Recht haben.


»Sind sie soweit?« Betty steckte den Kopf zur Tür herein.

»Das sehen sie doch.« Frederike war immer noch sehr angespannt.

»Nein, ich meine, ob die Beruhigungsmittel schon wirken?« Betty gab wieder, was abgesprochen war. »Damit wir ihnen die Sonden legen können.«

»Ich fürchte, das habe ich heute Morgen bei der Zuteilung vergessen.« Die Stationsärztin drehte sich zu den Mädchen. »Vielleicht ist es ja auch nicht nötig, wenn ihr versprecht, stillzuhalten.«

Maria sah eine Chance für ein erstes Entgegenkommen. »Sie können mich gern festschnallen.« Sie ging zu dem Stuhl und legte ihre Arme auf die Lehnen.


Auf dem Weg zum Zahnarzt nahm sich Maria allen ihren Mut zusammen. »Du, Schwester Sandy hat doch bei der Prüfung geschummelt, oder?« Sie hatte es nur geflüstert.

»Ich weiß nicht, was du meinst.« Irgendwie fiel ein Schatten auf Sarahs Gesicht. »Unsere Leistungen waren eben schlecht.«

Ein wenig fühlte Maria sich auch in ihrem persönlichen Ehrgeiz getroffen. Ihr war natürlich egal, was bei der Prüfung der Prinzessin herausgekommen war, doch dass ihre Mutter mit der Klinik darunter leiden musste, das war ihr nicht gleichgültig.


Im Zahnlabor wurden sie zunächst nur von Judith empfangen, die ihre Meinung über das Kommende nicht verbergen konnte. »Euch soll also wirklich der Mund versiegelt werden?« Ihre Stimme zeigte, wie empört sie war. »Wer verlangt denn so etwas grausames?«

»Es ist ja erst einmal nur bis Freitag.« Frederike betrat das Zahnlabor.

Maria blickte auf, als sie die Stimme ihrer Mutter hörte. Bisher war ihr Blick von dem Behälter gefangen, der mit ihrem Namen beschriftet war.

»Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell zum Einsatz kommen würde.« Der Kieferspezialist betrat hinter Marias Mutter den Raum.

»Ja«, seufzte Frederike, »das hatten wir anders geplant.« Sie gab einen kurzen Überblick, wie es eigentlich vorgesehen war.

»Können wir dann anfangen?« Maria hatte einen nervösen Unterton. In ihr kämpften zwei Gefühle miteinander. Zum einen ahnte sie, dass es ohne die Schummeleien vermutlich nicht passiert wäre. Andererseits wusste sie seit der Hütte, dass sie den Mundverschluß, so wie sie ihn bei Christine gesehen hatte, unbedingt ausprobieren wollte. Ein großes Problem lag noch vor ihr, doch sie wusste noch nicht, wie es gelöst werden könnte.

Judith griff zu der Box, die mit ‚Maria B.’ beschriftet war. »Nimm bitte Platz.« Sie deutete auf den Behandlungsstuhl, der bedrohlich in der Mitte des Raumes stand.

Maria blickte noch einmal traurig zu Sarah, dann nahm sie auf dem Stuhl Platz.

Betty begann sofort, ihr die Arme und Beine festzuschnallen. Als sie Frederikes Blick bemerkte, grinste sie. »Falls der Herzog zum Kontrollieren kommt...«

Maria seufzte, als sie sah, dass sie der Arzt neben sie gestellt hatte und sie anblickte. »Bitte den Mund weit aufmachen...«

* * *

Selma musste lächeln, als sie mit Leonie die Schmiede von Herrn Schwerterle betraten. Maria hatte hier ihre Ketten für das Katerinenfest bekommen und Selma war vor einigen Tagen bei Familie Schwesterle, um den heutigen Besuch zu besprechen. Und Schwerterles hatten es wirklich so gemacht, wie sie es besprochen hatten.

Sie wurden von Frau Schwertele begrüßt, die sie sofort in die Schmiede führte. »Mein Mann und der Geselle sind im Großmarkt, das Material kaufen. Aber meine Tochter Doris wird sich um sie kümmern.«

Sie ging zu einem kleinen Schlüsselbrett und nahm sich einen Schlüssel herunter, dann ging sie zu dem Käfig, der an der einen Wand stand.

Leonie erstarrte, als sie den Käfig entdeckte. In dem Käfig befand sich eine junge Frau und las ein Buch.

»Doris, Liebling, du hast Kundschaft.« Frau Schwerterle kniete sich vor den Käfig und öffnete das Schloss.

Leonie wurde fast ohnmächtig, als sie sah, dass das Mädchen, welches recht behände den Käfig verlies, auch noch ein schweres Kettengeschirr trug. Hand- und Fußreifen, sowie einen Ring um die Taille und einen um den Hals. Und alle Ringe waren untereinander durch Ketten verbunden. Und die Mutter machte keinerlei Anstalten, ihrer Tochter die Ketten abzunehmen.

Selma lächelte heimlich. Sie hatten es wirklich so arrangiert, wie sie es bei dem Besuch besprochen hatten. Der Käfig war sogar abgeschlossen und Selma wusste, dass das ein großes Opfer bedeutet. Doch es war wichtig, um bei Leonie den richtigen Eindruck zu erwecken.

»Ich habe dir schon alles bereit gestellt.« Die Mutter klappte den Käfig wieder zu und deutete dann auf den Tisch mit der weißen Tischdecke, der in der Mitte der Schmiede stand.

»Hallo, ich bin Doris.« Sie trat an Leonie heran und gab ihr die Hand.

Leonies Hand zitterte, als sie den Gruß erwiderte. Bisher trug sie einen Sommermantel mit langen Ärmeln, mit dem sie die Handschellen gut verbergen konnte. Sie hatte dies extra vor dem Spiegel geübt. Doch Doris würde die Handschellen sehen.

»Nehmen sie ihr bitte die Handschellen und den Mantel ab?« wandte sie Doris an Selma, nachdem sie sie auch begrüßt hatte. »Das stört beim Abnehmen der Abdrücke.«

»Leonie?« sagte Selma, und als die Angesprochene zu ihr drehte, sah sie, dass Pauls Oma einen kleinen Schlüssel in der Hand hielt.

Unwillkürlich rieb Leonie sich die Handgelenke.

»Die Ketten werden bequemer sein als die Handschellen, wie du siehst.« Doris bat Leonie, sich vor den kleinen Tisch zu setzen und ihren rechten Arm auszustrecken. Dann tauchte sie eine der bereitliegenden Gipsbinden in eine Schale mit Wasser.

»Sie haben es als dauerhaft und nicht mehr abnehmbar bestellt?« Frau Schwerterle blickte in ihre Unterlagen.

»Das ist richtig«, bestätigte Selma. Dass es sich auf die Käfigtür der zweiten Bestellung bezog, behielt sie aber für sich. Leonie sollte glauben, dass sie dauerhaft in Ketten gelegt werden würde. »So wie bei ihrer Tochter.« Gemeint war auch dort die Käfigtür, die man nicht mehr aus den Angeln heben konnte.

Leonies Schluchzen zeigte den Anwesenden, dass es wie gewünscht wirkte.

»Nun habe mal keine Angst.« Doris hatte ihren Text auch gelernt. »Heute machen wir nur die Abdrücke. Mein Vater und Theo machen dann die Ketten für dich.«

Leonie blickte aus ihren Gedanken auf, denn ihr war aufgefallen, mit welcher Leidenschaft Doris gerade den Namen 'Theo' ausgesprochen hatte.

»Theo ist der Geselle meines Vaters.« Doris wickelte die Gipsbinden um Leonies Hand- und Fußgelenke. »Wir werden bald heiraten.«

Leonie wusste immer weniger, was sie von der Situation halten sollte. Es war so unwirklich. Die Mutter hatte ihre Tochter aus einem Käfig befreit und diese schien es gewöhnt zu sein, in schweren Eisenketten zu arbeiten.

»Jetzt muss es eine halbe Stunde trocknen, dann können wir es abnehmen.« Doris erhob sich und stellte einen Wecker ein. Dann ging sie zu ihrem Käfig und kroch hinein. Sie zog die Tür heran, bis der Riegel eingerastet war.

»Soll ich wieder verschließen?« fragte ihre Mutter, denn diesen Punkt hatten sie wirklich nicht abgesprochen.

»Ich glaube, meine Kunden passen auf.« Sie blickte zu Leonie, deren Miene ständig zwischen Angst und Faszination wechselte. Doch dann wurde sie auf einmal rot. »Ich habe die Gipssäge vergessen. Kannst du sie holen? Sie ist hinten im Lager.« Dann griff sie zu ihrem Buch und schien weiter zu lesen.

Frau Schwertele machte sich auf den Weg. Eigentlich hatte sie für die Leidenschaft ihrer Tochter nichts übrig, doch da Frau Mohr eine alte Bekannte war, wollte sie dieser diesen besonderen Wunsch nicht abschlagen.

In Leonie überschlugen sich die Gedanken. Würde sie jetzt auch so in Ketten gelegt werden wie Doris? Würde sie ihre Zukunft auch in einem Käfig verbringen müssen? Sie fragte sich, ob die Idee mit der Gefangenschaft wirklich so gut war. Mit einer solchen Konsequenz hatte sie nicht gerechnet. Erst jetzt erinnerte sie sich daran, dass Paul oder Maria auf der Hütte von der faszinierenden Schmiedstochter erzählt hatten und dass sie sehr verliebt die Gefangene ihres Verlobten war. Sogar eine Hochzeit mit unauffälligen Fesseln war einmal diskutiert worden.

»Du denkst über deine Zukunft nach?« Selma gab sich besorgt, doch insgeheim freute sie sich darüber, dass Leonie genauso reagierte, wie sie es erhofft hatte.

»Ich hatte nicht erwartet, dass es so streng werden würde.« Leonie war sehr verunsichert.

»Die Ketten sind sehr bequem und lassen sich wirklich dauerhaft gut tragen«, ließ Doris von ihrem Käfig aus hören. Der Satz war so nicht abgesprochen, doch Doris hatte auch so verstanden, was im Moment wichtig war.

»Dauerhaft?« Leonie war skeptisch.

»Dauerhaft.« Doris lächelte. »Mein Verlobter hat mir dieses Exemplar zur Verlobung angelegt und ich trage es seit dem.« Dann hatte sie noch eine Idee. »Ich kann zwar nur noch schulterfreie Kleidung tragen, aber das ist es wirklich wert.« Letzteres stimmte zwar nicht, aber gemäß den Absprachen sollte bei diesem Smalltalk ein ganz bestimmter Eindruck für Leonie entstehen. »Und natürlich rosten sie nicht.«

»Ist das so?« Leonie war sehr verunsichert. Sie fragte sich immer dringlicher, wie ihre Zukunft aussehen würde. Sicher, sie wollte eine Gefangene sein und sie hatte immer schon davon geträumt. Doch jetzt begann sie sich vor ihren eigenen Träumen zu fürchten.


Nach einiger Zeit klingelte der Wecker.

»Ah, es ist Zeit.« Doris legte ihr Buch beiseite. »Mama, lässt du mich bitte heraus?«

Leonie war verblüfft. »Du könntest den Riegel doch selbst aufschieben.«

»Könnte ich, darf ich aber nicht.« Doris seufzte. »Theo hat mir das verboten.«

Selma war insgeheim begeistert. Dieser Aspekt war auch nicht abgesprochen, und sie ahnte, dass Doris in diesem Punkt die Wahrheit sagte.

Leonie keuchte nur, als Doris brav darauf wartete, dass Frau Schwerterle den Käfig öffnete.

»Das wird jetzt ein wenig kitzeln«, erklärte Doris, bevor sie vorsichtig mit der Gipssäge die Hand- und Fußgelenke vorsichtig befreite.

Leonie schaute fasziniert zu, wie selbstverständlich Doris mit den Ketten arbeitete, und ganz langsam begann in ihr der Gedanke zu reifen, dass sie das auch so können wollte.

* * *

Die Küche hatte für Maria eine normale Mahlzeit geliefert. Dass diese jetzt so wie Sarah auch nur noch Beutelnahrung zu sich nehmen konnte, hatte sich noch nicht herumgesprochen. Die Oberschwester räumte schließlich ein, dass sie der Küche nicht Bescheid gegeben hatte.

Maria hatte sich schon mit viel Bedauern davon überzeugt, dass sie jetzt nur noch Brummlaute zustande brachte. Traurig blickte sie zu Sarah, die den Blick entsprechend erwiderte.

Immer wieder gingen ihr die Worte ihrer Mutter im Kopf herum, dass sie sich ihr Schicksal selbst zuzuschreiben hätte. Sie ärgerte sich, weil sie es einerseits genießen wollte, doch andererseits jetzt einen Fehler ausbaden musste und vor allem mit Sarah nicht mehr sprechen konnte.

Immer wieder schaute sie auf ihre Hände, von denen jetzt nur noch schwarze Stummelchen zu sehen waren. Sie waren abgeschlossen und selbst wenn Maria ihre Finger hätte bewegen können, wäre sie doch an den vielen Schlössern gescheitert.

Gut, sie war es gewöhnt, in ihre Kleidung eingeschlossen zu werden, und wenn sie ganz ehrlich zu sich war, hatte sie es in der Vorbereitungszeit auf das Fest sogar vermisst. Doch dazu hätte sie sich Paul anvertrauen müssen, und so weit war sie noch nicht in ihrem Vertrauen.

Sarah schien unter dem Eingesperrt sein noch mehr zu leiden, zumindest glaubte Maria das aus ihren Augen zu lesen. Ihr ging das Bild eines goldenen Käfigs durch den Kopf, der nun für Sarah wesentlich enger geworden war.

Sarah war von der Eskalation überrascht. Sie hatte gedacht, dass sie durch schlechte Leistungen die Hochzeit immer weiter hinauszögern könnte, doch dass der Herzog die Geduld verlieren würde, damit hatte sie nicht gerechnet. Sie blickte immer wieder traurig auf die Schlösser, die ihre Hände und ihre Füße in den Handschuhen und Stiefeln festhielten.


Betty kam zur Tür herein. »Seid ihr fertig mit dem Essen?« Sie grinste ein wenig. »Ich soll euch zum Rudern bringen.«

Maria seufzte innerlich. Das Rudern war die Übung, die sie am wenigsten mochte. Sie wusste zwar, wie wichtig diese Bewegungen für ihre Muskulatur waren, doch das konnte sie nicht trösten. Immerhin würden sie diese lächerlichen Handschuhe loswerden, damit sie die Ruder gut anfassen konnte.

»Der Herzog wartet schon auf euch.« Bettys Stimme zeigte ein wenig Mitleid. »Er möchte sehen, wie sich die Verschärfung eures Programms auswirkt.«

Sie wartete, bis sich bei beiden Mädchen der weiße Beutel geleert hatte. »Die Beutel sind schon sehr praktisch.« Sie grinste wieder etwas hinterhältig. »Man hat nur sehr wenig Arbeit mit euch.« Die bösen Blicke, die sie danach als Antwort bekam, ignorierte sie.

* * *

»Warum kommen sie zu spät?« Der Herzog war erbost. »Die Behandlung hätte schon vor zehn Minuten beginnen sollen.«

Betty wartete, bis die beiden Mädchen hinter ihr das Zimmer betreten hatten. »Die Mädchen können in den Stiefeln nicht so schnell gehen... Und der Weg ist weit.«

»Dann lassen sie sich etwas einfallen.« Der Herzog akzeptierte es nicht als Entschuldigung. »Nein, warten sie. Ich werde selbst mit der Oberschwester reden.«

Betty seufzte. Bis eben war es so eine schöne Stimmung gewesen. Sie hatte den Mädchen jeweils ein Halsband mit Leine angelegt und sie dann hinter sich hergezogen. Unterwegs hatte sie ihnen immer wieder gesagt, sie sollen sich melden, wenn das Tempo zu schnell wäre. Die giftigen Blicke ihrer Schützlinge sog sie geradezu auf.

Außerdem waren die Stiefel gar nicht der echte Grund für die Verspätung. Sie hatten lange auf Marias Essen warten müssen, doch das behielt sie lieber für sich. Sie fürchtete, dass die Oberschwester ihr das als Fehler anlasten würde, wenn es zur Sprache käme.

Maria war erstaunt. Das war nicht der Raum, in dem sie sonst trainiert hatte. In diesem Raum standen viele Trainingsgeräte und es sah aus wie in einem Fitnessstudio. Fast alle der Geräte waren auch mit Patienten oder anderen Leuten besetzt. Sie wunderte sich allerdings, dass an den beiden noch freien Rudermaschinen überhaupt keine Riemen angebracht waren, wie sie es von früher und auch von zu Hause her kannte.

»Wir stellen die Geräte neuerdings auch zahlenden Gästen zur Verfügung« erklärte Betty, als sie Marias seltsamen Blick sah. »Und die werden natürlich nicht fixiert.«

Maria fragte sich schon wieder, ob sie nur ein Kostenfaktor wären, denn offensichtlich bekam die Klinik durch ihr Training kein Geld; beziehungsweise musste die Klinik wegen ihr auf zahlende Kunden verzichten.

Jetzt bemerkte Betty auch, dass sie noch etwas tun musste, bevor die Mädchen trainieren konnte. »Entschuldigt mich bitte.« Sie ging zum Telefon an der Wand. »Ich brauche die Schlüssel.« Sie hob ab und drückte ein paar Tasten. »Hier ist Schwester Betty, Oberschwester. Ich bin im Trainingsraum und ich brauche die Schlüssel für die Handschuhe.«

»Ach so, diese Handschuhe sind das?« Betty verdrehte die Augen. »Ja, damit kenne ich mich aus.«

Zu Marias Überraschung wurden ihre Fäustlinge, nachdem Betty sie auf die Rudermaschine gesetzt hatte, einfach über die grifflosen Enden der Ruder gestülpt, so dass diese wieder aus ihren Handschuhen herausragten, und wurden dann von Betty mit zwei simplen Splinten gesichert. Sie hatte bisher noch gar nicht bemerkt, dass die von ihren Händen in den Handschuhen umklammerten Rohrstücke nach außen offen waren. Sie war nun ebenso wie zu Hause fest mit der Rudermaschine verbunden, jedoch viel einfacher und effizienter.

»Was müssen sie schaffen?« Der Herzog hatte beim Verbinden der Handschuhe mit den Rudern sehr genau hingesehen.

Betty schien sein Misstrauen zu spüren. Sie nannte das vorgeschriebene Pensum.

»Nun, meine Damen, dann sollten sie jetzt anfangen.« Er blickte gestenvoll auf die Uhr. »Sie haben schon viel Zeit verloren.«

Eigentlich hatte Maria nicht wirklich etwas gegen das Rudern, sie war es gewöhnt. Vielmehr störte es sie, dass sie wegen des Mundverschlusses nicht so richtig Luft holen konnte. Sie begann etwas zu keuchen. Doch noch viel mehr ärgerte es sie, dass nicht mehr mit der Prinzessin reden konnte.

* * *

Der Herzog hatte es sich nicht nehmen lassen, den gesamten Rudervorgang zu überwachen. Und er zeigte ein eher sorgenvolles Gesicht.

Es wunderte Betty überhaupt nicht, dass er darauf bestand, die Verspätung wieder aufzuholen. »Dann ist eben die Kaffeepause kürzer.«


Im Aufenthaltsraum war diesmal kein Beutel vorbereitet. »Die Küche kann für die Kaffeepause bisher nichts liefern.«

Aber Betty hatte zwei Beutel vorbereitet, die eine gelbliche Flüssigkeit enthielten. »Euer Energiedrink.« Sie drehte sich zum Herzog. »Das ist wichtig, wie bei Sportlern.«

»Was kommt als nächstes?« Der Herzog machte einen eher ungeduldigen Eindruck.

Betty nahm einen Zettel aus ihrer Kitteltasche und schaute darauf. »Ein Spaziergang mit den Spezial-Jacken.« Dabei lächelte sie geheimnisvoll.

»Spaziergang?« Der Herzog runzelte die Stirn.

»Warten sie es ab.« Betty grinste ihn frech an. »Es ist strenger als es sich anhört.« Sie verließ den Raum und kehrte gleich darauf zurück.

Maria musste lächeln, als sie sah, was Betty auf dem Arm trug. Sie hatte ihre Spezialjacke erkannt, die sie schon in Deutschland getragen hatte. Es freute sie, dass die Erfindung von Pauls Oma in den Behandlungsplan übernommen worden war. Doch dann wurde sie ein wenig wehmütig, als sie ihre Jacke erblickte, denn sie musste sofort an Paul denken. Ihr Blick fiel auf den Herzog und sie beschloss, ihre Gedanken beiseite zu schieben. Vor ihr langen noch lange und sehr schwierige Tage.

Sie wusste nur ungefähr, was in diesen Tagen auf sie zukam und woraus die Verschärfung bestand, davon wusste sie überhaupt nichts.

Der Herzog schaute sehr interessiert zu, als Betty ihren beiden Patientinnen die Jacke anzog und ihre Hände hinter dem Rücken mit den an den Ärmeln befestigten Riemen zu der jeweils an der gegenübeliegenden Schulter befindlichen Schnalle zog.

Maria dachte noch, dass sie die Jacke in Deutschland schon viel strenger getragen hatte, als sie sie nun angelegt bekam. Doch dann kam Betty zur zweiten Runde zu ihr und zog erst bei Maria, dann bei Sarah die Riemen so kräftig an, daß es den Mädchen ein Stöhnen entlockte.

»Wie wäre es, wenn ihr etwas nach draußen geht?« Marias Mutter stand auf einmal im Raum. »Betty wird euch sicher gern begleiten.«

Der Herzog machte Anstalten, den Mädchen zu folgen, doch dann wurde er von Frederike zurück gehalten. »Ihre Frau wünscht sie zu sprechen.«

* * *

Das Abendessen verbrachten sie bei Joe in der Klinik-Cafeteria. Frederike hatte angeregt, dorthin zu gehen und sie brachte auch die beiden Beutel für das Abendessen hinaus.

Maria blickte sich um und sah zwei Patientinnen, die ebenfalls durch den Beutel ernährt wurden, sie konnte aber nicht erkennen, warum.

Joe versuchte ein Gespräch anzufangen, doch Frederike teilte ihm mit, dass die Mädchen heute lieber schweigen wollten. Dann flüsterte sie ihm noch etwas ins Ohr.

Joe blickte daraufhin die Mädchen mit viel Mitleid an. »Ihr Armen.« Doch dann stutzte er. »Wenn man euch so in die Augen schaut, könnte man meinen, euch gefällt das.«

Beide Mädchen blickten kurz beschämt zu Boden.

»Ich bin erleichtert, dass ihr so etwas mögt.« Maria wollte es erst nicht glauben, doch es war die Stimme ihrer Mutter. Sie blickte verblüfft zu ihr.

* * *

Bisher war Leonie über Pauls Anwesenheit sehr dankbar gewesen, denn er hatte oft Mitleid mit ihr, wenn seine Oma etwas aus seiner Sicht Unmögliches von Leonie forderte. Unmöglich deswegen, weil sie stets ihre Handschuhe oder einen Monohandschuh trug und so über ihre Arme gar nicht verfügen konnte. Ganz besonders subtil war es, wenn sie etwas in der Küche zu tun hatte und dafür den von seiner Oma sogenannten Küchenhandschuh tragen musste. Das war ein Monohandschuh, der aber nur von den Ellenbogen bis zu den Handgelenken reichte und die Hände frei ließ.

Anfangs war Leonie empört und wollte protestieren, dass ein Arbeiten so doch nicht möglich sei, doch ein einziger Blick in das Gesicht von Selma zeigte ihr, dass sie nur genau zwei Möglichkeiten hatte: entweder mit dem Handschuh arbeiten oder das Haus verlassen. Und Letzteres wollte sie auf keinen Fall.

Paul war sehr nett und half ihr oft in der Küche. Doch als Selma ihr eröffnete, dass Paul auf eine lange Reise aufbrechen würde, erstarrte Leonie.

»Wir feiern heute Nachmittag seinen Abschied, und dafür habe ich einige Gäste eingeladen.« Sie blickte Leonie direkt an. »Ich möchte, dass du uns bedienst, bist du damit einverstanden?«

Es war deutlich zu sehen, wie es in Leonie arbeitete. Bisher hatte sie ihre Fesseln noch keinem Fremden gezeigt, wenn man einmal von Paul und den Leuten auf der Hütte absah. Doch jetzt hatte ihr Selma eröffnet, dass sie für sie ganz fremde Leute erwartete. Was würden diese wohl sagen, wenn sie sie in Fesseln sehen würde. Leonie hob ihre Hände und blickte auf ihre Handschellen. Doch sie wagte nichts zu erwidern.

»Natürlich bekommst du andere Handschellen, so dass du uns auch bedienen kannst.« Selma griff zu ihrem Schlüsselbund. »Soll ich sie dir gleich anlegen? Dann könntest du dich schon mal mit ihnen vertraut machen.«

»Wenn sie meinen.« Leonie schluckte. »Das wird wohl besser sein.«

»Paul?« Selma rief nach ihrem Enkel. »Holst du mir bitte ein Haremsgeschirr?«

»Mache ich.« Paul selbst war von dieser Ankündigung genauso überrascht wie Leonie. Er wusste bisher auch nichts von einer Reise.

Doch dann stutzte er. Wo waren die Haremsgeschirre? Er wusste es nicht. Doch gegenüber Leonie wollte er sich diese Blöße nicht geben. Er erinnerte sich an die vier Kisten, die noch im Flur standen und die sie noch nicht wieder auf den Dachboden gebracht hatten. Darin fand er tatsächlich ein Kettengeschirr, welches er für geeignet hielt. Es verband Arme und Beine jeweils mit einer kurzen Kette und eine Kette verlief von der Fußkette über die Handkette bis zum Halsreif.

»Das meinte ich zwar nicht, aber das geht auch.« Seine Oma nahm es ihm aus der Hand und bat Leonie zu sich.

Paul sah fasziniert zu, wie sich eine Schelle nach der anderen um Leonies Gelenke und um ihren Hals legte. »Damit solltest du das Tablett gut tragen können.« Sie strich Leonie durch das Gesicht. »Vielleicht willst du es gleich mal ausprobieren?«

Leonie spürte, dass ihr keine Wahl blieb und da sie sich auch nicht blamieren wollte, machte sie gute Miene zum bösen Spiel und befasste sich mit dem Tablett, welches sie zu tragen hatte.

»Wenn ihr wollt, dann könnt ihr schon mal den Tisch für sechs Personen decken.« Selma zeigte mit der Hand auf das Wohnzimmer.

Leonie war es fast gewöhnt, dass Paul ihr bei solchen Aufgaben stets half. Doch mit dieser Ankündigung realisierte sie, dass sie es künftig allein machen müsste. Genau das sprach sie jetzt an. »Ich will das einmal allein probieren.« Irgendwie spürte sie, dass es 'ernst' werden würde.

Zu ihrer Überraschung bot ihr das Harmsgeschirr genau die Freiheiten, die sie für das Bedienen brauchte. Sie konnte das Tablett tragen und auch mit der Kaffeekanne gut hantieren. Eigentlich gab es keinen Grund, sich vor dem Kaffeekränzchen zu fürchten. Doch andere Leute würden sie in ihren Ketten sehen und der Gedanke bewirkte, dass sie sich schämte.


Doch zu ihrer großen Erleichterung nahm keiner der Gäste von ihren Ketten Notiz. Selma hatte die Gäste zwar alle mit Namen vorgestellt, doch Leonie war viel zu aufgeregt, um sich die Namen zu merken.

Sie hatten für sechs Personen gedeckt, doch nur fünf Personen saßen am Tisch. Leonie brauchte einige Zeit, bis sie begriff, dass das sechste Gedeck für sie war.

Doch was dann passierte, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Selma hatte einen der Herren angesprochen, ob sie Verwendung für Leonie hätten. »Natürlich bekommt sie noch richtige Ketten, Herr Greinert.«

»Sie müsste sich noch beim Vorstand vorstellen, aber ich denke, dass sie für uns eine Bereicherung wäre«, antwortete Herr Greinert, dann wandte er sich an die Frau, die mit am Tisch saß. »Was denken sie, können wir sie nehmen?«

»Warum eigentlich nicht.« Renate Bayer strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Wir müssen natürlich noch andere Kleidung für sie organisieren.«

»Also abgemacht, sie soll sich bei der nächsten Sitzung vorstellen.« Herr Greinert lehnte sich zurück. »Vorausgesetzt, sie trägt auch Ketten, sonst geht es nicht.«

»Soweit ich weiß, sind die schon in Arbeit.« Herr Schwerterle trank einen Schluck von seinem Kaffee. »Theo und meine Tochter arbeiten schon fleißig daran.«

Leonie hatte große Mühe, ihr Gesicht zu bewahren. Was zum Teufel hatten sie mit ihr vor, und welche grausame Zukunft würde auf sie warten? Und vor allem hatte sie Angst vor den Ketten, die irgendwie immer wichtiger wurden.

»Und sie machen jetzt eine große Reise?« Renate Bayer wandte sich an Paul.

Marias Freund war wie Leonie bemüht, seine Fassung zu wahren. »Ich weiß davon bisher gar nichts.« Insgeheim war er enttäuscht, dass er Leonie jetzt ihrem Schicksal überlassen musste -wobei ihm aber auch nicht klar war, was für sie geplant war.

Leonie hatte Mühe, ihre Tränen zu verbergen. Sie hatte sich auf fesselnde Abenteuer mit Paul und Maria gefreut, doch jetzt lag eine offensichtlich erschreckende bis grausame Zukunft vor ihr.

Ein einziges Gutes hatte die Situation allerdings. Ihr eigentlich demütigendes Haremsgeschirr hatte sie völlig verdrängt.

* * *

»Was wollt ihr in eurer Freizeit machen?« Betty blickte ihre Schützlinge mit einem Funkeln in den Augen an.

Maria war verblüfft. Betty wusste doch, dass sie nichts mehr äußern konnte.

»Die Oberschwester hat gesagt, ich soll euch bespaßen.« Sie hielt zwei seltsame Gegenstände in ihrer Hand. Es sah aus wie eine große Fernbedienung, doch sie hatten jeweils nur zwei Knöpfe, einen roten und einen grünen.

Als sie zwei verblüffte Gesichter sah, ergänzte sie: »Sie hat wohl vom Herzog einen Einlauf bekommen. Jetzt ist sie total liebenswürdig zu mir.«

Sie spielte etwas mit den Kästen in ihrer Hand, vermied es bisher jedoch, auf einen der Knöpfe zu drücken. »Wie wäre es mit etwas Beamtenmikado?« fragte sie und drückte gleichzeitig beide grüne Knöpfe. »Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.«

Maria hatte gar keine Zeit, über den Witz nachzudenken. Sie fühlte sofort das Vibrieren an ihrer empfindsamsten Stelle.

Beide Mädchen blickten auf und Betty grinste sie verschlagen an. »Na, gefällt es euch?«

Maria wusste nicht, ob sie nicken oder den Kopf schütteln sollte. Einerseits liebte sie 'es', andererseits mochte sie es nicht, der Schwester so völlig wehrlos ausgeliefert zu sein. Sie grübelt kurz, wann ihr der Vibrator wohl angelegt worden sei, und sie kam zu der Erkenntnis, dass es wohl mit der Strumpfhose gewesen sein musste.

Doch genauso schnell wie es begonnen hatte, war das Vibrieren auch wieder weg. Betty grinste sie hämisch an. »Ich will doch auch meinen Spaß haben.« Sie drückte diesmal nur einen der beiden Knöpfe.

Es klopfte, und gleich darauf trat die Oberschwester ein. »Ah, da sind sie ja schon.« Sie blickte in drei verblüffte Gesichter. »Haben sie schon überlegt, was sie mit den beiden stummen Patientinnen machen können?« Betty wurde leicht rot. »Nein, mir ist noch nichts eingefallen.« Sie versuchte die Kästchen hinter ihrem Rücken zu verstecken und drückte dabei auch noch den zweiten grünen Knopf.

Maria zuckte zusammen.

* * *

»Ich wollte die Bettruhe überwachen.« Gegen 21 Uhr kam der Herzog vorbei. »Frau Beller hatte etwas von Segifax gesagt.«

Die Oberschwester betrat hinter ihm das Zimmer. »Es heißt Segufix. Es ist ein gebräuchliches System zur Patientenfixierung.«

Betty saß mit Maria und Sarah am Tisch. Sie stand hektisch auf und steckte etwas in ihre Kitteltasche.

Die Oberschwester wandte sich an Betty. »Der Herzog möchte sehen, wie unsere verschärfte Nachtruhe funktioniert. Bitte erklären sie es ihm.«

Betty ging zu Sarahs Bett und zog die Decke weg. »Die Grundriemen sind fest mit der Matratze verbunden, wir müssen dann nur die Fixierung der Patientin anbringen.« Sie blickte auffordernd zu Sarah.

Die Prinzessin erhob sich zitternd, während sie die Schwester noch einmal flehend anblickte. Doch Bettys Miene zeigte keine Regung.

Sarah legte sich aufs Bett und schaute wieder flehend auf Betty, doch diese gab sich beschäftigt. Sie ging zum Schrank und holte einige weiße Riemen aus dem Schrank.

»Wir müssen nur noch den Bauchgurt anbringen und die Arme und Beine der Patientin fixieren.« Betty bemühte sich um einen ruhigen Tonfall, obwohl ihre zitternden Hände ihre Erregung zeigten.

»Warum haben Arme und Beine so viel Spiel?« fragte der Herzog eher gelangweilt.

»Die Patienten bewegen sich im Schlaf«, erklärte die Oberschwester. »Und wenn sie streng fixiert wären, könnte es zu Muskelschäden kommen.«

»Und das System ist wirklich sicher?« Der Herzog war anscheinend noch nicht überzeugt.

»Das ist ein System mit Magnetschlössern.« Betty reichte ihm einen der Riemen, die für Maria vorgesehen waren. »Mit diesem Knopf werden sie verriegelt.« Sie steckte eine der schwarzen Kappen auf den Metallstift. »Versuchen sie es mal zu öffnen.« Sie reichte dem Herzog den Riemen.

Der Herzog nahm den Riemen entgegen und zog an der Kappe. »Ich glaube ihnen, dass sie ihre Arbeit richtig machen.« Er gab den Riemen zurück.


Als der letzte Riemen befestigt war, blickte Sarah immer verzweifelter zu Betty. Doch diese streichelte der Prinzessin nur liebevoll über das Gesicht. »Schlaf gut.« Sie lächelte etwas hinterhältig.

Der Herzog trat ans Bett und es schien, als wollte er sich von der Qualität der Fixierung überzeugen. Stattdessen war sein Blick eher etwas zweifelnd. Sarahs aktueller Zustand beschäftigte ihn gar nicht, und die flehenden Augen fielen ihm nicht auf.


Maria sah durchaus, was Sarah beschäftigte, doch sie hatte die gleichen Probleme. Auch bei ihr hatte Betty den Vibrator weiter laufen lassen, und sie litt genauso wie Sarah unter der dauernden Erregung. Doch sie ahnte, dass sie der Herzog ebenfalls nicht beachten würde.

Und so war es auch. »Schnallen sie Maria ebenfalls so fest.« brummte er etwas undeutlich, dann drehte er sich um und verließ den Raum.

Kaum hatte sich die Tür geschlossen, als ein Stöhnkonzert einsetzte. Doch die Oberschwester sorgte wieder für Ruhe. »Sie werden die Nacht im Segufix verbringen, keine Widerrede.«

Sie trat zu Maria ans Bett und beaufsichtigte Betty, die Maria ebenfalls festschnallte. Das leise Stöhnen ignorierte sie lächelnd.

»Jetzt kommen sie bitte ins Schwesternzimmer, wir müssen die Berichte für heute noch schreiben und die Behandlungen für Morgen vorbereiten.« Sie blickte Betty sehr ernst an.

Die Schwester schaute noch einmal etwas hämisch auf ihre beiden Patientinnen, dann ging sie der Oberschwester hinterher. An der Tür drehte sie sich noch einmal kurz um. »Viel Spaß noch.« Das heftige Stöhnen der beiden Mädchen ignorierte sie.

Donnerstag, 2. September 1984

Betty kam relativ früh zum Wecken. Sie war nicht erstaunt, als sie feststellte, dass die Mädchen noch schliefen. Sie nahm die Fernbedienungen in die Hand und lächelte. Sie hatte gestern Abend doch tatsächlich vergessen, die Vibratoren abzuschalten. Sie grinste. Die Mädchen hatten bestimmt eine »schöne« Nacht gehabt.

Zunächst hatte sie ein schlechtes Gewissen, doch als die Oberschwester den Raum betreten hatte und Betty anherrschte, warum die Mädchen noch nicht wach seien, kam ihre sadistische Ader wieder durch, und sie malte sich aus, welche süße Qualen die Mädchen wohl durchlitten hatten. Fast scheinheilig trat sie an die beiden Betten und weckte die beiden Patientinnen. Dabei genoss sie die bösen Gesichter der Mädchen, als sie ihre »Peinigerin« erblickten.

Natürlich wusste sie, dass die Akkus der Vibratoren jetzt erst wieder zu laden waren, doch das behielt sie erst einmal für sich. Sie begann die Mädchen loszuschnallen und half ihnen beim Aufstehen.

Maria blickte Betty immer noch böse an. Wie konnte sie das machen? Fast die halbe Nacht hatte sie der Vibrator gequält und immer wieder zu einem Orgasmus gezwungen. Schließlich war sie vor lauter Müdigkeit eingeschlafen.

Doch dann kam sie ins Grübeln. Konnte sie Betty wirklich böse sein? Schließlich erlaubte ihr die Bettfesselung in Kombination mit dem Mundverschluß, dass sie sich so richtig gehen lassen konnte, zumal sie auch nur zu leisem Brummern fähig war.

In den Pausen nach den vielen Höhepunkten konnte sie zum Nachbarbett hinüberblicken und sie sah, dass Sarah ihre 'Folter' auch eher zu genießen schien. Doch nach jedem Orgasmus fiel ihr Blick auf die Tür und sie wartete sehnsüchtig darauf, dass Betty zurückkommen würde, um sie zu erlösen. Doch Betty kam nicht. Sie hatte es einfach vergessen.

* * *

»Waren die gestrigen Behandlungen so anstrengend?« Die Oberschwester war besorgt, weil Maria und Sarah beide einen sehr müden Eindruck machten.

Sarah warf sofort einen Blick auf Betty, die gerade mit dem Frühstücksbeutel beschäftigt war.

Maria war diesem Blick gefolgt, doch zu ihrem Erstaunen sah sie, wie Betty kurz ihren Finger auf den Mund legte und Sarah warnend ansah. Darauf hin ließ sich Sarah zurück in ihr Kissen fallen. »Ich glaube, das kommt vom Rudern«, antwortete Betty scheinheilig.

Mit dieser Erklärung gab sich die Oberschwester zufrieden.

Maria wäre am liebsten über Betty hergefallen, doch dann sah sie, dass Sarah einen eher glücklichen Gesichtsausdruck zeigte.

Maria kam ins Grübeln. Sarah schien die Folter anscheinend doch genossen zu haben. Bislang hatte Maria angenommen, Betty hätte einen bösen Fehler gemacht, doch so langsam dämmerte es ihr, dass sie es wohl absichtlich getan hatte. Sie seufzte. Wie gern hätte sie sich mit der Prinzessin unterhalten, doch ihr Mundverschluß verhinderte dies leider sehr gründlich.

* * *

»Was soll das heißen? Warum können sie nicht sofort mit der Behandlung beginnen?« Der Herzog war sofort zu Frederike gegangen, nachdem die Oberschwester ihm erklärt hatte, dass sie noch nicht mit der für den Donnerstag geplanten Behandlung beginnen könne.

»Für Maria muss noch ein neues Ganzkörperkorsett angefertigt werden, und dafür müssen wir eine Gipsform anfertigen.« Frederike bemühte sich, ihrer Stimme Ruhe zu verleihen.

»Könnte das auch für Sarah wichtig sein?« Der Herzog gab sich interessiert.

»Das große Korsett hilft dem Körper, sich an die Bedürfnisse für die besondere Armhaltung zu gewöhnen.« Marias Mutter war erleichtert, dass der Herzog sachliches Interesse zeigte.

»Würden sie für Sarah auch so ein Korsett empfehlen?«

»Sie hat doch schon eines.« Frederike wunderte sich.

»Das interessiert mich nicht.« Der Herzog zückte wieder sein Scheckbuch. »Was kostet es, wenn sie für Sarah ebenso ein Korsett anfertigen?« Er blickte Frederike fragend an.

»Wir kalkulieren mit zehntausend Dollar.« Marias Mutter nannte eine Summe, die weit über den tatsächlichen Kosten lag. Ein schlechtes Gewissen hatte sie dabei nicht. Wenn der Herzog ihnen schon solch einen Stress verursachte, dann sollte er auch dafür zahlen. Immerhin musste Frederike sich auch Gedanken machen, wie sie die vielen Überstunden finanzieren sollte.

Der Herzog schrieb etwas in Scheckbuch, riss den Scheck heraus und reichte ihn Frederike. »Das wird sicher reichen. Wie lange dauert das Anfertigen des Korsetts?«

»Bis Montag könnte es fertig sein, wenn die Schneiderei und die Sattlerei Hand in Hand arbeiten.« Frederike hatte das kurz kalkuliert. Sie hatte nur flüchtig auf den Scheck gesehen und hatte gesehen, dass an erster Stelle eine Zwei stand.

»Ich werde dafür sorgen, dass sie das tun.« Der Herzog machte sich eine Notiz. »Wie lange wird das Maßnehmen dauern?«

»Eine Stunde wird das Eingipsen dauern, dann sollte der Körper eine Zeitlang ruhen. Gehen sie mal von zwei Stunden aus.«

»Kann dann die geplante Vormittagsbehandlung überhaupt noch sinnvoll stattfinden?« Er nahm die Liste mit dem Behandlungsplan zur Hand.

»Wenn wir die Mittagspause ausfallen lassen und den Mädchen schon während der Behandlung essen lassen, dann sollte es gehen.« Frederike griff zu einem Stück Papier und machte sich Notizen.

»Sie werden das schon schaffen...« Der Herzog unterbrach sie mitten im Satz.

Marias Mutter verstand es so wie es vermutlich auch gemeint war, als die letzte Chance. Sollte es wieder daneben gehen, würde er sich eventuell sogar eine neue Klinik suchen. Der Herzog verstand es sehr gut, Druck zu machen, ohne sich zu äußern.


Beide Mädchen zitterten, als sie den Gipsraum betraten. Es war schon alles bereitgelegt.

Maria kannte das Verfahren noch vom letzten Mal und deswegen freute sie sich insgeheim schon darauf. Doch der Prinzessin war es anzusehen, dass sie nicht wusste, was kommen würde.

Die Schwester, die das Eingipsen vorgenommen hatte, kannte Maria noch vom letzten Mal. Doch diesmal kam sie nicht allein. Ihre Mutter betrat hinter der Stationsärztin den Raum, ebenso der Herzog.

Maria blickte kurz zu Sarah und sah, dass diese von der Anwesenheit ihres künftigen Schwiegervaters nicht begeistert war. Doch sich dazu zu äußern hätte sie vermutlich nicht einmal getraut, wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre.

»Und die Mädchen werden wirklich komplett eingegipst?« Der Herzog gab sich interessiert, aber ein gewisser Unterton von Zweifel schwang in seinen Worten mit.

»Wir brauchen eine vollständige Körperform, und das geht mit dem Gips einfach am besten.« Marias Mutter nahm ihnen die Handschuh ab, dann gab der Schwester ein Zeichen, dass sie beginnen könne.

»Können sie den Mädchen die Geschirre abnehmen?« Die Schwester reichte den Mädchen zwei Badekappen. »Zum Schützen der Haare.«

»Nein, die Gürtel bleiben dran.« Der Herzog blickte zwischen der Schwester und Frederike hin und her. »Das geht doch, oder?«

»Ja, natürlich, das geht.« Frederike bestätigte das. Die Mädchen trugen außerdem sehr enge Taillenkorsetts unter dem Gürtel. Die hätten sie ohnehin nicht abnehmen können, denn sonst konnte nicht abgeschätzt werden, wie weit das Korsett geformt werden konnte. Um sie zu schützen, wurden sie in Plastikfolie gewickelt.

Die Mädchen seufzten innerlich und setzten sich die Badekappen auf. Frederike und die Schwester halfen den Mädchen, die Haare vollständig unter der Haube zu verstecken. Dann halfen sie den Mädchen, sich auf die vorbereiteten fast senkrecht stehenden Liegen zu stellen. Es störte sie gewaltig, dass der Herzog im Raum war, während die Mädchen fast nackt dastanden, doch sie wagte nichts zu sagen. Es hätte den Herzog sicher sowieso nicht interessiert.

Die Schwester nahm zunächst eine Flasche zur Hand und begann, die Körper der Mädchen mit der Flüssigkeit einzureiben. »Das ist Babyöl«, erklärte sie, als sie den fragenden Blick des Herzogs bemerkte. »Das ist nötig, damit wir den Gips später gut entfernen können.«

»Was ist mit den Stiefeln? Werden die mit eingegipst?« Dem Herzog war aufgefallen, das die Mädchen die Ballettstiefel noch trugen.

»Wir brauchen die Beine gestreckt, damit die Muskeln gleich die Form haben, die sie auch in dem Korsett haben werden.« Die Schwester wickelte Plastikfolie über die Stiefel der beiden Mädchen. »Die Schuhe des Korsetts werden ohnehin anders angefertigt.«

»Für die Hände gilt vermutlich das gleiche?« der Herzog gab sich an dem Vorgang sehr interessiert.

»Nein, das hat andere Gründe.« Frederike schob sich mit der Antwort vor die Schwester. »Für die richtige Armhaltung nehmen wir noch mal extra einen Abdruck. Hier reicht erst einmal einen Geradehalter.« Sie reichte der Schwester das entsprechende Gerät.

Beide Mädchen bekamen ein Gerät angelegt, das einem BH nicht unähnlich war. Von einer Rückenplanchette gingen zwei lange Riemen aus, die unter den Achsel der Mädchen durch und über ihre Schultern zurück zu Schnallen auf der Planchette geführt wurden. Die Schwester zog die Schulterriemen so eng an, dass die Schultern der Mädchen ebenso weit zurückgezogen wurden, wie es sonst ihre Monohandschuhe bewirkten.

»Wir beginnen mit den Füßen.« Die Schwester ging kurz ins Nebenzimmer und kam in Begleitung einer zweiten Schwester zurück. »Wir haben die Gipsbinden schon vorbereitet, und jetzt muss es schnell gehen, damit der Gips nicht zu früh hart wird.«

Die erste Schwester klappte an Marias Liege das Fußteil weg. Als Frederike den verwunderten Ausdruck im Gesicht des Herzogs sah, erklärte sie. »Das ist eine Spezialliege, wir können immer einen Teil wegklappen, die Mädchen können sicher stehen, und wir können am ganzen Körper arbeiten.«


Immer mehr Teile von Marias Körper verschwanden unter einer weißen Decke aus Gips, und als Frederike zur Probe die Hand auf die Unterschenkel legte, lächelte sie. »Es wird langsam hart.. Und warm.« Sie ging zu einem Schrank und öffnete ihn. »Wo sind denn die Ohrstöpsel?«

»Die hatte ich schon bereit gelegt.« Die Schwester zeigte auf das Tischchen neben ihr.

»Es ist für die Patientin besser, wenn sie in der Hülle nichts hören kann.« sagte Frederike in Richtung des Herzogs, dann beugte sie sich zu ihrer Tochter, streichelte ihr noch einmal durch das Gesicht und steckte dann die Ohrstöpsel in Marias Ohren.

Dass die vollständige Isolation auch zur erotischen Stimulation dienen konnte, behielt sie aber für sich. Sie wusste, dass ihre Tochter in der Lage war, sich so weit fallen zu lassen, dass sie es durchaus als Freiheit empfinden konnte.

»Es ist sehr wichtig, dass die Patientin sehr ruhig liegenbleibt, bis der Gips abgebunden hat.« Frederike hatte sich wieder erhoben und blickte mit etwas Stolz in der Stimme zwischen dem Herzog und ihrer Tochter hin und her. »Sie hat das schon einmal gemacht.«

Maria musste lächeln, als sie die Worte ihrer Mutter noch schwach hörte. Sie freute sich sehr auf die Wiederholung der Gipsaktion, weil sie dann für eine Stunde völlig frei schweben konnte. Beim letzten Mal hatte sie sogar einen Orgasmus bekommen, den die strenge Gipshülle allerdings vollständig versteckt hatte. Doch diesmal hatte sie Zweifel, ob sie nach dieser Folternacht schon wieder dazu in der Lage sein würde, es zu genießen. Wie beim letzten Mal spürte sie, wie der Gips wärmer wurde und damit anzeigte, dass er langsam hart wurde.


»Den Kopf gipsen sie auch ein?« Der Herzog war erstaunt.

»Das Korsett, das sie bekommen soll, schließt den Kopf mit ein.« erklärte Frederike, während die Schwester dabei war, Marias Augen zuzudecken. »Die Gipsform wird abgenommen und ausgegossen, damit die Korsettschneiderei das Korsett ganz genau anpassen kann.«

Sarah hatte die ganze Zeit sehr interessiert zugesehen, und je weiter sich die Gipsschicht über Marias Körper ausbreitete, desto nervöser wurde die Prinzessin. Sie musste an das Ganzkörperkorsett denken, welches schon für sie angefertigt worden war. Damals wurde es nur nach einem Foto gefertigt, und entsprechend schlecht saß das Korsett. Sie ahnte, dass dieses neue wesentlich besser sitzen würde. Sie begann zu träumen. Überall sah sie sich von braunem Leder umgeben, und bei jedem kleinsten Versuch einer Bewegung knarzte das Leder, um gleich darauf ihren Bewegungsversuch erfolgreich zu verhindern.


»Jetzt sind sie dran, Prinzessin.«

Die Worte der Schwester rissen Sarah aus ihren Träumen. Erst jetzt erkannte sie, dass Maria oder besser die weiße Gipshülle nicht mehr im Raum war. Als sie sich suchend umblickte, erklärte die Schwester: »Wir haben Maria in den Nachbarraum gebracht. Sie muss jetzt etwas ruhen, bis der Gips ganz hart geworden ist.«

Sarah sah zu ihrer Erleichterung, dass sie jetzt mit den beiden Schwestern allein war.

»Der Herzog ist gegangen, weil er einen Termin hat.« Die erste Schwester bat die Prinzessin, sich auf der Liege bereit zu legen. »Maria kannte die Prozedur, aber dir müssen wir noch einige Sachen erklären.«

»Der Gips wird etwas wärmer, wenn er hart wird.« Die zweite Schwester hatte sich ebenfalls zu Sarah gedreht und begann, ihre Stiefel mit der Plastikfolie zu schützen. »Wir halten dir später Schilder hin, weil du uns nicht mehr hören kannst.«

Sarah nickte aufgeregt. Sie wusste noch nicht, was auf sie zukommen würde. Sicher hätte ihr Maria etwas über die Eingipsung erzählt, wenn sie noch hätte reden können.


Maria hatte von ihrer Mutter wieder das verabredete Zeichen bekommen, dass der Gipspanzer, der sie überall umgab, jetzt vollständig belastbar war. Ihre Muskeln entspannten sich, und langsam versuchte sie sich zu bewegen. Doch wie beim letzten Mal musste sie sofort erkennen, dass der Gips jeden Bewegungsversuch verhinderte.

Sie liebte diesen Zustand, und zu ihrer Erleichterung war es bei diesem Mal genau so schön wie beim letzten Mal. Sie resümierte ihren Zustand. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Sie konnte nichts mehr sehen und nichts mehr hören. An ihren Mundverschluß hatte sie sich ohnehin schon gewöhnt. Sie wusste, dass die Klinik ihre Körperfunktionen überwachte, so dass ihr nichts Schlimmes passieren konnte. Das einzige, was sie ständig an ihren Zustand erinnerte, war die Einschränkung ihrer Atmung. Ihr Brustkorb konnte sich durch den Gipspanzer nicht mehr ganz ausdehnen, und durch das Taillenkorsett war ihr Bauch ohnehin unbeweglich. Als Folge davon ging ihr Atem etwas schneller.

Sie wäre gern etwas länger so geblieben, doch sie wusste, dass sie bald wieder aus dem Panzer befreit werden würde. Nur für einen kurzen Moment war sie in der Lage, die vielen Probleme auszublenden, die in der Welt da draußen auf sie warteten. Sie fragte sich, ob sie wohl Paul zu so einer Aktion überreden könne.

Doch sie hatte Zweifel. Die aufwendige medizinische Überwachung, die hier in der Klinik geboten war, würden sie daheim nicht haben. Außerdem, was würde es nutzen, wenn sie vollständig eingegipst wäre? Sie könnte dann Pauls Hände nicht mehr spüren.

Pauls Hände.

Sie musste wieder an das Vakuumbett auf der Hütte denken. Dort war sie fast bewegungslos fixiert gewesen und konnte dennoch seine Hände spüren. Und er hatte sie wirklich überall berührt. Überall...

Unmerklich stieg Marias Atemfrequenz. Ihr Körper spannte sich an und sie presste sich gegen den Gipspanzer.

Wie schon beim letzten Mal war der Gipspanzer so stark, dass er ihrem Bewegungsdrang vollständig widerstand. Maria konnte sich völlig gehen lassen. Sie begann zu stöhnen.

* * *

Leonie hatte eine schlaflose Nacht hinter sich. Paul war weg und sie war in diesem Haus allein mit Frau Mohr. Sie wusste nicht, was sie mit ihr vor hatte, doch irgendwie ahnte sie, dass ihr Traum grausame Wirklichkeit geworden war. Wie bisher jede Nacht war sie an ihr Bett gefesselt und musste am Morgen darauf warten, von ihr befreit zu werden. Doch die Befreiung bestand stets nur darin, dass sie vom Bett befreit wurde, um gleich danach das Haremsgeschirr angelegt zu bekommen.

Doch heute wollte sie es ändern. Wieder kam Selma in ihr Zimmer und stellte sich vor ihr Bett.

»Frau Mohr«, begann Leonie ziemlich kleinlaut. »Ich bin hier doch richtig gefangen oder?«

Selma bestätigte dies. Sie war der Meinung, dass es Zeit war für die nächste Verschärfung. »Du möchtest wieder frei sein?« Sie griff in ihre Tasche und holte die Schlüssel heraus.

Leonie kam schwer ins Grübeln. Immerhin durchlebte sie gerade ihren Traum, irgendwo bei Fremden gefangen zu sein. Ihre Kleidung war entweder abgeschlossen oder sie trug das Haremsgeschirr. Zusätzlich trug sie den Keuschheitsgürtel und den passenden BH und oft genug waren ihre Hände in einem Monohandschuh verschwunden. Mit Entsetzen sah sie, wie Selma begann, ihre Fesseln zu öffnen. »Nein warten sie.« Leonie keuchte. »Ich möchte gefangen bleiben.«

»Egal was kommt?« Selma wollte ganz sicher gehen.

»Egal was kommt!« Leonie bestätigte es mit zitternder Stimme.

Selma war gespannt, wie weit sie bei diesem faszinierenden Mädchen gehen konnte. »Vielleicht solltest du ab jetzt auch einen Knebel tragen, damit du solche ungebührlichen Fragen nicht mehr stellen kannst.«

Leonie zuckte kurz zusammen, dann senkte sie den Kopf. Der Gedanke an die sich so andeutende nähere Zukunft ließen ihre Gefühle wild toben. »Ich glaube, das wird wohl besser sein.« Ihre Stimme war sehr leise.

»Was hast du gesagt?« ihre Stimme war ungewöhnlich streng.

Leonie blickte auf, schluckte noch einmal, dann zwang sie sich zu einer klaren Antwort. »Ich möchte ab sofort auch einen Knebel tragen müssen.«

* * *

Das leise Kreischen der Gipssäge drang an ihr Ohr, und sie sank in sich zusammen. Sie begannen, sie aus dem Panzer zu befreien. Maria seufzte. Schade, dass es schon vorbei war.

Als Maria wieder sehen konnte, fiel ihr Blick auf die zwei Gipsfiguren, die an der Wand standen. Obwohl sie den Anblick noch vom letzten Mal kannte, war sie trotzdem wieder erstaunt. Sarah stand vor ihrer Figur und keuchte heftig.

Im ersten Moment dachte Maria, dass die Prinzessin wegen der Gipsfiguren so außer Atem war, doch dann musste sie erkennen, dass die Prinzessin schon das Korsett trug, das für die heutige Behandlung vorgesehen war.

Auf Marias fragenden Blick hin sagte Frederike »Wir mussten Sarah als Erste befreien, weil sie scheinbar plötzlich einen Panikanfall in ihrer Gipshülle bekam.« Dabei zwinkerte sie Maria zu, und ein Blick auf Sarah schien zu bestätigen, was Maria ohnehin vermutete - denn die Prinzessin sah keineswegs verstört aus; und sie meinte sogar ein leichtes zufriedenes Grinsen auf Sarahs Lippen über ihrem Mundverschluß zu sehen.

Es schien ein gemeines Korsett zu sein, Maria kannte es bisher noch nicht. Es war etwas dicker und wurde zunächst streng um den Leib gelegt. Nur dass dann in dem Korsett Luftblasen aufgeblasen werden konnten, die den Bauchraum noch weiter einengten.

»Maria, kommst du bitte.« Betty hielt schon das zweite Korsett in der Hand.

Maria ging seufzend und mit einem bösen Blick auf die Schwester zu.

Betty ignorierte den Blick vollkommen und gab sich beim Anlegen des Korsetts sehr freundlich.

Sie schnürte Maria das seltsame Taillenkorsett so eng sie konnte, und Maria fühlte, wie ihre Taille wieder einmal zusammengepresst wurde – zum Glück war sie dies schon lange gewohnt, und auch das Atmen fiel ihr nicht besonders schwer.

Dies änderte sich jedoch, als Betty einen Schlauch mit einem kleinen Gummi-Pumpball an einem unauffälligen Anschluss am vorderen unteren Rand ihres Korsetts ansteckte und begann, den Pumpball immer wieder zusammenzudrücken. Maria fühlte, wie eine Blase an der Vorderseite ihres Korsetts aufgeblasen wurde und begann, sich in die einzig noch freie Richtung auszudehnen - in ihren Bauchraum.

Mit jedem Drücken wurde der verbliebene Raum für ihre Lungen kleiner, und erst als Maria dachte, daß die Blase sich bald von unten in ihren Brustkorb bohren würde, hörte Betty endlich auf zu pumpen und nahm den Schlauch ab. Maria konnte nun nur noch in ihren Brustkorb atmen, und jeder nur noch kurze Atemzug war nun eine bewusste Anstrengung. Sie konnte fühlen, wie ihr Brustkorb sich zu dehnen versuchte, um mehr Raum für ihre Lungen zu schaffen.

Sarah schien ebenfalls mit diesem neuen Korsett zu kämpfen, ihr Gesicht war gerötet, und ihr Atem ging wie bei Maria schnell und flach.

Frederike kam mit dem Herzog in den Raum. »Es würde euch das Training erleichtern, wenn ihr dazu eure Handschuhe tragen würdet.«

»Wofür brauchen sie jetzt Handschuh?« Der Herzog wunderte sich.

»Ich meine die Monohandschuhe.« Marias Mutter hatte sich zum Herzog gedreht. »Damit wird das Atmen etwas erleichtert.«

»Sarah, du wirst den Handschuh tragen.« Seine Stimme erlaubte keinen Widerspruch. Dann fiel sein Blick auf Maria. »Ihnen ist es freigestellt.«

Betty schritt sofort zur Tat und es wurde deutlich, dass sie zum einen viel Routine mit Sarahs Handschuh hatte und zum anderen auch sehr viel Freude daran hatte, die Patientin so behandeln zu dürfen. Vor allem nutzte sie es aus, dass Sarah sich nicht äußern konnte.

Die Prinzessin schien sich jedoch umso wohler zu fühlen, je enger ihr Handschuh geschnürt wurde. Die Röte wich aus ihrem Gesicht, und ihr Atem wurde langsam ruhiger.

Maria schaute sehnsüchtig zu, wie Bettys Arme in der Lederhülle verschwanden und der Handschuh von Betty routiniert zugeschnürt wurde. Auf einmal bemerkte sie, dass ihr Mutter ihren Handschuh ebenfalls in der Hand hatte.

»Dir tut es auch gut.« Frederike wartete, bis Betty mit dem Anlegen des Handschuhs bei der Prinzessin fertig war, dann reichte sie ihr Marias Handschuh.

Maria hatte für die Blicke zwischen Betty und Sarah keine Augen, sie litt noch etwas unter der Folternacht. Trotzdem legte sie ihre Arme auf den Rücken und hielt still, als sie spürte, wie Betty ihre Arme einschnürte.

Und tatsächlich zwang der enge Handschuh ihre Schultern zusammen und half ihr dabei, ihren Brustkorb zu weiten, um ihr mehr Raum zum Atmen zu verschaffen. Wie schon bei Sarah beruhigte sich Marias Atem bald, und das Korsett erschien schon viel erträglicher.

»Sind sie sicher, dass es das richtige für die Mädchen ist?« Der Herzog schaute sehr zweifelnd auf die Mädchen.«

»Wir wollen die Brustkorb-Atmung fördern und gleichzeitig die Beweglichkeit des Brustkorbs und der Schultergelenke trainieren, und dafür kombinieren wir zwei Behandlungen.« Frederike bat ihre Tochter zu sich. »Mit dem Korsett erschweren wir die Bauchatmung, und der Handschuh erweitert die Brustatmung. Das ist für das Korsett sehr wichtig.«

»Und das wird bessere Ergebnisse bringen?« Es war dem Herzog deutlich anzumerken, dass er Zweifel an den Maßnahmen hatte.

