Maria – Das Wochenende
Autor: Karl Kollar
Mrs. Potter wartete, bis die lange Nummer in die USA gewählt war. Sie musste nur kurz ihren Namen nennen und wurde sofort von der Sekretärin durchgestellt. Sie meldete sich und wollte eigentlich den Grund für ihren Anruf außer der Reihe erklären. Doch Marias Mutter wollte zunächst wissen, wie sich der Kontakt zu dem neuen Freund ihrer Tochter entwickelt hatte.
»Es läuft sehr gut«, war die Einschätzung der Erzieherin. Sie berichtete zunächst von Marias Aktion mit dem Halskorsett, welches sie sich von Paul hatte anlegen und verschließen lassen. Ihre Stimme klang dabei fast etwas empört, und Marias Mutter glaubte so etwas wie Eifersucht in den Worten zu hören. Das Lächeln darüber war fast durchs Telefon zu hören.
»Ich habe sie natürlich wie vorgesehen bestraft.« Mrs Potter erzählte, dass sie Maria mal wieder in den Gummisack gesteckt hatte. »Das erschien mir noch am passendsten.«
Natürlich freute es Frederike, wenn sich ihre Tochter selbst um weitere Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit kümmerte. Aber es war schon wichtig, dass sie gerade in Betracht ihrer Hilflosigkeit auch darüber nachdachte, was sie tat. Gewiss, sie war frisch verliebt und deswegen sicher übermütig. Außerdem war es nicht richtig, dass sie ihren neuen Freund da mit hinein zog. Alles in allem war die Strafe also gerechtfertigt.
Und so wie Maria am Abend geweint hatte, schien die Strafe auch wie vorgesehen gewirkt zu haben. Mrs. Potter berichtete zwar davon, dass sie die Haube noch mal geöffnet hatte und sie etwas beschwichtigt hatte, aber von der Straferleichterung sagte sie nichts. Deswegen war sie auch recht froh, dass Frederike von sich aus das Thema wechselte.
»Wie hat Maria heute ihren freien Nachmittag verbracht?« Sie bekam zwar ohnehin regelmäßig Berichte darüber, aber diesmal war sie wegen Marias neuen Freundes natürlich besonders neugierig.
Mrs. Potter hatte sich schon überlegt, wie sie den Zwischenfall vom Nachmittag darstellen wollte. »Wir hatten uns schlecht abgesprochen. Ich hatte eine Geburtstagsfeier im Nachbarort und dachte eigentlich, dass Maria daheim bleiben würde zum Lernen. Aber sie hatte eine extra Probe ihrer Musikgruppe, und nachdem sie mir davon nichts gesagt hatte, bestand ich darauf, meinen Termin wahr zu nehmen.«
Konsequenz in der Erziehung war wichtig, dass wußten beide. Deswegen stellte Marias Mutter die Entscheidung der Erzieherin auch nicht in Frage.
»Aber weil es ihr anscheinend sehr viel bedeutete, habe ich Paul gefragt, ob er sie zur Probe begleiten könnte.« Sie erklärte, das es eine Notlösung gewesen sei, und das es ihr im Nachhinein auch unangenehm war. »Ich weiß ja, wie wichtig ihr das Musizieren ist. Und sie treten ja nur so selten auf.«
Die Mutter wusste über Marias musikalische Aktivitäten Bescheid und freute sich nebenbei, das ihre Tochter bei dem Flötenspielen so gut mit den Korsetts zurecht kam.
»Ich weiß nicht, ob es richtig war, aber ich habe ihnen einfach alle Schlüssel dagelassen.« Dies war der Punkt, an dem Mrs. Potter sich ein schlechtes Gewissen eingestehen musste. »Aber es hat gut geklappt. Die Schlösser waren alle noch so, wie ich sie angebracht hatte.«
Zu ihrer Erleichterung war die Mutter mit dem Schritt einverstanden. Um so mehr freute es Frederike, als Marias Erzieherin auch noch erzählte, dass Maria die Capeärmel benutzt hatte.
»Ich weiß nicht, ob sie sie auch schon auf dem Weg zur Probe benutzt hat, aber als sie zurückkam, hatte Maria die Arme darin stecken.« Sie beschrieb auch noch, wie sich die beiden vor dem Haus noch geküßt hatten, und dass sie ihnen auch noch einen schönen Abschiedskuß gestattet hatte.
Frederike war sehr zufrieden. »Das wäre ja richtig eine Belohnung wert.«
Mrs. Potter berichtete, dass sie der selben Meinung gewesen war und dass sie »es« Maria eben erlaubt hatte. »Ich glaube, es hat ihr sehr gut getan.«
Marias Mutter wollte noch wissen, was die nächsten Tage noch anlag.
»Morgen Vormittag ist der Auftritt im Kurpark. Am Nachmittag will ich den beiden vielleicht einen Kinobesuch erlauben.« Der Rest vom Samstag war schon vorgegeben durch die »schöne« Nacht, dies wußten beide.
Frederike hatte noch einen Punkt. »Nächste Woche käme ja Margarete als Vertretung für die schöne Nacht. Und das gefällt mir gar nicht.« Weder die Mutter noch die Tochter mochten die Krankenschwester, allerdings aus jeweils ganz unterschiedlichen Gründen. »Könnte Paul das nicht machen?«
Mrs. Potter war zunächst etwas skeptisch. »Ist das nicht zu früh?«
Marias Mutter war anderer Ansicht. »Je eher wir ihn damit konfrontieren, desto eher wird er es akzeptieren. Im Moment ist ihre Beziehung noch nicht so gefestigt.«
Mrs. Potter sah es ein. »Und wie bringen wir ihnen das bei?«
»Sie könnten ihnen sagen, das Margarete abgesagt hätte,« überlegte Frederike. »Maria wird darüber mehr als erleichtert sein.«
»Und Paul wird hoffentlich Zeit haben.« Die Erzieherin war zuversichtlich. »Ich werde so bald wie möglich mit ihm reden.«
Marias Mutter dachte nach. »Der Druck durch die Schöne Nacht wird so groß sein, dass sie nicht auf den Gedanken kommen werden, es zu mißbrauchen.«
Die Erzieherin war damit einverstanden: »Das paßt eigentlich besonders gut, denn Maria und Paul sind beide noch nicht so weit, als dass sie die Gelegenheit ausnutzen würden. Sie sind sich von einander noch sehr unsicher, unsicher der eigenen Gefühle und der des anderen.«
Frederike musste sich in diesem Fall auf das Urteil der Erzieherin verlassen. »Paul wird von so viel Neuem auch so überwältigt sein, dass er gar keine anderen Gedanken fassen kann als den, alles richtig machen zu wollen. Beide müssen hier und auch künftig von den Erignissen und Neuerungen so in Atem gehalten bzw. überfahren werden, dass sie gar nicht auf »dumme« Gedanken kommen! Besser jetzt als später!«
Marias Mutter dachte eine Moment nach. »Und außerdem, wenn Paul diese Woche erfährt, dass er es nächste Woche ganz allein machen muss, wird er erst recht nicht an einen Mißbrauch denken. Sie müssen ihm nur deutlich machen, dass es gut für Maria ist.«
Mrs Potter war einverstanden. »Ich werde also Margarete absagen, sobald Paul zugesagt hat. Aber den beiden werde ich es andersherum verkaufen.«
Sie verabschiedeten sich und legten auf.
* * *
»Was ist denn mit Dir los?« Pauls Oma Selma war sehr überrascht, als ihr Enkel sich zu ihr an den Frühstückstisch setzte und ihr auch noch gut gelaunt einen Guten Morgen wünschte.
»Dir auch einen Guten Morgen. Seit wann stehst Du am Samstag Morgen so früh auf?« Sie bot ihm Kaffee an.
Paul lächelte verlegen. »Maria tritt heute mit ihrer Musikgruppe im Kurpark auf. Und ich möchte nicht zu spät sein.«
Zunächst freute sich Pauls Oma über das kulturelle Interesse ihres Enkels. Doch als sie ihn ansah, war ihr klar, dass er wegen Maria dort hin ging und nicht wegen der Musik. Sie lächelte.
»Und außerdem«, Paul hatte das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen, während er sich ein Brötchen schmierte, »bin ich ja gestern bei der Probe eingeschlafen und habe gar nicht gehört, was sie so spielen.«
Seine Oma blickte zweifelnd. »Es ist Dein schlechtes Gewissen, nicht wahr.«
Paul blickte seine Oma etwas erstaunt an. »Das auch.« Er grinste und ließ sich sein Brötchen schmecken.
»Wann beginnen sie denn?« wollte seine Oma wissen.
Paul blickte auf die Uhr. »Sie fangen um zehn an. Aber ich möchte Maria von daheim abholen. Und sie werden schon um neun Uhr losgehen.«
Pauls Oma hörte den Seufzer. »Ihre Erzieherin wird auch dabei sein?«
Paul blickte sie etwas unglücklich an. »Nie ist Maria mal allein. Immer ist diese Mrs. Potter dabei.«
Selma war über diese Erzieherin gar nicht so unglücklich, denn so wurde die Liebe ihres Enkels etwas gebremst und gleichzeitig auch geprüft. Doch das würde er nicht verstehen.
»Was soll ich denn anziehen?« Er musste zugeben, das er noch nie auf einem Kurkonzert war.
Seine Oma kannte diese Konzerte. »Da sind häufig die Kurgäste, und die sind ganz normal angezogen. Bleib so wie Du bist.«
Paul war erleichtert.
Selma blickte ihn an. »Ich würde Deine Maria gern mal kennenlernen.«
Paul blickte sie recht unsicher an. »Sie wird von Mrs. Potter aber sehr unter Kontrolle gehalten.«
»Du würdest mir einen großen Gefallen tun.«
Paul dachte an das naheliegende. »Und wenn Du einfach mit zum Konzert kommst?«
»Das geht nicht, ich bin heute vormittag schon im Bastelkreis.«
»Schade«, Paul bedauerte es, denn das wäre einfach gewesen. »Ich versuche zu fragen.« Er musste an Marias Erzieherin denken. »Aber ich weiß nicht, ob ich den Mut dazu aufbringe.«
* * *
Pauls Herz klopfte laut, als er vor Marias Haus stand und wartete. Sie hatten ausgemacht, dass er sie abholen sollte, doch Paul wusste nicht, ob es schicklich war, bis zur Haustür zu gehen oder draußen auf der Straße zu warten.
Er blickte zu dem Haus hinüber und fragte sich, hinter welchem der Fenster Maria wohl schlafen würde. In Gedanken ging er noch einmal durch das Haus, doch er wusste bisher nur, wo Marias Arbeitszimmer war. Dieses lag allerdings mit dem Fenster zur anderen Seite, so das er es nicht sehen konnte.
Sein Blick ging Richtung Himmel, und als er ein einziges Blau sah, freute er sich über das für das Konzert perfekte Wetter. Es würde hoffentlich bis Mittag wohl auch nicht zu heiß werden. Es könnte ein schönes Konzert werden.
In der Stadt war es um diese Zeit noch ziemlich ruhig. Immerhin war Wochenende, und nur wenige mußten früh aufstehen. Er fragte sich, ob denn um die Zeit auch genügend Zuhörer kämen. Doch ihm war versichert worden, dass sich bei den Konzerten viele Kurgäste einfanden, weil diese am Samstag Morgen keinerlei Anwendungen hatten. Diese Konzerte seien immer sehr gut besucht gewesen. Paul hoffte, dass es auch heute so wäre. Insgeheim war er sehr gespannt, wie Maria sich machen würde.
Die Haustür ging auf und Paul hielt unbewußt aber reflexartig den Atmen an. Doch zunächst verstand er nicht, was sich da aus der Tür ins Freie schob. Erst als er Marias Gesicht sah, begriff er und er erkannte, dass Maria einen dieser großen Reifröcke trug, wie er sie aus den Sissi-Filmen noch gut in Erinnerung hatte. Sein Herz klopfte noch etwas lauter, zumindest hatte er das Gefühl, dass es so wäre.
Aber sah er gleich darauf, dass auch Marias Erzieherin hinter ihr aus dem Haus trat. Ein wenig war er enttäuscht, denn er hatte gehofft, mit Maria allein sein zu dürfen. Doch er hatte schon damit gerechnet, dass er sich mit Mrs. Potter auseinander setzen musste. Diese hatte allerdings wegen der Probe gestern ein schlechtes Gewissen, auch wenn sie es niemandem eingestehen würde, und deswegen wollte sie bei Marias Auftritt auf jeden Fall dabei sein.
Es fiel ihm auf, das Maria ihren Kopf scheinbar brav gesenkt hatte. Aber als ihre Erzieherin die Haustür verschloß, nutzte Maria die Gelegenheit und hob kurz ihren Kopf. Sie war erfreut, als sie Paul erblickte, und er sah, wie sie kurz ihren Unterarm hob, um ihm zuzuwinken. Paul freute sich auch sehr über diese kleine Geste.
Je näher Maria kam, desto nervöser wurde Paul. Und es war ihm nicht klar, ob Mrs. Potter diesen Effekt verstärkte oder abschwächte. Aber die Freude auf Maria überwog.
Er konnte immer mehr Details ihres Kleides ausmachen. Der Reifrock hatte einen sehr großen Durchmesser. Wie sonst auch machte Maria nur sehr kleine Schritte und Paul fragte sich, ob er wohl einmal erfahren würde, warum dies so war. Ihr Taille war hingegen sehr schlank und kam durch das eng anliegende, hinten geschnürte Kleid sehr schön zur Geltung, und Paul fühlte sich noch mehr in die Sissi-Zeit hineinversetzt. Maria sah in dem Kleid wirklich wie eine Prinzessin von damals aus.
Schließlich stand sie vor ihm, und auch ihre Stimme zur Begrüßung war etwas leiser als sonst. »Ich freue mich, dass Du gekommen bist.« Sie reichte ihm schüchtern die Hand, und es fiel Paul schon auf, dass sie dabei nur ihren Unterarm bewegte.
Er musste sich weit vorbeugen, um ihre Hand zu erreichen. Im ersten Moment hielt er es für unhöflich, doch dann schalt er sich einen Narren und suchte verstohlen nach der eigentlichen Ursache. Sein Blick fiel auf Marias Schulterumhang. Er sah zwar ziemlich verspielt aus, doch auf den zweiten Blick erkannte er, das dieser Umhang bis zu den Ellenbogen reichte und nirgends so etwas wie einen Schlitz hatte.
Zudem saß er ziemlich eng und auf einmal war Paul klar, das dieser so zärtlich verspielte Umhang in Wirklichkeit Maria die Bewegungsfreiheit der Oberarme nahm. Zwei Knöpfe hielten den Umhang geschlossen und hätte Paul genauer hingesehen, hätte er entdeckt, das der untere Knopf schon deutlich auf Spannung saß. All dies nahm Paul in einem kurzen Augenblick wahr, während ihm bewusst wurde, dass sie ihre ergriffene Hand nicht ausstrecken konnte. Inspiriert von ihrem schönen Kleid und vielen alten Filmen drehte er ihre Hand sanft auf die seine, verbeugte sich und deutete einen perfekten Handkuß an.
Maria blickte ihn erstaunt an und errötete tief, machte dann geistesgegenwärtig einen ebenso perfekten Knicks.
»Es ist schön, dass Du uns begleiten möchtest.« Die Stimme von Marias Erzieherin ließen Paul aufschrecken.
Verlegen blickte Paul auf und reichte auch ihr die Hand für einen guten Morgen Gruß.
Sie wünschte Paul auch einen guten Morgen und blickte dann auf Maria. »Was sagst Du zu Marias Kleid? Sieht sie darin nicht toll aus?«
Maria blickte ihre beiden Begleiter erstaunt an.
Paul konnte nur mit dem Kopf nicken, während seine Augen Bände sprachen. Er war von Maria in dem tollen Kleid mehr als hingerissen. Es fiel ihm dabei nicht auf, dass ihre Erzieherin auf einmal gar nicht mehr so streng wirkte wie sonst.
Mrs. Potter unterbrach die geheimnisvolle Spannung. »Dann laßt uns gehen.«
Marias Blick suchte Paul und schien ihn zu ermutigten, neben ihr zu gehen.
Mrs. Potter genügte es, hinter den beiden her zu gehen. Pauls Gefühle wirbelten in diesen Augenblick ziemlich durcheinander. Er genoß die Nähe von Maria, aber gleichzeitig machte es ihn nervös, dass ihre Erzieherin direkt hinter ihnen war.
Wieder ging Maria nur sehr langsam, und Paul fragte sich, ob er wohl irgendwann das Geheimnis ihrer kleinen Schritte entdecken würde.
Auf einmal nahm Maria ihre Tasche von der rechten in die linke Hand, und dabei fiel ihm auf, das sie wohl nicht ganz leicht sein würde. Er erinnerte sich an gestern Abend und überlegte, dass sie wohl mindestens ihre Flöte und ihren Noten samt Ständer darin haben würde.
Paul versuchte, seiner Stimme einen sehr höflichen Ton zu geben und fragte, ob er Maria die Tasche tragen sollte.
Maria wusste im ersten Moment nicht, was sie antworten sollte. Auf der einen Seite wäre es ihr mehr als recht gewesen, andererseits hatte sie auch ihren Stolz und ließ sich nicht gern helfen.
Doch ihre Erzieherin nahm ihr die Entscheidung ab. Auch ihre Stimme klang recht freundlich »Das ist sehr nett von Dir, Paul. Maria freut sich sicher darüber.« Trotzdem schwang ein gewisser Befehlston in ihrer Stimme mit, der keinen Widerspruch duldete.
Maria reichte ihm die Tasche und flüsterte ein leises »Dankeschön« dazu. Sie vermied es in diesem Moment, ihn anzusehen.
* * *
Auf einmal wurde Maria noch langsamer als sie ohnehin schon ging und schließlich blieb sie stehen. Paul verstand erst nicht, doch dann blickte er zu Boden und erkannte die beiden Stufen, die er sonst nicht einmal wahrgenommen hätte, weil sie für ihn einfach kein Hindernis darstellten. Doch Maria schienen sie aufzuhalten.
»Paul, magst Du Maria bei den Stufen helfen?« Mrs. Potter hatte es zwar als Frage formuliert, aber wie üblich wagte Paul keinen Widerstand, sondern war sofort bereit, der Bitte nachzukommen. Doch er wusste nicht, wie er ihr helfen sollte.
Marias Erzieherin schien Pauls Bereitschaft zu spüren. Sie ermutigte ihn. »Reiche Maria die Hand, dann kann sie sich festhalten und schafft die Stufen.«
Paul folgte der Bitte und spürte gleich darauf, wie sich Marias Finger zärtlich um die seine Hand schlossen.
Er war glücklich und doch auch bemüht, Maria bei den Stufen eine echte Hilfe zu sein. Auch wenn er immer noch nicht wusste, wodurch Maria so sehr eingeschränkt war.
Sein Blick richtete sich auf die kleinen Stufen und er half erst Maria eine Stufe hinauf, bevor er selber einen Schritt nach oben ging.
Nach den zwei Stufen spürte Paul, wie Maria seine Hand kurz etwas fester drückte und er nahm dies als Signal, nicht loszulassen, wie er es eigentlich vorhabt hatte. Selbst Mrs. Potter, die weiter hinter ihnen her ging, konnte ihn durch ihre Anwesenheit nicht mehr dazu bringen, Maria von sich aus loszulassen. Marias stille Bitte war stärker.
Doch zu seiner großen Überraschung war die Erzieherin mit dem Händchenhalten einverstanden. Pauls anfänglich große Nervosität wich langsam, und er traute sich, Maria zu sagen, wie schön sie in dem Kleid aussah. »So schön wie Sissi.«
Maria lächelte ihn an, doch sie schwieg. Aber Paul spürte, wie sich ihr Händedruck wieder für einen Moment fester anfühlte. Er war glücklich.
Marias Stimme war ziemlich leise und Paul war nicht klar, ob sie schüchtern war oder ob es nur ihre Erzieherin nicht hören sollte. »Danke, dass Du mich gestern zur Probe begleitet hast.«
Paul wusste nicht, was er sagen sollte. Er blickte sie liebevoll an. Aber er hoffte, dass Maria nicht nach den Stücken fragen würde. Er wollte ihr nicht sagen, das er eingeschlafen war.
So gingen sie schweigend weiter. Die Bühne im Kurpark war schon in Sichtweite, und Paul wusste, dass er Maria wieder loslassen musste. Doch er ließ es sich nicht nehmen, Maria bis zu ihrem Stuhl auf der Bühne zu führen. Dank seiner Hilfe hatte Maria auch mit den wenigen Stufen kein Problem.
Er stellte die Tasche auf den Stuhl und blickte Maria fragend an.
Maria bedankte sich liebevoll und sagte Paul, dass sie jetzt ihre Sachen aufbauen würde.
Er wünschte ihr noch mal einen schönen Auftritt und Maria bedankte sich für die Hilfe. Dann ließ sie seine Hand los.
* * *
Paul war sehr erstaunt, dass er erst in der dritten Reihe ein paar freie Plätze vorfand. Anscheinend waren diese Konzerte sehr beliebt. Es freute ihn für Maria, dass ihre Musikgruppe ein so zahlreiches Publikum hatte.
Er blickte wieder zur Bühne. Die anderen Musiker waren angekommen. Auch die anderen Musikerinnen trugen so ein Reifrock-Kleid. Es sah toll aus. Doch zu Pauls Überraschung waren die anderen Kleider schulterfrei, und als er dies sah, blickte er noch einmal erstaunt zu dem Stuhl auf dem Maria Platz genommen hatte.
Maria hatte schon ihren Notenständer aufgebaut und hatte ihre Noten darauf gelegt. Sie hielt ihre Unterarme etwas seltsam vor ihre Brust, und Paul brauchte einen Moment, bis er erkannte, was Maria da machte. Sie schien den unteren Knopf ihres Umhanges mit den Armen gerade so erreichen zu können. Erst als sie ihn geöffnet hatte, schienen ihre Arme auch mehr Freiheit zu haben. Paul begriff erst in diesem Moment, wie viel Einschränkungen von diesem einfachen Umhang ausgingen.
Sie griff zum Knopf direkt an ihrem Hals und öffnete auch diesen. Fast etwas zögernd zog sie sich den Umhang von den Schultern. Paul hielt den Atem an, als er Maria jetzt in dem schulterfreien Kleid sah. Sie sah wirklich toll aus. Er war so sehr fasziniert, dass er gar nicht wahr nahm, wie sich Marias Erzieherin neben ihn setzte.
* * *
Das Konzert mit der historischen Musik begann. Diese Art von Musikstil kannte Paul überhaupt nicht, doch er gefiel ihm sehr gut. Dies lag natürlich zu einem großen Teil an Maria.
Fritz, der Leiter der Gruppe, hatte die Stücke allerdings auch bewußt gut ausgesucht. Das Publikum war sehr zufrieden und es gab reichlichen Applaus.
Zuerst hatte Paul sich erschrocken, als er Mrs. Potter neben sich sitzen sah. Doch es schien, als hätte sie in diesem Moment all ihre Strenge abgelegt. Sie war von Marias Auftritt genauso angetan wie Paul es war.
Im einem Stück hatte Maria ein kleines Solo zu spielen. Paul war dabei sehr stolz auf Maria. Und auch Marias Erzieherin war anzusehen, dass sie mit ihrem Schützling mehr als zufrieden war. Sie beugte sich zu Paul hinüber, und zu seiner Überraschung zeigte sie auf einmal Gefühle. »Macht sie das nicht toll? Und das mit dem strengen Korsett.«
Paul war sehr verwundert und im ersten Moment wusste er nichts zu antworten. Doch dann fing er sich und konnte ihr zustimmen, wenn auch mit etwas belegter Stimme. Aber er wusste nicht, wie er den Satz mit dem Korsett einordnen sollte.
Fritz kündigte mit dem nächsten Stück eine kurze Pause an und dann könnten sich die Zuhöhrer auf andere Melodien freuen, soviel verriet er schon.
* * *
Eigentlich mochte er diese Musik überhaupt nicht. Doch der Baron wusste, das es für ihn kaum noch eine andere Möglichkeit gab, und so zwang er sich, dem Konzert zu folgen. Immer wieder schaute er auf die kleine zarte Gestalt der Flötistin. Es war ziemlich offensichtlich, dass sie ein strenges Korsett trug. Außerdem hatte er die Berichte ihrer Mutter an das Konsortium gelesen. Sie trug auch sehr oft und mit großer Begeisterung diesen seltsamen Handschuh, der die Arme auf den Rücken fesselte. So hatten es ihm alle die Personen berichtet, die er in den Haushalt geschickt hatte.
Er seufzte innerlich. Wie einfach hatte das noch vor sieben Jahren ausgesehen. Seine Tochter war auserkoren worden, die nächste Katerina zu spielen, und er hatte voller Stolz und Vorfreude das Amt des Vorsitzenden des Festausschusses angetreten. Damals freute sich Sophie noch auf die Aufgabe, und selbst die Aussicht, über drei Tage die Arme gefesselt tragen zu müssen nahm ihr nichts von der Begeisterung. Es war einfach Bestandteil der Rolle, und bisher hatte es auch noch nie jemand in Frage gestellt.
Seine Frau fehlte ihm sehr. Er wusste, dass ihr Tod der Ursprung der darauf folgenden Entwicklungen war. Ihr guter Rat bei seinen geschäftlichen Entscheidungen fehlte ihm sehr, und mit ihr an seiner Seite wäre er auch nicht in diese Schieflage geraten, aus der er jetzt verzweifelt versuchte herauszukommen. Seine Tochter hatte es noch schlimmer getroffen, sie hatte durch den Tod ihrer Mutter völlig den Halt verloren. Gerade in der schwierigsten Pubertätsphase verließ die Baronin ihre Tochter für immer. Sophie kam nicht darüber hinweg, und sie entglitt komplett der Kontrolle ihres Vaters. Sie feierte nur noch Parties mit ihren Freundinnen, gab massenhaft Geld aus und begann ein wildes Lotterleben zu führen.
Eigentlich konnte ihm seine Tochter gleichgültig sein, denn der Ruf seiner Familie war sowieso schon ruiniert, und es gab eigentlich nichts mehr zu verlieren. Doch dann hatte der Baron in den Unterlagen zum Katerinenfest diesen Hinweis gefunden, und er wusste, das konnte seine Rettung sein. Doch ihm war auch sofort klar, dass seine Tochter dies nie schaffen würde. Er wusste, dass es nur eine Darstellerin für die Katerina geben konnte. Nur eine war vielleicht in der Lage, dieses Kunststück zu schaffen.
* * *
Der erste Teil des Konzertes war vorbei, und die Musiker hatten sich die Pause redlich verdient.
Maria hatte ihre Flöte vorsichtig und sorgfältig in den Kasten gelegt, dann stand sie auf. Sie kämpfte innerlich mit sich selbst. Einerseits wäre sehr gern sofort zu Paul und ihrer Erzieherin hinüber gelaufen. Andererseits geziemte sich dies für eine Prinzessin überhaupt nicht, und immer wenn sie dieses tolle Kleid trug, erinnerte sie alles an die damalige Zeit, und sie träumte einen verklärten Traum. Außerdem wusste sie, dass sie wegen diesen Dingern nur kleine Schritte machen konnte. Sonst störte sie das ja auch nicht.
Paul war mittlerweile aufgestanden und hatte gerade erst aufgehört zu klatschen. Auch Mrs. Potter zeigte ihre Begeisterung über das sehr gelungene Konzert. Beide spürten unabhängig voneinander das Verlangen, Maria entgegenzugehen, und ohne dass sie sich abgesprochen hätten, gingen beide in Richtung Bühne, wo Maria gerade sehr vorsichtig die Stufen der kleinen Treppe hinabging.
Marias Augen glänzten, als sie zu Paul und Mrs. Potter herüber kam. Doch auch hier musste Maria kurz warten, bis sie von Mrs. Potter angesprochen wurde. »Ihr habt sehr schön gespielt.« Die Stimme von Mrs. Potter klang seltsam ergriffen.
»Ich danke Euch« sagte Maria mit einem Knicks und einem strahlenden Lächeln. Sie freute sich sichtlich über das Lob.
Paul war noch dabei zu überlegen, wie er Maria seine Begeisterung ausdrücken sollte, als ihre Runde gestört wurde. Ein fremder Mann trat zu ihnen. Zumindest war er Paul unbekannt. Mrs. Potter schien ihn zu kennen, und soviel hatte Paul sofort erkannt, sie schien ihn nicht zu mögen. Doch der Herr ließ sich davon nicht abhalten. Er wünschte der Runde einen guten Tag, doch er vermied es, jemanden die Hand zu reichen.
Obwohl Paul den Herrn nicht kannte, spürte er doch, wie sehr sich die Stimmung bei Maria und vor allem bei ihrer Erzieherin veränderte.
»Was wollt ihr, Baron?« Die Stimme von Mrs. Potter klang so kalt, das Paul zusammenzuckte, obwohl er doch gar nicht angesprochen war.
Dem Baron schien diese Kälte nichts auszumachen. Er wusste, dass er nur wenig Zeit hatte, und die wollte er ausnutzen. »Ich hätte etwas mit Maria zu besprechen. Wann darf ich denn einmal zu Besuch kommen?«
Marias Erzieherin, an die diese Frage gerichtet war, musste nicht lange überlegen. »Ihr könnt sie morgen nach dem Gottesdienst beim Kirchenkaffee treffen.« Ihre Stimme hätte dabei nicht abweisender klingen könnte. Sowohl Paul als auch Maria zitterten beim Klang der Stimme. »Ihr wisst ja hoffentlich, wo das ist?« Obwohl sie genaugenommen nur eine Frage gestellt hatte, schwangen darin doch einige Vorwürfe mit.
