Maria

Maria – Ernüchterung

Autor: Karl Kollar

»Freitag ist sicher etwas kurzfristig, aber vielleicht könnten Sie es trotzdem einrichten?« Die Stimme am Telefon klang ernsthaft bemüht, aber zugleich auch entschuldigend.

»Das ist ja schon Morgen.« Im ersten Moment war Mrs. Potter fast empört, doch dann schien sie darüber nachzudenken. »Ich muss heute ohnehin noch einkaufen, ich denke es lässt sich einrichten.«

»Maria würde sich sicher sehr freuen.« Die Stimme strahlte eine gewisse Begeisterung aus. »Es wäre wirklich gut, wenn sie es möglich machen könnten.«

Schließlich sagte Mrs. Potter es zu. »Sie wird eine schwere Zeit vor sich haben, dann wäre es vielleicht gut, wenn es mit so etwas Schönem anfängt.«

Sie verabschieden sich und legen auf. Mrs. Potter nahm sich ihren Einkaufzettel und überlegte. Dann griff sie zu einem Stift und schrieb noch einiges dazu. Wieder klingelte das Telefon. Sie ging ran.

* * *

Andrea lauschte dem Klingelton und fragte sich zweifelnd, ob sie diesmal wohl mehr Glück haben würde. Ihre bisherigen Versuche bei der Baroness waren mehr als nur frustrierend verlaufen. Dieses arrogante Biest hielt es nicht für nötig, sich an irgendwelche Absprachen oder Termine zu halten.

Es wurde abgenommen. Andrea erschrak, als sie die sehr strenge Stimme von Mrs. Potter hörte. Sie fühlte sich irgendwie total eingeschüchtert. Doch diesmal wollte sie sich nicht unterkriegen lassen. Sie musste sich erst etwas räuspern. »Mein Name ist Andrea Baselitz. Ich bin Reporterin vom Landsbacher Boten und mache eine Reportage über die Katerina.«

Mrs. Potter stellte sich dumm. »Und was wollen sie dann von uns?«

Andrea spürte, dass sie es auch hier schwer haben würde. Doch diesmal wollte sie sich nicht abwimmeln lassen. »Baron von Harsumtal hat mir gesagt, dass Maria Beller die Vertretung für seine Tochter übernehmen würde.« Sie holte noch einmal Luft. »Er hat mir diese Nummer gegeben und ich würde gern ein Interview mit Maria als der künftigen Katerina machen.«

Mrs. Potter seufzte innerlich. Das mit der Presse gefiel ihr gar nicht, denn sie ahnte, dass dies sicher nur der Anfang sein war. Sobald bekannt sein würde, das Maria die Rolle der Grafentochter übernehmen wird, würde die Presse auf sie ein stürmen.

Auf der anderen Seite schrieb Maria morgen die wichtige Mathearbeit, und da wäre ein wenig Ablenkung bestimmt nicht schlecht. Immerhin hatte diese Andrea eine sehr sympathische Stimme. Lieber jetzt, und mit einer netten Reporterin als später mit einer unsympathischen! »Sie könnten heute Nachmittag zum Kaffee vorbei kommen.«

Sie überlegte, ob sie jetzt schon Marias Training erwähnen sollte, doch dann gab sie den Gedanken wieder auf. Das war noch zu früh.

Andrea war erleichtert. Diese Einladung klang sehr viel anders als die Plattheiten und Ausreden, die sie sich bisher bei der Baroness und ihrem Vater hatte anhören müssen. Irgendwie spürte sie eine recht unprofessionelle Vertrautheit. »Ich könnte etwas Kuchen mitbringen.«

»Wann werden Sie kommen?« Andrea schlug eine Uhrzeit vor.

Mrs. Potter dachte kurz nach, dann sagte sie, dass dies gehen würde. Dann verabschiedeten sie sich.

Insgeheim freute sich Marias Erzieherin über die neue Aufgabe für ihren Schützling. Es würde sehr gut zeigen, wie das Programm bisher schon gewirkt hatte. Mrs. Potter war sehr gespannt, wie Maria sich als Katerina geben würde und wie gut sie mit den Einschränkungen der Rolle klar kommen würde. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr war sie über die Reporterin erfreut, denn so gab es Maria die Gelegenheit, sich langsam an den Aspekt zu gewöhnen, dass sie zukünftig mit ihrer doch recht strengen Fesselung in der Öffentlichkeit stehen würde.

Sie nahm sich noch einmal ihren Einkaufszettel zur Hand und schrieb ein paar weitere Sachen auf die Liste. An der Wand hing der neue Ausbildungsplan für Maria. Mrs. Potter warf einen Blick darauf und sah, dass für heute ein Tanztraining angesetzt war. Der Kurs wurde vom hiesigen Sportverein veranstaltet, und deswegen fragte sie sich, was Maria dort wohl lernen würde. Eigentlich konnte es im Rahmen des Festes nur um historische Tänze gehen. Doch darüber wusste sie bisher nicht viel.

Sie freute sich sehr über Marias neue Aufgabe. Insgeheim, auch wenn sie dies niemals zugeben würde, war sie froh, dass sich endlich mal etwas Abwechslung für Maria ergeben würde. Ihre Mutter hatte ihr die neuen Prioritäten mitgeteilt und dies bedeutete eben sehr viel zusätzliches Lernen und Zusatzunterricht verschiedenster Art. Teilweise waren sogar mehrere Termine an einem Tag angesetzt.