Marias Mutter schwieg, doch sie warf Maria einen deutlichen Blick zu.

Maria hatte die Tragweite ihres Fehlers schon erkannt, doch erst jetzt begriff sie, in welche Schwierigkeiten sie sich selbst und ihre Mutter gebracht hatte.

* * *

Das Telefon klingelte. Frederike meldete sich. Die Oberschwester wollte wissen, ob die Mädchen zum Mittagessen kämen. »Bringen sie die Beutel bitte in das Labor. Wir machen heute keine Mittagspause.«

»Ich hoffe, sie haben Recht.« Der Herzog verabschiedete sich. »Meine Frau erwartet mich zum Mittagessen.«

Kaum hatte sich die Tür geschlossen, als Marias Mutter sich zu den beiden Mädchen umdrehte. »Was habt ihr mir damit nur eingebrockt?« Eine Antwort erwartete sie allerdings nicht.

Es war den Mädchen anzusehen, dass sie ihr Verhalten bedauerten. Doch das änderte jetzt auch nichts mehr.

* * *

»Bringen sie die Mädchen bitte zur nächsten Behandlung.« Frederike reichte der Oberschwester einen Zettel. »Damit es diesmal keine Missverständnisse gibt.«

Die Oberschwester nahm das Papier entgegen und warf kurz einen Blick darauf. »Elektrische Massage und anschließend Training mit dem Schulterbogen.« Sie drehte sich zu den Mädchen um, die gerade von den Mittagsbeuteln befreit wurden. »Folgen sie mir bitte.«

Maria hätte gern gefragt, ob sie nicht das Blasenkorsett ausziehen dürfte, denn ihre Atmung war doch sehr anstrengend, und sie spürte schon einen ordentlichen Muskelkater in ihrem Brustkorb. Obendrein hatte die aus dem Beutel verabreichte Mahlzeit Platz beansprucht und damit den Druck auf ihren Bauch noch verstärkt. Doch ihr Mundverschluß verhinderte die entsprechende Frage.

Doch ihre Mutter schien trotzdem zu spüren, was ihre Tochter bewegte. »Die beiden Behandlungen werden kombiniert. Ich denke, ihr werdet damit klar kommen. Schließlich habt ihr gezeigt, dass ihr heftigere Behandlungen braucht.«

Maria seufzte leise vor sich hin. So nachtragend war ihre Mutter sonst nicht.

* * *

Maria keuchte, als sie die Elektroden an ihrem Körper spürte. Doch sie hatte keinen Einfluss mehr darauf, was mit ihrem Körper passierte. So langsam begann sie zu resignieren. Sie wusste, dass sie sich die Verschärfungen selbst zuzuschreiben hatte. Dazu kamen noch die so gemeinen Quälereien von Betty, gegen die sie sich ebenfalls nicht wehren konnte.

Ihren diesjährigen Aufenthalt hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Doch das größte Problem lag noch vor ihr. Sie musste einen Weg finden, wie sie Sarah die Angst vor ihrer Zukunft nehmen konnte. Im Moment hatte sie noch keine Idee, wie sie es machen sollte.

Ihr Atem ging kurz und heftig, als die Stromstöße anfingen. Es war nicht stark, gerade so, dass es die Muskeln lockerte und anregte. Doch dadurch, dass auch immer wieder ihr Korsett im Inneren über ihrem Bauch noch weiter aufgeblasen wurde und damit ihr Lungenvolumen sehr eingeschränkt war, musste sehr oft Luft holen. Sarah stand neben ihr und auch bei ihr zeigte der heftige Atem, dass es ihr ähnlich ging wie Sarah.

Eine Schwester passte auf sie auf und hatte den Auftrag, die Behandlung abzubrechen, falls es Probleme mit dem Korsett geben sollte.


Nach einer Stunde trat Betty in den Behandlungsraum und schickte die Schwester hinaus. »Ich soll dich ablösen, sagt die Oberschwester.«

Die Krankenschwester war sichtlich erleichtert, den Raum verlassen zu dürfen. Ihr taten die beiden Mädchen leid, die hier von den Maschinen gleich doppelt gequält wurden.

Doch kaum hatte sich die Tür hinter der Schwester geschlossen, als Betty sich an das Bedienpult setzte und sehr interessiert auf die Knöpfe schaute.

Maria ahnte, was kommen würde, doch sie hatte keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Sie hörte, wie Sarah laut aufstöhnte und gleich darauf spürte auch sie einen heftigen Stromstoß, der sie zusammen zucken ließ. Maria blickte zu Betty und sah, dass die Schwester mit einem breiten Grinsen vor dem Bedienpult saß und zu Sarah blickte.

Maria folgte dem Blick, und neben Sarah schmerzverzerrtem Blick glaubte sie ab und zu so etwas wie einen verliebten Blickwechsel zwischen Sarah und Betty zu sehen.

* * *

»Wie lange müssen die Mädchen noch?« Die Oberschwester trat in den Raum und trug dabei zwei Geräte, die auf den ersten Blick aussahen wie Armbrüste.

»Sind gleich fertig.« Betty drehte sich zu ihrer Vorgesetzten um.

»Was machen sie denn hier?« Die Oberschwester war erstaunt.

»Tina hat mich gefragt, ob ich sie ablösen kann.« antworte Betty. »Sie sagte, sie hätte es nicht ausgehalten.«

Die Oberschwester blickte zu Sarah und Maria und war erstaunt, als sie Spuren von Tränen in den Gesichtern sah. »Die Mädchen haben ja geweint.« Sie begann die Riemen zu lösen. »War es so heftig?«

»Ich habe versucht, sie zu trösten.« Betty war aufgestanden und half mit, die Riemen zu lösen.

Zuerst war Maria entsetzt über die Verlogenheit von Betty, doch dann beobachtete sie einen intensiven Blickwechsel zwischen Sarah und Betty. Es lag fast so etwas Verliebtheit in diesem Blick, und auf einmal hatte Maria begriffen, was die beiden Frauen verband. Das tröstete sie allerdings nicht darüber, dass sie selbst auch unter Betty süßen Quälereien zu leiden hatte.

»Machen sie bitte die Elektroden ab, ich bereite die Bögen vor.« Die Oberschwester legte die Bögen auf den Tisch und hantierte daran herum.

Betty löste zunächst die weiteren Riemen, dann öffnete sie Sarahs Handschuh und befreite ihr die Arme.

Zu Marias Erstaunen versuchte Sarah, auf Betty einzuschlagen, doch Betty ignorierte dies. Stattdessen wandte sie sich an die Oberschwester. »Sind die Bögen bereit? Die Patientin gibt sich renitent.«

»Das haben wir gleich.« Die Oberschwester trat an Sarah heran und mit sicherem Griff zog sie ihre Arme auf den Rücken. »Legen sie ihr den Bogen um den Hals.«

Betty nahm den Bogen vom Tisch und ordnete die Teile, die sich in Form eines strengen Halskorsetts um den Hals der Patientin legen würden. Damit trat sie auf Sarah zu und legte ihr das Gebilde um den Hals.

»Machen sie es ruhig richtig fest zu.« Die Oberschwester wartete, bis Betty das Halskorsett vollständig geschlossen hatte, dann hob sie Sarahs linken Arm und befestigte ihn mit einer Lederschelle und einem Riemen am rechten Teil des Bogens. Ebenso wurde Sarahs rechter Arm am linken Bogen befestigt. Dann wurden beide Riemen durch die Schnallen an den Enden des Bogens kräftig angezogen, so dass sich der Bogen stark durchbog und somit Sarahs Arme hinter ihrem Rücken kraftvoll über Kreuz zog und dabei ihre Schultern zurückzog und ihren Brustkorb weitete.

»Was soll denn das?« Der Herzog stand auf einmal im Behandlungszimmer.

»Das sogenannte Armbrust-Training wird nach der Elektro-Massage durchgeführt.« Die Oberschwester ließ es sich nicht nehmen, den Zweck der Geräte selbst zu erläutern. »Die Muskeln sind gelockert, und jetzt werden sie durch die Bögen an die Gebetshaltung gewöhnt.« Sie drehte sich zu Betty. »Legen sie Maria den Bogen an.«

Maria zitterte etwas, als Betty auf sie zu kam. Diesen Bogen kannte sie bisher nicht, weil das Gebet auf dem Rücken bisher kein Bestandteil des Programms war. Als sie Bettys grinsendes Gesicht sah, ahnte sie, dass es nicht einfach werden würde.

Ein Halskorsett trug Maria gern, weil es ihr allein durch das Festhalten ihres Kopfes ein großes Gefühl von Hilflosigkeit vermitteln konnte. Doch hier hatte es vor allem die Aufgabe, dem Bogen genügend Halt zu geben, dem Bogen, der ihre Arme so konsequent in die geforderte Richtung ziehen würde. Maria wusste noch nicht, wie es sich wirklich anfühlen würde.

Betty grinste noch mehr, als sie Marias Arme an dem Bogen befestigte, so wie sie es zuvor bei Sarah getan hatte. »Sag ruhig, wenn es zu fest ist.« sagte sie in einem sehr höflichen Ton. Doch ihrer Miene war anzusehen, dass sie es erstens nicht ernst meinte und zweitens sie sich an dem Leiden ihrer Patientinnen ergötzte, zumindest so lange es die Oberschwester nicht mitbekam.

»Sind die Bögen eigentlich verstellbar?« Der Herzog schaute sehr genau auf das Gestell, welches Sarahs Arme auseinander zog.

»Die Breite lässt sich ein wenig verändern.« Die Bögen sind flexibel und biegen sich, wenn ich die Riemen anziehe. So werden die Arme unter Spannung gehalten.« Betty hatte ein Zittern in der Stimme.

Der Herzog schaute Betty fragend an.

»Ja, ich stelle es auf das Maximum.« Betty stöhnte ein wenig, doch insgeheim freute sie sich auf die zusätzliche »Qual«, die sie Sarah zukommen lassen konnte.

»Bei Maria bitte auch«, forderte der Herzog. »Ich habe gehört, für sie ist das Tragen des Gebetes auch sehr wichtig.« Er drehte sich zu Maria.

Maria wollte aus einer gewissen Ehrfurcht heraus antworten, doch dann bemerkte sie ihren versiegelten Mund, und sie versuchte ein Nicken anzudeuten. Doch dabei stellte sie fest, wie gut das Halskorsett ihren Kopf fest hielt. Sie blickte den Herzog schließlich nur an.

Betty kam ihr unerwartet zu Hilfe, weil sie spürte, dass der Herzog noch auf die Antwort wartete. »Sie kann nicht antworten und den Kopf auch nicht mehr bewegen.« Ihre Augen leuchteten dabei fast verräterisch.

Doch der Herzog hatte für solche Signale keine Augen. Zufrieden verließ er den Raum.

Die Bögen, die die Mädchen jetzt um den Hals trugen, waren genau nach Bettys Geschmack. Sarah und Maria hatten bei dieser Behandlung zwei Möglichkeiten. Entweder ihre Arme wurden vom Bogen in Richtung der Gebetshaltung gezogen oder sie wandten Kraft auf, um sich gegen den Bogen »aufzulehnen«. In beiden Fällen wurden ihre Arm und Brustmuskeln trainiert und der Brustkorb geweitet.

* * *

Frederike kam zu Beginn der Kaffeepause persönlich vorbei, um sich von der neuen Therapie selbst zu überzeugen. »Wie geht es unseren Prinzessinnen?« Die mitgebrachten Beutel mit der Kaffee-Mahlzeit legte sie auf den Tisch.

Betty fühlte sich zu einer Antwort befugt. »Es sieht noch zu leicht aus. Wir müssten zwischen den Ellenbogen irgendwie noch Federn anbringen.«

Die Mädchen warfen Betty böse Blicke zu.

»Ich frage mal meine Techniker, ob sich da etwas machen lässt.« Sie zeigte auf die Beutel. »Bitte machen sie jetzt Pause.«

»Die Mädchen könnten doch die Bögen weiter tragen bis zur nächsten Behandlung.« Betty hatte Mühe, ihre Begeisterung zu verbergen.

»Sie kennen die Mädchen ja gut.« Frederike war mit Bettys Vorschlag einverstanden. »Machen sie, was sie für richtig halten. Aber bitte passen sie auf, wenn es den Mädchen zuviel wird.«

Maria schaute entsetzt auf ihre Mutter. Doch sie wusste, dass sie sich gegen ihr aktuelles Schicksal nicht wehren konnte. Und ihre Mutter vertraute ihr im Moment anscheinend nicht mehr als ihrem Personal.

Marias Mutter verließ den Raum.

* * *

Leonie verfluchte ihre große Klappe. Natürlich war es ein wichtiger Bestandteil ihres Traumes, auf ihre Stimme verzichten zu müssen, doch jetzt erfuhr sie, was dies wirklich bedeutete.

Sofort nach dem Aufstehen und gleich nach dem Bad stand Selma bereit, um ihr den Knebel anzulegen. Anfangs war es nur ein einfacher Ballknebel gewesen, doch schon bald hatte ihr deswegen der Kiefer sehr weh getan.

Selma war sehr aufmerksam gewesen und hatte Leonie genau darauf angesprochen. »Ich habe etwas Bequemeres für dich, wenn du möchtest.«

Leonie nickte erleichtert. So lange wie hier war sie noch nie geknebelt gewesen. Bisher war es immer nur ein Spiel gewesen und sie konnte es fast immer selbst beenden. Jetzt war es Ernst und sie spürte ihre Kiefermuskeln recht deutlich.

»Ich habe hier einen Muzzle-Knebel. Wenn du den trägst, dann kannst du deinen Mund viel weiter schließen und es wird bequemer für dich.«

Leonie nickte erleichtert.

»Allerdings hat der Knebel ein Geschirr rund um den Kopf.«

Leonie nickte weiterhin. Ein Kopfgeschirr war ihr lieber als ein weit aufgespannter Mund.

»Das Tragen eines Ballknebels kann man auch trainieren.« Selma liebte es, so auf diesen Registern zu spielen. »Es ist eine Frage der Gewöhnung.«

Leonie ließ sich brav das neue Geschirr anlegen, und sie musste zu ihrer Erleichterung feststellen, dass es wirklich leichter zu tragen war.

»Du kannst dann für uns den Tisch decken.«


Leonie freute sich auf die Mahlzeiten, denn dabei durfte sie ihren Knebel ablegen, weil sie versprochen hatte, kein Wort zu sagen. Doch viel zu gern hätte sie nach ihrer Zukunft gefragt und was wirklich auf sie warten würde.

Die Frage nach ihrer Befreiung jeden Morgen war immer schwerer zu beantworten, doch noch hatte Leonie Hoffnung, dass es nicht so schlimm werden würde.

»Morgen werde ich dich zum letzten Mal fragen, ob du meine Gefangene bleiben möchtest.« Selma legte ihr Besteck weg. »Wenn du erst die Ketten trägst, wird es kein Zurück mehr geben.«

Ihre Hände zitterten, als sie sich den Knebel wieder in den Mund steckte. Nur im Unterbewusstsein wusste sie, dass ihre Antwort morgen auch 'Ja' lauten würde.

* * *

Betty bat die Mädchen, ihr in den Aufenthaltsraum zu folgen. »Dort machen wir Pause.« Sie ging zum Tisch und griff sich die beiden Beutel.

Im Aufenthaltsraum angekommen bat Betty die beiden Mädchen, es sich gemütlich zu machen. Sie rollte zwei Infusionsständer heran und hängte die Beutel daran. Dann verband sie die Beutel mit den Schläuchen der Mädchen. Ihr Wimmern übersah sie dabei.

Maria wurde immer trauriger und wütender zugleich. Wegen der Prinzessin musste sie viel mehr leiden, als sie es sich bisher ausgemalt hatte. Sie wusste immer weniger, ob es richtig gewesen war, der Prinzessin bei der Schummelei zu helfen. Ihr Blick fiel auf den weißen Beutel, der neben ihr hing. Sie hatte sich damals auf der Hütte gefragt, wie es wohl sein würde, so schweigen zu müssen. Jetzt wusste sie es und wünschte sich, es etwas unbeschwerter genießen zu können. Doch in der aktuellen Situation war Genießen kein Thema. Es quälten sie zu viele Sorgen um die Zukunft. Und Betty hatte ebenfalls viel Spaß daran, sie zu quälen. Wobei letztere Qualen sich zwar eigentlich nur gegen Sarah richteten, doch sie spürte, dass Betty auch Spaß daran hatte sie in ihre Quälereien mit einzubeziehen.

Wobei sich Marias Wut nicht gegen Betty und auch nicht gegen ihre Mutter richtete, sondern ausschließlich gegen den Herzog, der für Sarah so eine ungewisse Zukunft bereit hielt.

* * *

»Wir sollten die Patientinnen jetzt befreien« Die Oberschwester war in den Aufenthaltsraum gekommen. »Die Geräte für die nächste Behandlung sind soeben frei geworden.«

»Was steht denn an?« Betty war aufgestanden und begann, die Mädchen von den Beuteln und den Bögen zu befreien. Doch gleich danach zuckte sie zusammen; die Oberschwester erwartete von ihren Untergebenen, dass sie über den jeweiligen Tagesablauf stets Bescheid wussten.

Doch zu ihrer Überraschung erklärte ihr die Oberschwester, das als nächstes wieder Aufenthalte in der Eisernen Lunge vorgesehen waren.

»Können sie mir bei den Handschuhen mit anfassen?« Sie warf einen Blick auf die Mädchen. »Ich glaube, sie könnten sich wehren wollen.«

»Kein Problem.« Die Oberschwester ahnte nichts von Bettys Intrigen. »Kann ich machen.«

Maria keuchte, als sie den festen Griff der Oberschwester spürte. Selbst wenn sie sich hätte wehren wollen, hätte sie keine Chance gehabt. Sie wurde so lange festgehalten, bis Betty ihr den Handschuh angelegt hatte.

Maria stöhnte, als sie die zunehmende Enge des Handschuhs spürte. Bisher hatte sie den Handschuh immer als etwas Positives und Begehrenswertes empfunden. Doch jetzt wurde er genutzt, um sie regelrecht gefangen zu halten und sie zu kontrollieren.

Es war eine neue Erfahrung für Maria, und wenn sie ihre aktuellen Probleme mit Sarahs Zukunft außen vor ließ, war es doch aufregend, nicht zu wissen, ob und wann sie wieder frei sein würde.

Mittlerweile trug auch Sarah wieder den Handschuh und Betty flüsterte der Oberschwester etwas ins Ohr.

»Wenn sie möchten, von mir aus gern.« Die Oberschwester grinste. »Aber ich habe das nicht angeordnet.«

Betty griff zu zwei Leinen, schnallte den Mädchen jeweils ein Halsband an und klinkte die Leinen ein. Dann zog sie die Mädchen hinter sich her.


Auf dem Weg zum Behandlungsraum liefen sie Marias Mutter über den Weg. »Betty, darf ich sie einmal um ein Gespräch bitten? Jetzt sofort.«

Sie schaute kurz zu den Mädchen, dann folgte sie ihrer Chefin in einen kleinen Raum. Maria und Sarah blickten sich verwundert an.


Als Betty zurück kam, griff sie wieder zu den Leinen und grinste. »Ich darf euch nicht hinter mir her ziehen wie Hunde an der Leine. Sie fände es besser, wenn wir nebeneinander gehen würden. Also lasst euch bitte nicht zurück fallen.«

Maria hatte sich von dem Gespräch der Schwester mit ihrer Mutter eine Verbesserung ihrer Situation erhofft. Doch lediglich das Ziehen an der Leine blieb ihnen erspart. Jetzt mussten sie sogar selbst darauf achten, dass sie auf gleicher Höhe mit Betty bleiben konnten. Das Gehen war anstrengend und Maria hatte den Eindruck, dass Betty extra schnell ging, obwohl sie wusste, dass Sarah in den Stiefeln immer noch sehr unsicher war.

Betty genoss ihre Machtposition, und es schien, dass sie auch bei der Oberschwester im Ansehen gestiegen war.

Maria war sichtlich froh, endlich im Behandlungsraum angekommen zu sein. Das Führen an der Leine hatte schon etwas besonders Demütigendes. Trotzdem hatte sie den Eindruck, dass es Sarah etwas weniger ausmachte. Im Gegenteil, sie schien jeden Moment, den sie mit Betty zusammen sein konnte, zu genießen, egal ob die Schwester ihre Patientin nun demütigte, sie quälte oder einfach nur da war.


Wie schon beim letzten Mal standen die beiden Geräte an den Längswänden des Raumes, und dazwischen konnte man durchgehen. Wenn Maria den Kopf drehte, dann konnte sie Bettys Kopf sehen. Doch es war einfacher, nur zur Decke zu sehen. Außerdem forderte die Maschine ihre volle Aufmerksamkeit, denn sie schien heute noch etwas stärker eingestellt als beim letzten Mal.

Maria erinnerte sich, dass zuletzt Betty noch einmal im Raum gewesen war und die Einstellungen der Maschine »geprrüft« hatte. Beim Hinausgehen hatte sie den Mädchen noch eine schöne Behandlung gewünscht. »Genießt es«, sagte sie hämisch, dann drehte sie das Licht herunter.

Nach einiger Zeit ging auf einmal das Licht im Raum wieder an und Marias Mutter betrat zusammen mit dem Herzogspaar den Raum. Maria hatte die Frau am Sonntag kennengelernt. »Die Herzogin möchte sich einmal einen Monohandschuh ansehen und da Sarahs Behandlung nicht unterbrochen werden darf, habe ich vorgeschlagen, dass du deinen vorführst.« Marias Mutter trat an die Maschine und stutzte. »Wer hat denn diese hohen Einstellungen veranlasst? Seid ihr wirklich schon so weit?« Sie schüttelte verwundert den Kopf. »Ich muss mal mit der Oberschwester reden.«

Sie schaltete Marias Maschine ab, wartete, bis die Motoren verstummten, dann öffnete sie die Maschine und half ihrer Tochter beim Aufstehen.

»Was sind denn das für interessante Stiefel?« Die Herzogin war von Marias Stiefeln fasziniert.

»Das sind Ballettstiefel«, erklärte Frederike. »Es erfordert aber viel Übung, um darin gehen zu können.«

Maria war sichtlich stolz.

»Und wo ist jetzt der Handschuh?« Die Herzogin gab sich etwas ungeduldig.

Maria hatte sich bisher frontal aufgestellt, jetzt drehte sie sich um ihre Achse und zeigte ihre verpackten Arme.

»Oh, das ist ja zauberhaft.« Sie drehte sich zu ihrem Mann. »Machst du mir bitte mal die Hände los? Ich denke, hier können wir es riskieren.«

»Es ist für eine Frau aus dem Hochadel sehr unschicklich, ihre Arme zu zeigen«, erklärte der Herzog, während er kleine Schnallen von Lederriemen in der Farbe des Kleides öffnete. »Es ist leichter für Marguerite, wenn sie gar nicht erst in Versuchung kommt.« Er zwinkerte ihr kurz zu.

Die Herzogin trat an Maria heran und blickte zunächst erstaunt auf die weiße Lederhülle, die die Arme umgab. »Darf ich sie einmal anfassen?«

Maria wollte höflich antworten, doch dann bemerkte sie wieder ihren Mundverschluß. Etwas hilflos blickte sie zu ihrer Mutter.

»Sie kann ihnen im Moment nicht antworten.« Frederike kam ihrer Tochter zu Hilfe. »Ihr Mundraum ist verschlossen«, fügte sie als Erklärung hinterher. »Natürlich dürfen sie sie anfassen.«

Maria spürte die Hände der Herzogin, die sehr fasziniert Marias Handschuh untersuchte. Schließlich trat die Herzogin wieder einen Schritt zurück. »Wie lange lässt sich der Handschuh so tragen?«

»Das kommt sehr darauf an, wie geübt die Trägerin ist.« Frederike antwortete für Maria. »Meine Tochter trainiert es schon seit mehreren Jahren.« Sie streichelte ihr zärtlich über den Kopf. »Vier bis fünf Stunden stellen für sie kein Problem dar. Stimmt doch, oder?« Sie blickte ihre Tochter fragend an.

Maria zögerte erst einen Moment, bevor sie ein Nicken andeuten konnte.

»Danach ist allerdings dringend etwas Gymnastik für die Arme nötig«, fügte sie noch hinzu.

»Könnte ich auch wieder damit anfangen?« Die Herzogin blickte zwischen Maria und ihrem Mann hin und her.

»Anfangen schon«, erklärte Frederike, »aber sie werden die Arme nicht mehr so weit zusammen bekommen. Es ist eine Frage der Beweglichkeit der Muskeln.«

Maria hätte sie gern über die Armtasche informiert, die sie auf der Hütte gesehen hatte, doch dies war ihr im Moment nicht möglich.

»Danke, das war sehr interessant.« Sie drehte sich zu ihrem Mann. »Machst du mir wieder die Arme wieder fest?« Sie lächelte etwas verlegen.

»Viele Frauen aus dem Hochadel lassen sich die Arme fixieren, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen.« erklärte der Herzog, als er die kleinen Riemchen wieder um die Handgelenke seiner Frau schloss.

Dann drehte er sich noch einmal zu Maria. »Vielen Dank, dass sie uns ihre kostbare Zeit geopfert haben. Ich wünsche ihnen alles Gute für ihre Zukunft und ein erfolgreiches Fest. Sie werden sicher eine schöne Braut werden.«

Maria wurde etwas rot. Doch dann musste sie wieder an die Sorgen denken, die bis dahin noch vor ihr lagen. Sie blickte zu ihrer Mutter.

Frederike wartete noch, bis die Tür hinter dem Herzogspaar wieder ins Schloss fiel, dann öffnete sie die Maschine und half Maria, sich wieder in die Behandlungsposition zu bringen.

Der Deckel schloss sich wieder und als Letztes strich sie ihrer Tochter noch einmal zärtlich durchs Gesicht. »Ich glaube, wir haben uns gerade ein paar Pluspunkte geholt.«

Bei Maria floss eine Träne der Erleichterung über das Gesicht. Ihre Mutter hatte »wir« gesagt. Wie gern hätte Maria jetzt mit ihrer Mutter geredet und ihr vor allem von der Armtasche berichtet, doch das schien warten zu müssen.

Frederike schaltete die Maschine wieder ein und drehte das Licht herunter, dann verließ sie den Raum.


In Maria keimte so etwas wie Hoffnung auf. Die Herzogin war wieder ganz nett gewesen. Vielleicht war es ja möglich, mit ihr über Sarahs Sorgen zu sprechen. Zumindest würde ihr das Gespräch mit der Herzogin leichter fallen als mit dem Herzog selbst. Außerdem hatte Maria so ein verdächtiges Funkeln in den Augen der Herzogin gesehen, als der Herzog ihr wieder die Fesseln anlegte.

Erst jetzt begriff Maria die wahren Dimension dessen, was sie gerade erlebt hatte. Eine brasiliasche Prinzessin war so gut wie immer gefesselt, entweder allein durch die gesellschaftlichen Konventionen, die Arme nicht zu zeigen, oder real, so wie sie es gerade bei der Herzogin erlebt hatte.

Ob Sarah bisher auch so ein Leben geführt hatte? Sie hätte sie jetzt gern gefragt, wie ihr Alltag ausgesehen hatte, doch als sie zu ihr hinüber blickte, sah Maria, dass sie die Augen geschlossen hatte. Vermutlich war sie eingeschlafen. Der Mundverschluß der beiden Mädchen hätte eine Unterhaltung ohnehin unmöglich gemacht, wie sich Maria wieder erinnerte.

* * *

Auch das Abendessen verzögerte sich, denn erst sollte die Behandlung in der Lunge abgeschlossen sein.

Maria fand es ohnehin etwas lächerlich, wegen der Beutel immer so ein Aufheben zu machen, doch die Oberschwester bestand darauf, die Pausen weitgehend einzuhalten wie vorgesehen.

So saßen sie zusammen am Tisch und sahen zu, wie sich langsam die Beutel leerten. Gern hätte Maria sich mit Sarah über ihren Alltag unterhalten, doch ihre Münder waren immer noch versiegelt.

Auf einmal war vom Flur her ein Stimmengewirr zu hören, und gleich darauf betraten neben der Oberschwester und Betty noch einige Pfleger das Zimmer.

Maria erstarrte fast, als sie sah, was die Pfleger in den Raum trugen. Viele graue Plastikrohre sowie zwei große Pakete aus Gummi. Sofort musste sie an das schöne Erlebnis mit dem Vakuumbett auf der Hütte denken.

* * *

»Betty, räumen sie bitte die Decken beiseite.« Die Oberschwester zeigte auf die beiden Betten. »Bitte hier auf den zwei Betten aufbauen.«

Maria wusste sofort, was passieren würde und wie sie die Nacht verbringen würden. Sie begann zu zittern.

Sarah schien nicht zu ahnen, was auf sie zu kommen würde.

»Die Chefin möchte eine neue Übernachtungstechnik ausprobieren.« Die Oberschwester wartete, bis Betty die Bettdecken im Schrank verstaut hatte. »Sie werden dann Wache halten, bis die normale Nachtwache übernehmen kann.«

»Aber mein freier Abend?« Bettys Abwehr war extrem schwach, doch die Oberschwester schien es ihr abzukaufen. Sie bemerkte nicht einmal, wie verräterisch Betty Augen leuchteten.

»Ist gestrichen.« Die Oberschwester gab sich resolut. »Und jetzt machen sie die Mädchen bettfertig.«


Als Maria von Betty aus dem Bad geschoben wurde, war nur noch die Oberschwester anwesend. »Ich zeige ihnen jetzt, wie diese neuen Betten funktionieren. Bei Sarah machen sie es dann selbst.« Sie bat Maria, sich zwischen die beiden Gummifolien zu legen, die jetzt auf ihrem Bett lagen.

Maria war der Anblick eines Vakuumbettes von der Hütte her noch wohl bekannt, nur dass hier die Folie leicht durchsichtig war. Sie hatte keine große Mühe, der Anweisung der Oberschwester nachzukommen.

»Mit diesem Reißverschluss schließen sie das Bett luftdicht ab.« Die Oberschwester zeigte Betty die dafür nötigen Handgriffe. Doch dann stutzte sie. »Halt, wir müssen erst noch die Schläuche nach außen führen, damit die Mädchen sicher Luft bekommen.« Sie zeigte Betty, dass es dafür eine extra Vorrichtung gab, die ebenfalls luftdicht abschloss.

»Jetzt schließen sie hier das Saugrohr an und stellen die Maschine an.« Sie reichte Betty einen Schlauch. »Die Maschine wird je nach Einstellung das Vakuum alle halbe Stunde erneuern.«

»Liegen sie bequem?«

Maria nickte.

»Bekommen sie gut Luft?«

Maria nickte wieder.

»Hier wird die Maschine eingeschaltet.« Die Oberschwester zeigte Betty den entsprechenden Knopf. »Es passiert alles automatisch. Sie müssten eigentlich gar nicht dabei sein.« Sie machte eine kurze Pause. »Aber die Chefin wünscht sich bei der ersten Anwendung eine Aufsicht.« Es war deutlich zu hören, dass sie die Anordnung der Chefin für überflüssig hielt.

Marias Herz schlug deutlich schneller, als sie das saugende Geräusch hörte. Wieder war so nach und nach überall an ihrem Körper das Gummi zu spüren, das sich an ihrer Haut festsaugte. Nur an ihren Brüsten und an ihrer Scham spürte sie nichts, denn dort war das Keuschheitsgeschirr im Weg.

Nur noch undeutlich drangen die Worte an ihr Ohr, als Sarah ebenfalls in das Bett verpackt wurde. Auch bei ihr setzte bald das saugende Geräusch ein, und gleich darauf wurde es still.

»Die Nachtwache wird sie um neun Uhr ablösen, bis dahin passen sie bitte auf die Patientinnen auf.« Die Stimme der Oberschwester war noch einmal laut zu hören, dann folgten Schritte und die Zimmertür schlug zu.

* * *

Sie waren allein.

Allein im Vakuumbett.

Maria war angespannt. Sie wartete darauf, dass sie jemand berühren würde. Sie zitterte leicht, doch ihre Bewegungen wurden fast vollständig vom Vakuum verborgen.

Vom anderen Bett war leises, aber lustvolles Stöhnen zu hören. Maria ahnte, was sie dort wohl abspielte. Betty saß bestimmt an Sarahs Bett und ergötzte sich an Sarahs vollständiger Hilflosigkeit. Und Sarah wurde durch Betty Berührungen immer heißer und erregter.

Maria sehnte sich nach einer Berührung. Nach Paul. Nach seinen so zärtlichen Händen. Sie war so angespannt, dass sie sogar die Fliege spürte, die sich zufällig ins Zimmer verirrt hatte und die auf ihrem Körper gelandet war.

Nur eine Hand.

Wenn sie doch nur eine Hand einmal berühren würde.

Sarahs Stöhnen wurde immer lauter. Maria schaffte es nicht, ihre Zimmergenossin auszublenden. Ihr Stöhnen heizte sie selbst noch mehr an.

Doch Erlösung fand Maria nicht.


Nach einem sehr gedämpften Schrei wurde es wieder still im Zimmer, und nach kurzer Zeit hörte Maria das Rascheln von Papier. Betty hatte sich vermutlich an den Tisch gesetzt und hatte sich etwas zu lesen mitgebracht. Wenn sie doch nur auch einmal an ihr Bett gekommen wäre.

Sarah war nach ihrem Höhepunkt, der nicht zu überhören war, bestimmt sofort eingeschlafen, doch Maria lag noch wach. Sie war viel zu erregt, um schlafen zu können.

Auf einmal war sehr leise die Tür zu hören und gleich darauf hörte sie ein Flüstern. »Wie geht es den Patientinnen?«

»Sarah schläft schon tief und fest.« hörte sie Bettys Stimme. »Ihre Tochter ist noch wach.«

Maria hielt den Atem an. Ihre Mutter war in ihrem Zimmer.

»Wie geht es dir, mein Schatz? Kannst du nicht einschlafen?«

Maria hörte die Worte ihrer Mutter deutlich, obwohl sie leise sprach. Sie versuchte ein Kopfschütteln, doch das Vakuum unterdrückte jede Bewegung.

»Der Herzog hat dies angeordnet, weil er es in einem Magazin gelesen hatte.« Die Stimme von Frederike wurde auf einmal sehr weich. »Paul fehlt dir sehr?« fragte sie unvermittelt.

Maria stöhnte laut auf.

Auf einmal spürte sie eine Hand auf ihrem Körper, dann noch eine zweite. Es war das Streicheln, was sie sich schon so sehnsüchtig gewünscht hatte. Das die Hände ihrer Mutter gehörten, war ihr mittlerweile egal.

Auf einmal waren es noch mehr Hände, und Maria fühlte sich wieder wie auf der Hütte. Obwohl sie wusste, dass ihre Mutter und Betty an ihrem Bett standen, schaffte Maria es, sich den Zärtlichkeiten vollständig hinzugeben. Es war ihr mittlerweile auch egal, dass ihre Mutter sie zu einem Orgasmus streichelte. Sie stöhnte laut auf und sank schließlich in sich zusammen. Gleich darauf war sie eingeschlafen.


»Das bleibt aber unter uns.« Frederike blickte Betty verschwörerisch an.

Betty musste erst schlucken, bevor sie antworten konnte. »Natürlich.«

»Wenn sie möchten, können sie Feierabend machen.« Frederike setzte sich an den Tisch. »Ich passe auf.«

»Wenn sie erlauben, würde ich auch gern noch da bleiben.« Betty war etwas verlegen.

»Sie sind in Sarah verliebt?« Es war zwar als Frage formuliert, doch eigentlich war es eine Feststellung von Marias Mutter.

»Wir verstehen uns sehr gut.« Betty war sehr rot geworden. »Aber ich weiß nicht, ob sie meine Gefühle erwidert.«

»Sie haben die Geräte verstellt und eine höhere Intensität eingestellt?« Frederike blickte Betty in die Augen.

»Ja«, Betty blickte zu Boden. Sie erwartete eine Standpauke. Doch zu ihrer Überraschung kam etwas anderes.

»Bitte behalten sie ihre Verantwortung gegenüber den Patienten im Auge.« Frederike legte ihre Hand auf die von Betty. »Wir dürfen uns im Moment keinen Fehler mehr erlauben.«

Betty blickte ihre Chefin verblüfft an. »Ja, natürlich.« ihre Augen begannen vorsichtig zu leuchten.

Freitag, 3. September 1984

»Guten Morgen Rosalie« Frederike meldete sich am Telefon. »Hier ist Frederike, Marias Mutter.«

Rosalie war verwundert. Sonst rief ihre Freundin immer selbst an. »Ist Maria etwas passiert?«

»Nein, es ist alles in Ordnung.« Frederike blickte kurz auf ihre Tochter, die neben ihr saß und sehr erfreut war, Rosalies Stimme durch den Lautsprecher zu hören. »Aus therapeutischen Gründen ist ihr Mund verschlossen.«

Rosalie war verblüfft. »Sie kann nicht reden?«

»Genau, nur ein wenig stöhnen geht noch.« Frederike hielt Maria den Hörer hin. Maria versuchte ein wenig Gag-Talk, aber es klang eher wie Morsen.

»Sie wird dir später berichten, was alles passiert ist.« Frederike hatte den Hörer wieder an sich genommen »Was gibt es bei euch Neues? Wenn ich das mal mit hören darf?«

Rosalie berichtete von den Ereignissen in Down Under. Allerdings hielt sie sich bei der Ausschmückung etwas zurück.


Nach einiger Zeit legten sie auf.

»Bist zu zufrieden?« Frederike blickte ihre Mutter fragend an.

Maria nickte und freute sich, dass sie trotz ihrer Restriktionen, die sie im Augenblick umgaben, mit Rosalie Kontakt halten konnte.

Heute Morgen beim Aufwachen sah das noch anders auf. Mitten in der Nacht war Maria wach geworden und brauchte erst einige Zeit, bis ihr klar wurde, wo sie war und warum sie sich nicht bewegen konnte. Bis zum Morgen hatte sie gegrübelt, wie sie ihrer Mutter klar machen konnte, dass sie mit Rosalie telefonieren musste, weil ihre Freundin sich sonst Gedanken machen würde. Doch ihre Mutter schien über das wöchentliche Ritual informiert zu sein, denn gleich nach dem kurzen Frühstück bat sie Maria zu sich und begann die lange Nummer zu wählen.

* * *

»Damit wissen sie, welch wichtiger Tag heute ist.« Frederike beendete die kurze Dienstbesprechung im Schwesternzimmer. »Aber kein Wort davon zu den Patientinnen.« Sie warf Betty einen warnenden Blick zu. »Und jetzt versuchen sie bitte bis dahin, ganz normalen Dienst zu schieben.«

Die Oberschwester wartete, bis ihre Chefin den Raum verlassen hatte, dann nahm sich den Dienstplan zur Hand und teilte die Aufgaben ein. »Betty, sie bringen Sarah und Maria in die Orthopädie und bleiben bei ihnen. Bei dem, was ansteht, ist eine helfende Hand sehr hilfreich.«

Betty machte sich sofort auf den Weg.

»Na, fertig mit telefonieren?« Betty grinste Maria an. Natürlich wusste sie, dass sie keine Antwort bekommen würde, doch es machte ihr immer mehr Spaß, sich an der Hilflosigkeit der Mädchen zu ergötzen.

Als Antwort stand Maria einfach auf und blickte Betty nervös an.

Sarah stand nachdenklich am Fenster, jetzt drehte sie sich ebenfalls um und seufzte, als Betty sie bat, ihr zu folgen.

Maria wusste noch nicht, was sie von dem Kommenden zu halten hatte. Ihre Mutter hatte ihr gestern nach der Eisernen Lunge noch kurz angedeutet, dass sie die heutige Behandlung gern einigen Studenten vorführen würde, und dafür wollte sie das Einverständnis von Maria und Sarah haben. Die Prinzessin war zunächst wenig begeistert, und erst als Frederike ihr erklärte, dass sie eine Haube tragen würde und sie keiner erkennen würde, war sie auch einverstanden.


Als die Mädchen hinter Betty den Raum betraten, fielen ihnen sofort die außergewöhnliche Einrichtung auf. Einige Stühle standen auf der einen Seite und die zusätzliche Schreibfläche zum Herunterklappen ließ erahnen, dass dort die Studenten sitzen würden. Gegenüber standen ein Tisch und ein Gebilde wie ein Reck aus der Turnhalle. Um das Reck gab es einen Vorhang zum zuziehen.


»Bitte kommt zu mir.« Betty wedelte mit einem Schlüssel. Sie nahm ihnen zunächst die Keuschheits-BHs ab, dann reichte sie ihnen die Ruderhandschuhe. »Das kennt ihr ja schon.« Sie grinste.

Während die Mädchen sich mit den Handschuhen abmühten, nahm Betty die waagerechte Stange vom Reck und bat die beiden, sich daran zu befestigen. Während Betty ihnen die Stange hinhielt, fädelten beide ihre Handschuhe über das Ende der Stange.

Sie hängte die Stange wieder an das Reck, so dass die Mädchen ihre Arme bequem vor dem Körper halten konnten, die Oberarme waagerecht, die Unterarme senkrecht nach oben. »Die Oberschwester hat gesagt, dass so der Brustkorb optimal geweitet wird.« Eine Reaktion erwartete sie nicht.

Danach zog sie ihnen die Hauben über und zog sie fest. »So, fertig.« Sie zog den Vorhang vor und verlies den Raum.

Gleich darauf war ein nervöses Geschnatter zu hören. Viele Frauenstimmen und ein paar wenige Männerstimmen. »Bitte nehmen sie Platz, damit wir gleich beginnen können.« Maria erkannte die Stimme ihrer Mutter.

Das Geschnatter im Raum wurde weniger. »Möchten sie ein paar einleitende Worte sagen?« Frederike schien mit dem anwesenden Orthopäden zu reden.

Dieser stellte sich kurz vor, dann begann er mit seinem Vortrag:

»Unsere Klinik forscht an vielen neuen Methoden, die neben der Korrektur von pathologischen Befunden auch der Schönheit dienen, aber auch der Steigerung der sportlichen Leistungsfähigkeit mit legalen Mitteln, ohne Doping, nur mit physischem Training.

Für Leistungssportler ist eine große Lungenkapazität von Vorteil. Viele Sportler trainieren daher in den Bergen in großen Höhen, wo der Sauerstoffgehalt der dünneren Luft sie zu vermehrter Atemanstrengung zwingt. Wenn sie so in den Bergen ihre Lungenkapazität erhöhen, haben sie zurück im Tal einen ganz legalen Vorteil gegenüber anderen Sportlern.

Eine weitere Möglichkeit zur Unterstützung des Lungentrainings ist die Verwendung eines aufblasbaren Taillenkorsetts, welches die Bauchatmung reduziert oder gar ganz unterbindet. Die Trainierenden müssen dann mit vermehrter Anstrengung über den Brustkorb atmen, den sie im Laufe des Trainings weiten und somit ihre Lungenkapazität vergrößern. Wird das Taillenkorsett dann entfernt , so haben sie den Bauchraum zusätzlich wieder für die Atmung zur Verfügung. Wir hoffen, diese Methode bald zusammen mit Sportlern zu erproben.

Dieses Training kann aber auch für die Schönheit eingesetzt werden, wie wir ihnen gleich anhand unserer ersten freiwilligen Probandinnen demonstrieren werden. Bei Ihnen soll das Taillenkorsett gerade nicht entfernt werden, denn sie wünschen sich beide eine schmale elegante Taille. Je mehr sie ihre Brustatmung ausbauen, desto enger können sie in der Taille geschnürt werden, und obendrein wirkt die Brustatmung im passenden dekolletierten Kleid überaus attraktiv.

Die Atmung über den Brustkorb ist zu Beginn recht anstrengend und kann auch Kopfschmerzen verursachen, da die Rippen sich dehnen müssen und an den Knorpelteilen des Brustkorbs nachgeben müssen.

Um nun die Beweglichkeit des Brustkorbs zu entwickeln, haben wir diese Korsetts hier mit aufblasbaren Kammern entwickelt, ähnlich den Hosen für eine Lymphdrainage.

Hier sehen sie die große Bauchblase, die nach Schließen des Korsetts so fest aufgepumpt wird, dass die Bauchatmung unterbunden wird. Und oberhalb sehen sie weitere ringförmige Kammern um den Brustkorb.

Ich lasse sie beide herumgehen, bitte reichen sie sie zügig weiter.«

Er reichte einer Studentin in der ersten Reihe eines der angesprochenen Korsetts.

»Wie bei der Lymphdrainage werden diese Kammern wellenförmig von unten nach oben aufgepumpt, um dem Brustkorb eine so kräftige Massage zu verpassen, wie sie mit Händen gar nicht möglich wäre. Wir können sowohl eine Kompressionswelle von unten nach oben durchlaufen lassen wie auch nacheinander alle Kammern zu maximaler Kompression des Brustkorbes aufpumpen. Sozusagen das Gegenteil der Eisernen Lunge, die wir sonst zu diesem Zweck auch benutzen.

Hinter dem Vorhang werden unsere zwei Freiwilligen vorbereitet. Da sie zum Anlegen der Korsetts nackt sein müssen, werden sie hinter dem Vorhang vor Blicken geschützt, bis wir ihnen die Korsetts umgelegt haben. Wenn sie alle die Korsetts zum Anschauen haben durchgehen lassen, dann können wir beginnen.«


Als sich der Vorhang öffnete, sahen die Studenten, dass die Korsetts vom Unterrand der Taille bis über die Brüste rechten. Der obere Teil des Brustkorbs blieb aber frei. Die Mädchen waren durch Luftschläuche mit den Steuerkonsolen verbunden, an denen der Arzt jetzt ein paar Knöpfe drückte. »Zunächst blasen wir die Bauchkissen auf.«

Ein Zischen war zu hören. Maria und Sarah rissen die Augen auf. Sie atmeten schwer und ihre Brustkörbe weiteten sich.

»Wir beginnen nun langsam mit einer Einzelsequenz von unten nach oben. Mit jedes Mal einem Plopp werden – von außen nicht sichtbar – die inneren Ringkammern nacheinander einzeln aufgeblasen.«

Die Mädchen stöhnten bei jedem Ring. Sie waren dankbar für den Mundverschluß, den sie immer noch trugen.

Nach fünf Minuten ging es weiter. »Nun werden wir die Kammern additiv befüllen und den Brustkorb komprimieren.«

Die Zuschauer konnten sehen, wie die Mädchen erschauerten und sich mit ihren aufgefädelten Handschuhen festhielten.

»Ebenso können wir alle Kammern gleichzeitig komprimieren und wieder ablassen, und so einen externen Atemrhythmus vorgeben.«

Beide Mädchen spüren, wie sie immer wieder wie von einer großen Faust zusammengedrückt und wieder losgelassen wurden; immer wieder wurde die ganze Luft aus ihren Lungen gepresst, und in den kurzen Entlastungspausen schnappten sie nach Luft.

Die Kompressionswelle übertrug sich jedoch auch auf ihre Unterleiber und führte dort zu steigender Erregung.

Als die Geräte noch weiter hochgefahren wurde, hörte man von beiden einen gedämpften Schrei durch die Nasenlöcher ihrer Hauben, und beide kollabierten in einem gewaltigen Orgasmus, während sie mit den Händen an den Stangen hingen.

Die Maschinen wurden ausgeschaltet und der Vorhang wurde wieder geschlossen. »Nun, wie sie sehen und hören konnten, hat diese Behandlung, so harsch sie erscheinen mag, durchaus auch ihre angenehmen Seiten, die für die erlittene Mühsal entschädigen…«

Leichtes Gelächter war im Saal zu hören sowie das obligatorische Klopfen auf den Tischen.

* * *

Frederike saß im Büro, als der Herzog bei ihr vorstellig wurde. »Ich hätte eine Bitte. Heute Nachmittag kommt Sarahs zukünftiger Mann, und da wäre es gut, wenn Sarah ihn ohne den Mundverschluß begrüßen könnte.«

Marias Mutter war erleichtert. »Ich wollte sie auch um ein Gespräch bitten aus einem ähnlichen Grund. Für Maria wäre es heute auch sehr wichtig, dass sie den Mundverschluß ablegen kann.« Frederike war erleichter, das sich diese heikle Thema so leicht erledigen ließ.

»Waren die Maßnahmen erfolgreich?« Der Herzog zeigte ehrliches Interesse. »Immerhin waren die Verschärfungen doch recht heftig.«

»Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Sarah wird es schaffen.« Frederike nahm einen Kalender zur Hand. »Wir machen dann am Montag Morgen weiter.«

»Darf Maria dann den Mundverschluß wieder tragen?« Der Herzog hatte bemerkt, dass Frederikes Tochter seiner zukünftigen Schwiegertochter gut tat. »Für Sarah möchte ich darum bitten, weil mein Sohn schon wieder am Sonntag Abend abreisen muss.«

»Das lässt sich machen.« Frederike wusste allerdings noch nicht, wie sie es Maria beibringen sollte. »Wir werden dann auch entscheiden, ob die zweite Verschärfung noch durchgesetzt werden soll. Im Moment möchte ich es noch offen lassen, weil es doch sehr drastische Maßnahmen sind.«

Der Herzog war einverstanden.

* * *

Nach den Mittagsbeuteln war es dann soweit, sowohl Sarah als auch Maria bekamen ihr erstes Gebet als Langzeittraining. Es war geplant, dass sie es mindestens vier Stunden tragen sollten.

Marias Augen leuchteten vor Freude. Endlich war es soweit und die Schinderei die Woche über wurde jetzt endlich belohnt. Doch dann fiel ihr Blick auf Sarah, die sich anscheinend gar nicht freute. Maria ahnte, was sie bewegte, doch sie konnte sich immer noch nicht mit ihr unterhalten, da ihre beiden Münder noch versiegelt waren.


Nach einiger Zeit, Maria schätzte es auf höchstens zehn Minuten, betrat Betty den Raum. Sie trug zwei Augenbinden und zwei kleine Kästchen bei sich. Genüsslich setzte sie sich neben Sarah und nahm aus dem kleinen Kästchen zwei Ohrstöpsel. Sie steckte sie Sarah vorsichtig in die Ohren, und als Sarah ihren Blick nicht mehr wandte, als sie etwas sagte, war die Schwester zufrieden. Als nächstes legte sie ihr die Augenbinde an.

Maria sah, dass sie sich wehren wollte, doch der Prinzessin blieben zur Abwehr nur noch die Beine.

Als Antwort darauf nahm Betty noch ein Paar Lederriemen und schnallte ihre Beine an den Stuhlbeinen fest.

»So, fertig.« Sie blickte zu Maria. »Bis gleich.«


Maria verstand zunächst überhaupt nicht, was passiert war und warum sie nicht ebenfalls von Betty isoliert worden war, zumal Betty alles in doppelter Ausführung dabei hatte. Doch dann begann sie zu begreifen. Sarah sollte glauben, dass Maria ebenfalls blind und taub sei. Doch wozu?

Die Antwort bekam Maria nach wenigen Minuten. Sie hörte die Stimme ihrer Mutter schon vor der Tür. »Es ist alles vorbereitet.« Sie betrat den Raum und hinter ihr kam auch der Herzog herein. Sie legte den Finger auf den Mund und blickte ihre Tochter warnend an.

Marias Herz sank in die Hose, als sie erkannte, dass hinter ihrer Mutter der Herzog den Raum betrat und direkt auf Sarah zuging.

Die Prinzessin schien die Anwesenheit von Personen im Raum zu spüren, doch es gab nichts, was sie hätte machen können.

Der Herzog ging langsam einmal um Sarah herum, dann verließ er den Raum wieder.

»Maria, kommst du bitte?« Frederike bat ihre Tochter, ihr zu folgen.

Maria hatte weiche Knie, als sie aufstand. Warum machte ihre Mutter so etwas? Sie hatte Sarah verraten und Maria fühlte sich mitschuldig.


Im Nachbarraum waren schon alle anderen anwesend. Die Oberschwester, Sandy und Betty saßen schon an einem Tisch, der Herzog wartete, bis Frederike Platz genommen hatte, dann nahm auch er Platz.

»Maria, kommst du bitte zu mir?« Judith hielt ein Werkzeug in der Hand, welches Maria sofort als das Gerät zum Öffnen des Mundverschlusses erkannte. Gleich darauf nahm die Zahnarzthelferin ihr den Mundverschluß aus dem Mund.

»Warum hast du das gemacht?« Maria war so wütend auf ihre Mutter, dass sie gleich mit der naheliegende Frage heraus platzte.

Frederike wollte antworten, doch der Herzog stand auf und bat ums Wort. »Lassen sie mich das bitte erklären.« Er drehte sich zu Maria. »Nehmen sie bitte auf Platz, im Sitzen redet es sich leichter.«

Maria kam der Bitte nach, nicht ohne ihre Mutter noch einmal mit ein paar giftigen Blicken zu bedenken.

»Ich hatte ein langes Gespräch mit ihrer Mutter, und sie hat mir deutlich gemacht, dass meine 'Prüfungen' nicht geeignet sind, um Sarahs Leistung zu kontrollieren.« Er drehte sich zu Frederike. »Ich habe anscheinend so viel Druck aufgebaut, dass ihre Mutter sich gezwungen sah, die Flucht nach vorn zu ergreifen.«

»Die Zukunft der Klinik stand auf dem Spiel.« Frederike versuchte sich zu rechtfertigen.

»Und dafür hast du uns verraten?« Maria war die Empörung deutlich anzumerken.

»Ich konnte mich davon überzeugen, wie weit Sarah Ausbildungsstand wirklich ist« Der Herzog sprach weiter. »Ich bin mehr als zufrieden mit ihren Leistungen.«

Marias Herz sank ihr in die Hose. Sie waren einer Intrige auf den Leim gegangen.

»Fräulein Beller«, der Herzog wandte sich an Maria. »Ihre Mutter sagte mir, dass sie einen Verdacht haben, warum sich meine Schwiegertochter so verstellt.«

Frederike stand auf und setzte sich neben ihre Tochter, dann legte sie ihren Arm um sie. »Bitte fühle dich frei, über deinen Verdacht zu reden.«

Doch Maria zögerte. »Ich weiß nicht, ob das richtig wäre.«

Schwester Sandy kam ihr zu Hilfe. »Ich habe schon zugegeben, dass ich bei der Prüfung geschummelt habe, weil Sarah mich bestochen hat.«

»Ich bin ihr für die Ehrlichkeit dankbar.« ergänze der Herzog.

Maria zögerte immer noch.

»Mein Sohn ist schwul und Sarah hat Angst vor dem Zusammenleben mit ihm.« Der Herzog blickte Maria an, als er das sagte.

»Sie hat Todesangst.« Doch dann stutzte Maria und blickte auf. »Woher wissen sie das?«

»Es stimmt, dass ich von vielen gesellschaftlichen Zwängen umgeben bin.« Der Herzog seufzte. »Vieles kann nicht sein, weil es nicht sein darf. Trotzdem bin ich nicht blind.«

Maria hatte immer noch Probleme, der Situation zu vertrauen.

»Was meinen sie damit, Sarah hätte Todesangst?« Der Herzog war sichtlich betroffen.

Marias Mutter streichelte ihrer Tochter über das Gesicht. »Erzähle ruhig von deinen Beobachtungen.«

Maria hatte immer noch Probleme damit, ihre Beobachtungen und damit das Vertrauen von Sarah zu verraten. Doch schließlich hatte sie sich durchgerungen. »Ich werde ihr nicht mehr in den Augen sehen können.« Sie hob den Kopf und blickte den Herzog direkt ins Gesicht. »Sarah hat bei einer Gelegenheit gesehen, wie ihr Sohn seinen Diener sehr zärtlich und innig geküsst hat. Und dabei ist ein ganz gewisser Satz gefallen. 'Du wirst keinen Grund zu Eifersucht haben.'«

»Jetzt wird mir einiges klar.« Der Herzog schien erleichtert.

»Sarah hat Angst davor, dass sie irgendwie beseitigt wird; dass sie einen Unfall hat oder etwas Ähnliches.« Maria schilderte das Bild mit einem ausgebrannten Autowrack, welches sie deutlich vor sich sah.

»Es ist eine vertrackte Situation.« Der Herzog seufzte deutlich. »In Brasilien müssen sie sich die ganze Zeit verstecken. Ich kann mir schon gut vorstellen, dass Bertram seinen Freund nicht teilen möchte.«

»Ich habe auch eine Beobachtung gemacht.« Frederike räusperte sich. »Ich glaube, Sarah ist gerade dabei, ihr Herz verschenken. Ich habe einige sehr innige Blicke zwischen Sarah und Betty beobachtet.«

Alle Blicke richteten sich auf Betty, die auf einmal knallrot wurde.

»Aber damit wäre doch alles in Ordnung.« Der Herzog klang auf einmal recht optimistisch. »Solche Arrangements sind nicht unüblich im Hochadel.« Er berichtete kurz von seiner Tochter, die ein ähnliches Leben führte.

Maria nahm sich all ihren Mut zusammen. »Ich würde gern einmal mit Sarahs zukünftigem Ehemann reden.« Sie versprach sie viel davon. Außerdem hatte sie das Gefühl, gegenüber Sarah etwas gut machen zu müssen. »Wir müssen den Vieren irgendwie beibringen, dass wir ihr Zusammenleben organisieren können.« Erst jetzt realisierte Maria, dass sie hier mit dem Herzog zusammen saß und über ernsthafte Probleme diskutierte, während ihre Arme im Gebet auf dem Rücken gefesselt waren.

Der Herzog war damit einverstanden. »Ich werde am Wochenende einen Termin ausmachen.« Doch dann wurde er plötzlich ernst. »Dennoch, bis zum nächsten Freitag muss Sarahs Zukunft geklärt sein.« Was sonst passieren würde, ließ er offen.

»Sarah darf nicht erfahren, dass dieses Gespräch stattgefunden hat.« Frederike spürte, dass die Besprechung zu Ende war.

Der Herzog drehte sich noch einmal zu Maria. »Sie sind eine echte toughe Frau.« Dann wandte er den Blick zu Frederike. »Sie können wirklich stolz sein auf ihre Tochter.«


Nachdem der Herzog den Raum verlassen hatte, gab Frederike noch die Anweisungen, wie es nun weiter gehen sollte. »Maria, wir müssen dich wieder 'zurecht machen', sonst wird Sarah Verdacht schöpfen.«

»Was soll ich ihr denn sagen, warum das gemacht wurde?« Maria wollte zumindest eine Ausrede parat haben.

Marias Mutter sah sich genötigt, das weitere Vorgehen wirklich im Detail zu besprechen. Nur so konnte Maria den Gesamtplan dahinter erkennen. »Wir werden dir den Mundverschluß wieder einsetzen und dich zurück ins Zimmer bringen.« Sie blickte kurz zu Betty. »Sie werden ihr dann die Ohrstöpsel und die Augenbinde anlegen. Sarah wird später zuerst befreit und sie wird sehen, dass es dir genauso ergangen ist.«

»Und wenn ich mich verplappere?« Maria kämpfte mit ihrem schlechten Gewissen.

»Das werden wir zu verhindern wissen.« Frederike winkte Judith herbei.

Maria sah, was als nächstes passieren würde. Sie wollte noch eine für sie wichtige, aber heikle Frage stellen. »Darf ich den Mundverschluss behalten?« Sie lächelte verlegen. »Für Europa?« Sie blickte ihre Mutter bittend an.

»Wenn Paul den Schlüssel verwaltet, gern« Sie streichelte ihr über den Kopf.

Maria seufzte sehnsüchtig.

* * *

Immer wieder blickte Maria zur Uhr. Noch eine Stunde musste sie durchhalten, dann hatte sie die erste große Belastungsprobe überstanden. So langsam begannen ihre Arme weh zu tun.

Sie saß allein in ihrem Zimmer. Sie war froh darüber, dass Sarah nicht da war. Betty hatte sie zu einem Spaziergang abgeholt. So kam sie nicht in Versuchung, Sarah ihre Verfehlung zu gestehen, vor allem seit ihr der Mundverschluß abgenommen war.

Ihre Mutter betrat den Raum. Maria war zwar immer noch empört, doch sie wusste andererseits, dass sie ihrer Mutter keinen Vorwurf machen durfte.

»Ich bin sehr stolz auf dich.« Sie nahm ihre Tochter in den Arm. »Es war richtig, was du getan hast.«

Bei Maria liefen einige Tränen über das Gesicht.

»Es wäre sicher leichter, wenn Paul jetzt hier wäre.« Frederike wischte über Marias Wange.

Maria nickte unter leichtem Schluchzen.

»Ich glaube, da kann ich helfen.« Sie griff zum Telefon.

Maria schluchzte wieder etwas. Aber es würde ihr sicher helfen, wenn sie wenigstens seine Stimme hören würde.

Frederike wählte eine kurze Nummer und sagte dann nur ein Wort. »Jetzt.«

Gleich darauf waren Schritte zu hören. Schritte von mehreren Personen.

»Gehen sie nur hinein, sie erwartet sie.« Maria hörte die Stimme der Oberschwester.

Gleich darauf schob sich ein großer Blumenstrauß etwas schüchtern in den Raum. Hinter dem Strauß sah sie ein sehr vertrautes Gesicht.

»Paul!« rief Maria erschrocken, dann fiel sie in Ohnmacht.

* * *

Die letzte Nacht hatte Leonie sehr unruhig geschlafen. Immer wieder fragte sie sich, ob sie wohl das richtige tat. Sie hatte es immer wieder durchdacht und hatte die Seiten abgewogen. Auf der einen Seite lebte sie in einem Rechtsstaat, und eine solche Gefangenschaft wäre gegen jedes Recht und Frau Mohr, wenn sie denn ernst machen würde, käme dann in große Schwierigkeiten. Auf der anderen Seite war Paul, den sie schon kennengelernt hatte und der bei seiner Oma wohnte.