Doch dem Baron schien es nichts auszumachen. Er bedankte sich für die Einladung, die in Wirklichkeit keine war, und ließ die drei wieder allein.
Paul traute sich kaum, wieder in die Runde zu sehen. Sehr deutlich spürte er die veränderte Stimmung, und jetzt fand er keinen Mut mehr, um etwas zum Konzert zu sagen.
Dafür sah er, dass Mrs. Potter sichtlich aufgebracht war. »Der kommt mir nicht mehr ins Haus. Womöglich bringt er auch noch seine mißratene Tochter mit.« Dass sie ihm damit eigentlich Unrecht tat, wusste sie vermutlich, doch es war ihr in diesem Moment herzlich egal.
Paul und Maria blickten sie erstaunt an.
Mrs. Potter hatte trotz ihrer Rolle das Bedürfnis, sich rechtfertigen zu müssen. »Ich mag die Familie nicht. Sie erwarten immer, dass man sofort springt. Der Vater genauso wie die Tochter. Wobei die Sophie noch viel schlimmer ist.«
Carla und Fritz kamen vorbei und gratulieren Maria zu ihrem schönen Flötenspiel.
Maria war nur in der Lage, höflich, aber dankbar zu lächeln.
Carla berichtete, dass alle Musiker vom Kurhaus zum Mittagessen eingeladen waren. »Es wäre schön, wenn Maria mitkommen könnte.«
Maria blickte kurz ihre Erzieherin an, und als diese wohlwollend nickte, drehte sich Maria wieder zu Carla und sagte, dass sie mitkommen würde.
Carla blickte auf Uhr über der Bühne und erinnerte Maria daran, dass sie gleich wieder auf die Bühne müßten.
* * *
Mrs Potter reichte Paul die Speisekarte und blickte ihn aufmunternd an. »Was magst Du essen? Ich lade Dich ein.«
Er nahm die Karte in die Hand und bedankte sich höflich. Er versuchte ruhig zu erscheinen, doch innerlich war er sehr aufgewühlt. Er hatte immer noch großen Respekt vor Marias Erzieherin, auch wenn diese im Moment überhaupt nicht streng auftrat.
Er ahnte nur, wie es Maria ergehen musste.
Mrs. Potter war es, die zuerst Gefühle zeigte. »Maria hat wirklich toll ausgesehen. Mit diesem schönen Kleid.«
Paul blickte sie erstaunt an. Im ersten Moment wusste er gar nicht wie ihm geschah. Doch dann stimmte er ihr begeistert zu.
Eine Bedienung kam vorbei und nahm die Getränke auf.
Pauls Gedanken schwebten immer noch bei dem Konzert. Der zweite Teil hatte ihm sehr gut gefallen, und er war entschlossen, Maria noch einmal seine Begeisterung auszudrücken.
Der Arrangeur der Musikgruppe hatte seine Aufgabe sehr gut gelöst. Trotz der historischen Instrumente und der eingeschränkten Klangmöglichkeiten war immer sofort zu hören, welches Stück sie gerade spielten. Sei es Abba, die Beatles oder aktuelle Schlager.
Paul glaubte auch gesehen zu haben, das die modernen Stücke den Musikern mehr Spaß gemacht hatten. Er nahm sich vor Maria danach zu fragen.
Die Bedienung fragte nach den Essenswünschen. Sie bestellten.
Bei Mrs. Potter war die Stimmung bei seit dem Besuch des Barons sehr verwandelt.
Paul wollte seinen Eindruck wiedergeben. »Der Baron sah ziemlich verzweifelt aus, fand ich.«
Im ersten Moment wollte Mrs. Potter abwiegeln und ihren Vorurteilen nachgeben, doch dann blickte sie Paul nachdenklich an. »Mit der Baronin wäre es nicht so weit gekommen. Die hätte sie unter Kontrolle behalten.«
Jetzt war es an Paul verwundert zu schauen.
»Die Baronin ist vor einigen Jahren gestorben.« Sie seufzte. »Leider viel zu jung.« Das Bedauern in ihrer Stimme war ehrlich. »Wenn sie noch leben würde, dann wäre es nicht so gekommen, wie es heute ist.«
Paul hörte interessiert zu, doch er wusste nichts zu antworten.
»Hättest Du heute Nachmittag bis zum Abend Zeit?« Sie wechselte abrupt das Thema.
Paul hatte gehofft, die angesprochenen Zeit mit Maria verbringen zu können. Aber er wollte ehrlich sein. »Ich habe noch nichts vor.«
»Wie sieht es am nächsten Wochenende aus? Hättest Du dort auch Zeit?« Ihr Blick war etwas forscher geworden.
Paul hatte das Gefühl, ehrlich zu sein, aber doch auch seine Wünsche äußern zu sollen. Ihm war nur selbst nicht klar, wo er den Mut dafür hernahm. »Ich wollte vielleicht etwas mit Maria unternehmen.« Er schaffte es nicht, sie nach diesem Satz anzusehen. »Wenn sie darf.«
»Ich freue mich, dass Du so ehrlich bist.« Ihre Stimme klang auf einmal viel liebevoller. »Du sollst ihr nämlich bei ihrem Schönheitsprogramm helfen.«
Paul wurde hellhörig. Würde er vielleicht endlich etwas von Marias Geheimnissen lüften können?
»Ich freue mich sehr.« Er hatte den Kopf wieder erhoben. Doch dann wurde er unsicher. »Was muss ich denn tun?«
»Das würden Maria und ich Dir heute abend gern zeigen.« Ihre Stimme klang auf einmal ziemlich geheimnisvoll. »Du kommst doch heute noch mal wegen der Nachhilfe vorbei, oder?«
Es gefiel Paul gar nicht, jetzt an die Schule erinnert zu werden. Doch er bemühte sich, seine schlechten Gedanken hinunter zu schlucken. Er nannte die Uhrzeit, die sie ausgemacht hatten.
»Nimm dir einfach viel Zeit, dann zeigen wir Dir, was wir von Dir erwarten.«
Das bestellte Essen kam.
* * *
Paul nahm seine Mathematikbücher und packte sie in seine Tasche. Er freute sich sehr auf den Nachmittag, denn er war mit Maria verabredet. Sie wollten noch einmal den Stoff für die Mathearbeit besprechen. Und irgendwie hoffte Paul, dass sie vielleicht auch wieder diesen seltsamen Handschuh tragen würde.
Es war Paul gar nicht so genau klar, warum er dieses seltsame Ledergebilde so faszinierend fand. Doch wenn Maria den Handschuh trug, hatte sie eine besondere Ausstrahlung. Und sie war ziemlich hilflos, weil sie ihre Arme nicht benutzen konnte.
Er wusste immer noch nicht genau, warum Maria dies tat. Sie sagte zwar immer dass sie trainieren müsse, aber nicht wofür. Er wusste bisher nur, dass sie irgendetwas für ihre Mutter zu tun hatte.
Er verabschiedete sich von seiner Oma und sagte ihr, dass es vielleicht etwas länger dauern würde. Mit leichtem Herzklopfen ging er los.
Um sich ein klein wenig abzulenken, ging er in Gedanken noch einmal den Stoff für die Arbeit durch. Doch ständig hatte er dabei das Bild von Maria vor Augen, wie sie mit dem Handschuh vor dem Schreibtisch stand.
Er wusste auch nicht, was ihm jetzt wirklich lieber wäre. Auf der einen Seite würde er es natürlich begrüßen, wenn Maria die Arme frei hätte und sie die Aufgaben selbst lösen konnte. Auf der anderen Seite war er von Marias Hilflosigkeit seltsam fasziniert und er freute sich auch schon darauf, mit ihr die Matheaufgaben zu lösen.
* * *
Wie üblich stand Mrs. Potter schon in der Tür, als Paul auf das Haus zuging. Unbewußt versuchte Paul, einen Schritt schneller zu gehen. Er hatte immer noch großen Respekt vor Marias Erzieherin.
»Schön, dass Du gekommen bist.« Sie gab sich Mühe, ihrer Stimme einen weichen Klang zu geben. »Maria erwartet Dich schon.« Sie reichte Paul die Hand.
Paul war von liebevollen Begrüßung etwas überrascht. Auch war ihr Händedruck diesmal nicht ganz so stark, hatte er den Eindruck. Er wünschte ihr einen Guten Tag. Diesen Gruß erwiderte sie wohlwollend.
»Den Weg kennst Du ja.« Sie bat ihn ins Haus und blickte ins Treppenhaus.
Als er die Stufen hinauf ging, wurde sein Herzklopfen noch stärker. Mit jedem Schritt wuchs seine Anspannung.
Maria schien ihn gehört zu haben, denn ihre Stimme war schon im Flur zu hören. »Hallo Paul, schön dass Du kommst. Du mußt mir unbedingt mit diesem Winkel hier helfen.«
Es freute ihn sehr, Marias Stimme zu hören. Er trat in ihr Zimmer ein und war im ersten Moment etwas enttäuscht. Maria trug die Sachen, die sie sonst auch in der Schule trug. Die langen Stiefel, den Rock, der bis kurz über die Stiefel reichte, und die strenge Bluse. Von dem Handschuh war nichts zu sehen. Doch als er Marias Gesicht sah, waren diese Gedanken auf einmal wie weggeblasen.
Er griff ihre Frage auf und ließ sich von ihr die Aufgabe zeigen, mit der sie Probleme hatte.
Er musste selbst auch erst einmal nachdenken, bevor er seiner Freundin helfen konnte. Unbewußt freute es ihn, das Maria jetzt schon mit etwas schwierigeren Aufgaben Probleme hatte. Die leichten Sachen schien sie begriffen zu haben.
* * *
Die Schritte von Mrs. Potter waren im Treppenhaus zu hören und Paul stellte sich darauf ein, dass sie sicher gleich in der Tür stehen würde. Seine Anspannung wuchs, und er spürte die gleiche Nervosität bei Maria.
Doch zu ihrer beider Überraschung trat Marias Erzieherin bewußt langsam und bedächtig in ihr Zimmer. Sie freute sich über die Nähe der beiden und ließ ihnen bewußt Zeit. Erst nach einem kurzen Moment machte sie sich bemerkbar. »Maria, es wird dann Zeit für Euer Training.«
Das verliebte Paar drehte sich langsam zu Mrs. Potter hin um. Beide blickten auf den Handschuh, den die Erzieherin in der Hand hielt.
Maria seufzte ganz leise. Sie wäre gern mit Paul allein gewesen, ohne dass sie ihr so aufwendiges Training durchführen musste. Sie zögerte etwas, so als ob sie das Anlegen noch etwas hinausschieben könnte, doch dann trat sie einen Schritt vom Schreibtisch zurück. Sie verkniff sich einen weiteren Seufzer und legte ihre Arme auf den Rücken.
Ohne das Paul so recht wusste warum, fühlte er einen Anflug von Angst vor dem was kommen sollte. Er hatte sich darauf gefreut, dass Maria den Handschuh tragen würde, doch wenn ihn jemand gefragt hätte warum er sich freute, dann hätte Paul keine Antwort gewußt. Doch jetzt war die Freude gewichen und hatte einem neuen Gefühl Platz gemacht, welches Paul noch nicht so recht einordnen konnte.
Zu seiner Überraschung ging Mrs. Potter auf ihn zu und reichte ihm den Handschuh. »Magst Du es mal allein probieren?«
Es war als liebevolle Frage formuliert, aber Paul verstand es so, wie es vermutlich gemeint war, als Befehl. Und er wusste, dass er ihm unbedingt nachkommen sollte. Er nahm das Lederbündel in die Hand und versuchte, es so in die Hand zu nehmen, wie er es für Marias Arme brauchen würde.
In Maria arbeitete es schwer. Eigentlich trug sie den Handschuh ganz gern, denn mit den weggeschnürten Armen war sie dann ja auch von jeglicher Arbeit befreit. Doch in Pauls Gegenwart wäre ihr Arbeit in Freiheit lieber gewesen.
Aber auf der anderen Seite war es für sie, so fand sie, das geringere Übel. Lieber würde sie von Paul in den Handschuh geschnürt werden als von ihrer Erzieherin in Pauls Gegenwart. Sie unterdrückte ihren nächsten Seufzer und drehte sich so, dass sie Paul ihre Arme auf dem Rücken anbot.
Paul war sehr nervös, dann begann er die Lederhülle an Marias Armen hoch zu ziehen.
»Oh, ich habe die Schlösser vergessen.« Mrs. Potter drehte sich um und ging langsam aus dem Raum. »Fangt doch schon mal an«, rief sie ihnen hinterher.
Maria war etwas erleichtert darüber, dass sie jetzt mit Paul allein war. Obwohl es für das Anlegen des Handschuhs vermutlich sinnvoller gewesen wäre, wenn sie dageblieben wäre. Denn Maria konnte nicht kontrollieren, wie der Handschuh auf ihrem Rücken auszusehen hatte. Aber wenn es ganz falsch wäre oder weh tun würde, dann würde sie es Paul schon sagen. Und ihre Erzieherin würde, wenn sie zurück käme, sicher auch noch einmal kontrollieren.
Ein wenig war Maria aber verwundert. Sie war doch sonst immer so sorgfältig. Warum sollte sie ausgerechnet heute die Schlösser vergessen. Das ergab einfach keinen Sinn. Maria vermutete eine andere Absicht dahinter, und der Gedanke freute sie um so mehr. Denn so hatte ihre Erzieherin erreicht, dass Paul sich ganz ungestört mit dem Handschuh vertraut machen konnte.
Maria hatte die Augen geschlossen und fühlte nur, wie der Handschuh auf dem Rücken langsam immer enger wurde. Es kribbelte in ihrem Bauch, und es fühlte sich auf einmal ganz anders an. Ob das an Paul lag?
Es kam ihr kurz der Gedanke, einmal mit ihrer Mutter zu reden. Es wäre doch toll, wenn Paul einen Teil ihres Programms übernehmen könnte. Doch gleich darauf verwarf sie die Idee wieder. Das würde ihre Mutter sicher nie erlauben. Aber sie würde sich Pauls Kontrolle gerne unterwerfen. Sie schluckte, als sie über das Wort nachdachte. »Unterwerfen?« Doch, genau das würde sie machen, wenn Paul sich um sie kümmern würde. Innerlich schüttelte sie den Kopf. Das konnte ja gar nicht gehen, Paul hätte bestimmt viel zu wenig Erfahrung.
Aber schön wäre es schon. Sie blickte ihn über die Schulter verliebt an.
* * *
Paul war bemüht, sich an alle Tipps von gestern zu erinnern, als er mit dem Handschuhanlegen anfangen durfte. Er konnte nur erahnen, wie streng dieses Programm für Maria war, und trotzdem war er bemüht, trotz der Strenge, die er jetzt ausüben musste, zärtlich zu sein.
Dennoch glaubte er in Maria einen gewissen Unwillen zu spüren und er bedauerte sie. Doch er wusste, dass er an ihrem Schicksal nichts ändern konnte. Genaugenommen hatte er ja überhaupt keine Ahnung davon, was Maria hier eigentlich machte.
Er warf noch einmal einen kritischen Blick auf die Schnürung, dann war er der Meinung, dass er fertig wäre. Er musste sich erst räuspern, bevor er fragen konnte. »Ich wäre dann dann soweit.« Seine Stimme war sehr leise. »Soll ich...« Er musste schlucken, » einen Knoten machen oder eine Schleife?«
Maria hatte die Augen geschlossen. Es schien als wollte sie den Sitz des Handschuh ganz vorsichtig prüfen, damit die noch ungesicherte Schnürung nicht wieder auf ging. Ihre Stimme war sehr leise. »Mach bitte eine Schleife.«
Paul sah, dass sie ein wenig die Arme bewegte.
»Ja, so ist es gut.« Ihre Stimme war noch leiser.
Paul war bemüht, oben am Handschuh eine schöne Schleife zu binden und damit die Schnürung des Handschuhs zu sichern.
»Hier ist die Schnürung noch zu weit auf, und hier ist es schief.« Mrs. Potter stand urplötzlich neben Paul und hatte die Schnürung begutachtet.
Paul war heftig zusammen gezuckt und machte einen sehr erschrockenen Eindruck.
Marias Erzieherin übersah dies. »Aber das könnt ihr heute so lassen.« Sie reichte ihm das erste der vielen Schlösser.
Paul war noch dabei, sich von dem Schreck zu erholen, als er sich damit befassen musste, Maria jetzt noch etwas sicherer in den Handschuh zu sperren. Es war ihm ein Rätsel, warum die Schlösser nötig waren. Maria hätte auch ohne diese zusätzlichen Maßnahmen keine Chance, von selber aus dem Handschuh heraus zu kommen. Doch er wusste, dass er auf eine Frage danach keine sinnvolle Antwort bekommen würde.
Nach dem er alle Schnallen mit je einem Schloß versehen hatte und sogar in die von ihm so kunstvoll geschnürte Schleife eines hatte stecken müssen, blickte er Mrs. Potter unsicher an. Er brachte nur ein leises und zweifelndes »Fertig« heraus.
Mrs. Potter sah kurz auf die Uhr und nahm ein kleines Notizbuch zur Hand, in das sie eine Eintragung machte. Dann blickte sie Paul und Maria liebevoll an. »Dann mal noch viel Erfolg bei der Mathematik.«
Dann verließ sie den Raum genauso schnell und unauffällig wie sie gekommen war.
* * *
Langsam drehte Maria sich wieder zum Schreibtisch und blickte auf die Zeichnung, die sie gerade noch angefertigt hatte. Auf einmal glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie drehte ihren Kopf zu Paul. »Ich habe den Fehler gefunden. Hier der Winkel ist falsch.«
Paul trat zu ihr, und noch bevor er darüber nachdachte, fragte er welcher. Er blickte interessiert auf die Zeichnung.
Wie schon am Tag zuvor nahm Maria einen Bleistift in den Mund und zeigte ihm eine Stelle auf der Zeichnung.
Paul bekam eine urplötzlich eine Gänsehaut. Es faszinierte ihn, wie selbstverständlich und natürlich Maria mit ihrem Monohandschuh umging. Ohne das er recht wusste, was er tat, streichelte er ihr über die verpackten Arme und blickte sie bewundernd er. »Du bist sehr tapfer.«
Maria blickte ihn verwundert an. »Das ist nett von Dir.« Sie lächelte erfreut und irritiert zugleich. »Aber jetzt laß uns Mathe machen.«
* * *
Mrs. Potter prüfte noch einmal, ob sie alles dabei hatte. Diesmal wäre es der Stimmung nicht zuträglich, wenn sie die beiden bei ihrem Vorhaben allein lassen würde. Sie hoffte, dass sie ihren Schützling gut genug kannte, um ihre Reaktionen vorher zu sehen. Denn sie wollte erreichen, dass Maria zusammen mit Paul einen schönen Samstag Nachmittag erleben sollte, der sie noch weiter zusammenschweißte.
Sie hatte von Marias Mutter in dieser Hinsicht freie Hand bekommen und trotzdem war sie unsicher, ob ihr Plan aufgehen würde. Andererseits hatte Paul sich schon gestern als sehr zuverlässig erwiesen.
Sie ging bewußt mit resolutem Schritt die Treppe hinauf, um sich bemerkbar zu machen. Ihre beiden Liebenden hatten jetzt genug für die Schule gelernt, jetzt sollten sie sich noch etwas entspannen vor der so schwierigen Nacht.
* * *
Paul spürte sofort die Stimmungsveränderung bei Maria, als die Schritte von ihrer Erzieherin auf der Treppe zu hören waren. Er ließ sich davon anstecken, obwohl er keine Vorstellung hatte, was jetzt kommen würde.
Doch es sollte für beide eine Überraschung werden, als Mrs. Potter das Zimmer betrat und gleich zu dem kleinen Extra-Tischchen ging. »Ich denke, ihr habt jetzt genug gelernt.« Sie versuchte ihre Stimme möglichst entspannt klingen zu lassen. »Ihr habt Euch ein wenig Unterhaltung verdient.«
Obwohl Maria sich noch nicht von der Matheaufgabe gelöst hatte, war ihrem Blick doch zu entnehmen, dass sie nicht wusste, was ihre Erzieherin vorhaben könnte. Doch dann erinnerte sie sich an ihre Erziehung und drehte sich vom Schreibtisch hin zu Mrs. Potter. Zu ihrem Erstaunen sah Maria, dass auf dem kleinen Tisch nicht nur ihr Cape, sondern auch ein Halskorsett lag. Unwillkürlich begannen ihre Augen zu leuchten.
»Wie wäre es mit einem Kino-Besuch?« Die Stimme der Erzieherin klang fast liebevoll.
Maria zeigte zum Erstaunen von Paul nur sehr wenig Begeisterung, und Paul fragte sich sofort warum. Vermutlich dachte Maria daran, dass ihre Erzieherin mit ins Kino gehen würde. Er sah dies in Gedanken schon vor sich. Mrs. Potter sicher in der Mitte, sowie links und rechts er und Maria. So zumindest könnte er Marias Stimmung erklären.
Doch die nächste Frage brachte Klarheit. »Ihr könntet mit dem Bus fahren und wärt noch rechtzeitig zur Nachmittagsvorstellung dort. Ich werde in der Zwischenzeit die Erdbeeren einfrieren.«
Auf einmal schien Maria aufzuwachen. »Ihr meint, ich dürfte allein... mit Paul...?« Ihre Augen begannen zu leuchten. Doch dann blickte sie zur Uhr und schien enttäuscht. »Aber mein Training dauert ja noch länger.«
Mrs. Potter schien mit dieser Antwort gerechnet zu haben. »Oh, ihr könnt aber auch im Kino trainieren.«
Es war Maria anzusehen, dass es in ihr arbeitete.
Ihre Erzieherin sprach weiter. »Ihr behaltet einfach das Cape an.«
Paul kam ins Grübeln. War das Cape normalerweise nicht sogar abgeschlossen? Er wunderte sich.
Maria blickte zwischen ihrer Erzieherin, dem Tischchen und Paul hin und her. Sie wusste immer noch nicht, woran sie war.
»Ich möchte es dir freistellen, diesen Nachmittag auch das Halskorsett zu tragen.« Mrs. Potter hatte die nächste ihrer Überraschungen ausgebreitet.
Maria war mehr als erstaunt. »Ihr meint, ich dürfte es tragen?« Sie machte eine Pause. »Ohne Gummisack?«
Mrs. Potter bestätigte. »Ohne.«
Paul war verwundert. Was hatte es wohl mit diesem Gummisack auf sich? Doch er ahnte, dass er danach besser nicht fragen sollte.
»Aber Paul muss versprechen, gut auf Dich aufzupassen.«
Auf einmal richteten sich beide Blicke auf Paul. Dieser war mehr als überrumpelt.
Paul verstand nicht so recht, was sie von ihm wollten. Aber er wollte auf keinen Fall Maria enttäuschen und versprach, gut auf Maria Acht zu geben. »Was muss ich denn alles beachten?«
Mrs. Potter blickte Paul. »Eigentlich hast Du es letztens schon ganz gut gemacht.« Es folgte eine schneller, aber böser Blick zu Maria. »Mit dem Halskorsett kann Maria nicht mehr vor sich auf den Boden schauen.«
Paul glaubte erkannt zu haben, auf was es ankam. Doch diesmal wollte er mehr wissen. Er nahm sich allen Mut zusammen und fragte: »Und welchen Zweck hat dieses Halskorsett?«
Mrs. Potter blickte Paul erstaunt an, doch dann entspannte sich ihr Blick. Sie nahm das Halskorsett und legte es Maria um den Hals. »Hast Du gesehen, dass Maria jetzt ihren Kopf etwas höher halten muss?«
Paul sah in diesem Moment eher nur in Marias leuchtende Augen.
«Es verleiht ihr eine stolze Haltung. Sie kann ihren Blick nicht senken, sondern muss allen immer stolz in die Augen blicken, wie eine Aristokratin«
Ohne das Paul groß nachdachte, entfuhr ihm ein »Sissi«.
Maria lächelte und wollte den Kopf zu ihm hindrehen. Dabei spürte sie sofort etwas den Widerstand des Halskorsetts. Ihre Stimme wurde etwas leiser. »Und ich kann meinen Kopf nicht mehr so drehen wie ich möchte.« In ihrer Stimme klang viel Begeisterung mit. »Aber im Kino braucht es das ja auch nicht.«
Da ihre Erzieherin das kleine Korsett nur zur Anschauung um Marias Hals gehalten hatte, gab es natürlich nach, als Maria ihren Kopf drehte. Mrs. Potter nahm es wieder ab und reichte es Paul. »Möchtest Du es Maria anlegen? Du weißt ja, wie es geht.«
Paul wurde rot, doch dann nahm er das kleine Korsett in die Hand. Natürlich wusste er noch wie es anzulegen war, wenn er auch letztens von Maria verbotenerweise dazu überredet worden war. Es war Paul schon lieber, dass es jetzt erlaubt war.
Trotzdem zitterte seine Hände ein klein wenig, als er seiner Freundin jetzt das Korsett um den Hals legte. Er wollte sich gerade auf die Suche nach der Schnur zum Verschließen machen, als Marias Erzieherin ihm diese auch schon anreichte. Er war etwas verwirrt und murmelte ein »Danke«.
Er wusste noch, wie er das Korsett schließen musste und da er ahnte, das Maria sich darüber freute, hatte er damit auch keine Probleme. Diesmal ging es sogar wesentlich schneller.
Doch als Mrs. Potter ihm wortlos wieder ein kleines Schloß reichte, musste er doch etwas schlucken.
Maria spürte sein Zögern und obwohl ihr das Sprechen schwer fiel, versuchte sie ihren Freund zu beruhigen. »Das ist schon in Ordnung so.« Es war zu hören, das sie durch Korsett ein klein wenig beim Sprechen behindert wurde.
Paul seufzte hörbar, dann brachte er das Schloß am Halskorsett an. Das leises »Klick« verursachte wieder eine Gänsehaut beim ihm.
Maria brachte ein sehr leises »Danke« über die Lippen. Als Paul um sie herum ging, sah er, dass ihre Augen strahlten. Er freute sich für seine Freundin. Es schien nicht allzu oft vorzukommen, dass sie so aus ihrem Alltag ausbrechen durfte.
Paul blickte noch einmal auf den kleinen Tisch. Dort lag nur noch Marias Cape. Er wusste, dass das Cape ein integriertes Schloß hatte, und wieder überkam ihn eine Gänsehaut. Er bewunderte Maria, wie gut sie mit all diesen strengen Regeln und Einschränkungen zurecht kam. Besonderen Respekt hatte Paul vor diesem seltsamen Handschuh, der Marias Arme auf ihrem Rücken gefangen hielt. Er gab ihr etwas sehr hilfloses, verletzliches, und Paul nahm sich vor, heute besonders gut auf sie aufzupassen. So etwas wie gestern bei den Steinen sollte nicht wieder vorkommen.
Das Rascheln des Cape riss ihn aus seinen Gedanken. Mrs. Potter hatte es vom Tisch genommen und hielt es vor sich hin. Sie blickte es prüfend an und wunderte sich. »Die Durchgriffe sind ja verschlossen?« Sie blickte Maria fragend an.
Maria sah ihre Erzieherin mit einer Mischung aus schlechtem Gewissen und Verliebtheit an. »Paul hat die zugemacht.« Sie drehte sich zum ihm hin und warf ihm einen Kußmund zu. »Er neckt mich damit.«
Mrs Potter blickte Paul erstaunt an. Paul hatte auf einmal ein schlechtes Gewissen. Doch zu seiner Überraschung wandelte sich ihr Blick von Erstaunen zu Bestätigung. »Das ist gut,« sprach sie mehr zu sich selbst als zu Paul.
Doch war es wichtig sein schlechtes Gewissen zu erleichtern. »Ich hätte ja auch gern noch das Cape zugebunden, wenn Maria Hosen tragen würde.« Er wurde rot und grinste beschämt, denn die Idee hatte er wirklich gehabt. Doch ob er wirklich den Mut gehabt hätte, Maria an den Beinen zu berühren, das bezweifelte er.
Doch zu seinem Erstaunen passierte etwas, mit dem er überhaupt nicht gerechnet hätte. Maria blickte Paul verblüfft an. Dann zeigte ein verwegenes Lächeln und drehte sie sich zu ihrer Erzieherin um. Paul entdeckte, dass sie sich irgendwie gerade aufrichtete. Dann blickte sie vor ihrer Erzieherin auf den Boden.
Diese schien dieses Signal sofort zu erkennen und war doch auch etwas überrascht. Sie drehte sich mit dem Körper zu Maria und kam der Bitte um Sprecherlaubnis nach. »Maria, ihr wünscht?«
Paul war von diesem Ritual mehr als erstaunt.
Marias Stimme klang nur sehr leise und doch glaubte Paul so etwas wie Übermut darin zu hören. »Es ist Wind angesagt.«
Marias Erzieherin war mehr als erstaunt. »Seit ihr sicher, das ihr das wirklich wollt?«
Ein sehr stolzer Blick war die Antwort.
»Gut, wenn ihr dies wirklich wollt.« In Mrs. Potters Stimme war noch viel Verwunderung zu hören. Doch dann hängte sie wie gewohnt das Cape um Marias Schultern und kniete sich vor sie hin.