Wieder und wieder gingen Leonie die Worte durch den Kopf, die Frau Mohr ihr gegenüber ausgesprochen hatte. Sie würde sie heute zum letzten Mal fragen, ob Leonie ihre Gefangene sein mochte. Leonie hatte sich jeden Morgen vor dieser Frage gefürchtet, denn damit war Leonie wieder und wieder sich selbst gegenüber verantwortlich und sie konnte später nicht sagen, dass es keine Gelegenheit gegeben hätte, ihr Schicksal noch abzuwenden. Denn sie träumte schon ewig davon, sich jemand auszuliefern und sie spürte, dass Frau Mohr ihren Traum verwirklichen konnte. Zumindest nach dem, was sie bisher erlebt hatte.

Heute würde es die letzte Frage sein, danach wäre ihr Schicksal als Gefangene besiegelt. Heute war der Termin in der Schmiede, und sie würde dann für immer in Ketten gelegt. Für immer. Dauerhaft. Dieser Begriff war mehrfach gefallen, als sie in der Schmiede gewesen war zum Maßnehmen. Und sie hatte Doris kennengelernt, die anscheinend ein ähnliches Schicksal zu ertragen hatte, denn auch sie trug Ketten und verbrachte zudem ihre Freizeit in einem großen Käfig. Und die Ketten waren auch noch ein Geschenk ihres Verlobten.

Und Leonie hatte 'Ja' gesagt. Selbst als Frau Mohr die Frage wiederholt hatte und noch einmal gefragt hatte, ob sich Leonie der Konsequenzen ihrer Antwort bewusst war, blieb sie standhaft. Sie wollte eine Gefangene sein und bleiben.

Ihre Vernunft hatte Leonie zwar nicht ausgeschaltet, aber ihre Gedanken spielten auch nach ihrer Antwort noch lange mit der Frage, ob es wirklich richtig war, was sie getan hatte. Insbesondere dass die Ketten etwas Dauerhaftes wären, wollte sie nicht wahr haben, obwohl es ihr mehrfach gesagt wurde und sie auch bestätigt hatte, dass sie es verstanden hatte.

Jetzt stand sie in der Schmiede und war erstaunt, als ihr und Frau Mohr ein Glas Sekt zur Begrüßung gereicht wurde. Leonie trank es sofort aus, sie war sehr nervös. Sie wollte es erleben, wie ihr die Ketten angelegt wurden, dann würde sie schon erkennen, dass es eben nicht dauerhaft war.

Auf einmal spürte sie, wie sie müde wurde und zu gähnen begann.

Doris lächelte, als sie das sah. »Der Schlaftrunk wirkt schon.«

»Ein Schlaftrunk?« Leonie schreckte hoch. »Ich wollte doch sehen, wie ich in Ketten gelegt werde.«

Doris nahm Leonie in den Arm. »Glaub mir, es ist besser, wenn du das nicht siehst.«

Leonie nahm sich alle ihre Kraft zusammen und kämpfte gegen ihre Müdigkeit, doch es nutzte ihr nichts, sie sank einfach in sich zusammen.


»Sie wird wieder wach.« Herr Schwerterle blickte auf Leonie. »Seid ihr mit allem fertig?«

»Es passt alles.« Doris räumte die Werkzeuge weg. »Ich räume nur noch auf.«

Leonie schlug die Augen auf und sofort blickte sie auf ihre Hände, denn sie war verwundert, weil sie die Ketten überhaupt nicht spürte. Doch deutlich lagen zwei Metallmanschetten um ihre Handgelenke, die mit einer Kette verbunden waren.

Sofort schaute sich Leonie die Manschetten genauer an, doch nirgends entdeckte sie so etwas wie ein Scharnier oder ein Schloss.

Selbst Frau Mohr war angetan von der Arbeit. »Man sieht nirgends ein Schloss oder ein Scharnier.«

Herr Schwerterle blickte kurz auf Leonies Handgelenk. »Das haben sich meine Tochter und Theo ausgedacht. Wie es funktioniert, soll erst mal unser Geheimnis bleiben.« Er wandte sich an seine Tochter. »Doris, magst du die Ketten vorführen?«

»Sehr gern.« Doris grinste und trat auf Leonie zu. »Man kann die Kette hier teilen und zum Beispiel am Keuschheitsgürtel befestigen.«

Leonie blickte verblüfft auf ihren Keuschheitsgürtel. Auf einmal erstarrte sie. Das Schloss war verschwunden und an seiner Stelle saß jetzt nur noch ein silberner Knopf. Sie blickte Frau Mohr erstaunt an. Doch zu ihrem Entsetzen hatte Frau Mohr schon wieder ihr Knebelgeschirr in der Hand. »Leonie?« fragte sie nur und blickte sie erwartungsvoll an.

Leonie liefen ein paar Tränen über ihr Gesicht. So hatte sie sich das nicht vorgestellt. An Händen und Füßen trug sie jetzt Ketten, und an ihrem Keuschheitsgürtel waren die Schlösser durch etwas anderes ausgetauscht.

Frau Mohr verabschiedete sich. »Vielen Dank für die schöne Arbeit.«

»Ich freue mich, für sie arbeiten zu dürfen.« Er schüttelte ihr und Leonie die Hand. »Der Käfig wird erst Montag fertig, wir werden ihn vorbeibringen.«

»Das ist nett von ihnen.« Frau Mohr blickte kurz zu Leonie. »Sie freut sich schon.«

Doch Leonie musste schlucken. Für sie war auch noch ein Käfig bestellt?

»Es ist doch alles gut gelaufen.« Selma nahm Leonie in den Arm. »Jetzt hast du Zeit, dich an dein neues Leben zu gewöhnen.«

* * *

»Maria muss noch eine halbe Stunde in dieser Haltung bleiben« Frederike blickte zwischen Paul und Maria hin und her. »Dann hat sie die erste Woche Intensvtraining überstanden.«

»Wie kommst du denn hier her?« Maria war immer noch vöölig verblüfft, als sie wieder zu sich kam.

Paul musste zugeben, dass er das selbst nicht so genau wusste. »Meine Oma und deine Mrs. Potter haben mich in München in den Flieger gesetzt. Und vom Flughafen wurde ich abgeholt.«

»Na, ist mir meine kleine Überraschung gelungen?« Frederike lächelte.

Maria fand vor lauter Keuchen fast keine Worte. »Kleine...« Sie keuchte noch mal. »Kleine Überraschung?« Sie war immer noch fassungslos. »Ich hatte so sehr davon geträumt.« Ein paar Tränen liefen über ihr Gesicht, die Paul fast schon routinemäßig wegwischte.

»Doch jetzt muss ich etwas Wasser in den Wein gießen.« Die Stimme von Marias Mutter wurde ernst. »Du bist nicht ohne Grund hier.« Sie hatte sich zu Paul gedreht. »Ich wollte euch eigentlich das ganze Wochenende freigeben, damit ihr euer Wiedersehen feiern könnte. Doch die Ereignisse haben sich überschlagen.«

Maria fiel auf, dass ihre Mutter auf einmal ein sehr ernstes Gesicht machte. »Was ist passiert?«

»Ich hatte eine weitere Verschärfung eingeplant.« Frederike seufzte. »Und nachdem der Herzog mit seiner Frau darüber beraten hat, möchte er diese Verschärfung haben.«

»Und das bedeutet?« Maria blickte Paul besorgt an.

»Es gibt hier eine geschlossene Abteilung mit strenger Zugangskontrolle.« Marias Mutter seufzte. »Ihr werdet Montag dorthin verlegt.«

Paul und Maria blickten sich enttäuscht an. Maria liefen die Tränen über die Wange. Paul war hier und sie würde eingesperrt werden.

»Nun warte mal mit den Tränen.« Frederike nahm eine Mappe zur Hand. »Betty konnte ich als Betreuung für euch durchsetzen.«

Paul wischte Maria die Tränen weg. »Naja, dann kommt wenigstens Sarah auf ihre Kosten.« Sie grinste ein wenig.

»Und ich konnte auch durchsetzen, dass ein männlicher Pfleger mit in die Station einzieht.« Sie ließ ihre Worte wirken, doch noch begriffen die beiden nicht, was Frederike gerade erklärte. »Deswegen brauche ich Paul am Wochenende, weil er noch viel lernen muss, bis er euch gut betreuen kann.«

»Paul?« Maria war sprachlos. »Paul wird uns betreuen?«

»Mehr konnte ich beim Herzog nicht erreichen.« Marias Mutter blickte das Paar bedauernd an. »Ihr müsst euer Wochenende opfern.«

Maria war erleichtert. Es gab schlechtere Nachrichten. »Du hättest aber auch mal einen Ton sagen können.« Sie stupste Paul leicht in die Seite.

Doch bevor Paul antworten konnte, drängte sich Frederike dazwischen. »Er wusste nichts davon.«

»Und jetzt hätte ich noch ein Anliegen.« Sie griff zu einem Brief, den sie mitgebracht hatte. »Gleich wird Sabeth ankommen, das ist die Tochter von Herzog Breganza.«

Maria runzelte verwundert die Stirn.

»Sie möchte hier am Wochenende ihren runden Geburtstag feiern und dafür ist fast der gesamte Hochadel eingeladen.«

»Und was sollen wir dort?« Paul wäre jetzt gern mit Maria allein gewesen.

»Nun ja«, Frederike zögerte etwas. »Ich habe ein wenig von dem erzählt, was ihr auf der Hütte so erlebt habt. Die Prinzessin möchte euch deswegen kennenlernen.« Sie streichelte ihrer Tochter über den Kopf. »Ihr habt es ja wild getrieben auf der Hütte.«

Paul blickte Marias Mutter zunächst entsetzt an, doch dann erkannte er, dass sie es nicht ernst gemeint hatte. Er selbst war immer noch dabei, seine Eindrücke und neuen Gefühle entsprechend einzuordnen.

* * *

Sabeth und ihr Mann machten einen sehr sympathischen Eindruck. Sie waren aber nicht allein. Paula war stets an Sabeth Seite und Nicolas wurde von Monica, seiner Sekretärin begleitet.

Maria war etwas verwundert. Das Wiedersehen von Sabeth und ihrem Mann war wie das Treffen von Freunden. Eine gewisse Verbundenheit, aber keine wirkliche Nähe.

»Wir wollen ihnen gar nicht erst etwas vorspielen.« Nicolas blickte zu Maria, ihrer Mutter und Paul. »Ich bin zwar mit Sabeth verheiratet, doch mein Herz gehört Monica.« Er warf ihr einen vielsagenden Blick zu. »In Brasilien müssen wir uns verstecken, doch hier können wir etwas freier leben.« Er wandte sich zu Frederike. »Das haben wir ausdrücklich ihnen zu verdanken.«

Sabeth bemühte sich, ebenfalls Danke zu sagen. »Ich verstehe mich gut mit Nicolas, und wenn es sein muss, dann teilen wir auch gern ein mal ein Hotelzimmer. Aber mein Herz gehört Paula.«

Sowohl Paul als auch Maria waren sehr beeindruckt, wie gut die beiden Paare einander verstanden. »Eifersucht ist nie ein Thema?«

»Nie«, kam es aus beiden. Sie lachten kurz, dann erklärte Nicolas. »Wir wissen, dass es nur so funktionieren kann und dass wir gemeinsam die Wahrheit geheim halten müssen.«

Paula bestätigte. »Das schweißt zusammen.«

»Ich möchte mich bei euch allen bedanken, die ihr mir diesen Traum ermöglicht habt.« Sabeth wandte sich an Marias Mutter. »Ist es vorbereitet?«

»Wie sie es bestellt haben.« Frederike erklärte, dass sie ein Catering-Unternehmen beauftragt hatte. »Sie werden es um sieben Uhr liefern.«

Maria war für einen kurzen Moment enttäuscht, denn sie hatte auf einen Abend allein mit Paul gehofft. Doch dann dachte sie daran, wie sehr Sabeth wohl auf diese Gelegenheit gewartet hatte und wie glücklich sie allein durch Pauls Anwesenheit war. Sie beschloss für sich, dieses Opfer zu erbringen.

»Um sieben geht es los.« Frederike zwinkerte Maria und Paul zu. »Ihr wollt euch sicher noch umziehen.« Dann flüsterte sie ihrer Tochter etwas ins Ohr.

»Wirklich?« Maria war erstaunt. »Darf ich wirklich?«

»Aber natürlich.« Sie strich ihrer Tochter über den Kopf.

»Paul?« drehte sich mit einem Funkeln den Augen zu ihrem Freund um. »Kommst du?«

* * *

Nachdem die Klinik darauf eingerichtet war, ab und zu hohe Gäste zu beherbergen, stand eine kleine bescheidene Kleiderkammer für das Personal bereit. Paul fand dort einen weißen Smoking, und für Maria gab es ein schulterfreies Abendkleid. Der Smoking war der einzige, der Paul passte. Die Herren waren sonst eher größer als er.

»Du siehst echt toll aus.« Maria strahlte ihren Freund an.

»Du aber auch.« Paul wollte das Kompliment zurückgeben.

»Bei mir fehlt noch etwas.« Maria grinste etwas geheimnisvoll. »Hilfst du mir?«

* * *

Es waren viele vom Personal anwesend, als Sabeth ihre kleines Dankesfeier eröffnet, und alle hatten sich ein wenig in Schale geworfen. Doch der Star des Abends war Maria. Paul war zunächst über ihren Wunsch sehr verblüfft, doch nach einer ersten Schrecksekunde kam er ihrer Bitte gern nach und legte ihr einen weißen Monohandschuh an.

Wie üblich waren bei Maria von vorn nur die sich kreuzenden Riemen über der Brust zu sehen. Erst wenn sie sich seitlich drehte, war zu erkennen, zu welcher besonderen Haltung sie sich zwingen ließ. Aber nicht nur bei Maria zeigten ein paar Ketten auf dem Dekolletée an, dass auch einige der anderen Damen wohl so etwas Ähnliches wie einen Keuschheits-BH trugen.

Sabeth war sehr fasziniert von Marias Auftritt. Sie unterhielt sich lange mit ihr und Maria musste alles über das anstehende Fest berichten. Paul wich nicht von Marias Seite und gab sich sehr aufmerksam. Er half Maria beim Trinken und steckte ihr ab und zu auch etwas von dem leckeren Essen in den Mund.

»Den hast du dir aber gut erzogen«, scherzte Sabeth.

»Er kann mit dem Handschuh sehr gut umgehen.« Maria beugte sich zu Paul und küsste ihn kurz auf den Mund.

Frederike hatte ihre Tochter heimlich und mit sehr viel Stolz beobachtet. Jetzt fand sie es richtig, sich einzumischen. »Das sieht aber nach etwas Ernstem aus.« Sie kam näher.

Paul hatte zu seiner eigenen Überraschung überhaupt keine Hemmungen. »Wir heiraten in zwei Wochen.« Auch er strahlte. Doch erst jetzt erkannte er, mit wem er gerade sprach. Er zuckte ein wenig zusammen.

»Damit ist hoffentlich das Fest gemeint.« Frederike lachte etwas. »Sonst würde mir das etwas schnell gehen.«

»Nur dass ich auf dem Fest keinen Handschuh tragen werden, sondern das Gebet.« Maria war mittlerweile ziemlich überzeugt von ihren Fähigkeiten und sie wusste, dass sie jetzt vor allem noch Ausdauer zu trainieren hatte.

»Meine Kleine...« Sie streichelte ihr durch das Gesicht. »Ich bin sehr sehr stolz auf dich.«

* * *

Paul und Maria waren es mittlerweile gewöhnt, die Nacht zusammen zu verbringen und doch durch das Material des Keuschheitsgeschirrs getrennt zu sein.

Ihre Mutter hatte dafür gesorgt, dass etwas Sekt und zwei Gläser bereit standen, doch kaum hatte das Paar sich auf dem Sofa in der Gästesuite bequem gemacht, da war Maria auch schon in seinen Armen eingeschlafen.

Paul brachte sie vorsichtig ins Bett.

Samstag, den 4. September 1984

Frederike war mehr als zufrieden. Mit Maria und Paul lief es besser, als sie es je erhofft hatte. Sie konnte gleich prüfen, ob Paul auch in schwierigen Situationen zu ihrer Tochter stehen würde. Und das, was für die kommende Woche anstand, war gewiss nicht einfach.

Es war zwar nicht so, dass die Zukunft der gesamten Klinik auf dem Spiel stand, aber immerhin war der Herzog sehr einflussreich und es hatte auch schon Besprechungen mit dem Investor gegeben, bei denen deutlich gemacht wurde, dass Sarahs Vorbereitung auf die Hochzeit oberste Priorität zu haben hatte.

Frederike wusste, dass Maria einen guten Zugang zu Sarah gefunden hatte. Leider musste sie gestern ihre Tochter auf eine schwere Probe stellen, als sie dem Herzog Sarahs tatsächliche Fähigkeiten vorführte. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob das, was sie getan hatte, wirklich richtig war.

Sicher, sie hätte auch Maria die Augenbinde und die Ohrenstöpsel angelegt lassen können, doch so war es möglich, dass Maria von ihren Beobachtungen berichten konnte und es eine sehr offene Aussprache mit dem Herzog geben konnte.

Frederike wusste zu diesem Zeitpunkt schon, dass Paul im Flieger saß und in wenigen Stunden in der Klinik sein würde. Maria würde dann sicher sehr abgelenkt sein und ihr schlechtes Gewissen Sarah gegenüber würde dann nicht so ins Gewicht fallen.

Sie hatte sich von Paul gleich nach seiner Ankunft die richtigen Schlüssel für den Keuschheitsgürtel geben lassen, denn so konnte sie sicher sein, dass 'es' noch nicht so bald passieren würde. Andererseits hatte sie auch Vertrauen zu ihrer Tochter und zu so etwas Einschneidendem würde Maria sich nicht einfach so hingeben. Letzteres hoffte sie zumindest.

Es reizte sie natürlich, es so einzurichten, das das »erste Mal« in der Klinik quasi unter Aufsicht stattfinden zu lassen, denn das wäre für ihr Programm sozusagen die Krönung. Andererseits war ihr aber auch klar, dass sie das Paar nicht unter Druck setzen durfte. Immerhin lag noch eine sehr anstrengende Woche vor ihnen.

Nur ganz selten kamen Zweifel in ihr hoch, ob ihr Programm wirklich das leisten konnte, was die Auftraggeber erwarteten. Immerhin sollte es später ja vor allem bei unfreiwilligen Probandinnen angewendet werden.

Trotz allem blieb Paul ein ungeheurer Glücksfall, der in dieser Weise nicht planbar war. Sie hoffte nur, dass er auch kooperativ war, wenn Maria nicht dabei sein würde. Denn sie würde etwas Außergewöhnliches von ihm verlangen.

* * *

»Paul Mohr wäre dann da.« Ihre Sekretärin hatte ihn nach dem Frühstück abgepasst und ihn zum Büro der Chefin gebracht.

Paul trat etwas verunsichert ein. Er wünscht Marias Mutter einen guten Morgen.

Frederike erwiderte den Gruß. »Ich hoffe, du wirst es verstehen.« Sie war mindestens genauso nervös wie ihr Gegenüber. »Du bist im Moment hier als Teilnehmer an einem medizinischen Forschungsprogramm, an dem ich schon seit Längeren arbeite. Maria nimmt ebenfalls an diesem Programm teil.«

»Maria hat schon öfters das 'Programm' erwähnt.« Paul gab sich mutig. »Aber sie konnte oder wollte mir nicht sagen, worum es sich dabei handelt.«

»Sie weiß es nicht.« Marias Mutter wusste, dass dies ein ganz heikler Moment war. »Und ich möchte es dir auch nicht sagen.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Aber es wird euer Schaden nicht sein, wenn ihr daran teilnehmt.«

Paul blickte Frederike neugierig an. Er wagte weder eine Geste der Zustimmung noch eine der Ablehnung.

»Im Rahmen dieses Programms würde ich dich gern um einen umfassenden Gesundheitscheck bitten. Im Rahmen der Forschung brauche ich genaue Ergebnisse.« Sie hoffte, dass dies als Begründung ausreichen würde.

Paul musste etwas einmal schlucken, bevor er antworten konnte. »Wenn es der Forschung dient.«

Frederike griff zum Telefon. »Er ist einverstanden.« Dann legte sie wieder auf. »Die zuständige Ärztin wird dich abholen. Bis dahin kannst du im Aufenthaltsraum warten.«

Frederike wartete, bis Paul gegangen war, dann griff sie wieder zum Telefon. »Sagen sie bitte Schwester Betty, dass sie zu mir kommen soll.«

* * *

»Du sollst zur Chefin kommen.« Die diensthabende Schwester fand Betty, als sie zusammen mit Sarah am Tisch im Aufenthaltsraum saß.

Betty erhob sich seufzend. Zur Chefin befohlen zu werden bedeutete nie etwas Gutes, vor allem wenn es am Wochenende passierte, wo sie eigentlich frei hatte.

Doch zu ihrer Überraschung gab es diesmal keine Standpauke. Stattdessen fiel Betty sofort auf, dass ihre oberste Chefin ein sehr sorgenvolles Gesicht zeigte.

»Ich habe sie kommen lassen, weil sie zu Sarah einen sehr guten und direkten Kontakt haben.« Frederike begann mit ruhiger Stimme.

Betty rutschte etwas nervös auf ihrem Stuhl hin und her.

»Ich glaube sogar, dass ihre Fürsorge und ihre Kontakte für Sarah mehr als nur von dienstlicher Natur sind.«

Betty wurde rot und begann zu stottern. »Ich bin...« Sie schluckte. »Ich habe...«

»Ich erwarte eine klare Antwort.« Frederikes Stimme war auf einmal sehr ernst. »Sie sind in Sarah verliebt.«

Betty zuckte zusammen. Bislang hatte sie sich diese Frage selbst noch nicht gestellt. Sie zögerte ein wenig. Schließlich, als Frederike schwieg, rang sie sich zum einem 'Ja' durch.

»Ich habe mit dem Herzog gesprochen«, Frederike sprach bewusst langsam. »Und er würde eine solche Beziehung durchaus befürworten.«

Betty hob sehr verwundert den Kopf. »Er weiß davon?« Ihre Stimme zitterte.

»Er hat mir deutlich gemacht, dass die anstehende Hochzeit zwar ein gesellschaftliches, aber kein persönliches Ereignis ist. Zumindest nicht im dortigen Hochadel.«

Betty war sprachlos.

»Es wäre jetzt aber ganz wichtig, dass Sarah die Angst vor der Hochzeit verliert. Sie hat nichts zu verlieren, und es steht ihr eine glänzende Zukunft bevor.«

»Und ich?« Betty fragte sich, ob sie auch einen Platz in dieser Zukunft haben würde.

»Sarah braucht eine persönliche Dienerin, die rund um die Uhr an ihrer Seite ist.« Frederike war bemüht, neutral zu klingen. »Der Herzog wäre sehr erfreut, wenn sie diese Aufgabe übernehmen würde. Sie müssten allerdings diesen Job hier aufgeben.«

Die Worte erinnerten Betty daran, dass Sarah ja nur für eine begrenzte Zeit in der Klinik war. Eines Tages würde der Tag der Trennung kommen. Es sei denn, sie würde dieses Angebot annehmen.

»Sie müssen sich nicht sofort entscheiden.« Frederike ahnte, dass es für Betty keine einfache Entscheidung sein würde. »Bis zum Ende der Woche möchte der Herzog eine Antwort haben.«

Als Betty aufstand, zitterte sie am ganzen Körper.

* * *

»Bist du sehr böse, dass ich dir Paul weggommen habe?« Frederike blickte ihre Tochter verlegen an.

»Kein Problem«, Maria berichtete von der Nacht, die sie in Pauls Arme verbracht hatte. »Ich bin so froh, dass er hier ist.« Sie schaute ihre Mutter glücklich an. »Und heute Nachmittag habe ich ihn ja für mich.« Maria wusste von den Untersuchungen, denen Paul sich stellen musste.

»Ich freue mich, dass du mir mit dem Kleid helfen willst.« Frederike blickte kurz auf den Schrank, wo das Kleid auf dem Bügel hing. »Ich habe so meine Schwierigkeiten, auf meine Arme zu verzichten.«

»Oh, man gewöhnt sich sehr schnell daran.« Maria grinste. »Die anderen sind dann immer besonders aufmerksam.«

Frederike nahm das Kleid vom Bügel. »Das hier ist schon die ganz leichte Ausführung. Ein Arm wird entlang des Körpers getragen und der andere vor dem Bauch.«

Maria sah zu, wie ihre Mutter sich langsam in das Kleid zwängte. »Die Herzogin hat mir dazu geraten. Solange der innere Riemen nicht geschlossen wird, kann ich mich noch daraus befreien.«

Maria trat auf ihre Mutter zu und grinste.

»Maria, warum grinst du so seltsam?«

Maria griff kurz in das Kleid ihrer Mutter und schloss den angesprochenen Riemen.

»Maria«, Frederike war erbost, »mach mich sofort wieder los.«

Es klopfte. »Chefin, der Herzog wartet auf sie.«

»Ich komme sofort.« Frederike wollte sich nicht die Blöße geben. »Einen kleinen Moment noch.« Sie wartete, bis die Tür geschlossen war. »Maria, mach mich bitte los.« Doch als sie sich umsah, stellte sie fest, dass Maria verschwunden war. Sie seufzte innerlich. Sie mochte es überhaupt nicht, wenn sie keine Kontrolle über das Geschehen hatte.

* * *

Die Ketten hatten für Leonie noch einen Aspekt, mit dem sie gar nicht gerechnet hatte. Bei jeder noch so kleinen Bewegung wurde sie durch das metallische Geräusch daran erinnert, dass sie jetzt eine Gefangene in Ketten war.

Auch das Bett hatte sich für Leonie verändert. Die Ledermanschetten waren weg und stattdessen waren jetzt kleine Ketten in die Ösen eingehängt. Oma Selma musste dann nur noch Leonies Ketten in der Mitte öffnen und mit den Ketten am Bett verbinden.

Das bewirkte auch, dass Leonie beim Schlafen noch mehr als bisher an ihren neuen Status erinnert wurde.

»Heute Vormittag kannst du machen, was du willst.« hatte Selma ihr gesagt. »Damit du dich an die Ketten gewöhnen kannst.«

Leonie blickte sie verlegen an.

»Aber heute Nachmittag erwartete ich Gäste zum Kaffee und ich möchte, dass du uns bedienst.«

'Mit den Ketten?' hätte Leonie gern gefragt, doch sie trug schon wieder ihr Knebelgeschirr.

Doch Selma wusste auch so, was ihre Gefangene bewegte. »Du schaffst das auch mit den Ketten.«

Leonie seufzte. Heute Morgen wurde sie zum ersten Mal nicht mehr gefragt, ob sie weiter machen möchte mit ihrer Gefangenschaft. Doch zu ihrem Erstaunen fühlte Leonie sich nicht besser dabei. Zu drastisch waren die Veränderungen, die sich an ihrem Körper bemerkbar gemacht hatten. Die Schellen um die Hand- und Fußgelenke waren nicht mehr abnehmbar, zumindest hatte Leonie trotz intensiver Beobachtung nichts gefunden, was irgendwie auf ein Schloss oder ein Scharnier hindeutete.

Und an ihrem Keuschheitsgeschirr waren die Schlösser entfernt und durch so etwas wie silberne Knöpfe ersetzt, die ebenfalls keine Möglichkeit zum Öffnen zeigten.

So langsam begriff sie, dass ihr Körper anscheinend nicht mehr ihr gehörte und dass Pauls Oma mehr und mehr über ihr Leben bestimmte. Doch dann hielt sie in ihren Gedanken inne. War nicht das genau das, was sie sich immer gewünscht hatte und von dem sie jahrelang geträumt hatte?


Es klingelte.

»Leonie, machst du bitte die Tür auf?« war es aus der Küche zu hören.

Leonie blickte noch einmal in den Spiegel, um ihr Aussehen zu kontrollieren. Doch dort sah sie nur ihr Knebelgeschirr. Sie seufzte. So konnte sie doch nicht die Tür öffnen.

Es klingelte wieder.

»Leonie?« war wieder aus der Küche zu hören, doch diesmal wesentlich lauter und energischer.

Leonie seufzte, dann ging sie zur Tür und öffnete sie.

»Guten Tag Leonie, ist Selma da?« Eine fremde Frau reichte Leonie die Hand.

Leonie streckte ihr Hand zögernd aus und erwiderte den Gruß, dann machte sie eine einladende Bewegung, um die fremde Frau herein zu bitten.

»Dorothea, schön, dass du vorbeikommen konntest.« Selma kam aus der Küche und umarmte die Frau. »Komm, lass uns ins Wohnzimmer gehen.«

An der Tür blickte sie noch einmal zu Leonie. »Bringst du uns bitte den Kaffee? Ich habe schon alles bereit gestellt.«

Leonie ging sehr verwundert in die Küche. War es denn völlig normal, dass sie Ketten und Knebel trug? Warum hatte die Fremde das nicht bemerkt? Oder hatte sie es bemerkt und befand es für richtig? Eigentlich waren weder die Ketten noch der Knebel zu übersehen. Ob es bei Frau Mohr öfters solche Mädchen wie sie gab? Auf einmal fiel ihr auf, dass ja auch Pauls Freundin Maria offensichtlich die Fesseln mochte. In was für einem Haus war sie hier bloß gelandet?

»Leonie, wo bleibt der Kaffee?« Wieder war die energische Stimme von Frau Mohr zu hören.

Seufzend ging Leonie zum Tisch und ergriff das Tablett, auf dem neben der Kaffeekanne auch zwei Gedecke und einige Kekse standen. Vorsichtig ging sie ins Wohnzimmer und stellte das Tablett auf den Tisch. Sie wollte sich schon zurück ziehen, als Selma sie bat, doch bitte den Tisch zu decken.

Jede von Leonies Bewegungen wurden von dem Klirren der Ketten begleitet, und sie fragte sich immer wieder, warum die fremde Frau dies nicht zu bemerken schien. Doch Leonie irrte.

»Sind die Ketten auch von Schwerterles?« fragte die Frau, die Selma immer als Doro anredete. »Sei sehen fast aus wie die von Maria.«

»Wir waren gestern in der Schmiede und haben sie abgeholt.« Selma blickte kurz zu Leonie. »Du kannst dich dann zurückziehen.«

Leonie deutete einen Knicks an, dann verließ sie das Wohnzimmer. Immer wieder gingen ihr die Worte durch den Kopf, dass auch Maria solche Ketten hatte, und Maria war die Freundin von Paul. Wurde Maria auch so gefangen gehalten? Auf der Hütte hatte Leonie einen ganz anderen Eindruck von dem Paar gehabt.

* * *

»Ich habe meine Mutter in ihr Kleid eingeschlossen.« Maria strahlte, als Paul sie zum Stadtbummel abholte.

»Du hast was?« Paul war erstaunt.

»Sie hat von der Herzogin ein Kleid bekommen, in dem die Arme nicht sichtbar sind. Und ich habe ihr den strategischen Riemen geschlossen.« Maria lachte. »Sie kommt aus dem Kleid nur heraus, wenn sie es mit viel Kraft zerreißen würde. Und das wird sie nicht wagen.«

»Ich glaube, ich muss mich vor dir in Acht nehmen.« Paul grinste.

»Ach, es ist nur gerecht.« Maria winkte ab. »Sie soll auch mal erleben, wie es ist, ohne Arme auskommen zu müssen.«

* * *

»Sehr lange gibt es diesen Ort noch nicht.« erklärte Maria, als sie auf dem Weg von der Klinik waren. »Zuerst wurde das Krankenhaus gebaut, und erst später kamen die Häuser dazu.«

Der Ort war eher abgelegen, und in den meisten Häusern des Ortes wohnten die Angestellten der Klinik. Nur ein kleiner Laden hatte sich angesiedelt und am Wochenende bot er so etwas wie ein kleines Cafe an, auf das Paul und Maria jetzt zusteuerten.

»Viel zu sehen gibt es hier nicht.« Maria seufzte etwas. »Wir müssen die Zeit im Cafe totschlagen.« Sie grinste etwas.

Das sogenannte Stadtmuseum hatte geschlossen. Es wurde von einer Privatperson betrieben und hatte nur zu Zeiten offen, wo der Einwohner anwesend war. »Besichtigungen nur nach Voranmeldung« stand auf dem kleinen Schild an der Tür. Das kleine Museum war diesen Namen nicht wert. Es bestand eigentlich nur aus zwei Räumen, in denen über den Bau der Klinik berichtet wurde.

»Auch das noch.« seufzte Maria. »Schauen wir mal, ob wir einen Kaffee bekommen.«

Sie gingen zu dem kleinen Lokal und suchten sich einen Platz.

»Ich wusste nicht, was kommen würde, als meine Oma und deine Erzieherin mich zu einem Ausflug einluden.« Paul berichtete von seiner Reise.

»Du hattest echt keine Ahnung?« Maria war amüsiert.

»Selbst als der Flughafen in Sicht kam, ahnte ich noch nichts.« Paul war die Verblüffung immer noch anzuhören. »Erst als sie mir das Ticket in die Hand drückten und mich zum Schalter schoben, begann ich zu begreifen, was passieren würde.«

»Das ist typisch Mrs. Potter.« Maria lachte. »Erst im letzten Moment sagt sie einem, was wirklich anliegt.«

»Ich war schon sehr nervös, weil ich so überhaupt nicht wusste, was kommen würde.«

»Ich hatte mir den Aufenthalt auch anders vorgestellt.« Maria seufzte. »Es hat sich so viel geändert.« Sie gab einen Überblick über die Probleme, die ihre Mutter mit dem Investor und dem Herzog hatte. »Sarah könnte so eine tolle Zukunft haben, wenn sie sich auf das Arrangement einlassen würde.«

»Worin besteht das Arrangement?« fragte Paul sichtlich neugierig.

Maria brachte Paul auf ihren Wissensstand, und je mehr sie erzählte, desto größer wurde Pauls Ehrfurcht vor den Problemen, von denen Maria umgeben war.

»Wie kann man das Problem lösen?« fragte Paul mehr zu sich selbst.

»Eigentlich wäre es ganz einfach.« Maria rührte gedankenverloren in ihrem Kaffee. »Sarah und Juan heiraten, Betty wird die persönliche Dienerin für Sarah, genauso wie Bertram für Juan.«

»Das klingt doch gut?« Paul fragte sich insgeheim, wo die Probleme liegen würden.

»Sarah glaubt, sie würden ihr nach dem Leben trachten.« Maria seufzte. Sie berichtete von dem, was sie aufgeschnappt hatte. »Und Bertram mag Juan nicht teilen. Er stellt sich quer.«

»Kann deine Mutter da nichts machen?«

»Ich fürchte nein.« Sie seufzte wieder. »Der einzige, der die Situation retten könnte, ist der Herzog. Aber das würde der nie machen.«

Sonntag, den 5. September 1984

Als der Wecker klingelte, war Paul noch sehr müde. Nicht das es ihm etwas ausmachen würde, am Sonntag so früh aufzustehen, doch er hatte noch unter der Zeitverschiebung zu leiden. Seine innere Uhr war noch nicht umgestellt. Er war mitten in der Nacht aufgewacht, als es für ihn gefühlt Zeit zum Aufstehen war, und dann konnte er erst lange nicht einschlafen – doch nun hatte der Wecker ihn aus dem Tiefschlaf gerissen.

Trotzdem sprang er aus dem Bett, und während er sich anzog, blickte er sehr verliebt auf das Bett. Maria räkelte sich und obwohl Paul den Anblick von Keuschheitsgürtel und Keuschheits-BH gewöhnt war, kam es ihm doch vor, als würde Maria sich ihm in reizvoller Unterwäsche präsentieren. Dass die Stahlwäsche einen ganz Zweck hatte, blendete er aus.

Maria machte die Augen auf und blinzelte ihm zu. »Guten Morgen.« Sie versuchte ein Lächeln, obwohl sie viel lieber noch etwas mit Paul gekuschelt hätte. »Was hast du es denn heute so eilig?« fragte sie mit etwas Empörung in der Stimme. »Heute ist Sonntag.«

»Du vergisst, dass ich heute Unterricht habe.« Paul hielt einen dicht bedruckten Zettel hoch.

»Können wir nicht lieber den heutigen Tag genießen?« Maria seufzte. Natürlich wusste sie, wie wichtig Pauls Einweisung war, und deswegen erwartete sie auch keine Antwort.

Paul grinste nur.

Sie erhob sich seufzend und griff sich den Bademantel. »Jetzt gibt es erst mal Frühstück.«

Paul stellte sich hinter sie und griff von hinten an ihren Busen beziehungsweise an die Metallhalbkugeln. »Ich wünschte, du könntest diese Dinger mal ablegen.«

Maria grinste. »Wenn du dann noch genauso mutig bist.« Sie entwand sich seinem Griff und gab ihm einen Kuss. »Jetzt lass uns frühstücken.«

* * *

Betty wartete schon. Auch sie hatte ihr Frühstück schon zu sich genommen, und jetzt war sie sehr gespannt auf Marias Freund. Als dieser zusammen mit Maria den Raum betrat, erhob sie sich. »Da seid ihr ja. Ich sage ihr Bescheid.«

»Deiner Mutter?« fragte Paul etwas erstaunt.

»Nein, der Oberschwester.« Marias lächelte. »Wenn Betty von 'ihr' spricht, dann ist immer ihre Chefin gemeint.«


Die Oberschwester war etwas erstaunt, auch Maria anzutreffen.

Betty beeilte sich, dies zu erklären. »Ich dachte mir, es ist leichter, wenn wir an ihr üben können statt an den blöden Puppen.«

»Sind sie damit einverstanden?« Die Oberschwester blickte Maria fragend an.

»Sehr gern.« antwortete Maria.

Betty war erleichtert, dass ihre Chefin es so einfach geschluckt hatte. Sie Betty hatte nämlich noch einen anderen Grund, warum sie Maria dabei haben wollte. So war sie nicht mit Paul allein. Das wäre ihr nämlich unangenehm gewesen.


Paul gab sich sehr gelehrig, und nur selten musste die Oberschwester korrigierend eingreifen. »Betty kennt sich auch gut aus, wenn sie nicht gerade mal wieder geistig abwesend ist.«

Betty verdrehte ein wenig die Augen.

»Wo ist Sarah eigentlich?« fragte Maria, die dem Gedankengang gefolgt war.

»Sie bereitet sich auf das gemeinsame Frühstück der Herzogsfamilie vor, welches um elf Uhr beginnt.« Sie konnte es nicht verhindern, dass ein wenig Eifersucht in ihren Worten mitschwang.


Marias Mutter betrat den Raum. »Der Herzog lässt etwas ausrichten.« Sie wartete, bis die Oberschwester mit ihrer Vorführung fertig war. »Die jungen Leute machen nachher so gegen 13 Uhr einen gemeinsamen Ausflug, und ihr seid dazu herzlich eingeladen.«

Die drei Personen blickten sich an.

»Bitte nutzt die Gelegenheit und versucht, ein paar Gespräche zu führen.« Frederike blickte ihre Tochter und Betty flehend an. »Ich denke, das ist eine gute Gelegenheit, ein paar Dinge zu klären.«

* * *

Sie waren zu acht. Paul und Maria, Betty und Sarah, Sabeth und Paula sowie Juan und Bertram.

Paula grinste. »Nicolas lässt sich entschuldigen. Er hat eine wichtige Besprechung mit seiner Sekretärin Monica.«

Sabeth und Sarah lachten. Sie schienen zu wissen, was tatsächlich damit gemeint war.

Paula grinste. »Manchmal arbeiten sie wirklich.«

Die Klinik hatte ihnen den kleinen Bus zur Verfügung gestellt, so dass nur ein Auto gebraucht wurde. Doch kurz vor der Abfahrt brachte Frederike drei Monohandschuhe zum Wagen. »Damit der Ausflug etwas spannender wird.« Sie grinste.

Maria und Sabeth waren begeistert. Sie legten sofort die Arme auf den Rücken und blickten ihre Partner erwartungsvoll an, während Sarah eher zurückhaltend war.

Paul war erstaunt, wie schnell Paula ihrer Herrin den Handschuh angelegt hatte. »Und ich dachte schon, ich wäre in Übung.« Er keuchte etwas.

Sabeth lachte, als sie Pauls Verwunderung bemerkte. »Sie muss das auch mehrmals täglich machen.«

Sarah hingegen war sehr zurückhaltend, fast scheu. Sie zitterte etwas, als Betty ihr den Handschuh anlegte.

* * *

Auf der kurzen Fahrt zum See war die Spannung im Wagen zu spüren, und keiner schien sich zu trauen, die Stille zu unterbrechen.

Erst als sie nach der Ankunft ausgestiegen waren, ergriff auf einmal Bertram das Wort. »Ich möchte euch sagen, wovor ich Angst habe.«

Maria ahnte, dass wohl auch von Seiten Juans schon Gespräche geführt worden waren.

»Es würde mir das Herz brechen, wenn Juan vor dem Altar seine Braut küssen würde. Mit dem Ja-Wort habe ich keine Probleme, aber der Kuss...« Er holte tief Luft. »Der Kuss würde mir das Herz brechen.« Er seufzte, als er spürte, wie Juan seinen Arm um ihn legte. »Außerdem möchte ich nicht das Gefühl haben, dich teilen zu müssen.«

Maria hatte das Gefühl, jetzt eingreifen zu müssen. Sie hoffte sehr, dass sie von ihrer Mutter wirklich den richtigen Tipp bekommen hatte. »Aber Sarah hat doch ihr Herz auch schon verschenkt.« Sie blickte abwechselnd Betty und Sarah an.

Sabeth begriff es als erste. Sie sah Sarah aufmunternd an.

Betty hielt den Atem an. Würde Sarah sich wirklich zu ihr bekennen? In diesem Moment wagte sie es nicht, Sarah anzusehen.

»Wir sind hier unter uns, und wir sind verschwiegen.« Sabeth setzte nach.

Maria hatte einen Kloß im Hals.

Schließlich gab sich Sarah einen Ruck und trat einen Schritt auf Betty zu. Sie wartete, bis Betty den Kopf gehoben hatte. »Ich liebe dich.«

Betty brach fast zusammen. »Oh Sarah, du glaubst ja nicht, wie lange ich schon auf diesen Satz gewartet habe. Ja, ich liebe dich auch.« Sie umarmte Sarah und zog sie fest an sich.

Sarah zuckte wild mit den Armen, doch wie üblich hielt der Handschuh sie gefangen. »Ich würde dich ja auch umarmen, wenn ich könnte.« Dann versanken sie in einen langen innigen Kuss.


Als sie endlich wieder von einander abließen, sahen sie, dass die anderen schon langsam weiter gegangen waren.

Sie kamen auf das naheliegende Thema. »Bertram ist sehr eifersüchtig.« Juan hielt seinen Freund im Arm. »Es würde ihm das Herz brechen, wenn ich Sarah küssen würde.«

»Bei Paula war das ähnlich.« Sabeth erinnerte sich. »Auch sie hätte Nicolas am liebsten die Augen ausgekratzt. Sie hatte ihm mehrfach den Tod gewünscht.«

Sarah begriff, dass Nicolas in einer ähnlichen Situation wie sie selbst gewesen war.

»Ich konnte sie davon überzeugen, dass die Hochzeit als gesellschaftlichen Gründen einfach nötig war.« Sabeth tat die Erinnerung gut. »Nur für den Kuss, da mussten wir eine andere Lösung finden. Das hätte ihr sonst das Herz gebrochen.«

»Ich habe die ganze Zeremonie über gelitten. Ich fand es geradezu heuchlerisch.« Paula berichtete ebenfalls aus ihren Erinnerungen. »Doch ich wusste, dass ich es nicht verhindern konnte. Es hätte mich fast zerrissen.«

Bertram und Sarah hörten beide sehr aufmerksam zu.

»Wenn sie sich auch noch geküsst hätten... Ich wäre wahrscheinlich weggelaufen.« Paulas Stimme klang heute ziemlich belustigt.

»Ich wusste erst nicht, was der Pfarrer bezweckte, als er ausgerechnet dich und Monica als Trauzeugen bestimmte.« Sabeth lachte. »Erst als die Zeremonie zum Kuss kam, erkannte ich, wie geschickt er es gemacht hatte. Er blickte uns feierlich an und forderte uns auf, uns mit einem Kuss bei unseren Trauzeugen zu bedanken. Das war eine wirklich tolle Lösung.«

»Auf einmal war ich unendlich erleichtert«, Paula klang ebenfalls belustigt, »als ich begriff, dass Sabeth mich küssen würde und nicht dieses Scheusal.«

Sabeth grinste. »Hey, du sprichst immerhin von meinem Mann.«

Paula war ebenfalls sehr amüsiert. »Damals war Scheusal noch das geringste Schimpfwort, was ich für ihn hatte.«

Bertram begriff langsam, dass alle ihm helfen wollten. »Solange ich Betty nicht küssen muss.«

Betty grinste ihrerseits. »Ich glaube, darauf kann ich gerade noch verzichten.«

Auf einmal war deutlich zu sehen, wie sich Bertram einen Ruck gab. Er trat auf Sarah zu. »Ich glaube, wir sollten Frieden schließen.«

Sarah blickte erstaunt auf. Sie blickte abwechselnd zu Juan, Betty und wieder zu Bertram. Doch noch schwieg sie.

»Lass uns Freunde werden.« Er streckte ihr die Hand entgegen.

Maria hielt den Atem an. Das würde schief gehen. Sarah konnte doch den Gruß doch gar nicht erwidern. Und Bertram würde sein Gesicht verlieren, wenn er die Hand zurück ziehen müsste.

Sarah schien ähnliches zu denken. Sie schob ihre verpackten Arme nach vorn und versuchte, Bertrams Hand zu berühren.

Erst jetzt bemerkte Bertram seinen Fehler. »Oh entschuldige, daran habe ich nicht gedacht.« Er zögerte einen Moment. »Darf ich dich in den Arm nehmen?« Er blickte zunächst Sarah an und nach deren Nicken auch Betty. Erst als diese auch genickt hatte, zog er Sarah langsam zu sich heran und umarmte sie. »Jetzt bin ich doch zuversichtlich, dass wir vier uns gut verstehen werden.«

Doch als er Sarah los ließ, fiel diese zu Boden.

Maria war entsetzt. Hatte Bertram seine Drohung wahr gemacht?

* * *

Heute käme wieder jemand zu Besuch und Leonie sollte wieder bedienen, hatte Selma gleich nach dem Frühstück angekündigt. Sie hatte extra noch mal darauf hingewiesen, dass es dieses Mal ohne zusätzliche Ermahnungen gehen sollte. »Du musst noch lernen, zu gehorchen.«

Leonie nickte verschämt.


Wieder klingelte es, doch als Leonie diesmal sofort die Tür öffnete, erstarrte sie. Ihre Mutter und ihr Vater, sowie ihre Schwester ebenfalls mit ihrem Mann waren der Besuch.

»Willst du meine Gäste nicht herein bitten?« Selma stand in der Wohnzimmertür und hatte Mühe, sich ein Lachen zu verkneifen.

Leonie war fassungslos. Frau Mohr hatte ihre Familie eingeladen? Sie trat zur Seite und machte den Weg frei. Nur Christine blickte sie an. »Hübsches Outfit.«

»Geh bitte auf dein Zimmer und warte, bis ich dich rufe.« Selma drehte sich um und bat ihre Gäste ins Wohnzimmer.

Mit vielen wirren Gedanken ging Leonie langsam die Treppe herauf und schlich sich in ihr Zimmer. In was für einem Haus war sie hier gelandet? Ihre Familie war zu Besuch und obwohl sie ihnen mit Ketten und Knebel die Tür geöffnet hatte, nahmen sie so gut wie keine Notiz davon. Sie waren nicht einmal erstaunt, Leonie hier anzutreffen, und nicht einmal ihre Schwester war verwundert.

Nach einiger Zeit hörte sie, wie sie gerufen wurde. »Leonie, kommst du bitte mal herunter? Deine Mutter möchte dir etwas sagen.«

Leonie hatte überhaupt keine Ahnung, was sie erwarten würde. Seufzend setzte sie sich in Bewegung. Bestimmt würde sie eine Standpauke bekommen, weil sie einfach weggelaufen war.


Doch es kam ganz anders. Ein Stuhl im Wohnzimmer war noch frei, und erst als Leonie sich gesetzt hatte, begann ihre Mutter zu sprechen. »Leonie, Frau Mohr hat uns berichtet, welches Schicksal auf dich wartet.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Wir sind der Meinung, dass du es nicht besser verdient hast.«

Leonie hatte Mühe, ihre Tränen zurück zu halten. Was zum Teufel hatte Frau Mohr bloß mit ihr vor? Sogar ihre Familie wusste Bescheid und schien es gut zu heißen.

»Leonie?« Selma wartete nicht, bis Leonie aufgeblickt hatte. »Du kannst wieder auf dein Zimmer gehen. Stell bitte den Tisch und die zwei Stühle ins Nebenzimmer, damit dort Platz für deinen Käfig sein wird. Der wird Morgen geliefert.«

Leonie zuckte zusammen. Der Käfig. Bisher hatte sie den Gedanken daran verdrängt. Doch sie hatte schon bei Doris gesehen, wie ihr zukünftiges Reich aussehen würde. Sie hatte den Kopf gesenkt, als sie das Zimmer verließ. Sie wollte ihrer Familie nicht in die Augen blicken müssen.

Irgendwie war es wie der letzte Beweis. Sie war die Gefangene von Frau Mohr und sogar ihre Familie war mit dem Schicksal, welches auf sie wartete, einverstanden. Nur sie selbst wusste nicht, was sie erwarten würde.

Sie hatte Tränen in den Augen, als sie den Tisch aus dem Zimmer trug. In Zukunft wurde ein kleiner Käfig ihre Wohnung sein. Sie musste wieder an Doris denken, die auch so ein Leben führte, wie es ihr bevor stand. Dass die Schmiedetochter mit ihrem Schicksal glücklich war, tröstete Leonie nur wenig. Doris hatte sich ihr Leben selbst ausgesucht, so viel hatte sie beim Besuch der Schmiede mitbekommen.

Doch dann stutzte sie. Hatte sie selbst nicht auch über ihr Schicksal bestimmt? Sie hatte die Verantwortung darüber in fremde Hände gegeben und sie wusste, dass es jetzt kein Zurück mehr für sie gab.

* * *

Betty war sofort auf Sarah gestürzt und kniete neben ihr. Ihre Miene entspannte sich. »Sie ist nur ohnmächtig.« Sie blickte auf die beiden Herren. »Könnt ihr sie zum Bus tragen?«


Im Auto kam Sarah langsam wieder zu sich. Betty saß neben ihr und hielt ihre Handschuh.

»Ich hatte einen wundervollen Traum.« Sie strahlte Betty an. »Ich hatte mich mit Bertram versöhnt.«

»Das war kein Traum.« Bertram stand neben Betty und machte ein ebenso besorgtes Gesicht wie sie selbst. »Du bist vor Freude ohnmächtig geworden.«

»Das war kein Traum?« Sarah blickte sehr ungläubig um sich. Vor dem Bus standen die anderen und blickten besorgt durch die Scheiben.

»Sollen wir ihm sagen, dass wir uns versöhnt haben?« Juan lächelte erleichtert. »Dann würde er euch die Geschlossene vielleicht erlassen.«

Sabeth war die erste, die widersprach. »Du machst mir gerade mein Geschenk kaputt. Wehe, du sagst ihm auch nur ein Wort.«

»Bitte nicht«, auch Sarah hatte flehendes in der Stimme. »Betty hat mir viele süße Qualen versprochen.«

Auch Maria war dagegen. »Paul wird uns betreuen. Ich habe mich schon so sehr darauf gefreut.«

»Na schön«, Juan gab nach. »Aber glaubt nicht, dass ich euch dort besuchen komme.«

»Fein«, Bertram rieb sich die Hände, »dann habe ich dich wenigstens mal einige Zeit für mich allein.«

Montag, den 6. September 1984

Das Wochenende hatten sie zusammen mit ihren Partnern in den Gästesuiten der Klinik verbracht, jetzt stand der Einzug in die Sieben, der einzigen Station mit strenger Zugangskontrolle, und damit die zweite Behandlungswoche an.

Sowohl bei Sarah als auch bei Maria war es jetzt wichtig, die Muskeln langsam an die neue Haltung zu gewöhnen und Ausdauer zu trainieren.

Eine Unterhaltung fand beim Frühstück nicht statt, alle waren angespannt und warteten auf das, was sie erwarten würde.

Frederike war mit dem Leistungsstand und den Ergebnissen der ersten Woche sehr zufrieden. Doch noch viel glücklicher war sie über Sarahs Bereitschaft, jetzt den Arrangements zur Hochzeit zuzustimmen.

Es freute sie auch, dass ihre Tochter einen Zugang zur Frau des Herzogs gefunden hatte. Sie selbst hatte es bisher nicht geschafft, mehr als kurzen Smalltalk zu halten. Insgeheim ahnte sie, dass die Herzogin sicher auch an Sarahs und Juans Zukunft interessiert war und mit der nun gefundenen Lösung zufrieden war.

Doch als sie die Tür zur Sieben mehr oder weniger feierlich öffnete, erstarrte sie kurz. Das Überwachungsmodul meldete, dass sich schon Personen in der Sieben befanden.

Sie gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, doch innerlich tobte sie. Wer hatte das veranlasst und vor allem, wer waren die beiden Frauen, die zudem auch noch neugierig aus ihren Zimmern kamen.

»Und sie glauben, hier können die Mädchen in Ruhe trainieren?« Der Herzog schien die neugierigen Frauen ebenfalls bemerkt zu haben.

Frederike wusste nicht, was sie sagen sollte. Gleich nach dem Frühstück war der Herzog bei ihr erschienen und drängte darauf, mit dem Einzug in die geschlossene Station zu beginnen. Natürlich ahnte Frederike, was ihn jetzt bewegte. Seine zukünftige Schwiegertochter würde tatsächlich das Gebet auf dem Rücken tragen können, und deswegen war er zuversichtlich, dass es auch mit seiner Familie aufwärts gehen würde.


Der Abschied Sarahs von Juan war kurz, aber doch auch herzlich. Sarah war wie verwandelt. Jetzt wo sie wusste, wie ihre Zukunft aussah, war sie sehr erleichtert und glücklich. Sie würde alles tun, was der Herzog von ihr verlangte, solange Betty an ihrer Seite war.

Maria war ähnlich vergnügt. Sie wusste mittlerweile, dass »Verhütung« ein Thema war, welches schon geregelt war, und ihre Mutter hatte ihr in Aussicht gestellt, bald mit Paul eine gemeinsame Nacht ganz ohne Stahl verbringen zu dürfen. In einer Woche hätte das Präparat, das sie gleich nach dem ersten Wochenende eingepflanzt bekommen hatte, seine volle Wirkung erreicht und Paul würde die Schlüssel für das Keuschheitsensemble zurück bekommen.

Aus ihrer Sicht war es schon lange kein Gerät mehr, um sie zu demütigen, sondern es half ihr, trotz des Handschuhs und auch des Gebets selbstsicher aufzutreten, weil sie wusste, dass sie geschützt war.

»Wir haben so umgeräumt, wie sie es gewünscht haben.« Die Oberschwester kam aus einem der Zimmer und blickte den Herzog an. »Sarah und Betty bekommen ein Zimmer.« Sie blickte zu ihrer Chefin und zu Maria, die neben ihr stand. »Und für ihre Tochter haben wir auch ein Doppelzimmer.« Es war ihr deutlich anzusehen, dass sie anders gesprochen hätte, wenn der Herzog nicht anwesend gewesen wäre.

»Und die Maschinen?« Frederike war es unangenehm, so überrascht zu werden.

»Die haben wir ins Schwesternzimmer geschoben.« Die Oberschwester machte den Eindruck, als wäre sie von den belegten Zimmern ebenfalls überrascht. »Die anderen Zimmer sind ja belegt.«

»Und das Personal?« Frederike wunderte sich.

»Welches Personal?« Die Oberschwester blickte in ihre Unterlagen. »Schwester Betty und Paul Mohr?« Sie blickte sich um. »Die sind doch untergebracht.«

Mittlerweile waren die zwei Patientinnen näher gekommen. Jetzt war deutlich zu sehen, dass sie an das Schienensystem an der Decke gebunden waren.

»Was ist das?« Der Herzog blickte auf die Befestigungen, die den Patientinnen nur einen geringen Spielraum gaben. »Sarah und Maria werden das auch tragen?« Er hatte mittlerweile erkannt, dass das Riemensystem um den Körper mit einem Stahlseil an die Schienen geführt war.

Maria durchzuckte es gleich doppelt. Zum einen sah sie sich genau wie die beiden Frauen in naher Zukunft so angebunden. Und zum anderen fühlte sie so etwas wie stolz, dass sie vom Herzog quasi genauso behandelt wurde wie seine Schwiegertochter.

»Mit diesem System können wir die Patienten weitgehend allein lassen, ohne dass ihnen etwas zustoßen könnte.« Die Oberschwester ging auf eine der Patientinnen zu. »Das Seil wird hier gebremst und...«

Doch der Herzog unterbrach sie. »Ich vertraue ihnen, dass sie ihre Arbeit gut machen.« Er drehte sich zu Sarah. »Wir sehen uns dann am Freitag.«


Frederike reichte Betty den Behandlungsplan. »Meinen sie, sie schaffen das alles allein?« Sie blickte zwischen der Schwester und Paul hin und her.

Betty warf einen etwas intensiveren Blick auf den Plan, dann legte sie ihn auf den Tisch.

Sarah trat näher, weil sie auf dem Plan etwas Bestimmtes darauf suchte. »Keine Prüfung mehr?« Irgendwie schien sie den Eintrag zu vermissen.

Frederike warf Maria einen schnellen Blick zu, dann wandte sie sich an die Prinzessin. »Wollen sie ihm nicht endlich die Wahrheit sagen?«

Maria zuckte zusammen, weil die Worte ihrer Mutter sie wieder an den Verrat erinnerten, bei dem sie Zeuge war.

Sarah blickte sehr nachdenklich durch die Gegend. Sie schien ernsthaft abzuwägen. Schließlich war sie einverstanden.

»Ich mache einen Termin aus, und sie trainieren bis dahin noch kräftig.« Marias Mutter hatte großes Interesse, nicht als Verräterin dazustehen, weder in den Augen ihrer Tochter noch in denen der Prinzessin.


»Du musst noch etwas zu Sarah und Betty wissen.« Maria war es wichtig, dass Paul über das besondere Verhältnis der beiden Frauen Bescheid wusste. Sie erzählte ihm, was sie bisher so beobachtet hatte. »Betty stellt die Maschinen manchmal etwas höher ein als vorgesehen. Du solltest dich an die Vorgaben halten.«

»Warum macht sie das? Und warum lässt die Prinzessin sich das gefallen?« Paul glaubte, so etwas wie Ungerechtigkeit entdeckt zu haben.

Doch zu seiner Überraschung verdrehte Maria nur die Augen. »Denk an die Hütte. Manche Leute mögen es eben, wenn sie leiden müssen.«


Als Paul das Zimmer betrat, sah Maria sofort, dass etwas Einschneidendes passiert sein musste. »Was ist los?«

Paul seufzte. »Ich weiß nicht, ob es richtig war. Der Herzog hat mir zwei Möglichkeiten gelassen.« Er nahm ihre Hand und führte sie zu seinem Schritt.

Maria spürte etwas sehr hartes. Sie begriff sofort. »Du hast dich geopfert?«

»Bis Freitag, wenn wir hier wieder raus dürfen.« Er seufzte noch einmal.

»Ich bin stolz auf dich.« Sie gab ihm einen langen Kuss.


Eine Stimme bat um Entschuldigung.

Paul und Maria ließen sich los. »Was ist denn?« Maria drehte sich zur Tür. »Judith? Was möchtest du?«

Sie druckste etwas herum. »Sarah wollte wieder schweigen...«

»Und?« fragte Maria, obwohl sie ahnte, was kommen würde.

»Der Herzog besteht weiterhin darauf, dass ihr gleich behandelt werdet.« Sie zeigte den Behälter vor, der mit 'Maria’ beschriftet war.

»Was bedeutet das?« Paul verstand nicht, was da gerade passierte.

Als Maria sich wieder zu ihrem Freund wandte, fühlte sie ein starkes Kribbeln im Bauch. Schon letzte Woche hatte sie sich ausgemalt, wie es wohl sein würde, wenn sie für ihren Freund schweigen müsste.

Jetzt würde dieser Wunsch schon in Erfüllung gehen. Doch dann erschrak sie. Würde Paul es vielleicht abstoßend finden? Doch dann hatte sie eine Idee. »Weißt du noch, wie glücklich Christine auf der Hütte war, als sie nicht mehr sprechen konnte.«

Paul begriff sofort. »Du hattest ja auch davon geschwärmt.«

»Du hättest nichts dagegen?« Marias Augen leuchteten. Natürlich hatte Paul überhaupt kein Mitspracherecht, aber dennoch war es Maria wichtig, was er von ihren Behandlungen hielt.

»Ich werde dir alles von den Augen ablesen.« Er hatte noch nicht den Mut zuzugegeben, dass er von Marias erzwungenem Schweigen stets erregt oder zumindest erfreut war. Trotzdem spürte er, dass es ihr auch Freude machte.


»Brauchen sie noch lange?« Die Oberschwester betrat den Raum und hielt ein Riemengeschirr in der Hand.

»Wir haben ja noch nicht mal angefangen.« Judith drehte sich um, und erst jetzt erkannte sie, wer den Raum betreten hatte. »Das Anlegen muss ja sorgfältig erfolgen.« Sie versuchte so etwas wie eine Entschuldigung.