Paul erwartete, das sie jetzt den Reißverschluß schließen würde, doch zu seinem Erstaunen löste sie die Bänder, die an der Innenseite des Capes angebracht waren und band diese an einem Ring fest, der plötzlich oberhalb von Marias Knie an ihrem Rock sichtbar wurde. »So haben wir die Bänder doch nicht umsonst angelegt.«
Paul wusste mit diesem Satz nichts anzufangen. Doch er sah sehr erstaunt zu, wie Marias Cape aus irgendeinem magischen Grund doch an ihren Beinen befestigt werden konnte.
Er hielt fast etwas die Luft an. Denn jetzt, so erkannte er mit einer seltsamen Faszination, war Maria wirklich in ihrem Cape gefangen. Sie hatte jetzt keine Möglichkeit mehr, es hoch zu ziehen und vielleicht an den Verschluß zu kommen. Diesen hätte sie vielleicht öffnen können, wenn er nicht abgeschlossen wäre. Auch die Möglichkeit, die Armdurchgriffe von aussen zu öffnen, stand Maria jetzt nicht mehr zur Verfügung.
Dann fiel ihm ein, dass ihre Arme ja sowieso in ihrem Handschuh gefangen waren, und so hätte sie sich auch ohne die Bänder nicht befreien können.
Er fragte sich, woran die Bänder jetzt festgebunden waren, doch er hatte keine Gelegenheit mehr, dort genauer hinzusehen, denn Marias Erzieherin machte jetzt auch den Reißverschluß des Capes zu. Gleich darauf hörte er das faszinierende »Klick«.
Marias Augen strahlten, als sich sie jetzt zu Paul hindrehte.
Jetzt tat es Mrs. Potter fast etwas leid, doch sie musste die Stimmung etwas dämpfen. Beide mußten erfahren, was für die schönen Nächte ausgemacht war.
»Margarete hat für das nächste Wochenende abgesagt.« Maria blickte ihre Erzieherin zunächst erstaunt an. »Ich habe Paul gefragt, ob er das nicht übernehmen möchte, und er hat zugesagt.«
Maria war im ersten Moment entsetzt ob dieser Nachricht. Ihre Stimme klang fast etwas erschrocken. »Nein, bitte nicht das...« Doch dann blickte sie Paul verlegen an und schien ins Grübeln zu kommen.
Ihre Erzieherin ahnte, was in ihrem Schützling vorging, und sie wollte sie gleich in die richtige Richting bringen. »Keine Widerrede, es ist schon alles ausgemacht.« Sie strich Maria kurz durch das Gesicht. »Ihr werdet das schon schaffen. Und jetzt viel Spaß im Kino.«
Zu Pauls Überraschung reichte sie ihm noch ein kleines Schlüsselbund und blickte ihn dabei ernst an. »In zwei Stunden ist Marias Training vorbei. Versprich mir bitte, das du sie nicht vorher aus dem Handschuh heraus läßt.«
Paul blickte genauso erstaunt auf den Schlüsselbund wie Maria.
* * *
Maria ging traurig neben Paul her. Sie machte nur kleine Schritte und ging langsam. Zum Glück war es nicht weit bis zur Bushaltestelle.
Paul ging nervös neben ihr. Er hätte ihr gern beim Gehen geholfen, doch den Arm um die Schultern wollte Maria nicht. »Das schaffe ich auch so.« Ihre Stimme hatte dabei recht schnippisch geklungen.
Paul spürte, dass er seine Freundin jetzt nicht bedrängen durfte. Sie schien irgendwie mit sich selbst zu kämpfen. Dabei hätte er so viele Fragen gehabt. Er wusste auch nicht, was er von der Ankündigung der schönen Nacht zu halten hatte. Auf der einen Seite war er sehr dankbar für jede Minute, die er mit Maria verbringen konnte. Auf der anderen Seite spürte er Marias Sorgen wegen seiner Aufgabe, und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte.
Er nahm Marias leichte Traurigkeit wahr und dennoch konnte er sie sich nicht so recht erklären. Er traute sich auch nicht, ein Gespräch anzufangen. Denn er wusste nicht, worüber er jetzt mit Maria reden sollte.
Trotzdem war Paul ziemlich aufgeregt, denn er war mit Maria allein. Auch wenn es ihm bewußt war, wie streng Maria doch unter Kontrolle stand. Er hörte noch das Klicken, mit dem Maria soeben noch in ihre Kleidung eingesperrt worden war. Und er wusste, dass diese Schlösser auch ihn aussperrten. Er hoffte, dass es im Kino nicht zu warm sein würde. Marias Cape war abgeschlossen. Paul bekam eine Gänsehaut, wenn er an die Strenge dachte.
Ihm gingen die Schlüssel durch den Kopf, die er bekommen hatte. Er wusste zwar nicht, wie weit er damit kommen würde, und ebensowenig, welcher Schlüssel welches der vielen Schlösser öffnen würde, doch es hatte etwas beruhigendes, die Schlüssel zu spüren. Doch ebenso fühlte er sich an das Versprechen gebunden, Maria frühestens nach zwei Stunden zu befreien.
* * *
Sie mußten nicht lange auf den Bus warten. Paul ließ Maria als zuerst einsteigen, dann ging er hinterher. Dabei fiel es ihm schon auf, wie schwer Maria sich dabei tat. Andererseits war er auch fasziniert von dem ungeheuren Stolz, den Maria ausstrahlte.
Nur für einen kurzen Moment wunderte er sich, warum Maria nicht ihre Hände benutze, dann fiel ihm beschämend ein, das sie ja ihren für ihn immer noch recht rätselhaften Handschuh trug. In ihm kam ein schlechtes Gewissen auf und ihm fielen die letzten Worte von Marias Erzieherin ein, als er kurz mit ihr allein gewesen war. ‚Paß gut auf Maria auf.‘ hatte sie gesagt. Sie sei oft sehr stolz und würde jegliche Hilfe ablehnen. ‚Doch im Bus mußt Du energisch sein. Maria wird das brauchen.‘ Dass der letzte Satz doppeldeutig war, dafür hatte Paul in diesem Moment allerdings keinen Blick gehabt.
Im Bus war kein Sitzplatz mehr frei. Es war Samstag kurz nach dem Mittag und es schienen alle in die Stadt zu wollen. Deswegen mußten beide stehen bleiben. Paul war dies gar nicht recht, doch er wusste, dass er daran nichts ändern konnte. Er hätte es gern gesehen, wenn Maria sich hätte hinsetzen können. Er blickte sie mit einer Mischung aus Mißtrauen und Vorsicht an. Es war Sommer, und obwohl es nicht allzu warm war, stach Maria mit ihrem Cape aus der Menge der Busfahrenden schon etwas heraus. Aber es nahm keiner Notiz von ihr. Paul überlegte mit einer Gänsehaut, dass sie bestimmt nicht das erste Mal auf diese Weise mit dem Bus fuhr.
Als der Busfahrer los fuhr, stand Paul dicht neben Maria und er spürte sofort, wie sie mit ihrem Gleichgewicht kämpfte. Jetzt erkannte er, was Mrs. Potter wohl gemeint hatte, und er legte seinen Arm um ihre Schulter. Mit der anderen Hand hielt er sich an einer der Stangen fest.
Paul spürte sofort, dass seiner Freundin diese Umarmung und die Nähe nicht recht waren, doch das ständige Ruckeln des Busses zeigte ihm die Notwendigkeit. Zudem waren ihm die Worte ihrer Erzieherin noch gut im Gedächtnis.
Marias Stimme war sehr leise, fast geflüstert. »Kannst du mich bitte loslassen? Ich kann schon selber stehen.« Sie klang sehr schnippisch.
Paul musste erst einmal schlucken. Ihm ging noch einmal durch den Kopf, was er Marias Erzieherin versprochen hatte. »Sie hat gesagt, dass ich Dich festhalten soll, und das werde ich machen. Auch wenn es Dir nicht recht ist.« Er hätte dies nicht gesagt, wenn er mit Maria wirklich allein gewesen wäre. Aber Mrs. Potter hatte ihm quasi die Worte in den Mund gelegt und ihm versichert, dass es das richtige für Maria sei.
Er blickte Maria zugleich neugierig und bestimmt an. Sie hatte die Augen geschlossen. Paul spürte, dass sie ihren ganzen Körper anspannte. Ihm kam es fast vor, als hielte er ein Brett fest.
Fast wäre es ihm unheimlich geworden, denn diese Reaktion hatte ihre Erzieherin ebenfalls vorher gesagt. Paul hoffte, dass diese auch weiterhin recht behalten würde.
Der Busfahrer war nicht besonders sanft in den Kurven sowie beim Anhalten und losfahren, so dass es Paul schon einige Kraft kostete, sie beide festzuhalten. Doch er wusste, was von ihm erwartet wurde.
Zu seiner großen Erleichterung entspannte Marias Körper sich spürbar, je länger sie nebeneinander standen. Paul vermied es jedoch, Maria ins Gesicht zu blicken, denn er wusste, das sie seinem Blick nicht ausweichen konnte, und das wollte er nicht ausnutzen.
»Nächste Station müssen wir aussteigen.« Marias Stimme stimmte war leise, und doch kam es Paul vor, als klänge kein Ärger mehr mit, sondern eher Zufriedenheit und Vorfreude. Er blickte sie erstaunt an.
Der Bus hielt und Paul half seiner Freundin die paar Stufen hinab. Zu seiner Überraschung blieb Maria stehen und drehte sich zu ihm hin. »Bitte halte mich weiter fest.« Sie lächelte schüchtern.
Paul fand keine Worte, als er Marias Bitte nachkam. Er spürte sofort, wie sie sich zärtlich an ihn schmiegte.
* * *
Die Kinobesitzerin Thea erwartete sie schon. »Ah, da seid ihr ja. Dorothea hat mir Bescheid gegeben, dass ihr kommt.«
Paul musste sich eingestehen, dass er nicht wirklich verwundert war.
»Wen bringst Du denn heute mit?« Thea blickte neugierig zwischen Maria und ihrem Freund hin und her.
Marias Stimme war etwas leise. »Das ist Paul, ein neuer Schüler.«
Es fiel Paul auf, das Maria vor Thea viel Respekt zu haben schien.
Mit einer Handbewegung gab sie ihnen zu verstehen, dass sie hinein gehen sollten. »Ich habe einen schönen Film für Euch ausgewählt. Der wird Euch gefallen.« Sie zwinkerte Maria zu.
Paul war schon etwas mißtrauisch, denn es war Zeit für die Familienvorstellung. Doch da er sich immer noch erhoffte, endlich einmal mit Maria allein zu sein, war ihm dies recht.
Sie betraten einen eher etwas kleineren Saal, und Paul stellte fest, dass schon ein paar Familien mit kleinen Kindern darin Platz genommen hatten. Paul war nicht wirklich verwundert darüber.
»Hast Du die Stange dabei?« Theas Stimme klang leicht besorgt.
Maria wies auf die Außentasche im Cape hin.
Thea nahm etwas aus der Tasche, dann strich sie Maria leicht über das Cape und fragte, ob sie es nicht ausziehen möchte.
Als Antwort seufzte Maria.
Doch Thea ließ nicht nach. »Oder willst Du es anbehalten?«
Maria brachte nur ein kurzes »Ja« über die Lippen.
Thea streichelte ihr zärtlich über die Wange. »Tapferes Mädchen.« Sie blickte in die Reihe mit den Kinositzen. »Am besten ist es Du setzt Dich dort hin, genau in die Mitte.«
Paul ging voraus und setzte sich neben Marias anvisierten Platz. Er sah, das Thea hinter Maria her ging und er wunderte sich.
Maria nahm ebenfalls Platz und richtete ihren Blick auf die Leinwand.
Die Kinobesitzerin hatte die Stange in der Hand begann, sie an dem Halskorsett anzubringen. Später wusste Paul nicht mehr, woher er in der Situation den Mut nahm, doch er protestierte. Irgendwie fand er es nicht richtig, das es für Maria jetzt noch strenger werden sollte.
»Was soll denn das?« Seine Stimme klang rau. »Maria ist doch schon so streng verpackt?«
Thea blickte Paul trotz seines spürbaren Ärgers liebevoll an. »Ich will es Maria ja einfacher machen.« Sie zeigte auf die Leinwand. »Siehst Du, wohin Maria schauen muss? Der Halskragen hält ihren Kopf aber zu tief und Maria müßte die ganze Zeit ihren Hals nach hinten drücken. Das wird ihr mit der Stange abgenommen und sie kann den Film genießen.«
Paul war auf einmal ganz kleinlaut und entschuldigte sich. »Das habe ich nicht gewußt. Entschuldigen sie bitte.« Es war ihm sichtlich unangenehm.
* * *
»Was hat denn die Tante am Hals?« eine helle Kinderstimme war deutlich im Saal zuhören.
Paul erstarrte. Es war ihm sofort klar, dass Maria mit ihrem Halskorsett damit gemeint war.
Als nächstes war die Stimme einer Frau zu hören. Es war vermutlich die Mutter. »Die hat ein ‚Aua‘ am Hals, deswegen muss sie einen Kragen tragen.«
Paul hörte teils mit Angst, teils mit Faszination zu. Er blickte zu Maria hinüber. Sie schien auch begriffen zu haben, dass es um sie ging. Doch er wusste, dass sie nicht wirklich etwas machen konnte. Es schien Paul, als zittere Maria ein wenig.
Es waren kleine Trippelschritte zu hören sowie die Stimme der Mutter. »Nein, Schatz, bleib hier«
Die Trippelschritte kamen näher. Paul beugte sich vor und erstarrte. Ein kleines blondes Mädchen war gerade dabei, auf den Sitz neben Maria zu klettern.
Doch zum Erstaunen von Paul und Maria stellte sich das kleine Mädchen neben Maria und pustete ihr auf den Hals beziehungsweise auf das Halskorsett. Dann fragte sie mit liebevoller Kinderstimme »Ist Dein Aua jetzt weg?«
Maria musste trotz ihrer Anspannung etwas lachen. »Danke, das ist ganz lieb von Dir. Es geht mir schon etwas besser.«
Mittlerweile kam die Mutter und nahm ihre Tochter bei der Hand. »Bitte entschuldigen sie.«
Maria versuchte sich etwas mit dem Oberkörper zu der Mutter hinzudrehen. »Das ist kein Problem. Sie ist ja lieb, die Kleine.«
Der Mutter war es sichtlich unangenehm. Fast etwas abrupt nahm sie ihre Tochter hoch und entschuldigte sich noch einmal bei Maria. Dann ging sie wieder zu ihrem Platz, nicht ohne noch einmal einen seltsamen Blick auf Maria zu werfen.
* * *
Sein erstes Rendezvous hatte Paul sich schon anders vorgestellt. Doch von Maria ging ein seltsamer Zauber aus, von dem Paul, so musste er sich eingestehen, total gefangen war. Dabei war Maria in ihrem sogenannten Training doch viel mehr gefangen als es Paul recht war. Denn er hatte sich das Zusammensein mit seiner Freundin irgendwie anders vorgestellt. Doch mit ihrer Hilflosigkeit die sie ausstrahlte, wenn sie den Handschuh trug, zog sie Paul total in ihren Bann.
Durch des Halskorsett, welches Maria heute einmal tragen durfte, wurden die Eindrücke eher verstärkt. Denn durch die Ereignisse vom Vortag war Paul sensibilisiert, auf Maria aufzupassen und auch auf kleinste Signale zu achten.
Schon im Bus hatte er deutlich gespürt, dass Maria seine Umarmung zunächst nicht mochte. Und hätte ihn ihre Erzieherin nicht auf die Situation vorbereitet, hätte Paul nicht die Kraft gehabt, sich zum ersten Mal gegen ihren deutlichen Willen zu stellen.
Dass er jetzt in der Familienvorstellung saß und sich einen Märchenfilm anschauen musste, hätte ihn unter normalen Umständen amüsiert. Doch neben ihm saß die durch ihre Kleidung und ihre Trainingsausrüstung sehr hilflose und schutzbedürftige Maria und verlangte Paul sehr viel Aufmerksamkeit ab.
Paul blickte sehr oft zu Maria hinüber, die diese Blicke zwar wahrnahm, aber nicht erwidern konnte, da sie nicht in der Lage war, ihren Kopf zu drehen.
Auf der Leinwand wurde das traurige Leben der Heldin dargestellt. Judith, die älteste Tochter des Schneiders, hatte sehr unter der Stiefmutter zu leiden, wie es in Märchen so üblich war. Dies gipfelte darin, das die Stiefmutter durchsetzte, das Judith die Familie verlassen sollte, weil sie alt genug sei.
Gerade als Judith sich unter Tränen von ihren Geschwistern und ihrem Vater verabschiedete, bemerkte Paul, dass Maria auch weinte. Die Tränen liefen ihr recht heftig durch das Gesicht und Paul war sofort sehr besorgt und hatte keinen Blick mehr für die Leinwand. Er griff in die Hosentasche und nahm sich sein Taschentuch zur Hand. Ohne auf eine Erlaubnis von Maria zu warten, wischte er ihr zärtlich die Tränen weg und fragte besorgt, ob alles in Ordnung sei. »Es ist doch bloß ein Märchenfilm.« Noch dachte er, dass Maria über die Ereignisse auf der Leinwand weinen würde.
Maria schluchzte wieder. »Das ist es ja.« Sie flüsterte. »Was mußt Du bloß von mir denken?«
Paul verstand noch nicht, worum es Maria ging. Er versuchte, sie sehr zärtlich zu streicheln.
Doch es nutze nichts, Maria schluchzte weiter. »Ich schäme mich so, dass du jetzt hier neben mir sitzt. In der Kindervorstellung.« Sie schluchzte wieder. »Und das alles wegen dem blöden Programm.«
Paul wurde hellhörig, doch er wusste, dass er jetzt keine Frage stellen durfte. Er war erleichtert und besorgt zugleich.
»Was mußt Du bloß von mir denken?« Wieder lief eine Träne über Marias Wange. »Selbst im Kino muss ich dieses Zeug tragen.«
Paul war gerührt, denn mit solchen Sorgen hatte er nicht gerechnet. Er nahm sich vor, ihr Mut zu machen. Er wischte ihr noch einmal die Tränen weg und bat sie, mit dem Weinen aufzuhören.
»Ich würde so gern Deine Hand halten, aber das geht nicht wegen dem blöden Training. Und ich hätte auch gern meinen Kopf auf deine Schulter gelegt. Aber ich trage ja diese Halsding.«
Paul bemühte sich, seine Stimme ehrlich klingen zu lassen. »Ich bewundere Dich, das Du das alles so durchhältst.«
Maria schluchzte wieder. »Aber das schlimmste kommt erst noch. Meine schöne Nacht.« Sie machte eine kurze Pause und Paul hielt dabei den Atem an. »Du wirst mich danach sicher nicht mehr mögen.«
Paul fand keine Worte mehr um Maria zu trösten. Er war fast verzweifelt.
Er war bemüht, besonders zärtlich und sensibel zu sein. »Ich möchte Deine Hilflosigkeit nicht mißbrauchen, aber würdest Du es mögen, wenn ich Dich in den Arm nehme?«
Maria hielt kurz inne, und es war ihr anzusehen, dass sie sich gern zu Paul hingedreht hätte. Dann lehnte sie ihren Körper zu Paul hinüber.
Paul nahm dies als positives Zeichen und legte sehr vorsichtig seinen Arm um Marias Schultern. Dann begann er Maria sehr vorsichtig zu streicheln und spürte, dass es Maria gut zu tun schien. Er wischte ihr noch einmal die Tränen weg und bat mit sehr liebevoller Stimme »Bitte weine nicht mehr, ich halte zu Dir, egal was passieren wird.«
Er spürte, das Maria sich unter dem Cape zu bewegen versuchte, und wieder überkam ihm eine Gänsehaut bei dem Gedanken, wie streng seine Freundin unter Kontrolle stand. Gewiss, er hatte ein paar Schlüssel bekommen, mit denen er Maria die Lage erleichtern konnte, doch er hatte auch das Versprechen gegeben, Maria erst nach ihrer Trainingszeit zu befreien. Und er wollte sein Wort halten. Auch wenn er immer noch nicht wusste, was Maria hier trainierte.
Groß war seine Überraschung, als er plötzlich an seiner Seite eine zärtliche Berührung spürte. Marias Lippen zeigten ein Lächeln. Paul war glücklich. Maria hatte es geschafft, mit ihren so streng verpackten Händen auch etwas Zärtlichkeit zu zeigen. Quasi als Antwort streichelte Paul auch wieder etwas an ihrem Körper. Dabei bemerkte er eigentlich nur nebenbei, wie hart Marias Körper an einigen Stellen war. Doch er wagte nicht, darüber nachzudenken.
* * *
Auf der Leinwand hatte die Heldin mit einer kühnen Tat das Leben der Königin gerettet und durfte sich eine Belohnung aussuchen. Mit viel Klugheit wünschte sich die Schneiderstochter, dass sie eine Dienerin der Königin werden dürfe.
Paul und Maria konnten jetzt den Film genießen. Beide hatten sich ausgesprochen, und Marias Sorgen waren zumindest im Moment beiseite gewischt. So konnten sie die Klugheit und den Weitblick der Filmheldin genießen, die es so geschickt anstellte, dass sich der Sohn der Königin in die neue Dienerin verliebte.
Die Königin, die von dem Wesen von Judith sehr angetan war, befürwortete die Verbindung, und so wurde sehr bald die Verlobung bekannt gegeben.
Judith hatte nicht vergessen, woher sie gekommen war. Sie sorgte dafür, dass ihre Familie in die Nähe des Schlosses ziehen konnte, und ihr Vater musste nicht mehr arbeiten. Doch er ließ es sich nicht nehmen, noch ein Kleid zu nähen, und es sollte das schönste werden, welches er je genäht hatte. Es war das Brautkleid für seine Tochter. Denn bald darauf wurde prachtvoll geheiratet.
Die Schlußszene des Filmes zeigte die Schneiderstochter, wie sie bei der Krönung ihres Ehemannes zum König neben ihm stand und aus seinen Händen die Krone der Königin entgegen nahm.
* * *
Langsam ging das Licht im Kino an, und sofort strömten die kleinen Kinder mit ihren Eltern hinaus, so dass nur Paul und Maria noch den Rest des Abspannes genossen.
Thea kam, und als sie die beiden Liebenden nebeneinander sitzen sah, lächelte sie. Nur sehr langsam näherte sie sich den beiden und fragte Maria, ob sie ihr die Stange wieder abnehmen sollte. Maria nahm das Angebot sehr dankbar an.
Paul fiel das kleine Schlüsselbund wieder ein, welches Mrs. Potter ihm gegeben hatte. Jetzt hatte er fast ein schlechtes Gewissen, weil Maria immer noch in dem Handschuh steckte.
Er wartete, bis Maria aufgestanden war, dann stellte er sich ihr gegenüber und zeigte ihr das Schlüsselbund. »Ich denke, die zwei Stunden sind längst um und dein Training ist vorbei. Ich darf dich jetzt aus den Sachen rauslassen.«
Es war Maria deutlich anzusehen, dass sie innerlich aufgewühlt war. Sie schien mit sich selbst zu kämpfen. Schließlich blickte sie Paul entschlossen an und wurde rot. Sie druckste herum und schien keine Worte zu finden.
Paul hatte schon die Schlüssel in der Hand und schien herausfinden zu wollen, welcher der vielen Schlüssel für das Cape passen würde. Doch dann sah er in Maria Gesicht und war verwundert. »Du möchtest den Handschuh weiter tragen?«
Maria schien dankbar zu sein, es nicht aussprechen zu müssen. Trotz ihres Halskorsetts versuchte sie ein Nicken. Als sie merkte, das dies kaum gelang, brachte sie ein leises »Ja« über die Lippen.
In Pauls Blick mischte sich Bewunderung mit zunehmender Faszination. »Ich bewundere Dich, das Du das aushältst« Sie gingen langsam zum Ausgang.
Maria nahm das Lob gern entgegen. »Ich bin es gewohnt, ihn über mehrere Stunden zu tragen.« Eine Menge Stolz war in ihrer Stimme zu hören.
Paul wollte zugleich ehrlich und nett sein. »Ich könnte das nicht.«
»Oh, es hat aber auch angenehme Seiten.« Maria lächelte verschmitzt. »Ich bin dann sehr hilflos, und alle wollen mich bedienen.«
Paul lag die Frage auf der Zunge, wer denn mit »alle« gemeint sein könnte, doch das traute er sich nicht zu fragen. Stattdessen versuchte er sachlich zu bleiben. »Er ist sehr aufwendig anzuziehen, und du brauchst immer Hilfe dazu.«
Maria grinste. »Und ausziehen kann ich ihn auch nicht selber.«
Paul musste auch etwas schmunzeln. Er fand es in diesem Moment toll, das Maria ihr Schicksal mit Humor nahm.
Sie verließen das Kino und machten sich langsam auf den Weg zur Bushaltestelle.
Paul lag die Frage schon lang auf der Zunge. Er war der Meinung, sie jetzt stellen zu können. »Und warum nimmst Du das auf Dich?« Er dachte an all die Nachteile, die Maria damit hatte.
Zu seiner Überraschung musste Maria mit ihrer Antwort gar nicht lange nachdenken. »Die Prinzessinnen von früher mußten auch sehr für ihr Volk leiden.«
Paul blickte sie verwundert an.
Maria versuchte sachlich zu argumentieren. »Sie waren oft in ihre Kleidung eingenäht und konnten sie selber nicht ausziehen.«
Pauls irritierter Blick bewegte Maria dazu, weiter zu sprechen. »Reißverschlüsse waren noch nicht erfunden, und Knöpfe sahen oft genug nicht gut aus.«
Sie waren bei der Bushaltestelle angekommen und warteten.
Paul merkte an, das die Prinzessinnen oft auch in diese strengen Korsetts eingeschnürt waren.
Maria blickte Paul mit einem rätselhaften Blick an. »So gesehen bin ich eine echte Prinzessin.«
Obwohl Paul die Antwort eigentlich schon wusste und er es sich nur nicht eingestehen wollte, fragte er: »Wie meinst Du das?«
Statt einer Antwort trat Maria ganz dicht an Paul heran und schmiegte sich mit ihrem Oberkörper dich an seinen.
Paul spürte es deutlich an seinem Körper, und doch begriff er nur langsam: »Du trägst auch solche Korsetts?«
Maria lächelte nur.
Jetzt wurde Paul mutiger. »Und warum kannst Du nur so langsam gehen?«
Maria schien auf diese Frage vorbereitet zu sein. »Das hat andere Gründe.« Sie holte tief Luft. »Die Prinzessinnen habe sich stets langsam und würdevoll bewegt. Und meine Mutter sorgt dafür, dass ich das auch machen muss.« Den wahren Grund, die doppelten Schenkelbänder, wollte sie jetzt noch nicht erwähnen.
Paul war fast sprachlos. »Ich bewundere Dich, dass Du das so durchhältst.«
Maria seufzte. »Es ist nicht immer einfach.«
Paul hätte gern noch mehr gefragt, doch in diesem Moment bog der Bus um die Ecke und rollte langsam heran.
Wieder tat sich Maria sehr schwer mit dem Einsteigen, doch sie war zu stolz, um sich helfen zu lassen. Paul paßte lediglich auf, das sie nicht ins Stolpern kam. Insgeheim bewunderte er Marias eisernen Willen und dass sie es schaffte, trotz ihrer so strengen Einschränkungen noch so behände zu sein.
Es war nur noch ein Sitzplatz frei. Maria schien stehen bleiben zu wollen, obwohl sie den freien Platz sicher auch entdeckt hatte. Doch zu Pauls Überraschung brauchte es von ihm nur einen auffordernden Blick und Maria ging auf den freien Platz zu. Sie setzte sich vorsichtig, und Paul stellte sich neben sie.
* * *
Paul hatte es schon auf dem ganzen Rückweg gespürt. Maria war von einer gewissen Unruhe erfüllt. Aber sie schien sich auch auf das Kommende zu freuen, denn sie ging für ihre Verhältnisse sehr schnell.
Paul selber ahnte nicht, was auf ihn zu kam. Sie hatten ihm nur etwas von Schönheitsprogramm und der »Schönen Nacht« gesagt. Doch was dies wirklich für ihn und Maria bedeuten sollte, das ahnte er noch nicht. Doch er war sensibel genug, um sich von Marias Unruhe anzustecken.
Mrs. Potter stand schon an der Haustür, als sie das Grundstück betraten. Schon aus der Ferne war auch bei ihr eine gewisse Anspannung zu spüren, obwohl sie versuchte, ganz locker zu erscheinen. Paul hatte den üblich strengen Ton zur Begrüßung erwartet, doch zu seinem Erstaunen klang ihre Stimme eher liebevoll und fast zärtlich. »Na, ihr beiden, hattet ihr einen schönen Nachmittag im Kino?« Sie schien ehrlich interessiert sein.
Maria schien die Stimmung zu genießen. »Es war ein schöner Film.« Sie strahlte.
Paul reichte Mrs. Potter nervös das Schlüsselbund und versuchte ein Lächeln. »Wir haben es nicht gebraucht. Maria wollte nicht.« Noch immer klang Erstaunen in seiner Stimme mit.
Mrs. Potter erwiderte nichts. Doch sie nahm das Bund in die Hand und schloß das Cape auf. Sie öffnete die Schlösser vom Halskorsett und vom Handschuh und band die Bänder los. Maria wartete geduldig, bis sie ihr den Handschuh abgenommen hatte, dann bewegte sie ihre Arme und schien fast so etwas wie Gymnastik zu machen. Sie blickte Paul und lächelte etwas. »Das tut gut.«
Paul war beruhigt und doch auch zugleich sehr nervös, denn er wusste immer noch nicht, was kommen würde.
Mrs. Potter bat die beiden ins Eßzimmer und fragte nebenbei, wie denn der Film war.
Maria erzählte von der Schneiderstochter, die zur Prinzessin wurde, und ihre Augen leuchteten dabei. Paul war erstaunt, wie genau Maria den Film wiedergeben konnte. Er selber hatte im Kino fast nur Augen für Maria gehabt. Ihm ging durch den Kopf, dass Maria mit diesem seltsamen Halskorsett natürlich ständig auf die Leinwand schauen musste. Von den vielen Tränen sagte Maria nichts.
Auf dem Tisch waren Schnittchen vorbereitet und Getränke standen bereit. Mrs. Potter forderte die beiden auf, sich zu stärken vor der so wichtigen Nacht. Beide griffen zu und ließen es sich schmecken.
Paul wollte ehrlich mehr wissen, doch er wusste nicht so recht, wonach er fragen sollte. »Und wie lange dauert diese Nacht?«
Maria freute sich über seine Frage. »Wir wollen Morgen früh in den Gottesdienst, deswegen muss ich früh aufstehen.
Paul war in diesem Moment entschlossen, auch einmal wieder zur Kirche zu gehen, obwohl er lange Zeit nicht einmal an daran gedacht hatte. Deswegen fragte er, in welche Kirche Maria gehen würde. Er bekam als Antwort die Christuskirche genannt. Er hoffte, dass seine Oma wissen würde, welche Kirche das war, denn er selber wusste es nicht. Doch das wollte er nicht zugeben.
* * *
Die Spannung im Eßzimmer war immer deutlicher zu spüren. Doch weder Mrs. Potter noch Maria machten den Anschein, als wäre etwas eilig oder schnell zu erledigen. Im Gegenteil, Paul kam es eher so vor, als würden sie ‚es‘ künstlich hinauszögern.
Schließlich war es Maria, die das Signal gab. Sie stand auf, nahm diese formale Haltung an, die Paul schon öfters bei ihr gesehen hatte, und wartete, bis ihre Erzieherin ihr die Erlaubnis zum Sprechen gab. Mit ruhiger Stimme bat Maria: »Ich wäre dann bereit für die Schöne Nacht.«
Ihre Erzieherin schien auf diesen Moment gewartet haben, denn jetzt stand auch sie auf und ging zur Tür. Sie öffnete sie und mit einer Handbewegung lud sie Maria ein. »Nun denn, ich erlaube Euch, zum Umziehen zu gehen.«
Paul kam das Ganze schon sehr seltsam vor. Ihm schien es, als spielten sie ein Spiel, denn ihrer beider Benehmen war auf einmal sehr formal und steif.
Maria drehte sich erst in Richtung Tür, dann knickste sie und ging dann mit kurzen aber feierlichen Schritten aus dem Raum. Gleich darauf hörte Paul sie auf der Treppe.
Ihre Erzieherin wandte sie sich an Paul. »Du könntest mir bei den Vorbereitungen helfen.« Sie bat ihn, ihr zu folgen. Sie gingen ebenfalls nach oben. Sie betraten ein sehr schlicht eingerichtetes Zimmer. Es standen dort nur ein Bett mit einem kleinen Nachschrank sowie eine große Schrankwand. An der Wand stand noch ein Tisch nahe beim Bett.
Mrs. Potter machte eine der Schranktüren auf und bat Paul, alles aus zwei bestimmten Fächern auf den Tisch zu legen. Paul kam der Bitte sofort nach. Sie selbst nahm etwas sehr großes aus Leder aus dem Schrank und legte es auf den Tisch.
»Ich sehe mal kurz nach Maria.« informierte sie Paul, dann ging sie ins Nebenzimmer.
* * *
Paul kontrollierte noch einmal, ob er wirklich alle Gegenstände aus dem Schrank genommen hatte. Beide Fächer waren leer.
Paul ging wieder zum Tisch und blickte recht ratlos auf die vielen Sachen, die er auf den Tisch gelegt hatte. Fast alle Gegenstände waren aus Leder, ein paar Sachen aus Stoff waren dabei, und sehr viele Schnüre. Er fragte sich, was mit Maria wohl passieren würde.
Mrs. Potter kam zurück in den Raum und blickte Paul prüfend an. »Maria kommt gleich.« Dann sah sie sein fragendes Gesicht. Und musste lächeln. »Sobald Maria kommt, werden wir Dir erklären, was dies alles soll.«
Sie ließ ihren Blick über den Tisch gleiten, dann nahm sie den einen oder anderen Gegenstand zur Hand und schien ihn noch etwas herzurichten.
Paul sah ihr mit einer Mischung aus Faszination und Unsicherheit zu. Er hatte keine Idee, was als nächste passieren würde, und er konnte sich unter einer »schönen Nacht« immer noch nichts vorstellen.
* * *
Die Tür zum Nachbarzimmer ging langsam auf und Maria trat mit einem Strahlen im Gesicht in das Schlafzimmer. Paul sah erstaunt, dass sie einen langen roten Umhang trug, der locker um ihre Schultern geschwungen war. Darunter war viel weiß zu sehen.
»Nun, meine Prinzessin«, die Stimme von Mrs. Potter hatte sich etwas verändert, sie klang auf einmal recht förmlich, »seid ihr bereit für Eure Schöne Nacht?«
Maria blieb mitten im Zimmer stehen, und statt einer Antwort breitete sie ihre Arme so aus, dass das Umhangtuch hinter ihr zu Boden fiel. Paul blickte atemlos auf Marias Figur, die sich deutlich unter dem sehr eng anliegenden Catsuit abzeichnete.
Marias Erzieherin drehte sich zu Paul hinüber und flüsterte ihm ziemlich vertraut zu. »Sie liebt diesen Auftritt.«
Paul blickte sehr erstaunt zwischen Maria und ihrer Erzieherin hin und her. Er wusste überhaupt nicht, was er von diesem seltsamen Schauspiel halten sollte.
»Nun, dann kommt herbei, es ist alles bereit.« Wieder klang Mrs. Potters Stimme sehr feierlich.
Maria ging bewußt langsam auf ihr Bett zu und stellte sich neben das Bett. Auf einmal entspannte sich ihr Blick.
Mrs Potter drehte sich wieder zu Paul, dessen Gesicht immer ratlosere Züge annahm. Trotz der Anspannung, die im Raum lag, wurde ihre Stimme etwas weicher, als sie jetzt Paul anblickte, aber mit Maria sprach. »Ich glaube, meine liebe Maria, wir sind Paul jetzt ein paar Erklärungen schuldig.«
Es schien Maria im ersten Moment nicht recht zu sein, dass sie aus ihrem Spiel gerissen wurde, doch dann sah sie es ein und drehte sich ebenfalls in Richtung ihres Freundes. Mit leiser Stimme begann sie zu erklären: »Ich mache jede Samstag Nacht ein besonderes Schönheits- und Haltungsprogramm.« Ihre Stimme klang seltsam ernsthaft.
Paul blickte sie sowohl erwartungsvoll als auch etwas schüchtern an.
»Es freut mich, dass Du mir nächste Woche helfen willst.« Was sie von Margarete hielt, behielt sie lieber für sich. »Bitte wundere Dich aber über nichts.«
Paul ahnte noch nicht, was alles auf ihn zu kommen sollte, deswegen klang seine Stimme in diesem Moment noch ziemlich zuversichtlich. »Was muss ich denn alles machen?«
»Als erstes wird sich Maria ihre Bettstiefel anziehen.« Mrs. Potter ging zum Tisch und winkte Paul zu sich. Sie nahm sich einen der Stiefel und gab ihn Paul. Der nahm ihn an und blickte sehr erstaunt auf die seltsame Fußform, die Marias Füße gerade gestreckt in einer Linie mit ihrem Bein halten würde.. Er blickte zuerst zu Maria, dann zu ihrer Erzieherin. »Aber damit kann Maria doch dann nicht mehr gehen, oder?«
Maria war auf ihn zugekommen. Sie versuchte, sehr liebevoll zu klingen. »Das sind ja auch meine Bettstiefel.« Sie hielt kurz inne, sie schien zu überlegen. Dann strahlte sie. »Wenn ich mich festhalten kann, dann kann ich den Stiefeln aber trotzdem gehen.« In diesem Moment strahlte sie sehr viel Stolz aus.
Sie ging auf ihr Bett zu und setzte sich. Dann hob sie ihr Bein und blickte Paul bittend an. »Laß uns anfangen.«
Jetzt hatte Mrs. Potter doch das Gefühl, einschreiten zu müssen. »Wir hatten das doch anders besprochen, meine Liebe.« Sie blickte sie zärtlich, aber bestimmt an.
Maria schien sich zu erinnern. »Ach ja richtig«, sie wandte sich an Paul. »Wir wollten die Sachen vorher besprechen.« Sie zeigte auf den großen Stapel, aus dem ihr großes Ganzkörperkorsett natürlich hervorstach. Doch dann blickte sie wieder etwas ratlos auf ihre Erzieherin. »Womit fangen wir an?«
Mrs. Potter wollte die Stimmung möglichst lange beibehalten und ließ sich deswegen von Maria leiten. Sie blickte auf Paul und dann wieder auf den Tisch und all die Sachen, die darauf bereit lagen.
Doch es war Paul, der die Initiative ergriff. Er ging auf den Tisch zu und blickte stumm auf all die Sachen, die dort lagen. Sowohl Maria als auch Mrs. Potter hielten quasi den Atem an. Paul nahm den einen oder anderen Gegenstand in die Hand, doch es schien, als wisse er nicht, was jetzt wirklich von ihm erwartet wurde.
Schließlich hielt Paul einen der Gegenstände hoch und fragte mit leiser Stimme, was das sei.
Maria musste zweimal schlucken, als sie sah, was Paul in der Hand hielt. Es war ihr verhaßter Mundschutz. Ihre Erzieherin war genauso betroffen. Sie wusste, was Maria von diesem Knebelgerät hielt und sie überlegte, wie sie es Paul wohl erklären könnte.
Doch Maria nahm allen ihren Mut zusammen und versuchte zu erklären. »Das ist mein Mundschutz. Den trage ich im Mund, wenn ich die Haube aufgesetzt bekomme. Er wirkt wie eine Zahnspange und verhindert, dass sich meine Zähne langfristig verschieben, wenn meine Haube geschnürt ist.«
Paul war sprachlos und blickte noch einmal auf diesen seltsamen Gegenstand, und er überlegte, wie der wohl in Marias Mund gehören würde. Er fragte das offensichtliche. »Reden kannst Du dann nicht mehr, oder?«
Maria blickte ihn nur an, und statt einer Antwort fragte sie sich, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn Paul ihr den Mundschutz einmal einsetzen würde, und zu ihrem eigenen Erschrecken stellte sie fest, dass sie sich fast etwas darauf freute.
»Dann ist das hier die Haube, die dazu gehört?« Er hielt eine Art Stoffbeutel in der Hand, der auf den zweiten Blick als Kopfhaube zu erkennen war. Maria konnte in diesem Moment zunächst nur schüchtern lächeln. Doch dann konnte sie weiter erklären. »Der Stoff wird oft noch mit einer Creme eingestrichen, und darüber kommt dann noch eine Lederhaube, damit er gut anliegt und die Creme gut wirken kann..«
Paul sucht auf dem Tisch diese angesprochene Haube. Schließlich hatte er etwas gefunden, und als Maria leicht nickte, betrachtete er die Lederhaube etwas genauer. Er erschauerte, als er sah, dass die Haube nur eine Öffnung für die Nase hatte. Mund- und Augenöffnungen waren nicht vorhanden. Unbewußt sprach er seine Gedanken aus. »Die ist aber streng.«
Statt einer Antwort seufzte Maria. Doch ein strenger Blick von Mrs. Potter ließ sie ein »es geht« ergänzen. Es klang allerdings nicht besonders überzeugt.
Paul schob die Sachen auf dem Tisch etwas zusammen und legte die bisher schon untersuchten Gegenstände auf die freie Fläche. Dann nahm er aus dem anderen Haufen wieder etwas auf und hielt es hoch.
Maria stand vom Bett auf und ging zu Paul hinüber. Sie blickte erst ihn liebevoll an, dann sah sie auf den Gegenstand in seiner Hand. »Das ist einer meiner – Stiefel.« Die Pause vor dem Wort Stiefel sprach Bände. »Aber die hatten wir ja schon.«
Trotzdem hielt Paul den Stiefel noch etwas länger in der Hand hielt schien darüber zu grübeln. Dann schien er sich zu besinnen. »Ach ja richtig.«
Maria hatte das Gefühl, noch etwas sagen zu müssen. »Sie sind wesentlich bequemer als sie aussehen.« Paul blickte sie ungläubig an. Dann legte er den Stiefel zu den schon untersuchten Sachen.
Maria griff zum anderen Stiefel und legte ihn ebenfalls zu den untersuchten Sachen. Sie lächelte.
Paul war im ersten Moment von ihrer Initiative fast etwas überrumpelt. Doch dann hatte er sich wieder gefaßt. Er griff wieder zu einem von zwei gleichen Gegenständen. Es war eine etwa armlange Röhre, die der Länge nach offen war, und an den Rändern war wie bei einem Korsett eine Schnürung angebracht.
Maria blickte auf den Gegenstand, und recht spontan rutsche ihr ein »Die trage ich nicht so gern, die machen mich immer so unbeholfen« heraus. Doch dann schien sie ihren Satz zu bereuen. Immerhin hatte sie mit ihrer Erzieherin vereinbart, Paul zu den Gegenständen immer nur etwas positives zu sagen. Sie versuchte, den Fehler wieder gut zu machen. »Das sind meine Armkorsetts.« Sie strich sich über ihren Unterarm. »sie sorgen für schöne schlanke Arme. Und im Bett stören sie mich kaum.« Dabei blickte sie Paul ermutigend an.
Doch Paul hatte noch den ersten Satz im Kopf und war entsprechend voreingenommen. Er nahm das zweite Armkorsett dazu und legte beide zusammen zu den schon untersuchten Gegenständen. Doch Marias Vorbehalte hatte er sich gemerkt.
Der nächste Gegenstand, den Paul in die Hand nahm, hatte die Form eines übergroßen Fausthandschuhs ohne Daumen, war jedoch flach wie eine Zigarrenkiste und völlig starr.
»Das sind meine Handschuhe.« Paul blickte Maria etwas ratlos an. Maria nahm sich den zweiten Handschuhkasten vom Tisch und fingerte etwas an der Seite des Kastens. Es machte ‚Klick‘, und der Deckel des Handschuhs sprang auf. Maria zeigte Paul das Innenleben ihres zukünftigen Handgefängnisses, in dem scheinbar in sehr festem, mit schwarzem Stoff überzogenen Schaumstoff die Form einer schlanken Hand ausgespart war, und zeigte ihm, wie es anzuwenden sei. Sie legte ihre Hand hinein und klappte den Deckel wieder zu. Doch es war zu sehen, dass er nicht mehr von allein zuging.
Maria trat zu Paul reichte ihm ihre im Kasten steckende Hand, während sie den Kasten noch mit den anderen Hand festhielt. »Du mußt den Kasten kräftig zudrücken.« Paul griff zunächst mit einer Hand zu dem Kasten und wollten ihn einfach zudrücken. Doch er musste erstaunt feststellen, dass der Kasten einfach nicht nachgeben wollte.
Maria sah seine Bemühungen und wollte ihm Mut machen. »Du mußt mit beiden Händen kräftig zudrücken. Meine Hand wird innen dann richtig zusammengepreßt.« dass dies die falsche Wortwahl war, wusste Maria, als sie Pauls entsetztes Gesicht sah.
»Nein!« Paul war bemüht, seine Stimme recht energisch klingen zu lassen. »Das kann ich nicht.« Er suchte nach Worten. »Ich...« Er wurde fast etwas lauter. »Das kann ich dir doch nicht antun.«
Maria legte den Handschuh auf den Tisch und ging mit ganz ruhigen Schritten auf Paul zu. Sie nahm seine Hand und hielt sie fest. »Du tust mir nicht weh. Es hat alles seine Richtigkeit. Der Handschuh sorgt dafür, dass ich schöne schlanke Finger bekomme. Und dafür muss er natürlich so eng sein.«
Paul wollte noch nicht nachgeben. »Aber diese ganzen Sachen hier. Du kannst Dich doch dann gar nicht mehr bewegen.« Für Marias leuchtende Augen hatte er in diesem Moment keinen Blick. Stattdessen ließ er seinen Blick noch einmal über all die Sachen auf dem Tisch schweifen.
Mrs. Potter stand noch neben dem Kleiderschrank und hielt in diesem Moment unbewußt den Atem an. Dies war ein ziemlich kritischer Moment. Wie würde er wohl reagieren?
Paul trat vom Tisch zwei Schritte zurück und schüttelte den Kopf. »Nein, das werde ich Dir nicht antun. Das traue ich mir nicht zu.«
Mrs Potter hatte genaugenommen mit dieser Reaktion gerechnet, und sie war sehr gespannt, wie Maria mit dieser Situation umgehen würde. Sie wusste selbst, dass sie in diesem Moment nicht eingreifen durfte. Das war etwas, was die beiden Liebenden unter sich ausmachen mußten. Sie würde später eingreifen, wenn Paul irgendwelche Fehler machen würde beim Anlegen der vielen Gegenstände.
Maria trat zu Paul und blickte ihn liebevoll an. Sie nahm seine etwas zitternde Hand und hielt sie fest. »Bitte laß es uns versuchen.« Sie blickte zu dem Tisch und dann wieder in Pauls Gesicht.
Paul war immer noch fest entschlossen, seiner Freundin solche Grausamkeiten nicht antun zu wollen. Doch er wusste nicht, was er sagen sollte. Er schüttelte halbherzig den Kopf.
»Bitte, ich mache das sehr oft...« Sie schien nach Argumenten zu suchen. »Es ist wirklich mein eigener Wille, es hat Erfolg, und ich helfe Dir auch dabei.«
Pauls Blick wandelte sich zu Erstaunen.
Maria fuhr fort. »Du tust mir dabei nicht weh, und ich trage diese Sachen auch sehr gern.«
Paul blickte sie noch erstaunter an. Er hatte bisher Zweifel gehabt, weil Maria sich bei einigen Gegenständen doch eher negativ geäußert hatte.
Maria beugte sich zu ihm hin und küßte ihn kurz auf den Mund. Dann blickte sie ihn wieder an. »Bitte laß es uns versuchen. Zusammen schaffen wir das.«
Mrs Potter war in diesem Moment sehr stolz auf Maria. Doch genauso war ihr klar, dass sie die beiden auch nicht stören durfte.
Paul kämpfte sehr mit sich selbst. Sein Blick wechselte zwischen den Sachen auf dem Tisch und Marias so leuchtenden Augen.
»Und nächste Woche muss ich das also ganz alleine machen?« Seine Stimme zitterte etwas.
In diesem Moment wußten die beiden Frauen, dass sie es geschafft hatten. Maria umarmte Paul und küßte ihn. »Danke, das Du mitmachst. Das ist schön.«
Paul ging die wenigen Schritte zum Tisch und blickte noch einmal mit einem Seufzer auf die seltsamen Gegenstände. »Ich will es versuchen.« Es war ihm anzuhören, dass es ihm nicht leicht fiel. »Womit fangen wir an?«
In Mrs. Potter kam etwas Bewegung. Sie ging auf Paul zu und reichte ihm einen Schnellhefter. Paul wusste zunächst nicht, was er damit sollte. Auf dem Deckblatt stand irgendetwas von Therapie, und oben rechts stand etwas von Klinik und einer Adresse.
Mrs. Potter war bemüht, ihre Stimme wichtig, aber gutmütig klingen zu lassen. »Ab der Seite 20 ist die Variante fünf beschrieben. Dort ist haarklein aufgeführt, was ihr machen müsst. Doch laß es Dir lieber von Maria zeigen, und nur wenn ihr gar nicht mehr weiter wißt, nehmt es zu Hilfe. An vielen Stellen ist es nämlich etwas übergenau beschrieben.«
Maria flüsterte ein »Meine Mutter wieder«, und sie verdrehte leicht die Augen. Ein Räuspern von ihrer Erzieherin ließ sie leicht zusammenzucken.
Doch dann ergriff sie die Initiative. Sie nahm die beiden Stiefel vom Tisch und ging auf ihr Bett zu. Sie drehte sich zu Paul um und fragte ihn mit sehr liebevoller Stimme: »Kommst Du und ziehst mir die Stiefel an?« Dann setzte sie sich auf das Bett und blickte Paul erwartungsvoll an.
Dieser ging auf Maria zu und kniete sich vor sie hin. Maria reichte ihm den ersten Stiefel und streckte ihm das Bein so hin, dass er den Stiefel einfach darüber streifen konnte.
»Achte darauf, dass er gut sitzt.« Mrs. Potter war neben ihn getreten und zeigte ihm, worauf er bei dem Stiefel besonders achten sollte. »Natürlich hat der Schuh vorn eine Stahleinlage, damit er gut paßt.«
Paul warf einen Blick auf die Stiefelspitze, und es fiel ihm auf, dass sie an der Spitze schon ziemlich verkratzt und abgerieben war. Sollte Maria mit diesen Stiefeln wirklich gegangen sein?
Maria war seinem Blick gefolgt und ahnte, was ihm durch den Kopf ging. »Ich kann mit den Stiefeln gehen. Es ist nur nicht einfach, das Gleichgewicht zu halten, so ganz auf den Zehenspitzen.« Sie machte eine Pause und lächelte. »Es ist leichter als Ballett.«
»Sitzt er gut?« Paul traute sich zu fragen.
Er sah, das Maria versuchte, ihre Beinmuskeln etwas zu bewegen. Doch schon jetzt schien der Stiefel ihr viel Freiheiten zu nehmen. »Ja, sitzt perfekt, Du kannst ihn zuschnüren.«
Das Zuschnüren kannte Paul schon von Marias seltsamem Monohandschuh, und deswegen machte ihm der Stiefel hier keine Probleme. Sehr bald war er oben am Stiefelrand angekommen und konnte eine Schleife machen.
Wieder probierte Maria, ihren Fuß zu bewegen, und als sie spürte, dass so gut wie keine Bewegung mehr möglich war, schien sie zufrieden. Sie setzte ihr Bein auf dem Boden ab und streckte dafür das andere vor.
Beim zweiten Stiefel tat sich Paul schon etwas leichter, und doch ließ er auch hier Maria den Sitz prüfen, bevor er mit der Schnürung begann.
Nach dem auch der zweite Stiefel geschlossen war, griff Maria an einen der Bettpfosten und versuchte langsam aufzustehen. Vorsichtig fing sie an, ihre Beine in den Stiefeln zu belasten, und zu Beginn stand sie auch ziemlich unsicher.
Mrs. Potter wusste, dass sie hier eingreifen musste, denn an dieser Stelle entwickelte Maria immer zuviel Ehrgeiz. Sie bat Paul, Maria gleich in den Arm zu nehmen und ihr auf dem Weg zum Trapez zu helfen. Paul hatte schon verstanden, warum Maria unbedingt Hilfe brauchte. Er ging auf sie zu und legte den Arm um sie. Er spürte sofort, wie unsicher sie in diesem Moment war.
Maria schien sich entschuldigen zu wollen. »Ich brauche noch viel Übung.« Sie keuchte etwas. Nur langsam begriff Paul, das Maria es wohl eher scherzhaft gemeint hatte.
Doch was war mit dem Trapez gemeint? Paul fragte in die Runde.
Maria zeigte ihm die Trapezstange, die neben dem Fußende des Bettes in der Luft hingt. Sofort fielen ihm die starken Ledermanschetten auf, die an der Trapezstange angebracht waren.
Es schien, als wusste Maria schon, was Paul als nächste hätte sagen wollen, denn sie versuchte ihn zu beruhigen. »Das brauche ich nur für das Anlegen des großen Korsetts. Danach mußt Du mir da wieder runter helfen.«
Paul wusste in diesem Moment noch nicht, was Maria meinte, doch er spürte ihren Drang in Richtung dieser seltsamen Stange. Unter der Stange stand der kleine Hocker, und Maria bat Paul um extra Aufmerksamkeit, als sie vorsichtig zuerst das eine, dann das anderen Bein darauf stellte. Jetzt konnte sie sich strecken und war in der Lage, die Stange mit beiden Händen zu fassen.
Nach einem kurzen Augenblick schien Maria weiter machen zu wollen. Sie bat Paul, das große Nachtkorsett vom Tisch zu holen.
Paul ging zum Tisch und versuchte zu erkennen, was denn mit Nachtkorsett gemeint sein könnte. Doch erst als Mrs. Potter ihn auf die große lederne Hülle aufmerksam machte, wusste er, was Maria jetzt haben wollte.
Er hatte das Gefühl, sich erklären zu müssen. »Ich habe das für eine große Tasche oder so etwas ähnliches gehalten.« Er versuchte etwas zu lächeln.
Maria blickte ihn liebevoll an.
Er nahm das Lederungetüm vom Tisch und war sofort erstaunt über das Gewicht von Marias Korsett. Doch gleichzeitig fiel ihm auf, wie starr das Korsett auch war. Obwohl Paul es in der Mitte angefaßt hatte, gab es zu den Enden hin nicht nach, sondern blieb fast waagerecht. Unbewußt ahnte Paul, dass da wohl jede Menge Stahlstangen eingearbeitet waren, die das Korsett auf Form hielten. dass es auch die Trägerin in genauso fester Form hielt, das wurde ihm erst später klar.
Marias Augen leuchteten, als sie Paul mit dem Korsett auf sie zu kommen sah. Sie erklärte ihm, dass sie ihre Arme durch die Ärmel-Löcher an der oberen Seite des Nachtkorsetts stecken würde.
Paul versuchte, das Korsett in die richtige Position zu bringen, doch bei dem Gewicht tat er sich ziemlich schwer mit dem großen Lederungetüm.
Mrs. Potter versuchte ihm zu helfen. »Du kannst das Korsett ruhig auf dem Boden abstellen. Es steht fast von allein.«
Paul fand ihre Worte bestätigt, und so konnte er die Hülle in die Form bringen, die Maria erwartete.
Maria steckte zunächst einen Arm durch die Hülle und bat Paul, das Korsett etwas anzuheben. Damit konnte sie mit der Hand wieder an das Trapez fassen. Genauso verfuhr sie mit der anderen Hand.
Mrs. Potter zeigte Paul, wie er das Korsett so um Maria herum legen sollte, dass er es hinten zusammenziehen und sichern konnte.
Als Maria dies sah, bat sie Paul, sie kurz loszulassen.
Mrs. Potter sah Pauls Zögern und wollte ihn beruhigen. »Das macht Maria immer allein.«
Maria ließ zunächst eine Hand vom Trapez los. Es war ihr schon anzumerken, dass sie das zusätzliche Gewicht des schweren Lederkorsetts spürte. Sie legte ihre Hand in die Lederschlaufe, die an dem Trapez angebracht war. Paul sah, dass sie mit der Hand wirklich sehr sorgfältig umging. Es schien als versuchte sie eine sehr bequeme Haltung zu finden. Schließlich war sie zufrieden, und das Schauspiel wiederholte sich mit der anderen Hand.
Zunächst ging Maria in die Knie und schien auszuprobieren, ob sie sich den Schlaufen voll anvertrauen konnte. Sie musste nicht lange probieren, dann sagte ihr Gesichtsausdruck, dass sie zufrieden war.
Doch was jetzt kam, überraschte Paul. Sie hob ihre Beine hoch und stieß mit den Füßen den Hocker weg. All ihr Gewicht wurde jetzt nur noch von ihren Handgelenken getragen. Doch auch das schien sie gewohnt zu sein. Im ersten Moment wollte Paul ihr den Hocker wieder hinstellen, weil er glaubte, Maria wäre ein Mißgeschick passiert. Doch dann begriff er, dass sie ihn mit Absicht umgestoßen hatte.
Sie ließ ihren Blick zwischen Paul und ihrer Erzieherin hin und herwandern und strahlte sie an. »Ihr könnt loslegen.«
Paul blickte ziemlich unschlüssig, denn er wusste nicht, was jetzt wieder von ihm erwartet wurde. Erst als Marias Erzieherin ihm eine lange Schnur reichte, dämmerte es ihm.
»Die erste Schnur ist am schwierigsten, denn mit der mußt Du das Korsett in Form bringen.« versuchte Mrs. Potter ihm zu erklären. Sie bat ihn, sich vor Maria hinzuknien und zeigte ihm, wie er die Schnur einfädeln musste. Paul musste kräftig ziehen, um das Korsett zu schließen, und doch blieb noch ein großer Spalt auf ihrem Rücken offen.
Er keuchte und sagte, dass es nicht weiter zusammen gehe.
Marias Erzieherin erklärte ihm, dass er jede der Schnüre mehrmals nachziehen müsse, und sie reichte ihm die nächste Schnur.
* * *
Nach und nach legte sich das Korsett um Marias Körper, und der Spalt wurde immer kleiner.
Nach drei Schnürrunden war Mrs. Potter zufrieden. »So muss das nächste Woche auch aussehen.«
Bei diesen Worten erschrak Paul noch einmal, denn es wurde ihm klar, dass er es nächste Woche allein machen musste.