Maria hatte das Geschirr ebenfalls entdeckt und erkannte, dass sie in Kürze ein weiteres Stück Freiheit aufzugeben hatte. Aber da jetzt Paul da war, war sie bereit, alles zu ertragen.

Die Oberschwester legte das Geschirr auf den Tisch, dann griff sie in ihre Tasche und holte einige Schlösser heraus. Sie legte sie vorsichtig auf den Tisch. »Bitte achtet darauf, dass sie nicht zu früh zuschnappen.« Sie drehte sich zur Tür. »Der Schlüssel sind schon in Verwahrung.«

Paul und Maria blickten sich verliebt an. »Ich werde gut auf dich aufpassen, meine Prinzessin«, grinste er, als sich die Tür hinter der Oberschwester geschlossen hatte.

»Oh ja, mein Prinz, ich weiß eure Fürsorge zu schätzen.« Sie lächelte ebenfalls.

»Ich unterbreche die Hoheiten ja nur ungern.« Judith grinste, »aber ich habe heute noch mehr zu tun.«

Maria lächelte, dann wandte sie sich der Zahnarzthelferin zu.

* * *

»Warum veranlassen sie ohne mein Wissen die Unterbringung von Patienten in der Sieben?« Frederike war aufgebracht. Sie mochte es überhaupt nicht, wenn sich die Verwaltung in medizinische Bereiche einmischte.

Doch Investor Brown ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Es sind zahlende Gäste, und sie bringen der Klinik viel Geld ein. Anders als ihre Tochter.«

»Aber ich muss es verantworten«, erwiderte sie, doch sie wusste insgeheim, das es nutzlos sein würde.

»Machen sie sich darüber keine Gedanken, die Damen sind mit ihrer Unterbringung und Behandlung sehr zufrieden.« Er stand auf. »Ist sonst noch etwas?«

»Nein.« Frederike resignierte. Sie wartete, bis die Tür geschlossen war, dann bat sie ihre Sekretärin, ihr doch die entsprechenden Akten zu besorgen.

* * *

»Na, wie weit seid ihr?« Betty betrat den Raum und hinter ihr betrat Sarah zögernd den Raum.

Maria fiel auf, dass Sarah schon an das Schienensystem gebunden war.

»Ich muss nur noch festschrauben.« Judith nahm das Werkzeug vom Tisch und hantierte damit zwischen Marias Lippen.

Paul warf einen Blick auf das Werkzeug und murmelte »Torx Größe 1«

»Du kennst es?« Judith war erstaunt. »Mir wurde gesagt, dass es das nur einmal gibt.«

»Ich habe mal ein Praktikum bei einem Optiker gemacht und musste die Werkzeuge putzen.« Paul lächelte. »Ist aber ganz neu.«

Betty nahm das Riemengeschirr vom Tisch und wartete, bis Judith mit ihrer Arbeit fertig war.

»Magst du es ihr anlegen?« Betty reichte Paul das Geschirr.

Maria beobachtete einen kurzen aber erleichterten Blickwechsel zwischen Betty und Sarah. Sie ahnte, das so etwas wie Eifersucht im Spiel war.

»Die Schlösser bringe ich dann an, da darf nichts schief gehen.« Den letzten Teil des Satzes sprach sie, während sie Sarah anblickte. »Die Oberschwester macht ein Riesen-Trara, wenn wir außerhalb der vorgesehenen Zeiten die Schlüssel brauchen.«

»So, fertig.« Judith erhob sich und sammelte ihre Sachen ein.

Maria stand auf und hob ihre Hände hoch, um ihr Gesicht zu ertasten.

Doch Paul trat zu ihr und zog die Arme wieder herunter. »Ts ts ts. Nicht herum fummeln.«

Maria stöhnte, als sie seinen festen Griff spürte. Fast verliebt drehte sie ihren Kopf zu ihm und gab ihm einen Kuss. Sie hatte schon die ganze Woche davon geträumt, wie es wohl sein würde, wenn sie so seine Lippen berühren würde.

Betty räusperte sich. »Wenn ihr dann fertig seid?« Sie spielte etwas mit einem der Schlösser.


Paul musste nur einen kurzen Blick auf Sarah werfen, dann erkannte er, wie die vielen Riemen des Geschirrs anzulegen waren.

Als Sarah begriff, dass sie als Anschauungsobjekt gebraucht wurde, lächelte sie und drehte sich langsam herum, damit Paul alles gut erkennen konnte.

In Maria begann es zu prickeln, als sie das Klicken der Schlösser hörte. Es kostete sie einige Mühe, still zu halten. Erst als Paul sich erhob und signalisierte, dass er fertig war, gab Maria ihre Zurückhaltung auf.

Zusammen mit Sarah versuchte sie sich zu bewegen, doch sehr schnell zeigte ihnen das Schienensystem und ihre Verbindung daran ihre neuen Grenzen auf.


Paul blickte fasziniert nach oben. Das Schienensystem war wirklich ein kleines Wunderwerk. Eine Art Schlitten hing an den Schienen, und an dem Schlitten war das Seil befestigt, welches die Mädchen wie an einer Laufleine festhielt.

An manchen Stellen verliefen die Schienen in einer anderen Höhe und Paul erkannte schnell, was es damit auf sich hatte. An diesen Stellen hatten die Mädchen dann auch Gelegenheit, sich zu bücken oder in die Knie zu gehen. Vor den Betten waren die Schienen besonders niedrig.

Auch Weichen hatten die Konstrukteure vorgesehen, teilweise manuell einzustellen, teilweise ferngesteuert. Manche Räume konnten die Mädchen so selbst öffnen, andere waren ihnen verwehrt.

An einigen Stellen wurden die Schienen kurz parallel geführt. Paul erkannte dieses Konstrukt als eine Art Ausweichstelle. Dort konnten die Mädchen aneinander vorbei gehen oder sich überholen.

Eine Gänsehaut überkam ihm, als er darüber nachdachte, dass dieses System von den Mädchen einiges an Weitblick erforderte, zumal sich der Schlitten an der Schiene nicht einfach bewegen ließ. Es brauchte eine gewisse Zugkraft, um sich im Raum bewegen zu können.


Maria hatte Mühe, ein Stöhnen zu unterdrücken. Ihre aktuelle Situation war im Gegensatz zum äußeren Anblick sehr erregend. Ihr Mund war versiegelt, nur noch leises Stöhnen war möglich. Das Riemengeschirr spürte sie quasi überall und erinnerte sie jeden Moment an ihre Gefangenschaft. Und der Gedanke, den Schienen ausgeliefert zu sein, tat sein Übriges.

Doch das Schönste an allem war Paul. Er war da und kümmerte sich um sie. Maria hätte es nie zu träumen gewagt, ihren Freund hier in der Klinik an ihrer Seite zu haben. Doch jetzt war er da, und Maria musste sich nicht mehr in den Gedanken hineinträumen, die Fesseln ihres Trainings wären von ihm. Nein, jetzt war es anders. Er selbst hatte ihr das alles angelegt. Sogar den Mundverschluss hatte er zugeschraubt, als Judith mit dem Werkzeug nicht zurecht kam.


Betty kam zu Paul und Maria ins Zimmer. »Entschuldigt bitte die Störung.«

»Was ist denn?« Paul stand auf.

»Sarah ist so ungeduldig. Sie möchte jetzt schon mit dem Training anfangen.« Betty stöhnte. »Sie entwickelt einen Ehrgeiz, den ich nicht bremsen möchte.«

Maria stand jetzt ebenfalls auf und stupste ihren Freund an.

Paul wandte sich zu ihr. An ihrem Blick erkannte er, dass sie etwas sagen wollte. »Ja?«

Maria ging zu ihren Schrank und öffnete die Tür. Sie zog ihre umgearbeitete Trainingsjacke heraus, die sie aus Nostalgie in den Koffer geschmuggelt hatte.

Paul grinste. »Wenn sie unbedingt möchte, von mir aus gern.« Irgendwie spürte er, dass die Frauen seine Führung wollten und auf seine Entscheidung warteten.

Betty ging auf Maria zu und nahm ihr die Jacke aus den Händen. »Vielen Dank.« Sie war genauso schnell verschwunden wie sie gekommen war.


Doch es dauerte keine fünf Minuten, dann stand sie wieder in der Tür. »Könnt ihr mir helfen?« Hinter ihr stand Sarah und machte einen recht ungeduldigen Eindruck.

»Kommt herein.« Paul hatte begriffen, dass er jetzt die Führung übernehmen musste, auch wenn er lieber das Zusammensein mit Maria genossen hätte.

Als die Prinzessin den Raum betrat, mussten beide lachen. »Das war früher mal eine Zwangsjacke. Die muss im Rücken geschlossen werden.«

Sowohl Betty als auch Sarah blickten sehr verwundert auf Maria, die sichtlich rot wurde.

»Das ist eine lange Geschichte.« Paul hatte erkannt, dass er jetzt auch für Maria sprechen musste. »Ich weiß aber nicht, ob es Maria recht wäre.«

Maria schüttelte vorsichtig den Kopf. Im Moment war es ihr unangenehm, dass Paul über ihre Vergangenheit berichten würde.

Sarah stupste Betty an und zeigte auf die Jacke.

»Wie geht das jetzt?« Betty hatte ihre Rolle als Sarahs Sprecherin anscheinend auch schon gefunden. »Magst du es uns zeigen?« Irgendwie spürte Betty Pauls Scheu gegenüber Sarah.

Erst als Sarah ihn ebenfalls bittend ansah, nahm er sich ein Herz und griff sich die Jacke.


Bei Maria hatte die Jacke eher locker gesessen, Sarah passte sie gerade eben.

»Geht das mit dem Seil?« Betty blickte etwas sorgenvoll an die Decke, wo Sarah an dem Schlitten hing.

Paul blickte kurz auf Sarahs Rücken. Das Trageseil war an ihrem Rücken befestigt, die Jacke war aber etwas länger. »Doch das geht.« Dadurch, dass die Jacke mit Riemen zu schließen war, konnte das Seil zwischen zwei Riemen durchgeführt werden.

»Möchtest du die Riemen schließen?« Paul hoffte, dass er Bettys Blicke richtig gedeutet hatte.

Betty hatte mit so viel Einfühlungsvermögen gar nicht gerechnet. »Ja gern.« Sie wirkte etwas überrascht.

»So fertig.« Betty trat einen Schritt zurück, nachdem sie Sarah noch kurz auf den Mund geküsst hatte. »Wie geht das jetzt mit den Armen?« Sie blickte Paul und Maria abwechselnd an.

»Die Riemen werden hier über die Schulter geführt und dann vorn an den Schnallen befestigt.« Paul gab sich sehr sachlich und stellte sich so, dass Betty jeden seiner Handgriffe gut sehen konnte.

Als Maria kurz aufstöhnte und dabei auf ihren Schritt zeigte, begriff er, was sie sagen wollte. »Ohne den Keuschheitsgürtel ist das Tragen der Jacke noch etwas intensiver.«

Sarah hatte es zuerst begriffen. Sie stöhnte ebenfalls.

Jetzt fiel auch bei Betty der Groschen. »Ja, das werden wir unbedingt auch mal ausprobieren.« Sie grinste hinterhältig. Doch dann fiel ein Schatten auf ihr Gesicht.

Maria ahnte, was Betty bewegte. Es war die ihr völlig unbekannte Zukunft, die ihr Sorgen machte.


»Was macht ihr denn da?« Frederike stand auf einmal im Raum.

Maria war die einzige, die nicht zusammenzuckte. Doch antworten konnte sie nicht mehr.

»Sarah wollte schon mit dem Training beginnen.« Paul hatte ein schlechte Gewissen. Sie waren nicht einmal zwei Stunden in der Sieben, und schon musste er sich wegen einer eigenmächtigen Aktion rechtfertigen. Doch zu seiner Erleichterung hatte Marias Mutter nichts dagegen.

»Ich wollte nur sagen, dass ich einen Termin mit dem Herzog ausgemacht habe.« Sie blickte Sarah an. »Morgen Nachmittag wirst du ihm das Gebet vorführen.«

Sarah musste erst einmal zu Betty und Maria schauen, bevor sie reagieren konnte. Sie machte einen Knicks.

»Gleich wird das Essen kommen.« Frederike blickte auf die Uhr. »Es werden vier Beutel kommen und zwei normale Essen. Werdet ihr klar kommen?« Die Frage ging an Betty und Paul gleichermaßen.

Beide gaben sich zuversichtlich.

»In einem der Räume, die nicht von den Schienen aus erreichbar sind, ist ein Telefon versteckt.« Frederike gab sich verschwörerisch. »Offiziell darf es das nicht geben, doch für Notfälle könnt ihr dort immer jemand erreichen.«

* * *

»Warum müssen die Mädchen eigentlich rudern?« Gleich nach dem Mittagessen sprach Paul eigentlich nur seine Gedanken aus.

»Das habe ich die Oberschwester auch gefragt.« Betty gab wieder, was sie erfahren hatte. »Das ist ein Ausgleich für lange nicht beanspruchte Muskeln, wie es beim Tragen eines Korsetts auftritt.«

Paul erinnerte sich daran, dass Maria auch schon in Deutschland öfters mit Rudern beschäftigt war.

»Sie sagt, wenn man das nicht ausgleicht, würden die Muskeln verkümmern und man könnte sich ohne Korsett gar nicht mehr aufrecht halten.«


Betty hatte sich an die raffinierten Handschuhe erinnert, die die Mädchen letzte Woche getragen hatten. Sie hatte sich heimlich zwei Paar organisiert und zeigte sie Paul. »Das ist wie bei den Playmobil-Figuren. Ihre Finger werden ganz nutzlos sein.« Sie erklärte ihm die Zusammenhänge.

Paul war noch etwas verunsichert.

»Wir müssten sie dann nicht beim Rudern beaufsichtigen und könnten stattdessen das Telefon suchen.«

»Ich weiß nicht, ob Maria das mögen würde.« Paul zögerte »Ich werde sie fragen.«

Doch als Paul mit den Handschuhen zu Maria kam, passierte etwas ganz Merkwürdiges. Maria streckte sofort ihre Hände aus und sah ihn mit einer Mischung aus Lust und Unterwürfigkeit an.

Als Paul diesen Blick sah, wusste er auf einmal, dass er nicht zu fragen brauchte. In ihrem Blick las er etwas Trauriges, genauso aber den Wunsch zu gehorchen und zwischen alldem eine große Portion Liebe.

Wortlos legte Paul ihr die Handschuhe an und führte sie dann zu den Rudermaschinen, wo Betty schon dabei war, Sarah festzuschnallen.

Maria gab sich sehr fügsam. Sie hätte sich zwar gern spielerisch gesträubt, weil Paul sie dann etwas fester anfassen würde, doch im Moment wusste sie, dass sie es ihm so einfach wie möglich machen musste.

Natürlich kannte Paul sich mit den Maschinen nicht aus, doch Maria hatte sich sofort so hingesetzt, wie es richtig war und hatte Arme und Beine in die richtigen Positionen gebracht.

Paul musste nur noch die Riemen schließen.


»Komm, wir gehen das Telefon suchen.« Betty hatte sich mit einem Kuss von Sarah verabschiedet, dann stand sie an der Tür und wartete auf Paul.

Auch Paul gab Maria einen Kuss und streichelte ihr noch einmal kurz über den Kopf, dann folgte er Betty.

Nur drei Türen kamen in Frage. Der erste Raum war leer, nur ein Tisch stand etwas verstaubt darin. »Hier ist es schon mal nicht.«

Der Raum hinter der zweiten Tür war mit 'Putzkammer' beschriftet und war bis auf einen Besen ebenfalls leer.

Im dritten Raum brannte Licht und eine etwas unförmige menschliche Gestalt saß am Tisch und drückte panisch einen Knopf. Sofort ertönte ein Alarmton.

Paul und Betty waren irritiert. Es war deutlich, dass eine Frau unter der Hülle verborgen war. Deutlich waren die Augen durch die Gläser einer Kopfmaske zu erkennen und das sehr lange Haar. Es war zu vermuten, dass sie schon länger hier war. Sie war durch viele Schläuche mit einem schrankgroßen Maschine verbunden.

Die Frau deutete mit der Hand auf eine Tafel. »Für Fragen bitte die -55 anrufen.«

»Wir haben kein Telefon.« Paul war überrumpelt.

Die Frau schien sich zu besinnen, dann zeigte sie auf einen weiteren Schrank. Paul ging zu ihm und öffnete ihn. Dort stand tatsächlich ein Telefon.

Es war zu erkennen, dass die Frau mit den Schläuchen irgendwie an die Maschine angeschlossen war, denn sie bewegte sich sehr vorsichtig und stöhnte dumpf.

Paul trat an das Telefon heran und drückte zwei Mal auf die Fünf. Er war erstaunt, als er in der Muschel die Worte »Ich komme sofort« hörte.


Es waren zwei Uhren in dem Raum, eine runde zeigte die normale Zeit an, die andere war als Digitaluhr mit leuchtenden Ziffern ausgeführt und stand auf 14 Tage, vier Stunden und fünf Minuten, wobei die Sekundenanzeige stetig hinauf zählte.

»Bitte verratet uns nicht.« Ein Mann im weißen Kittel kam in die Sieben. Er stellte sich als Doktor Paulus vor. »Meine Frau macht hier einen besonderen Test für mich.«

»Jetzt wird mir einiges klar«, sagte Betty. »Wir haben uns schon gewundert, warum Schwester Ilse schon wieder im Urlaub ist und vor allem ohne ihren Mann.« Sie wandte sich an den Arzt. »Und was testen sie hier?«

»Wir testen einen Anzug, mit dem sich alle menschlichen Bedürfnisse von Maschinen kontrollieren lassen.« Seine Stimme wurde sehr sachlich. »Wir haben nur das Problem, dass die Maschine noch viel zu groß ist.«

Er zeigte auf den Wandschrank, zu dem die Schläuche hinführten.

»Und wie lange ist sie schon so?« Bettys Stimme zeigte eine gewisse Faszination.

Der Arzt zeigte wortlos auf die zweite Uhr. »Wie sie sehen, ist die Maschine schon ziemlich ausgereift. Sie ist leider noch viel zu groß.«

Dem Arzt war anzusehen, dass ihn etwas bedrückte. »Die Chefin weiß nichts davon. Sie hätte das nie erlaubt.«

Ilse setzte sich an den Tisch, auf dem eine Schreibmaschine stand. Die Maske verdeckte ihren Mund und ihre Nase und machte ihr offenbar das Sprechen unmöglich. Stattdessen begann sie zu tippen.

Paul wunderte sich zunächst über das seltsame Arrangement, doch dann konnte er lesen, was Ilse geschrieben hatte. »Mir geht es gut, es macht mir Spaß und ich liebe meinen Mann sehr.«

»Die Maschine versorgt sie mit allem, was sie braucht.« Er ging zum Schrank und drückte einen Knopf. Auf einmal stöhnte Ilse. »Auch damit wird sie versorgt.«


»Was ist denn hier los?« Frederike stand auf einmal im Raum. »Ich wollte nur mal schauen, ob ihr zurecht kommt.« Ihr Blick fiel auf den Arzt und seine Frau. »Was machen sie hier?«

»Es ist nicht so, wie sie denken.« Der Arzt war sichtlich verlegen.

»So, wie denke ich denn?« Frederike sah sich im Raum um. Dabei fiel ihr Blick auf Betty und Paul. »Was macht ihr hier?«

»Wir wollten das Telefon suchen.« Betty gab Paul einen Stups. »Jetzt haben wir es ja gefunden.« Sie zog Paul hinter sich her.

Auf dem Flur grinste sie. »Das gibt noch ein Donnerwetter. Da müssen wir nicht dabei sein.«

»Wenn du meinst.« Paul grinste etwas unsicher. »Vielleicht sollten wir mal nach unseren Patientinnen sehen.«

Aus dem Schwesternzimmer, wo die Geräte aufgebaut waren, war leises Keuchen zu hören. »Diese Mundverschlüsse sind ein echter Segen. Sonst hältst du es vor lauter Stöhnen und Keuchen nicht aus.«

Paul blickte etwas verwundert zu Betty und der Prinzessin. Die Schwester hatte es extra laut gesagt, so dass Sarah es verstehen musste. Die Antwort war ein sehr verliebter Blick der Prinzessin, was Paul ein wenig wunderte.

»Eine halbe Stunde müssen sie noch.« Paul lass aus dem Behandlungsplan vor. »Müssen wir für die nächste Behandlung schon etwas vorbereiten?«

»Was steht denn an?« Betty war es nicht gewöhnt, sich selbst um die Aufgaben zu kümmern, bisher bekam sie immer gesagt, was zu tun war.

* * *

Leonie saß auf ihrem Bett und blickte immer wieder auf die Stelle im Zimmer, auf der bis gestern noch ihr Tisch gestanden hatte. Jetzt würde der Platz für ihren Käfig gebraucht und heute sollte er geliefert werden. Leonie wusste nicht, was das für ihre Zukunft bedeuten würde. Würde sie noch einmal in ihrem Bett schlafen oder würde sie ihr ganzes zukünftiges Leben in dem Käfig verbringen.

Wieder musste sie an Doris denken, die in deren Käfig sogar ein Buch gelesen hatte, während sie auf das Trocknen der Gipsbinden gewartet hatte. Und sie musste ihre Mutter bitten, den Riegel zu öffnen, weil sie ihn selbst nicht berühren durfte.

Genauso gut war ihr der Anfang des Besuchs in Erinnerung geblieben. Ihre Mutter hatte sie aus dem Käfig befreit mit dem Hinweis, dass sie Kundschaft habe. Anscheinend war ein glückliches Leben in so einem Käfig möglich. Denn eines hatte Leonie besonders beeindruckt: Doris glückliche Augen, wenn sie von ihrem Verlobten berichtete.

»Na, wie geht es dir?« Selma stand auf einmal im Raum. Sie hatte einige Decken dabei.

Leonie blickte Selma etwas verunsichert an. Sonst zeigte sie keine Reaktion.

»Ich habe dir einige Decken mitgebracht.« Sie berichtete, dass die Schmiede angerufen hatte. Sie würden jetzt losfahren, und Selma solle einige Decken bereit halten, damit es in dem Käfig bequem wäre.

Leonie schluchzte, als sie das hörte.

Das Geräusch eines Transporter war von draußen zu hören.

»Sie kommen.« Selma legte die Decken auf das Bett. »Willst du nicht aufmachen?«

Leonie seufzte noch einmal, dann stand sie auf und ging zur Haustür.

Herr Schwerterle und ein junger sehr gut aussehender Herr standen vor der Tür. »Wir wollten den Käfig liefern.«

Leonie trat zur Seite und konnte zusehen, wie die beiden Herren den Käfig herein trugen. Leonie vermutete zumindest, dass es der Käfig war, denn es war mit einem weißen Laken bedeckt.

Langsam ging sie den Herren hinterher. Selma stand oben an der Treppe und dirigierte die Herren in ihr Zimmer. »Dort an die Wand.« hörte Leonie sie sagen.

Herr Schwerterle zog die Decke herunter, und Leonie konnte einen ersten Blick auf ihr künftiges Zuhause werfen. Zumindest empfand sie es so. Doch der Käfig sah schön aus. Obwohl eine ungewisse Zukunft auf Leonie wartete, hatte sie doch auch ein Auge für die Handwerkskunst, die dieser Käfig ausstrahlte. Überall glänzte das Metall, als wäre es auf Hochglanz poliert, und nirgends waren scharfe Kanten oder Schweißnähte zu sehen. Leonie trat näher, und fast automatisch begann sie das Metall zu streicheln.

»Hier ist der Schlüssel.« Herr Schwerterle reichte Selma den Schlüssel, dann hängte er ein Vorhängeschloss vorn an den Türriegel.

Der Geselle nahm die Decken vom Bett und legte sie in den Käfig. »Wollen sie einmal probieren?« Er machte gegenüber Leonie eine einladende Handbewegung.

Leonie war von der Schönheit des Käfigs ehrlich fasziniert, und fast wie in Trance kniete sie sich vor den Käfig. Fast zärtlich berührte sie die Tür und zog sie langsam auf. Dann kroch sie hindurch und drehte sich im Käfig um. Sie blickte sich wieder um und sog die Schönheit des Käfigs auch von innen auf.

Dann fiel ihr Blick auf die Tür. Sie zögerte einen Moment, dann beugte sie sich vor und zog die Tür langsam zu sich heran. Sie nahm mit zitternden Händen das offene Schloss aus dem Riegel, ließ die Tür zuschnappen und hängte das Schloß wieder an den Riegel. Sie nahm es in die Hand und drückte den Bügel zu. Als sie das Klicken des Schlosses hörte, schoss ein gewaltiger Orgasmus durch ihren Körper und sie ließ sich auf die Decken fallen.

Selma lächelte. Genau so hatte sie es erwartet.

* * *

»Darf ich euch mal einen Moment sprechen?« Frederike stand in der Tür. »Es gibt eine Beschwerde.«

»Was haben wir denn falsch gemacht?« Paul war sichtlich geknickt. »Wir haben doch alles so gemacht wie nötig für Sarah und Maria.« Sie verließen den Raum, nachdem Marias Mutter sie heraus gewunken hatte.

»Es geht auch gar nicht um eure Schützlinge.« Frederike war auf einmal sehr verlegen. »Die Schwester, die sich bisher heimlich um die Sieben gekümmert hat, ist jetzt auf einer anderen Station. Ich wusste nicht, dass wir in der Sieben weitere Patienten haben. Gertrud hat sich zu Recht beklagt, dass sie nicht so behandelt wird, wie ihr Mann dafür bezahlt hat.« Sie reichte ihnen zwei Mappen. »Und ich fürchte, auch Annas bestellte Behandlung hat gelitten.«

»Aber wir wussten doch gar nichts davon?« Betty fühlte sich überrumpelt.

»Das habe ich dem Investor auch gesagt und habe ihm die Situation erklärt.« Frederikes Gesicht zeigte einige Sorgenfalten. »Er gibt mir noch eine Chance und wird selber mit der Patientin reden.«


»Wie wollen wir das aufteilen?« Betty zeigte einen gewissen Pragmatismus. »Nimmst du Anna und ich Gertrud?«

Paul war einverstanden. Er hätte nur Probleme gehabt, wenn er Maria nicht betreuen dürfte, und er ahnte, dass es Betty mit Sarah ähnlich erging.

Anna war deutlich jünger als Gertrud und, Paul hoffte, dass er mit ihr besser zurecht kommen würde.

»Lass uns mal die Mappen ansehen und schauen, was bestellt ist.« Bettys Ton war anzuhören, dass sie mit dieser seltsamen Patientenunterbringung auch so ihre Probleme hatte.

Betty studierte beide Listen. Nach einiger Zeit blickte sie wieder auf. »Das ist schon merkwürdig.« Sie zeigte Paul die Listen. »Gertruds Bestellung ist ganz normal, für den Fall, das jemand an so etwas Gefallen finden würde, doch bei Anna ist das wesentlich heftiger.«

Paul sagten die medizinischen Begriffe wenig, deswegen achtete er auf andere Sachen. »Bei Gertrud hat der Ehemann unterschrieben, der Bogen ist aber von einer Frau ausgefüllt. Bei Anna ist alles die gleiche Handschrift und unterschrieben hat ihr Vater.«

»Jetzt wo du es sagst.« Betty erkannte es jetzt auch. »Ob Anna wirklich freiwillig hier ist?«

Paul musste an die wenigen Augenblicke denken, bei denen er Kontakt mit Anna gehabt hatte. Eigentlich hatte er sie nur bei seiner Ankunft in der Sieben gesehen, als sie neugierig aus ihrem Zimmer gekommen war, jedoch ohne ein Wort wieder verschwunden war.

»Du hast Recht«, pflichtete Betty ihm zu, »auf mich machte sie auch einen sehr misstrauischen Eindruck.«

»Ich versuche mal mit ihr zu reden.« Paul fühlte sich seinen neuen Aufgaben verpflichtet. »Ich werde sie fragen, ob sie die hohen Werte wirklich haben möchte.« Er vertraute auf Bettys Einschätzung und ihre Erfahrung.

* * *

Anna saß auf dem Stuhl neben ihrem Bett und blickte melancholisch aus dem Fenster. Sie war sehr erleichtert, dass die beiden heutigen Behandlungen ausgefallen waren. Insofern waren die »neuen« auf der Station eine dankbare Ablenkung.

Schon mehrmals hatte ihre Familie Spione auf die Station eingeschleusst, um sie auszuhorchen und festzustellen, ob sich Anna ihnen offenbaren würde. Doch meistens waren sie schlechte Schauspieler, und Anna erkannte sofort, dass sie schweigen musste.

Sie sollte gebrochen werden, damit sie endlich der von der Familie ausgehandelten Hochzeit zustimmen würde, doch sie liebte einen anderen. Florian war ihre große Liebe und sie war fest entschlossen, zu ihm zu stehen, egal was die Familie ihr auch an tat.

Seit einigen Tagen gab es wieder Hoffnung für Anna, denn Florian war in der Klinik. Er hatte ihr bei seinem letzten Besuch berichtet, wie er den Hilfsjob bekommen hatte und dass er sich für nichts zu schade war. Fast jede Nacht kam er jetzt an ihr Bett und sie konnten zusammen sein, wenn auch nur für ein paar Stunden.

Anna liebte es, wenn sie seine zärtlichen Hände auf ihrem Körper spürte, auch wenn alle wichtigen Stellen durch dieses Keuschheitsgeschirr verdeckt waren. Er hatte ihr versprochen, in der Klinik nach dem Schlüssel dafür zu suchen, doch Anna wusste, wie aussichtslos dies sein musste.

Ihre Familie war sehr mächtig, und schon mehrmals hatte Anna so etwas wie eine Flucht versucht, doch stets hatte Detektive und manchmal sogar die Polizei sie sofort wieder gefunden und zurückgebracht.

Jetzt war sie in der Klinik zur »Hochzeitsvorbereitung«, wie es ihr Vater zynisch genannt hatte. Doch sie würde lieber in den Tod gehen als auf ihre wahre Liebe zu verzichten.

Bei Florians ersten Besuchen musste sie fast die ganze Zeit weinen, weil die Situation so aussichtslos war.

Jetzt waren wieder zwei Spione auf der Station, eine Deutsche und eine Brasilianerin. Aber Anna würde ihnen kein Vertrauen schenken, egal was ihre Familie sich auch an Gemeinheiten ausdenken würde.

Das neue Personal hingegen schien alles andere als erfahren zu sein. Besonders dieser Paul, der sich offensichtlich um sie kümmern sollte, war ein absoluter Neuling.

Mit etwas Galgenhumor fragte sich Anna, was ihre Familie wohl davon halten würde, dass sie auf einmal von Laien betreut wurde.

Außerdem schien er eine innige Beziehung zu dieser Maria zu haben. Anders ließen sich diese Nähe und die Zärtlichkeit nicht erklären.

Seufzend blickte Anna sich in ihrem Zimmer um. Außer ihrem Bett, einem kleinen Schrank und einem Stuhl standen nur die Geräte in ihrem Zimmer, die sie regelmäßig folterten. Aber Anna war stark. Sie würde das alles überstehen.

Zu Beginn hatte Anna oft versucht, sich gegen die Behandlungen zu wehren, doch das Ergebnis war stets, dass sie dann gegen ihren Willen fixiert wurde und die Behandlung noch strenger ausfiel als es von ihrem Vater bestellt war.

Eine schmale Taille war der Stolz aller weiblichen Mitglieder ihrer Familie, doch Anna hatte sich von Beginn an dagegen aufgelehnt. Mittlerweile war sie wieder schlank, doch in der Pubertät hatte sie sich geradezu gemästet und eine Taille war quasi nicht sichbar gewesen.

Jetzt war sie in der Klinik und wurde mit allerlei Gerätschaften für das Tragen eines Korsetts fit gemacht, zumindest hatte ihr Vater sich das so gewünscht. Sie wurde zusammengequetsch, in der Länge auseinandergezogen und musste in der Sauna schwitzen. Alles mit dem Ziel, gemäß der Tradition der Familie mit einer Wespentaille vor dem Altar zu stehen.

Ohne Florian hätte Anna vermutlich schon lange nachgegeben. Doch ihre Liebe gab ihr die Kraft, durchzuhalten. Der Termin für die Hochzeit rückte zwar immer näher, doch Anna war fest entschlossen, sich zu weigern. Sie müssten sie betäuben und vor dem Altar anketten, sie würde sonst jede Gelegenheit zur Flucht nutzen.

Ob Florian heute Abend wieder kommen würde? Sie würde ihm gern sagen, dass neues Personal auf der Station war und dass er vorsichtig sein sollte, doch dafür gab es keine Gelegenheit.

Die Tür ging auf und der junge Mann trat ein. »Hi, ich bin Paul, und du bist Anna?«

'Nicht mit mir', dachte sie Anna, wieder so eine plumpe Begrüßung. Zum Glück stellten sich die Spione, die ihre Familie zu ihr schickte, stets so ungeschickt an, dass Anna sie schnell enttarnte und daher wusste, dass sie sie nicht um Fluchthilfe bitten durfte. Sie blickte Paul an und nickte etwas trotzig.

»Du bekommst ein Korsett-Training?« Paul blickte auf die Liste in seiner Hand. Nur mühsam konnte er ein Zittern seiner Hand verbergen.

»So ist es.« Anna gab sie trotzig. 'So fängt es immer an.' dachte sie bei sich. 'Gleich wird er fragen, ob er es mir leichter machen soll.'

»Die Werte sind sehr hoch.« Paul versuchte, seine Unerfahrenheit zu verbergen. »Bist du sicher, dass du das so haben willst?«

»Mein Vater hat es für mich ausgesucht.« Anna hatte sich schon einige Standardantworten zurechtgelegt, die ihren scheinbaren Gehorsam zeigen sollten.

»Bitte verzeih mir, wenn ich es nicht richtig mache.« Paul seufzte. »Vor einer Woche war ich noch in Deutschland und ein Schüler.«

Anna horchte auf. Diese Geschichte war neu. Sie beschloss, vorsichtig mit zu spielen. »Warum?« Es reizte sie, einmal ein neues Märchen zu hören.

»Ach, das ist eine sonderbare und lange Geschichte.« Paul war erfreut, als er merkte, dass Anna zumindest den Anschein machte, als würde sie zuhören. »Meine Freundin wird hier behandelt und ich darf sie betreuen.« Doch dann fiel Pauls Blick wieder auf die vielen Maschinen, die in Annas Zimmer standen. »Ich glaube, ich muss dir jetzt...« Er nahm den Zettel zur Hand. »Was ist denn eine Streckbank?«

Anna zuckte zusammen. Fast hätte sie in ihrer Aufmerksamkeit nachgelassen, denn die neue Geschichte war wirklich außergewöhnlich. Doch sie wusste, dass sie stark bleiben musste. Sie grinste etwas. »Dieses lange Ding da.« Sie zeigte auf ein Gerät, welches auch in einer Folterkammer einer alten Burg hätte stehen können, wenn es nicht aus glänzendem Stahl gewesen wäre.

Anscheinend probierte die Familie jetzt etwas Neues. Sie schickten einen unerfahrenen Pfleger, der zudem noch eine wirre Geschichte zu bieten hatte, in der Hoffnung, dass Anna dabei schwach werden würde.


Paul und Betty hatten sich vorher noch etwas beraten und Paul hatte sich die Werte von Gertrud neben die von Anna geschrieben, nachdem Betty ihm versichert hatte, dass schon Gertruds Werte hoch seien und die von Anna vermutlich ein Fehler.

Anna seufzte innerlich, als sie aufstand und zu der Maschine ging. Sie würde auch diese Folter überstehen, sie würde alles ertragen, was sich ihre Familie ausdachte. Sie legte sich auf das lange gepolsterte Brett und plazierte ihre Arme und Beine in den geöffneten Manschetten.

Paul war froh, dass Anna ihm so bereitwillig entgegen kam. Er klappte die Manschetten zu und schloss den Riegel, der offensichtlich dafür zuständig war.

Anna stöhnte ein wenig. »Jetzt musst du die Werte einstellen, den Rest macht die Maschine allein.«

Paul trat an das Bedienpult und besah sich es sich. Drei Knöpfe und ein Regler waren zur Bedienung vorgesehen und entsprechend waren auch drei Werte auf dem Zettel notiert.

Zwei der Knöpfe enthielten Skalen, wären der eine etwas größere mit Eins und Null beschriftet war. Er stand auf Null.

Paul vergleich die Werte auf dem Zettel mit den Reglern und begann vorsichtig, an ihnen zu drehen. Er stellte sie auf die Werte, die für Gertrud vorgesehen waren.

»Kommst du zurecht?« Betty stand in der Tür.

»Magst du kurz kontrollieren?« Paul war über Bettys Anwesenheit sehr erleichtert. Er zeigte mit der Hand auf die Regler.

Betty kam zu der Maschine, kontrollierte die Manschetten, dann blickte sie auf die Regler und ließ sich von Paul den Zettel zeigen. Dann blickte sie zwischen Paul und Anna hin und her. Es war ihr anzusehen, dass sie erkannt hatte, was Paul gemacht hatte und sie schien abzuwägen. Schließlich hatte sie sich entschieden. »Jetzt musst du nur noch anschalten.«

Pauls Hand zitterte, als er den Knopf bediente. Er vermiet es, Anna anzusehen. Er hatte ein großes Getöse erwartet, nachdem er den Knopf gedreht hatte, doch tatsächlich war nur ein leises Surren zu hören.

»Müsste da jetzt nicht was passieren?« fragte Paul leise.

»Die Maschine läuft.« Betty drängte zur Tür. »Sie streckt den Körper ganz langsam und lässt dann wieder nach.«

Anna blickte noch einmal zur Tür und war erleichtert. Fast wäre sie schwach geworden, weil sich dieser Spion besonders geschickt angestellt hatte.

Schon bald spürte sie die Maschine arbeiten und sie begann sich wieder in ihre Traumwelt zu flüchten, in der Florian über ihr stand und sie an den Armen und Beinen zog. Sie sah sein Gesicht vor sich und spürte seinen Atem.

Doch auf einmal stutzte sie. Die Maschine war schon wieder auf dem Rückweg? Das war viel weniger als die Male zuvor. Zuerst dachte sie, dass es ein Fehler des neuen Betreuers gewesen wäre. Doch dann erinnerte sie sich daran, dass sogar die Krankenschwester auf die Regler geschaut hatte. Sie bekam Angst, denn die Aktionen der Familie wurden immer perfider. Doch dann beschloss sie, die geringeren Werte zu genießen.

* * *

»Was macht ihr denn da?« Paul war sehr erstaunt, als er das Schwesternzimmer betrat.

Betty hantierte an der eisernen Lunge und Maria stand bei Sarah und hantierte mit mehrere Lederriemen herum. Beim Anblick von Sarah fühlte er sich sofort wieder an die Hütte erinnert, denn ein fast vollständiges Ponygirl stand vor ihm.

»Maria hat mir angedeutet, dass sie sich mit dem Ponygeschirr auskennt, so dass sie Sarah vorbereitet, und ich kümmere mich um die Maschine. Komm her, dann zeige ich dir, was wichtig ist.«

Ihre Worte erinnerten Paul daran, dass es eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre. Doch er kannte sich mit der eisenen Lunge genauso wenig aus wie mit allen anderen Maschinen.

»Wie war es bei Anna?« Betty fragte Paul nebenbei, während sie die Maschine vorbereitete. »Hat sie etwas zu den hohen Einstellungen gesagt?«

Paul konnte nur mit den Achseln zucken. »Sie sagt, ihr Vater hätte die Werte für sie bestellt.« Er seufzte ein wenig. »Aber es ist schon komisch. Sie ist völlig misstrauisch und zurückhaltend.«

»Ganz anders als Gertrud.« Betty berichtete kurz darüber, wie sehr die Patientin sich auf die Behandlungen freute und wie sehr sie die ausgefallenen Behandlungen vermisst hatte.

»Glaubst du, dass du zurecht kommst?« Betty klappte den Deckel der Maschine auf. »Oder wollen wir tauschen? Du nimmst Sarah und ich kümmere mich um Anna und Gertrud?«

Von Sarah war ein Seufzer zu hören.

»So ein Opfer würdest du bringen?« Paul war erstaunt und gerührt zugleich. »Ich denke, dass wird nicht nötig sein, wenn du mich ab und zu mal kontrollierst.«

»Du hast schon mal ein Ponygirl dressiert?« Betty blickte kurz zu Maria und ihrer Geliebten.

Paul wollte ehrlich sein. »Ich habe zugesehen, wie Maria einen Parcours gelaufen ist.« Er grinste. »Ich fand es sehr faszinierend. Maria hat es auch sehr gut gefallen.«

Maria ließ ein verliebtes Stöhnen hören. Sie warf Paul einen stilisierten Kuss zu.

»Sehr schade, dass ihr den Mundverschluss tragen müsst.« Paul seufzte. »Ich glaube, ihr hättet euch viel zu erzählen.« Sein Blick fiel auf Sarahs Füße. »Hey, das sind ja sogar Ponystiefel.« Er blickte kurz zu Maria. »Deine Mutter ist aber auch gut ausgestattet.«

Maria signalisierte, dass sie mit Sarah fertig war.

Paul griff zu dem bereit liegenden Handschuh und blickte seine Freundin liebevoll an.

Maria kam auf ihn zu und legte ihre Arme auf den Rücken.


Die Tür ging auf und Frederike kam in den Raum. »Der Herzog möchte nachsehen, ob ihr zurecht kommt.«

Herzog Breganza betrat hinter Marias Mutter den Raum. Er war erbost, als sein Blick auf Sarah fiel. »Was soll denn diese lächerliche Maskerade?«

Frederike hatte insgeheim mit dieser Frage gerechnet. »Das ist Teil der Therapie.« Sie trat auf Sarah zu. »Das Seil zieht ständig an den Armen in der Gebetshaltung.« Sie zeigte auf das Seil, welches zusätzlich an den Schlitten gebunden war. »Es verursacht einen ständigen Zug an den Armen, und immer, wenn sie über ein Hindernis steigen, wird der Zug entlastet.«

»Und weil die jungen Mädchen immer so pferdenärrisch sind, haben sie sie selbst als Pferde kostümiert?« Seine Stimme zeigte, wie wenig er von dem Ganzen hielt.

»Ein wenig Wunschdenken ist dabei, aber im Prinzip ja.«

»Und warum nur Sarah?« Herzog Breganza hatte bemerkt, dass Maria in der Maschine lag.

»Morgen tauschen die beiden.« Frederike hoffte, dass der Herzog ihr das abkaufen würde. »Beide bekommen die gleiche Behandlung, nur zeitversetzt.« Dass nur eine eigentlich schon ausgemusterte eiserne Lunge zur Verfügung stand, behielt sie lieber für sich. Außerdem hätten zwei der Maschinen keinen Platz in dem Zimmer.

Zu ihrer Erleichterung war der Herzog mit dieser Erläuterung zufrieden. »Und wie sieht Sarahs Training aus?«

Frederike blickte sich kurz um. »Baut ihr bitte den Parcours auf?« Sie wandte sich an Betty und Paul.

Betty drehte sich zu Marias Freund. »Hilfst du mir tragen?«

Im Korridor war es möglich, die Schienen durch die Weichen so zustellen, dass die Mädchen ein Oval laufen konnten. Auf dieses Oval wurden dann auf dem Boden einige Holzklötze gestellt.

Betty reichte Paul eine Reitgerte. Sie grinste. »Du bist der Ponyherr. Ich werde es mir bei dir abschauen.«

Der Herzog intervenierte. »Sie werden Sarah doch nicht schlagen wollen?«

»Nein, natürlich nicht.« Paul schluckte. Er gab wieder, was er auf der Hütte gesehen hatte. »Es hilft dem Pony ein wenig, den Weg zu finden.«

»Manche Frauen schaffen es, sich gerade zu in Trance fallen zu lassen«, ergänzte Frederike. »So ein kleiner Klaps zeigt ihnen die Richtung, ohne sie aus ihrem Traum zu wecken.«

»Und welchen medizinischen Nutzen hat das?« Der Herzog schien sich von den Mädchenträumereien nicht beeindrucken zu lassen.

»Die Arme sind in der für das Gebet nötigen Haltung und werden durch das Hochsteigen immer wieder gelockert.« Frederike hoffte, das ihre Stimme genügend Überzeugungskraft hatte.

»Dann lassen sie mal sehen.« Der Herzog drehte sich zu Paul. »Beginnen sie mit der Therapie.«

Paul blickte zunächst etwas hilflos zu Boden. »Nun mach schon!« Betty stupste ihn an. Sie ahnte, dass ihn die Anwesenheit des Herzogs irritierte.

Innerlich seufzend hob Paul die Gerte und gab Sarah einen symbolischen Klaps auf den Hintern. Zu seiner Überraschung versuchte Sarah so etwas Ähnliches wie ein Wiehern, dann hob sie ihre Beine und schritt langsam in Richtung Korridor.

Obwohl Paul nur einmal ein paar Ponys zugeschaut hatte, fiel ihm doch sofort auf, dass Sarah ihre Beine überhaupt nicht hochhob. Er wusste zwar nicht, ob es wichtig war, doch er ließ die Gerte auf ihre Oberschenkelrückseite tanzen. »Die Beine hoch.«

Doch Sarah zeigte zunächst keine Reaktion. Erst als Betty sich einmischte, »Mach, was er gesagt hat.« ergab sich Sarah ihrem Schicksal und begann, neben Betty auch Paul als ihren Herrn anzuerkennen, wenigstens für kurze Zeit.

Vor dem ersten Hindernis blieb Sarah stehen und gab sich etwas trotzig. Erst ein erneutes Streicheln mit der Gerte zeigte dem widerspenstigem Pony, wer der Herr war und wer zu gehorchen hatte.

Paul war froh, dass Maria ihn so nicht sehen konnte. Andererseits war er dankbar, so schon mal etwas Erfahrungen sammeln zu können, denn er war sich sicher, dass auch Maria auf diese Spielart bestehen würde. Spätestens wenn das Fest vorüber sein würde.

* * *

»Chefin, ich habe da ein Problem.« Der Zahnarzt hatte um einen Termin bei Frederike gebeten.

»Was ist denn los?« Marias Mutter seufzte innerlich. Eigentlich hatte sie schon genug Ärger.

»Die Familie Kennedy hat für ihre Tochter Anna auch so einen Mundverschluss bestellt.« Er nahm ein Formular zur Hand. »Er soll aber verklebt oder verschweißt werden, statt der üblichen Verschraubung.«

Fredrike begriff sofort die Ungeheuerlichkeit dieser Forderung, wartete aber noch mit einer Reaktion.

»Damit kann er aber nicht mehr entfernt werden. Sie müsste ihn lebenslang tragen. Das kann doch nicht richtig sein, oder?«

Frederike stand auf und ging schweigend zum Fenster. Innerlich kochte sie. Was war nur in dieser Klinik los? Sie hatte den Eindruck, überhaupt keine Kontrolle mehr zu haben. »Welche Variante tragen Sarah und meine Tochter?«

»Die zum Zuschrauben.« Der Arzt trat ebenfalls an das Fenster. » Wir haben allerdings diese ganz neue Schraubenart genommen, weil dort der Schraubenzieher so gut wie nie abrutschen kann.«

»Dann machen sie das bei Anna genauso.« Sie reichte ihm die Hand. »Sie können sich auf mich berufen.«

Es freute ihn, dass seine Erfindung jetzt schon drei Mal zum Einsatz kommen sollte. Welches Leid er damit den Patientinnen antat, begriff er nicht. Im Gegenteil, er wurde schon öfters gefragt, wie man Patienten ruhig stellen konnte, ohne dass es große Folgen hatte. Mit seinem Zahnputz-Verschluss glaubte er eine gute Erfindung gemacht zu haben.

Marias Mutter hatte Mühe, ihre Überraschung zu verbergen. Sie hätte gern gefragt, wer die beiden Damen waren und wer ihre Unterbringung in der Sieben veranlasst hatte. Doch dann fiel ihr Blick auf die Unterschrift auf einem der Formulare und sie erkannte, mit wem sie dringend ein Gespräch zu führen hatte.

* * *

Anna zeigte überhaupt keine Reaktion, als Judith ihren Mund vermaß hatte und Abdrücke nahm.

Paul wunderte sich. »Ist dir das egal?«

»Eine Zahnspange.« Anna seufzte. »Na und?«

Betty wurde hellhörig. »Keine Zahnspange.« Sie kam näher. »Ein Mundverschluss.«

Anna horchte auf. »Ein was?«

»Judith hat doch heute von dir Abdrücke genommen.« Betty ahnte, dass Anna noch nicht begriffen hatte, was auf sie zukommen würde.

»Ja, wie bei Zahnspangen.«

Betty bat Sarah zu sich und bat sie, einmal den Mund zu öffnen. Deutlich war die Verschraubung der beiden Kieferhälften zu sehen. »Du kannst deinen Kiefer nicht mehr bewegen und ich glaube, deine Zunge wird auch fixiert?« Sie blickte Sarah fragend an.

Sarah bestätigte Bettys Vermutung.

Annas Blick erstarrte, als sie begriff, was mit ihr passieren würde. »Aber das können sie doch nicht machen?« Schon nach kurzer Zeit begannen Tränen über ihr Gesicht zu laufen. Sie hatte ihr schon fast alle Freuden genommen, jetzt würde sie ihr auch noch ihre Stimme rauben. Sie wandte sich ab und begann bitterlich zu weinen.

Doch kurz darauf besann sie sich. Das war nur ein weiterer Teil ihres Planes, sie zu brechen. Sie erhob sich wieder, wischte sie ihre Tränen weg und gab sich trotzig. Sollen sie ihr doch ihre Stimme auch noch nehmen. Mit Florian würde sie sich auch so verstehen.

* * *

Wie schon die Woche zuvor war Maria von der eisernen Lunge sehr erschöpft. Schon als Paul sie mit dem Beutel für das Abendessen versorgte, fielen ihr die Augen zu und Paul musste sie immer wieder anstupsen.

Sie lächelte verlegen. »Ich bin sehr müde.«


Anna blickte immer wieder zu den zwei Paaren. Sie waren so anders als all die anderen Spione, die bisher auf die Station geschickt worden waren. Ob man ihnen vielleicht doch vertrauen konnte? Anna schöpfte einen kleinen Funken Hoffnung. Sie würde heute Abend mit Florian darüber reden, wenn er kommen würde. Den Gedanken an den Mundverschluss schob sie weit von sich. Das wollte sie einfach nicht glauben. So grausam konnte ihre Familie doch nicht sein.

Auch Betty wälzte sich im Bett hin und her. Sie konnte auch nicht einschlafen, weil sie immer noch nicht wusste, ob es richtig war, was sie vor hatte. Hier alle Zelte abzubrechen und Sarah als persönliche Dienerin nach Brasilien zu folgen. Ob ihre Liebe zu Sarah wirklich stark genug war?

* * *

Frederike griff zu den Akten, die ihre Sekretärin kurz vor Dienstschluss noch vorbei gebracht hatte. Anna war anscheinend für das »Ehevorbereitungsprogramm« gebucht. Die Buchung war schon vor einem Vierteljahr durch ihren Vater erfolgt und war etwas in Vergessenheit geraten.

Sie blätterte weiter. Es waren anscheinend verschiedenen Behandlungen geordert, um den Widerwillen der Tochter zu brechen. Anna würde sofort aus der Klinik entlassen werden, wenn sie sich zu der Hochzeit bereit erklärte.

Frederike legte die Akte beiseite und lehnte sich zurück. Was war bloß aus ihrer Klinik geworden, seit der Investor hier das Sagen hatte und nur noch auf das Geld geschaut wurde. Annas Aufenthalt brachte der Klinik viel Geld ein, aber es war schmutziges Geld.

Dienstag, den 7. September 1984

»Guten Morgen, mein Schatz, du musst aufstehen.« Paul beugte sich zu Maria herunter.

Maria schlug die Augen auf und verzog das Gesicht.

»Was ist los?« Paul war besorgt. Erst jetzt dachte er wieder daran, dass Marias Mund verschlossen war. Er dachte nach. »Du hast Muskelkater?«

Maria nickte mit einem gequälten Lächeln.

»Aufstehen!« Betty steckte den Kopf zur Tür herein. »Wir haben heute viel zu tun.«

Mit einem deutlich hörbaren Seufzer schwang Maria sich dem Bett und wartete, bis Paul sie vom Bett befreit und mit dem Schienensystem verbunden hatte.

Es würde ein schöner Tag werden. Paul war da, Sarah freute sich auf ihre Hochzeit und ihre Mutter schien nichts gegen Paul zu haben, im Gegenteil, sie hatte ihnen ja schon ihre erste gemeinsame Nacht in Aussicht gestellt.

»Ich schaue dann mal nach Anna.« Paul ging zur Tür, während sich Maria auf den Weg ins Bad machte.


Anna wischte sich die Tränen weg. Sie hatte fast die ganze Nacht wach gelegen und hatte gegrübelt. Vielleicht konnte sie sich doch diesem Paul anvertrauen. Es waren lauter kleine Indizien, die Anna immer wieder abgewogen hatte. Nicht zuletzt war da der Satz, den gestern die Zahnarzthelferin hatte fallen lassen. Der Mundverschluss sei bestellt, damit sich Anna nicht den neuen Patienten anvertrauen konnte. Mit Sarah und Maria konnte sie nicht reden, denn sie trugen so einen Mundverschluss, wie er für sie schon angedroht war.

Vorhin war er schon da gewesen und hatte sie an das Schienensystem gebunden. Doch da war Annas Mut noch nicht groß genug gewesen. Sie hoffte, dass sie ihn nach dem Frühstück sprechen konnte.

Anna wusste, dass alle Räume, die sie mit dem Schienensystem erreichen konnte, videoüberwacht waren, doch soweit sie wusste, wurden sie nicht abgehört. Sie hatte das bald nach ihrer Einweisung in der Klinik ausprobiert.

Gestern war Florian wieder da gewesen. Anna war sehr froh, dass er es geschafft hatte, einen Job in der Klinik zu bekommen. So war es ihm möglich, sie ab und zu zu besuchen und ihr Kraft zu geben. Beinahe wäre er aufgeflogen, doch als Betty und Paul kontrollieren kamen, hatte er sich hinter dem Vorhang versteckt.

Anna seufzte. Sie wusste, dass es für sie keine Erlösung geben konnte. Irgendwann würde die Familie sie wahrscheinlich einfach vor den Traualtar zwingen. Doch ihre Liebe zu Florian würden sie ihr nicht nehmen können, egal, wie sehr sie sie auch folterten.

Wieder musste sie an den neuen Helfer denken, der jetzt auf der Station war. Er hatte die Maschine nicht so stark eingestellt, wie es verlangt war. Und Schwester Betty hatte dies auch für in Ordnung befunden. Doch es blieben Zweifel. Manche Aktionen der Familie waren schon sehr perfide gewesen.

Seufzend schwang sie sich vom Bett und machte sich auf den Weg zum Frühstück. Vielleicht konnte sie ihn schon beim Frühstück ansprechen, das wäre wohl am wenigsten auffällig.


»Mein Chef ist richtig begeistert, dass seine Erfindung jetzt schon drei Mal getragen wird.« Judith lächelte, als sie von Betty an der Schleuse abgeholt wurde.

»Mir persönlich gefällt es auch sehr gut.« Betty grinste. »Sarah hat dann immer so einen flehenden Blick.«

»Ich persönlich fände es eher gruselig, wenn mir so die Stimme genommen werden würde.« Judith war etwas nachdenklich. »Was ist mit der Magensonde? Ist die schon gelegt?«

Betty schüttelte den Kopf. »Das mache ich.« Sie grinste wieder. Ich habe mittlerweile eine gewisse Übung darin.«

»Holst du bitte Anna, ich bereite derweil alles vor.« Judith legte die mitgebrachten Sachen auf den Tisch.


»Ah, da bist du ja.« Betty wand den Kopf, als Anna das Zimmer betrat.

»Was ist denn schon?« Anna hatte Judith noch nicht erkannt, da sie ihr den Rücken zugewandt hatte.

Jetzt drehte sich Judith auch um.

»Jetzt schon?« Anna erstarrte. »Ich wollte doch noch...« Doch dann hielt sie inne. Sie durfte ihre Pläne nicht verraten.

»Kommst du bitte?« Judith blickte kurz zu Betty, die anscheinend schon die Sonde vorbereitete.

Anna wusste, dass Weglaufen keine Option war. Schon viel zu oft hatte sie es probiert, stets eine Menge Kraft verbraucht, wenn sie gegen den Schlitten kämpfte, und musste doch stets nachgeben.

»Bringen wir es hinter uns.« Mit sehr viel Sarkasmus ging Anna zu dem Stuhl, auf den Judith gezeigt hatte. Sie hatte etwas Ehrgeiz entwickelt, keine Tränen zu zeigen, zumindest nicht, wenn irgendwo eine Kamera lief. Sie wusste, dass die Familie die Tränen als Schwäche deuten würde. Sie wartete lieber damit, bis das Licht aus war, dann vertraute sie sich ihrem Kissen an.

* * *

»Bist du fertig?« Paul steckte den Kopf ins Bad.

»Ich bin sofort fertig.« Maria strahlte ihn an. »Heute wird ein schöner Tag.« Sie würden unter sich sein, und vielleicht würden sich sogar ein paar Momente mit Paul allein ergeben. Sie wischte sich mit dem Handschuh durchs Gesicht, dann hängte sie es an den Haken und wollte aus dem Bad eilen. Doch sie kam nur zwei Schritte, dann erinnerte sie der Ruck an ihrem Körper an das Schienensystem, an das sie gebunden war. Seufzend setzte sie ihren Weg langsam fort.

»Hör auf zu grinsen.« fauchte sie Paul an, der in der offenen Tür stand. Doch dann sah sie, was er in der Hand hielt. Ihren Mundverschluss.

»Die anderen dürfen nicht wissen, dass ich ihn dir abgenommen habe.« Er seufzte.

Maria seufzte, dann öffnete sie den Mund und ließ sich den Knebel einsetzen. Sie hätte ihn gern noch gefragt, wo er das Werkzeug dafür her hatte, doch das fiel ihr zu spät ein. Außerdem war es schöner, ihn ohne das Ding im Mund küssen zu können.


Im Frühstücksraum war Betty gerade mit Anna beschäftigt. Maria sah sofort, dass auch sie eine Magensonde bekam. Doch auch Sarah fiel ihr auf, die schweigend neben Betty stand und doch so etwas wie Eifersucht ausstrahlte. Sie schien sich erst wieder zu beruhigen, als Betty wieder von ihr abließ. »Ihre Patientin, Judith.« Sie grinste.

Judith drehte sich zu Paul. »Die Chefin sagt, sie hat dir das Werkzeug gegeben.«

»Ja, das hat sie.« Paul drehte sich um und beeilte sich, zur Tür zu kommen. »Ich habe es bei uns im Zimmer.« Er hoffte, dass keiner sein rotes Gesicht sah.


Insgeheim war Anna davon überzeugt, dass das mit dem Mundverschluss nicht funktionieren konnte. Zumindest hatte sie sich das seit dem Maßnehmen von gestern eingeredet. Doch als Judith mit den Schrauben hantierte, erkannte sie, dass sie in Zukunft auch auf ihre Stimme verzichten musste. Es kostete sie sehr viel Kraft, keine Tränen zu zeigen und erst so nach und nach erkannte sie die wahren Dimensionen dieser Aktion.

Sie würde nie mehr reden können, auch nicht mehr mit Florian. Zudem erkannte sie, dass ihr kleiner Fluchtplan auch vereitelt war. Wie sollte sie sich jetzt diesem Paul anvertrauen?


Paul war der Stimmungswechsel von Anna nicht entgangen. War sie bisher nur traurig gewesen mit etwas Trotz, so schien sie jetzt wirklich am Boden zerstört. Er blickte kurz zu Maria und seine Freundin bestätigte mit einem Blick seine Beobachtung. Er kam ins Grübeln. Maria und Sarah waren über den Mundverschluss zwar nicht begeistert, doch sie zeigten auch keinerlei Unbehagen. Doch Anna schien geradezu todunglücklich.


Betty kam mit einem Tablett heran. »Jetzt gibt es erst mal Frühstück.« Auf dem Tablett lagen die üblichen weißen Beutel, nur dass es diesmal drei Beutel waren. Sie blickte zu Paul. »Holst du bitte unsere Tabletts aus dem Aufzug?«

Paul kam der Bitte nach, und kurz darauf kehrte die übliche Frühstücksruhe ein.

Paul blickte immer wieder heimlich zu Anna, die sichtlich mit ihrem neuen Schicksal zu kämpfen hatte.


»Seid ihr schon bereit?« Frederike stand in der Tür, und hinter ihr waren noch mehrere Personen zu sehen.

»Ich dachte, das hier wäre eine geschlossene Abteilung.« Betty grinste, dann blickte sie in die Runde. Fast alle Beutel hatten sich geleert und auch die Tabletts von ihr und Paul waren so gut wie leer. »Wir sind bereit.« Sie lächelte ihre Chefin verlegen an.

»Der Orthopäde und der Schneider bitten um einen Termin für die Anpassung der neuen Korsetts.« Frederike tat, als hätte sie die Bemerkung von Betty nicht gehört.

Maria und Sarah sprangen auf. Sie befreiten sich von den Beuteln und blickten erwartungsvoll in Richtung der Tür.


»Warum ist denn das so aufwendig?« Betty verdrehte etwas die Augen, als sie sah, was die Ärzte und die Schwester so alles aufbauten.

»Es ist ja nicht nur eine einfache Anprobe.« Frederike übersah Bettys Blick. »Diese Korsetts sind mehr als das Übliche und wir möchten auch die Verteilung der Organe kontrollieren.«

Betty blickte erstaunt auf.

»Immerhin sollen sie die Korsett ja für länger tragen.« Theoretisch sogar für immer, dachte Marias Mutter noch bei sich.


»Darf ich euch mal einen Moment sprechen?« Gertrud war zu Paul und Betty getreten und blickte sie erwartungsvoll an.

»Werden wir hier gebraucht?« Betty wandte sich an den Orthopäden. Dieser gab ihnen frei. »Wenn sie gegen Mittag wieder da sind, sollte das reichen.«

Paul und Betty folgten Gertrud in ihr Zimmer. »Ich möchte mich bei euch entschuldigen.« Sie blickte kurz auf dem Fenster. »Herzog Breganza war bei mir und hat mir die Lage erklärt.«

Paul und Betty blickten sich an. Sie wussten nicht, was sie sagen sollten.

»Im Grunde ist es so auch schöner« Gertrud lächelte verschmitzt. »Es fing nämlich an, langweilig zu werden.«

»Warum sind sie eigentlich hier?« Paul fühlte irgendwie, dass jetzt vor allem Ehrlichkeit gefragt war.

»Mein Mann macht eine längere Geschäftsreise«, Sie zögerte etwas. »Und meine Dienerin ist schwanger, so dass sie sich mehr um sich selbst kümmern muss. Deswegen haben wir diesen Aufenthalt gebucht.«

»Und die ganzen Behandlungen?« Betty war hellhörig geworden. »Das sind doch teilweise Foltern.«

Gertrud wurde leicht rot. »Nun ja, ich bin wohl leicht masochistisch veranlagt. Mein Mann hat das recht früh erkannt und bereitet mir das Paradies auf Erden, jedenfalls meistens.«

Paul blickte zu Boden. Er wollte nicht darüber nachdenken, aus was genau dieses Paradies bestand.

»Und was erwarten sie jetzt von uns?« Betty wollte auf den Punkt kommen.

»Macht bitte einfach so weiter wie bisher.« Sie wurde etwas verlegen. »Es ist viel spannender, wenn ich nicht genau weiß, was kommen wird und wie die Geräte eingestellt sind.«

Paul und Betty griffen sich unwillkürlich bei den Händen. Die Anspannung unterband persönliche Gefühle. Sie spürten, dass Gertrud ihnen viel Vertrauen entgegen brachte und sie hofften beide, es nicht zu enttäuschen.

»Und dann wäre da noch etwas.« Gertrud ging zu ihrer Kommode und schaltete das Radio an. Dann bat sie Paul und Betty, näher zu kommen.

Sie ließen ihren Hände wieder los und kamen der Bitte nach.

»Ich weiß nicht, ob Annas Familie hier mithören kann, deswegen das Radio.« Gertruds Stimme war auf einmal leise und verschwörerisch. »Ich mache mir große Sorgen um Anna.« Gertrud berichtete von ihrem Beobachtungen. »Sie war immer schon recht traurig, doch jetzt mit dem Mundverschluss ist sie todunglücklich.«

Paul bestätigte ihre Beobachtung. »Das ist mir auch aufgefallen.«

»Mir vertraut sie nicht, weil ich Kontakte zu Herrn Brown habe.« Gertrud verdrehte kurz die Augen. »Aber ich glaube, du könntest Zugang zu ihr finden.« Sie blickte Paul zuversichtlich an.

Paul musste schlucken. »Ich werde es versuchen.« Auch ihm war der traurige Blick von Anna zu Herzen gegangen.

»Und jetzt hätte ich noch eine andere Bitte.« Gertrud hatte auf einmal etwas Flehendes im Blick. »Mein Mann hat mir diese Mumie geschenkt, aber wir sind noch nicht dazu gekommen, sie auszuprobieren.« Sie zeigte auf einen großen Kasten, der von der Form her ein wenig an einen Sarkophag erinnerte. »Natürlich nur, wenn ihr Zeit habt.«

Bettys Augen begannen zu leuchten. »Ich geh mal fragen, ob wir gebraucht werden.« Sie verließ den Raum.

Paul ging auf den großen Kasten zu und blieb ehrfurchtsvoll davor stehen.

»Hier wird es aufgeklappt.« Gertrud zeigte auf einen Riegel. »Und hier ist das Bedienpult.« Sie öffnete eine Klappe und gab den Blick frei auf einige Knöpfe und ein tachoähnliche Anzeige. Als Einheit war Bar angegeben.

Paul blickte interessiert auf die Anzeige. »Es geht um Druck?«

Gertrud klappte die Mumie auf und ließ Paul in das Innere blicken. »Hier im Inneren sind viele kleine Luftkammern, die abwechseln aufgeblasen werden. Das ist dann wie eine Massage.«

Pauls Blick zeigte an, dass er sehr beeindruckt war. »Und sie sagen, sie waren da noch nie drin?«

»Wir haben die Maschine natürlich ihm Rahmen einer Abnahme getestet und auch alle Druckparameter überprüft. Aber fliegen konnte ich darin noch nicht.«


»Bis zum Mittag kommen sie ohne uns zurecht.« Betty strahlte, als sie in Gertruds Zimmer zurück kam. Als sie die offene Mumie sah, pfiff sie. »Was ist denn das Feines?« Sie kam interessiert näher.

»Das ist meine vollautomatische Ganzkörper-Massage.« Gertrud wiederholte, was sie schon Paul erzählt hatte.

»Da sind ja auch Spielzeuge eingebaut.« Betty hatte sehr schnell erkannt, dass für die Brüste und den Schritt besondere Zapfen vorgesehen waren.

»Kennerblick.« Gertrud lächelte. »Die sind natürlich in der Position verstellbar, falls mal jemand anders hinein möchte.«

Betty griff das nicht ausgesprochene Angebot auf. »Ich würde Sarah hier gern mal einsperren.« Sie fasste an die Riemen, die innen offensichtlich zum Festschnallen der Probandin gedacht waren.

»Es ist aber schöner« Gertrud war dem Gedankengang gefolgt, »wenn man gar nicht festgeschnallt ist, weil man dann die Massage überall spüren kann.«

»Ich weiß nicht, ob Maria das gefallen würde.« Paul war eher skeptisch. »Wie lange dauert so eine Massage?«

»In Minuten oder in Orgasmen?« Gertrud lächelte. »Ich hoffe auf mehrere Höhepunkte. Wir konnten es wie gesagt bisher nicht ausprobieren.« Sie griff zu einigen der Knöpfe und stellte sie ein. »So wird es eine Stunde dauern.« Sie blickte Paul und Betty nachdenklich an. »Würdet ihr euch trauen, mich da einzusperren?«

Betty war sofort bereit, doch Paul zögerte etwas. »Gibt es so etwas wie ein Notsignal?« Er hatte etwas Sorge im Blick.

»Komisch,« Gertrud grinste, »das hat mein Mann auch gefragt.« Sie nahm einen kleinen Schalter zur Hand. »Das hier werde ich in der Hand halten.«

Paul sah, dass auf dem kleinen ungefähr Ei-großen Gegenstand zwei Knöpfe waren, ein eckiger und ein runder.

»Der eckige Knopf setzt das Massageprogramm für eine Minute aus, falls es mir zuviel wird.«

»Und der runde Knopf?«

»Der löst den Alarm aus und ihr müsst mich sofort befreien.«

»Also, was müssen wir machen?« Betty hatte wieder dieses verdächtige Leuchten in den Augen.

»Ihr müsstest mich umschnallen.« Sie griff mit der Hand an den Bolzen, der ihr Keuschheitsgürtel an das Schienensystem koppelte. »Ich stelle mich in die Mumie und ihr müsst sie nur zuklappen.« Ihre Stimme zeigte ihre hohe Erregung. »Die Maschine startet dann automatisch.«

Paul spürte einmal wieder, dass er auch einen Keuschheitsgürtel trug. Er war allerdings auch dankbar dafür, denn es half ihm, seine Erregung unter Kontrolle zu halten.

»Dann lasst uns anfangen.« Gertrud drehte sich zu Betty und zeigte mit der Hand wieder auf das Seil, welches sie an die Schienen kettete.

Betty trat vor und dirigierte Gertrud in die Mumie. Sie nahm das Seil, das in der Mumie angebracht war und klinkte es in den Gürtel ein, dann konnte sie das Schienenseil entfernen. »Und jetzt?« Ihre Stimme zeigte auch ihre Nervosität an.

»Ich stelle mich bequem hin und dann macht ihr die Mumie einfach zu. Der Rest geht automatisch.« Gertrud Augen leuchteten.

Paul überzeugte sich noch einmal, dass Gertrud das Ei in der Hand hielt, dann blickte er Betty fragend an. »Bereit?«

Auch Betty spürte das Besondere des Augenblicks. Sie nickte nur.

Langsam schoben sie die Tür zu, bis ein Klacken das Schließen der tür anzeigte. Sofort setzte ein leises Brummen ein und ebenso war ein leises Stöhnen zu hören.


»Passt du auf?« Paul fand den Anblick der Mumie und das Wissen, dass Gertrud sich darin foltern ließ, sehr faszinierend, doch etwas anderes bewegte ihn noch mehr. »Ich möchte noch mal nach Anna sehen. Ich mache mir Sorgen um sie.«

»Ja, bitte schau nach ihr.« Betty war Annas Zustand ebenfalls aufgefallen. »So traurig war sie bisher noch nie. Ich passe auf.«


Auf Annas Behandlungsplan stand »strenges Monohandschuh-Training«. Paul erschrak, als er es entdeckte. Es war seit dem Frühstück schon mindestens eine Stunde vergangen und die Behandlung hatte noch nicht begonnen. Er blickte sich in dem kleinen Schwesternzimmer um, doch von einem Handschuh für Anna war nichts zu sehen.

»Vielleicht weiß Anna, wo ihr Handschuh ist«, dachte er bei sich und ging in Annas Zimmer.

Auf den ersten Blick war das Zimmer leer, doch die Überwachung hatte angezeigt, dass sich eine Person im Zimmer befand.

Paul ließ sein blick durch das Zimmer schweifen, und als er das Seil entdeckte, was von der Decke hinter den Vorhang führte, lächelte er. Anna hatte sich dort versteckt.

Er ging zum Vorhang und zog ihn beiseite. Anna saß auf einem Hocker und hatte den Kopf in die Hände versenkt. Sie schluchzte leise. Der Kragen ihrer Bluse zeigte an, dass sie heftig geweint haben musste.

»Wo ist denn dein Handschuh?« fragte er unvermittelt.

Anna hob langsam den Kopf und zeigte auf ihren Schrank. Ein leises 'Mmpf’ zeigte an, das sie versuchte, etwas zu sagen.

Paul ging zum Schrank und öffnete ihn. Irgendwie hatte er ein ungutes Gefühl, einfach so in fremden Schränken herum zu wühlen. Auf einmal hatte er eine Idee. »Ich finde ihn nicht.« Er drehte sich zu Anna. Es würde Anna vielleicht gut tun, sich etwas zu bewegen.

Anna seufzte, dann stand sie langsam auf und folgte dem Schienensystem, bis sie am Schrank war. Jetzt war sie mit Paul allein, doch ihr Mund war versiegelt. Mit den Händen reden, diese Option würde auch gleich vorbei sein. Den Handschuh betrachtete Anna neben all den Folteraktionen ihrer Familie noch aus einem andere Grund sehr skeptisch. Immer wenn sie den Handschuh trug, wurde ihr Oberkörper nach vorn gedrückt und ihr Busen wurden besonders hervorgehoben. Florian war von diesem Anblick sehr angetan und war dann immer besonders zärtlich zu ihr.

Sie griff innerlich seufzend in das Fach, in dem der Handschuh deutlich sichtbar oben auf lag. Eigentlich war er nicht zu übersehen. Sie reichte ihm den Handschuh und legte dann ihre Arme auf den Rücken, wie es stets von ihr erwartet wurde. Im Vergleich zu all den anderen Sachen, die die Familie für sie bestellt hatte, war der Handschuh noch eine der angenehmsten Sachen.

»Warum bist du so traurig?« Natürlich wusste Paul, dass Anna nicht antworten konnte, aber er wollte ihr zumindest zeigen, dass er ihre Trauer bemerkt hatte.

Doch zu seiner Überraschung zeigte Anna auf einmal ein sehr erschrockenes Gesicht und zeigte mit der Hand auf eine bestimmte Stelle in ihrem Zimmer.

Paul folgte dem Blick und sah, dass dort eine dieser neumodischen Videokameras angebracht war. Annas Raum wurde überwacht. Er begriff, was sie ihm damit sagen wollte. Sie würde sich verraten. Seufzend legte sie wieder ihre Arme auf den Rücken und blickte Paul bittend an. Sie hoffte, dass er sie verstanden hatte.


Es kam Paul schon sehr seltsam vor. Er hatte schon ein paar Frauen den Handschuh angelegt und fast jede hatte dabei so etwas wie Gefühle gezeigt. Maria zitterte meistens ein wenig, die anderen zogen an den Armen, während Paul die Schnürung verschloss. Doch Anna zeigte nichts von all dem. Er fühlte überhaupt keine Spannung in ihr, es kam ihm fast vor, als würde er an einer Puppe arbeiten. Anna war das Anlegen des Handschuhs völlig gleichgültig.

Als er ihr signalisierte, dass er fertig war, zeigte sie weiterhin keine Reaktion. Sie ging einfach langsam zu ihrem Bett und ließ sich in die Kissen fallen.

In Paul reifte ein Plan. Er musste einen Raum finden, der nicht videoüberwacht wurde und müssten Anna hineinbringen. Dann könnten sie ihr den Mundverschluss abnehmen. Er spürte, dass Anna mit ihm reden wollte, doch sie hatte Angst vor der Überwachung durch ihre Familie.

* * *

Vom Korridor waren plötzlich Stimmen zu hören. Paul ging zu Tür, um nachzusehen.

»Noch mal herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, liebe Sabeth.« Nicolas nahm seine Frau in den Arm. »Genieße dein Geschenk.«

»Vielen Dank.« Sabeth küsste ihren Mann dankbar, dann drehte sie sich zu Paula. »Jetzt kann es losgehen.«

Paula hatte beim Kuss weggesehen. Sie legte den Arm um ihre Geliebte. »Ich habe einiges für dich vorbereitet.«

Paul blickte verwundert auf die Personen, die soeben die Sieben betreten hatten. Sabeth war da mit ihrem Mann und Paula, und Nicolas wurde von Monica begleitet, die bei dem Abschiedskuss ebenfalls die Stirn gerunzelt hatte. Hinter ihnen hatte auch Marias Mutter die Sieben betreten.

»Ich hoffe, es ist alles zu ihrer Zufriedenheit.« Frederike war eine gewisse Anspannung anzusehen. »Wenn etwas sein sollte, ich bin für sie jederzeit zu erreichen.«

Sabeth entwand sich Paulas Umarmung und gab der Chefin die Hand. »Danke für die Erfüllung eines lange gehegten Traumes. Wir werden es genießen.« Sie blickte kurz zu Paula. »Und jetzt raus mit euch.«

Ihre letzten Worte galten Nicolas und Monica, die sich ebenfalls noch kurz bei ihr verabschiedeten. »Bis zum Wochenende. Genießt die Zeit.«

Sabeth blickte kurz zu Paula, die den Blick erwiderte. »Das werden wir.«

Frederike ging zu der Tür, die bisher verschlossen gewesen war. Sie schloss sie auf. »Das wird ihr Zimmer werden.«

»Was ist denn hier für ein Lärm?« Betty steckte den Kopf aus dem Zimmer. »Oh, hallo Schwägerin.« Sie grinste. »Bereit für fesselnde Abenteuer?« Sie warf Paula einen schnellen Blick zu.

»Ich hoffe doch.« Sabeth grinste.


»Wie weit seid ihr?« Paul versuchte den Überblick zu bekommen.

»Die beiden sind gerade beim Röntgen.« Betty grinste. »Mit den neuen Korsetts.« Mit den Händen deutete sie eine schmale Taille an.

»Ich dachte, wir sind hier in der geschlossenen Abteilung.« Paul war verwundert.

»Die beiden wissen nicht, was passiert.« Sie beschrieb, dass sie Maria und Sarah mit Augenbinde und Ohrenstöpsel versehen hatte und sie dann in Rollstühlen zum Röngtenraum gebracht wurden.

Paul blickte Betty erstaunt an.

»Natürlich habe ich sie auf den Stühlen fixiert.« Sie grinste. »Morgen machen wir das noch mal, dann aber mit den Ganzkörperkorsetts. Das wird besonders spannend.«

* * *

»Für eine Klinikküche gar nicht schlecht.« Paula schob ihren Teller weg. »Ich bin pappsatt.« Ihr Blick fiel auf Bettys Teller. Betty hatte kaum etwas angerührt. Paula ahnte, was Betty bewegte. »Du fragst dich, ob es richtig ist, hier alles aufzugeben, um ihr zu folgen.«

Betty seufzte tief, dann blickte sie erstaunt auf. »Woher weißt du das?«

»Ich war in der gleichen Situation wie du.« Paula lehnte sich zurück und schloss für einen kurzen Moment die Augen, um sich zu erinnern. »Ich kenne Sabeth eigentlich schon seit unserer Jugend. Mein Vater war bei ihnen als Jäger angestellt.«

Paula begann von ihrer Kindheit zu erzählen. Alle am Tisch waren still und lauschten Sabeth Freundin.

Betty hörte sehr aufmerksam zu und vieles von dem, was Paula erzählte, kam ihr mehr oder weniger bekannt vor. Auch Paula hatte nächtelang wachgelegen und über ihre Beziehung zu der adeligen Frau nachgedacht.

»Ich kann dir eigentlich nur einen Rat geben.« Sie blickte Betty intensiv an. »Folge deinem Herz und blende alles andere aus.«

Betty begriff, dass es Paula gut mit ihr meinte. Doch sie wusste nicht, was sie antworten sollte.

»Wenn du Sarah wirklich liebst, dann wird sich alles andere ergeben.«

»Aber woher soll ich wissen, ob sie mich auch so liebt?« Bettys Stimme zeigte ihre Ernsthaftigkeit. Ein wenig plagte sie ihr schlechtes Gewissen, wenn sie Sarah bei den Behandlungen wieder gequält hatte.

»Auf diese Frage kann nur einer antworten...« Paula antwortete theatralisch. »Und das ist dein Herz.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Wenn ich richtig informiert bin, dann hat Sabeths Vater dir schon ein Angebot gemacht.«

Betty nickte. »Bis Freitag möchte er eine Antwort von mir haben.«

»Bei mir war es genauso«, Paula zeigte viel Mitgefühl. »Ich habe in der Zeit nur sehr unruhig geschlafen. Und habe mich ständig gefragt, ob ich wirklich das Richtige tue.«

Betty seufzte tief.

»Eines musst du wissen.« Paula hoffte, dass sie das Richtige sagte. »Du wirst zwar so gut wie immer an ihrer Seite sein, aber nur selten dürft ihr eure Gefühle zeigen. Vor allem nicht in der Öffentlichkeit.«

Betty seufzte wieder.

»Selbst Händchen halten kann unter Umständen schon zuviel sein.« Paula wollte Betty zwar nicht die Zukunft verbauen, doch sie sollte realistisches Bild dessen haben, was sie erwarten würde. »Es wird erwartet, dass Du immer an Sarahs Seite bist, aber sichtbare Gefühle dürft ihr nicht zeigen.«

Betty blickte lange aus dem Fenster, sie fand keine Worte.

»Wenn ihr in Zukunft irgendwo eingeladen sein, dann wird erwartet, dass Sarah mit ihrem Mann in einem Bett schläft.« Sie deutete an, dass ihr genau das sehr viel Probleme bereitet hat. »Erst als ich mich einmal mit Monica ausgetauscht habe und erfahren habe, dass es ihr genauso erging, wurde es besser.«

Bettys Blick hellte sich etwas auf. »Mit Bertram habe ich ja schon Frieden geschlossen.«

»Und wie denkst du über Juan?« Paula war froh, die Fragen stellen zu können, die für sie selbst wichtig waren.

»Ich kenne ihn bisher nur sehr oberflächlich.« Betty lächelte gequält. »Ich habe seinen Vater öfters gesehen als ihn selbst.«

»So war es bei mir auch.« Paula nickte. »Ist er dir sympathisch?«

»Gute Frage.« Betty musste überlegen. »Eigentlich schon. Mir fällt jetzt nichts Negatives ein.«

»Ich denke, ihr werdet glücklich werden.« Paula gab sich sehr zuversichtlich. Ihr Blick fiel auf die Uhr. »Liebling, wie wär’s, wollen wir anfangen.« Sie lächelte ihre Geliebte an, die bisher still zugehört hatte.

»Ich dachte schon, du fragst gar nicht mehr.« Sabeth grinste. »Ich wollte euch nur nicht unterbrechen.« Ihr Ton zeigte, dass sie die Sorgen von Betty durchaus respektierte und ernst nahm.


Paul blickte ebenfalls etwas verwundert. »Auf dem Plan steht etwas von 'Elektro-Massage'. Was ist denn das?«

»Da sind sie schon.« Betty erklärte, dass Sarah und Maria in ihren Rollstühlen nach dem Röntgen gleich zur Massage gefahren wurden. »Wenn sie dort fertig sind, müssen wir ihnen die Armbrüste anlegen.«

Pauls Blick zeigte sein Erstaunen. »Armbrüste?« In seinen Gedanke sah er einige Ritter, die mit Armbrüsten auf ihre Feinde schossen.«

»Das wirst du dann sehen.« Betty lächelte. »Der Bogen sieht aus wie eine Armbrust.«

Paul wollte zuerst nachhaken, denn auch Bogen sagte ihn nichts, doch dann beschloss er, es einfach auf sich zukommen zu lassen.

»Einen Moment bitte«, Paula räusperte sich, »wenn ich das richtig verstehe, dann hättest du gerade nichts zu tun?«

Paul blickte kurz zu Betty, dann bestätigte er Paulas Vermutung.

»Es wäre sehr nett, wenn du uns beim Auspacken helfen könntest, dann könnte Sabeth schon jetzt fixiert werden.«

»Du kannst wohl die Zeit nicht abwarten.« Sabeth lachte kurz, dann wurde sie unerwartet ernst. »Ich freue mich schon lange darauf, es endlich auszuprobieren.«

»Ja, das kann ich schon machen.« Er blickte zwischen Sabeth und Paula hin und her.

Paula nahm einen winzigen Schlüssel aus ihrer Handtasche und trat auf ihre Freundin zu.

Sabeth zog sich die Ärmel so weit hoch, dass ihre Ellenbogen frei waren. Paul war erstaunt, als ein filigranes Metallgestell zum Vorschein kam, welches sich scheinbar nahtlos um ihre Arme schmiegte.

»Bitte die Arme strecken.« Paulas Stimme war seltsam verwandelt. Sie zeigte sowohl Liebe als auch Dominanz.

Sabeths Augen leuchteten, als sie dem Befehl ihrer Dienerin nach kam.

Paula fingerte mit dem Schlüssel kurz am Ellenbogen herum, dann zog sie die Ärmel wieder herunter und strahlte. »Fertig.«

Sabeth musste lachen, als sie Pauls und Bettys ratlose Gesichter sah. »Ich trage seit heute Morgen schon ein Exoskelett und freue mich schon seit Wochen auf diesen Moment.« Ein Strahlen ging über ihr Gesicht. »Paula wird mir so nach und nach alle meine Gelenke fixieren, bis ich mich gar nicht mehr bewegen kann.«

Paula steckte den Schlüssel wieder in ihre Tasche. »Ich freue mich auch schon lange darauf.« Sie grinste nicht minder. »Doch jetzt gehen wir erst mal auspacken.« Sie blickte Paul ermunternd an.


»Hier, das ist das Gerät, dass unsere beiden gleich tragen müssen.« Betty zeigte Paul die Bögen, den sie für die Behandlung bereit gelegt hatte.

Bis vor Kurzem wäre Paul vielleicht noch verwundert gewesen, doch seit er Paula beim Auspacken geholfen hatte, wunderte ihn nichts mehr. Paula hatte es sich zum Vergnügen gemacht, jeden Gegenstand, den Paul aus der großen Kiste heraus nahm, in seiner Funktion zu erklären und hatte dabei immer wieder auf Sabeth geblickt, die immer erregter wurde.

Als sie in ihrem Zimmer angekommen waren, hatte Paula ihrer Freundin auch noch die Schultergelenke und die Knie fixiert, so dass Sabeth nur noch herumstehen und zusehen konnte. Es störte sie gewaltig, dass Paula alle ihre Foltergeräte so deutlich vor einem nahezu Fremden ausbreitete, doch es gab nichts, was sie dagegen machen konnte.

Sabeth liebte insgeheim diesen Zustand, wenn sie den Launen ihrer Dienerin so hilflos ausgeliefert war. In Brasilien gab es dafür nur selten Gelegenheit, und um so erfreuter waren beide, hier ihrer Leidenschaft wirklich ungestört nachgehen zu können.

Paul hatte es bald realisiert, dass es etwas Besonderes war, Zeuge diese Spiele zu sein, und insgeheim nahm er sich vor, dieses Vertrauen auch nicht zu enttäuschen.

Ganz zum Schluss musste er noch mit anfassen, als Sabeth aufs Bett gelegt wurde und Paula auch noch die Hüftgelenke fixierte. Anschließend reichte Paula ihm die Hand und bedankte sich für die Hilfe. Auch Sabeth bedankte sich mit leuchtenden Augen beim ihm.

Paul begriff sofort, dass die beiden Frauen jetzt unter sich sein wollten. »Stets zu Diensten.« Er verbeugte sich und verließ dann langsam das Zimmer.


»Müssen wir sie holen?« Paul blickte etwas verwundert auf den seltsamen Bogen, den Betty ihm in die Hand gedrückt hatte.

»Nein«, Betty schüttelte den Kopf. »Sie werden gebracht.« Auf einmal veränderte sich ihre Stimme und sie rückte etwas näher zu Paul heran. »Stell dir vor, sie tragen den Mundverschluss, die Augenbinde und die Ohrstöpsel, sie wissen also gar nicht, was los ist.« Ihre Stimme zeigte eine gewisse Faszination.

Ohne dass er es richtig erklären konnte, spürte Paul auf einmal eine gewisse Vertrautheit zu Betty und ihrer offensichtlichen Leidenschaft. Er griff den Faden auf. »Und du meinst, wir lassen sie in dem Zustand?«

»Du verstehst mich« Betty grinste. »Erst zur Kaffeepause werden wir sie befreien.«

Unter normalen Umständen hätte Paul auf einer Befreiung von Maria bestanden, doch irgendwie war Bettys leichter Sadismus ansteckend. Er grinste. Außerdem wusste er, dass solche Isolationen für Maria nichts Neues waren. Aber er fragte sich, ob sie ihn trotzdem erkennen würde.

* * *

Drei Herren warteten im Besuchsraum und hatte eine Kamera und ein Mikro aufgebaut.

Paul hatte beim Aufbauen helfen müssen und hatte dabei aus den Gesprächen ein wenig aufgreifen können. Er begriff indirekt, dass dieser Raum nicht videoüberwacht wurde, sonst hätten die Anwälte die Kamera nicht mitbringen müssen.

»Und das Gerät zeichnet alles auf?« Der Älteste der drei Anwälte blickte besorgt auf den Tisch. »Wenn das noch mal schief geht und wir wieder keine Aufzeichnungen mitbringen, dann macht uns die Familie die Hölle heiß.«

»Keine Sorgen, ich habe das gestern ausführlich getestet.« Er rückte die Geräte noch einmal zurecht. »Und es ist ein ganz neues Band, nur einmal von mir getestet.«

»Na hoffentlich.« Er drehte sich zu Paul. »Sie können Frau Kennedy dann zu uns bringen.«

Paul machte sich sofort auf den Weg. Irgendwie strahlten die Herren eine gewisse Autorität aus, der er sich nicht widersetzen wollte.

Anna saß schon auf ihrem Bett und stand auf, als Paul das Zimmer betrat, noch bevor er etwas sagen konnte.

Innerlich seufzte sie. Wenn die Anwälte nicht zwei Mal pro Woche kämen, wäre sie fast in der Lage, die Gedanken an ihre Familie und die drohende Zukunft auszublenden. Doch so musste sie jeden Dienstag und Donnerstag stets das gleiche Prozedere über sich ergehen lassen.

Doch diesmal würde es anders sein. Sie hatte ihr die Stimme genommen und Anna war nur noch zu Gesten fähig. Nicht dass das am Ablauf der Prozedur etwas ändern würde. Sie würde wieder schweigend da sitzen und bei den entscheidenden Fragen den Kopf schütteln. Doch diesmal musste sie wenigstens nicht aufpassen, ein falsches Wort zu sagen. Die Anwälte mussten ein kleines Vermögen kosten, doch Geld hatte für die Familie noch nie eine Rolle gespielt.

Seufzend folgte sie Paul, der langsam voran ging. An der Tür zum Besucherraum befreite er Anna von den Schienen, dann zog er sich höflich zurück.


Wie jedes Mal setzte Anna sich auf den Stuhl, der für sie bereit stand und senkte den Kopf. Vor ihr lag die Einverständniserklärung, die auf ihre Unterschrift wartete. Doch Anna war sich so sicher wie noch nie, dass sie dieses Papier nie unterschreiben würde.

Einer der Anwälte hatte ein Tonband dabei, das er abspielte.

»Meine liebe Tochter...« Als Anna die herrische Stimme ihres Vaters erkannte, begann sie innerlich zu singen, um die Stimme auszublenden, was ihr auch leidlich gelang. Sie wollte nichts von dem hören, was das Familienoberhaupt ihr zu sagen hatte, egal was es auch war, denn sie wusste, dass sie die Liebe zu ihrem Florian nie akzeptieren würden.

»Nun, sind sie bereit, zu unterschreiben?« Der älteste der Anwälte holte Anna aus ihren Gedanken zurück. »Nicken sie einfach oder schütteln sie den Kopf.«

Anna erkannte, dass die Kanzlei über ihren aktuellen Zustand Bescheid wusste. Langsam aber deutlich schüttelte sie ihren Kopf und blickte wieder zu Boden.

»Das ist doch nur Zeitverschwendung.« stöhnte der jüngste der drei Herren.

»Mag ja sein«, erwiderte der mittlere in der gleichen Lautstärke. »Aber sie wird sehr gut bezahlt.«

Anna hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. Ihre Familie hatte die teuerste Kanzlei weit und breit engagiert und jeder Besuch bei ihnen kostete die Familie über zehntausend Dollar.


»Sie können sie wieder zurück bringen.« Paul erhob sich, als einer der Anwälte seinen Kopf aus der Tür steckte.

Fast hätte Paul gefragt, ob Anna unterschrieben hätte, doch dann konnte er sich zusammenreißen. Ihm ging zwar das Schicksal von Anna zu Herzen, aber in diese Familiengeschichte durfte er sich nicht einmischen.

Als er Anna aus dem Raum führte und wieder an das Schienensystem anschloss, glaubte er fast so etwas wie Stolz bei Anna zu fühlen und insgeheim erkannte er, dass Anna wohl wieder nicht unterschrieben hatte.


»Bringst du Anna gleich wieder zur Streckbank?« Betty hielt Annas Behandlungsplan hoch.

Paul nickte. »Kann ich machen.«

Betty kam mit einem Zettel hinterher. Sie blickte Anna entschuldigend an. »Solange die Anwälte noch da sind, müssen wir die verlangten Werte einstellen, doch so bald sie weg sind, stellen wir die wieder runter.

Anna blickte Betty erstaunt an. Wie gern hätte sie jetzt zumindest einmal ein paar Fragen gestellt. Sie spürte immer deutlicher, dass diese Krankenschwester und auch dieser unerfahrene Betreuer nicht von ihrer Familie eingeschleust waren. Doch ein Rest an Zweifeln blieb.

Immerhin war die Aussicht, von der Streckbank-Maschine nur kurz gequält zu werden, so etwas wie ein Hoffnungsschimmer.

Paul schnallte Anna wie vorgesehen fest, dann ging er bewusst langsam an das Bedienpult und betätigte die Regler. Kurz bevor er einschaltete, blickte er noch einmal zu Anna. »Es tut mir leid, aber wenn die Anwälte zur Kontrolle kommen.«

Anna nickte verständnisvoll. Irgendwie begann in ihr ein Vertrauen zu wachsen.

»Sie sind weg.« Betty steckte den Kopf zur Tür herein. Sie sah sofort, dass die Maschine schon lief. Sie trat an die Maschine und drückte den Notausknopf. »Wir können dir das doch ersparen.« Sie lächelte in Richtung Anna. »Für eine schmale Taille muss frau leiden, aber es muss keine Folter sein.«

Anna hatte auf einmal so etwas wie Erleichterung im Blick. Gerade die Streckmaschine war besonders unangenehm und jeder Millimeter, der ihr erspart blieb, war zu begrüßen.


Plötzlich steckte Paula den Kopf herein. »Betty, kommst du bitte. Der Herzog möchte dich sprechen.«

Betty zuckte zusammen. Bei all den Problemen mit Anna und Gertrud waren Maria und Sarah etwas in den Hintergrund geraten. Sie kontrollierte noch einmal ihre Kleidung, dann ging sie nervös auf den Korridor.

»Guten Tag, Frau Granger. Ich wollte mir einmal die Fähigkeiten meiner Schwiegertochter ansehen.« Der Herzog sprach mit ruhiger Stimme.

Betty runzelte unwillkürlich die Stirn. Gleich darauf bereute sie es.

»Sarah hat um diesen Termin gebeten, wenn ich sie daran erinnern darf.«

»Ja, natürlich.« Doch auf einmal wurde sie rot. »Ich weiß gar nicht, was ich dafür machen muss.« Sie hatte zwar Sarahs Training intensiv begleitet, aber wie das Gebet auf dem Rücken dann tatsächlich aussehen würde und wie man es anlegte, wusste sie nicht.

Maria stupste Paul an und blickte ihn ermutigend an. Mit den Händen deutete sie ein Haus an.

Paul erkannte sofort, was sie ihm sagen wollte. »Ich kann dir helfen. Ich habe es Maria schon mal angelegt.«

»Was machen sie hier?« Der Herzog war für einen Moment verwundert.

»Es ist gerade Pause.« Betty war erleichtert. »Ich hole dann mal Sarah.«


Sarah saß auf dem Bett und blickte Betty erwartungsvoll an. Doch Betty setzte sich zunächst neben Sarah auf das Bett. »Paul wird mir bei dem Gebet helfen.« Sie streichelte Sarah über das Gesicht. »Bist du damit einverstanden?«

Sarah nickte verschüchtert. Sie war Frederikes Rat gefolgt und hatte um einen Termin beim Herzog gebeten, um ihm das Gebet endlich richtig zu zeigen. Sie war erleichtert, dass sie jetzt nicht mehr schummeln musste. Und auch die Angst vor der Hochzeit war weg. Sie stand auf und Betty begleitete sie auf den Flur.

Paul hatte schon einige Seile zusammen getragen und versuchte, sich die Fesselung auf der Hütte noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Er hoffte, dass er alles richtig machte und Sarah keine unnötigen Schmerzen zufügte.

Zu seiner Erleichterung zeigte Sarah zu keiner Zeit, während er und Betty mit den Riemen beschäftigt waren, irgendwelche Zeichen von Unbehagen. Entweder sie spürte wirklich keine Schmerzen oder sie hatte sich bemerkenswert unter Kontrolle.


»Ich bin sehr zufrieden.« Der Herzog strahlte deutlich. Er strich ihr vorsichtig über das Gesicht.

Sarah strahlte ebenfalls, und eine Träne lief über ihre Wange.

Der Herzog wischte die Träne weg und drehte sich zu Betty. »Was ist jetzt wichtig?«

»Wir machen jetzt viel Ausdauertraining.« Betty musste sich erst räuspern, bevor sie antworten konnte. »Maria muss das Gebet auf ihrem Fest fast den ganzen Tag tragen.«

»Um was geht es bei dem Fest?« Der Herzog gab sich interessiert. »Ich habe jetzt schon so viel davon gehört.«

Betty blickte Paul fragend an. »Kannst du das erklären?«

Paul gab einen kurzen Überblick über das Fest sowie über seine historischen Wurzeln. Als er von der Hochzeit berichtete, blickte er sehr verliebt zu Maria.

Der Herzog war dieser Blick nicht entgangen. » Sie mögen sich sehr?«

Beide bestätigten, Maria durch ein erzwungen stummes Nicken.

Der Herzog wandte sich zu Betty und Sarah. »Sarah, meine Liebe.« Er machte eine bedeutsame Pause. »Wenn sie möchten, dann können sie mit dem Gebet vor dem Altar stehen.« Er blickte Sarah und Betty aufmerksam an.

Es tat Sarah ein wenig weh, an ihre Hochzeit erinnert zu werden, bei der sie eben nicht mit Betty vor dem Altar stehen würde. Sie nickte vorsichtig.

»Es würde dann jeder Verständnis haben, wenn Betty wirklich die ganze Zeit an ihrer Seite ist und ihnen hilft.« Die Worte 'ganze Zeit' hatte er extra betont und er hoffte, dass die Worte, die seine Tochter ihm in den Mund gelegt hatte, die richtige Wirkung haben würden. »Ich habe schon mit dem Pfarrer gesprochen, und er ist mit dem besonderen Arrangement einverstanden.«

Bettys Blick zeigte, dass sie noch nicht verstanden hatte, was wirklich gemeint war.

»Es werden zwei Paare vor dem Altar stehen und der Pfarrer wird immer von 'ihrem Partner' sprechen. Wie ihr das verstehen wollt, überlasse ich euch.«

Sarah ergriff Bettys Arm und hielt sich daran fest. Sie hatte Mühe, nicht zu weinen.

»Und jetzt möchten sie sicher weiter machen mit dem Ausdauertraining.« Er drehte sich um und ging zur Schleuse.

Als Paul seinen Blick wieder zu Betty und Sarah wandte, sah er, dass beide gerade trotz Sarahs Mundverschlusses in einen intensiven Kuss versunken waren. Er freute sich, dass die Zukunft dieses Paares offensichtlich gesichert war. Er drehte sich zu Maria und sah, dass seine Freundin ebenso fasziniert war.

Doch dann stupste Maria ihn an und scharrte etwas mit dem Fuß.

Er lächelte. »Du freust dich aufs nächste Training?«Ein Blick in ihre leuchtenden Augen gab ihm die Antwort.


Es war wie gestern. Mit dem langsamen, aber sorgfältigen Anlegen des Ponygirl-Geschirrs verschwand das Mädchen Maria, und ein neues Wesen kam hervor, dessen Wunsch es war, von ihrem Herrn angeleitet und geführt zu werden. Lediglich die Trense konnte nur symbolisch getragen werden, denn Marias Mund war verschlossen.

»Hat dein Pony eigentlich auch einen Namen?« Betty kam auf Paul zu, nachdem sie Sarah in der eisernen Lunge versorgt hatte.

Maria und Paul blickte sich verblüfft an. »Nein, einen Namen hat mein Pony nicht.« Er legte den Arm um Marias riemenverschnürten Körper.

»Und wie willst du es dann rufen, wenn es ungehorsam ist?« Betty Augen hatten einen seltsamen Glanz. Sie schien sich über diese Spielart schon Gedanken gemacht zu haben. »Wir müssen es taufen.«

»Wie wäre es mit 'Wildfire'?« Paul blickte abwechselnd auf Betty und Maria. Erst als Maria nickte, war auch er einverstanden.

Doch Betty widersprach. »Das müssen wir viel feierlicher machen.« Ihre Augen strahlten. »Stellt euch nebeneinander.«

Sie wartete, bis das Paar der Aufforderung nachgekommen war, dann sprach sie weiter. »Paul, bist du einverstanden, dich ab sofort um dieses hübsche Pony Wildfire zukümmern und ihm ein guter Herr zu sein?«

Unter normalen Umständen hätte Paul einfach nur gelacht, doch jetzt lag ein besonderer Zauber im Raum, der der Zeremonie etwas Ernsthaftes verlieh. »Ja, ich bin einverstanden.«

»Und du, liebes Pony Wildfire« Betty wandte sich an Maria, »bist du einverstanden, dich ab sofort deinem Herrn unterzuordnen und alles zu machen, was er von dir verlangt?«

Auch Maria war von der spontanen Zeremonie sehr gefangen genommen. Sie nickte, versuchte ein Wiehern und scharrte etwas mit den Ponystiefeln.

»Somit erkläre ich euch zu Herr und Ponygirl.« Betty gab sich Mühe, ihre Stimme besonders feierlich klingen zu lassen.

»Was macht ihr denn da?« Frederike stand auf einmal im Raum. Irgendwie hatte sie keiner kommen gehört.

Alle drei zuckten zusammen, denn sie fühlten sich ertappt. Betty war die erste, die wieder Worte fand. »Wie lange sind sie denn schon da?«

»Ich glaube, lange genug.« Sie ging auf ihre Tochter zu und blickte sie streng an.

Maria zitterte.

Auf einmal erhellte sich die Miene ihrer Mutter. »Die Trense ist nicht richtig angelegt, Wildfire.« Sie drehte sich zu Paul. »Dein Ponyherr sollte besser auf dich aufpassen.«

Es war still im Raum.

»Es sollte ein Scherz sein.« Frederike ließ ein Lachen hören. »Ich wollte mich eigentlich nur erkundigen, wie der Besuch des Herzogs abgelaufen ist. Und ich wollte die Zeremonie nicht stören.« Sie streichelte ihrer Tochter über den Kopf.

»Sie hätten nichts dagegen?« Paul schien es, als erwachte er gerade aus einem Traum. »Zu diesem ...« Er wusste keine Worte, deswegen deutete er mit der Hand auf Maria.

»Diese Spielart ist mir nicht unbekannt.« Sie lächelte wieder. »Und ab sofort bin ich Frederike für dich.« Sie reichte ihm die Hand.

Maria sank in sich zusammen. Es war zuviel für sie. Paul war da, sie spielten ein ganz tolles Spiel, sie hatte die Arme im Gebet auf dem Rücken, ihre Mutter war da und sie hatte nichts dagegen und sie hatte Paul gerade das 'Du' angeboten. Nur das Seil zur Decke verhinderte, dass Maria zu Boden fiel.


»Nur eine kurze Ohnmacht.« Betty kannte die Symptome schon von Sarah. »Sie ist gleich wieder fit.«

»Ich sehe, ich kann mich auf sie verlassen.« Frederike war erleichtert. »Wenn ihr möchtet, dann könnt ihr das heutige Training auch aussetzen.« Doch insgeheim wusste sie, wie die Antwort lauten würde.

Maria signalisierte, dass sie den Parcours auf jeden Fall laufen wollte. Auch Pauls Miene zeigte, dass er von einer Absage eher enttäuscht wäre.

»Na gut«, Marias Mutter grinste. »Macht aber noch fünf Minuten Pause.« Sie verließ die Station.


Maria genoss es sehr, in dem Ponygirlkostüm den Parcours zu laufen. Irgendwie, sie konnte es selbst gar nicht erklären, machte es ihr Spaß, sich in die Rolle fallen zu lassen und sich von ihrem Ponyherrn antreiben zu lassen.

Paul.

Das war wichtig. Er war dabei und sie war sein Pony. Er schaffte es sogar, so etwas wie Autorität auszustrahlen.

Wie schon gestern war Paul in die Rolle des Ponyherrn geschlüpft und mit der Gerte, die er in der Hand hielt, verteilte er liebevolle Klapse, wenn sein Pony in seiner Leistung etwas nachließ. Er hatte gestern nach Sarahs Parcours an sich selbst ausprobiert, wie fest er schlagen durfte, ohne dass es ernsthaft weh tat.

Manchmal hatte er den Eindruck, Maria schien ihn sogar zu provozieren, denn sie hob ihre Beine nicht an, sondern blickte ihn nur trotzig an. Erst nach dem zweiten oder dritten Schlag mit der Gerte gab sie das gehorsame Pony. Sie war in einer besonderen Stimmung, bei der die immer leichten Schläge mit der Gerte sie eher antrieben und ihre Erregung steigern, anstatt das sie weh taten.

Ohne dass es ihm selbst bewusst war, achtete Paul sehr genau auf alle Signale, die Maria mit ihrem Körper ausstrahlte. Manchmal forderte sie ihn geradezu auf, fester zu schlagen, manchmal waren schon Streicheleinheiten genug. Zuviel war es zu seiner Erleichterung nie.


Betty und Sarah mittlerweile aus der eisernen Lunge befreit, und nun standen beide am Rand des Parcours und sahen fasziniert zu, wie Paul und Maria sehr innig miteinander spielten. »Ich wollte aufpassen und eingreifen, wenn er es übertreiben sollte.« flüsterte sie zu Sarah. »Doch sie sind so verliebt miteinander.«

Sarah legte ihren Arm und Bettys Schulter und sucht mit dem Mund ihre Lippen.

Auch Anna und Gertrud waren den Geräuschen gefolgt und nun schauten sie ebenfalls das Spiel an.

Sarahs Blick zur Uhr war es schließlich, der Betty zum Eingreifen nötigte. Sie überlegte kurz, wie sie das Spiel wohl beenden konnte, ohne dass es als ein Abbruch herüber kam. Schließlich hatte sie eine Idee. Sie ging zu Paul und flüsterte ihm ein »letzte Runde« ins Ohr. Damit war es möglich, das Spiel sanft zu beenden.

Anna war sich mittlerweile sicher. Paul und Maria waren keine Spione. Solch eine Liebe war nicht gespielt. Doch dann fiel ihr wieder ein, dass ihr Mund verschlossen war und sie keinem davon erzählen konnte. Hatte die Familie schließlich doch gewonnen?

* * *

Warum war Anna in der Klinik? Frederike wollte das unbedingt geklärt haben. Sie hatte sich schon beim Investor erkundigt und Herr Brown hatte auch zugegeben, dass er Annas Unterbringung in der Klinik veranlasst hatte. Doch als sie sich darüber beschwert hatte, dass sie nicht Bescheid wusste, wurde sie mit einem Verweis auf die schlechte Vermögenslage der Klinik abgespeist.

Innerlich war Frederike am Kochen. Doch sie wusste, dass sie vorsichtig sein musste. Annas Familie war sehr mächtig, ihr Vater war Senator und hatte Kontakte bis zum Präsidenten.

Außerdem musste es in der Klinik einen Maulwurf geben. Die Familie wusste über alles, was Anna betraf, Bescheid. Sie wusste von der Unterbringungen von Maria und Sarah, den Austausch des Personals.

Ja sogar die verspätete Behandlung mit dem Monohandschuh war ihr bekannt, obwohl es erst gestern passiert war. Dies hatte sie aus einem der viele Beschwerdeanrufe erfahren. Die Familie hatte sie gewarnt, sich nicht zwischen sie und Anna zu drängen. Es wäre nur noch eine Frage der Zeit, dann wäre Anna bereit für die Hochzeit.

* * *

Maria kam aus der Dusche und strahlte. Sie machte zwar einen sehr müden Eindruck, doch ihre Augen zeigten, wie sehr sie das Spiel mit Paul genossen hatte.

»Ich glaube, mein Pony möchte bald ins Bett?« Paul lächelte, als er Marias erschöpften aber glücklichen Blick bemerkte.

Maria hob ihren Kopf und lächelte etwas gequält, dann nickte sie. Sie blickte Paul eindringlich an.

Paul ahnte, was sie bewegte. »Morgen ist erst mal Pause.« Er streichelte ihr über das Gesicht. »Aber am Donnerstag hole ich 'Wildfire' wieder aus dem Stall.

Maria schmiegte sich verliebt an ihn. Wenn sie nicht so hundemüde wäre, hätte sie sich an der neuen Situation erfreuen können. Ihre Mutter hatte ihre Spiele mit Paul gesehen und ihn sogar eher ermutigt und ihm zudem das 'Du' angeboten. Doch jetzt wollte Maria nur noch eines, ins Bett und schlafen.


Anna war erleichtert, als sie die vertraute Berührung von Florian spürte. Doch diesmal war es anders. Sie konnte nicht mehr reden. Sie nahm seine Hand und führte sie an ihren Mund. Sie öffnete ihre Lippen und ließ ihn ertasten, was die Familie ihr angetan hatte.

»Und du kannst gar nicht mehr reden?« So richtig wollte Florian es nicht glauben.

Anna begann zu schluchzen. Sie streichelte seine Hand. Das war das letzte, was ihr noch geblieben war. Sie traute sich nicht, Licht zu machen. Sie wusste nicht, ob die Kamera auch nachts lief, dann würde sie Florian enttarnen und das wollte Anna auf keinen Fall.

Sie war so froh, dass er sie in der Klinik gefunden hatte und dass er sie jetzt so gut wie jede Nacht besuchen kam. Sie genossen die gemeinsame Zeit und blendeten dabei den Gedanken an die Zukunft aus, denn eine gemeinsame Zukunft war ausgeschlossen.


Paul war noch wach und saß am Tisch. So viel Aufregendes hatte sich heute ereignet. Sein Blick fiel auf Maria, die schon eingeschlafen war, noch bevor Paul sie überhaupt zugedeckt hatte.

Hätte Paul seinen Blick nicht im Zimmer umherschweifen lassen, dann wäre ihm vermutlich gar nicht aufgefallen, dass sich plötzlich ganz ohne einen Laut die Zimmertür öffnete.

Betty steckte ihren Kopf zur Tür herein und legte sofort einen Finger auf ihren Mund. Sie trat ein und schloss die Tür wieder so leise, wie sie sie auch geöffnet hatte. Auf Zehenspitzen schlich sie zu Paul an den Tisch.

»Da ist jemand in Annas Zimmer« flüsterte sie. Ihre Anspannung war deutlich zu spüren. »Ich habe ein Weinen gehört.«

»Du meinst, wir sollten nachsehen.« Paul flüsterte ebenfalls. Eigentlich hatte er keine Lust mehr auf ein weiteres Abenteuer, der heutige Tag war schließlich schon aufregend genug gewesen.

»Wer auch immer das ist, wir müssen ihn überrumpeln.« Betty zeigte eine gewisse Entschlossenheit. »Maria sagte, du kennst dich mit Selbstverteidigung aus?«

Paul hatte nicht mehr die Kraft, um zu widersprechen. Er hatte doch bloß bei Marias Übungen zugesehen und sich das eine oder andere Mal als 'Angreifer' zur Verfügung gestellt. Doch er spürte, dass er hier gebraucht wurde.

»Ich reiße die Tür auf und du machst Licht an.« Bettys war etwas grimmig. Gestern hatte es zu lange gedauert, außerdem hatten sie schon auf dem Flur Lärm gemacht.

»Nun denn, gehen wir es an.« Paul war sehr mulmig zu mute.


»Florian?« Betty war überrascht, als sie Annas Zimmer gestürmt hatten.

Paul und Betty bot sich ein seltsames Bild. Florian, den Betty als den neuen eher lausigen Pfleger erkannt hatte, kniete vor dem Bett und hielt Anna im Arm.

Als Anna sah, was passiert war und das Licht im Zimmer an war, brach sie auf dem Bett zusammen. Jetzt war ihre letzte Hoffnung auch zerstört.

* * *

Leonie blickte sehnsüchtig auf ihr Bett, welches jetzt die erste Nacht unbenutzt war. Sie lag in ihrem Käfig und hatte sich in die Decken gehüllt.

Wilde Träume hatten sie in der Nacht begleitet, in der sie immer wieder von Sklavinnen und Käfigen geträumt hatte.

Gestern Abend hatte Selma ihr offenbart, dass heute ein wichtiger Tag für sie sei. Sie würde sie heute einigen wichtigen Leuten vorstellen, und wenn sie sich gut aufführte, dann würden sie sie vielleicht nehmen wollen.

Immer wieder hatte Leonie darüber gegrübelt, was diese Worte wohl zu bedeuten hatten. Würde Selma sie wirklich weggeben oder verkaufen?

Doch dann kam ihr immer wieder ihre aktuelle Situation in den Kopf, und alles was Selma bisher angekündigt hatte, war auch eingetreten. Auch ihre Familie schien von ihrem Schicksal zu wissen und war damit einverstanden.

Andererseits lebten sie doch in einem zivilisierten Land und es war einfach illegal, jemand zu verkaufen. Sklavenhandel war schon seit langem abgeschafft.

Der Käfig war wirklich schön, toll verarbeitet und er vermittelte ein Gefühl von Geborgenheit. Das Schloss war immer noch so, wie Leonie es angebracht hatte, Selma hatte es selbst noch nicht berührt. Sie hatte ihr die Erlaubnis gegeben, sich selbst von ihrem Knebel zu befreien, dann hatte sie ihr das Abendessen in den Käfig hineingereicht.

Es war für Leonie ein sehr aufregendes Gefühl, dass sie in dem Käfig ihr Essen bekam. Gedanklich hatte sie sich in dem Käfig schon eingerichtet. Vorn an der Tür hatte sie gegessen und dann hatte sie sich in den hinteren Teil zurückgezogen, um doch einzuschlafen. Doch gerade nachdem Leonie sich nach dem Essen wieder den Knebel angelegt hatte, hatte Selma ihr von der Vorstellung heute erzählt.

Leonie war immer wieder über die Konsequenzen ihres Wunsches nach Gefangenschaft erstaunt. Gestern Abend hatte Selma ihr sogar eine Windel in den Käfig gelegt. Das hatte sie nochmals schwer ins Grübeln gebracht. »Morgen früh kümmere ich mich um die Hygiene«, hatte Selma angekündigt.

Sie hatte die Windel erst nur empört in die Ecke geschoben, doch dann arbeitete es in ihr. Wenn Selma ihr eine Windel zur Verfügung stellte, dann hieß dies aber auch, dass sie nicht beabsichtigte, sie aus dem Käfig zu befreien.

»Jetzt darfst du erst mal duschen.« Selma betrat ihr Zimmer und hielt ein Schlüsselbund in der Hand. »Hast du nachgedacht, ob du heute artig sein willst bei der Vorführung?«

Leonie gab es einen Stich ins Herz, als sie gleich wieder an das heutige Ereignis erinnert wurde. Sie blickte zwischen den Gitterstäben durch und nickte.

»Wenn du mir versprichst, still zu sein und nur zu antworten, wenn ich dich etwas frage, dann darfst du dir den Knebel abnehmen.« Selmas Stimme war seltsam liebenswürdig.

Leonie war zunächst erfreut von der Aussicht ihre Stimme benutzen zu dürfen, und sie löste die Schnallen ihres Kopfgeschirrs. Doch dann zögerte sie. Auf die Frage, welches Schicksal sie erwartete, würde sie sicher keine Antwort bekommen. Sie erinnerte sich noch mit Schaudern an die letzte Frage, die ihr letztendlich den Knebel eingebracht hatte.

Selma beugte sich herunter und öffnete die Käfigtür. »Wirklich eine tolle Arbeit, findest du nicht auch?«

Leonie musste ihr zustimmen. »Ein Traum.«

»Komm dann bitte ins Bad.« Selma ging zur Tür. »Ich bereite alles vor.«

Leonie kroch langsam aus dem Käfig und richtete sich auf. Sie vermied es, an ihrem Körper herunter zu sehen, sie wollte die Windel nicht sehen, auch wenn sie ihr eine unbeschwerte Zeit im Käfig ermöglicht hatte. Es war, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, sehr demütigend.

Doch eine Gefangene hatte es eben nicht besser verdient, sagte sie sich selbst.


Die Dusche hatte Leonie mehr als genossen, auch wenn sie auch hierbei ihre Ketten stets an ihren eigentlichen Zustand erinnerten.

Selma half ihr beim Abtrocknen und half mit einem Föhn nach, um den Keuschheitsgürtel und die Ketten zu trocknen. »Zum Anziehen werde ich dir kurz die Ketten öffnen, wenn du versprichst, ruhig zu halten und dich anschließend wieder verschließen zu lassen.«

»Ja, Madame, das werde ich.« Leonie begann von sich aus mit der Anrede 'Madame'.


Sie bekam ein schönes Kleid angezogen und schicke Schuhe, dann schloss Selma die Ketten wieder. Leonie wollte sich wieder den Knebel anlegen, doch Selma hielt sie zurück. »Den brauchen wir erst mal nicht. Komm jetzt zum Frühstücken.«

Nachdem der erste Hunger gestellt war, stellte Selma eine Frage. »Gefällt es dir, meine Gefangene zu sein?«

Leonie musste heftig schlucken, bevor sie antworten konnte. »Ja sehr.«

»Du möchtest sicher wissen, welches Schicksal auf dich wartet?« Selma wollte zeigen, dass sie durchaus wusste, was Leonie bewegte.

»Ja, sehr gern.« Doch dann seufzte sie. »Aber sie werden es mir wohl nicht sagen.«

»Damit hast du recht.« Selma lächelte. »Jetzt mache dich bitte fertig für die Vorführung.«


Ein Auto wartete vor dem Haus, welches sie abholte. Sie fuhren nur ein paar Straßen weiter und Leonie konnte den Straßennamen 'Rathausplatz' lesen. Das Auto hielt und sie wurden von einem Herrn im Anzug erwartet. »Sie warten schon.«

Leonie stieg aus und blickte sich um. Es war ein großes Gebäude, vielleicht das Rathaus, dies legte zumindest der Straßenname nahe. Sie gingen eine Treppe hoch und betraten einen großen Saal.

»Das ist also ihr Schützling?« fragte einer der Herren.

Leonie kannte ihn nicht, aber zwei der anwesenden Personen erkannte sie wieder. Sie waren schon einmal bei Selma zu Besuch gewesen.

»Meinen sie, sie wäre geeignet?« Selma bat Leonie, sich einmal umzudrehen.

»Die Ketten sind von Herrn Schwerterle?« fragte der Herr, der schon einmal zu Besuch gewesen war.

»So ist es.« Selma bestätigte es.

Der Herr kam näher. »Und die Ketten machen ihnen wirklich nichts aus?«

Nach einem kurzen Blickwechsel mit Selma war Leonie in der Lage zu antworten. »Sie sind sehr bequem.« Es war fast etwas befremdlich, nach so langer Zeit des Schweigens wieder ihre Stimme zu hören.

»Könnten sie etwas umher gehen?« Der Herr, der sie zuerst begrüßt hatte, war hervorgetreten.

Leonie wusste nicht, was genau von ihr erwartet wurde, doch es machte ihr nichts mehr aus, sich vor fremden Leuten in ihren Ketten zu zeigen. Schließlich war einer ihrer Träume wahr geworden.

»Meine Dame und meine Herren, was meinen sie? Können wir Leonie gebrauchen?«

Vier Herren und eine Dame stellten sich kurz zusammen und schienen sich zu beraten. Schließlich trat der Herr nach vorn, den Leonie schon als Herrn Greinert kennengelernt hatte. »Ja, wir nehmen sie.«

Selma verbeugte sich symbolisch. »Ich danke ihnen.« Sie drehte sich zu Leonie. »Komm, wir gehen wieder nach Hause.« Sie streichelte ihr über den Kopf. »Ich bin stolz auf dich.«

Leonie verstand immer weniger, was gerade passiert war. Sie war in ihren Ketten vorgestellt worden, und sie wurde anscheinend akzeptiert, doch jetzt konnte sie mit Selma wieder nach Hause gehen. Sie lächelte in sich hinein. Einen Sklavenmarkt hatte sie sich anders vorgestellt. Vor dem Rathaus wartete wieder das Auto auf sie, das sie auch schon her gefahren hatte.


»Ich bin sehr zufrieden mit dir.« Selma blickte Leonie mit etwas Stolz im Blick an.

»Danke, Madame.« Leonie wollte sich für das Kompliment bedanken.

»Zur Belohnung darfst du heute bis zum Zubettgehen im Wohnzimmer bleiben.«

* * *

Frederike war endlich dazu gekommen, eine Beschwerde über einen ihrer Angestellten zu bearbeiten, einem Pfleger namens Florian. Sie hatte sich die Unterlagen angesehen und sich gewundert. Es gab keine Bewerbungsunterlagen von ihm und eingestellt war er durch den Investor. Zudem arbeitete er für einen Hungerlohn. Frederike hatte es als sehr verdächtig empfunden und ihn zu sich gebeten.

Eben war er zu einem Gespräch bei ihr gewesen und hatte einen sehr nervösen Eindruck gemacht. Er hatte versprochen, seine Leistungen zu verbessern, wollte sich ansonsten aber nicht äußern.

Frederike kam es weiterhin verdächtig vor. Er wurde bisher nur nicht entlassen, weil er bereit war, seine Arbeit für solch einen Hungerlohn zu erledigen. Da musste etwas faul dran sein. Sie beschloss, ihm heimlich nach zu gehen.

* * *

Frederike bot sich ein seltsames Bild, als sie Annas Zimmer betrat. Florian saß vor Annas Bett und hielt ihre Hand. Paul und Betty standen daneben und schauten ungläubig.

»Was ist hier los?« Ihr waren vor allem Annas Tränen aufgefallen.

»Die Kameras.« Florians Stimme zeigte, dass auch er verzweifelt war. »Jetzt wissen sie, dass ich hier bin.«

»Ich kann sie beruhigen«, Frederike kombinierte schnell, »Die Kameras laufen nur tagsüber.« Sie wandte sich an Anna. »Wollen sie mir nicht sagen, warum sie hier wirklich hier sind?«

Betty musste sich erst räuspern. »Sie kann nicht mehr reden.«

»Warum?« Frederike hatte Mühe, die Fassung zu waren.

»Sie trägt so einen Mundverschluss wie Sarah und Maria.« Betty hatte die Dimension des Problems auch erkannt.

Frederike blickte Paul auffordernd an, doch erst als sie mit der Hand eine drehende Bewegung machte, begriff Paul, was sie meinte.

Paul wusste, dass er das Werkzeug für den Mundverschluss nicht hätte behalten dürfen. Doch jetzt war es allen Beteiligten klar, dass es gebraucht wurde.

* * *

Als er mit dem Werkzeug zurück kam, war nur noch Frederike im Raum. »Anna möchte mit dir reden, das hat Florian mir gesagt. Zu dir hat sie Vertrauen.«

Paul zögerte.