Maria hatte ihre Augen geschlossen und schien zu träumen. Jetzt öffnete sie sie wieder und blickte Paul verliebt an.
Paul hingegen hatte immer noch leise Zweifel, ob es richtig war, was er seiner Freundin hier antun musste. Doch Maria machte einen sehr zufriedenen und glücklichen Eindruck, und so verschwanden Pauls Zweifel langsam wieder.
Mrs. Potter erklärte das weitere Vorgehen. »Du mußt Maria jetzt auf das Bett helfen.« Sie zeigte ihm, wie er Marias Beine auf das Bett legen musste. »Dann kannst Du das Trapez langsam herunter lassen, bis Du Maria auf das Bett legen kannst. Erst dann darfst Du die Schlaufen öffnen.«
Paul spürte, dass er hierbei besonders vorsichtig sein musste. Doch er schaffte es, dass Maria genau in der Mitte des Bettes zu liegen kam. Sie sah sehr zufrieden aus.
Mrs. Potter ahnte, dass sie den beiden eine Pause gönnen musste.
Maria blickte Paul erleichtert an. »Danke.« Ihre Stimme war leiser als sonst. »Das war der schwierigste Teil. Du hast es gut gemacht.« Sie machte eine kleine Pause. »Setzt Dich bitte zu mir.« Sie zeigte mit dem Arm auf das Bett.
Paul kam der Bitte gern nach und hatte jetzt erstmals Zeit, einen Blick auf das Korsett zu werfen. Es war eine leicht glänzende Lederhaut, die sich streng um Marias Körper schmiegte. Überall zeichneten sich die langen Stahlstangen durch das Leder ab. Längs an der Körperseite entlang waren noch einige D-Ringe angebracht. Paul blickte verwundert auf die Ringe, doch eine Frage brachte er nicht mehr heraus.
Maria war seinem Blick gefolgt und lächelte. »Damit könnte ich noch auf das Bett gebunden werden. Das passiert manchmal, wenn ich die Arme frei habe.« Sie spürte, dass Paul einen Wunsch zu haben schien. »Du darfst mich gern mal anfassen.«
Paul war etwas beschämt darüber, dass sie seinen Wunsch erraten hatte, doch dann legte er sehr vorsichtig seine Hand auf mit Leder verpackten Körper seiner Freundin. Es fühlte sich ziemlich hart an. Er blickte Maria fragend an und diese schüttelte ganz leicht den Kopf. »Nein, ich spüre nichts davon.«
Paul bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken, wie streng er Maria hier für die Nacht zurechtmachen musste.
Es war Maria, die mit ihrer Verpackung weiter machen wollte. »Jetzt mußt Du mir die Korsetts für die Arme anlegen.«
Innerlich stöhnte Paul. ‚Noch mehr Korsetts? Wie streng würde das denn noch werden?‘
Maria schien seine Gedanken zu spüren. »Es wird nicht mehr lange dauern.«
Paul stand auf und ging zum Tisch. Er erinnerte sich an die Vorstellung der Sachen für Marias schöne Nacht, und so wusste er, was er jetzt in die Hand nehmen musste. Es waren die langen Röhren, die an der Seite offen waren und wo jeweils eine lange Schnürleiste auf seine Arbeit wartete.
Maria hatte den Kopf leicht erhoben und blickte zu ihm hinüber. Sie sah es ihm deutlich an, wie schwer es ihm fiel, und doch wusste sie keine Möglichkeit, wie sie es ihm leichter machen könnte. Und der schwerste Teil würde erst noch kommen. Maria seufzte innerlich, als sie an den Mundschutz und die Haube dachte.
Paul nahm beide Armkorsetts in die Hand und ging wieder zu Marias Bett. Er setzte sich an ihre Seite und legte die beiden Röhren vorsichtig neben Marias verpackten Körper.
Maria hob leicht ihren Arm und blickte Paul erwartungsvoll an. Dieser schien zu ahnen, was seine Freundin von ihm wollte, und so nahm er eine der beiden Röhren zur Hand. Als Maria die Röhre sah, musste sie sich erst einmal räuspern, bevor sie sprechen konnte. Trotzdem wurde es nur ein Flüstern. »Die ist für den anderen Arm.«
Paul brachte es nicht zustande, sich zu wundern. Wortlos legte er das Armkorsett auf Marias andere Körperseite und nahm sich das andere Korsett zur Hand. Es fiel ihm auf, dass das eine Ende größer war als das andere, und so vermutete er richtig, wie herum er es Maria anlegen musste. Trotzdem warf er einen fragenden Blick zuerst zu Maria, und als diese ganz leicht nickte, wusste Paul, dass er auf dem richtigen Weg war.
Die Schnürung ließ sich wesentlich leichter schließen als die des großen Korsetts, und er begann auch von selbst, die Schnürung noch einmal richtig fest zu ziehen. Maria blickte ihn dankbar an. Sie flüsterte ein leises »Danke«.
Trotzdem blickte Paul wieder etwas fragend zu Maria, als er mit dem einen Arm fertig war. Erst dann traute er sich und fasste Maria verpackten Arm einmal an. Auch hier spürte er nur sehr festes Leder, aber nichts mehr von Marias Arm, der darin eingeschnürt war.
»Jetzt noch den anderen Arm«, Marias Stimme war genauso leise wie liebevoll. Sie wusste, dass sie Paul hier nicht verschrecken durfte. Dieser Samstagabend kostete Maria sehr viel Kraft.
Mit der Einschürung des zweiten Armkorsetts war Maria ebenfalls sehr zufrieden. Sie blickte Paul verliebt an. »Jetzt meine Handschuhe.«
Paul erinnerte sich mit Grausen an diese beiden seltsamen Kästen, die sie ihm vorhin gezeigt hatten. Er wollte gerade aufstehen, um sie vom Tisch zu holen, als er bemerkte, das Mrs. Potter neben ihm stand und ihn einen der beiden Handschuh reichte. Im ersten Moment war Paul etwas erschrocken, denn er war sich der Anwesenheit von Marias Erzieherin gar nicht mehr bewusst gewesen.
Mrs. Potter gab sich Mühe, ihre Stimme ruhig und leise klingen zu lassen. »Das Armkorsett trägt ein wenig auf, deswegen mußt Du noch etwas kräftiger drücken.«
Paul hatte nicht mehr die geistige Kraft, um sich dagegen zu wehren. Er nahm den Handschuhkasten, drückte auf den kleinen Knopf zum Öffnen und beugte sich zu Maria, die ihm ihre Hand schon entgegen streckte.
Wieder versuchte Mrs. Potter den beiden zu helfen. »Mache es ganz langsam zu, damit Maria genug Zeit hat, um den richtigen Platz zu finden.«
Paul konnte nur noch leicht nicken. Dann hielt er Maria den Kasten so hin, dass sie ihre Hand innen in die Ausbuchtung legen konnte.
Erst als sie ihn ansah, begann Paul ganz langsam, den Kasten vorsichtig zusammenzudrücken. Er beobachtete, wie der Spalt millimeterweise kleiner wurde, bis es schließlich »Klick« machte. Erst nach einem prüfenden Blick in Marias Gesicht konnte Paul sich für einen Moment entspannen.
Mrs. Potter reichte ihm den zweiten Handschuh. Paul holte noch einmal tief Luft, dann stand er auf und ging auf die andere Seite des Bettes. Er setzte sich wieder und legte auch diesen Kasten um die Hand, die Maria ihm hinhielt. »Klick«
Paul glaubte, den schlimmsten Teil überstanden zu haben. Er blickte auf mit sorgenvollem Gesicht auf Marias so streng verpackten Körper. Warum nahm sie das bloß auf sich.
Marias Stimme riß ihn aus seinen Gedanken. »Jetzt kannst Du mir noch die Arme am Körper festschnallen.«
Paul blickte zunächst etwas verwundert.
»Auf dem Tisch müßten noch ein paar einzelne Lederriemen sein.« Maria konnte vom Bett aus nicht mehr auf den Tisch sehen.
Paul stand auf und ging zum Tisch hinüber. Tatsächlich, dort lagen noch jede Menge Riemen. Vier kürzere und unzählige lange Riemen. Fast schon mit etwas Resignation und Galgenhumor fragte er: »Die kurzen oder die langen?«
Mrs. Potter war zu ihm an den Tisch getreten und zeigte sanft auf die kurzen Riemen. »Diese hier. Die langen kommen später.« In diesem Moment wollte Paul gar nicht wissen, wofür diese noch waren.
Er nahm sich die vier Riemen und trat wieder an das Bett. Er blickte auf Marias Bettkorsett und auf die Arme und sah, dass an je zwei Stellen extra Schnallen angebracht waren, durch die er je einen der Riemen ziehen konnte. Er fädelte den Riemen ein und blickte fragend zu Maria »Richtig so?«
Maria war zufrieden. Ihre Arme waren jetzt genauso unbeweglich wie ihr restlicher Körper. Doch innerlich war sie sehr aufgewühlt. Jetzt kam das schlimmste. Ihr Mundschutz und die Haube. Sie haßte es, doch sie wusste, dass sie es jetzt nicht zeigen durfte. Wenn sie auch nur ein winzige Träne verlieren würde, dann würde Paul sicher weglaufen, und das wollte sie noch weniger.
Paul wollte sich gerade wieder erheben, um den Rest vom Tisch zu holen, als Mrs. Potter ihn aufhielt. »Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für Dich, um Maria eine Gute Nacht zu wünschen. Später wird sie nicht mehr reden können.« Sie drehte sich höflich um.
Bei Paul lief eine Träne über das Gesicht, denn es tat ihm sehr weh, was er Maria hier im Namen der Schönheit antun musste. Noch schlimmer war für ihn der Gedanke, dass er es nächste Woche allein machen musste.
Maria ahnte, was in ihm vorging und sie versuchte, ihn zu trösten. »Glaub mir, es hat alles seine Richtigkeit.« Gern hätte sie ihm die Träne weggewischt, doch sie konnte sich nicht mehr bewegen.
Paul beugte sich zu Maria herunter und wünschte ihr eine gute Nacht, dann gab er ihr einen Kuß.
* * *
Mrs Potter beobachtete die beiden nur aus dem Augenwinkel. Sie war mit dem bisherigen Verlauf sehr zufrieden, und insgeheim erfüllte es sie mit Stolz, wie tapfer Maria ihre »schöne Nacht« verteidigt hatte.
Nachdem jetzt das meiste gemacht war, wollte sie den beiden Zeit lassen, sich in Ruhe zu verabschieden. Denn jetzt kam noch Marias Mundschutz und die Haube. Sie wusste, was Maria bisher davon gehalten hatte.
Doch zu ihrem großen Erstaunen fragte Maria jetzt von selbst nach ihrem Mundschutz, und Paul stand auf. Er ging zum Tisch und blickte fragend darauf umher. Mrs. Potter trat zum ihm und zeigte ihm die Gegenstände, die er jetzt mit zum Bett nehmen sollte.
Als Maria Paul mit ihrem Mundschutz in der Hand sah, schloß sie die Augen, hielt die Luft an und machte ihren Mund weit auf. Spannung lag in der Luft.
Doch es passierte nichts und so machte sie die Augen wieder auf. Sie musste trotz ihrer Anspannung lachen. Paul blickte mit sehr rätselhaftem Gesicht auf den sehr seltsamen Gegenstand in seinen Händen. Er drehte ihn hin und her und er hatte überhaupt keine Idee, wie dieses seltsame Ding wohl zu benutzen sei.
Marias doch ziemlich unbeschwertes Lachen riss ihn aus seinen Gedanken, und er blickte sie erstaunt und fragend an. Eine Frage brachte er jedoch nicht mehr über die Lippen.
»Das mußt Du mir in den Mund stecken. Wie bei den Boxern, die tragen sowas auch.«
Paul hatte allerdings noch nie einen Boxkampf gesehen, so dass ihm dies auch nicht weiter half. Er drehte das seltsame Plastikteil langsam in seinen Fingern.
Es fiel Maria erstaunlich leicht, darüber zu sprechen. »Hinten in das Loch werde ich meine Zunge stecken. Und meine Zähne kommen in diese Vertiefungen.«
Paul warf noch einmal einen Blick auf das Teil. Jetzt glaubte er verstanden zu haben, wie Maria es tragen würde. Er drehte es so, dass das Loch auf Marias Mund zeigte, und blickte Maria fragend an.
»So ist es richtig.« Ihre Stimme zitterte nicht. Langsam machte sie ihren Mund auf. Paul schob ihr den Mundschutz sehr vorsichtig in die Mundhöhle, und dabei spürte er, dass Maria mit ihrer Zunge noch etwas die Richtung anpaßte. Dann sah er ganz fasziniert, wie Maria ihren Mund langsam zumachte. Erst als seine Finger Marias Lippen spürten, ließ er los.
Maria war total aufgewühlt. Paul hatte ihr den Mundschutz eingesetzt, und es fühlte sich auf einmal ganz anders an als bei ihrer Erzieherin. Sie blickte Paul verliebt an.
Paul ließ sich von ihrer Stimmung anstecken. Er verstand, dass seine Freundin jetzt nicht mehr reden konnte, und dass er ihr gerade sozusagen die Lippen versiegelt hatte. Er beugte sich zu ihr herunter, und seine Lippen berührten noch einmal die ihrigen. Maria ließ ein wohliges Stöhnen hören. Im ersten Moment wunderte sich Paul, doch dann dämmerte ihm, das Maria sich jetzt nicht mehr anders äußern konnte.
Es tat Mrs. Potter ein klein wenig weh, dass sie jetzt eingreifen musste, doch sie hatte Marias Stoffhaube schon mit der Feuchtigkeitscreme getränkt, und deswegen musste Maria diese jetzt möglichst bald angelegt bekommen.
Sie zeigte Paul, was er machen musste. Paul küßte Maria noch ein letztes Mal, dann zog er ihr den Stoff zärtlich über den Kopf. Er erschauderte, als nur noch Marias Nasenlöcher zusehen waren.
Mrs. Potter drückte jetzt etwas aufs Tempo. Sie reicht ihm die schwere Lederhaube, die er jetzt Maria noch anlegen musste.
Von der Kopfseite des Bettes nahm sie jetzt eine lange Kissenrolle und legte sie auf die ihr zugewandte Seite von Maria. Mit etwas Kraftanstrengung packte sie Maria am Oberarm und drehte sie auf die Seite, legte dann die Kissenrolle unter sie, so dass sie auf der Seite liegenblieb.
Nun zeigte sie Paul, wie die Haube anzulegen war und wie streng er die Schnürung an der Rückseite schließen musste.
Paul war über sich selbst erstaunt, denn jetzt machte es ihm nicht mehr so viel aus, seine Freundin hier in ein total hilfloses Schönheitswesen zu verwandeln. So wunderte er sich auch nicht mehr, als Mrs. Potter ihm auch noch ein Halskorsett reichte.
Paul hatte es wiedererkannt, deswegen zuckte er ein klein wenig zusammen. Doch er wusste, wie er damit umzugehen hatte, und schloß die Schnürung an der Rückseite. Und nach kurzer Zeit wusste er, dass Maria sich jetzt gar nicht mehr bewegen konnte. Sogar ihre Zunge war gefangen genommen.
Ein sehr seltsames Gefühl von Faszination überkam ihm, doch er konnte es nicht einordnen.
Ohne weitere Aufforderung von Mrs.Potter hielt er Marias starre Form an ihrem Arm fest, entferne die Kissenrolle undlegte Maria vorsichtig wieder auf ihren Rücken.
Mrs. Potter räusperte sich. Auch ihr fiel das Sprechen schwer, denn auch sie war von Marias Verwandlung sehr beeindruckt. »Jetzt nimmst Du noch die langen Riemen und machst das Korsett am Bett fest.«
Paul hatte nicht mehr die Kraft, um zu protestieren, obwohl er dies für absolut überflüssig hielt. Wortlos folgte er ihren Worten, und sehr sorgfältig sorgte er dafür, das Marias strenges Korsett fest mit dem Bett verbunden war.
Mrs. Potter war sehr zufrieden. »Du kannst ihr noch einmal über das Gesicht streichen, das kann sie noch spüren.« Das war das Gute Nacht Signal, wann immer Maria die Haube trug. »Hören kann sie Dich nur sehr schwach.«
Paul beugte sich noch einmal zu dem so aberwitzig streng verpackten Körper herunter und strich Maria sehr sehr zärtlich über ihre Wange. Ein leises Stöhnen zeigte ihm, das sie seine Berührung gespürt hatte.
* * *
Immer wieder blickte Maria mit sorgenvollen Gesicht zum Bett, in dem ihre kranke Oma lag. Die Stirn war sehr heiß und ihr Atem ging keuchend. Sogar ihre Stimme war sehr schwach; und nur mit Mühe konnte Maria sie verstehen.
Ihre Enkelin hatte ihr schon einige Kräutertees zubereitet, doch davon war keine Besserung zu spüren.
Maria sah, dass ihre Oma sie zu sich heran winkte. Sie sah, dass ihre Lippen sich bewegten, und Maria beugte sich zu ihr herunter und versuchte, die sehr schwache Stimme zu verstehen.
Erst beim dritten Mal konnte Maria die leisen und schnellen Worte entziffern. »Geh in die Stadt und hol den Doktor.«
Es war nicht das erste Mal, dass die Oma Maria in die Stadt schickte, doch diesmal, dies musste Maria erkennen, konnte sie sich nicht um ihre Enkelin kümmern. Immerhin wusste Maria, was sie zu tun hatte.
Sie öffnete ihren kleinen Schrank und überlegte, was sie denn in die Stadt anziehen könnte. Sie nahm sich den langen Ledermantel heraus und stellte ihre schweren Lederstiefel heraus. Sie mochte das schwere Leder, denn es gab ihr zusätzlichen Schutz. Zärtlich strich sie über das glatte schwarze Leder, doch dann riss sie sich zusammen und legte ihn auf das Bett.
Insgeheim hatte sie Angst vor der Stadt, denn es ging dort sehr wild und rauh zu. Doch genauso gern bummelte sie dort auf dem Markt. Es gab dort immer viel zu sehen und exotische Sachen zu kaufen. Nur hatte ihre Oma ihr verboten, allein auf den Markt zu gehen, denn das war sehr gefährlich bei all dem Gesindel, das sich dort herum trieb.
Sie griff sich unwillkürlich an ihre Taille und wusste, dass da noch etwas fehlte. Nur kurz dachte sie daran, dass sie vielleicht ‚ohne‘ in die Stadt gehen könnte. Doch sie verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Das war viel zu gefährlich. Sie musste sich selbst in dieses Metallding einsperren.
Seufzend zog sie die große Schublade auf und nahm das silber glänzende Metallgestell in die Hand. Es war ein sehr moderner Keuschheitsgürtel, den die Firma Neustahl extra für sie angefertigt hatte. Doch sie wusste natürlich auch, dass sie selbst dann auch nicht mehr an sich heran kam, und deswegen trug sie den Gürtel immer nur dann, wenn es ihre Oma ihr abverlangte.
Das Versteck der Schlüssel kannte Maria schon seit langem, doch hatte sie bisher nie Grund, sich selbst um ihre Befreiung zu kümmern. Immer wenn sie aus der Stadt zurück kam, hatte ihre Oma sie bald darauf aus dem Keuschheitsgürtel befreit. Und sehr oft verschwand Maria danach in ihr Zimmer und legte sich auf ihr Bett, um weiter von dem Prinzen zu träumen, denn sie in der Stadt manchmal gesehen hatte.
Doch heute war es anders, das wusste Maria. Seufzend legte sie den Gürtel auf das Bett und sah mit einer Gänsehaut, wie sich das Licht in dem glänzenden Metall spiegelte.
Jedes Mal, wenn sie sich den Gürtel anlegte, kam es ihr vor, als wäre er schon wieder etwas enger geworden. Doch dies schien nur so, denn der Gürtel war eben sehr eng gearbeitet, und Maria brauchte immer einige Zeit, um sich an die Enge zu gewöhnen.
Sie zog sich ihren Rock aus, legte sich den Gürtel um die Taille und zog das Schrittteil zwischen ihren Beinen nach vorne durch, um es vorn am Gürtel zu befestigen. Sie stöhnte leise, als sie das Schloß zur Hand nahm. Sie wusste, dass sie in wenigen Sekunden versperrt sein würde. Ohne die Schlüssel würde sie nicht mehr aus dem Gürtel heraus kommen.
Sie zögerte und blickte noch einmal auf das kleine, aber sehr robuste Schloß. Sie überlegte und ging langsam und vorsichtig ins Schlafzimmer und blickte sorgenvoll auf das Bett. Die Oma schien zu schlafen. Nur ab und zu war ein leises Stöhnen zu hören. Die Augen waren geschlossen.
Sie ging zu der kleinen Kommode und zog eine der kleinen Schubladen auf. Sie war entsetzt, denn der kleine Schlüsselbund war weg.
Was sollte sie jetzt tun? Zunächst wusste sie nicht weiter. Vom Bett der Oma war ein tiefer Seufzer zu hören und Maria schalt sich eine Närrin. Wie konnte sie an ihr eigenes Vergnügen denken, wenn es ihrer Oma hier so schlecht ging.
Todesmutig nahm sie das Schloß und ließ es am Gürtel einschnappen. Nun war sie sicher geschützt und konnte sich in die Stadt wagen, um den Doktor zu holen.
Doch auch ein wenig Angst schwang mit. Würde sie den Keuschheitsgürtel wohl wieder los werden?
Ein erneutes Stöhnen ihrer Oma riss sie aus ihren Gedanken. Sie musste sich beeilen.
Mit leisen, aber schnellen Schritten ging sie wieder in ihr Zimmer und zog sich den Rock wieder an. Jetzt war zwar von ihrem Tugendwächter nichts mehr zu sehen, aber dafür spürte sie deutlich das unnachgiebige Metall an ihrem Körper.
Sie setzte sich vorsichtig auf das Bett und nahm sich ihre Stiefel zur Hand. Sie waren sehr schick, und sie konnte aufgrund der eher flachen Absätze auch sehr gut darin gehen. Das war wichtig, denn es war ein langer Weg in die Stadt. Sie schlüpfte hinein und zog sich den Reißverschluß zu. Die Stiefel reichten bis kurz unter das Knie und verliehen ihr einen recht sicheren Schritt.
Genauso mochte sie den schweren Ledermantel, denn er kam ihr fast vor wie eine Umarmung oder ein Teil einer Rüstung. Sie fühlte sich in dem Leder sehr geschützt und geborgen.
Maria ging noch einmal ins Schlafzimmer zu ihrer Oma. Sie trat an das Bett und beugte sich zu ihr herunter. Sie flüsterte »Ich gehe dann los.«
Ihre Oma zeigte bis auf ein kurzes Blinzeln keine Reaktion. Maria gab ihr einen kurzen Kuß auf die Stirn, dann drehte sie sich um und ging sorgenvoll aus dem Zimmer. An der Tür drehte sie sich noch einmal kurz um. Hoffentlich konnte der Doktor ihr helfen.
* * *
Die schwere Tür fiel ins Schloß, und Maria begann ihren langen Weg zur Stadt. Das Haus ihrer Oma lag schon sehr weit abseits, so dass sie sicher zwei Stunden unterwegs sein würde. Heute würde sie aber nicht so trödeln, wie sie das sonst machte. Es war Maria sehr wichtig, dass sie möglichst schnell bei dem Doktor sein würde. Sie wusste, dass sie danach auf den Markt gehen konnte. Dort gab es immer viel aufregendes zu sehen. Und vielleicht konnte sie ja auch wieder einmal einen Blick auf den Prinzen werfen. Sie träumte oft von ihm.
Die Sonne strahlte vom Himmel und die Vögel sangen, doch Maria hatte heute weder Augen noch Ohren dafür. Zu groß waren die Sorgen um die Oma. Selbst die blühenden Blumen am Wegrand übersah Maria diesmal. Sonst hielt sie oft inne, um sie zu pflücken, meistens, wenn sie auf dem Rückweg waren oder wenn sie Besuche machten. Doch heute...
Maria versuchte noch einen Schritt schneller zu gehen. Sie spürte, wie ihr wärmer wurde. Die Sonne hatte schon richtig viel Kraft. Sie hielt kurz inne und überlegte. Bis kurz vor der Stadt würde sie es wohl wagen können, den Mantel auszuziehen. Er war heute einfach zu warm. Sie schlüpfte aus ihrer Rüstung heraus und legte sich das von der Sonne aufgeheizte Leder über den Arm.
Ob die Wärter am Stadttor sie heute wohl ohne Probleme einlassen würden? Manchmal waren die richtig gemein, und Maria musste erst ein Gedicht aufsagen oder ein Lied singen, bevor sie eingelassen wurde. Sie hoffte, dass es heute einfacher werden würde.
Manchmal, dass wusste sie, halfen auch ein paar Tränen. Und die machten ihr heute überhaupt keine Probleme. Sie musste nur an den Zustand ihrer Oma denken und schon liefen sie. Dazu kam noch die Ungewissheit, ob sie wohl wieder aus dem Keuschheitsgürtel heraus kommen würde.
Maria grübelte darüber, warum der Schlüssel weg war. Ihre Oma hatte in der letzten Zeit oft das Wort ‚heiratsfähig‘ erwähnt, und ab und zu waren seltsame Schnösel zu Besuch. Maria ahnte, was es bedeutete, doch zu ihrer Erleichterung hatte ihre Oma alle diese – Maria musste schlucken, als sie über das Wort nachdachte - ‚Freier‘ wieder weggeschickt.
dass jetzt der Schlüssel weg war, würde doch hoffentlich nicht bedeuten, dass jemand... Sie wagte es nicht, den Gedanken zuende zu denken.
Das Stadttor kam in Sicht, und Maria blieb kurz stehen, um sich den Mantel wieder anzuziehen. Nicht weil ihr vielleicht kalt geworden wäre, sondern weil der Mantel ihr sehr viel Schutz vermittelte. Mit tapferem Schritt ging sie auf das Stadttor zu.
Zu ihrer großen Erleichterung waren die Wärter diesmal sehr freundlich und ließen sie ohne Probleme ein. Ein neuer Wächter war dabei, der sich als Paul vorstellte, und dieser begleitete sie sogar bis zum Haus des Doktors.
Nach nur kurzer Zeit hatte der Doktor Zeit für sie. Maria brachte ihr Anliegen vor und beschrieb möglichst genau den Zustand der Oma. Sie zählte auf, was sie schon alles getan hatte, und bat den Doktor inständig, bei der Oma vorbei zu sehen.
Der Doktor hörte ihr aufmerksam zu und versprach ihr, nach der Sprechstunde gleich nach der Oma zu schauen. Maria war erleichtert.
* * *
Ihre Oma hatte ihr verboten, allein auf den Markt zu gehen, das wusste Maria. Und doch war die Versuchung stärker. Außerdem hoffte sie, vielleicht noch einmal dem Prinzen zu begegnen.
Maria war erstaunt, was es auf dem Markt alles gab. Einige wenige Sachen waren ihr bekannt, aber es gab sowohl Tiere als auch Lebensmittel und sonstige Waren, die sie noch nie oder bisher nur hier auf dem Markt gesehen hatte. Sehr interessiert schlenderte sie zwischen den Marktständen hindurch und hielt dabei immer einen Blick hinauf zur Burg gerichtet, ob sie vielleicht einmal einen Blick auf den Prinzen werfen könnte.
Deswegen fiel Maria auch nicht sofort auf, dass sie ins Visier einiger junger Männer geraten war. Erst als sie deutlich hinter ihr her gingen, hatte Maria es bemerkt. Sie beschleunigte ihre Schritte, doch es nutzte nichts, die Männer waren schneller.
Maria hätte jetzt gern den Mantel ausgezogen, denn dann hätte sie noch etwas schneller gehen können, doch dafür war es zu spät. Sie hatten sie eingeholt und drückten sie zu Boden. Einer der Männer machte ihren Mantel auf und schob ihr den Rock hoch. Maria weinte und flehte, doch die Männer lachten nur und ließen sich nicht beeindrucken.
Der Mann, der sie fest hielt, sah den Keuschheitsgürtel. Er fluchte und versuchte am Schloß zu rütteln. Maria spürte, wie kräftig er war, doch der Gürtel war stärker. Maria hielt in dem Moment den Atem an. Tränen liefen ihr durch das Gesicht, doch die Männer waren davon unbeeindruckt.
Eine laute Stimme war zu hören und sie spürte, wie die Halunken von ihr ließen und wegliefen. Jemand streckte ihr eine Hand hin und half ihr auf. Maria konnte zunächst mit ihren verweinten Augen gar nichts erkennen.
Dankbar nahm sie das Taschentuch, welches ihr Gegenüber ihr reichte, und wischte sich damit die Augen aus. Dann sah sie ungläubig, dass ihr der Prinz gegenüber stand. Sie zitterte. Prinz Paul hatte ihr geholfen. Maria war dankbar und bewegt.
Der Prinz lobte sie für ihre Umsicht, so einen guten Keuschheitsgürtel zu tragen. Dennoch war Maria etwas beschämt, denn der Prinz hatte ihre ‚Unterwäsche‘ gesehen. Doch gleichzeitig freute sie sich über das Lob.
Sie wollte sich bei dem Prinzen bedanken, doch sie stellte fest, dass sie im Mund den Mundschutz trug, und sie brachte deshalb kein Wort heraus. Sie wollte ihm die Hand reichen, doch sie spürte, dass sie ihren Arm nicht bewegen konnte.