»Du bist hier nur dir selbst gegenüber verantwortlich.« Sie blickte ihn ernsthaft an. »Handele so, wie du es für richtig hältst.«

Er zögerte immer noch.

»Ich weiß, dass du das kannst.« Sie lächelte. »Sonst hättest du dich nicht mit meiner Tochter anfreunden können.«

Unter normalen Umständen hätte Paul sich über dieses Kompliment sehr gefreut, doch jetzt fühlte er es eher als eine große Belastung. Doch er wusste, dass er sich dem stellen konnte und musste.

»Anna vertraut dir. Höre dir ihre Geschichte an, und dann erzähle mir das, was du für richtig hältst.« Frederike blickte zum Bett. »Und weil sie das sicher fragen wird, ich habe mit ihrer Familie nichts zu tun gehabt. Sie haben bisher direkt mit dem Investor verhandelt. Das mag sie glauben oder nicht, auf jeden Fall ist es die Wahrheit.«

Frederike ging zur Tür. »Und noch etwas. Es gibt einen Maulwurf in der Klinik, der Details nach außen verrät. Ich weiß nicht, wer es ist, doch die Familie ist bisher sehr sehr gut informiert über das, was in der Klinik vorgeht.«

Mit sehr laut klopfendem Herzen verfolgte Paul, wie sich die Tür hinter Frederike schloß. Langsam drehte er sich um und ging auf Annas Bett zu. Sie lag auf dem Bett und wischte sich mit einem Handtuch die Augen aus.

Sie setzte sich auf und öffnete ihren Mund, damit Paul die Verschraubung ihres Mundverschlusses öffnen konnte. Nachdem Paul ihn ihr vorsichtig aus dem Mund genommen hatte und sie ein paar Mal ihren befreiten Kiefer bewegt hatte, begann er das Gespräch mit einer Begrüßung.

»Hallo Anna, ich bin Paul.«

»Ich weiß.« Sie legte das Handtuch beiseite. »Ich habe euch vorhin beim Pferdespiel beobachtet. Du liebst Maria sehr.«

Paul war über diese Gesprächseröffnung sehr irritiert. »Ja, das tue ich. Es ist zu bewundern, was sie so alles auf sich nimmt.«

»Oh ja«, Anna seufzte, »und glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.«

Irgendwie spürte Paul, dass er die Fragen stellen musste. »Du liebst Florian?«

Anna senkte nur den Kopf.

»Und deine Familie möchte, dass du jemand anders heiratest.« Paul hoffte, dass er mit seiner Vermutung richtig lag.

Wieder liefen bei Anna die Tränen. »Es ist so hoffnungslos.« Sie griff wieder nach dem Handtuch.

»Warum ist es hoffnungslos?«

»Sie würden mich überall finden, egal wo ich mich verstecke.«

»Überall? Auch in Deutschland?«

Anna blickte auf. »Deutschland?«

»Das ist das Land, wo Maria und ich leben.« Er wusste nicht, wie gut Anna sich auskannte. »In Europa.«

»Das wäre über den Atlantik.« Anna schien laut nachzudenken. »Das könnte weit genug weg sein.« Sie seufzte. »Ich hatte mich ohnehin schon an den Gedanken gewöhnt, das Haus meiner Kindheit nie wieder zu sehen.«

Sie wischte sich mit dem Handschuh noch einmal durch das Gesicht. »Jeden Dienstag und Donnerstag kommen die Anwälte und wollen wissen, ob ich zu der Hochzeit bereit bin. Und sie wissen immer, was bisher in der Klinik passiert ist.«

Paul erinnerte sich daran, was Frederike ihm gesagt hatte. »Marias Mutter sagt, dass sie an der Klinik einen Maulwurf vermutet.«

»Schwester Sandy.« Anna seufzte. »Ich dachte einige Zeitlang, ich könnte ihr vertrauen. Bis ich sie einmal getestet habe. Ein Detail habe ich nur ihr erzählt. Und beim nächst Besuch wussten es die Anwälte.«

Paul begriff auf einmal, wie groß das Vertrauen war, welches Anna ihm entgegenbrachte. Er hatte einen Kloß im Hals.

»Heute waren sie wieder da.« Anna kicherte etwas seltsam. »Diesmal konnte ich mich wenigstens nicht verplappern.« Doch auf einmal wurde sie nachdenklich. »Warum stellt ihr die Maschinen nicht so ein wie es bestellt ist?«

Paul zuckte mit den Achseln. »Betty hat mir gesagt, dass die Werte ungewöhnlich hoch sind und dass bei den anderen Patienten weniger einzustellen ist.« Auf einmal hatte er eine Idee. »Ich hoffe, das war in Ordnung so. Machen mussten wir die Behandlung aber trotzdem.«

Anna lächelte, und es war das erste Lächeln seit langer Zeit. »Ich war richtig überrascht und hatte schon angenommen, die Maschine wäre kaputt.«

»Deine Familie ist sehr mächtig?« Irgendwie konnte Paul es noch nicht so richtig glauben.

»Naja«, Anna grinste etwas, »Immerhin ist Kennedy mein Nachname.«

Paul wusste nicht viel über Amerika aber von dieser Familie hatte er schon gehört. »Und wie soll es jetzt weiter gehen?«

»Wenn ich das wüsste.« Anna seufzte. »Ich träumte mal von einem Leben mit Florian.«

Paul fiel die Vergangenheit in dem Satz auf. »Du liebst ihn nicht mehr?«

»Doch, mehr denn je.« Sie schlug mit der Hand auf die Bettdecke. »Aber wir haben doch keine Zukunft.« Sie seufzte tief. »Meine Familie wird es erfahren und sie werden immer Mittel finden, es zu verhindern. Man darf sich nicht gegen sie stellen.«

Paul war ratlos. Er wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Doch langsam reifte ein Plan in ihm. Sie mussten Anna zur Flucht verhelfen, Anna und Florian. Wobei Florian nicht von der Familie gesucht wurde.

»Wir werden dafür sorgen, dass du Florian wiedersehen kannst.« Er wollte Anna nicht unnötig Hoffnung machen, doch er hatte schon einen recht handfesten Plan. Einen Plan, zu dem er aber Hilfe brauchte. Hilfe von oben.

* * *

»Ich dachte mir schon, dass du noch diese Nacht kommen würdest.« Frederike empfing ihn an ihrer Wohnungstür in der Klinik. »Maria hat dich richtig eingeschätzt.« Sie lächelte.

»Ich habe einen Plan.« Woher Paul die Kraft nahm, sich für Anna einzusetzen und sich gegen die mächtige Familie zustellen, wusste er nicht. Aber er fühlte unbewußt, dass sie nur wenig Zeit hatten, um Annas Flucht zu ermöglichen.

»Jetzt komm erst mal herein.« Sie führte ihn ins Wohnzimmer.

Paul hatte keinen Blick für die Einrichtung. Er war immer noch dabei, alles, was er von Anna erfahren hatte, richtig einzuordnen. »Schwester Sandy ist der Maulwurf.« Er erzählte, wie Anna sie enttarnt hatte.

»Oh je, ausgerechnet sie hatte ich mit der Betreuung der VIP-Patienten beauftragt.« Frederike war entsetzt. Doch dann wurde sie etwas nachdenklich. »Seltsam. Sandy hat mich morgen um einen Besprechungstermin gebeten.«

»Ich habe Anna bisher noch nicht viel von meinem Plan gesagt, aber könnten wir sie mit nach Landsbach nehmen?« Er schluckte. »Sie haben doch dort ein so großes Haus.«

Irgendwie spürte Frederike die Ernsthaftigkeit hinter diesen Gedanken. »In Landsbach gibt es auch ein Hotel.«

Paul war über diese scheinbare Ablehnung etwas enttäuscht. Er blickte Frederike nur wortlos an.

»Naja, Maria fliegt ja erst am Mittwoch zurück und deswegen ist Mrs. Potter auch erst am Dienstag wieder da.« Frederike blickte auf den Kalender, der an der Wand hing. »Bis dahin ist das Haus verschlossen.«

Jetzt erkannte Paul, dass Frederike nicht nur mit seinem Plan einverstanden war, sondern auch gleich weiter gedacht hatte. »Anna muss so schnell wie möglich die Klinik verlassen.« Er dachte wieder laut. »Und bis dahin müssen wir sie so verstecken, dass die Familie sie nicht finden kann.«

In Frederike begann ein Plan zu reifen. »Geh jetzt ins Bett.« Sie stand auf. »Morgen wird es turbulent und da sollten wir alle ausgeschlafen sein.«

Paul fühlte, dass er etwas ganz Wichtiges erfolgreich hinter sich gebracht hatte. Er verabschiedete sich und ging wieder zurück in die Sieben.


Frederike ging zu ihrem Schreibtisch und dachte lange nach. Die Familie Kennedy war sehr einflussreich und hatte überall Kontakte. Doch interessanterweise war sie nicht Mitglied im Konsortium. Frederike lächelte, als sie darüber nachdachte, dass auch sie sehr einflussreiche Kontakte hatte. Sie stand wieder auf und ging zu dem kleinen Tresor an der Wand. Nur ein kleines Notizbuch mit Telefonnummern lag darin, doch die aktuellen Vorkommnisse in der Klinik zeigten ihr, dass ihr diesbezügliches Misstrauen durchaus berechtigt war.

Sie nahm das Buch und setzt sich an ihren Schreibtisch. Sie blätterte darin, dann wählte sie eine Nummer. Während sie auf ihr Gegenüber wartete, dachte sie darüber nach, dass es vermutlich eine lange Nacht werden würde.

Mittwoch, den 8. September 1984

Paul hatte die Nacht nur schlecht geschlafen. Immer wieder gingen ihm die traurigen Augen von Anna durch den Kopf. Einerseits war sie wirklich todunglücklich, andererseits glaubte er doch auch einen winzigen Funken Hoffnung darin gesehen zu haben.

Er blickte immer wieder auf das Bett neben ihm, in dem Maria tief und fest schlief. Er hätte sich gern mit ihr unterhalten, doch er wusste, wie nötig sie den Schlaf brauchte. Zudem hätte er ihr den Mundverschluss abnehmen müssen und er wusste, dass er das eigentlich nicht durfte. Außerdem wäre es unfair gegenüber den anderen, die diese Möglichkeit nicht hatten - wobei er aber den Eindruck hatte, dass es Sarah genoss, schweigen zu müssen.

Ein leises Brummen von Marias Bett forderte seine Aufmerksamkeit. Er drehte sich lächelnd zu seiner Freundin um und wünschte ihr einen guten Morgen.

Maria setzte sich auf und zeigte mit der Hand auf ihren Mund. Sie wollte offensichtlich ihren Mundverschluss loswerden, um Paul einen richtigen Guten-Morgen-Kuss zu geben.

Doch Paul machte keinerlei Anstalten, ihrem Wunsch nachzukommen. Er trat zu ihr an das Bett und beugte sich zu einem Kuss zu ihr herunter. »Heute nicht.« Er streichelte ihr über den Kopf.

Maria blickte ihn verwundert an. Sie hätte ihn gern gefragt, warum er ihr den Mundverschluss nicht abnahm so wie gestern, doch sie musste erkennen, dass sie sich seinem Willen beugen musste. Ohne dass er etwas tat forderte er doch ihre Unterwerfung. Maria stöhnte leise.

Er befestigte Maria an das Schienensystem und befreite sie von der kurzen Kette, die sie an Bett gefesselt hatte. »Nun ab ins Bad.« Er gab ihr einen zärtlichen Klaps. »Ich sehe in der Zwischenzeit nach Anna.«


Während Maria langsam ins Bad trottete, kam Paul ins Grübeln. Es war das schlechte Gewissen Sarah und Betty gegenüber, was ihn bewogen hatte, Maria heute die Abnahme des Knebels zu verweigern. Doch irgendwie spürte er auch, dass Maria bereit war, sich seinem Willen unterzuordnen.

Als sich die Badezimmertür geschlossen hatte, ging Paul nachdenklich zu seiner anderen Patientin, um die er sich zu kümmern hatte.


Zu seiner Überraschung saß Anna schon in einem Rollstuhl und Betty war dabei, Anna mit übertrieben vielen Riemen daran zu befestigen.

»Guten Morgen,« Paul fühlte sich zu einem Morgengruß genötigt, doch dann runzelte er die Stirn.

Betty sah seinen skeptischen Blick. »Dir auch einen guten Morgen.« Sie machte mit den Riemen weiter. »Die Familie hat noch mal neue Vorgaben geschickt. Wir sollen Anna jetzt nicht mehr selbst gehen lassen.«

»Was macht Sarah?« Irgendwie fühlte Paul unterschwellig so etwas wie Eifersucht, weil Betty sich um Anna gekümmert hatte. Dann realisierte er, was Betty gerade gesagt hatte und er war erleichtert, dass er das Anna nicht antun musste. Doch das wollte er sich nicht anmerken lassen.

»Anna soll ab sofort immer fixiert werden und wir sollen vor allem darauf achten, dass sie ihre Medikamente nimmt.« Bettys Stimme klang irgendwie wichtig.

»Du bist schon auf?« Paul war erstaunt.

»Die Oberschwester hat mich und Sandy aus dem Bett geklingelt und uns mit den neuen Aufträgen versorgt.« Betty blickte kurz zu Anna. »Sie hat es so dringend gemacht, dass ich schon angefangen habe.«

Paul blickte erstaunt zu Betty, doch er wagte nicht, seinen Vorwurf auszusprechen.

»Ich wollte euch nicht stören«, gab sie als Entschuldigung an.

* * *

Als Paul und Betty mit Annas Rollstuhl zum Frühstück kamen, wurden sie von Paula schon erwartet. »Ich hätte ja schon angefangen, doch ich finde hier nichts für das Frühstück.

Paul wartete, bis Annas Rollstuhl fixiert war, dann ging er zum Aufzug und holte die Tabletts heraus. »Du könntest mir beim Tragen helfen.«

»Fünf Portionen?« Paula war verwundert. »Wir sind doch zu acht?«

Paul zeigte kurz auf die drei weißen Beutel. »Maria, Anna und Sarah tragen doch eine Magensonde und haben den Mund verschlossen bekommen.«

»Wie 'verschlossen'?« Sie hatte auf einmal ein Leuchten in den Augen.

»So wie mit Spangen, nur dass die im Mund verschraubt werden.«

»Das wird Sabeth interessieren.« Paula grinste. »Jetzt verstehe ich auch, warum die Mädchen so still sind.«

* * *

Zwei große Schaufensterpuppen wurden von der Schneiderin und ihrer Assistentin in die Sieben getragen und es war auf die ersten Blick zu sehen, dass Teile des Ganzkörperkorsetts auf den Figuren befestigt war. Dahinter betrat die Oberschwester die Station.

»Seid ihr fertig mit dem Frühstück?« fragte sie, nachdem sie allen einen guten Morgen gewünscht hatte. »Die neuen Ganzkörperkorsetts sind fertig.«

Maria und Sarah blickten erwartungsvoll zu den Figuren.

»Was bekommt ihr denn da Feines?« Sabeth war aufgestanden und an die Figuren getreten.

»Das sind Ganzkörperkorsetts für die richtige Formung des Körpers.« Maria hatte einen gewissen Stolz in der Stimme.

»Das sieht aber sehr restriktiv aus.« Sabeth war sichtlich fasziniert von der großen Menge von Leder, die vor ihr stand. Deutlich waren die Korsettstangen zu sehen, die dem Korsett die erforderliche Stabilität gaben.

»Wir möchten ihnen die Korsetts einmal anlegen und sie dann zum Röntgen fahren, um zu kontrollieren, ob alles passt und wir die richtig Form haben.«

Beim Stichwort Röntgen war Betty auf einmal hellwach und war aufgesprungen.« Wie gestern?«

Die Oberschwester bestätigte. »Genau so.«

»Machen wir sofort.« Betty trällerte eine kleine Melodie. Sofort ging sie zu einer Schublade und nahm einige Gegenstände heraus.

Paul erkannte Ohrstöpsel und eine Augenbinde.

»Haben sie die Schilder vorbereitet?« fragte die Oberschwester die Schneiderin. »Mit den Ohrstöpseln ist kein Hören mehr möglich.«

»Alles bereit.« Die Assistentin zeigte einige Tafeln, auf denen Anweisungen notiert waren.


Maria erschauderte etwas. Natürlich kannte sie die Prozedur zur Genüge, und doch was es auch immer ein Gänsehaut-Moment, wenn ihr gleich so nach und alle Sinne und auch fast alle Bewegungsmöglichkeiten genommen wurden. Diesmal sogar durch Paul. Deswegen versprach es, besonders aufregend zu werden.

»Im Gegensatz zu gestern müssen wir ihnen zuerst die Ohren verschließen.« Die Schneiderin besprach sich mit der Oberschwester. »Wenn die Kopfhaube erst mal sitzt, kommen wir nicht mehr an die Ohren heran.«


»Ich bin wieder in meinem Büro.« Frederike verabschiedete sich, denn Sandy hatte sich angemeldet. »Beim Röntgen seid ihr angemeldet.«

Betty bestätigte es. Sie blickte zu Paul und der Assistentin. »Wie weit seid ihr?«

»Wir haben doch gerade erst angefangen.«

Anfangs glaubte Maria noch, die Berührungen von Paul und der Assistentin unterscheiden zu können, doch je stärker sich das Korsett um ihren Körper legte, desto weniger war sie sich sicher. Außerdem wusste sie natürlich, dass sie es ohnehin nicht überprüfen konnte.


Insgeheim liebte Maria das Ganzkörperkorsett. Es gab ihr das Gefühl, wirklich überall berührt zu werden. Von Paul berührt zu werden. Und soweit sie es noch sehen konnte, hatte sie weitgehend Paul eingeschnürt unter Anleitung der Assistentin, und sie vertraute darauf, dass Paul sie auch weiter bemuttert hatte. Nur noch durch den Spalt zwischen Augenbinde und Kopfhaube spürte sie ab und zu einen Atemhauch.

Maria spürte, wie sie hochgehoben wurde. Schließ schien sie auf einem Podest zu stehen. Im Moment waren ihre Arme noch frei, weil sie sich festhalten sollte. Sie hatten vorher durchgesprochen, was Maria wann machen sollte. Zum Röntgen würde sie erst einmal ohne das Gebet gefahren und dann erst ohne und dann mit Gebet geröntgt.

Maria klammerte sich an dem Stangen fest, die Paul ihr gezeigt hatte. Erst als sie auf dem Podest in der Halterung festgeschraubt war, durfte sie loslassen. Sie hatten sich vorher einmal die Podeste angesehen und erschauderte bei dem Gedanken, dass das Podest mit den Halterungen stark genug war, um sie in dem Korsett festzuhalten.

Auf einmal fühlte sie, wie der Druck an den Waden stark zunahm. Sie begriff, dass sie jetzt auf dem Wagen stand.

Sie hatten auf Anregung der Assistentin verschiedene Zeichen vereinbart. Paul signalisierte ihr jetzt, dass sie zum Röntgen gerollt wurden.


Nach dem Röntgen war noch eine halbe Stunde Zeit bis zur Mittagspause. Paul gab das vereinbarte Zeichen, um nach der Befreiung zu fragen. Doch wie er es insgeheim erwartet hatte, gab Maria durch zwei gedämpfte Seufzer das Zeichen, dass sie noch länger in dem Panzer verbleiben wollte.

* * *

Frederike war sich noch nicht sicher, wie sie mit Sandy verfahren sollte, als sie sie um einen Termin gebeten hatte. Sollte sie sie erst anhören und dann auf den Verrat ansprechen? Oder sollte sie sie gleich feuern? In USA war letzteres ja sehr einfach. Doch als Sandy ihr Büro betrat, sah sie sofort an ihrer Miene, dass etwas Einschneidendes passiert sein musste.

Sandy machte einen sehr traurigen Eindruck. »Ich habe ihr Vertrauen missbraucht und bitte um meine Entlassung.« Sie legte das vorbereitete Papier auf den Tisch. »Meine Kündigung.« Sie kramte in ihrer Tasche, holte eine Medikamentenpackung und ein Geldbündel heraus und legte beides auf den Schreibtisch.

»Was ist passiert?« Frederike spürte, dass Sandy ihr Herz erleichtern wollte.

»Sie kommen morgen und holen sie.« Sandy schluchzte. »Und ich soll ihr diese Medikamente geben.«

»Jetzt erzähl bitte mal der Reihe nach.« Frederike lehnte sie zurück.

»Ich habe Klinik-Interna an die Familie verraten.« Sandy blickte zu Boden.

»Das wissen wir.« Frederike gab sich Mühe, keine Überraschung zu zeigen. In ihr begann ein Plan zu reifen, bei dem Sandy noch eine Rolle spielen sollte.

Sandy hob ihren Kopf hoch und blickte ihre Chefin erstaunt an.

»Anna hat dich enttarnt.« Frederike berichtete kurz über Annas Erzählung. »Aber warum kommst du zu mir?«

»Die Familie will Anna mit Gewalt zur Hochzeit zwingen.« Sandys Stimme zeigte, wie empört sie über diese Wendung war. Sie reichte Frederike die Packung. »Diese Tabletten soll ich ihr geben, dabei sind die wegen der starken Nebenwirkungen noch gar nicht zugelassen.«

Frederike bekam eine Gänsehaut. Ihr Blick fiel auf das Geldbündel.

Sandy war dem Blick gefolgt. »Das Geld habe ich von ihnen bekommen.« Sie blickte geradezu verächtlich auf das Geldbündel. »Fünfzigtausend«, sagte sie verächtlich. »Ich will es nicht, es ist schmutziges Geld.«

Frederike begriff, dass sie schnell eine Entscheidung treffen musste. Sandy konnte ihr nützlich sein, wenn die Familie nicht wusste, dass sie aufgeflogen war. »Wann wäre der nächste Kontakt?«

»Ich muss die Familie heute Abend anrufen und sagen, dass ich ihr die Medikamente verabreicht habe.«

Frederike warf noch mal einen Blick auf die Packung. Es waren starke Psychopharmaka in der Erprobungsphase und für Menschen noch nicht zugelassen. »Machen sie das. Lassen sie die Familie in dem Glauben, sie würden weiter für sie arbeiten.«

Sandy blickte ihre Chefin erstaunt an.

»Es ist besser für sie, wenn sie nicht wissen, was wir vorhaben.« Frederike hoffte, dass ihre Taktik aufgehen würde. »Dann können sie sich auch nicht verplappern.« Frederike legte die Medikamentenschachtel wieder auf den Tisch. »Sagen sie einfach, dass sie ihr die Tabletten gegeben haben.«

Später würde Sandy der Familie von der geplanten Flucht nach Australien berichten, und zwar so, dass der Flieger quasi schon in der Luft war, wenn sie es erfuhren. Die Familie brauchte nicht zu wissen, dass Sandy aufgeflogen war.

»Aber das wird doch auffliegen.« Sandy begriff, dass sie gerade dabei war, die Seiten zu wechseln.

»Das lassen sie meine Sorge sein.« Sie nahm sich die Kündigung vom Schreibtisch und zerriss sie demonstrativ. »Und jetzt gehen sie wieder an ihre Arbeit.«

Sandy musste schlucken, als sie dem Befehl ihrer Chefin nachkam.

Frederike blickte kurz auf den Geldstapel, der noch auf ihrem Schreibtisch lag. Sie wusste erst nicht, wie sie damit umgehen sollte, doch dann hatte sie eine Idee. Das Geld würde Anna und Florian beim Start in ihr neues Leben helfen.

* * *

Frederike hatte die Nacht auch nur wenig geschlafen und stattdessen über einen Fluchtplan für Anna nachgedacht, der nicht negativ auf die Klinik zurückfallen konnte. Zum ersten Mal war sie dankbar, dass sie mit dem Konsortium ein paar höchst einflussreiche Kontakte hatte. So war es vielleicht möglich, Annas Flucht zu ermöglichen, ohne sich mit der Familie Kennedy anzulegen.

Immer wieder nahm sie den Text der Presseerklärung zur Hand. Sie hatte lange jedes einzelne Wort abgewogen und sehr sorgfältig gewählt. Der eigentliche Grund war, dass Florian mit Anna verschwinden würde und es einen Grund geben musste, warum er nicht mehr Pfleger an der Klinik war. Aber sie wollte auch seine Liebe zu Anna nicht verraten.

Ebenso war ihr daran gelegen, dass Schwester Sandy nicht enttarnt wurde. Immer wieder las sie die Erklärung und feilte an jedem Wort. »Der Pfleger Florian Glas wurde dabei ertappt, wie er Interna der Klinik über eine prominente Patientin an die Öffentlichkeit gegeben hatte.«

Die Erklärung sollte einerseits recht belanglos klingen, denn es war nicht üblich, eine Kündigung an die große Glocke zu hängen. Und doch sollte in dem Text auch genügend Informationen enthalten sein, so dass die Familie eine plausible Erklärung für das Verschwinden von Florian bekommen würde.

Es war Frederike klar, dass die Familie alle Hebel in Bewegung setzen würde, um Anna wiederzubekommen. Die Familie Kennedy war sehr mächtig und hatte überall Verbindungen.

Doch auch Frederike hatte durch das Konsortium ein paar sehr einflussreiche Kontakte und mit denen hatte sie veranlasst, dass falls die Polizei mit der Untersuchung des Falles beauftragt werden würde, ein Kommissar mit dem Fall betraut werden würde, der bisher nur mit schlechten Leistungen aufgefallen war.

Wieder nahm sie die Erklärung zur Hand. Das Papier hatte auch noch einen anderen Zweck. Es würde nämlich auch erklären, warum Sandy jetzt etwas weniger an die Familie berichten würde. Aus Sicht der Familie war es richtig, wenn Sandy vorsichtig sein würde.

* * *

Leonie hatte wieder die halbe Nacht wach gelegen. Es wurde immer rätselhafter. Gestern war sie im Rathaus vorgeführt worden und wenn sie die Äußerungen der Herren richtig verstanden hatte, dann schien sie angenommen zu sein. Doch sie durfte dann wieder mit Selma nach Hause fahren. Sie hatten dann noch einen gemütlichen Abend im Wohnzimmer verbracht, und erst spät in der Nacht hatte Selma sie wieder in ihren Käfig eingeschlossen.

Leonie hatte schon begriffen, dass etwas für sie geplant war, doch sie wusste einfach nicht, was. Und sie wusste auch, dass Selma es ihr nicht sagen würde.

Sie hatte sich regelrecht gefreut, als sie am Abend den schönen Käfig wiedersehen konnte. Insgeheim hatte sie sich schon auf einem Kamel sitzend in einer Sklavenkarawane im Orient gesehen.

Die Schritte auf der Treppe kündigten Selma an und Leonie richtete sich auf, soweit der Käfig dies zuließ.

»Das Gehen musst du noch üben« sagte Selma nach dem Morgengruß. »Ich denke, wir werden den Tag heute draußen verbringen.«


Gleich nach dem Frühstück hatte Leonie wieder darum gebeten, ihren Knebel tragen zu dürfen. »Dann fällt es mir leichter, nicht zu weinen.«

Selma kam der Bitte nach. Natürlich hätte sie Leonie auch sagen können, dass es für die Tränen keinen Anlass gab, doch das lag nicht in ihrem Interesse. Außerdem faszinierte sie der Anblick eines jungen Mädchens, dass in Ketten und mit Kopfgeschirr in ihrem Garten herum lief und das vor allem nicht wusste, welches Schicksal auf sie wartet.

* * *

Es war eine kleine verschworene Mannschaft, die sich jetzt um den kleinen Tisch im Zimmer der Herzogin drängte. Neben der Herzogin waren nur Frederike, Paul, Anna und Florian anwesend.

Frederike erläuterte ihren Plan. »Ich habe schon einen Flug gebucht für Anna und eine Taxifahrt bestellt. Das wird als falsche Spur sicher erst mal reichen.«

Sie blickte in erstaunte Gesichter.

»Die Familie wird sich sicher an die Polizei wenden, um Anna zu suchen. Ich habe veranlasst, dass ein völlig unfähiger Kommissar damit beauftragt wird.« Als sie Pauls verwunderten Blick sah, musste sie lächeln. »Ich habe auch einflussreiche Kontakte.«

Sie stellte die Zeitplanung vor. »Morgen am Donnerstag werden die Anwälte wiederkommen und feststellen, dass Anna geflohen ist.« Sie wandte sich an die Herzogin. »Könnten wir Anna bei ihnen verstecken? Ich wüsste sonst keinen Ort, der sicher wäre.«

Die Herzogin dachte nach. »Meine Tochter hat sich mal zwei Tage in Koffer eingesperrt.« Sie verdrehte die Augen.

Frederike war verwundert »Sie meinen wir könnten Anna darin verstecken?«

»Der Koffer enthält ein Lebenserhaltungssystem mit Ernährung und gesicherter Atemluft.« Sie lehnte sich zurück. »Das war mir damals sehr wichtig.« Sie blickte Anna an. »Wir sollten das aber vorher ausprobiert haben. Haben sie Platzangst?«

Anna schüttelte den Kopf.

»Um unsere Zimmer zu durchsuchen, muss ein Antrag in der Botschaft gestellt werden, so dass wir früh genug davon erfahren.« Die Herzogin lächelte. »Ich denke aber, dass der Kommissar sich von den Diplomatenpapieren abschrecken lässt.«

»Ich werde meinen Mann nicht ins Vertrauen ziehen.« Sie lächelte. »Dann ist er am überzeugendsten.«

»Anna, bist du bereit, den Koffer einmal auszuprobieren?« Frederike machte sich ein paar Notizen. »Wir sollten für den Ernstfall mit den nötigen Handgriffen vertraut sein.«

Anna war sichtlich gerührt. »Das mache ich.« Sie suchte Florians Hand. »Aber...« Sie stotterte.

»Aber?« die Herzogin war verwundert.

»Das kann ich doch nie wieder gut machen.« Sie wirkte traurig.

Frederike erkannte sofort, was Anna bewegte. »Jetzt sorgen wir erstmal dafür, dass deine Flucht gelingt.«

* * *

»Paul, kommen sie bitte mit?« Die Oberschwester hatte einen sehr freundlichen Ton, als sie Paul mit einer Handbewegung zu sich bat.

Paul blickte noch einmal zu Maria, dann folgte er der Oberschwester.

Als er hinter der Oberschwester den Raum betrat, erschrak er zunächst einmal. Es dauerte einen Moment bis her erkannte, dass auf dem Gynäkologenstuhl nur eine Puppe saß.

»Die Chefin hat gesagt, dass ich ihnen das Anlegen eines Katheters beibringen soll.« Sie wies ihn zunächst an eine Tafel, auf dem schematisch der weibliche Unterkörper dargestellt war. »Sie sagt, dass sie keine medizinischen Kenntnisse haben und dass ich deswegen geduldig mit ihnen sein soll.«

Paul begriff erst nach einiger Zeit, was jetzt von ihm erwartet wurde. Er hörte sehr aufmerksam zu, als die Schwester ihm zunächst die Grundlagen erklärte.

»Und hier haben wir unser Modell, an dem sonst unsere Studenten üben können.«

Paul blickte sich sehr verunsichert um, als er vor den gespreizten Beinen Platz nahm.

»Blenden sie ihre Gefühle für ihre Freundin möglichst aus und konzentrieren sie sich auf die Sache an sich.«

Paul begriff, dass er von der Oberschwester sehr wichtige Tipps bekam.

»Für die ersten Male bietet es sich an, etwas Kältespray einzusetzen.« Sie rechte ihm eine Spraydose.

* * *

»Das hier ist der Koffer.« Sabeth rollte einen großen Schrankkoffer in den Raum. »Er lässt sich von beiden Seiten öffnen und es fällt überhaupt nicht auf, dass in der Mitte noch ein großes Geheimfach ist.«

Sie öffnete den Koffer und ließ die Umstehenden hineinblicken. Alle waren fasziniert, denn der Koffer sah wirklich aus, als wäre er leer. Große Innenfächer zeigten viel Stauraum an.

Sabeth und Paula nahmen alle Schubladen und Fachbretter heraus. »Ein Schlüsselloch wäre viel zu auffällig. Sie zeigte auf die Luftlöcher im Deckel. »Das zweite und das vierte Loch in der dritten Reihen gleichzeitig drücken, dann wird die Tür geöffnet.«

Es knarzte etwas, als sich in dem Schrank die Tür öffnete. Sie gab den Blick auf sehr viele Schläuche frei sowie auf diverse Lederriemen. »Hier ist die Sauerstoffzusatzversorgung, ganz wichtig.« Sie zeigte auf eine Gasflasche. Hier ist die Nahrung und hier der Behälter für die Entsorgung.«

Anna trat vor den Schrank. Ihr Hand zitterte, als sie das Innere des riesigen Schrankes erkundete.

»Es lässt sich darin bis zu vier Tage aushalten.« Sabeths Stimme zeigte etwas Begeisterung.

Frederike war es genau wie Anna sehr unheimlich zu mute. »Wir sollten den Schrank auf jeden Fall ausprobieren, auch wenn ich glaube, dass wir ihn nicht brauchen.

»Auf die Verschlauchung können wir verzichten.«

Anna drehte sich um. »Jetzt sofort?« Sie wirkte sehr erschrocken, doch in ihren Augen begann so etwas wie Hoffnung zu keimen.

»An manchen Stellen kann der Schrank noch an die Körpergröße angepasst werden.« Sabeths Augen leuchteten verdächtig.

»Nein, wartet, das geht doch nicht.« Sabeth wirkte auf einmal sehr traurig. »Wenn die Tür geschlossen wird, setzt sofort das Unterhaltungsprogramm ein, und das lässt sich nicht abstellen.«

»Worum geht es dabei?« Frederike war enttäuscht.

Paula mischte sie ein. »Es ist leichter, wenn sie fliegen.«

Anna blickte zu Florian. »Das will ich auch mich nehmen.« Ihr Körper war in den vergangenen Monaten so sehr malträtiert worden, da würde sie diese angenehme Folter auch überstehen. »Ich möchte es wagen.«

Sabeth und Paula mussten erst die ganzen Riemen und Schläuche beiseite schieben, bevor Anna sich in die Form stellen konnte.

»Wir machen jetzt die Tür zu, damit du sehen und fühlen kannst, was auf dich zukommt.«

Anna nickte vorsichtig.

Die Tür klickte als sie in die Rahmen geschoben wurde. Sofort setzte ein leises Brummen ein. Annas Stöhnen war durch die Tür zu hören.

»Im Ernstfall sollte sie auch so etwas wie einen Knebel tragen, damit ihre Stimme gedämpft ist.«

Paula lächelte. »Wir räumen den Koffer einfach voll mit unseren Sachen, dass dämpft auch sehr gut. Sabeth ist dann so gut wie nicht zu hören.«

Frederike wartete noch einen kleinen Moment, dann öffnete sie die Tür wieder und blickte Anna fragend an.

»Nicht viel schlimmer als das, was ich in den vergangenen Wochen ertragen musste.« Sie ergriff Florians Hand. »Ich habe mir vorgestellt, es wären deine Hände gewesen.«

»Trotzdem, ich hoffe, es wird nicht nötig sein.« Frederike gab sich zuversichtlich. »Der Diplomatenstatus müsste eigentlich Schutz genug sein.«

»Ich denke auch.« Sabeth klappte den Koffer zu. »Es war eine schöne Zeit.« Sie lächelte verträumt.

Anna spürte, dass alle bemüht waren, ihr bei ihrer Flucht zu helfen. Und die Aussicht auf ein Leben mit Florian lag vor ihr.

* * *

»Warum denn ein Hotel?« Maria war verwundert, als Paul ihr nach dem Abendessen von den Fluchtplänen für Anna erzählt hatte. »Ihr habt doch so ein großes Haus.« In Anbetracht der neuen Situation hatten sie auf den Mundverschluss verzichtet.

Paul dachte daran, dass das Obergeschoss bei seiner Oma seit dem Tod der Uroma leer stand und als eigenständige Wohnung inklusive Küche und Bad eingerichtet war. »Ja, das müsste gehen.«

Paul ging zum Telefon und rief noch mal kurz bei Frederike an, doch sie würgte ihn ab. »Ich komme vorbei.«

Als sie im Zimmer war, erklärt sie. »Ich bin mir nicht sicher, ob mein Telefon nicht auch abgehört wird.«

Als Paul seine Idee geschildert hatte, war Frederike einverstanden. »Dann vermeiden wir auch die Anmeldung im Hotel.«


»Jetzt hört genau zu.« Frederike bemühte sich, ihre Stimme wichtig klingen zu lassen. Immerhin hatte sie von dem Konsortium einige Klimmzüge verlangt. »Freitag Nachmittag wird der deutsche Botschafter zu einer Routineuntersuchung in die Klinik kommen. Er wird dabei von zwei Leibwächtern begleitet, einem Mann und einer Frau.« Sie machte eine deutliche Pause.

»Die beiden werden in der Klinik bleiben, stattdessen werden Anna und Florian ihn auf der Rückfahrt begleliten. Die Fahrt geht zu dem kleinen Privatflugplatz, wo ein Flieger auf den Botschafter wartet. Ihr werdet am Samstag Nachmittag in Landsbach landen. Von dort bringt euch ein Taxi zu Pauls Oma, wo ihr die nächste Zeit wohnen könnt. Ihr bekommt neue Papiere und eine neue Identität. Allerdings wäre es gut, wenn ihr in Zukunft Deutsch lernen würdet.«

Anna nahm Florians Hand und drückte sie fest. »Das machen wir.«

»Anna, du solltest in deinem eigenen Interesse weiter Korsetts tragen und mit der Schnürung nur langsam nachlassen, sonst könnten Probleme auftreten.« Frederike blickte Anna und Florian abwechselnd an.

Florian versprach, sich darum zu kümmern. »Mit der schlanken Taille gefällst du mir wirklich gut.« Er gab ihr einen Kuss.

»Fürs erste werde ich weiter Korsetts tragen«, versprach Anna. »Wenn es dir gefällt.«

»Ich werde in dem Brief für Pauls Oma noch ein paar Sätze zu deinem Körperzustand hinzuschreiben, dann weiß Frau Mohr, was für dich wichtig ist.«

Anna blickte Frederike nur wortlos an. Eine Antwort wusste sie nicht.

»Wie bist du denn mit dem Monohandschuh zurecht gekommen?« Frederike zeigte einige Verlegenheit. »Ich weiß, dass er dir aufgezwungen wurde, aber es wäre gut, wenn du ihn ab und zu weiter tragen würdest, da dein Körper an die Haltung gewöhnt ist.«

Anna blickte Florian vorsichtig an. Eine Frage zu stellen traute sie sich aber nicht.

»Du solltest dich mit Maria austauschen. Sie ist eine sehr erfahrene Trägerin des Handschuhs.«

Maria kam näher. »Alle sind dann immer sehr aufmerksam und wollen dich bemuttern.« Sie blickte verschmitzt zu Paul.

»Du trägst den Handschuh gern?« Anna wollte es von Maria selbst hören.

Auf einmal begriff Maria, dass sie jetzt in Gegenwart von Paul und ihrer Mutter Farbe bekennen musste. »Gewiss, ich muss dann auf meine Arme verzichten, doch ich habe gelernt, wie ich mich trotzdem verteidigen kann.«

»Wie, du hast das gelernt?« Annas Miene zeigte, dass sie immer weniger verstand.

Frederike fühlte sich genötigt, einzugreifen. »Wie wäre es, wenn ihr euch diese Nacht unterhaltet?« Sie spürte, dass Anna jetzt viel Unterstützung gebrauchen konnte. Maria würde ihr am ehesten vermitteln können, dass Bondage auch etwas Positives sein konnte. »Du erzählst ihr einfach alles über das Fest und dass du bald mit Paul vor dem Altar stehen wirst und vor allem wie.«

Außerdem war es gut, wenn Anna diese Nacht nicht in ihrem Zimmer war. Dann konnten die Fluchtspuren gelegt werden.


Anna schaute noch etwas skeptisch, wie Maria von dem System an der Decke an ihr Bett gebunden wurde, dann machte Paul das gleiche bei ihr. »Wir stellen eure Betten nebeneinander, dann könnt ihr euch noch unterhalten.«

Als Anna sah, dass Maria genauso wie sie behandelt wurde, fühlte sie sich in ihren Gefühlen bestärkt.

Frederike kam herein. »Anna, wenn du erlaubst, würde ich dir gern ein wenig Blut abnehmen.«

Anna blickte die Chefin fragend an.

»Es ist besser für dich, wenn du nicht weißt, wofür.«

»Gut, ich bin einverstanden.«

»Ich habe noch einiges mit Paul zu besprechen.« Sie winkte Paul zu sich. »Wir kommen dann später und machen euch bettfertig.«


»Was meinte die Chefin damit, dass du bald vor dem Altar stehen wirst?« Annas fragte ins das Dunkel des Zimmers.

»Das ist eine ganz lange Geschichte.« Marias Stimme war erfüllt von Schwärmerei. »Angefangen hat es damit, dass Paul in unsere Klasse kam. Das war vor einigen Monaten.«

* * *

»Und dann stand er plötzlich hier in meinem Zimmer.« Marias Stimme klang schwer verliebt.

»Du bist sehr glücklich trotz der Fesseln?« Anna hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört.

»Ich weiß nicht genau« Maria war nachdenklich. »Vielleicht sogar wegen der Fesseln.«

* * *

»Es wird eine zweite falsche Spur geben, sonst wird die Familie nicht aufgeben.« Frederike saß mit Paul im Büro.

»Zweite falsche Spur?« Paul runzelte die Stirn.

»Je weniger Leute die Wahrzeit kennen, desto sicherer ist Anna.«

Paul erkannte sofort, dass er nicht weiter fragen sollte. So langsam realisierte er, weilche Rolle ihm Frederike zugemutet hatte und welches Vertrauen sie in ihn gesetzt hatte.

»Erzähle Betty nur das Notwendigste. Ich werde ihr sagen, dass sie sich dir unter ordnen soll bei allen nicht medizinischen Dingen.«

Donnerstag, den 9. September 1984

»Die Chefin sagt, ich soll dir folgen.« Betty war zu Paul gegangen. »Es gäbe dafür ganz besondere Gründe und ich soll nicht nachfragen.«

Paul blickte Betty vorsichtig an. »Du wärst einverstanden?«

»Und bei medizinischen Dingen soll ich dich gut beraten, damit du die richtigen Entscheidungen treffen kannst.« Sie lächelte verlegen.

Paul wollte erst widersprechen, weil Frederike den letzten Punkt etwas anders formuliert hatte. Doch dann fühlte er, dass er von Betty wirklich Unterstützung und ebenso auch Gehorsam bekommen würde. Die Sorge um Annas Zukunft vereinte sie.

»Wir wissen nicht, wo Anna ist.« Paul blickte Betty an.

»Du weißt es.« Sie schaute ihn herausfordernd an.

Paul blickte warnend zurück. »Wir wissen es nicht.«

»Schon gut, habe verstanden.« Es war Pauls Blick allein, der sie zur Ordnung rief. Irgendwie spürte sie, dass er es wirklich ernst meinte. Die Sorgen um Anna schweißte sie zusammen und ließ sie über so manches hinwegsehen, was sie unter normalen Umständen gestört hätte.

* * *

Nach dem Frühstück sollten sie Maria und Sarah mit den neuen Korsetts vertraut machen. Falls noch Sachen geändert werden mussten, war das hier in der Klinik leichter möglich, als wenn sie erst in ihren Heimatländern weilen würden.

Zuerst war Sarah an der Reihe. Betty war sehr aufmerksam und ließ sich erklären, was sie zu dem Korsett so alles wissen musste. Sie machte keinen Hehl daraus, dass es ihr besonders Sarahs Hilflosigkeit in dem Korsett angetan hatte.

Sarah war Bettys Neckereien zwar hilflos ausgeliefert, aber durch den dicken Korsettpanzer war sie auch etwas geschützt.

Maria stöhnte ebenfalls recht heftig, als sie das neue Korsett in all seiner Strenge spürte. Der Gedanke, dass Paul es ihr angelegt hat und es damit seine heftige Umarmung war, tröstet sie ein wenig.

In ihren sonstigen Fesselungen hatte sie stets noch einige Freiheiten gehabt, doch in dem neuen Korsett gab es kein einziges Gelenk, welches sie noch bewegen konnte. Ihre Arme wurden durch eigens geschnürte Röhren an den Seiten unbeweglich gehalten, nur ihre Hände schauten noch heraus. Sogar ihre Fußgelenke, die beim alten Korsett noch frei beweglich waren, waren hier durch Stahlstreben fixiert.

»Am besten bleibt ihr bis zum Mittag im Korsett, dann können wir gleich überprüfen ob es auch wirklich gut sitzt.«

Sie wandte sich an Betty und Paul. »Passt bitte gut auf die beiden auf.«


»Wollen wir ein Spiel machen?« Betty hatte ein Leuchten in den Augen. »Wer zuerst kommt, hat verloren.«

Paul blickte sie verblüfft an. »Wie soll das gehen?«

Betty blickte ihn triumphierend an. »Wir tauschen die Fernbedienungen.«

»Gute Idee«, Frederike grinste ein wenig. »Das ist ein guter Belastungstest. Aber passt auf, dass sie nicht umfallen. Ihr könntet sie an die Schienen hängen.« Sie reichte Paul ein paar zusätzliche Riemen.

Als Maria den Satz ihrer Mutter hörte, musste sie vor Entsetzen stöhnen.

»Siehst du, sie freuen sich darauf.« Betty liebte diesen Sarkasmus.

Auch Sarah zeigte mit ihren weit aufgerissenen Augen, was sie von der Idee hielt.

Betty rollte zwei Sessel nebeneinander, dann grinste sie Paul an. »Wir machen es uns gemütlich und genießen die Show.«

Sie wartete, bis Paul auch Platz genommen hatte, dann reichte sie ihm die Fernbedienung für Sarah.

»Auf die Plätze, fertig los.« sprach sie langsam, dann drückte sie alle Knöpfe auf der Fernbedienung gleichzeitig.

Paul war zunächst wie erstarrt. Erst als Maria das erste Mal aufstöhnte, besann er sich und war bemüht, Sarah ebenfalls mit allen Vibrationen zu versehen.

»Woran erkennen wir eigentlich, dass sie nicht schummeln?« Sie erklärte, dass Sarah es manchmal schaffte, einen Orgasmus zu verbergen.

»Bei Maria ist das auch wichtig.« Er beschrieb einige Situationen aus der Festvorbereitung, bei denen Maria in seinen Armen gekommen war, ohne dass es die Umstehenden wahrnehmen konnte. »Dadurch, dass ich sie in ihren Armen hielt, konnte ich es stets spüren.«

»Ich glaube, so geht das nicht mit dem Wettbewerb.« Betty schaltete Marias Vibratoren wieder ab.

Doch ihr herzzerreißendes Stöhnen ließ Paul aufhorchen. »Genießen wir doch einfach die Show, die sie uns bieten.« Er reichte Betty die Fernbedienung von Sarah.

»Du hast vermutlich recht, das ist besser.« Sie reichte Paul Marias Bediengerät. »So können wir das auch viel länger auskosten.«

Paul begann zunächst nur mit den Brust-Vibratoren. »Wofür ist eigentlich dieser kleine Knopf?« Er war nicht beschriftet.

»Das ist das Zufallsprogramm.« Betty bekam auf einmal einen ganz glasigen Blick. »Es ist ein herrlicher Anblick, wenn sie zu einer Pause gezwungen werden und nicht kommen dürfen.«

Unwillkürlich musste Paul zu Maria blicken und er sah vor allem Lust in ihren Augen. Doch gleich bemerkte er, wie sich Marias Augen auf und abbewegten, um danach auf der Fernbedienung liegenblieben.

Sarah versuchte ihrer Geliebten den Stinkefinger zu zeigen, was Betty natürlich genüsslich übersah. Sie stupste Paul in die Seite. »Siehst du, wie sehr sie sich darüber freut.«

Ein grimmiger Blick von Sarah war die Antwort.


»Was machen eure Tests?« Frederike stand auf einmal im Raum.

Betty zuckte zusammen. »Wir sind noch dabei.« Dabei versuchte sie die Fernbedienung zu verstecken, da sie wegen ihrer Programmwahl einschlechtes Gewissen hatte.

»Ihr testet das Zufallsprogramm?« Frederike blickte auf die Fernbedienung, die Paul in den Händen hielt. »Das mag ich auch sehr gern.«

Erst jetzt begriff Paul, warum Betty auf einmal so hektisch reagiert hatte.

»Die Schneiderin hätte die Venus-Korsetts fertig und lässt fragen, ob ihr zu einer Anprobe bereit seid.« Sie blickte einmal in die Runde. »Ich dachte, wir könnten das gleich mit den Korsett-Tests verbinden.«

Sie ging zu dem Telefon und wählte eine kurze Nummer. »Sie können vorbei kommen, die Mädchen sind bereit.«


Maria hielt innerlich den Atem an. Das würde die ultimative Fixierung werden. Sie konnte schon jetzt in den Armkorsetts nur noch ihre Hände bewegen, und dabei war jede dieser Bewegungen nutzlos, weil die Arme längs am Körper fixiert waren.

Jetzt würde sie auch noch das Gebet tragen dürfen und dann würden ihre Arme in dem Korsett fixiert werden. Sie begann schneller zu atmen.

»Ihr solltet aber das Programm abstellen, sonst werden sie ihre Arme nicht so ruhig halten, wie wir es brauchen.«

Betty seufzte etwas. »Schade.« Sie grinste etwas.

»Ihr werdet in Zukunft noch oft Gelegenheit haben, dieses Spiel zu spielen.«

Die Worte erinnerten Betty daran, dass der Herzog immer noch auf eine Entscheidung von ihr wartete. Das ernüchterte sie ein wenig.


Diesmal war es der Korsettschneider selbst, der mit seiner Assistentin und seiner Angestellten vorbeikam.

»Wer kommt zuerst dran? Maria oder Sarah?« Frederike blickte Paul und Betty fragend an.

»Wie wäre es mit Schnick, Schnack, Schnuck?« Bettys Blick hatte etwas Herausforderndes.

Paul war einverstanden und doch hatte er ein seltsames Gefühl, ein Spiel zu spielen, bei dem Maria der Einsatz war, auch wenn es nur darum ging, wer mit dem Venuskorsett als erstes dran kam.

Doch er gewann mit zwei Mal Schere und einmal Stein.

Auch Maria kam es etwas seltsam vor, als Paul für sie gegen Betty spielte. Dabei war es weniger das Ziel des Spieles, sondern mehr die Tatsache, dass für sie gespielt wurde. Trotzdem freute es sie, dass Paul für sie gewonnen hatte.

»Lassen wir die Mädchen noch einen Moment verschnaufen, dann fangen wir an.«

Maria war im Nachhinein nicht mehr sicher, ob sie überhaupt an Widerstand gedacht hatte. Doch kaum war klar, dass mit ihr begonnen werden sollte, als sich sofort zwei Hände um ihren Arm legten und ihn festhielten, solbald er losgeschnallt war.

Zuerst wurde ihr ein Geschirr umgelegt, welches die Aufgabe hatte, ihre Arme passend für das Gebet auf dem Rücken zu fixieren. Darüber wurde das Venuskorsett gelegt.

Zu Beginn hatte die Schneiderin die Anweisung bekommen, Paul und Betty bei den Anproben möglich überall mit einzubeziehen, damit die Partner an die Erfordernisse der Kleidungsstücke gewöhnen könnten. Doch Frederike wusste auch, welche zusätzliche Wirkung es hatte, wenn die Partner die Fesseln anbrachten.

* * *

»Ich hatte ja erst Bedenken, ob es in einer Klinik wirklich so schön sein kann.« gestand Sabeth. »Doch in eurer Gegenwart sind alle meine Zweifel beseitigt. Ich möchte euch danken, dass ihr da seid.«

»Hast du die Herzogin schon gefragt, ob wir Anna heute auch schon bei ihnen unterbringen können?«

»Nein, bisher nicht.« Sabeth war etwas verlegen, weil sie spürte, wie wichtig das Thema war. »Aber nachher bin ich bei ihr. Sie wird sicher zustimmen.«

»Die Anwälte werden gegen 16 Uhr wieder hier aufkreuzen. Bis dahin muss Anna ‚verschwunden’ sein.«

»Das kriegen wir hin, da bin ich mir ganz sicher.«

»Könnten wir Anna auch bei dir unterbringen?« Betty versuchte eine Alternative.

»Sehr riskant«, antwortete Sabeth, »Der Diplomatenschutz gilt nur für meine Eltern, nicht für mich.«

»Schade«, Betty dachte laut.

»Ja, da hast du Recht« Paula mischte sich ein. »Sabeth müsste auf ihren Entspannungshogtie verzichten.«

»Entspannungshogtie?« Paul war verwundert. »Ist das nicht ein Widerspruch in sich selbst?«

»Sollte man meinen.« Sabeth lachte. »Aber in einem Hogtie kann ich wunderbar abschalten.«

Paul fiel auf einmal auf, dass Maria ihn intensiv ansah. Er ahnte, was sie bewegte. »Kannst du das etwas genauer erklären? Ich glaube, Maria möchte mehr darüber wissen.« Er blickte sie kurz an und entnahm ihrer dankbaren Miene, dass er es getroffen hatte.

»Wenn es schnell gehen muss, dann nimmt Paula Lederriemen, aber wenn wir viel Zeit haben, dann benützt sie Seile, um mich zu verschnüren.« Sie warf Paula einen verliebten Blick zu.

»Ganz wichtig ist das Schrittseil.« Paula erwiderte den Blick. »Wenn ich das an ihre Handgelenke binde, dann kann sie es genießen. Ich setze mich dann gern neben sie und schaue ihr einfach nur zu.«

»Natürlich hat sich mich auch geknebelt. Wenn mein Kopf über das Kopfgeschirr nach hinten gezogen wird und ich jeden Muskel im Körper spüren kann, ist es das Höchste.«

»Wortwörtlich.« Paula grinste.

Sabeth wurde etwas rot. »Ich fiebere immer den Gelegenheiten nach, wenn wir viel Zeit haben.« Sie lächelte verlegen. »Hat Maria noch Fragen?«

Maria deutete mit ihren Armen die Monohandschuhhaltung an und blickte Sabeth fragend an.

»Das geht auch mit einem Monohandschuh.« Sie blickte zu Paula.

»Es ist allerdings etwas schwieriger, dass Schrittseil um die Handgelenke zu binden.« Paula lachte. »Den Knoten sollte man vorher üben.«

Paul bemerkte Marias auffälligen Blick. »Kannst du es mir zeigen?« Irgendwie wusste er, was Maria von ihm erwartete.

»Komm mal mit.« Paula erhob sich. »Ich habe da was in unserem Zimmer.«

* * *

»Können wir Anna und Florian für eine Nacht bei euch in der Suite unterbringen?« Sabeth wusste, dass sie ihre Mutter ins Vertrauen ziehen konnte. »Es wäre nur für eine Nacht.«

»Was wäre nur für eine Nacht?« Die Herzogin war zurückhaltend.

»Wir müssen Anna bis Morgen verstecken, damit sie keiner zu Gesicht bekommt.«

»Und warum fragst du mich?« fragte die Herzogin, obwohl sie die Antwort eigentlich schon wusste.

»In euren Zimmern wäre sie sicher, weil diese nicht von der Polizei durchsucht werden dürfen.« Sabeth zwang sich, ihrer Mutter dabei ins Gesicht zu blicken.

»Warum wird Anna gesucht? Du weißt, dass wir keine Verbrechen decken dürfen.«

Sabeth berichtete ihrer Mutter von den Aktionen der Familie, und je mehr sie erzählte, desto entschlossener wirkte die Herzogin.

»Wir decken kein Verbrechen, sondern wir verhindern eines.« Sie streichelte ihrer Tochter durch das Gesicht. »Uns trennt viel, doch die Liebe zur Gerechtigkeit verbindet uns.«

Doch Sabeths Blick verdunkelte sich. »Es wäre gut, wenn Papa davon gar nicht erst etwas erfährt. Dann ist er am überzeugendsten.«

»Aber wir wollt ihr das erreichen?« Die Herzogin lächelte. Sie wusste, dass ihr Mann nur schlecht lügen konnte. Man sah es ihm immer sofort an.

»Anna und Florian werden in dem kleinen Gästezimmer übernachten. Sie werden ganz leise sein und du musst nur dafür sorgen, dass Papa etwas abgelenkt ist.«

So ganz war die Herzogin noch nicht einverstanden. »Was meinst du mit Ablenken? Sollen wir etwa, wenn fremde Leute in unserer Suite sind...« Sie sprach nicht weiter.

»Ich dachte eher an einen lang dauernden Theaterbesuch und ein ausgiebiges Frühstück bei Joe. Das kleine Zimmer wird abgeschlossen sein. Du msst ihn nur ablenken.«

»Na gut, probieren wir es.«

* * *

Paula lehnte in der Tür. »Judith ist im Besuchszimmer. Sie sagt, Nicolas hätte sie beauftragt.«

Sabeth spürte sofort, dass Paula ein wenig eifersüchtig war, auch wenn sie sich Mühe gab, es zu verbergen. »Um was geht es denn?« fragte sie, obwohl sie vermutlich schon ahnte.

»Das wird sie dir sagen.« Paula hatte Mühe, ihre Eifersucht unter Kontrolle zu halten. In Brasilien war es etwas anderes, doch hier wollte sie ihre Geliebte nicht mit Nicolas teilen.


»Ihr Mann hat für sie auch so einen Mundverschluss bestellt.« Judith war etwas verlegen. »Sind sie darüber informiert?«

Sabeth war recht unsicher. Sie wusste noch nicht, was sie von Nicolas Initiative halten sollte. Wollte er sich doch zwischen Paula und sie drängen? Sie entschied sich für ein vorsichtiges Ja.

»Er sagt, sie könnten dann auch in ihrer Heimat schweigen.« Judith packte ihre Geräte aus.

Sabeth erkannte auf einmal, dass für Eifersucht kein Grund bestand. Sie hatten schon öfters einmal darüber nachgedacht, dass sie ihre geliebten Knebel in der Öffentlichkeit nie tragen konnte. »Fangen sie bitte an.«

»Ich nehme heute nur die Abdrücke.« Judith war der Stimmungswechsel der Herzogstochter nicht entgangen. »Der Mundverschluß wird Morgen vormittag fertig sein.«

* * *

»Ich habe etwas ganz Tolles für dich.« Paula stand mit leuchtenden Augen vor ihrer Geliebten.

'Noch toller als der Mundverschluss?' dachte Sabeth bei sich, doch sie wollte Paula nicht enttäuschen. »Ja?« Normalerweise bedeuteten diese strahlenden Augen stets süße Qualen für sie selbst.

»Gertrud hat mir ihre Mumie gezeigt und ich habe gefragt, ob ich dich dort auch mal einsperren darf.« Paula hatte Mühe, ihre Begeisterung zu verbergen.

»Mumie?« Sabeth runzelte die Stirn.

»Viel Spaß« Betty blickte kurz auf. Es war deutlich zu erkennen, dass sie im Gegensatz zu Sabeth wusste, was auf die Herzogstochter zukommen würde.

»Komm einfach mit und lass dich überraschen.« Paula ergriff Sabeths Hand und zog sie hoch.

»Von der sehen wir heute nichts mehr.« Betty schaute auf die Uhr und grinste. »Die fällt aus der Mumie direkt ins Bett.«

Paul lächelte wissend. »Wie auf der Hütte, aber zusätzlich mit Massage.«

Maria grinste ebenfalls.

* * *

»In diesem Moment sind die Anwälte wieder in der Klinik.« Paul hatte sich in Marias Zimmer geschlichen und sah, dass Anna auf dem Bett saß. Er ging auf das Bett zu und setzte sich neben sie.

Anna machte Anstalten, aufzustehen, doch Paul hielt sie zurück. »Sie werden dich nicht antreffen.«

»Wie, ich bin doch da.« Noch verstand Anna nicht.

Frederike hatte Paul es offen gelassen, ob er Anna von den Plänen der Familie erzählen wolle oder nicht. Er sollte es je nach Situation entscheiden. »Heute sind es vier Anwälte und sie haben einen Rollstuhl dabei.«

»Sie wollen mich holen.« Anna umklammerte Pauls Arm und drückte ihn fest an sich. »Sie haben es immer schon angedroht.«

»Keine Sorge, sie werden dich nicht finden.« Paul zwang sich, Annas Klammerung zu ertragen.

»Wo werde ich versteckt?« Anna begriff langsam die Brisanz der Situation.

»Ich passe auf dich auf.« Zu seiner Erleichterung spürte er, dass Anna ihren Griff löste. Doch auf einmal begann Anna zu weinen.

Paul legte seinen Arm um sie und zog sie zu sich heran. »Was ist denn?«

»Ihr seid so gut zu mir und riskiert so viel.« Sie schluchzte. »Ich kann mich dafür doch nie revanchieren.«

Paul war dankbar, dass Frederike ihn auf diese Situation vorbereitet hatte. Er hielt Anna in den Arm, so wie es Frederike ihm empfohlen hatte. »Mach dir darüber keine Gedanken. Jetzt ist erst mal wichtig, dass es gelingt.«

* * *

Diesmal waren es vier Personen, die in das Besuchszimmer kamen.

»Habt ihr die Papiere dabei?« fragte der älteste der drei Anwälte.

»Natürlich.« der Jüngste zeigte eine Mappe hoch. »Noch so einen Einlauf kann ich nicht gebrauchen.«

Die vierte Person war eine Frau, die einen Rollstuhl vor sich her schon. Es war kein gewöhnlicher Rollstuhl, denn sofort fielen die vielen Extrariemen auf, mit denen die Sitzende auf ihrem Platz fixiert werden konnte.

»Und wenn sie nicht will?« Der Mittlere äußerte seine Bedenken.