Maria erkannte, das sie geträumt hatte. Jetzt lag sie wach im Bett und spürte überall am Körper die Einschränkungen der ‚schönen Nacht‘.
Leise dran das Wasserplätschern an ihre Ohren, und sie wusste, dass ihre Erzieherin schon ihr Bad vorbereitet. Lange würde es also nicht mehr dauern, und Maria würde sich wieder bewegen können, und sie freute sich schon auf das schön warme Badewasser.
Sie dachte wieder an ihren Traum und seufzte. Wie sollte sie Paul bloß beibringen, dass sie einen Keuschheitsgürtel trug?
Im Traum war es so einfach gewesen und der »Prinz« Paul hatte sie sogar für ihre Umsicht gelobt. Doch das war in einer anderen Zeit gewesen. Wie sollte sie es ihm erklären, dass sie sich oft sogar freiwillig in dieses Monster einsperren ließ, ohne zu wissen, wann sie wieder einmal an sich heran durfte.
Okay, dies musste sie sich eingestehen, oft waren es praktische Gründe, weswegen sie im Gürtel verblieb. Die Absprache lautete zwar, dass sie den Tugendwächter, wie sie ihn manchmal scherzhaft nannte, im Haus nicht zu tragen brauchte. Aber da sie nach der Schule oft gleich wieder weg musste, war es einfach praktischer, wenn sie eingesperrt blieb.
Doch wie würde Paul darauf reagieren? Sie seufzte noch einmal.
* * *
Seine Oma blickte Paul erstaunt an. »Was willst Du denn schon hier?«
»Ich wünsche Dir auch einen schönen Guten Morgen.« Paul hatte sehr gute Laune.
Sie musste ihn nur kurz ansehen und schon konnte sie ihm sagen, was ihn aus dem Bett trieb. »Maria?«
Doch Paul hatte noch eine weitere Überraschung für seine Oma. »Du gehst doch oft in die Kirche, oder? Würdest Du mich heute mal mitnehmen?«
»Du mußt ja schwer verliebt sein. Maria geht auch in die Kirche, nehme ich an?« Sie zeigte auf den gedeckten Tisch. »Jetzt setzt Dich erst mal hin und frühstücke. Bis die Kirche anfängt, haben wir noch Zeit.«
Paul kam der Aufforderung gern nach. Er nahm sich Kaffee und machte sich ein Marmeladenbrötchen. Er überlegte die ganze Zeit, ob er mit seiner Oma über Marias schöne Nacht reden konnte. Immerhin hatten ihn weder Maria noch ihre Erzieherin um irgendein Stillschweigen gebeten.
Oma Selma fragte, ob sie einen schönen Abend verbracht hätten.
Paul seufzte und begann leise zu erzählen. »Es war sehr seltsam gestern Abend.« Er beschrieb Marias Schönheitsprogramm, und es war ihm dabei anzuhören, dass er immer noch nicht von dessen Wirksamkeit überzeugt war.
Doch seine Oma überraschte ihn. »Das kenne ich. Das mußten die Grafentöchter auch oft über sich ergehen lassen.«
Paul blickte seine Oma erstaunt an. »Du mußtest so etwas auch machen?«
»Die Töchter hatten kein so großes Korsett, aber ansonsten waren diese Schönheitsnächte Pflicht.«
Einerseits war Paul beruhigt, dass Maria sich da etwas Bewährtem unterordnete, andererseits litt er sehr mit ihr, denn sie war schon sehr hilflos in dieser Nacht.
»Maria geht in die Christuskirche. Das ist doch die Gemeinde, wo Du auch immer hin gehst?« Paul war wieder in der Gegenwart.
Doch Selma musste ihn enttäuschen. »Das ist die Nachbargemeinde. Ich gehe zu der Schutzengel-Gemeinde.«
Paul war enttäuscht. Er hätte sehr gern Maria in die Kirche begleitet.
Seine Oma kannte ihren Enkel gut, und da sie ein Herz für ihn hatte, bot sie ihm an, heute einmal in die andere Gemeinde zu gehen. »Da war ich schon länger nicht mehr.«
Paul wäre seiner Oma am liebsten um den Hals gefallen.
»Dann mache Dich fertig. In zehn Minuten gehen wir los.«
* * *
Den Weg zu Marias Kirche kannte Paul nicht. Doch er wollte sich auch nicht die Blöße geben, dies zuzugeben. Er wäre sehr gern an ihrem Haus vorbeigegangen, doch da er den Weg nicht kannte, musste er sich von seiner Oma führen lassen. Doch zu seiner Freude sah er, dass ihr Weg sie tatsächlich an Marias Haus vorbei führte. Er zeigte seiner Oma das Haus, sobald das Grundstück in Sicht kam.
Als sie neben Marias Haus ankamen, sah Paul, dass Maria mit ihrer Erzieherin auch schon auf dem Weg war. Er winkte Maria zu.
Maria zögerte erst und warf einen Blick auf Mrs. Potter, dann hob sie ihren Arm und winkte schüchtern zurück.
Als sie näher kamen, fing Oma Selma auf einmal an, etwas vor sich hin zu murmeln. Paul verstand so etwas wie ‚Das kann doch nicht wahr sein...‘ Er wusste nicht, was seine Oma so bewegte.
Selma blickte Marias Erzieherin prüfend an. »Doro, bist Du es?«
Auch Mrs. Potter blieb stehen und war erstaunt. »Selma?« Sie musste schlucken.
Pauls Oma war genauso erstaunt. »Ich wusste nicht, dass Du das bist.« Sie blickte liebevoll auf ihren Enkel. »Paul hat immer nur von einer Mrs. Potter gesprochen.«
Mrs. Potter war genauso fasziniert. »Du bist die Oma von Paul?«
Paul und Maria blickten sich genauso verwundert an. Doch sie trauten sich auch beide nicht, die Unterhaltung der beiden Damen zu unterbrechen.
»Ihr müsst unbedingt heute zu uns zum Kaffee kommen.« Oma Selma sprach die Einladung mit echter Vorfreude aus. Paul war über den Gedanken, Maria schon am Nachmittag wiederzusehen ebenfalls sehr erfreut.
Mrs. Potter war in diesem Punkt jedoch etwas zögernd. »Maria muss heute nachmittag wieder den Handschuh trainieren.«
Doch Pauls Oma gab nicht nach. »Dann soll sie ihn mitbringen. Ich würde das sowieso gern einmal wieder sehen.«
Sowohl Paul als auch Maria standen etwas begossen daneben, weil sie beide scheinbar nicht gefragt wurden. Doch sie irrten sich. Oma Selma fragte, ob es den jungen Leute Recht wäre.
Doch es war Marias Erzieherin, die die eigentliche Überraschung bereit hielt. »Selma, wir müssen uns soviel erzählen, da kommen die jungen Leute sicher auch mal ohne uns zurecht.«
Irgendwie fühlte Paul sich ermutigt und versuchte Marias Hand zu ergreifen. Maria war zunächst ziemlich unsicher, weil ihre Erzieherin hinter ihr herging. Doch mit einer liebevollen Stimme gab sie zu verstehen, dass sie damit einverstanden war.
* * *
Sehr erleichtert hörte Paul die ersten Klänge des Orgelnachspiels. Er war in diesem Gottesdienst besonders angespannt gewesen, denn zum einen war er schon sehr lange nicht mehr in der Kirche gewesen, und zum anderen wollte er sich weder gegenüber Maria noch gegenüber seiner Oma blamieren.
Er hatte versucht, ordentlich mitzusingen und die Gebete mitzusprechen, zumindest die, die er noch kannte. Er war auch immer mit aufgestanden, wenn die anderen aufgestanden waren. Es dämmerte ihm, dass er mit Maria wohl noch öfter hierher kommen würde.
Sie hatte während des Gottesdiensts nur gelegentlich kurze Blicke ausgetauscht. Beide wollten sich nicht ungehörig verhalten und so Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Auch der Predigt war Paul aufmerksam gefolgt und hatte sogar ein paar der kleinen Pointen entdeckt, die die Pfarrerin gelegentlich einstreute. Trotzdem war Paul froh, dass der Gottesdienst jetzt zu Ende war.
Die Gemeinde wartete noch, bis das Orgelspiel vorbei war, dann standen die Besucher auf und gingen langsam hinaus.
Mrs. Potter erinnerte Maria an die Verabredung, die sie noch beim Kirchenkaffee haben würden. Paul musste kurz nachdenken, dann fiel ihm ein, dass sich gestern der Baron angemeldet hatte. Er war schon neugierig, was dieser von Maria wollte. Doch Paul traute sich von sich aus nicht zu fragen, ob er dabei sein könne.
Doch Maria nahm ihm die Entscheidung ab, denn gleich nachdem ihre Erzieherin sie an den Termin erinnert hatte, nahm sich Maria Pauls Hand und lächelte ihn an. »Du kommst mit.« Sie ließ ihm gar keine Zeit, um zu widersprechen. Und Mrs. Potter schon auch nichts dagegen zu haben. Paul spürte irgendwie die Nervosität der beiden Frauen.
Pauls Oma wünschte ihnen »wenig Ärger« mit dem Baron, dann verabschiedete sie sich. Sie müsse für den Nachmittag noch einiges vorbereiten. Und sie erinnerte Paul daran, rechtzeitig zum Mittagessen daheim zu sein.
Paul versprach, bald zu kommen. »Sobald Maria mich gehen läßt.« Und er streichelte ihr sanft über die Hand. Maria küßte ihn kurz auf die Wange und lächelte.
* * *
Im Gemeinderaum, aus dem es schon nach frisch gebrühten Kaffee duftete, waren noch einige Tische frei. Mrs. Potter ging an einen der liebevoll gedeckten Tische und verteilte recht resolut die Plätze. Unter normalen Umständen hätte Paul vielleicht protestiert, doch in diesem Moment spürte er die Angespanntheit von Marias Erzieherin, und deswegen kam er ihrer Anweisung sofort nach.
Doch gleich darauf erkannte Paul, was sie mit der Sitzordnung bezweckte. Es war nur ein Platz am Tisch frei, und dort würde der Baron sitzen müssen. Ihm gegenüber saß Maria, und Paul sowie Mrs. Potter saßen an je einer Seite zwischen Maria und dem Baron.
Paul begriff, dass sie so Maria etwas schützen konnten. Und sie würden automatisch alles hören, was der Baron zu sagen hätte.
* * *
Er fragte sich immer noch, ob es richtig war, was er jetzt anzustoßen begann. Doch immer, wenn er darüber nachdachte, musste er erkennen, dass es keinen anderen Ausweg gab. Er musste es tun, sonst würde seine Tochter alles ruinieren.
Mit traurigen Schritten betrat der Baron von Harsumstal das Kirchengelände und ging in Richtung des Gemeindesaals. Früher, als die Baronin noch lebte, waren sie oft hier, doch jetzt als Witwer war ihm alles entglitten.
Er ging in Gedanken seinen Plan noch einmal durch, und es gab eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass er auch funktionieren könnte. Ein wichtiger Bestandteil des Planes bestand darin, Marias Erzieherin zu überzeugen oder zu überrumpeln. Er wusste, dass sie ihm gegenüber voreingenommen war wegen der alten Geschichte und er hoffte sehr, dies zu seinem Vorteil ausnutzen zu können, um ihre Entscheidung in seinem Sinne zu beeinflussen.
Natürlich war ihm klar, dass Sophie es nie schaffen würde, selbst wenn sie es versuchen würde. Doch wenn sein Plan aufgehen würde, dann wäre dies auch völlig egal. Trotzdem nahm er sich vor, den stolzen und ehrgeizigen Vater vorzugeben und er hoffte sehr, dass sie es ihm abnehmen würden.
* * *
Mrs. Potter wollte den beiden noch erklären, wie sich gegenüber dem Baron verhalten sollten, doch dieser kam ihnen zuvor. Er kam an ihren Tisch und und blieb zunächst neben dem freien Stuhl stehen.
»Einen wunderschönen Guten Tag möchte ich wünschen.« Er ahnte, das er keine Antwort bekommen würde und sprach deswegen gleich weiter. »Gestatten Sie, dass ich mich zu Ihnen setze, um mein Anliegen vorzutragen.«
Mrs. Potter kam nicht umhin, einen Blick auf den freien Platz zu werfen.
Dies genügte dem Baron, und er setzte sich an den kleinen Tisch. Den unfreundlichen und zweifelnden Blick von Mrs. Potter übersah er dabei.
»Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, bin ich der Vorsitzende des Katerinenfestes. Und in dieser Funktion habe ich die Aufgabe, für die Rolle der Katerina, die von meiner Tochter Sophie gespielt wird, eine zweite Besetzung auszuwählen.« Er machte eine kleine Pause, um die Wichtigkeit dieser Aussage zu betonen.
Als er seine Tochter erwähnte, sah Paul, dass Mrs. Potter die Stirn runzelte. Er verstand sie mittlerweile gut genug, um daraus zu lesen. Der Vater tat sicher gut daran, sich um einen Vertretung zu kümmern. Wenn Sophie eine Eigenschaft fehlte, dann war es Zuverlässigkeit. Das war stadtbekannt.
Marias Erzieherin brauchte nicht lange, um sich eine Meinung zu bilden. Sie kannte das angesprochene Fest zwar nur aus Berichten, aber es würde für Marias Entwicklung nur gut sein. Zumal Maria die Monohandschuhe, die in den Berichten als wichtiger Bestandteil des Festes erwähnt wurden, schon kannte und gut tragen konnte.
Der Baron versuchte ein Lächeln. »Es könnte ja immerhin sein, dass Sophie plötzlich krank wird, und dann sollte ein vorbereiteter Ersatz zur Verfügung stehen.« Er hoffte, dass seine List aufgehen würde. Denn trotz oder gerade wegen seiner verzweifelten Lage kamen ihm die Vorurteile von Marias Erzieherin gerade recht. Er legte den Köder aus. »Sophie wird dieses Jahr die Originalhaltung tragen. Wir haben das aufgrund von historischen Texten ausgearbeitet.«
Jetzt wandte er sich direkt an Maria. »Meinen Sie, Sie wären in der Lage und hätten Zeit, die zweite Besetzung der Katerina zu übernehmen? Ich hoffe ja sehr, das es nicht nötig ist, aber ich muss dafür Sorge tragen.«
Mrs. Potter ging ihm auf den Leim. Sie war von den schlechten Nachrichten über Sophie so voreingenommen, dass sie sich fast in ihrem Stolz verletzt fühlte. »Natürlich wird Maria das machen. Ihr könnt auf sie zählen.« Innerlich war sie empört. Wieso sollte dieses Luder Sophie etwas können, was Maria mit ihrer guten Ausbildung nicht zustande bringen sollte?
Der Baron fuhr fort: »Es ist ja nur der Form halber. Sophie wird das sicher schaffen. Es wird genügen, wenn Maria die eine oder andere Tanzstunde mitmacht, aber mehr Zeit wird sie sicher nicht aufbringen müssen.« Er wollte sie in Sicherheit wiegen. »Und falls Maria Sophie wirklich vertreten müßte, dann wäre sie sicher fast genauso schön anzusehen als Prinzessin!« Der Baron versuchte den liebenden Vater vorzugeben, für den natürlich seine eigene Tochter die schönste der Welt ist. Denn natürlich war ihm klar, dass dieses vermeintliche Kompliment in Wirklichkeit ein bodenlose Frechheit war.
Maria blickte sehr ungläubig von ihrer Erzieherin zum Baron und wieder zurück. Doch sie wagte es nicht, ihr zu widersprechen. Solch große Entscheidungen hätte sie ohnehin nicht allein treffen dürfen.
Paul hingegen glaubte das Spiel des Barons durchschaut zu haben, denn irgendwie schien dieser von den schauspielerischen Qualitäten seiner Tochter gar nicht so sehr überzeugt. Doch auch Paul traute sich nicht, in Anwesenheit von Mrs. Potter zu widersprechen.
Der Baron nahm scheinbar dankbar die Zusage von Marias Erzieherin entgegen, dann verabschiedete er sich höflich und verließ die kleine Runde wieder.
Mrs. Potter drehte sich zu Maria, und in einem sehr vertrauensvollen Ton sagte sie: »Mach Dir keine Sorgen, Maria. Das, was sein verzogenes Töchterlein schafft, das schaffst Du dreimal.« dass sie auf den Baron hereingefallen waren, das erkannte sie nicht.
* * *
Der Baron ging über die Straße zu der Telefonzelle. Noch einmal dachte er darüber nach, ob es wirklich richtig war. In ihm kämpften sein schlechtes Gewissen mit seiner Verzweiflung über seine geschäftliche und gesellschaftliche Lage.
Er zog langsam die Tür auf und trat ein. Aus seiner Tasche kramte er etwas Kleingeld und einen Zettel. Er warf ein paar Münzen in das Telefon und wählte die Nummer, die auf dem Zettel geschrieben war. Ein Name stand nicht dabei.
Die Gegenseite meldete sich mit »Ja?«
Der Baron bemühte sich, leise zu sprechen. »Stichwort Katzenbuckel«
Sein Gegenüber schien sofort Bescheid zu wissen.
Der Baron sprach weiter. »Sie fährt sehr viel mit dem Auto. Lassen sie sich etwas einfallen. Es soll wie ein Unfall aussehen.«
Sein Gesprächspartner erklärte ihm, dass schon alles vorbereitet sei, und dass er nur noch auf das »Los« warte.
Der Baron wollte sichergehen, dass nichts schief ging. »Sie bringen sie auf jeden Fall in das Unfallkrankenhaus?«
Sein Gegenüber war fast etwas gekränkt. »Natürlich, so war es doch abgesprochen.« Er spürte die Nervosität seines Auftraggebers und versuchte ihn zu beruhigen. »Die Sanitäter sind auch vorbereitet. Es wird nichts schief gehen.«
Dann kam doch noch einmal der sich sorgende Vater durch. »Aber es darf ihr nicht wirklich etwas passieren, das müssen sie mir versprechen!« Er wusste, dass er besser nicht auf die Antwort warten sollte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Das Geld gibt es im Herbst.«
Sein Gesprächspartner war über die Nöte des Barons informiert und wusste, dass nach dem Fest sicher noch mehr zu holen wäre.
Sie legten auf.
* * *
Er musste einmal tief durchatmen, dann wählte er eine neue Nummer. Die Sekretärin des Chefarztes war dran.
Er wollte den Chef sprechen. Sie fragte, wer spreche. Der Baron nannte den abgesprochenen Namen. Sie stellte durch.
Der Arzt meldete sich. »So soll es also losgehen?« Er wusste sofort Bescheid.
Der Baron kam gleich zur Sache. »Also wie abgesprochen, du musst sie für mindestens ein halbes Jahr aus dem Verkehr ziehen.«
Der Arzt bemühte sich, möglichst wenig Worte zu machen. »Alles?«
Der Baron versuchte sich an die bisherigen Absprachen zu erinnern. »Ja, mach alles so wie abgesprochen. Auch das mit dem Kiefer. Es muss alles so echt sein, dass sie es selber glaubt.«
Der Arzt versuchte ihn zu beruhigen. »Mach dir keine Sogen, sie wird nichts merken.«
»Ich vertraue Dir. Du hast dann was gut bei mir.«
Was mit den Kosten sei, wollte der Arzt noch wissen.
Der Baron hatte insgeheim mit dieser Frage gerechnet. »Sie ist ein Unfallopfer. Stell die Diagnose so, dass es die Kasse zahlt.«
Der Arzt sagte ihm, dass dies leicht möglich sei.
Der Baron war erleichtert, dass er das Krankenhaus nicht auch noch bezahlen musste. Das wäre teuer geworden. Er dankte dem Arzt.
Dieser wiegelte ab. »Ich bitte Dich. Wir Väter müssen doch zusammenhalten bei diesen kleinen Monstern.«
* * *
Nachdenklich verließ der Baron die Telefonzelle und ging mit langsamen Schritten auf sein Auto zu. Er hoffte, dass er seiner Tochter jetzt nicht mehr begegnen musste. Er würde ihr nicht mehr in die Augen sehen können. Doch, so musste er sich eingestehen, das hatte er sowieso schon lange nicht mehr getan.
Sie hatten sich einfach schon zu sehr von einander entfernt. Wenn dieses dumme Fest nicht wäre, in dem all sein Geld steckte, dann wäre alles anders.
Er hatte tiefes Mitleid mit seiner Tochter, dass er ihr so etwas Grausames antun musste, aber er sah einfach keine andere Möglichkeit mehr. Sophie würde es sonst schaffen, alles kaputt zu machen.
Obwohl, dies musste er sich auch eingestehen, es gab nicht mehr viel kaputtzumachen. Seit dem Tod seiner Frau war es immer weiter bergab gegangen. Doch jetzt schien sich trotzdem noch ein viel größerer Abgrund aufzutun, und er war bemüht, ihn mit einem großen Schritt zu überwinden.
* * *
Paul war schon ziemlich nervös und rannte ständig von einem Fenster zum anderen. Gleich nach dem Mittagessen war er nach oben gegangen und hatte sein Zimmer aufgeräumt. Dann hatte er seiner Oma sogar in der Küche geholfen.
Über die Ereignisse hatten sie nur kurz gesprochen. Er war viel zu aufgeregt wegen Marias Besuches. Immer wieder schaute er aus dem Fenster auf den runden Vorplatz, ob er Maria und ihre Erzieherin nicht vielleicht schon kommen sehen konnte.
Endlich sah er, wie sie langsam die Straße herauf kamen. Als sie auf den Wendeplatz vor dem Haus traten, versuchte Paul zu erkennen, was Maria trug, doch er konnte nur ihre langes Cape erkennen. Und sie schien diese seltsamen Stiefel zu tragen, denn sie ging besonders vorsichtig. Paul fiel erst nach einiger Zeit wieder ein, dass Maria diese Stiefel als Ballett-Stiefel bezeichnet hatte.
Er hielt es nicht mehr aus. Obwohl sie noch nicht einmal an der Gartentür waren, lief Paul die Treppe hinuntger und öffnete die Haustür.
* * *
»Hier duftet es ja schon nach Kaffee.« Mrs. Potters Stimme klang erfreut und neugierig zugleich.
Paul wartete, bis beide Frauen im Flur waren, dann schloß er die Haustür.
Oma Selma war jetzt ebenfalls gekommen und begrüßte ihre alte Freundin sehr herzlich.
Maria gab Paul einen Begrüßungskuß und zeigte ihm, dass bei ihrem Cape die Armdurchgriffe verschlossen waren. »Das haben wir beim Anziehen nicht gemerkt. Kannst Du mir die bitte aufmachen?«
Paul warf einen heimlichen Blick auf Marias Erzieherin, doch diese wurde immer noch von seiner Oma begrüßt. Also nahm er sich ein Herz und zog die beiden Reißverschlüsse auf. Er kannte sich mit den vielen Regeln, mit denen Maria umgeben war, immer noch nicht so genau aus, und er wollte eben keine Fehler machen. Aber hier siegte sein Herz, und so hatte er kaum Bedenken, Marias Händen hier etwas mehr Freiraum zu verschaffen. Maria war sehr dankbar, dass sie jetzt Paul und vor allem seiner Oma die Hand reichen konnte. Dieser war gut anzusehen, dass sie sich über den Besuch von Maria wirklich freute.
Mrs. Potter zog sich ihre leichte Jacke aus und reichte sie Paul. Dann nahm sie einen Schlüssel aus ihrer Tasche und schloß Maria das Cape auf. Es fiel Paul schon auf, das sie diesmal das kleine Bund dabei zu haben schien.
Oma Selma war ein klein wenig enttäuscht. Sie wandte sich an Maria. »Schade, ich hatte gedacht, Du würdest deinen Handschuh tragen. Paul hat mir schon viel davon erzählt.«
Maria war ihr Ansehen bei Pauls Oma schon recht wichtig. Sie öffnete die Tasche, die sie unter dem Cape getragen hatte, und zeigte den Handschuh, der darin lag. »Ich müßte bald wieder trainieren. Ich hoffe, das stört euch nicht.«
Oma Selma kam ihr entgegen. »Ich würde mich sehr freuen, wenn ich mal wieder so einen Handschuh sehen dürfte. Du würdest mir eine große Freude damit machen. Das habe ich Paul auch schon gesagt.«
Auf Marias Gesicht verwandelten sich die Zweifel in ein Strahlen, gemischt mir etwas Erstaunen. Sie blickte Paul fragend an.
Doch seine Oma unterbrach die Stimmung. »Jetzt wollen wir erstmal Kaffee trinken. Ich habe extra Kuchen gebacken.«
* * *
Der Kaffeetisch war liebevoll gedeckt, und Paul hatte sogar einen kleinen Strauß Blumen auf dem Garten auf den Tisch gestellt. Sie nahmen Platz, und Paul bot den Kuchen an, während seine Oma den Kaffee verteilte.
Es fiel Paul auf, dass Maria recht nervös zur Uhr blickte, während sie ihren Kuchen aß. Ihre Erzieherin hatte diesen Blick bemerkt und schien zu wissen, was ihr Schützling wollte. Sie zwinkerte ihr zu. »Wir lassen Dein Training heute etwas später beginnen.« Maria war sowohl dankbar als auch erstaunt, denn sonst gab es so eine Ausnahme nicht.
Oma Selma schien auch zu ahnen, was Maria wollte. »Die Grafentöchter haben so einen Handschuh auch sehr oft getragen,« begann sie recht unvermittelt. »Ich freue mich, dass Du ihn so oft trägst.«
Maria wurde rot. Sie wusste nicht so recht, was sie antworten sollte. Aber sie lächelte dankbar.
Selma sprach weiter, und sie klang dabei ziemlich wehmütig. »Leider ist diese klassische Erziehungsform ja in unseren modernen Zeiten in Vergessenheit geraten. Gewiss, sie ist ziemlich mühsam und anstrengend und sie verlangt den Mädchen einiges ab. Aber Du bist der beste Beweis dafür, dass sie immer noch funktioniert, und dass sie Resultate bringt!«
Maria errötete noch mehr und beugte sich mit einem glücklichen Lächeln über ihren Kuchenteller.
Die Begeisterung schwang in ihrer Stimme mit. »Kind, so eine schöne Haltung und Figur habe ich seit meiner Zeit bei dem Grafen nicht mehr gesehen.«
* * *
Maria hatte ihren Kuchen aufgegessen, und ihre Kaffeetasse war auch leer. Mehr Kaffee wollte sie nicht. Stattdessen begann sie nervös auf ihrem Stuhl hin und her zu rutschen.
Mrs. Potter war in Gedanken noch bei dem, was Oma Selma gerade erzählt hatte, deswegen entging ihr Marias Unruhe zunächst. Doch dann blickte sie kurz auf die Uhr und wandte sich dann an ihren Schützling. »Ich denke, jetzt wäre es Zeit für das Training.«
Maria war erst ziemlich unsicher, ob sie auf die Erlaubnis zum Aufstehen warten musste oder nicht. Doch dann nahm sie sich ein Herz, schob ihren Stuhl zurück und stand auf. Sie ging zu ihrer Tasche und nahm ihren Handschuh heraus. Sie sortierte gleich etwas die Riemen und ging dann mit dem Lederbündel wieder auf ihre Erzieherin zu. Sie stellte sich neben sie und reichte ihr den Handschuh.
Doch zu ihrer Überraschung blickte Mrs. Potter nur kurz auf den Handschuh und sagte mit bewußt liebevoller Stimme: »Paul wird Dir bestimmt gern bei deinem Training helfen.«
Maria ließ den Handschuh sinken, und für einen Moment wusste sie nicht weiter. Es war ihr anzusehen, dass sie damit nicht gerechnet hatte. Doch dann glitt auf einmal ein Lächeln über ihr Gesicht, und sie ging mit fast etwas wackeligen Schritten auf Paul zu. Sie reichte ihm den Handschuh und sah ihn voller Liebe an.
Paul war innerlich sehr aufgewühlt. Er hatte sich zwar irgendwie darauf gefreut, Maria wieder in dem Handschuh zu sehen, auch wenn er selbst gar nicht so genau wusste warum. Aber dass er ihr den jetzt sogar selbst wieder anlegen sollte, das hatte er nicht erwartet.
Er nahm das Lederbündel in die Hand und blickte seine Oma fragend an. Er wusste, dass sie sich damit auskennen würde. Sie hatte ja oft von den Grafentöchtern erzählt.
Sie blickte ihn zuversichtlich an. »Das schaffst Du schon.«
Auch Maria versuchte ihm Mut zu machen. »Ich sage Dir, wenn etwas nicht stimmen sollte.« Dann beugte sie sich vor und küßte ihn kurz auf die Wange. »Bitte versuche es.«
Paul nahm das Lederbündel an und ließ es auseinander rollen. Er sortierte konzentriert die vielen Lederriemen, und als er wieder aufblickte, sah er, dass Maria sich mittlerweile umgedreht hatte und ihm die Arme auf dem Rücken präsentierte.
Paul bemerkte es nicht, denn er war viel zu sehr mit dem Handschuh beschäftigt, aber seine Oma lobte Maria, weil sie es auch ohne Hilfe schaffte, ihre Ellenbogen sich auf dem Rücken berühren zu lassen.
Maria drehte ihren Kopf zu Pauls Oma, die mittlerweile auch aufgestanden war und neben Maria stand. Es war Maria anzusehen, dass ihr das Lob sehr gefiel. Doch eine Antwort brachte sie nicht zustande. Dafür war sie im Moment zu aufgeregt.