»Sie hat die Tabletten bekommen, so wurde uns berichtet.« Der Älteste blätterte in seinen Unterlagen. »Dann sollte ihr Willen unterdrückt sein.«

»Ich frage mich immer noch, ob es richtig ist, was wir hier tun.« Doch wieder jeder Geschäftsmann mussten die Anwälte zunächst auf das Geld und auf die Zufriedenheit der Kunden schauen. Ein Gewissen konnten sich die wenigsten Anwälte leisten.


Betty war mehr als nervös, als sie ins Besuchszimmer kam. Sie hoffte, dass sie ihre Rolle überzeugend spielen konnte. »Sie wünschen?«

»Bringen sie bitte Anna Kennedy zu uns. Bitte achten sie darauf, dass sie transportfähig ist.«

Betty knickste und verließ den Raum wieder. Jetzt war es wichtig, alles richtig zu machen, so als wisse sie nicht, dass Anna verschwunden war.

Natürlich wusste Betty, dass Anna verschwunden war, doch nicht, wohin. Sie überlegte, was sie machen würde, wenn sie es nicht wissen würde. Sie würde sich den Rollstuhl holen und in Annas Zimmer gehen. Dort würde sie Anna vom Schienensystem befreien und auf den Rollstuhl setzen und sie dann festschnallen.

Also würde sie den Rollstuhl dabei haben, wenn sie zu den Anwälten zurückkehrte.

Sie nahm sich den Rollstuhl und ging damit in Annas Zimmer. Zu ihrer Erleichterung sah es wirklich so aus, wie sie es erwartet hatte. Anna war nicht da, das Fenster war zerbrochen und die Scherben lagen innen. Sie war also von außen befreit worden. Betty blickte zum Schienensystem und dem Seil, welches daran herunter baumelte. Die Enden des Seils waren flach gedrückt. Vermutlich ein Bolzenschneider. Sie hoffte, genug Zeit verbraucht zu haben, damit die Anwälte keinen Verdacht schöpfen würden.

Sie schob den Rollstuhl wieder aus dem Zimmer und ging in das Besuchszimmer. »Frau Kennedy ist nicht da.« Betty war ehrlich erstaunt, wie gut Annas Flucht vorgetäuscht war. Das half ihr jetzt ihr Erstaunen vorzutäuschen.

»Was soll das heißen, ‚nicht da’?« Der älteste war verwundert.

»Sie ist weg. Es scheint jemand eingebrochen zu sein und hat sie anscheinend befreit.«

»Holen sie bitte die Chefin.« Der Anwalt war insgeheim erleichtert, dass er diesen Auftrag nicht ausführen konnte. Jetzt war es wichtig, alles zu versuchen, damit sie von der Familie trotzdem das Honorar bekommen würden. Immerhin wurden sie nach Stunden bezahlt und nicht nach Erfolgen.

»Ich gehe sie holen.« Betty machte einen Knicks und verließ den Raum.


Frederike blickte auf die Uhr. So wie sie die Lage einschätzte, würde sie gleich zu den Anwälten gehen müssen, um Annas Verschwinden zu untersuchen. Für diesen Part verzichtete sie auf die Hilfe des Konsortiums. Je weniger Leute wussten, was tatsächlich passiert war, desto besser war es.

Gleich darauf klopfte es auch schon. Nach ihrem ‚Herrein’ trat Betty ein. »Die Anwälte wünschen sie zu sprechen.«

»Was haben sie ihnen bisher gesagt?« Frederike wollte über den Wissensstand der Anwälte genau Bescheid wissen. Die Glasscheibe in der Mitte des Besucherraums verhinderte, dass jemand von außen in die Sieben eindringen konnte. Die Anwälte mussten sich mit dem zufrieden geben, was sie von Betty erfahren hatten.

»Ich habe gesagt, dass Anna vermutlich befreit wurde.« Betty versuchte, ihre Äußerungen genau wiederzugeben.

»Okay, dann wollen wir mal.« Frederike stand auf und verließ mit Betty das Zimmer. »Sie kümmern sie bitte um die anderen Patienten.«

Betty war für die Anweisung recht dankbar. So gab es für sie keine Gelegenheit mehr, sich doch noch zu verplappern. Sie ahnte, dass für Frederike und die Klinik mehr auf dem Spiel stand als nur der Imageverlust.


Frederike war zuerst versucht, die Ahnungslose zu spielen. Doch dann verwarf sie den Gedanken wieder. Betty würde ihre sicher von der Flucht berichtet haben. »Meine Herren?« Bewusst selbstbewusst betrat sie das Besuchszimmer.

»Wo ist Frau Kennedy?« der Älteste übernahm die Gesprächsführung.

»Das weiß ich nicht.« Frederike sagte in diesem Moment sogar die Wahrheit, weil sie wirklich nicht wusste, wo sich Anna in diesem Moment aufhielt.

Es war eine seltsame Situation. Die Anwälte wussten um ihren unmoralischen Auftrag und waren streng genommen sogar erleichtert, ihn nicht durchführen zu können. Sie mussten aber gegenüber der Familie versichern, aus ihrer Sicht alles richtig gemacht zu haben.

Frederike ihrerseits war bemüht, alles zu tun, um scheinbar an der Aufklärung von Annas Flucht mitzuarbeiten. Doch insgeheim hoffte sie, dass ihr gut durchdachter Plan jetzt auch wirklich aufgehen würde.

»Wir möchten das Zimmer sehen.« Der Anwalt wusste, dass er so eine Frage stellen musste, obwohl er wusste, dass die Antwort ‚nein’ lauten würde.

Frederike hatte insgehiem mit dieser Frage gerechnet. »Dies ist eine geschlossene Station. Das Betreten ist nur medizinischem Personal erlaubt.« Sie machte eine Pause, um die Wichtigkeit ihrer Aussage zu betonen. »Nur wenn die Polizei mit einem richterlichen Beschluss käme, könnte sie das Zimmer durchsuchen.« Sie hoffte, mit diesem Hinweis gegeben zu haben, der bewirkte, dass sie Anwälte für heute verschwinden würden.

Es wirkte wie gewünscht.

»Das werden wir machen.« Der Anwalt erhob sich und ging mit seinen Kollegen zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. »Sie werden von uns hören.«

Insgeheim war Frederike erleichtert. Es war sehr gut gelaufen.

* * *

»Welche Behandlung steht an?« fragte Paul mit ein wenig schlechtem Gewissen.

»Maria und Sarah kommen gleich zurück von der Elektro-Massage. Sie tragen noch bis zum Ende der Pause die Armbrüste.« Betty war sichtlich froh, dass der Besuch der Anwälte so abgelaufen war wie geplant.

»Und dann?« Paul wartete auf die Information, nach der er gefragt hatte.

»Du darfst wieder den Ponyherrn spielen, bei Maria.« Betty grinste. »Ich versorge Sarah in der eisernen Lunge.«

* * *

Maria merkte sofort, dass Paul bei dem heutigen Training mit der Ponygirl-Ausrüstung sehr unkonzentiert war. Sie beschloss deswegen, auf ihre kleinen Spielereien zu verzichten und gab das ganz gehorsame Pony. Sie erinnerte sich an die alten Geschichten von Kutschpferden, die ihren Weg nach Hause auf den Hof auch dann fanden, wenn der Kutscher auf dem Wagen eingeschlafen war.

Doch dann stutzte sie. Ob sie als Pony wohl auch mal vor eine Kutsche gespannt werden könnte? In Gedanken sah sie sich vor einen kleinen Sulky gespannt und Paul saß auf dem Sulky und trieb sie an. Maria wieherte ein wenig. Ohne jeden äußeren Antrieb lief sie ganz brav ihren Runden über den Parcours.

* * *

Nachdem Maria von dem Ponykostüm befreit worden und wieder da war, begannen ihre Augen zu leuchten.

Paul lächelte sie an. »Bis zum Fest wird der Stall zubleiben, aber danach möchte ich Wildfire gerne mal wiedersehen.« Auch er hatte seine Freude daran, wie gut Maria sich in die Rolle so eines Ponys fallen lassen konnte.

Maria lächelte zurück.

»Jetzt gibt es erst einmal das Abendessen.« Betty winkte von der Tür aus.

* * *

»Seid ihr schon fertig mit dem Essen?« Frederike betrat die Sieben und hatte einige Papiere, eine Perücke und etwas hautfarbenes in der Hand. Sie ging sofort auf Anna zu. »Kommst du bitte mit?«

Anna stand auf und kam der Bitte nach.

Paul blickte in die fragenden Gesichter und setzte eine ernste Miene auf. »Je weniger wir wissen, desto weniger können wir ausplaudern.«

Kurz darauf kam Frederike wieder zurück und hinter ihr betrat ein fremdes Mädchen den Raum. »Darf ich euch Franziska Bauer vorstellen?« Sie bedeutete dem Mädchen, sich auf Annas Platz zu setzen.

Am Tisch waren alle sprachlos. Wenn sie nicht sehen würde, dass diese Franziska noch Annas Kleidung anhatte, hätten sie die Neue tatsächlich für unbekannt gehalten.

Nur die traurigen Augen waren von Annas Gesicht noch sichtbar.

»Hier sind deine neuen Pässe und deine neue Identität.« Sie reichte Anna die Papiere.

Anna schluckte.

»Bitte fragt nicht, wie das geht.« Frederike wollte nicht verraten, dass die Klinik auch bei so manchem Zeugenschutzprogramm beteiligt war und entsprechende Mittel hatte.

»Nimm Platz, Franziska« Paul hatte seine wieder Worte gefunden.

»Unter der Maske ist es schwer zu sprechen.« Frederike streichelte Anna über den Kopf. »Beschränkt eure Fragen auf das Notwendigste.«

»Wo wird Anna, ich meine Franziska, diese Nacht schlafen?« Paul hatte bisher sein Bett geopfert für Anna.

»Ich werde Franziska dann zur Herzogin bringen. Sie hat ein kleines Extra-Zimmer in ihrer Suite.« Sie drehte sich zur Tür und winkte Anna zu sich. »Ein gewisser Markus Bauer wird dort auf dich warten.«

* * *

Maria hatte sich für den Abend einen Hogtie gewünscht. Doch als Paul aus dem Bad kam, musste er lächeln. Maria war schon wieder auf ihrem Bett eingeschlafen.

Freitag, den 10. September 1984

Frederike hatte sich schon früh aus dem Bett gezwungen und hatte sich komplett schwarz angezogen. Bevor sie ihre Wohnung in der Klinik verließ, setzte sie sich auch noch ihre alte Skimaske auf. Nur noch ihre Augen waren sichtbar.

Sie schlich sich in den Hof der Klinik. Gestern hatte sie durch einen Vorwand schon dafür gesorgt, dass einer der alten Krankentransportwagen auf den Hof gefahren wurde. Sie legte ihr Fahrrad und zwei gefüllte Benzinkanister hinein und fuhr dann ohne Licht vom Hof der Klinik. Erst auf dem Highway wagte sie es, das Licht an zu schalten.

Sie hatte ihren Plan immer wieder durchdacht und hoffte jetzt, alles richtig zu machen. Es gab in der Nähe eine tiefe Schlucht, an der der Highway vorbei führte. Schon öfters waren Autos dort abgestürzt und deswegen wäre es sicher plausibel, wenn Anna auf der Flucht dort mit dem gestohlenen Krankenwagen abgestürzt wäre. Die Familie würde bald herausfinden, dass der Flug nach Australien nur eine falsche Spur war und für den Moment wollte sie gut vorbereitet sein.

An einem kleinen Abhang hielt sie an. Sie hatte sich von Anna etwas Familienschmuck geben lassen, den sie auf den Beifahrersitz legte. Sie verließ den Wagen, lud das Fahrrad aus und öffnete die beiden Benzinkanister.

Vorsichtig entzündete sie ein paar Zeitungen und legte sie auf den Beifahrersitz, dann stellte sie die Automatik-Schaltung auf ‚neutral’ und löste sie die Handbremse. Langsam setzte sich der Wagen in Bewegung und rollte wie gewünscht auf die Schlucht zu.

Fredeike blieb an ihrem Platz stehen, bis der Wagen aus ihrer Sicht verschwunden war. Erst dann suchte sie ihr Fahrrad. Ein ohrenbetäubender Knall zeigte ihr an, dass ihr Plan aufgegangen war. Der Wagen war in die Schlucht gestürzt und das Benzin war explodiert. Der Wagen würde ausbrennen. Man würde Reste von Annas Schmuck finden.

Jetzt musste sie nur noch ungesehen in die Klinik zurück radeln. Sie wagte es nicht einmal, das Licht anzuschalten.

Natürlich war der gesamte Plan von sehr hohen Risiken umgeben, doch sie wusste, dass sie sich erpressbar gemacht hätte, wenn sie jemand anders damit beauftragt hätte.


Als sie bei der Klinik ankam, setzte gerade die Dämmerung ein. Sie schob ihr Fahrrad an seinen Platz und beeilte sich dann, in ihr Zimmer zu kommen. Sie wollte wieder umgezogen sein, bevor die Klinik erwachte, denn Arbeit gab es noch genug. Vor allem musste sie noch den Brief schreiben, den sie Anna für Pauls Oma mitgeben wollte. Von Paul wusste sie, dass Selma sowieso schon ein Mädchen bei sich wohnen hatte, dann wäre es sicher kein Problem, Anna so lange bei ihr unterzubringen, bis Mrs. Potter aus ihrem Urlaub zurück war und sich Anna und Florian annehmen konnte.

Selma sollte ein Telegramm aufgeben. »Alles bereit für Marias Heimkehr.« Damit würde sie in Wirklichkeit mitteilen, dass Anna bei ihr angekommen war.

Als nächste würde sie dafür sorgen, dass alle bisherigen Patienten und Betreuer die Sieben verlassen würden. Und auch die Mundverschlüsse würde sie ihnen abnehmen. Es musste nicht bekannt werden, was in ihrer Klinik bisher schon an absonderlichem Dingen passiert war. Und danach würde sie sich mit dem Kommissar auseinandersetzen müssen, der die Umstände von Annas Flucht untersuchen sollte.

* * *

Kommissar Fritz Spring legte den Hörer auf und blickte sich verblüfft im Spiegel an. Wieso war ausgerechnet er damit beauftragt worden, die Flucht von Anna Kennedy zu untersuchen. Er war eigentlich völlig unfähig und nur die Verwandtschaft zu seinem Schwiegervater, dem örtlichen Polizeichef, hatte ihn bisher vor einer Entlassung bewahrt.

Jetzt sollte er doch einen eigenen Fall bekommen. Und dann auch noch für diese Familie. Hatte sein Schwiegervater jetzt doch eine bessere Meinung von ihm?

* * *

Sandy wählte die Nummer, wie schon die Tage zuvor. Sie betete, dass sie ihren Text überzeugend vortragen konnte.

Wie üblich meldete sich die Gegenstelle nur mit »Ja?«.

»Es gab einen Einbruch und sie wurde entführt.« Sandy konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte.

»Woher wissen sie das?«

»In der Nacht war das Zerspringen einer Fensterscheibe zu hören, und am Morgen war Anna nicht mehr in ihrem Zimmer.« Das war sogar die Wahrheit.

»Danke für die Nachricht.« Die Gegenseite wollte schon auflegen.

»Da wäre noch etwas.« Sandy hielt kurz den Atem an. »Ich habe bald darauf ein Taxi wegfahren sehen.«

* * *

Herzogin Breganza deckte den Tisch für drei Personen. »Ich muss mich entschuldigen, ich habe sonst Personal, das sich darum kümmert.«

Anna blickte sie schweigend an, nahm ihr das Besteck aus der Hand und begann es neben die Teller zu legen.

»Wir helfen ihnen.« Florians Miene war ebenfalls voll Sorge. »Eben ist die Polizei angekommen.« Spät in der Nacht war Frederike bei ihnen gewesen und hatte ihnen alles gesagt, was sie für ihre bevorstehende Flucht noch wissen mussten.

Die Nervosität war überall im Raum zu spüren, doch die Herzogin versicherte, dass Franziska hier sicher sei. Sie hatte vor dem Namen extra eine Pause gemacht.

* * *

Fritz Spring bestand darauf, sofort in die Sieben eingelassen zu werden. Die Familie Kennedy hatte ihn anscheinend gleich mit den nötigen Papieren versorgt. »Ich will die ganze Klinik durchsuchen. Alles wird auf den Kopf gestellt.«

Frederike verwies ihn vorsichtig auf den besonderen Status des Herzogs. Seine diplomatische Immunität schützte ihn.

»Ich will alles durchsuchen!« polterte er.

»Dann müssen sie bei der Botschaft einen Antrag stellen.« Frederike hatte kein Problem, ihren Text aufzusagen, schließlich war es die Wahrheit.

»Veranlassen sie das!« befahl er einem seiner Kollegen. »und jetzt will ich den Tatort sehen.«

Frederike führte ihn in Annas Zimmer. Das ungemachte Bett und die offenen Schränke erweckten wirklich den Eindruck einer plötzlichen Flucht oder Entführung.

Der Kommissar bemerkte das zerbrochene Fenster erst, nachdem Frederike ihn darauf aufmerksam gemacht hatte. »Dort sind sie wohl hinaus.« Er beugte sich hinunter zum Boden. »Hier ist Blut.«

»Sie hat sich wohl am Glas geschnitten.« Frederike versuchte den Anschein zu erwecken, als hätte sie laut gedacht.

»Lassen sie mich die Schlüsse ziehen.« Er richtete sich wieder auf. »Verlassen sie bitte das Zimmer.« Er ging zum Flur und rief nach der Spurensicherung.

Frederike konnte sich ein leises Lächeln nicht verkneifen, als sie die Sieben verließ.

* * *

Das Telefon klingelte. Die Herzogin meldete sich, dann schien sie zuzuhören. »Danke für die Mitteilung.« Sie legte wieder auf. Dann blickte sie Anna und Sabeth ernst an. »Die Botschaft hat angerufen. Der Antrag wurde gestellt, unsere Suite zu durchsuchen.«

»Anna, komm.« Sabeth sprang auf. »Es ist alles bereit.«

Trotz ihrer Maske war zu erkennen, dass Anna Angst hatte.

* * *

»Chef, wir haben sie.« Ein Polizist hatte ein paar Blätter Papier in der Hand.

»Wo ist sie?« Fritz Spring war elektrisiert.

»Um 23 Uhr ist ein Taxi von der Klinik zum Flugplatz gefahren.« Der Polizist war etwas außer Atem.

»Ja und, haben sie die Fluglisten überprüft?«

»Nein, bisher nicht?«

»Dann machen sie das. Das hier ist doch nur ein kleiner Provinzflughafen. Nur Air Kabrilant fliegt von hier.« Er buchte selbst gern bei dieser Billigfluglinie, weil diese einige seltene Direktflüge anbot.

* * *

»Chefin, ich muss sie dringend sprechen.« Der Leiter des Fuhrparks stand vor Frederike und machte ein verblüfftes Gesicht.

»Was gibt es?« Frederike wusste natürlich, was ihn bewegte.

»Ich hatte gestern den alten Transporter auf den Hof gefahren, weil die Garage gerade gestrichen wird. Und jetzt ist er weg.«

»Welcher Transporter?« fragte sie naiv, denn natürlich wusste sie ja schon, was wirklich passiert war.

»Der 588er«

»Der sollte doch ausgemustert werden.« Es freute sie insgeheim, das ihr Personal so sorgfältig war.

»Wir sollten den Diebstahl anzeigen.«

Es war Frederike mehr als recht, wenn das vermisste Fahrzeug gesucht würde. »Kümmern sie sich darum. Die Polizei ist ja noch im Haus.«

* * *

»Chef, ich habe hier die Passagierliste des Fluges nach Ausstralien von San Francisco aus.« Der Polizist reichte Fritz Spring die Liste. Sehen sie mal, wer dort gelistet ist.«

»Brechen sie die Durchsuchung ab.« Fritz Spring war froh, so schnell die Spur von Anna Kennedy gefunden zu haben. »Wir verständigen die australische Polizei... Und die Familie.«

* * *

Anna zitterte, als sich die Tür des großen Koffers langsam schloss. Sie wagte es noch nicht, an ihre Rettung zu glauben, aber immer hin war sie aktiv bemüht, an ihrem Versteck mitzuarbeiten. Gleich darauf hörte sie, wie Sabeth begann, die Fächer mit wäsche voll zu räumen.

Doch dann trat Paula ein und grinste. »Die Polizei ist weg. Ihr könnt sie wieder auspacken.«

* * *

Es war so etwas wie vorsichtige Erleichterung zu spüren. Anna und Florian saßen auf dem Sofa und hielten sich bei den Händen. Jetzt galt es, nur noch auf die Ankunft des Botschafters zu warten.

Wieder klopfte es.

Die Herzogin ging zur Tür und öffnete sie einen Spalt. »Guten Tag, Herr Kommissar.« sagte sie recht laut, damit es im Nachbarzimmer zu hören war. »Was kann ich für sie tun?«

Sabeth und Paula blickten sich entsetzt an. »Anna, schnell in den Koffer.«

Anna war aufgesprungen und riss geradezu hektisch die Koffertür auf.

In diesem Moment trat die Herzogin ins Zimmer. »Falscher Alarm.«

Nachdem alle wieder zu Atem gekommen waren, erklärte die Herzogin. »Er wollte sich für die Anfrage und die Verdächtigung entschuldigen. Er wisse jetzt, dass sich Anna in einem Flieger nach Australien befand.«

* * *

»Die Familie möchte, dass Anna mit internationalem Haftbefehl gesucht wird.« Fritz Spring blickte erschöpft auf.

»Was wird ihr denn vorgeworfen?« Der Beamte an der Schreibmaschine war verwundert.

»Sie hätte wertvolles Familieneigentum gestohlen.« Der Kommissar nahm das Fax noch einmal zur Hand.

»Was denn?« Der Beamte war neugierig.

»Ihren Körper« Er legte das Fax wieder weg. Irgendwie war er von der Arroganz dieser Familie angewidert.

* * *

Anna war sehr wehmütig zu Mute, als sie sich für ihre geplante Flucht auszog. Es kam ihr vor, als würde sie mit jedem Kleidungsstück auch etwas von ihrer Familie ablegen. Sie ahnte, dass es ihre letzten Momente in den USA waren und auch ihres Lebens als eine Kennedy. Doch dann gingen ihr wieder die Gedanken an ihre arrogante Familie durch den Kopf und sie fühlte, dass ihre Entscheidung richtig war. Sie wollte in Deutschland ein neues Leben an Florians Seite beginnen.

Sie blickte immer wieder irritiert in den Spiegel und betrachtete ihr neues Gesicht, welches sie etwas älter erschienen ließ. Es kostete sie viel Kraft, ihre Hände nicht ins Gesicht zu führen und mit etwas Ironie dachte sie daran, dass jetzt so ein Monohandschuh doch recht praktisch wäre, da er ihre Arme sehr verlässlich festhielt.


Immer wieder blickte sie zur Uhr und zählte die Minuten, bis der Botschafter sie abholen würde.

Sie und Florian trugen schon die Anzüge, mit denen sie die Rollen der Leibwächter übernehmen sollten. Frederike hatte ihnen schon gesagt, was in den nächsten Momenten wichtig sein würde. Sie sollten sich nichts anmerken lassen und selbstbewusst auftreten.

Paul und Maria winkten ihnen noch einmal zum Abschied.


»Das wäre geschafft.« Frederike blickte sich erleichtert um sich. Sie schaute in angespannte Gesichter.

Sie hoffte, alles richtig gemacht zu haben. Sie hatte Anna zur Flucht verholfen, ohne dass es auf die Klinik zurückfallen würde. Anna würde zunächst in Australien vermutet und würde die Familie einige Zeit beschäftigen.

Mit dem ausgebrannten Wrack würden sie dann noch versuchen, die Familie vom Tod von Anna zu überzeugen, damit sie nicht mehr nach ihr suchen würden.

Jetzt musste sie noch dafür sorgen, dass der Herzog und seine Familie ihre Klinik in guter Erinnerung behielten.

Sie ging in die Sieben. »Wie geht es euch? Was macht die Ausdauer?«

Ihre Worte erinnerte Paul und Betty an die Ziele, die bei all dem Ärger mit der Familie Kennedy etwas in den Hintergrund getreten war.

»Oh, ich denke, wir sind bestens gerüstet.«

Frederike blickte mit einigem Stolz auf ihre Tochter. Sie war sicher, Maria gut auf die Erfordernisse des Katerinenfestes vorbereitet zu haben. Damit würde sie nebenbei auch ihr Programm zu einem sehr positiven Ergebnis führen. Sie freute sich insgeheim schon auf den Moment, wenn sie es vor den ehrenwerten Damen und Herren vorstellen würde.

Doch bei einem war sie sich sicher. So etwas wie bei Anna sollte sich mit ihrem Programm nicht ereignen. Sie nahm sich vor, ihr Programm an einige Bedingungen zu knüpfen und war froh, dass sie bald Annas scheinbaren Tod als deutliche Warnung verwenden konnte.

* * *

»Da sind die bestellten Exosklelette.« Fredeike bat einige Damen einzutreten. »Es ist schön, dass sie das so schnell möglich machen konnten.«

Maria hatte davon noch nie etwas gehört. »Was ist denn das?«

Paul nahm sie in den Arm. »Lass dich überraschen.« Er nahm ein Tuch und verband ihr die Augen.

»Oh, was machst du?« Maria wollte sich die Augen wieder befreien. Doch sie spürte, wie Paul ihre Hände festhielt.

»Sind sie bereit?« Maria hörte eine fremde Frauenstimme.

»Kann losgehen.«

Maria spürte, wie sich Pauls Griff um ihre Hände lockerte.

Auf einmal legte sich etwas Festes um ihren linken Arm, dann auch um ihren rechten.

»Wir haben es so gemacht, dass es sowohl über als auch unter der Kleidung getragen werden kann.«

Paul spürte Marias Ungeduld. »Wie funktioniert das Scharnier?«

Die eine der Helfereinnen trat an ihn heran. »Mit dieser Schraube können sie einstellen, welche Kraft zum Beugen erforderlich ist. Wenn sie sie ganz anziehen, dann ist ein Bewegen des Gelenks gar nicht mehr möglich.«

Maria hielt den Atem an, als sie begriff, was ihr gerade angelegt wurde. Plötzlich spürte sie, dass Paul irgendwie an ihrem Arm hantierte.

»Bitte bewegen sie einmal ihren Arm.«

Maria wollte der Bitte nachkommen, doch sie musste erstaunt feststellen, dass sie ihren Arm nicht mehr beugen konnte. »Was ist das?« Ihre Stimme zeigte einige Sorge.

»Kein Grund, sich Sorgen zu machen.« Frederike stand auf einmal im Raum. »Wie geht es voran?«

Maria seufzte, als sie die Stimme ihrer Mutter hörte.

»Meine Assistentinnen haben gerade mit den Armen begonnen.« Sie blickte in ihren Unterlagen. »Das Schultergelenk ist noch nicht fertig geworden, unsere Techniker haben noch Probleme, die auftretenden Kräfte richtig abzuleiten. Aber alle anderen Gelenke können wie gewünscht fixiert werden.«

Paul erkannte einige der Gegenstände wieder, doch ihm fiel auf, dass die neuen Gestelle sehr viel filigraner waren. Er äußerte das.

»Ja,« bestätigte die Frau mit den Unterlagen. »Das ist ein neues Material, welches eine sehr viel größere Festigkeit hat. Damit können wir das Skelett so herstellen, dass man es auch unter der Kleidung tragen kann.«

Maria stöhnte, als sie das hörte. Irgendwie wusste sie, dass sie das ausprobieren musste.

»Stellen sie sich bitte bequem hin.«

Maria zitterte leicht, als sie der Bitte nachkam. Gleich darauf spürte sie, wie sich auf um ihre Beine das gleiche Geschirr legte und befestigt wurde. Sogar die Füße musste Maria nacheinander kurz heben.

»Sie können das Fußgelenk und das Knie fixieren.«

Maria hielt kurz den Atem an.

»Stehen sie bequem?«

Maria hatte einige Mühe zu antworten. »Ja.«

»Bitte so stehen bleiben.«

Paul bekam die Aufforderung, jetzt auch die Gelenke zu fixieren.

Maria versuchte vorsichtig sich zu bewegen, doch sie musste zu ihrem eigenen Erstaunen feststellen, dass sie weder ihre Beine noch ihre Arme noch bewegen konnte.

»Jetzt kommt noch das Geschirr für den Oberkörper.« Sie begann es um Marias Oberkörper zu legen. Doch auf einmal stutze sie. »Das geht so nicht.«

»Was ist das Problem?« Frederike zeigte einige Sorgenfalten.

»Wir haben das Geschirr direkt auf den Körper abgemessen.« Die Dame war etwas verlegen. »So werden wir es nicht schließen können.«

»Ich verstehe«, Frederike hatte erkannt, dass Marias Keuschheitsensemble im Weg war. »Das erklären sie bitte Herrn Mohr, wie es zu bedienen ist. Falls es dann später Fragen gibt, können wir sie sicherlich noch mal kontaktieren.«

»Aber sicher.«

Auf einmal flüsterte Maria mit ganz leiser Stimme. »Schau es dir gut an. Ich möchte es dann gern mal tragen.«

»Bis dahin haben wir bestimmt auch die Probleme mit dem Schultergelenk gelöst. Mein Techniker sagte mir, dass es nur noch um Tage geht.«

»Es wäre sehr gut, wenn es noch bis Dienstag gelöst wäre, dann könnten wird es den beiden gleich mit in den Flieger geben.«

»Ja, das wäre schön.« Marias Stimme war leise, aber die Vorfreude war deutlich zu hören.

* * *

Für den Abend war eine kleine Feier geplant. Bis auf Anna waren alle anwesend. Jeder durfte sich so anziehen, wie er mochte. Nicolas und Monica sowie Juan und Bertram waren auch eingeladen. Es wurde über die vielen Ereignisse während der Woche gesprochen.

Sabeth war die erste, die eingeschränkt werden wollte. Sie bat Paula um den Handschuh.

Maria war zwar schon ziemlich müde, aber sie batPaul ebenfalls um ihren Handschuh.

Betty schaute zu Sarah, doch diese war schon eingeschlafen.

Als Paul mit dem Handschuh zurück kam, musste er feststellen, dass Maria auch schon eingeschlafen war.

Nur Sabeth ließ sich noch von Paula in den Mono schnüren, dann setzen sich die Wachgebliebenen zusammen und plauderten über die erfolgreiche Woche.

Paul musste unter anderem berichten, wie er mit den Anforderungen als Pfleger zurecht gekommen war.

Betty hätte sich heute beim Herzog entscheiden müssen, doch der Besuch der Polizei hatte das Gespräch auf das Wochenende verschoben, Betty hatte das Gespräch also noch vor sich.

»Weißt du schon, wie du dich entscheiden wirst?« Paula zeigte viel Anteilnahme

Betty war auf einmal sehr unglücklich. »Ich weiß immer noch nicht, ob es wirklich richtig ist.«

Paula stand auf und setzte sich neben sie. »Ich weiß, was du gerade durchmachst. Ich möchte dich zu nichts drängen. Ich möchte dir nur einen Rat geben. Höre nicht auf deinen Kopf, sondern folge deinem Herzen.

Betty blickte auf die schlafende Sarah.

Samstag, 11. September 1984

Maria schlug die Augen auf und versuchte sich zu räkeln, doch sie stellte fest, dass sie wieder ans Bett geschnallt war. Ihr Blick suchte Paul. »Hast du mich gestern noch fixiert?«

»Guten Morgen erstmal.« Paul setzte sich neben seine Freundin. »Hattest du schöne Träume?«

»Dir auch einen guten Morgen.« Maria räkelte sich noch einmal. »Ich habe vom Fest geträumt...« Ihre Stimme klang schwärmerisch. »Aber der Franz-Ferdinand hat gestört, er wollte mir immer die Arme befreien.«

Paul war aufmerksam. »Du hast vom Gebet geträumt?«

»Ja.« Maria war etwas verlegen. »Ich glaube, jetzt habe ich es wirklich genug trainiert.« Sie blickte auf die Uhr. »So spät ist es schon? Machst du mich bitte los?«

»Schade«, grinste Paul, dann machte er sich daran, seiner Freundin die Fesseln abzunehmen.

»Du kannst gleich mal den Monohandschuh raussuchen.« Maria winkte ihm noch einmal zu, bevor sie im Bad verschwand.

»Du kannst wohl gar nicht genug kriegen.« Paul grinste wieder.

»Das hat andere Gründe«, lächelte Maria, dann schloss sie die Tür des kleinen Badezimmer.

Paul blickte sich etwas im Zimmer um. Den Handschuh fand er im Schrank, er lag gleich obenauf. Dann lüftete er ein wenig die Betten.


»Meine Mutter hat heute Geburtstag und wir sind bei ihr zum Frühstück eingeladen«, berichtete Maria, als sie aus dem Bad kam.

»In deiner stählernen Unterwäsche siehst du echt toll aus.« Paul lächelte.

»Weißt du noch, wie ich sie dir das erste Mal zeigen musste?« Maria lächelte ebenfalls. »Deine Oma war da ja sehr resolut.«

»Ja«, bestätigte Paul, »sie war ja früher Erzieherin.«

»Musst du noch ins Bad?« Sie deutete auf die Tür.

»Ich war schon.« Paul dankte. »Muss ich mir etwas Besonderes anziehen für deine Mutter?« Immerhin hatte er Marias Handschuh herauslegen müssen.

»Nein, bleib so wie du bist.« Maria lächelte etwas verlegen. »Das mit dem Handschuh ist eine Geschichte, die schon länger zurückliegt.«

Sein fragender Blick war es, der Maria die Geschichte erzählen ließ. »Früher lag mein Aufenthalt immer etwas früher, nur einmal fast am Anfang hatte sie ihren Geburtstag, während ich hier war. Und damals hat sie sich gewünscht, dass ich einmal mit dem Handschuh zum Frühstück kommen würde. Damals war daran aber noch nicht zu denken.«

Paul begriff, welch besondere Freude Maria ihrer Mutter machen wollte. Er beeilte sich, ihr beim Anziehen zu helfen.

Maria hatte sich ein wadenlanges Kleid herausgesucht. »Sollen wir ein Tuch benutzen, so wie damals im Rathaus?«

Maria lächelte. »Gute Idee.« Sie ging an ihren Schrank und begann etwas zu kramen. »Jetzt hätte ich doch das Wichtigste fast vergessen.« Sie reichte Paul zwei Geschenke. »Kannst du die tragen?« Sie war etwas verlegen.

»Kein Problem.« Paul legte die Geschenke auf den Tisch. »Zwei Bücher?« vermutete er.

»Ein Bildband über Landsbach und einen über die bisherigen Feste.« Maria reichte Paul den Handschuh. »Und dann würde ich gern...«


»Schon fertig?« Maria war verblüfft. »Du bist sehr schnell geworden.«

Paul wurde etwas rot. »Paula hat mir ein paar sehr nützliche Tipps gegeben. Es freut mich, dass du es bemerkst.«

»Ich liebe dieses Gefühl« Marias Stimme hatte etwas Schwärmerisches. »Und es ist so viel leichter zu tragen.«

* * *

Frederike wartete schon vor einem hübsch gedeckten Tisch. Als sie ihre Tochter erblickte, musste sie lächeln. »Dass du daran noch gedacht hast.«

»Alles Liebe und Gute zum Geburtstag.« Maria deutete Paul an, das Tuch zu entfernen.

»Du machst mir eine ganz große Freude.« Sie nahm ihre Tochter in die Arme.


Gleich darauf sprach Paul seine Glückwünsche aus und überreichte die beiden Geschenke.

Frederike packte sie sofort aus. »Oh, Erinnerungen an die Heimat und eine Übersicht über die Katerinenfeste. Sehr schön. Die bekommen einen Ehrenplatz.«

»Schau mal auf der letzten Seite vom Festband nach.« Marias Augen leuchteten.

Frederike kam der Bitte nach. Sie las den letzten Satz vor. »Das nächste Fest findet dieses Jahr statt und Maria Beller wird die Katerina spielen und Paul Mohr ist ihr Prinz.«

Maria gab Paul einen Kuss, während ihre Mutter den Satz vorlas.


»Erinnerst du dich noch daran, was wir damals zu dem Geburtstagsfrühstück gesagt hatten?« Frederike war sichtlich bewegt.

»Daß du mich füttern müsstest?« Maria war nicht ganz sicher, was ihre Mutter meinte.

»Genau das meinte ich.« Sie lächelte zu Paul. »Ich denke, du wirst das viel lieber machen.«

»Das mache ich gern.« Er gab seinerseits Maria einen Kuss, als er ihre Berührung mit dem Monohandschuh spürte.

»Jetzt nehmt Platz und lasst es euch schmecken.« Frederike zündete die Kerze auf dem Tisch an.

* * *

»Ihr hat ja jetzt noch ein strammes Programm vor euch.« Frederike legte ihr Besteck weg und wischte sich den Mund ab.

»Wieso?« fragte Maria verwundert. »Die zwei Wochen Intensiv-Training waren doch genug?«

»Ihr habt ja einiges nicht mitbekommen, als ihr in der Sieben wart.« Frederikes Miene wurde etwas ernster. »Der Herzog ist überglücklich und möchte sich bedanken. Heute Mittag sind wir alle zum Essen eingeladen, und morgen steht ein Opernbesuch an.«

»Das klingt doch gut.« Maria freute sich, dass das Abenteuer für Sarah so gut ausgegangen war.

»Sabeth, seine Tochter feiert heute Nachmittag eine besondere Party bei uns und sie hat mich gefragt, ob sie euch dazu einladen dürfte.« Frederike zögerte etwas.

»Was ist das für eine Party?« Paul hatte den besonderen Tonfall bemerkt.

»Sabeth hat mich um Stillschweigen gebeten, doch ihr solltet natürlich wissen, was euch erwartet.« Sie sprach bewusst langsam.

»Jetzt mache es doch nicht so spannend.« Marias Stimme zeigte ihre Anspannung.

»Es wird eine Bondage-Party werden.« Marias Mutter lächelte hintergründig. »Ich glaube so ähnlich wie auf Sebastians Hütte.«

»Mit Fesselungen und allem?« Maria staunte.

»Ja, genau.« Frederike sah, dass sie ihre Tochter richtig eingeschätzt hatte. »Sie hat es mir sogar erklärt. In Brasilien müssen sie immer die Form waren. Selbst das Personal darf nichts erfahren.«

»Und hier sind sie frei?« Paul zeigte ebenfalls Interesse.

»Genau.« bestätigte Frederike. »Sie hat auch ein besonderes Motto ausgegeben. 'Freiheit in Fesseln'«


Es klopfte an der Tür. Frederike blickte zur Uhr. »Oh, es ist ja schon elf Uhr. Der Herzog hatte seinen Besuch für elf Uhr angekündigt.« Sie bat den Besucher herein.

Maria fiel sofort auf, dass der Herzog strahlte. Er schien sehr glücklich zu sein.

»Ich wollte sie nicht beim Frühstück stören.« In seiner Stimme schwang unterschwellig so etwas wie ein Vorwurf mit.

»Ich habe ihren Termin vergessen.« Frederike war verlegen. »Wir haben gerade meinen Geburtstag gefeiert.«

»Ich weiß, und ich möchte ihnen dazu auch recht herzlich gratulieren.« Er reichte ihr die Hand.

»Danke, Hoheit.« Frederike war noch verlegener.

»Sie haben mir meinen Lebenstraum erfüllt, und auch dafür möchte ich mich bei ihnen bedanken.« Er reichte ihr eine Mappe.

Frederike nahm die Mappe entgegen. Sie wusste nicht, ob sie gleich darin lesen sollte.

»Wie ich höre, haben sie einige Probleme mit dem Investor Herrn Brown?« Der Herzog hatte sein Geschenk gut vorbereitet.

Frederike seufzte. »Er schaut nur auf den Profit und überhaupt nicht auf die Patienten.«

»Ich denke, ich habe ihnen einen kleinen Gefallen getan.« Der Herzog machte noch einmal eine Pause. »Ich habe Herrn Brown seine Anteile an ihrer Klinik abgekauft und möchte sie ihnen schenken, als Dankeschön dafür, dass sie mir meinen Lebenstraum erfüllt haben.«

Frederike musste sich setzen. Sie war sprachlos.

»Meine Anwälte werden ihnen gern die Details erklären.« Er blickte sich um. »Ah, da ist ja auch ihre Tochter.« Er bat Maria, näher zu kommen. »Sie können sehr stolz auf ihre Tochter sein.«

Maria machte einen Knicks.

»Und auch Herr Mohr ist hier. Ich danke auch ihnen.« Er blickte zu Marias Freund. »Betty hat sie sehr gelobt.« Der Herzog verbeugte sich.

Paul erkannte, dass er ein großes Lob bekommen hatte, er verbeugte sich ebenfalls.

»Hat Betty zugesagt?« Maria war sichtlich neugierig.

Der Herzog lächelte. »Das soll sie ihnen selbst sagen.«

Es klopfte. Nach dem ‚Herein’ steckte ein Mann in einer Pagenuniform den Kopf herein. »Die Wagen wären dann bereit.«

Der Herzog bedankte sich, dann wandte er sich wieder um. »Ich möchte sie beide und ihre Mutter heute zum Mittagessen einladen. Wir feiern in der Bayerischen Alm.« Er blickte zu Frederike, die immer noch fassungslos in der Mappe blätterte.

»Bringen sie bitte ihre Mutter mit«, er lächelte zu Maria, »wenn sie sich von ihrem Schrecken wieder erholt hat.«

Maria blickte selbst zu ihrer Mutter und lächelte. »Das werden wir machen.«

* * *

Im Hof standen zwei schwarze Kleinbusse. Teilweise waren sie schon besetzt, als Maria mit Paul in den Hof kam.

»Paul und Maria? Ihr geht bitte zum zweiten Fahrzeug, dort sind noch zwei Plätze frei.«

Maria musste lächeln, als sie auf die hintere Bank kletterte. Sarah saß am Fenster und Betty in der Mitte. Und Sarah hielt Bettys Hände fest.

»Du hast ja gesagt?« Maria brauchte die Frage eigentlich nicht mehr stellen, denn sie sah, dass beide Augenpaare quasi um die Wette strahlten.

Betty brachte nur ein glückliches Lächeln zustande.

»Jetzt erzähl, wie war es?« Maria war begierig, von dem Gespräch zu erfahren. Sie nahm es fast nicht wahr, dass Paul vor ihr neben Juan und Bertram Platz genommen hatte.

* * *

Bettys Herz klopfte so laut wie nie zuvor, als sie an der Tür der Herzogssuite klopfte.

»Guten Tag, Frau Granger. Schön, dass sie meiner Einladung gefolgt sind.«

»Guten Tag, Hoheit.« Ihre zitternde Hand zeigte, wie aufgewühlt sie war.

»Kommen sie herein und nehmen sie Platz.« Der Herzog machte eine einladende Handbewegung. »Möchten sie etwas trinken?«

»Vielleicht ein Wasser.« Betty ging zu dem großen Sessel, auf den der Herzog ihrer Meinung nach gezeigt hatte. Währenddessen sah sie verwundert zu, wie der Herzog sich selbst um ihr Getränk kümmerte. Sie hatte erwartet, dass er eine Bedienstete damit beauftragen würde.

»Bevor sie mir meine Frage beantworten, möchte ich sichergehen, dass sie wirklich wissen, auf was sie sich einlassen.« Er nahm ein Blatt Papier vom Tisch.

Betty war verwundert.

»Es ist nicht das erste Gespräch dieser Art«, lächelte er, als er Bettys verwunderten Blick war. »Zuletzt habe ich es mit Bertram geführt, dem Geliebten meines Sohnes.«

Betty blickte auf. Da war ein besonderer Unterton in den Worten des Herzogs.

»Wir müssen gewisse gesellschaftliche Konventionen beachten, aber trotzdem ist mir das Schicksal meiner Kinder nicht gleichgültig. Im Gegenteil, ich habe großes Interesse daran, dass sie glücklich werden.«

»Sabeth und Nicolas verstehen sich ja gut.« bemerkte Betty, erleichtert darüber, dass das Gespräch eine ganz andere Richtung nahm, als sie ursprünglich erwartet hatte.

»Ja, ich bin sehr stolz auf meine Tochter. Sie hat sich gut an die Erfordernisse unserer Gesellschaft angepasst. Nur zwischen Paula und Monica knistert es ab und zu.« Er blickte Betty fragend an.

Betty brauchte einige Zeit, bis sie erkannte, dass er ihr eigentlich eine Frage gestellt hatte, ohne sie auszusprechen. »Ich denke, mit Bertram werde ich mich gut verstehen. Irgendwie haben wir ja ganz andere Interessen.«

»Ich freue mich, dass sie das so sehen.« Der Herzog machte eine bedeutsame Pause. »Wenn Sarah und Juan auf Reisen sind, dann werden sie sich ein Hotelzimmer teilen.«

Betty nickte. »Das ist ja bei Sabeth und Nicolas genauso.« Doch dann stutzte sie, denn sie hatte erkannt, dass der Satz quasi noch weiterging.

»Meinen sie, sie könnten sich im Notfall mit Bertram ein Zimmer teilen?« Der Herzog wischte sich durch das Gesicht. »Ich habe ihm die Frage auch gestellt.«

»Wenn es sein muss.« Betty hatte sich über die Frage schon öfters Gedanken gemacht.

»Genau das hat er auch geantwortet.« Er lächelte.

»Wann darf ich denn mit Sarah allein sein?« Betty hatte sich ein paar Fragen zurecht gelegt, und diese war die wichtigste.

»Ihre Diener werden über die Verhältnisse Bescheid wissen. Sie sind zur Verschwiegenheit verpflichtet.«

»Das heißt?«

»Sie müssen sich nicht verstecken, solange sie sich im Haus befinden. Nur wenn gesellschaftliche Ereignisse anstehen, müssen sie zurückstehen.«

»Wie oft wird das sein?« Betty dachte an die Fragen, die Paula ihr noch genannt hatte.

»So genau kann ich das auch nicht sagen, aber gehen sie mal von zwei bis drei Verpflichtungen pro Woche aus. Die restliche Zeit muss sich Sarah eigentlich nur um den Haushalt kümmern.«

Betty schwieg und schaute zum Fenster.

»Wir haben schon mit dem Pfarrer die besondere Formel ausgemacht, und er ist damit einverstanden. Nur auf dem Standesamt geht das natürlich nicht. Rechtlich sind Sarah und Juan verheiratet, aber vor Gott sollen sich die richtigen Herzen verbinden dürfen.«

Bei Betty flossen ein paar Tränen.

»Die Hochzeitsnacht wird Sarah mit ihnen verbringen, auch da brauchen sie keine Angst zu haben.«

»Das war Sarah ja sehr wichtig.« Betty erinnerte sich an die Ängste der Prinzessin. Sie wischte sich die Tränen weg.

»Wir müssen dann noch etwas anderes besprechen.« Der Herzog zeigte ein paar zusammengeheftete Blätter. »Formal sind sie bei mir angestellt, dies ist ihr Arbeitsvertrag.«

Betty zuckte etwas zusammen.

»Das müssen wir so machen, da wir sonst rechtliche Probleme bekämen.« Der Herzog blätterte in dem Vertrag. »Das Arbeitsverhältnis ist von unserer Seite her nicht kündbar und ich hoffe nicht, dass sie es von sich aus kündigen würden. Das würde ihnen aber zustehen.«

Betty war verwirrt. Mit so etwas hatte sie gar nicht gerechnet. »Hat Bertram so etwas auch unterschrieben?«

»Er hat sich noch etwas Bedenkzeit ausgebeten für den Teil mit der Bezahlung. Es stört ihn, dass wir ihn quasi kaufen wollen. Ich habe ihn daran erinnert, dass er ja offiziell als Diener angestellt wird und daher auch ein Gehalt beziehen muß, schon allein um die Fassade aufrecht zu erhalten. Das wird ihm sicher einleuchten.«

Betty blickte ganz verwundert auf die Seite, auf der ihr zukünftiges Gehalt stand. Es war mehr, als sie im Moment verdiente. »So viel?«

»Das ist bei uns die übliche Bezahlung des Personals. Wir erwarten dafür ja auch so etwas wie Opferbereitschaft und Verschwiegenheit.«


»Und, hast du unterschrieben?« Maria hielt es vor Spannung nicht mehr aus.

Betty gab Sarah einen Kuss, dann drehte sie sich wieder zu Maria. Sie atmete tief durch. »Ja, ich habe angenommen.«

»Was machst du mit dem Geld?« Bertram hatte sich kurz umgedreht.

Betty zuckte zusammen. Sie realisierte erst jetzt, dass er ja auch mit im Auto saß. »Ich werde meine Eltern unterstützen, damit sie es auf ihre alten Tage noch einmal schön haben.«

Juan ergriff die Hand von Bertram und streichelte sie. Er sagte nichts, doch es war deutlich, was beide Herren in diesem Moment bewegte.

* * *

»So, alles aussteigen, wir sind da.« Juan schnallte sich ab. Er strahlte, denn jetzt hatte auch er die Gewissheit, dass die Zukunft gesichert war.

»Du bist so nervös, was ist denn los?« Paul wunderte sich über seine Freundin.

Maria musste lächeln, als sie ausstieg. »Weißt du, ich habe schon immer mal davon geträumt, eine Prinzessin zu sein und mich in adeligen Kreisen bewegen zu dürfen.«

Paul begriff und er blickte sich um. In der Tat schien Marias Traum zumindest für diese kurze Zeit Wirklichkeit zu werden.


Im Restaurant wurden sie in einen Extra-Raum geführt, in dem der Tisch schon sehr feierlich gedeckt war. Es gab sogar handgeschriebene Tischkarten.

Nachdem sich alle ihren Platz gesucht hatten, bat der Herzog noch einmal ums Wort. »Ich möchte mich bei euch allen bedanken dafür, dass ihr mir einen Traum erfüllt habt.« Er blickte noch einmal auf Sarah, die verlegen zu Boden blickte. »Und nun lasst es euch schmecken.« Er gab der Bedienung einen Wink.

* * *

»Ah, das war lecker.« Frederike lehnte sich zurück. »Ich wusste gar nicht, dass sie hier so gut kochen können.«

»Können sie auch nicht.« Die Herzogin lächelte. »Wir haben unseren Koch mitgebracht.«

Frederike lächelte ebenfalls.


Eine der Bedienungen trat an den Herzog heran und flüstere ihm etwas zu.

»Der Polizeichef wünscht sie zu sprechen.« Der Herzog beugte sich zu Frederike, die zwischen Herzog und Herzogin sitzen durfte. »Es ist wegen des Einbruchs in ihrer Klinik. Er sagt, es sei wichtig.«

Frederike hatte große Mühe, sich unter Kontrolle zu halten. Hoffentlich war nichts schief gegangen. »Die Pflicht ruft.« Sie stand auf und folgte der Bedienung.


»Entschuldigen sie, dass ich sie hier beim Essen störe, aber ich habe sie vorhin ankommen gesehen. Und da wollte ich die Gelegenheit nutzen, es ihnen persönlich zu sagen.«

»Was gibt es denn?« Frederike begann vor Anspannung zu schwitzen.

»Wir konnten die Flucht von Anna Kennedy weitgehend verfolgen und aufklären. Sie wurde mit einem Taxi zum Flughafen gebracht und ist auf dem Weg nach Australien.«

»Sind sie sicher?« Frederike hoffte, dass die Nachfrage unverdächtig war. Außerdem wollte sie wissen, ob sie die Spuren richtig gelegt hatte.

»Beim aus dem Fenster Klettern muss Frau Kennedy sich verletzt haben, wir haben etwas Blut von ihr gefunden. Und auch im Taxi haben wir Blut von ihr gefunden.«

Frederike blickte zum Fenster, um nicht ihre Miene zeigen zu müssen.

»Wir haben auch schon die australische Polizei verständigt und um Amtshilfe gebeten. Sie werden sie festnehmen, wenn sie den Flieger verlässt.«

»Danke für die schnelle Arbeit.« Frederike deutete eine Verbeugung an.

»Ich hoffe, sie sind mit allem zufrieden.« Der Polizeichef reichte ihr die Hand.

»Es ist bestens gelaufen.« Frederike erwiderte den Gruß etwas rätselhaft, dann ging sie mit wesentlich entspannterer Miene zurück zur Tafel.

* * *

Kurz vor dem Einsteigen in die Autos bat sie Sarah, Betty, Paul und Maria noch einmal zu sich. »Ich hatte es heute Morgen vergessen zu sagen, aber ich möchte, dass ihr es heute schon erfahrt.«

»Was ist denn?« Paul fühlte sich ein wenig zum Sprecher berufen.

»Ich möchte morgen noch so etwas wie eine Abschlussprüfung veranstalten.« Sie hob die Hand, um etwaigen Protest sofort zu unterbinden. »Ihr werdet morgen einen Opernbesuch absolvieren.«

Paul war verwundert. »Wieso ist das eine Prüfung?«

»Die Fahrt bis zum Opernhaus dauert gute zwei Stunden, die Oper besteht aus drei Akten und dauert gut drei Stunden, und dann kommt die Rückfahrt.«

»Insgesamt also fast acht Stunden.« Paul hatte mitgerechnet.

»Genau«, Frederike blickte noch einmal zu Maria und Sarah. »Ihr werdet das Gebet tragen, die ganze Zeit.«

Maria keuchte. »Das wird allerdings eine Prüfung.« Sie blickte etwas besorgt zu Sarah. »Meinst du, wir schaffen das?«

»ihr werdet von Betty und Paul unterstützt und begleitet. Sie werden euch gegebenenfalls mit Schmerzmitteln versorgen.« Sie machte eine bedeutsame Pause.

Auf einmal lächelte Paul. »Ach dieses Schmerzmittel.« Er grinste, als er hörte, wie Sarah und Maria aufstöhnten.

Nur Betty stand etwas ratlos daneben. Erst als Paul ihr etwas ins Ohr geflüstert hatte, hellte sich ihre Miene auf. »Ach so, das.« Sie grinste dann ebenfalls.

»Prinzipiell könntet ihr euch das Gebet natürlich abnehmen lassen, doch ihr werdet keine anderen Kleider dabei haben, ihr müsstest euch dann in eurer Unterwäsche zeigen.«

Sarah und Maria blickten sich kurz an. »Wir halten durch, ganz sicher.« Sarah war auf einmal sehr zuversichtlich. Maria hingegen schaute noch etwas skeptisch.

»Ich hoffe auf ein positives Ergebnis. Und das ihr die Oper Falstaff ein wenig genießen könnt.« Sie blickte zu den Autos. »Und jetzt bitte einsteigen. Sabeth scharrt schon mit den Hufen.«

* * *

Der Festsaal der Klinik war nicht wiederzuerkennen. Es standen nur noch gemütliche Ledersessel darin, sowie ein paar wenige Stühle. In der Mitte war eine kleine Bühne improvisiert, die von allen Seiten einsehbar war.

Nach dem Lack, Leder oder Latex als Wunsch-Dresscode ausgegeben war, hatten Maria und Paul sich vorher bei Sabeth in deren ausführlicher Garderobe bedienen dürfen. Paul hatte sich für eine Lederhose und ein schwarzes T-Shirt entschieden, während Maria ein hübsches schulterfreies wadenlanges Lackkleid gefunden hatte.

Sabeth gab zu Beginn noch einmal die Regeln bekannt, die für den heutigen Abend gelten sollten. Paul und Maria kannten die meisten dieser Regeln schon von Sebastians Hütte.

Jedes Paar sollte etwas vorführen. Doch diesmal war Maria etwas zurückhaltend. »Können wir das wirklich schon? Das hier sind ja alles Profis.«

Paula hatte sich bereit erklärt, Paul und Maria bei der Einführung zu helfen. »Naja«, sie grinste, »der Club wird hauptsächlich durch Sabeth finanziert, und wenn sie dann einlädt, möchte sich jeder ins Zeug legen.«

»Mit dem Hogtie brauchen wir uns hier nicht blicken lassen.« Maria sprach aus, was beide dachten.

»Außerdem wollten wir den ja erst mal üben.« Paul dachte darüber nach, dass sie das jetzt schon zwei Mal verschoben hatten.

»Wie wäre es, wenn ihr euer Pony 'Wildfire' noch einmal aus dem Stall holt?« Paula blickte das Paar aufmunternd an. »Das wäre für den Club sicher eine Bereicherung.«

Maria klammerte sich an Pauls Arm fest. Sie hatte angenommen, erst wieder nach dem Fest zu diesem Vergnügen zu kommen. »Lass uns die Sachen holen.«

Paul musste nur kurz in Marias Gesicht sehen, um ihre Entschlossenheit zu sehen. Außerdem reizte es ihn ebenfalls, Maria vielleicht auch mal etwas länger in der Rolle eine Ponys sehen und erleben zu können.

* * *

Im Flur auf der Station begegneten ihnen Sarah und Betty.

»Was führt ihr denn vor?« Betty war geradezu euphorisch.

»Wir holen 'Wildfire' noch mal aus dem Stall.« Marias Stimme zeigte, dass sie über diese unerwartete Gelegenheit mehr als erfreut war.

»Betty wird mich in das Monsterkorsett einschnüren.« Sarah zeigte ebenfalls, dass sie sich sehr freute. Doch dann wurde sie verlegen. »Könnt ihr uns beim Tragen helfen?«

»Aber gern.« Paul freute sich ebenfalls über die schöne Gelegenheit.

* * *

Wildfire zitterte zunächst etwas, als sie langsam den Raum betrat. Doch sofort setzte Applaus ein und sogar einige Bravo-Rufe ertönten. Wildfire wurde mit jedem Schritt sicherer und spürte, dass sie in der Runde der Profis mehr als willkommen war.

Paul ging langsam hinterher und führte sein Pony am Zügel, anfangs noch etwas unsicher, doch mit der wachsenden Sicherheit seines Ponys wuchs auch sein Selbstvertrauen.

* * *

Es war ein sehr gemütlicher Abend und die Zeit verging wie im Flug. Jedes Paar führte sein Können vor, und es war ein sehr abwechslungsreiches Beisammensein.

Maria hatte meiste Zeit auf einer Decke neben Pauls Sessel gekniet. »Das gehört sich so für ein Pony, hatte sie zur Begründung gesagt, als Paula sie zu einem bequemeren Platz überreden wollte. Nur gelegentlich saß sie kurz auf dem Sessel neben Paul, doch es zog sie bald wieder auf den Platz, der ihrer Meinung nach einem Pony eben zustand. Sie legte ihren Kopf auf Pauls Schoß, der sie wie ein richtiges Pony hinter den Ohren kraulte. Sie seufzte zufrieden.


»Liebe Sabeth.« Paula stand auf. »Wir haben noch eine kleine Überraschung für dich.« Sie winkte zur Tür. »Hier sind noch ein paar Gäste, die dir auch zum Geburtstag gratulieren wollen.«

Nicolas und Monica lächelten sich noch einmal an, dann betraten sie gemeinsam den Saal. Sabeths Mann hatte sich wie Paul eine Lederhose angezogen, während Monica ein schwarzes Top zu einem Minirock und Overkneestiefeln trug.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag auch von uns.« Er nahm seine Frau in den Arm.

»Auch von mir die herzlichsten Glückwünsche.« Monica streckte ihren Hände vor. Sie trug Handschellen und hatte wegen des Tuchs in ihrem Mund etwas Schwierigkeiten mit dem Sprechen.

Sabeth musste sich vor Rührung setzen und zuerst einmal die Tränen wegwischen.

»Setzt euch und macht es euch bequem.« Paula übernahm die Rolle der Gastgeberin. Sie ging auf Monica zu und nahm ihr das Tuch ab.

»Danke.« Monica war erleichtert. Doch als Paula ihr auch die Handschellen abnehmen wollte, protestiert Monica. »So unbequem ist das ja gar nicht.« Sie lächelte verlegen. »Außerdem ist es ja Sabeths Geburtstag.«

»So kenne ich dich ja gar nicht.« Nicolas war über die neuen Leidenschaften seiner Freundin mehr als erstaunt.

Monica erwiderte den Satz mit einem geheimnisvollen Lächeln.

* * *

Zu vorgerückter Stunde kam noch ein Gast zum Gratulieren. Marias Mutter hatte sich dazu einfach ihre alte Reiteruniform angezogen. Sie war zwar schon lange nicht mehr dazu gekommen, ihrem Hobby nachzugehen, aber die Reitkleidung passte ihr zum Glück immer noch.

»Man sagte mir, hier gäbe es ein wildes und ungehorsames Pony, welches etwas Erziehung bräuchte«, sagte sie mit einem Lächeln in der Stimme. Dabei winkte sie mit der Reitgerte, die sie in der Hand hielt.

»Sie müssen sich irren.« Paul war ebenfalls aufgestanden. »Hier gibt es nur mein Pony, die liebe und brave Wildfire.«

Maria hatte bei den Worten ihrer Mutter den Kopf gesenkt, doch jetzt hob sie ihn voller Staunen.

»Aber könnten sie mir eventuell die Gerte leihen?« Es war die Atmosphäre, die Paul die Worte in den Mund legte. »Es könnte sein, dass ich sie heute noch mal benutzen möchte.«

Frederike lächelte, als sie Paul die Gerte reichte. »Aber treibt es nicht zu wild.« Sie trat auf ihre Tochter zu und streichelte ihr über den Kopf. »Ich kenne diese Ponyrasse. Sie brauchen viel Liebe und Zuwendung.«

Als sich ihre Mutter im Schneidersitz neben sie setzte, konnte Maria nicht verhindern, dass ihr ein paar Tränen über die Wange liefen.

Paula brachte Marias Mutter etwas zu trinken, dann ging sie auf die Bühne und bat noch einmal um Ruhe. »Es ist euch vielleicht aufgefallen, dass ein Paar noch nichts vorgeführt hat.« Es entstand etwas Gemurmel, das Paula mit einer Handbewegung unterdrückte.

»Sarah wird uns nun ihr neues Korsett zeigen.« Paula wartete den Applaus ab. »Allerdings bräuchte sie ein paar helfende Hände.«

Paul, Nicolas und zwei weitere Herren standen auf und folgten Paula in den Nebenraum. Paul blieb für einen Moment still stehen, als er Sarah erblickte. Betty war gerade dabei, die letzten Schnüre des Korsetts in die dafür vorgesehenen Taschen zu packen. »Bin sofort fertig«, sagte sie, als sie die Männer erblickte.

Sie streichelte Sarah über den verpackten Kopf. »Sei artig.«

Paul war gefangen von Sarahs strahlenden Augen. Obwohl nur noch Sarahs Nase und ihre Augen sichtbar waren, strahlte sie ein solches Glück aus, dass es Paul fast den Atem raubte. Erst auf den zweiten Blick war die wunderschön schmale Taille sichtbar.

Sehr vorsichtig trugen sie Sarah in ihrer Rüstung auf die Bühne, während Betty mit Tränen in den Augen das kleine drehbare Potest hinterher trug. Die Männer warteten, bis Betty das Podest auf die Bühne gestellt hatte, dann stellten sie Sarah darauf.

Betty übernahm die Aufgabe, Sarah auf dem Podest langsam zu drehen, so dass jeder im Raum alles von dem Korsett sehen konnte. Und so wie Paul waren ausnahmslos alle im Raum beeindruckt von Sarahs glücklichen Augen und ihren Armen, die in einem Venuskorsett verschwunden waren.

Sonntag, 12. September 1984

Frederike musste lächeln, als sie das Zimmer von Paul und Maria betrat. Sie hatten auf ihr Klopfen nicht reagiert, deswegen war sie hinein gegangen, um sie zu wecken. Sie ging zunächst an das Bett ihrer Tochter und strich ihr zärtlich durch das Gesicht. »Aufstehen, mein Schatz.« sagte sie leise.

Maria räkelte sich zunächst etwas, dann seufzte sie. »Jetzt schon?« Erst dann realisierte sie, dass ihre Mutter im Raum stand.

»Ihr habt heute wieder ein strammes Programm vor euch, deswegen kann ich euch leider nicht ausschlafen lassen.« Sie blickte auf die Uhr, die zehn Uhr anzeigte.

»Magst du Paul wecken?« Frederike lächelte ein wenig verlegen.

»Mache ich« Sie schwang sich aus dem Bett und blickte sich kurz um. Auf dem Stuhl lag noch das Ponygeschirr, welches sie gestern den Abend über getragen hatte. Davor standen die Ponystiefel.

»Ich gehe dann mal Sarah und Betty wecken.« Sie verließ den Raum. »Im Gemeinschaftsraum ist der Tisch für euch gedeckt.«

»Paul, mein Schatz, aufwachen.« Maria hatte sich an sein Bett herunter gebeugt und gab ihm einen Kuss.

»Was ist denn schon?« Auch er musste sich zunächst etwas räkeln.

»Meine Mutter war eben da. Wir müssen aufstehen.« Sie gab ihm noch einmal einen Kuss.

»Und das am Sonntagmorgen.« Er seufzte, dann schwang er sich aus dem Bett.

»Du weißt genau, was heute alles anliegt.« Maria versuchte auf seinen Seufzer zu antworten.

»Das weiß ich doch, mein Schatz.« Er zog sie an sich. »Du siehst einfach schnuckelig aus in deiner Unterwäsche.«

»Danke.« Sie entwand sich seinem Griff. »Ich habe mich tatsächlich schon daran gewöhnt.« Sie versuchte, den aufkommenden Gedanken an ihre Zukunft zu verdrängen. »Jetzt komm, das Frühstück wartet.«

* * *

Paul hatte damit gerechnet, auf dem Tisch wieder die vier üblichen Tabletts vorzufinden. Doch stattdessen war der Tisch liebevoll gedeckt. Sogar Brötchen und gekochte Eier sah Paul.

Frederike stand am Fenster. »Nun lasst es euch schmecken. Betty und Sarah kommen auch gleich.«

Maria war über den Anblick ebenso erstaunt. Sie blickte ihre Mutter fragend an.

»Ich habe bei Joe ein schönes Frühstück für vier Personen bestellt.« Sie lächelte. »Er hat sich wirklich ins Zeug gelegt und heute Morgen sogar die Brötchen organisiert.«

In diesem Moment betraten Betty und Sarah das Zimmer und sie waren von dem Anblick ebenso begeistert.

»Ein anstrengender Tag fängt schön an.« Sarah brachte es mit dem Satz auf den Punkt.

»Jetzt lasst es euch schmecken.« Frederike ging zur Tür. »Der Orthopäde möchte euch noch einmal sehen, er sagt, er möchte euch noch ein paar nützliche Übungen zeigen.« Eine Antwort wartete sie nicht ab, sondern schloss hinter sich die Tür.

»Endlich wieder normal essen.« Sarahs Stimme zeigte ihre Freude. »Ich hatte schon fast vergessen wie Kaffee schmeckt.«

Betty streichelte ihr liebevoll durch das Gesicht.

»Eine schöne Zeit war es ja trotzdem.« Maria lächelte ebenfalls.

* * *

»Acht Stunden?« Der Orthopäde war außer sich. »Sind sie wahnsinnig? Was da alles passieren kann...«

Frederike versuchte ruhig zu bleiben. »Ihre Berichte sagten aber etwas anderes.«

»Wenn ich diese Haltung anlege.« Der Arzt war aufgebracht. »Weder Betty noch ihr Schwiegersohn dürften aber die Erfahrung haben. Es reicht, wenn sie einen Nerv einklemmen. Dann war es das mit der Schönheit.«

Frederike wurde nachdenklich. »Vielleicht haben sie recht.« Den Schwiegersohn hatte sie zwar bemerkt, empfand es aber nicht für so wichtig, es zu korrigieren.

»Natürlich habe ich recht. Es ist mehr als gewagt, selbst wenn ich es vorbereiten würde.« Er stand auf. »Die beiden müssten jetzt schon mit Gymnastik anfangen.«

»Setzen sie sich bitte wieder.« Frederike dachte kurz nach. »Wenn sie nachher beim Ankleiden dabei sind?«

»Das wäre das mindeste.« Der Arzt versuchte noch etwas zu handeln. »Außerdem sind acht Stunden definitiv zu viel. Wie wäre es, wenn sie auf der Rückfahrt schon befreit werden?«

»Ich werde noch einmal mit Paul und Betty reden und ihnen die Optionen erklären.«

»Hätten sie mir vorher gesagt, was sie wirklich vorhaben, hätte ich interveniert.«

»Jetzt kommen sie und zeigen den beiden die Übungen, die sie noch machen sollen. Und den Rest lassen sie meine Sorge sein.« Frederike wusste, dass sie sich mit dem Opernbesuch weit aus dem Fenster gelehnt hatte, doch sie war sich sicher, dass es zu schaffen war.

»Und bis dahin keine anderen Einschränkungen.«

Frederike seufzte. Sie hätte dem Herzog gern noch einen anderen Wunsch erfüllt, doch sie durfte es nicht wagen, sich gegen den Rat ihrer Experten zu stellen. Doch sie war sich sicher, dass der Herzog dafür Verständnis haben würde.

* * *

»Ich freue mich, dass sie sich die Zeit genommen haben.« Herzog Breganza erhob sein Glas und blickte kurz umher. »Lassen sie uns anstoßen auf das schöne Ergebnis ihrer Arbeit.«

Frederike hob ihr Glas, ebenso die anderen Personen, die zu diesem Empfang im Festsaal der Klinik geladen waren. Sie war doppelt erleichtert, zum einem wegen des Lobes für ihre Klinik, aber auch darüber, dass der Herzog die Einwände des Orthopäden akzeptiert hatte und damit einverstanden war, dass der Empfang sozusagen in Freiheit aller Anwesenden stattfand. Nur Sabeth hatte es sich nicht nehmen lassen, einen Monohandschuh zu tragen, den sie aber unter einem großen Tuch versteckte.

Er bat Maria und Paul, einmal vorzutreten. »Sie haben bei der Erfüllung meines Traumes eine wichtige Rolle gespielt, ich möchte mich bei ihnen bedanken.«

Die Herzogin überreichte ihnen einen Bildband über ein Schloss, den Paul mit einer kleinen Verbeugung entgegen nahm.

»Damit sie einmal sehen können, wie und wo wir wohnen.« Der Herzog schmunzelte ein wenig. »Werfen sie ruhig mal einen Blick hinein.«

Paul nahm den Band hoch und hielt ihn so, dass Maria auch hinein sehen konnte. Was sie sahen, beeindruckte sie sehr.

Die Stimme des Herzogs war auf einmal verändert, sehr förmlich. »Maria Beller, ich habe gehört, dass sie einen ganz bestimmten Traum haben. Sie wären gern einmal eine richtige Prinzessin?«

Maria blickte erstaunt hoch. »Ja, das stimmt.«

»Meinen sie, sie würden sich bei uns im Schloss wohlfühlen?« Er deutete noch einmal auf den Bildband.

Maria schaute sich noch mal ein paar Seiten an, um unauffällig etwas Zeit zum Nachdenken zu gewinnen. »Es wäre ein Traum.«

»Dann freut es mich, dass wir ihnen diesen Traum erfüllen.« sagte der Herzog. »Wir möchte sie mit ihrem Partner für vier Wochen in unser Schloss einladen und während dieser Zeit dürfen sie sich dort wie eine Prinzessin fühlen.«

Paul musste Maria festhalten, denn er erkannte, dass sie umzufallen drohte.

Erst als Maria Pauls Griff spürte, hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Sie konnte es aber nicht verhindern, dass ein paar Tränen über ihre Wange rollten.

»Während der Zeit wird sich das Personal um sie kümmern und sie dürfen auch in unseren Kleiderkammern stöbern und sich bedienen.«

»Und natürlich sind sie auch bei der einen oder anderen Feier eingeladen. Dort dann allerdings mit dem entsprechenden Dresscode.« Der Herzog kam nicht umhin, den Orthopäden mit einem bedeutsamen Blick zu versehen.

»Maria, ihr möchtet euch vielleicht dafür bedanken?« Frederike hatte natürlich auch begriffen, wie wichtig ihrer Tochter dieser Wunsch war.

»Ich bitte um Entschuldigung.« Maria war verlegen. »Die Aussicht hat mich wirklich sprachlos gemacht.« Sie legte ihre Hand auf Pauls Arm, der immer noch den Bildband in den Händen hielt. »Wir danken sehr für die Einladung und freuen uns sehr.«

»Und jetzt darf ich zu Tisch bitten.« Der Herzog blickte fragend zu Marias Mutter.

»Ich habe einen Tisch in unserer Kantine bestellt und nicht gesagt, wer kommen wird, so wie sie es wollten.

* * *

Als Joe sah, wer sich an den großen Tisch setzte, war er empört und bat Frederike kurz in die Küche. »Sie hätten mir sagen müssen wer kommt.«

Frederike lächelte verlegen. »Es war der ausdrückliche Wunsch des Herzogs, dass für ihn kein Extra-Aufwand getrieben wird.«

Joe war immer noch aufgebracht. »So hohe Gäste und ich habe nichts eingekauft.«

Frederike war verwundert. »Ich hatte ihnen doch sogar einen Vorschuss gegeben und sie aufgefordert, für 12 Personen zu planen und einzukaufen.«

»Das habe ich ja auch gemacht.« Joe zeigte den vollen Schrank. »Aber das ist das Alltagsessen.«

»Und genau das möchte der Herzog haben.« Frederike hoffte, die Wogen geglättet zu haben. »Und jetzt gehen sie raus und bedienen sie ihre Gäste.«

* * *

»Was wünschen sie zu trinken, Hoheit?« Joes zitterte, als er die Wünsche aufnahm.

»Wir wollten sie nicht belasten.« Die Herzogin ahnte, was ihn bewegte. »Bedienen sie uns einfach wie all ihre anderen Gäste auch.«

Nach einigen weiteren Momenten hatte Joe seinen Ärger überwunden und es wurde noch ein ganz gemütliches Mittagessen. Trotzdem lag die angekündigte Prüfung in der Luft.


Als sich die Gesellschaft bei Joe erhob, gab es noch eine kleine Überraschung für den Katinenwirt. Er bekam einen signierten Bildband über die Familie Breganza, und es wurde auch noch ein spontanes Gruppenfoto gemacht. Erst später entdeckte Joe in dem Bildband noch einen Umschlag mit der Aufschrift »Als Entschädigung für die Überrumpelung und als Dankeschön für die freundliche Bedienung.« Er musste allerdings schlucken, als er ihn öffnete. Soviel verdiente er sonst in einem Vierteljahr nicht.

* * *

Frederike bat Sarah und Maria in die Kleiderkammer und führte sie zu den Kleidern, die sie für sie ausgesucht hatte. »Mein Orthopäde macht mir den Spielverderber. Er hat große Bedenken wegen der langen Tragezeit.«

Maria und Sarah blickten sich an. »Acht Stunden sind auch viel.«

»Ich habe fast einen Einlauf von ihm bekommen, als ich ihm von einer Idee erzählt habe.« Frederike war fast etwas verlegen. »Ich musste einige Kompromisse eingehen, sonst hätte er es verboten.«

Maria blickte ihre Mutter verblüfft.

»Er möchte euch das Gebet anlegen.« Frederike seufzte etwas. »Und ihr müsst Ersatzkleider dabei haben.«

»Das brauchen wir doch nicht.« Sarah fühlte sich fast in ihrem Ehrgeiz verletzt.

»Tut mir bitte den Gefallen und akzeptiert es.« Frederike ärgerte sich, dass sie nicht vorher mit dem Orthopäden gesprochen hatte.

»Wir werden die Kleider nicht brauchen.« Maria gab sich ebenfalls zuversichtlich.

»Paul und Betty sind gerade bei ihm und bekommen eine Einweisung, auf welche Körpersignale sie achten müssen.« Frederike blickte ihre Schützlinge ernst an. »Bitte hört auf sie und macht alles, was sie sagen.«

Irgendwie wurde Maria und Sarah doch bewusst, das diese Prüfung irgendwie etwas sehr Ernstes war.

»Dem Mundverschluss hat er auch verboten.« Fredeike war verlegen. »Ihr müsst jederzeit über euren Zustand Auskunft geben können.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass es so ernst ist.« Maria war sich nicht sicher, ob sie sich über das Verbot freuen oder ärgern sollte. Auf jeden Fall war die Vorfreude auf die Prüfung einer gewissen Ernüchterung gewichen.

»Jetzt schaut euch erst mal eure Kleider an.« Frederike hoffte, dass das die Laune der Mädchen wieder etwas bessern würde. Sie öffnete einen Kleiderschrank.

Als sie darauf die leuchtenden Augen und die vor Staunen offenstehenden Münder sah, wusste sie, dass der Opernbesuch doch vielleicht etwas Schönes werden konnte, trotz der Einwände des Orthopäden.

* * *

»Wie Sissi« Sarah strahlte, als sie sich mit dem großen Reifrock drehte.

»Kennt man die in Brasilien auch?« Maria war erstaunt. »Bei uns gibt es die immer zu Weihnachten im Fernsehen.« Auch sie blickte sehr stolz auf ihren großen Rock.

»Seid ihr bereit?« Der Orthopäde steckte seinen Kopf zur Tür herein.

»Ja, wir sind fertig.« Maria war sehr unsicher, wie sie dem Mediziner gegenübertreten sollte.

»Wir können rein.« Er betrat den Raum und hinter ihm kamen zwei Personen in einer historischen Soldatenuniform herein. Es dauerte einige Momente, bis Maria und Sarah erkannten, wer neben dem Mediziner hereingekommen waren. Betty und Paul. Sie waren schon für den Opernbesuch umgezogen. Doch ihre ernsten Mienen zeigten, dass sie vom Orthopäden wohl mehr als nur gute Ratschläge bekommen hatten.

Das Anlegen des Gebetes durch den Orthopäden ging erstaunlich schnell, trotzdem zeigte seine Miene, dass er diese Art von Prüfung seiner Chefin nicht billigte und nur mit Widerwillen agierte. Trotzdem erklärte er jeden einzelnen Handgriff und zeigte auch die möglichen Fehler, die unbedingt zu vermeiden waren.

* * *

Die Stimmung in dem kleinen Bus war zunächst etwas gedrückt. Die vielen Verbote und Einschränkungen des Orthopäden hatte allen die Vorfreude etwas verdorben. Obwohl die Mädchen den Mundverschluss nicht trugen, herrschte fast die ganze Fahrt über Schweigen. Nur gelegentlich erkundigten sich Betty und Paul bei ihren Partnern nach den Gefühlen in den Armen, so wie es der Arzt angeordnet hatte.

Doch als sie die Oper erreichten, wurden sie zu ihrer Überraschung wirklich wie Adelige, fast wie Könige begrüßt. Der historische Verein der Stadt hatte von dem Aufenthalt des Herzogs in der Klinik erfahren und hatte deswegen extra diesen besonderen Abend organisiert.

Schon als Sarah mit Betty an ihrer Seite die Loge betrat, kam es Maria vor wie in dem Sissi-Film in der Mailänder Scala. Eine Lautsprecherstimme im Publikumsraum kündigte die Majestäten an, und gleich darauf spielten die Musiker die brasilianische Hymne.

Maria war mehr als erstaunt. Es war wirklich wie in ihrem Lieblingsfilm.

Doch dann meldete sich die Lautsprecherstimme noch einmal. »Wir begrüßen heute auch ein Prinzenpaar aus Deutschland.« Nach einer kurzen Pause sprach die Stimme weiter. »Katherina Maria Prinzessin von Landsbach mit ihrem Prinzen Anselm Paul von Landsbach.« Und zu ihrer Überraschung ertönte jetzt die deutsche Hymne.

Ein paar Tränen liefen über Marias Gesicht, die Paul aufmerksam wegwischte.

Das Licht ging aus.

»Kneif mich mal« flüsterte Maria leise zu Paul, als das Licht im Saal erloschen war und die Musiker mit der Ouvertüre begonnen hatten.

Paul lächelte nur. »Genieße es.«

* * *

Ein paar Mal blickte Paul zu Sarah und erst jetzt erkannte er das besondere Arrangement. Betty und Juan trugen die gleiche Uniform und hatten auch die Haare ähnlich. Auf einen flüchtigen Blick war nicht zu erkennen, ob Betty oder Juan neben Sarah saß.


Je näher die Pause kam, desto nervöser wurde Maria. Paul hatte sich immer wieder nach ihrem Befinden erkundigt, so wie es der Orthopäde ihm gesagt hatte. Maria war auch stets bemüht, ehrlich zu antworten. Der Mediziner hatte es geschafft, ihnen so etwas wie Verantwortung zu vermitteln, und dass sie die Prüfung als solche ernst zu nehmen hatten. Doch noch etwas anderes bewirkte bei Maria die Unruhe. Sie stand gleich vor der gleichen Situation wie auf dem Katerinenfest. Sie würde ihr Gebet vor völlig fremden Leuten präsentieren müssen.


Sarah und Maria waren bei weitem nicht die einzigen mit Reifrock, als sie zur Pause in das Foyer schritten. Auch einige versteckte Arme waren zu sehen, doch ein Gebet auf dem Rücken trugen nur Sarah und Maria. Erst durch einige Gespräche mit anderen Besucherinnen, die sie auf ihr Kleid angesprochen hatten, erfuhr sie, dass diese Vorstellung von dem historischen Verein der Stadt veranstaltet wurde und dass deswegen ein gewisser Dresscode ausgegeben worden war. Es sprach sich auch schnell herum, dass Maria und Sarah das Gebet trugen, doch wegen der Etikette bekamen sie nur bewundernde Blicke und das eine oder andere Kompliment.

Nachdem vorher angekündigt war, dass sich brasilianischer und deutscher Adel in der Vorstellung befinden würde, waren fast alle Mitglieder des Vereins gekommen und sorgten mit den Kleidern für die entsprechende Atmosphäre. Aber natürlich waren auch einige normale Opernbesucher anwesend, die ebenso gern ihre prunkvollen Kleider spazieren führten und in der Pause zur Schau stellten.

Einige weibliche Vereinsmitglieder hatten sich sogar bemüht, ihre Arme zu verstecken und sich dann von ihren Partnern das Glas halten zu lassen. Doch die Gebetshaltung war nur bei Sarah und Maria zu sehen.

In der ersten Pause wurde Sarah von Juan begleitet und zugegeben, sie bildeten ein schönes Paar. Bertram und Betty, beide in einer Militäruniform unterhielten sich mit anderen »Offizieren« aus dem Verein.

* * *

In der zweiten Pause sah alles auf den ersten Blick genauso aus, doch Maria sah sofort, dass Sarahs Augen besonders funkelten. Maria sah genauer hin und erkannte Betty, die sehr stolz neben Sarah einher schritt. In ihrem Kleid ging sie auf sie zu.

»Stell dir vor, der Herzog hat es erlaubt.« Sarah strahlte.

»Als Belohnung, weil ich mich in der ersten Pause genau so benommen habe, wie er es erwartet hat.« Betty strahlte noch mehr als Sarah.

Sie trat an Maria heran und nahm sie in den Arm. »Danke für alles.« Auch bei Paul bedankte sie sich.

Ansonsten verlief die zweite Pause ähnlich wie die erste. Der Herzog erkundigte sich mehrmals bei Sarah nach dem Befinden und signalisierte ihr, dass sie, falls es ihr zu viel wäre, mit dem Gebet aufhören dürfe.

Auf Marias verwunderten Blick hin musste er lächeln. »Für sie gilt das auch, aber ich glaube, ihr Prinz passt ohnehin gut auf sie auf.« Er blickte kurz zu Paul. »Der Herr Doktor hat auch noch mal mit mir gesprochen und hat mich gebeten, auch ein Auge auf euch zu haben. Auch aus meiner Sicht haben sie die Prüfung schon bestanden.«

Montag, 13. September 1984

Es war schon elf Uhr, als Paul langsam erwachte. Er räkelte sich etwas und blickte dann auf Marias Bett. Sie hatte auch gerade erst die Augen geöffnet und blinzelte verliebt herüber.

»Es ist schon elf Uhr.« Er lächelte hinüber. »Wir sollten langsam aufstehen.«

Maria begann sich zu räkeln. »Wenn du meinst...« Sie stieß mit den Füßen die Bettdecke weg.


Paul hatte sich in den Bademantel gehüllt und deckte den Tisch. »Die Küche hat schöne Sachen vorbei geschickt.«

Maria blickte auf den Tisch. »Sieht lecker aus.« Sie griff sich ihren Bademantel und wollte ihn gerade anziehen, als ihr auf einmal ein besonderer Blick von Paul auffiel. Sie lächelte und ließ den Mantel wieder fallen. Sie wollte ihm eine Freude machen und setzte sich so an den Tisch.

»Danke«, sagte Paul etwas verlegen. »Ich hätte es nicht von dir verlangt, aber ich liebe den Anblick.«

»Ich weiß.« Maria lächelte. »Jetzt lass uns frühstücken.«

* * *

»Möchtest du heute wieder das Gebet tragen?« fragte Paul, obwohl er die Antwort schon kannte. Er legte sein Besteck beiseite.

»Du weißt, was der Arzt gesagt hat.« Maria schmiegte sich an ihn. »Wir müssen weiter täglich trainieren.«

»Und es macht dir wirklich nichts aus, auf deine Arme zu verzichten?« Paul wollte ihren Ehrgeiz hinterfragen.

»Jetzt mach schon.« Maria begann ungeduldig zu werden. »Außerdem kenne ich das schon seit Jahren.«

»Na, wer wird denn da so drängeln?« grinste Paul, doch dann griff er zu den bereitliegenden Riemen und dem Korsett.

»Ich möchte in den Park.« Sie gab Paul einen Kuss.

* * *

Sie gingen erst mal einige Zeit wortlos nebeneinander her. Am See setzen sie sich auf eine Parkbank und schauten etwas den Enten mit den kleinen Küken zu.

»Faszinierend, wie schnell sie wachsen.« Maria durchbrach schließlich die Stille.

Paul legte den Arm um sie. »Sie sind süß.«

»Ich mag die Enten.« Maria wurde nachdenklich. »Auf dem Wasser sehen sie so würdevoll aus, aber unter der Oberfläche müssen sie sich auch abstrampeln.«

»Ein schönes Bild.« bestätigte Paul. »Was wird wohl aus Anna werden?« fragte er, nachdem er sich vergewissert hatte, dass nirgends irgendwelche Zuhörer zu sehen waren.

»Die ist doch schon bei deiner Oma« Maria wunderte sich ein wenig über die komische Frage.

»Das meinte ich auch nicht.« Paul war etwas nachdenklich. »Ich frage mich, ob sie mit Florian glücklich wird.«

»Es wäre ihr zu wünschen.« Maria seufzte. »Sie hat so sehr für ihre Liebe gekämpft.«

»Ich bin richtig froh, dass ich ihr helfen konnte.«

»Sie hat dir sehr vertraut.« Maria schmiegte sich an ihren Freund. »Ich bin stolz auf dich.«

»Ich hoffe, dass all die Mühen erfolgreich waren und dass sie glücklich werden.« Paul seufzte.

»Es ist schon bitter, wenn man auf diese Weise seine Heimat verliert.« Maria klang traurig. »Sie wird das Haus ihrer Kindheit nie wieder sehen.«

»Ich glaube, sie hat auch keine guten Erinnerungen daran.« Paul blickte zum See. »Bei der Familie.«

Sie schwiegen wieder.

* * *

»Schau mal, wer da sitzt?« Vicky schob ihren Kinderwagen neben die Bank. »Wo sind denn deine Arme?« Sie wunderte sich über Marias seltsame Haltung.

»Maria trainiert.« Paul kam seinem Beschützerinstinkt nach.

»Das ist er?« Vicky setzte sich neben Maria. »Du siehst viel glücklicher aus.«

Maria bestätigte es.

»Und du unterwirfst dich ihm?« Vicky blickte kurz in den Kinderwagen.

»Es ist keine Unterwerfung, es ist Liebe.« Maria widersprach. »Ich bin an seiner Seite sehr glücklich.«

»Aber er legt dich in Fesseln und verlangt demütigende Dinge von dir.«

Maria seufzte. »Ja, da hast du wohl recht..« Ihre Stimme wurde leiser. »Aber es gefällt mir.«

»Es gefällt dir?« Vicky war verwundert. »Du bist wirklich schräg drauf. Ich könnte das nicht.«

»Wer ist schräg drauf?« Paul entschuldigte sich. »Ich habe gerade nicht zugehört.«

Maria war etwas verlegen.

»Wir sprechen von dir.« Vicky blickte zu Paul auf. »Und von all den Sachen, die du Maria antust.«

Paul blickte zu Maria, doch die hielt ihren Kopf zu Boden.

»Ich mache es nur, weil Maria mich darum gebeten hat.« Paul hatte das Gefühl, sich verteidigen zu müssen.«

»Aber damit ist sie doch so demütigend hilflos.« Vicky wollte ihren Standpunkt verdeutlichen.

»Ja, das ist wohl wahr.« Paul gab ihr Recht. »Aber gerade deswegen möchte ich ihr dann auch helfen und sie unterstützen und beschützen.«

Vicky schüttelte den Kopf. »Euch zwei werde ich wohl nie verstehen.«

»Liebe«, Marias Stimme war gerade so zu verstehen. »Es ist Liebe.« Sie stand auf und gab Paul einen langen Kuss.

»Was machen deine Arme?« Paul erinnerte sich an die mahnenden Worte des Orthopäden.

»Ach Paul, musstest du das gerade jetzt fragen.« Maria war etwas enttäuscht.

»Du weißt genau, wie wichtig es ist«, verteidigte sich Paul. »Oder muss ich dich an die Standpauke erinnern?«

»Du hast ja recht.« Maria kuschelte sich an ihn. »Entschuldige bitte.«

Vicky hatte bisher höflich weggeschaut. »Er muss auch auf dich aufpassen?«

Maria erzählte kurz von dem Orthopäden.

»Es ist also doch so etwas wie Unterwerfung?« Vicky griff den Faden wieder auf.

»Ich mag das Wort nicht.« Maria blickte verliebt zu Paul. »Aber, ja, in manchen Dingen muss ich ihm gehorchen.« Es kam ihr sehr plakativ vor, als sie es aussprach.

»Ich bin um dein Wohlergehen besorgt.« Paul legte den Arm um Maria. »Ich habe immer Angst, dass du dir zu viel zumutest.«

»Ich glaube, dass Programm meiner Mutter hat mich sehr geprägt.« Maria seufzte. »Ich habe mich richtiggehend daran gewöhnt, dass ich mich unterordnen muss und viele meiner Wünsche zurückstellen muss.«

»Müssen wir das nicht alle?« Vicky wurde auf einmal recht philosophisch. »Es wäre wohl nicht gut, wenn unsere Wünsche einfach immer in Erfüllung gehen würden.«

»Das meine ich nicht mal.« Maria hatte das Gefühl, diesmal direkt aus dem Herzen zu sprechen. »Wenn ich zum Bespiel etwas trinken möchte, muss ich warten, bis mir jemand etwas gibt.«

»Das ist aber keine Unterwerfung, sondern Höflichkeit.« Vickys Freund meldete sich zum ersten Mal zu Wort. »Im Übrigen sollest du deine Wünsche gar nicht aussprechen müssen. Dein Freund sollte sie dir von den Augen ablesen.«

Vicky lächelte ihren Freund an. »In der Disziplin könntest du aber auch noch etwas Übung gebrauchen.« Sie lächelte. »Habt ihr schon Pläne für die Zukunft?« Vicky wollte das Thema wechseln.

»Jetzt kommt erst mal das Fest.« Maria seufzte etwas. »Und dann müssen wir das Abitur schaffen.«

»Nein, das meinte ich nicht.« Sie lächelte hintergründig. »Ich dachte mehr an das künftige Zusammenleben.«

Maria drehte sich zu Paul. »Am übernächsten Sonntag stehen wir ja vor dem Pfarrer.«

»In eurem Historienspiel?« Vicky strich sich durch das Gesicht. »Quasi eine Generalprobe.«

»Ja, könnte man so sehen.« Maria blickte Paul verliebt an. »Dann kommt noch das Katerinenjahr.« Sie gab Vicky einen groben Überblick über das, was noch auf Paul und sie zukommen würde.

»Und bei allen diesen Auftritten muss du das Gebet tragen?« Vicky war erstaunt.

»Sie wissen ja noch nicht, dass ich es tragen kann.« Maria erinnerte sich an die bisherigen Erfahrungen. »Aber es wird dann wohl von mir erwartet werden.«

»Bekommst du dafür auch einen Gegenwert?« Vicky rieb Daumen und Zeigefinger aneinander.

»Es ist eine Ehre, die Rolle spielen zu dürfen.« Maria hatte etwas Stolz in der Stimme. »Ich habe schon seit dem letzten Fest davon geträumt.«

»Von der Ehre kannst du dir aber nichts kaufen.« Vicky überhörte Marias Schwärmerei.

»Das stimmt natürlich.« Maria senkte kurz den Kopf. »Aber mit Paul an meiner Seite wird es schön werden.«

Diesmal fragte Paul nicht nach Marias Armen, aber er tastete sie ab.

Maria war es anzusehen, dass sie deswegen etwas genervt war. Doch sie ließ es geschehen.

»Es ist aber auch eine sehr unnatürliche Armhaltung.« stellte Vickys Freund fest.

»Es ist für das Venuskorsett«, antworteten Paul und Maria gleichzeitig, dann lachten sie kurz.

»Venuskorsett?« Vicky war verwundert. »Habe ich noch nie gehört.«

»Es geht wohl auf die Statue der Venus von Milo zurück«, erklärte Maria. »Dort sind keine Arme zu sehen.«

»Die Arme werden mit in das Korsett eingeschnürt, welches Maria trägt. Damit bleibt die schmale Taille erhalten.« Paul zeigte, dass er sich mit den Hintergründen befasst hatte.

»Aber das ist dort bestimmt furchtbar unbequem.« Vicky versuchte, einen Arm auf den Rücken zu legen.

»Ich habe zwei Wochen Intensivtraining hinter mir« Marias Stimme war sehr stolz. »Sechs Stunden habe ich es schon ausgehalten.«

Vicky stand der Mund offen. »Sechs Stunden? So lange?«

Maria beugte sich zu Vicky hinüber und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Vicky wurde rot. »Und das hilft?«

»Sehr.« Maria strahlte. »Meine Mutter hat mir das auch bestätigt. Es wirkt wie ein Schmerzmittel.«

Doch Vicky war etwas aufgefallen. »Du hast aber keine Kontrolle darüber.« Sie blickte kurz zu Paul. »Du bist ihm doch ausgeliefert.«

»Ja, das ist wohl so.« Maria blickte auf einmal sehr eindringlich zu Paul.

»Bist du dir sicher?« Paul zögerte.

Maria hielt seinem Blick stand.

Paul nahm die Fernbedienung zur Hand und drückte auf den grünen Knopf.

Durch Marias Körper ging ein Zucken, dann blickte sie wieder zu Vicky. Sie grinste. »Ein wenig kontrollieren kann ich es doch.«

In der Stille war das leise Surren gut zu hören.

Wieder blickte Maria zu Paul, und er drückte auf den roten Knopf. Das Surren verstummte.

»Manchmal passiert es auch so.« Maria wurde etwas rot. »Da ist es dann gut, wenn er mich festhält.«

Paul legte den Arm um Maria.

»Ihr seid schon ein seltsames Paar.« Vicky lachte. »Du dominierst und Paul muss dir gehorchen.«

»Eigentlich müsste es ja andersherum sein.« Paul lächelte.

»'Topping from the Bottom' nennt man das wohl.« Maria war etwas verlegen. »Ich weiß, dass mir das Befehlen eigentlich nicht zusteht.«

Vicky hörte sehr aufmerksam zu. »Aber das wäre doch dann auch so etwas wie die eigene Selbstaufgabe. Das kann doch nicht richtig sein.«

»Ich weiß, dass er mich auffängt, wenn ich falle. Immer.« Maria gab Paul einen Kuss. »Ich liebe dich.«

Paul erwiderte den Kuss. »Ich liebe dich auch.« Sie versanken in einen langen Kuss.


Als sie sich wieder umblickten, war Vicky mit ihrem Freund und dem Kinderwagen schon fast außer Sichtweite. Sie drehte sich noch einmal um winkte dem schwer verliebten Paar zu.

Paul erwiderte den Gruß.

* * *

Frederike hatte immer mal wieder aus dem Fenster geblickt und die vier beobachtet. Als sie den innigen Kuss sah, wusste sie, dass es jetzt Zeit war, dass es passieren konnte. Es war alles vorbereitet und das Präparat hatte seine Wirksamkeit erreicht.

Sie überlegte immer wieder, wie sie es angehen sollte. Sie konnte Maria das Keuschheitsgeschirr abnehmen oder Paul den Schlüssel dazu geben. Sie fragte sich, welche der Varianten wohl die bessere Wirkung haben würde.

Natürlich wäre es gut, wenn Paul die Rolle als Schlüsselherr übernehmen beziehungsweise in sie hineinwachsen würde. Andererseits betrachtete Maria ihre Unterwäsche vor allem als Schutz, der ihr half, trotz der Einschränkungen selbstbewusst aufzutreten, weil sie wusste, dass ihr nichts passieren konnte.

Sie kannte ihre Tochter doch recht gut, auch wenn sie normalerweise Kontinente trennten. Wenn sie wollte, dass es jetzt passierte, musste sie ihr den Gürtel abnehmen. Paul den Schlüssel geben könnte sie dann auch am nächsten Morgen, außerdem musste er ihn sowieso schon mit sich herum tragen.

Es wäre ihr sehr recht, wenn es hier unter ihrer Kontrolle passieren würde. Es würde auch der Höhepunkt ihres Programms sein, von dem sie wegen des Festes schon so weit abweichen musste.

Nachdenklich ging sie noch einmal durch das Zimmer, welches sie vorbereitet hatte. Der Tisch war romantisch gedeckt und das Bett war in Sichtweite. Eigentlich war alles bestens vorbereitet.

Sie setzte sich in den Sessel und lehnte sich zurück. Ein paar Minuten hatte sie noch, bis sie zu ihr kommen würden. Es war besser gelaufen, als sie es sich je erträumt hatte. Sowohl Paul war nicht vorhersehbar gewesen wie auch das Fest, welches ebenso ein großer Glücksfall war. Die Sorgen um Sarah und Anna hatten Maria und Paul so sehr abgelenkt, dass sie an den eigentlichen Zweck ihres Aufenthaltes nicht mehr dachten.

Wenn es jetzt auch noch unter ihrer Kontrolle passieren würde... Sie lächelte. So viel Glück war wirklich ungewöhnlich. Sie überlegte, wie der Abend wohl verlaufen würde. Vermutlich würden sie noch lange miteinander reden, dabei vielleicht aneinander gekuschelt sein. Sie würden reden über die Erlebnisse der zwei Wochen, Maria würde wahrscheinlich von ihrem Kampf für Sarah berichten. Und Paul würde seine Erlebnisse mit Anna wiedergeben. Dann würden sie sich bestimmt küssen... Und dann...

Doch dann seufzte sie. Vorher hatte sich noch der Orthopäde angesagt. Er wollte sich Maria Arme noch einmal ansehen nach der langen Belastung. Es verdarb etwas die Stimmung, doch sie war zuversichtlich, dass der Abend trotzdem so verlaufen könnte, wie sie es sich wünschte.

* * *

Der Arzt hatte ein paar Schautafeln dabei, die den weiblichen Oberkörper zeigten. »Ich möchte ihrem Schwiegersohn auch noch etwas unterweisen.«

Marias Miene zeigte wieder ein schlechtes Gewissen, als sie zusammen mit Paul und ihrer Mutter das Behandlungszimmer betrat.

Doch der Orthopäde schien es zu übersehen. »Machen sie sich bitte den Oberkörper frei«, bat er Maria, dann wandte er sich an Paul. »Sie können sich schon einmal hiermit vertraut machen.« Er reichte ihm die Schautafeln.

Maria war der Bitte nachgekommen und zeigte ihren Oberkörper, jetzt nur noch mit dem Keuschheits-BH bekleidet.

Der Orthopäde warf Frederike einen vielsagenden Blick zu, doch dann begann er Maria abzutasten. »Wie lange haben sie das Gebet gestern getragen?«

Maria musste erst einmal husten, bevor sie antworten konnte. »Es waren sechs Stunden, so wie sie es gesagt hatten.«

Der Arzt war erstaunt. »Vielleicht war ich gestern etwas zu pessimistisch.« Er tastete noch einmal.

»Was meinen sie?« Marias Stimme zitterte ein wenig.

»Sie hätten auch acht Stunden ausgehalten.« Der Orthopäde war verwundert. »Sie haben ein sehr gutes Training durchgeführt.«

Frederike bedankte sich still.

Maria räusperte sich. »Es wäre aber ohne Paul nicht gegangen.«

Die Blicke richteten sich auf Paul, der etwas verwirrt von den Unterlagen aufblickte. Auf einmal wurde er rot, denn er hatte erkannt, was Maria gemeint hatte.

Frederike kam Paul zu Hilfe. Sie ging auf den Arzt zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr.

Er blickte Maria erstaunt an. »Und das hat ihnen geholfen?«

Maria nickte verlegen.

»Dann machen sie das auch weiterhin.« Er streichelte ihr über den Kopf. »Sie können stolz sein auf ihre Tochter.«

* * *

»Bist du fertig?« Maria lächelte ungeduldig. »Meine Mutter wartet auf uns mit dem Essen.«

»Ich bin schon fertig.« Paul stand auf und warf noch einmal einen Blick in den Spiegel. »Diesmal ohne Handschuh?« Er lächelte.

»Ich möchte endlich wieder einmal selbst essen und kauen.« Maria ließ einen Seufzer hören. »Ich vermisse das langsam.«

»War die Prinzessin etwa mit ihrem Diener unzufrieden?« Obwohl die Frage sorgenvoll formuliert war, zeigte doch Pauls Tonfall, dass er sie nicht ernst gemeint hatte.

Maria musste lächeln, als sie zur Tür ging. »Die Königin möchte heute den Prinzen sehen, nicht den Diener.«

Paul erinnerte sich wieder daran, dass Marias Mutter sie zu einer Art Abschlussessen eingeladen hatte. Und die Ereignisse der letzten Tage zeigten ihm, dass es einiges zu feiern gab. Er sprintete zur Tür und schaffte es, noch vor Maria dort zu sein und ihr die Tür aufzuhalten. »Meine Liebe?« deutete er mit einer leichten Verbeugung an.

Maria deutete einen Knicks an, dann ging sie etwas gestelzt aus dem Zimmer.

* * *

Der Tisch war für drei Personen gedeckt. Leise Klaviermusik füllte den Raum und mischte sich mit dem Licht der Kerzen.

Frederike sah sich zufrieden um. Das Schwesternzimmer war wirklich nicht wiederzuerkennen. Und Joe hatte sich mit dem Essen auch übertroffen. Es könnte der Beginn eines schönen Abends werden.

Paul und Maria blickten sich ungläubig um, als sie das Zimmer betraten. Von der Klinik war wirklich nichts mehr zu sehen oder es war ins Dunkel getaucht. In der Mitte des Raumes stand der mit Kerzen beleuchtete Tisch und Frederike stand daneben. »Nehmt bitte Platz.«

* * *

Marias Mutter hatte ihre Tochter schon die ganze Zeit heimlich aber sehr aufmerksam beobachtet. Seit der Begegnung mit Vicky schien sie etwas verändert und Frederike fragte sich, ob es einen Grund dafür gab.

Als Chefin wusste sie natürlich auch den Grund für Vickys Aufenthalt in der Klinik und es war ihr klar, dass es daran nicht liegen konnte. Schließlich wagte sie den Schritt nach vorn. »Vicky hat dich ins Grübeln gebracht?« Sie hoffte, dass sie es damit treffen würde.

Maria brauchte erst einen Moment, um die ganze Situation zu erfassen. Doch dann nahm sie Pauls Hand und drückte sie. »Bin ich dir wirklich ausgeliefert?« Irgendwie war etwas Angst in ihrer Stimme.

Paul war seit der Begegnung mit Vicky ebenfalls etwas in Grübeln gekommen. »Ich möchte dich beschützen und aufpassen, dass dir nichts passiert.« Er zeigte, dass er sich über das Thema Gedanken gemacht hatte. »Und wenn ich der Meinung bin, dass es zu viel für dich ist, dann habe ich mir vorgenommen, einzugreifen.« Er klang in diesem Moment sehr zuversichtlich.

Maria war auf einmal sehr nachdenklich. »Wenn ich weiß, dass ich mich ganz auf dich verlassen kann, dann traue ich mich auch, mich fallen zu lassen.« Sie blickte zu Boden. »Und mich dir unterzuordnen.«

Frederike bemühte sich um ein neutrales Gesicht, was ihr sehr schwer fiel. Denn innerlich war sie am Jubeln. All die Jahre harte Arbeit schienen sich jetzt auszuzahlen. Das Programm für Maria und vor allem ihr Konzept schienen richtig zu sein und gut zu wirken.


Sie spürte, dass die Zeit gekommen war. Natürlich fiel es ihr wie jeder Mutter schwer, doch sie wusste, dass ihre Tochter jetzt gehen lassen musste. »Ich möchte euch dann auf euer Zimmer bringen.«

* * *

Das Zimmer hatte sich ebenfalls verändert. Auch hier lief leise Klaviermusik und es brannten Kerzen. Paul hatte sich auf das Sofa gesetzt und blickte erwartungsvoll und doch auch etwas nervös auf die Badezimmertür, hinter der Maria mit ihrer Mutter verschwunden war.

Ein Tablett mit einer Sektflasche und drei Gläsern stand bereit, und Paul war der Aufforderung nachgekommen, die Flasche schon einmal zu öffnen. Einschenken würde dann Frederike, hatte sie angekündigt.


Zuerst fiel ihm Marias strahlendes Gesicht auf, als sie mit ihrer Mutter wieder aus dem Bad kam. Erst auf den zweiten Blick entdeckte er, was ihre Mutter neben der Tasche noch in der Hand hielt. Es waren der Keuschheitsgürtel und der Keuschheits-BH. Maria war sozusagen frei.

Er blickte auf ihren Körper, der von dem Bademantel verhüllt war. Was würde sie wohl darunter verbergen?

Er hatte schon oft von dem Moment geträumt, an dem er Maria ganz ohne begegnen durfte, und jetzt stand er offensichtlich kurz davor.

Frederike ging zu der Sektflasche und schenkte drei Gläser ein. Dann reichte sie Paul und Maria je ein Glas und erhob das dritte Glas. »Ich möchte mich bei euch bedanken. Ihr habt mich und die Zukunft der Klinik gerettet.«

Das leise Aneinanderstoßen der Gläser war zu hören.

»Wir sehen uns dann morgen Mittag bei der Abschlussbesprechung.« Sie trank einen Schluck. »Ich lasse euch dann allein.« Sie ging zur Tür. »Schließt bitte ab, damit euch keiner stören kann.« Sie wünschte ihnen noch einmal alles Gute und einen schönen romantischen Abend, dann schloss die Tür hinter sich.

Maria ging langsam zur Tür und erst als die Schritte ihrer Mutter verklungen waren, drehte sie den Schlüssel im Schloß, zog ihn ab und steckte ihn in die Tasche ihres Bademantels. »Jetzt kann uns keiner mehr stören.« Ihre Stimme war leise, als sie Paul anlächelte.

»Jetzt bin ich dein Gefangener.« Paul spürte den Zauber des besonderen Augenblicks.

»Du hast recht.« Sie lächelte geheimnisvoll. »Das nennt man wohl ausgleichende Gerechtigkeit.«

»Auf uns.« Paul hob das Glas, das er noch in der Hand hielt.

»Und auf das Fest.« Maria ergriff auch ihr Glas und prostete ihm zu.

»Hat meine Prinzessin noch einen Wunsch?« Paul fand es passend, das Spiel aufzugreifen, als beide ihre Gläser abgestellt hatten.

Maria wurde auf einmal etwas verlegen. »Die Prinzessin hätte allerdings noch einen Wunsch.« Sie ging zu ihrem Schrank und öffnete ihn.

Paul sah mit etwas Erstaunen, dass sie etwas heraus nahm. Doch als er erkannte, was Maria in ihrem Händen hielt, war er mehr als verwundert. »Sind sie sich sicher, Hoheit?«

Maria hielt ihren alten weißen Monohandschuh in den Händen, der schon an vielen Stellen deutliche Abnutzungserscheinungen zeigte. »Ich möchte den Handschuh tragen.« Ihre Stimme wurde leiser. »Nur den Handschuh.« Sie griff sich an den Bademantel, öffnete ihn und streifte ihn sich von den Schultern.

Paul hielt den Atem an, als er Maria in weißer Spitzenunterwäsche sah. »Du siehst toll aus.« Er trat einen Schritt zurück. »Noch besser als mit der Stahlunterwäsche.«

Maria lächelte, dann trat sie auf ihn zu und gab ihm einen Kuss. Sie reichte ihm den Handschuh und legte ihre Arme auf den Rücken. »Die Prinzessin ist bereit«, hauchte sie.

Zu seiner eigenen Überraschung zitterten seine Hände nicht, als er Marias Wunsch nachkam. Doch irgendwie spürte er, dass Maria mit ihren Gedanken gerade woanders war. »Woran denkst du?« fragte er, obwohl er sich nicht sicher war, ob er die Antwort wirklich hören wollte.

»Ob Anna wohl glücklich wird?« Maria seufzte, als sie die Enge des Handschuhs spürte. »Sie hat so sehr für ihre Liebe gekämpft.«

»Es ist ihr nur zu wünschen.« Pauls Stimme zeigte an, dass auch er vom Schicksal der Kennedy-Tochter sehr bewegt war.

Dienstag, 14. September 1984

Frederike blickte auf die Uhr. Es war kurz vor elf Uhr. Für diese Stunde hatte sie Paul und Maria zum Frühstück geladen. Sie war sehr gespannt, in welcher Verfassung sie zu ihr kommen würden.

Sie hatte gestern unauffällig Marias Keuschheitsgeschirr so auf die Kommode gelegt, dass die Schlösser alle offen waren, die Schlüssel aber abgezogen waren. Letztere lagen vor ihr auf dem Tisch.

Es blieb ein Rest von Unsicherheit, ob Maria das Geschirr nach ihrer ersten Nacht mit Paul wieder anziehen würde. Würde sie es als Bestandteil ihrer Unterdrückung oder eher als Teil ihres Schutzes empfinden? Frederike fragte sich ehrlich, weit Maria in dieser Richtung wohl schon geprägt war.

Um Punkt elf Uhr klopfte es an ihrer Tür und eine etwas verlegene Maria trat ein. Hinter ihr folgte ihr ihr Freund. Frederike hatte Mühe, ihr Schmunzeln zu unterdrücken. Wieder hatte Maria diesen Ausdruck im Gesicht, den sie immer zeigte, wenn sie ein schlechtes Gewissen hatte.

Sie ging auf ihre Mutter zu und umarmte sie. »Danke Mama.« Dann flossen ihr die Tränen über das Gesicht.

Frederike nahm ihre Tochter ebenfalls in den Arm und streichelte sie über den Kopf. Nur nebenbei spürte sie, dass Maria wieder ihre Rüstung trug. »Wie war die Nacht?«

Maria blickte genauso kurz wie intensiv zu Paul und warf ihm einen Kuss zu. »Schön.« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

Frederike war der Blickwechsel nicht entgangen und sie wusste, dass sie in dieser Richtung nicht weiter zu fragen brauchte. »Jetzt kommt zum Frühstück.«

* * *

»Bisher hast du nur den Schlüssel verwahrt und hast Maria geholfen, die Regeln einzuhalten.« Frederike gab sich geheimnisvoll. »Doch in Zukunft soll es anders sein. Du sollst selbst festlegen, wann Maria das Geschirr zu tragen hat.«

Paul und Maria blickten sich etwas erschrocken an. Er ergriff ihre Hand. »Sind sie sicher?«

»Ich habe dich als sehr verantwortungsbewusst erlebt und ich habe Vertrauen zu dir.« Frederike reichte ihm ein kleines Kästchen. »Dies soll das Symbol für deine Schlüsselgewalt sein.«

Sie reichte auch ihrer Tochter so eine Schachtel. »Das soll dich immer daran erinnern, dass jetzt Paul deine Schlüssel verwaltet.« Sie wartete, bis Maria das Paket geöffnet hatte. »Das Schloss soll dich aber auch ermutigen, Kontrolle auszuüben und Paul gegebenenfalls an seine Pflichten zu erinnern.« Sie machte eine bedeutsame Pause. »Du sollst auch stets den Mut haben, ihn auf falsche Entscheidungen hinzuweisen.«

»Was wird denn Mrs. Potter dazu sagen?« Paul erinnerte sich daran, dass er vor Marias Erzieherin immer noch großen Respekt hatte.

»Sie wird dir viele nützliche Tipps gegen.« Frederike schmunzelte. »Es wird euer Schaden nicht sein, wenn ihr ihre Ratschläge weiter befolgt.«

»Der Gürtel ist mir sehr wichtig, weil er mich schützt.« Maria blickte aus dem Fenster, als sie ihre Gedanken aussprach. »Nur manchmal würde ich mir wünschen, den BH ablegen zu dürfen.«

»Paul hat jetzt die Schlüssel.« Frederike sah eine gute Gelegenheit. »Wenn du ihn lieb fragst...«

Maria ließ ihren Blick zwischen ihrer Mutter und Paul pendeln. Mit dieser Antwort schien sie nicht gerechnet zu haben. Sie senkte ihren Kopf.

»Hier wäre noch etwas, was ich dir zur verantwortungsvollen Benutzung übergeben möchte.« Sie reichte Paul noch ein kleines Kästchen. »Das ist symbolisch für die jeweiligen Fernbedienungen. Auch die solltest du sehr weise einsetzen.«

Maria hob den Kopf. »Oh ja, bitte traue dich, sie einzusetzen.« Sie war etwas verlegen. »Es hat mir sehr geholfen, die Zeit zu überstehen.«


Frederike sah auf die Uhr. »Ich habe Rosalie ein Telegramm geschickt, dass du sie heute noch anrufen wirst.« Sie hatte es als Feststellung formuliert, gemeint war es allerdings als Frage.

Maria verstand es sofort als Frage. Es schien sie fast etwas aufzuschrecken. »Natürlich, ich muss sie anrufen.«

»Ich habe euch ein Telefon organisiert.« Sie nannte die Raumnummer.

Maria stand auf und hängte sich die Kette mit dem kleinen Schloss um den Hals. Dann verlies sie das Zimmer.

Paul wollte ihr hinterher gehen, doch Frederike hielt ihn zurück. »Das ist ein Gespräch unter Frauen und nichts für dich.« Sie lächelte. »Du könntest schon mal mit dem Packen beginnen.«

* * *

Es gab seit langem nur einen einzigen Grund, außerhalb ihrer Freitagstelefonate anzurufen, dass hatten Maria und Rosalie schon vor langer Zeit ausgemacht. Maria war entsprechend nervös, als sie die lange Nummer wählte. »Hallo Rosalie, hier ist Maria.«

»Aber heute ist Dienstag.« Rosalie stutzte. »Nein, sag bloß.« Sie war sprachlos.

«Er war so zärtlich.« Marias Stimme war leise.

»Jetzt erzähl aber bitte von vorn und der Reihe nach.« Rosalies Stimme war sehr eindringlich. »Wenn du mich schon mitten in der Nacht aus dem Bett schmeißt.«

»Meine Mutter hatte mir schöne Unterwäsche mitgebracht« Maria war verträumt. »So richtige verführerische Dessous.«

»Und, hat es gewirkt?« Rosalies Schmunzeln war deutlich zu hören.

»Und ob.« Maria strahlte. »Doch der Reihe nach.« Sie holte tief Luft. »Zuerst hat er mich in den Handschuh eingeschnürt.«

»Er hat was?« Rosalie war empört.

»Ich habe schon immer davon geträumt, mein erstes Mal mit dem Handschuh zu erleben. Und er hat es gern gemacht. Er hat schon richtig gut Übung darin.«

»Ich wusste ja schon immer, dass du schräg drauf bist.« Rosalie lachte. »Was ist dann passiert?«

»Wir haben uns auf das Sofa gekuschelt und über die Ereignisse hier in der Klinik ausgetauscht.« Sie gab ihrer Freundin einen Überblick über all die Sachen, die sich in den letzten beiden Wochen ereignet hatten.

»Ach deswegen habe ich jetzt zwei Mal nichts von dir gehört.« Rosalie seufzte. »Und sie hat es dir erlaubt?«

»Nicht nur das.« Marias Stimme zeigte sowohl ihre Verliebtheit als auch ihre Begeisterung. »Paul verwaltet jetzt die Schlüssel für mich.«

»Und was war nach dem Kuscheln und Reden?« Rosalie erinnerte Maria daran, dass sie das wichtigste noch nicht erzählt hatte.

»Irgendwann hat er mich in den Arm genommen und mich überall gestreichelt.« Maria schwelgte in der Erinnerung. »Es war soo schön.«

»Und dann?« Rosalie war sehr gespannt.

»Irgendwie sind wir dann im Bett gelandet. Es war so wunderschön.« Maria seufzte verliebt. »Teilweise bin ich sogar mit dem Handschuh auf ihm geritten.«

»Ich beneide dich.« Rosalie freute sich für ihre Freundin.

»Aufgewacht sind wir dann erst gegen elf Uhr.« Maria seufzte. »Meine Mutter hatte zum Frühstück eingeladen.«

»Wann hat er dich aus dem Handschuh herausgelassen?« Rosalie war über das seltsame Liebesleben ihrer besten Freundin immer noch erstaunt.

»Ich wollte eigentlich die Nacht so bleiben.« Maria schwärmte. »Doch er hat darauf bestanden, mich zu befreien.«

Rosalie lachte. »Und wann ist es schöner? Mit ihm oder durch ihn?«

Maria musste erst einen Moment überlegen, bevor sie die Frage verstanden hatte. »Mit ihm. Mit ihm zu kommen ist doppelt schön.«

»Ihr seid wirklich schwer verliebt.« Rosalie lächelte.

»Genauso wie Sarah.« Maria war der Meinung, jetzt genug von sich erzählt zu haben. »Sie und Betty sind ein sehr glückliches Paar.« Sie gab einen kurzen Überblick über die Ereignisse.

»Und das heißt?« Rosalie lechzte nach Klatsch.

»Sarah hat ihr Glück gefunden, und jetzt freut sie sich auf ihre Hochzeit. Betty und Bertram machen die Trauzeugen.«

»Und der Herzog?«

»Der ist glücklich, dass er jetzt wieder eine Gebetsträgerin in der Familie hat.«

»Durch Sarah?«

»Ja«, Maria lächelte, »Betty kümmert sich rührend um sie. Und sie sorgt immer dafür, dass Sarah es nie zu leicht hat. Betty hat ihren Beruf aufgegeben und wird mit nach Brasilien reisen. Sie über schon fleißig Portugiesisch.«

»Das ist fast ein kitschiges Happy End.« Rosalie liebte solchen Klatsch.

»Ja, hier in der Klinik.« Maria seufzte. »Meines kommt ja hoffentlich noch.« Sie vermied es aber, von Anna zu berichten.

»Dein Fest?«

»Ja«, Maria bestätigte es. »Nachher werden Paul und ich die ganzen Vorbereitungen noch mal etwas auffrischen. Die Tänze und so weiter.«

»Ihr werdet ein tolles Paar werden.« Rosalie seufzte sehnsüchtig. »So verliebt.«

Es klopfte. Frederike steckte den Kopf zur Tür herein. »Seid ihr schon fertig?«

Maria blickte unwillkürlich zur Uhr. »Mensch, wir haben jetzt zwei Stunden lang gequatscht.«

Sie leitete die Verabschiedung ein und gab ihrer Mutter ein Zeichen, dass sie eintreten könne.

Neben ihrer Mutter betraten auch Paul und eine fremde Frau den Raum.


Maria legte den Hörer auf und blickte ihre Mutter verlegen an.

Doch Frederike ignorierte das. Sie winkte die fremde junge Frau zu sich. Dann wandte sie sich an ihre Tochter. »Ich habe von deinem Wunsch gehört, in München mit dem Gebet auf dem Rücken zu landen und das Flugzeug zu verlassen.«

»Das wird sicher nicht gehen?« sagte Maria, in ihrer Stimme mischten sich Zweifel und Optimismus.

»Das hier ist Frau Baer von der Lufthansa.« Frederike blickte zwischen Maria und der Stewardess hin und her. »Sie hat bei eurem Flug Dienst und wird euch helfen, euch den Wunsch zu erfüllen.«

»Der Pilot gibt mir Bescheid, wann er den Landeanflug einleiten wird. Dann werde ich zu euch kommen und euch beim Anlegen des Gebetes helfen.« Sie blickte auf den Zettel, den sie in den Händen hielt. »Ich werde mich auch darum kümmern, dass der Zoll keinen großen Ärger macht.«

Maria blickte sich erstaunt um.

»Naja«, erklärte Frau Baer, »sie werden sicher darauf bestehen, dass sie deine Arme ohne »Verpackung« sehen wollen. Danach werde ich ihn dir wieder anlegen. Wäre das in Ordnung?«

Noch bevor Paul widersprechen konnte, ergänzte Frederike. »Am Flughafen wird eine weibliche Beamtin Maria durchsuchen und da kannst du nicht dabei sein.«

* * *

Frederike war etwas wehmütig, als sie die Tür ihres Büros hinter sich schloss. Natürlich war es nicht der erste Abschied von ihrer Tochter, doch sie fühlte, dass es diesmal etwas anderes war. Sie hatte sie sozusagen losgelassen, oder besser, in andere Hände gegeben.

Es tröstete sie nur ein wenig, dass Paul wirklich verlässlich war. In der Angelegenheit um Anna Kennedy hatte er sich sehr vorbildlich verhalten und teilweise sogar ganz selbstlos seine eigenen Wünsche hintenangestellt.

Wie jedes Mal hatte sie einen Bericht zu schreiben und an das Konsortium zu übergeben. Diesmal freute sie sich besonders darauf, ihn zu schreiben. Das Ziel ihres Projektes war so gut wie erreicht. Gedanklich entwarf sie so etwas wie eine neue Gliederung.


Gestern hatten Maria und Paul, nachdem die Stewardess mit dem Venuskorsett fertig war, sich noch ausgiebig mit den Inhalten des Katerinenfestes befasst. Nach dem schon mehrere Landsbacher nachgefragt hatten und Frederike sie bisher vertröstet hatte, befand sie es für nötig, wenigstens die Inhalte auszufrischen.

Besonders fasziniert war sie, als Maria und Paul einmal zur Probe mit dem Gebet auf dem Rücken die Tänze übten. Es hatte eine solche Leichtigkeit, dass es ihr fast den Atem raubte. In der Klinik war die richtige Musik nicht aufzutreiben, und so hatten die beiden sogar selbst zu ihren Tänzen gesungen.

Frederike war sehr wehmütig, als sie daran zurück dachte. Es war so beeindruckend, und das Gebet spielte dabei üerhaupt keine Rolle mehr. Maria hatte nicht ein einziges Mal das Gesicht verzogen.

Wo mochten sie im Moment sein? Waren sie noch in Amerika oder schon über dem Atlantik? Ohne dass es ihr so richtig bewusst war, stand sie auf, ging zum Fenster und blickte hinaus zum Himmel.

Noch schien die Sonne, doch am Horizont zogen dunkle Wolken auf.