Paul versuchte sich zu erinnern, was er tun musste. Er blickte mit viel Unsicherheit auf den Handschuh und dann noch einmal auf Marias Arme, die sie ihm mit wachsender innerer Unruhe hinhielt.
»Oh, das ist ja sogar noch ein Handschuh in der alten Art.« Es war Selmas Stimme anzuhören, das es sie sichtlich freute. »Auf der ganzen Länge zum Schnüren und mit sich über der Brust kreuzenden Riemen.« Maria freute sich des Lobes.
Paul wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Doch dann versuchte er sich daran zu erinnern, was er beim letzten Mal gemacht hatte. Er schob Maria die Lederhülle vorsichtig von unten über die Arme und zog sie dann langsam nach oben. Seine Freundin hielt ihre Hände brav aufeinander, so dass sie unten in der engen Spitze des Handschuhs sofort den richtigen Platz fanden.
Seine Oma gab ihm den Tipp, auf das Aussehen des Handschuhs und auf die Lage der Hände zu achten. Sie zeigte ihm, dass Marias Finger sich fast etwas abzeichneten, und dies, so erklärte sie ihm, sei ein Zeichen dafür, das der Handschuh gut säße.
Paul wurde immer nervöser und wollte gleich mit der Schnürung beginnen. Maria spürte dies und deswegen unterbrach sie ihn mit leiser, aber fester Stimme. »Zuerst die langen Riemen.«
Paul wurde etwas verlegen und ließ die Schnüre wieder los. Er nahm die langen Lederriemen zur Hand und überlegte, wie er damit umgehen musste. Doch dann wurde er auf einmal unsicher und blickte seine Oma an. »Kommen die jetzt erst über die Schulter oder erst drunter durch?«
Seine Oma warf einen Blick auf den Handschuh, dann konnte sie es ihm zeigen. Er zog also den Riemen zuerst unter der Schulter durch über die Brust, dann über die Schulter zurück zum Handschuh. Dort wartete schon die Schnalle zum Festmachen.
Dass er den Riemen später noch enger machen musste, das wusste Paul noch, und so wandte er sich gleich dem zweiten Riemen zu, den er genauso fest machte.
Nach einem fragenden Blick zu seiner Oma begann Paul, die Schnürung festzuziehen. Doch schon nach kurzer Zeit wurde er von seiner Oma unterbrochen. »Das mußt Du anders machen, dann wird der Druck gleichmäßiger verteilt, und für Maria ist es leichter zu tragen.«
Sie trat neben Paul und zeigte ihm, dass er die Schnürung immer in der Mitte anfassen sollte und sie von unten nach oben immer weiter schließen sollte.
Paul kam dem Ratschlag gern nach, denn wenn er Maria schon so etwas seltsames antun musste, dann sollte es für sie doch wenigstens so bequem wie möglich sein.
Selma blickte auf die Schnürleiste, die von Paul immer weiter geschlossen wurde. Sie sprach eher leise und zu sich selbst. »Du könntest aber schon einen etwas strengeren Handschuh tragen.«
Maria hatte die Worte trotzdem gehört, und voller Stolz berichtete sie, dass sie im Sommer von ihrer Mutter eine neue strengere Trainingsausrüstung bekommen würde. »Und ein engerer Handschuh ist sicher dabei.«
Mrs. Potter war von dem Schauspiel sehr angetan. Sie überwand sogar ihren Stolz, dass Pauls Oma sich mit dem Handschuh besser auskannte. Sie legte einige Schlösser auf den Tisch und trug etwas in ein kleines Notizbuch ein, nachdem sie auf die Uhr gesehen hatte.
Selma blickte ungläubig auf die Schlösser auf dem Tisch. Doch sie sagte nichts.
Paul wusste, was er zu tun hatte. Er nahm eines nach dem anderen in die Hand und brachte es an den Schnallen des Handschuhs an. Es war Selma anzusehen, dass sie davon erstaunt war, doch sie sagte nichts. Mrs. Potter hatte den fragenden Blick gesehen, doch auch sie sagte nichts.
Selma war von Maria und der Weise, wie sie den Handschuh trug, sehr angetan. »Du machst das toll, mein Kind.«
Maria freute sich sichtlich über das Lob.
* * *
Oma Selma hatte angeregt, ins Wohnzimmer zu gehen. Sie schritt mit prüfendem Blick voran, dabei schien sie etwas zu suchen. Sie bat Maria zu ihr zu kommen.
Maria ging mit sehr langsamen Schritten auf Pauls Oma zu. Es brauchte keiner Worte, denn Maria wusste, das sie jetzt besonders vorsichtig gehen musste. Sie trug die Ballett-Stiefel, und ihre Arme, mit denen sie sonst die Balance halten konnte, steckten hinten in ihrem Monohandschuh. Zudem wollte sie nicht über eventuelle Falten im Teppich stolpern.
Pauls Oma spürte Marias Unsicherheit und überlegte, ob sie ihr nicht helfen sollte. Aber dann würde sich Maria vermutlich in ihrem Stolz verletzt fühlen, und das wollte Selma nicht. Also wartete sie geduldig, bis Maria neben ihr stand.
Sie bat Maria, sich auf das Sofa zu setzen. Maria kam der Bitte nach. Oma Selma war bemüht, es Maria bequem zu machen, und deshalb schichtete sie links und rechts von ihrem Handschuh einige Kissen auf, sodaß Maria sich trotz ihrer Armhaltung bequem zurücklehnen konnte.
Paul stellte in der Zwischenzeit einige Gläser und Getränke auf den Tisch vor dem Sofa. Er blickte auf Maria und wusste nicht so recht, was er machen sollte.
Maria flüsterte ihm ein »Strohhalm« zu.
Paul grinste, dann ging er noch einmal in die Küche und kam mit einem langen Strohhalm zurück und steckte ihn in Marias Glas.
Maria bedankte sich schüchtern.
Die anderen nahmen auch Platz rund um den Couchtisch. Paul sollte sich neben Maria setzen und ein wenig auf die Kissen achten, damit Maria bequem sitzen könne. Er bekam einen liebevollen Blick von ihr.
* * *
Selma war sehr angetan von Maria und der Art, wie sie den Handschuh trug. »Es ist einfach schön, wieder jemanden zu sehen, der den Handschuh mit so viel Grazie und Würde tragen kann wie Du. Heutzutage sieht man das ja praktisch überhaupt nicht mehr.«
Sie seufzte. »Ich glaube, die einzige Gelegenheit in diesen modernen Zeiten ist das Katerinenfest, das ja auch dieses Jahr wieder stattfindet.«
Die fragenden Blicke aus der Runde ließen Pauls Oma erklären. »Die Darstellerinnen der Katerina müssen ja auch so einen Handschuh tragen. Inden vergangenen Jahren gaben sie sich zwar redliche Mühe, aber sie machten aber einen eher jämmerlichen und unbeholfenen Eindruck, weil sie das vorher nie genug geübt hatten.«
Oma Selma blickte auf Maria.
»Du würdest eine schöne Katerina geben.« Oma Selmas Stimme klang ehrlich begeistert. »Du müßtest das Handschuh-Tragen nicht einmal trainieren.«
Die anderen in der Runde blickten etwas ungläubig.
»Ich meine die Darstellerin der Katerina auf dem gleichnamigen Fest.« Sie erklärte, dass bisher jede Darstellerin das Tragen des Handschuhs erst üben musste.
Bei Mrs. Potter kam wieder die Empörung vom Kirchenkaffee hoch. »Und die Sophie will das besser können? Die will sogar das Original tragen?« Ihre Stimme klang sehr erregt.
Oma Selma wurde hellhörig. »Wer? Doch nicht etwa die – Baroness?« Die Pause, die sie vor dem Wort Baroness gemacht hatte, sprach Bände.
Mrs. Potter versuchte es zu erklären. »Doch, genau die.« Sie holte noch einmal tief Luft. »Ihr Vater war vorhin bei uns, weil er für die Rolle eine Vertretung benennen muss, und dafür hat er Maria gefragt.«
Oma Selma nickte zustimmend, so wurde das bisher jedes Mal gemacht.
»Aber er meint«, so fuhr sie fort, »Maria bräuchte sich dabei um nichts zu sorgen, denn Sophie würde das ganz sicher schaffen.«
Ein Stirnrunzeln von Selma war die Antwort. Es war gut zu sehen, was Pauls Oma von der Baroness hielt.
Paul erinnerte sich an die Worte des Barons. »Er sagte, Sophie würde dieses Jahr sogar die Originalhaltung tragen.«
Mrs. Potter bestätigte dies und erzählte, wie der Baron beim Kirchenkaffee vorbei gekommen war.
Ein Lachen von Pauls Oma war die Antwort. »Na, da hat er euch aber einen schönen Bären aufgebunden.«
Die anderen blickten erstaunt zu Selma.
Sie blickte in die verwunderten Gesichter. »Ihr wißt nicht, was die Originalhaltung ist?«
Das Schweigen war Antwort genug.
»Die Haltung ist ziemlich in Vergessenheit geraten und läßt sich nur sehr schwer erreichen. Sie wurde früher mal ‚das Gebet auf dem Rücken‘ genannt.« Sie macht eine Pause und schien zu überlegen. »Ich müßte eigentlich noch eine Zeichnung davon haben. Es ist nicht leicht zu beschreiben.«
Sie stand auf und ging zum Wohnzimmerschrank. Sie kam mit dem Album zurück, aus dem sie Paul schon das Bild der Grafentöchter gezeigt hatte. Sie legte das Buch vorsichtig auf den Tisch und schlug es auf. Sie blätterte langsam von hinten nach vorn.
»Ah, hier ist es.« Sie nahm eine sehr alt aussehende Papiermappe heraus. »Bitte seid sehr vorsichtig, es hat schon sehr gelitten.«
Sie machte die Mappe auf und blätterte sehr vorsichtig darin herum. Es waren hauptsächlich Modeskizzen aus längst vergangenen Zeiten. Schließlich hatte sie gefunden, was sie suchte. Sie legte die Zeichnung vorsichtig auf den Wohnzimmertisch, nachdem sie kurz Platz gemacht hatte.
Alle in der Runde blickten atemlos auf die Zeichnung, die eine junge Frau von vorn und von hinten sowie auch von der Seite zeigte. Sie trug so etwas wie ein eng anliegendes Sporttrikot. Doch das eigentlich erstaunliche war ihre Armhaltung.
Ihre Oberarme lagen hinter dem Rücken und folgten dabei der Kontur ihres Brustkorbes so, dass sie von vorne von den Schultern abwärts nicht sichtbar waren. Ihre Unterarme lagen aneinander und zeigten zwischen ihren Schulterblättern nach oben, so dass ihre Hände nahe ihrem Hals auf dem Rücken lagen. Das enge Trikot verbarg die Arme fast vollständig.
Ähnlich wie beim Tragen eines Monohandschuhes wurde die Trägerin zu einer sehr stolzen und aufrechten Haltung gezwungen, die auch ihre Brust in einem tiefen Ausschnitt sehr schön zur Geltung kommen ließ. Anders als bei einem Monohandschuh war jedoch ihre sehr schlanke Taille völlig unverdeckt von allen Seiten sichtbar und schien sich wie ein wohlgeformter Blütenkelch zu ihren Brüsten und Schultern hin zu entfalten.
Die Frau auf der Zeichnung strahlte von allem etwas aus – Ästhetik, Stolz, aber auch eine gewisse unschuldige Erotik, viel mehr, als dies mit einem klassischen Monohandschuh möglich gewesen wäre.
Mrs. Potter war die erste, die wieder Worte fand. »Das ist die Originalhaltung?« Sie blickte noch einmal ungläubig auf die Zeichnung. »Das wird dieses Luder doch nie schaffen.« Sie sprach aus, was alle dachten.
Oma Selma blickte Maria forschend an. »Du würdest das vielleicht hinbekommen, Maria.«
Maria blickte Pauls Oma überrascht an.
»Magst Du mir deinen Handschuh mal genauer zeigen?«
Maria wollte es immer noch nicht so recht glauben. Doch weil sie wollte Pauls Oma nicht enttäuschten wollte, kam sie der Bitte nach. Sie stand auf und ging zu ihr hinüber, dann drehte sie sich mit dem Rücken zu ihr hin.
Selma war bemüht, ihrer Stimme einen möglichst liebevollen Klang zu geben. »Darf ich Dich anfassen, mein Kind?«
Maria brachte es in diesem Moment nur zustande zu nicken.
Oma Selma versuchte Maria nur sehr zärtlich anzufassen. Sie prüfte den Sitz des Monohandschuhs und versuchte, Marias Ellenbogen noch weiter aneinander zu drücken. Dann faßte sie Maria an die Schultern und zog diese noch etwas weiter zurück.
»Du bist wirklich sehr gelenkig, mein Schatz.«
Es war Maria anzusehen, dass sie sich über das Urteil von Pauls Oma freute. Sie flüsterte ein leises »Danke«.
»Du solltest wirklich bald einen strengeren Handschuh tragen.« Sie faßte Maria noch einmal an die Schultern. »Auch die Schulterriemen könnten noch weiter angezogen werden.«
Maria versuchte ein Keuchen zu unterdrücken, als Selma ihre Taille untersuchte. »Du könntest auch ein strengeres Korsett tragen.«
Wieder war Marias Stimme leise, aber sehr stolz. »Im Sommer...« Weiter sprach sie nicht, denn sie war verwundert über die nächste Untersuchung.
Selma hatte ihre Brüste untersucht, und obwohl sie auf kurz aber fest drückte, gab Marias Bluse nicht nach. Auch wenn Pauls Oma nichts sagte, war doch zu sehen, dass sie schwer beeindruckt war.
Sie schien fertig zu sein. »Danke für Deine Geduld, mein Kind. Du kannst Dich wieder setzen.«
Vorsichtig ging Maria wieder zu ihrem Platz.
»Du könntest das »Gebet auf dem Rücken« bestimmt tragen.« In Selmas Stimme schwang einige Begeisterung mit. »Einige Wochen Training und Du wärst dann soweit.«
Maria blickte noch mal auf faszinierende Zeichnung. Ein freudiges Strahlen ging über ihr Gesicht.
»Wenn Deine Mutter es erlauben würde, dann könnte ich Dir dabei sogar helfen.«
Marias Augen leuchteten seltsam, und sie schien sich von der Zeichnung überhaupt nicht lösen zu können. Sie schien ihre Arme im Handschuh bewegen zu wollen, doch dieser hielt sie unerbittlich in der Haltung fest.
Paul wollte es auch nicht so recht glauben. »Und das hat die echte Katerina getragen?«
Pauls Oma freute sich über das Interesse ihres Enkels. Sie blickte kurz auf die Gesichter ihrer Gäste, und als sie sah, dass diese auch recht interessiert schauten, begann sie zu erzählen.
»Irgendwann im vierzehnten Jahrhundert führte der hiesige Herzog einen Krieg gegen den benachbarten Grafen. Es ist heute nicht mehr so ganz nachzuvollziehen, warum es überhaupt dazu gekommen ist. Eine Erklärung besagt, es sei wegen der Verschiebung einer Grenze gewesen, die der Graf versucht habe. Andere sagen, das der Graf öfters einmal einen Handelszug für den Herzog abgefangen habe.
Auf jeden Fall hat der Herzog den Grafen in einer Schlacht besiegt, und um den Grafen auch weiterhin unter Kontrolle zu halten, nahm er die Grafentochter, die Comtess Katerina, als Geisel und führte sie in einem Triumphzug in die Stadt.«
Sie machte eine Pause.
»Wie es in der damaligen Zeit üblich war, wurde auch die adeligen Gefangenen in Ketten gelegt. Es war wohl weniger wegen der Fesseln, als mehr wegen der Demütigung. Doch weder Katerina noch ihre Dienerinnen, die auch Ketten trugen, ließen sich davon beeindrucken. Die Tochter machte einen stolzen und selbstbewußten Eindruck, so erzählte man.«
Sie nahm einen Schluck Wasser.
»Es war dem Herzog bewußt, dass er die Grafentochter gut behandeln musste, wenn sie ihren Wert als Geisel nicht verlieren sollte. Da er sich selbst aber bei den Friedensverhandlungen befand, beauftragte er seinen Sohn Anselm damit, sich um die Comtess zu kümmern.«
Sie blickte in die Runde und grinste. »Ihr ahnt es sicher schon, der Herzogssohn hat sich bald darauf in die Grafentochter verliebt. Ob es Berechnung war oder Naivität, wurde nie bekannt. Offiziell war der Herzog gegen eine Verbindung mit der Familie des Grafen.«
Sie schien einen Moment nachzudenken.
»Es war eine Art Programm für die Grafentochter vorgesehen. Sie sollte bei jedem in der Stadt als Geisel bekannt gemacht werden. Deswegen wurde sie zunächst bei den Zünften vorgestellt und sollte dort jeweils ein paar Stunden mitarbeiten. Der Sohn des Herzogs musste sie dabei beaufsichtigen. Oft half er ihr aber auch bei den Arbeiten.
Nach den Zünften wurde Katerina bei den Honoratioren der Stadt vorgestellt. Auch dabei war sie immer in Begleitung. Irgendwann gab es den ersten zärtlichen Kuß, und die beiden waren sich bald einig.«
Maria hatte die Augen geschlossen und lehnte sich leicht gegen Pauls Schulter. Paul legte fast unbewußt seinen Arm um Marias Schulter und genoß ihre Nähe. Doch dann wurde er sich bewußt, was er da gerade getan hatte, und blickte erschrocken zu seiner Oma und kurz zu Marias Erzieherin. Doch beide nahmen seine Aktion entweder nicht wahr oder billigten sie. Er entspannte sich und lauschte weiter den Worten seiner Oma.
»Sie versuchten es zunächst geheim zu halten, doch bald machte das Gerücht in der Dienerschaft die Runde und erreichte schließlich auch die Ohren des Herzogs. Dieser rief seinen Sohn zu sich und machte ihn noch einmal auf seine Aufgabe sowie auf den Status von Katerina als Geisel aufmerksam. Besonders wies er darauf hin, dass er keine familiäre Bindung zur Familie des Grafen wünschte.
Doch der Sohn zeigte sich bockig. Er stand zu seinen Gefühlen und ignorierte sämtliche Anordnungen und Befehle seines Vaters.
Es vergingen einige Wochen, dann ließ der Vater bekannt geben, dass er einen Ball veranstalten würde, und auf diesen Ball würde sein Sohn sich verloben. Anselm befand sich in einer Zwickmühle. Gemäß dem damaligen Protokoll war so ein angekündigter Verlobungsball verbindlich. Und gleichzeitig wusste er, dass sein Vater alles unternehmen würde, um die Verbindung zur Comtess verhindern zu können.«
Diesmal war es Maria, die Pauls Oma unterbrach. Eigentlich paßte es nicht zu ihr, doch sie schien sehr mit dem Glück des Paares mitzufiebern. »Aber sie haben sich doch bekommen, oder?«
Selma war trotz allen auch dankbar für die Unterbrechung, denn sie griff erst mal zu ihrem Glas. Nach einem guten Schluck sprach sie dann weiter.
»Der Vater ergriff damals die Initiative. Er ließ verlauten, Katerina sei nach wie vor eine Geisel, und sie habe deswegen die ganze Zeit auch gefesselt zu sein. Es war wohl so, dass dies in der letzten Zeit ziemlich lasch gehandhabt wurde. Das Paar war über diese Entscheidung nicht besonders glücklich, doch sie mußten sich fügen.
Der Herzog hatte sich mit seinen Beratern besprochen, und diese hatten ihm geraten, dafür Sorge zu tragen, das Katerina bei dem Fest nicht mit dem Prinzen tanzen konnte. Doch gemäß ihres Ranges konnte er sie auch nicht von dem Fest ausschließen, zumal auch ihr Vater, der Graf, eingeladen war.«
Selma schien einen Moment nachzudenken.
»Es ist nicht mehr klar, wer letztendlich die Idee mit der besonderen Armhaltung hatte, doch dies hatte dem Herzog sofort gefallen. Denn auf der einen Seite ermöglichte es für den Herzog die Einhaltung des Protokolls, und auf der anderen Seite konnte die Comtess den Verlobungstanz ohne Arme nicht tanzen, und sie wurde damit »unmöglich« gemacht.
Die Schneiderin war es schließlich, die indirekt dafür sorgte, dass Grafentochter und Herzogssohn von den Plänen erfuhren, denn sie musste ja für das besondere Kleid extra noch einmal Maß nehmen, und insbesondere die besondere Armhaltung war etwas neues, deswegen wußten die beiden, was auf sie zukommen würde.«
Alle im Wohnzimmer hielten an dieser Stelle fast den Atem an. Es war wie in einem Märchen, und alle fragten sich, wie es weiter gehen würde.
»Die beiden Liebenden haben also durch die Schneiderin und eine mitleidige Dienerin des Herzogs von den Plänen erfahren, und letztendlich war es Katerina, die darauf gedrängt hat, den Verlobungstanz ohne Arme zu üben.«
Paul unterbrach seine Oma. »Sie waren sicher sehr verliebt?« Dabei blickte er erst seine Oma an und dann Maria. Er spürte, wie sie sich zärtlich an ihn schmiegte.
Die Oma fuhr fort: »Kurz vor Beginn des Balles wurde der Herzogssohn unter einem Vorwand weggelockt. Zwei dem Herzog ergebene Dienerinnen nahmen Katerina und zwangen sie in das grausame Kleid, welches ihre Arme komplett versteckte. Dazu mußten sie ihre Arme in der Haltung«, sie zeigte auf die Zeichnung, »gefesselt werden. Eine Vorbereitung hat sie damals nicht bekommen.«
Alle in der Runde hatte in diesem Moment Mitleid mit Katerina.
»Sie wurde angewiesen, den Mund zu öffnen, und gleich darauf wurde ihr ein Stoffbündel in den Mund geschoben und mit einem Tuch über den Lippen fixiert. Darüber wurde ein kunstvoller Schleier gebreitet.
Die Schneiderin hatte perfekte Arbeit geleistet. dass ihre Arme an dem Kleid fehlten, fiel überhaupt nicht auf, und auch der Schleier paßte perfekt zu der restlichen Erscheinung. Es gab keinen Grund, etwas an der Erscheinung der Grafentochter in Frage zu stellen. Und doch war sie grausam gefesselt und zum Schweigen gezwungen.«
Selma macht eine bedeutsame Pause.
»Doch die Liebe zwischen Anselm und Katerina war stärker.«
Das Telefon klingelte, und Oma Selma stand auf und verließ das Zimmer. Man hörte, wie sie am Telefon sprach. Es war aber nicht zu verstehen, worum es ging.
Auch Mrs. Potter stand auf und schien sich heimlich etwas zu recken. Dann ging sie zum Fenster, um in den Garten zu blicken.
Maria schmiegte sich noch einmal an Paul an. Sie drehte ihren Kopf zu ihm, blickte ihn sehr verliebt an und flüsterte: »Bitte küß mich.«
Von sich aus hätte Paul die Hilflosigkeit von Maria nicht ausnutzen wollen, aber dieser liebevollen Bitte kam er gern nach. Ihre Lippen trafen sich.
* * *
Anselm wurde immer nervöser. Gleich würde der Verlobungstanz beginnen. Er hatte dieses Ritual schon oft erlebt, wenn er und seine Familie bei anderen Festen eingeladen war. Oft genug war das Aussuchen der Braut nur noch eine formale Angelegenheit, denn längst war alles verabredet, und eine wirkliche Wahl gab es nicht.
Doch heute betraf es ihn selbst, und er sollte sich heute seine Braut aussuchen. Und er wusste, dass der Verlobungstanz verbindlich war. Es war fast wie ein Vertragsabschluß.
Anselm wusste, dass er auf jeden Fall seine Katerina heiraten wollte. Genauso war ihm aber klar, dass sein Vater alles versuchen würde, um genau dies zu verhindern.
Anselm hatte schon mit einigen der anwesenden Damen getanzt, doch bisher hatte er seine Braut nirgens entdeckt. Er wusste, dass sie anwesend war, denn auch ihr Vater war eingeladen. Aber wo war Katerina?
Schließlich entdeckte er auf der gegenüberliegenden Seite eine kleine Gruppe von Frauen, die alle einen Schleier trugen. Jede dieser Damen trug ein Tuch über den Schultern, so dass ihre Arme nicht zu sehen waren. Anselm war klar, dass seine Katerina eine von ihnen sein würde.
In den letzten Tagen, die er noch mit Katerina verbringen konnte, hatten sie ein paar Zeichen verabredet, weil sie wußten, dass der Herzog bestimmt Mittel ergreifen würde, um ihre Verlobung zu verhindern.
Der Prinz tanzte in die Nähe der verschleierten Frauen, und jedes Mal, wenn er sie anblickte, sah er, dass eine der Frauen mit dem Kopf ein Dreieck andeutete.
Er war erleichtert, er hatte seine Katerina erkannt und sie hatte ihm signalisiert: »Er war grausam, aber mir geht es gut.«
Schließlich kam der Verlobungstanz, und alle im Saal waren sehr gespannt, wen der Prinz auswählen würde. Dieser ging zielstrebig auf die verhüllten Gestalten in der Ecke zu. Und jetzt zeigte sich ein Fehler in den Plänen des Herzogs. Durch den Schleier konnte niemand sehen, wen der Prinz da wirklich ausgewählt hatte. Der Herzog und seine Umgebung wußten es zwar, aber er konnte nicht einschreiten, ohne das Gesicht zu verlieren. So musste er dem Treiben zusehen ohne dass er eingreifen konnte.
Sie tanzten wunderbar miteinander, und dass Katerina ihre Arme nicht benutzen konnte, fiel keinem auf, der es nicht wusste. Alle Figuren waren korrekt, und selbst die Figuren, die die Dame alleine tanzen musste, stimmten.
Katerina wusste sich sogar mit dem Prinzen zu verständigen. Die Zeichen, die sie zuvor für alle Fälle vereinbart hatten, kamen ihnen jetzt zugute. Zudem hatte Anselm ohnehin eine Bosheit seines Vaters erwartet.
Alle waren von der Wahl des Prinzen sehr angetan.
Er wollte Katerina die Demütigung ersparen, den Knebel zeigen zu müssen. Obwohl es nicht geplant war, tanzten sie beide durch die offene Tür hinaus in das Nebenzimmer, wo nur wenige sie sehen konnten. Sie blieben nur einen winzigen Moment draußen, und als sie wieder in den Saal kamen, trug Katerina ihren Schleier noch. Doch es schien, dass sie jetzt etwas erleichtert war. Wer ganz genau hingesehen hatte, konnte sehen, dass Anselm beim Hereinkommen kurz etwas weggeworfen hatte.
Gegen Ende des Tanzes traten sie vor den Thron, wie es das Protokoll vorsah...
* * *
»Und dann haben sie geheiratet?« Mrs. Potter stellte als erste die Frage, die allen im Kopf herumschwirrte.
Oma Selma lächelte. »Ja, dann haben sie sich bekommen. Der Herzog hatte sozusagen verloren gegen die Liebe.«
»Und wie lange musste sie ihre Arme so grausam tragen?« Marias Stimme war noch ziemlich leise.
Selma lächelte wieder. »Das ist nicht so genau überliefert. Einige Quellen deuten daraufhin, dass sie gleich nach der Verlobung wieder »frei« war, in anderen ist die Rede davon, dass sie erst in der Kirche nach dem Ja-Wort Gnade bekommen hat.«
Sie ließ den anderen Zeit, etwas darüber nachzudenken. »Heute wird es so gespielt, dass sie in der Kirche noch die Arme auf dem Rücken trägt.«
Paul traute sich zu fragen: »Und wie läuft das Fest so ab?«
Statt einer Antwort stand Pauls Oma auf und ging zur Terrassentür. »Die Sonne scheint nicht mehr so stark. Wollen wir uns nicht nach draußen setzen? Und dort erzähle ich Euch von den heutigen Festen.«
Paul spürte sofort, dass Maria mit dem Vorschlag nicht einverstanden war, denn er spürte, wie sie sich aufrichtete und versteifte. Sie suchte den Blick ihrer Erzieherin, und diese schien auch sofort zu wissen, was Maria beschäftigte. Allerdings blickte sie ihren Schützling ermutigend und auffordernd an.
»Ich darf mit dem Handschuh nicht nach draußen.« Marias Stimme zitterte etwas. Doch als sie sah, dass Oma Selma sichtlich enttäuscht war, überlegte sie selber, warum das so war. Sie wollte Pauls Oma eigentlich nicht enttäuschen. »Ich war mit dem Handschuh noch nie so draußen.«
Oma Selma war in diesem Moment sehr verständnisvoll. »Das verstehe ich gut. Aber ich kann Dich beruhigen, die Terrasse kann man von außen nicht einsehen.«
Maria zögerte noch. Selma ging zu einer Schublade und nahm ein großes Seidentuch heraus. Dies hängte sie Maria so um die Schultern, dass von ihrem Handschuh nichts mehr zu sehen war. »Paul, magst Du Maria hinaus führen?«
Paul kam der Bitte gern nach und half Maria beim Aufstehen. Dann legte er einen Arm um ihre Schultern, und langsam gingen sie zur Terrassentür. Sehr vorsichtig setzte Maria ihre Stiefel nach draußen und blickte sich sofort scheu um.
Zu ihrer Erleichterung war es wirklich so, wie Selma gesagt hatte. Die Terrasse war von keiner Seite einzusehen. Paul spürte, wie Maria sich zunehmend entspannte.
Er führte Maria zu der kleinen Bank und half ihr, sich dort hinzusetzen. Dann half er seiner Oma, den Tisch und die anderen Stühle dazu zu stellen. Als letztes ließ er noch die Markise herab.
Es stand ein Tablett mit Gläsern bereit, und Paul fragte nach den Getränkewünschen. Er ging noch einmal hinein und kam mit einem Korb mit Flaschen und ein paar Kissen zurück. Er stellte die Flaschen auf den Tisch, dann nahm er die Kissen und versuchte, Maria ein möglichst bequemes Sitzen zu ermöglichen.
Maria spürte, dass Oma Selma gern noch mehr von ihrem Handschuh gesehen hätte. Sie nahm sich all ihren Mut zusammen und bat Paul, das Tuch wieder hineinzubringen. »Ich denke, das brauche ich doch nicht.«
Oma Selma freute sich über Marias Geste. »Das ist schön von Dir, ich danke Dir.«
Sie schaute noch einmal fasziniert auf Marias so streng verpackte Arme. »Es gibt heute nicht mehr viele Mädchen, die so einen Handschuh tragen. Du machst das wirklich toll.«
Maria fühlte sich sehr geschmeichelt. Doch etwas bewegte sie. »Was müßte ich denn als Katerina so machen?«
Mrs. Potter musste zugeben, das auch sie sich mit dieser Frage beschäftigte. Sie wollte ebenso erfahren, was sie dem Baron zugesagt hatten.
Oma Selma blickte Maria prüfend an. »Losgehen wird es am Freitag auf dem großen Sportplatz. Du wirst schon mit dem Kostüm dorthin gehen oder mit dem Auto gebracht werden. Dort werden Dir die Ketten angelegt.«
Marias erschrak. »Ketten?« Doch dann schien sie etwas nachzudenken. »Ja richtig, Katerina war ja eine Geisel.«
Selma blickte verständnisvoll. Maria wäre bei weitem nicht die erste Darstellerin, die sich vor den Ketten fürchten würde. »Die Hand- und Fußmanschetten sowie der Halsreif werden extra für Dich neu geschmiedet, damit sie gut sitzen und Du sie gut tragen kannst.«
Maria keuchte.
»Und diese Manschetten werden dann mit Ketten verbunden.« Sie schaute noch einmal prüfend auf Maria. »Ich glaube, Du könntest sogar die schweren Ketten tragen.«
Einerseits fühlte Maria sich geschmeichelt, andererseits wollte sie doch auch wissen, was denn die andere Möglichkeit wäre.
»Es gibt auch noch Ketten aus Aluminium. Die sind schön leicht, aber dafür haben sie keinen so schönen Klang.«
Maria schien nachzudenken.
Oma Selma beantwortet die Frage, die Maria noch gar nicht gestellt hatte. »Fast jede Darstellerin hat die schweren Ketten getragen.«
Mrs. Potter war auch an Marias möglichen Aufgaben interessiert. »Wie lange müßte sie das denn machen?«
Oma Selma musste nicht lange überlegen. »Der Festzug dauert üblicherweise ungefähr eine Stunde. Es dauert einige Zeit, bis es losgeht, und zusammen mit der Arbeit auf dem Marktplatz -« Sie rechnete zusammen. »Ungefähr drei Stunden. «
Maria schaute fast etwas geringschätzig. »Naja, das würde ich schon hinkriegen.«
Paul mischte sich jetzt auch ein. »Arbeit auf dem Marktplatz?«
»An dem Festwochenende ist auf dem Platz vor dem Rathaus ein historischer Markt aufgebaut mit altem Handwerk und Gewerbe.« Oma Selma freute sich über das Interesse ihres Enkels. »Und die Katerina muss an jedem dieser Stände etwas tun.«
Maria schaute recht ungläubig. »Mit den Ketten?«
»Ja, das soll darstellen, dass Katerina damals bei den Zünften arbeiten musste, um überall als Geisel bekannt zu sein.«
Maria schien sich das vorzustellen. »Wie lange dauert das, und was muss ich da so tun?«
»Das dauert ungefähr eine Stunde. An jedem der Stände ungefähr fünf bis zehn Minuten. Es sind eher symbolische Handlungen.« Pauls Oma dachte einen Moment nach. »Du musst ein Brot aus dem Ofen holen, zwei bis drei mal mit dem Hammer in der Schmiede auf den Amboß schlagen, und ähnliches.«
Maria war noch am Zweifeln.
»Bisher hat das noch jede Katerina-Darstellerin hinbekommen.« Selma versuchte Zuversicht auszustrahlen.
Mrs. Potter hatte allerdings Zweifel, ob die Baroness es schaffen würde. Und zwar weniger aufgrund ihrer Kraft sondern eher, weil sie vermutlich nicht wusste, an welchem Ende ein Hammer anzufassen wäre.
»Außerdem kannst Du Dich danach gleich ausruhen.« Selmas Stimme hatte jetzt etwas beruhigendes. »Denn jetzt kommt der erste Auftritt des Herzogssohns.«
Marias Blick bekam etwas verträumtes. Sie blickte zu Paul.
Oma Selma sah diesen Blick und musste Maria enttäuschen. »Die Rolle des Prinzen ist schon vergeben. Ich glaube, dieses Jahr soll er von einem Neffen des Barons dargestellt werden.«
Ein verschämtes Lächeln ging über Marias Gesicht, sie fühlte sich ertappt. Aber es stimmte, sie fände es toll, wenn Paul der Prinz sein könnte.
»Was passiert denn beim Auftritt des Prinzen?« Jetzt war auch Mrs. Potter neugierig geworden.
»Es rollt eine Kutsche auf den Marktplatz, auf der ein Thron aufgebaut ist. Katerina wird darauf Platz nehmen, und dann kommt der Prinz und wird sie mit symbolischen Fesseln an diesen Thron binden.«
Oma Selma nahm wieder einen Schluck Wasser und blickte kurz in die fragenden Gesichter.
»Naja, es sind schon echte Fesseln, ich glaube Eisenschellen. Aber es ist eben nur ein Spiel. Wenn sich die Katerina-Darstellerin heftig bewegen und sich wehren würde, dann würden die Fesseln sicher sofort aufgehen.«
Innerlich war Maria in diesem Moment etwas enttäuscht, ohne dass sie wirklich wusste warum.
»Der Prinz stellt sich dann neben die Prinzessin und die Kutsche fährt los.«
»Wo geht es jetzt noch hin?« wollte Maria wissen.
»Die Kutsche dreht nur noch eine Runde auf dem Marktplatz, und dann fährt sie durch das große Tor ins Rathaus hinein. Das Tor schließt sich, und damit ist das Spiel vorbei.«
Es war Marias Blick anzusehen, dass sie über das Spiel nachdachte.
»Fast immer gibt es dann vom Publikum einen solch großen Applaus, dass die Prinzessin und der Prinz sich noch einmal zeigen müssen. Aber dann ist es für den Freitag geschafft.«
Maria sah bis jetzt noch ganz zuversichtlich aus. Sie lehnte sich etwas vor und versuchte ihre Arme im Handschuh etwas zu strecken.
Paul blickte sie fragend an.
Maria lächelte, »Ich mag mich nur mal ein wenig strecken.« Sie wollte nicht, dass Paul sich wegen des Handschuhs und ihres Wohlbefindens Sorgen machen sollte.
»Am Samstag wird den ganzen Tag das Friedensfest gefeiert. Überall auf dem Marktplatz wird ein historisches Fest dargestellt. Es gibt viel Musik und Tanz.« Selma schien sich zu erinnern. »Das war früher für die Kinder immer das schönste. Denn wegen des Festes gab es schulfrei.«
»Was muss die Katerina denn am Samstag machen?« wollte Maria wissen, die sich mit dem Handschuh wieder in ihre Kissen gekuschelt hatte.
Oma Selma musste erst nachdenken. »Seltsam, das fällt mir erst jetzt richtig auf. Der nächste Auftritt der Comtess ist erst am Abend beim Verlobungsball.«
Doch dann musste sie sich korrigieren. »Nein, sie hat vorher doch was zu tun. Sie wird den Tag über die verschiedenen Sponsoren besuchen. Das hat nur noch indirekten Bezug zum Original. Früher wurde sie bei den Honoratioren des Ortes vorgestellt.«
Es war Selma anzusehen, dass sie diese Entwicklung bedauerte. »Die Sponsoren dürfen mit der Katerina werben.«
»Trägt sie dabei auch die Ketten?« wollte Mrs. Potter wissen.
»Entweder die Ketten oder etwas ähnliches. Das liegt an der Darstellerin und ihren Kräften.« Selma blickte verträumt auf Maria. »Aber spätestens gegen 15 Uhr ist Schluß, damit sich die Katerina auf den Ball vorbereiten kann.«
Marias Augen begannen zu leuchten. Sie versuchte ihre Arme ein wenig zu bewegen.
»Das Ballkleid der Katerina ist jedesmal eine Überraschung. Es wird für jede Darstellerin neu geschneidert, denn jede geht mit dem Handschuh anders um.«
Eine gewisse Spannung lag in der Luft.
»Fast alle Mädchen haben so einen Handschuh wie Du getragen. Und der wurde dann unter dem Kleid versteckt.« Oma Selma hatte kurz die Augen geschlossen und schien sich die Bilder ins Gedächtnis zu rufen. »Es gab nur ein Mädchen, welches den Handschuh nicht geschafft hat. Die trug dann so eine Art Tasche um die Arme.«
Marias Blick sprach Bände.
»Aber bei jeder Darstellerin waren die Arme gut verpackt, und sie musste ohne sie tanzen.«
Mrs. Potter schien nicht so tief zu träumen. »Aber das ist doch gefährlich für die Darstellerin, oder? So ganz wehrlos?«
Selma gab ihr recht. »Ja, das ist jedes Mal ein wichtiges Thema. Und deswegen wird die Darstellerin auch ständig von Dienerinnen und Dienern begleitet, die keine anderen Aufgabe haben als sie zu beschützen.« Sie blickte Maria prüfend an, während sie weiter sprach. »Einige der Schauspielerinnen haben während dem Fest sogar so etwas wie einen Keuschheitsgürtel getragen.«
Maria musste husten.
Mrs. Potter blickte auf einmal ganz verschreckt zu Maria hinüber.
Oma Selma lächelte in sich hinein. Sie hatte genau die Reaktion bekommen, die sie erwartet hatte. Doch es gab auch einen realen Grund für den Schutz. »Das vermittelt ihnen zusätzliche Sicherheit und erlaubt, dass sie selbstbewußter auftreten.«
Maria nahm wieder einen Schluck Wasser.
»Und außerdem bekommt die Katerina vorher Unterricht in Selbstverteidigung und sie lernt, welche Mittel ihr dann noch bleiben.«
»Und der Prinz?« Marias Augen wechselten zwischen Paul und seiner Oma hin und her.
»Der kann sie auch beschützen. Zumindest nachdem sie getanzt haben.«
Maria war fasziniert. »Und wie läuft der Ball ab?«
Oma Selmas Blick bekam jetzt auch etwas Verträumtes. »Oh, das ist der erste Höhepunkt des Festes. Alle tragen historische Kostüme. Die Musik spielt.« Sie blickte auf Maria. »Und sie tanzen Tänze nach historischem Vorbild.«
»Und Katerina?« Marias war sehr an ihrer eventuellen Rolle interessiert.
»Um es der Darstellerin nicht unnötig schwer zu machen, muss sie nur einen Tanz tanzen, nämlich den Verlobungstanz.«
Maria war fast etwas enttäuscht.
»Aber fast jede Darstellerin hat dann von sich aus den einen oder anderen Tanz mehr getanzt.« Sie dachte einen Moment nach. »Bei meinem zweiten Fest gab es eine Darstellerin, die wirklich alles mitgetanzt hat. Die war wirklich toll, obwohl sie auch einen Handschuh unter dem Kleid trug.«
Maria war zuversichtlich. »Ich werde auch viel tanzen.«
Ein fragender Blick von ihrer Erzieherin ließ sie sich korrigieren. »Ich würde viel tanzen.« Sie schien dabei fast etwas enttäuscht.
»Und dann kommt der Sonntag.« Oma Selmas Stimme klang geheimnisvoll. »Das Fest geht weiter mit dem Einzug der Braut in die Kirche.«
Maria bekam sofort einen sehr verträumten Blick. Unwillkürlich blickte sie zu Paul, ihre Blicke trafen sich.
»Die Braut ist immer etwas sehr besonderes. Sie trägt fast immer ein schulterfreies weißes Kleid mit sehr weitem Rock und langer Schleppe. Doch auch hier trägt sie einen passenden weißen Handschuh. Das sieht jedesmal toll aus.«
Selma blickte in verwunderte Gesichter.
»Katerina behielt auch nach der Verlobung ihren Status als Geisel und musste weiter Fesseln tragen. Erst nach dem Eheversprechen in der Kirche durfte sie endlich frei sein. Zumindest wird es heute so gespielt.«
»Und sie geben sich wirklich da Ja-Wort.« Maria war erstaunt.
Selma schien ihre Gedanken zu erraten. »Es ist eben nur gespielt.« Sie dachte kurz nach. »Aber es gab einmal ein Darstellerpaar, das stand zwei Wochen später wieder vor dem Altar und hat dann richtig geheiratet.«
Maria blickte verträumt zu Paul. Dieser fing den Blick zwar auf, fühlte sich aber nicht so recht angesprochen. Er lächelte verunsichert zurück.
»Sind dann die Pflichten der Katerina beendet?« wollte Mrs. Potter wissen.
Ein Lächeln ging über Selmas Gesicht. »Jetzt kommt ein sehr angenehmer Teil, Katerina sitzt zusammen mit ihrem Ehemann in der Kutsche, und in einem neuen Umzug werden sie noch einmal mit Musik durch die Stadt geführt. Und überall jubeln ihnen die Leute zu.« Selma spürte die Frage. »Aber hier hat sie die Arme frei, denn das Publikum möchte eine glücklich winkende Braut sehen.«
Marias Augen leuchteten. »Aber dann ist es vorbei.«
»Für das Wochenende ist es vorbei, ja.« Selma war in Gedanken auch noch bei dem letzten Hochzeitszug. »Aber dann beginnt das Katerinenjahr. Es ist so etwas ähnliches wie bei einer Weinkönigin, und die Katerina hat noch viele Auftritte.«
Auf einmal war Maria recht aufgeregt. »Und muss sie dort auch den Handschuh tragen?« Ihre Augen leuchteten schon wieder.
»Das kommt auf den jeweiligen Anlaß an. Aber bei den Sponsoren trägt sie ihn fast immer.«
Mrs. Potter räusperte sich, und Maria zuckte zusammen. Sie schien jetzt fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen zu haben. »Ich habe mich wohl etwas zu sehr gehen lassen.« Aus ihrem Gesicht war die Begeisterung wieder verschwunden. »Ich bin ja nur die zweite Besetzung.«
Oma Selma spürte den Stimmungswechsel auch. Sie wollte ablenken. »Ich würde Euch gern den Garten zeigen.«
Mrs. Potter war von der Idee recht angetan. Doch dann fiel ihr Blick auf Marias Stiefel.
Maria hatte den selben Gedanken. Sehr vorsichtig blickte sie ihre Erzieherin an. »Ich würde gern hier oben bleiben.« Dabei warf sie einen Blick auf ihre Stiefel.
Zu ihrer Erleichterung hatte Mrs. Potter dagegen nichts einzuwenden. »Dann bleibt ihr beiden hier oben, und Selma und ich schauen uns den Garten an.«
»Das ist eine gute Idee, Doro« Selma war aufgestanden. »Lassen wir die jungen Leute hier oben und plaudern wir von den alten Zeiten.«
Mrs. Potter stand ebenfalls auf. Sie blickte noch einmal etwas nachdenklich auf Maria und ergänzte: »Ihr könnt ja noch etwas für die Schule tun. Wie steht es mit der Mathearbeit?« Dann ging sie hinter Selma die kleinen Stufen hinunter in den Garten.
Sowohl Paul als auch Maria zuckten beide etwas zusammen. Doch Marias Erzieherin hatte recht, sie mußten langsam wieder an die Schule denken.
Paul bot sich an, seine Bücher und etwas zu schreiben zu holen. Er blickte auf Maria und grinste etwas, dann stand er auf. »Ich hole dann mal die Bücher«
Maria lächelte ihm hinterher.
* * *
Als er wieder kam, zitterte Pauls Stimme etwas. »Darf ich mal was fragen?« Er legte die Bücher auf den Tisch.
Maria blickte ihn erstaunt an.
»Es ist mir schon häufiger aufgefallen. Immer wenn Deine Erzieherin sich räuspert, zuckst du zusammen und bist danach meistens etwas traurig.«
Ein Lächeln glitt über Marias Gesicht. »Ach, das hat aber nicht wirklich eine Bedeutung. Das ist eher ein Spiel.«
Paul blickte sie verblüfft an. »Ein Spiel?«
Maria war amüsiert. »Naja, eigentlich geht es um meine Stiefel.« Sie hob ein Bein, um einen der Stiefel zu zeigen. »Am Anfang mochte ich die Stiefel überhaupt nicht, weil ich keine Übung hatte, darin zu gehen.«
Paul wusste nicht, was er sagen sollte. Er strich mit der Hand vorsichtig über den Stiefel und blickte Maria verwundert an.
»Und außerdem musste ich lernen, mich gut zu benehmen. Und wir haben dann ein Spiel daraus gemacht. Immer wenn sie der Meinung war, dass etwas von mir schlecht war, hat sie sich geräuspert, und ich hatte einen Strafpunkt auf meinem Konto.«
Paul war jetzt fast etwas ungehalten. »Und was war eben falsch?«
»Ach, ich habe mich wohl zu sehr in die Rolle der Katerina reingedacht.« Ihr Blick hatte kurz wieder etwas verträumtes. »Und wenn ich zehn Punkte zusammen habe, dann muss ich bei der nächsten Gelegenheit die Stiefel tragen.«
Paul begann so langsam zu verstehen.
»Aber heute trage ich die Stiefel gern, und diese Motivation bräuchte es eigentlich nicht mehr.« Maria schien in diesem Moment etwas verwundert zu sein. »Aber ich kann doch nicht...« Es schien sie zu beschäftigen.
Paul wollte ihr helfen. »Soll ich ihr sagen, dass Du die Strafe nicht mehr brauchst?« Ob er den Mut dazu haben würde, wusste er allerdings nicht.
»Untersteh Dich.« Maria war fast beleidigt. »Misch Dich da bitte nicht ein.«
Paul spürte, das er zu weit gegangen war. »Bitte sei mir nicht böse.« Er blickte sie lieb an.
»Sie wird sich sonst nur eine neue Strafe ausdenken. Und mit dieser komme ich ganz gut zurecht.« Sie blickte ihn verschmitzt an. »Dann laß uns noch etwas über Mathe reden.«
Paul war erleichtert.
* * *
Baron von Harsumstal saß an seinem Schreibtisch und hatte einige Schriftstücke vor sich liegen. Eigentlich kannte er den Inhalt auswendig, doch er nahm sie immer wieder zur Hand, um darin zu lesen. Denn sie stellten seine allerletzte Hoffnung dar.
Das erste Schriftstück stammte aus dem vorangegangen Jahrhundert. Es war die kurze und nüchterne Bestätigung eines Notars. [...] Gemäß ihren Wünschen haben wir Zweihunderttausend Mark in Gold angelegt. Zur Auszahlung kommt das Geld nur dann, wenn bei dem betreffenden Fest es eine Darstellerin schafft, das »Gebet auf dem Rücken« zu tragen. [...]
Er legte den Brief wieder beiseite und dachte nach. Seine Tochter würde das nie schaffen, selbst wenn sie bereit wäre, es zu versuchen. Doch selbst das hielt er für ausgeschlossen.
Der zweite Brief war eine Bankauskunft aus heutiger Zeit und nicht weniger nüchtern. [...] können wir Ihnen mitteilen, dass der Wert des Goldes sich mittlerweile verzwanzigfacht hat und im Moment bei knapp vier Millionen Mark steht. Beachten sie jedoch die besonderen Bedingungen, die mit der Auszahlung verknüpft sind.[...]
Er seufzte. Das Geld wäre genug, um seine finanziellen Probleme zu lösen. Doch dann musste er an seine verstorbene Frau und an seine Tochter denken. Das Geld würde an dem jetzigen Zustand auch nichts ändern. Er wischte sich eine Träne aus dem Gesicht und nahm sich den dritten Brief zur Hand.
Dieser stammte aus dem gleichen Notariat und enthielt weitere Bedingungen. [...] das Vermögen kann nur zur Auszahlung an die Darstellerin kommen, wenn diese ihr fünfundzwanzigstes Lebensjahr vollendet hat oder verheiratet ist. Bis dahin soll es der Vorsitzende des Festes zu treuen Händen verwalten. [...]
Es war ein Glück, so dachte der Baron, dass dort nicht die Rede war vom Vater der Darstellerin, sondern vom Vorsitzenden. Bisher war dies zwar immer dieselbe Person, doch mit Maria würde sich dies ändern.
* * *
Mrs. Potter und Pauls Oma kamen die Stufen herauf. »Und dann habe ich die Stelle bei Baron Grünberg angenommen.« berichtete Oma Selma.
Mrs. Potter blickte sie sehr interessiert an.
Selma erklärte, dass es eine Erzieherinnenstelle im alten Stil gewesen wäre. »Doch jetzt wollen wir erst mal Abendbrot essen.«
Paul nahm dies sofort als Signal und begann, die Bücher zusammen zu packen.
Maria blickte ihre Erzieherin an und bat mit leiser Stimme um die Schlüssel. »Meine Trainingszeit ist bestimmt vorüber, dann kann Paul mich aus dem Handschuh rauslassen.«
Mrs Potter kramte in ihrer Handtasche und reichte Paul einen Schlüssel. Gleichzeitig nahm sie ein kleines Notizbuch und machte eine kurze Eintragung. Dann blickte sie wieder zu Maria. Sie versuchte, ihrer Stimme einen weichen Klang zu geben. »Paul, bitte warte mal einen Moment.«
Paul hatte gerade das letzte Schloß geöffnet und war gerade dabei, den ersten Riemen zu öffnen, doch jetzt hielt er inne. Er legte die Schlösser auf den Tisch und schaute etwas ratlos zwischen Maria und ihrer Erzieherin hin und her.
Mrs. Potter wandte sich noch einmal an Paul. »Deine Oma hat mich um einen Gefallen gebeten. Allerdings müsst ihr beide auch damit einverstanden sein.«
Alle Blicke richteten sich auf Maria. Diese ließ ihren Blick etwas verwirrt zwischen Paul und seiner Oma wandern. Doch dann schien sie zu begreifen, was Pauls Oma von ihr wollte. Sie ließ den Blick erstaunt auf Selmas Gesicht ruhen.
Selma blickte Maria an. »Du würdest mir eine große Freude machen.« Sie war fast etwas beschämt. »Ich durfte es schon so lange nicht mehr erleben.«
In Pauls Gesicht war deutlich zu lesen, dass er keine Ahnung hatte, was jetzt von Maria erwartet wurde. Er wollte sie jetzt eigentlich aus dem Handschuh heraus lassen, denn er war der Meinung, das sie ihn jetzt wirklich lange genug getragen hatte.
Auf einmal dämmerte es auch ihm. »Maria soll den Handschuh weiter tragen?« Seine Stimme klang vorsichtig, er wollte sich nicht schon wieder in die Nesseln setzen. »Beim Abendessen etwa auch?« Jetzt endlich hatte Paul auch verstanden, um was es hier gerade ging und war entsprechend hin- und hergerissen. Auf der einen Seite wollte er Maria gern die Demütigung ersparen, hier gefüttert werden zu müssen, andererseits wollte er seiner Oma aber auch die kleine Freude nicht verderben.
Maria nahm ihm schließlich die Entscheidung ab. »Laß nur, das geht in Ordnung.« Sie blickte ihn liebevoll an und küßte ihn auf die Wange. »Du wirst mir dann Häppchen schneiden und mich füttern.« Dabei war ein seltsames Leuchten in ihren Augen zu sehen.
»Ich bin stolz auf Dich.« Mrs. Potter war neben Maria getreten und strich ihr liebevoll über den Kopf.
Maria blickte sie erstaunt an. Doch dann glitt ein glückliches Lächeln über ihr Gesicht.
* * *
Selma hatte schon fertige Schnittchen vorbereitet, die Paul jetzt nur noch aus dem Kühlschrank holen musste. Er stellte die Platte auf den Tisch und sah noch einmal nach den Getränken.
Dann nahm er selbst neben Maria auch am Tisch platz.
»So war es früher oft bei Baron Grünberg. Es ging sehr streng zu, und die Töchter kamen oft fast den ganzen Tag nicht aus dem Handschuh heraus.« Oma Selmas Stimme klang fast etwas wehmütig.
Paul war über diese Behandlung etwas empört. »Aber du hättest sie doch rauslassen können, oder?«
Selma kannte ihren Enkel gut. Sie lächelte. »Ich hatte sehr oft Mitleid mit den Töchtern. Aber zumindest die großen der beiden hatten es meistens auch verdient.«
Sie bekam erstaunte Blicke. »Ja, die jüngste kam öfters mal zu mir ins Zimmer, und dort habe ich sie heimlich für ein paar Minuten aus dem Handschuh gelassen.«
Paul musste jetzt fast etwas lachen. »Ich dachte immer, Du wärst so eine strenge Erzieherin gewesen?«
Die Runde musste auch lachen.
»Aber was wollt ihr denn trinken?« Oma Selma zeigte auf die verschiedenen Flaschen. »Greift bitte zu.«
Sie reichte die Platte mit den vorbereiteten Schnittchen herum.
Paul nahm die Platte und legte sich zwei Schnittchen auf den Teller. Dann reichte er die Platte zu Maria.
Diese blickte ihn verblüfft an und grinste »Witzbold.« Dann stupste sie ihn mit ihrem Handschuh etwas in die Seite.
Paul bemerkte seinen Fehler erst jetzt. »Entschuldige, das war keine Absicht.« Er wurde rot. »Was magst Du denn?«
Maria wählte zwei der kleinen Brotscheiben, die mit Käse belegt waren. Paul legte sie ihr vorsichtig auf den Teller. Dann reichte er den Teller weiter.
Er blickte Maria noch einmal bittend an. »Bitte entschuldige, das ist so neu für mich.«
Als Antwort küßte sie ihn kurz auf die Wange. »Das ist schon in Ordnung.«
Paul nahm ein Messer zur Hand und zerteilte Marias Schnittchen in mundgerechte Häppchen. Er blickte sie wieder fragend an.
Doch Maria wirkte in diesem Moment seltsam abwesend. Sie hatte die Augen halb geschlossen und blickte auf ihren Teller herunter. Ihr Atem ging auf einmal etwas heftiger.
Paul blickte sie erstaunt an. Er wusste nicht, was er machen sollte. Fast etwas hilflos blickte er zu seiner Oma.
Auch ihr war der seltsame Zustand von Maria aufgefallen, doch es schien, als wisse sie Bescheid. Sie deutete Paul an, Maria den Arm um die Schultern zu legen und sie an ihn heran zu ziehen.
Dann begann sie auf einmal wieder von ihrem Garten zu erzählen, und ihr fiel ein, dass sie Mrs. Potter unbedingt noch eine Blume zeigen wollte. Die beiden standen auf.
Paul hatte immer noch nicht verstanden, was da gerade passierte. Doch er ahnte, dass Maria jetzt Halt brauchte. Er spürte ein Zittern in ihrem Körper und hörte ein leises Stöhnen dazu. Doch er verstand nicht.
Erst als sie langsam die Augen wieder öffnete, tat er ohne dass er recht begriff das vermutlich einzig richtige, er gab ihr einen langen Kuß.
* * *
Paul winkte noch einmal die Straße hinab, dann war Maria mit ihrer Erziehrerin um die Ecke gebogen und damit außer Sichtweite. Der Abschied war ihm schwer gefallen.
Er war immer noch total verwirrt von den Ereignissen dieses Wochenendes und besonders eben von dem außergewöhnlichen Abendessen. Er glaubte fast, dass er geträumt hatte.
Doch der leere Teller auf dem Terrassentisch erinnerte ihn daran, wie lieb und romantisch er eben noch Maria gefüttert hatte nach diesem seltsamen Ereignis.
Allerdings hatte bis jetzt keiner ein Wort darüber verloren, und er selbst traute sich auch nicht danach zu fragen.
Seine Oma kam aus dem Haus und lobte ihn. »Du hast Dich eben sehr vorbildlich verhalten. Du hast genau das richtige gemacht.«
Jetzt fand er endlich den Mut zu fragen. »Aber was ist denn da eben eigentlich passiert? Was war denn mit Maria los?«
Seine Oma zögerte ein wenig mit ihrer Antwort. Sie schien die richtigen Worte zu suchen. »Maria ist eben in Deinen Armen gekommen. Sie hatte einen Höhepunkt, oder wenn Du es direkt hören willst, einen Orgasmus.«
Jetzt begriff Paul endlich und wurde dabei knallrot. Er wusste gar nichts mehr zu sagen. »Ich ... Sie...«
Selma sprach weiter. »Sie hat in dem Moment Halt gebraucht, und genau den hast Du ihr gegeben.«
Paul blickte seine Oma fassungslos an.
»Du sorgst Dich sehr um sie. Du liebst sie, und das ist schön so.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Liebe ist, wenn das Wohlbefinden eines anderen Menschen entscheidend für das eigene Wohlbefinden ist.«