Sie wusste zwar immer noch nicht so ganz genau, was von Maria genau erwartet wurde, doch sie war entschlossen, Maria auf dem Weg zum Fest in jeder Hinsicht beizustehen.

* * *

Paul ging langsam neben Maria her und dachte nach. Seit er gestern Marias Keuschheitsgürtel und die Schrittbänder gesehen hatte, wusste er, warum seine Freundin nur so kleine Schritte machen konnte. Doch gerade deswegen war er sehr stolz auf Maria, denn es beeindruckte ihn sehr, wie gut sie mit ihrem Schicksal umzugehen wusste Trotzdem fragte er sich um so mehr, warum Maria dies alles auf sich nahm.

Doch er hatte noch nicht den Mut, diese Frage auch auszusprechen. »Du warst gut heute.« Paul dachte an den Matheunterricht. »Herr Peters hat dich sogar gelobt.«

Maria lächelte, trotzdem war sie noch unsicher. »Wie wird es morgen laufen?« Sie seufzte und dachte an die so wichtige Mathearbeit.

Sie gingen schweigend weiter. Paul war sehr zuversichtlich, dass Maria diesmal eine gute Note bekommen würde.

* * *

Mrs. Potter stand schon an der Haustür und begrüßte sie. »Wie war es heute?« Auch sie war an Marias schulischen Leistungen interessiert.

Maria war zurückhaltend. »Es lief gut.«

»Maria hat sogar ein Lob von Herrn Peters bekommen.« Paul ahnte, dass Maria dies in ihrer Bescheidenheit vermutlich verschweigen würde.

Mrs. Potter freute sich darüber. Dann berichtete sie, dass sich für heute Nachmittag eine Reporterin angesagt hatte.

Maria war enttäuscht. »Schade, ich wollte doch die neue Jacke ausprobieren.« Es war ihr anzusehen, dass sie sich auf den geplanten Spaziergang sehr gefreut hatte.

Paul schien nachzudenken. »Wann will die Reporterin denn kommen?«

Mrs. Potter nannte die Uhrzeit. Paul blickte einmal auf seine Uhr und einmal auf Maria. Dann ging ein Leuchten über sein Gesicht. »Ich beeile mich mit dem Mittagessen und dann komme ich gleich vorbei. Dann können wir vorher noch spazieren gehen.«

In Marias Augen war ebenfalls ein Leuchten zu sehen, als sie ihre Erzieherin fragend ansah. Diese nickte wohlwollend.

* * *

Die umgearbeitete Jacke sah toll aus, wie sie so unschuldig auf dem Tisch lag. Das weiße Leder glänzte leicht im Sonnenlicht, und die roten Lederriemen bildeten einen sehr hübschen Kontrast dazu. Paul strich fast zärtlich über das Leder und dachte darüber nach, wie streng es doch seiner Freundin gegenüber sein konnte.

Maria blickte ihn leicht amüsiert an. Doch sie sagte nichts.

»Und was machen wir jetzt mit deinem Konto?« Die Frage von Mrs. Potter riss beide aus ihren Gedanken.

Maria hatte diese Frage befürchtet.

Doch zu ihrer Erleichterung hatte ihre Erzieherin sich dies schon überlegt. »Bis zum Herbst werden wir die Jacke sicher nicht brauchen. Und danach lasse ich einfach eine neue anfertigen.«

Sowohl Maria als auch Paul waren über diese Nachricht erfreut, denn es war ihnen nach wie vor nicht ganz geheuer, wie selbstverständlich Pauls Oma in Marias Tagesablauf eingegriffen hatte.

Mrs. Potter nahm die Jacke vom Tisch und reichte sie Paul. Dabei blickte sie ihn aufmunternd an.

Paul versuchte, sich zusammen zu nehmen, obwohl er doch ziemlich aufgeregt war. Er fasste die Jacke am Kragen und trat damit hinter seine Freundin.

Diese hatte ihre Augen fast geschlossen, als sie jetzt langsam ihre Arme in die Ärmel ihrer ehemaligen Strafjacke steckte. Auch Maria zitterte leicht, als Paul die Jacke langsam an ihrem Oberkörper hoch zog.

Paul ging um Maria herum und schloss mit dem nötigen Kraftaufwand den Reißverschluss der Jacke. Genauso wie gestern kostete es ihn viel Überwindung, die unteren Riemen zwischen Marias Beinen hindurch zu führen und fest zu machen.

Maria ließ sich davon nichts anmerken, sie wackelte nur etwas mit ihren Armen.

Beide spürten, das jetzt ein wichtiger Moment gekommen war. Paul überlegte, ob er Maria mit »Prinzessin« anreden sollte, doch irgendwie schien er zu spüren, dass Maria dafür nicht in der richtigen Stimmung war. Dafür war die Jacke in ihrer veränderten Funktion noch zu neu.

Ohne dass ein Wort gefallen war, legte Maria ihren Arm auf den Rücken, so dass die Hand in Richtung ihres Nackens zeigte. Paul war bereit und zog den roten Riemen vorn an dem Handschuh durch die Öse auf der Schulter. Als er einen leichten Widerstand spürte, stoppte er und brachte den anderen Riemen ebenfalls so in Position. Dann trat er vor Maria.

Sie hatte die Augen geschlossen. Ihr Atem ging deutlich heftiger als sonst. Er erschrak leicht, als Mrs. Potter neben ihm stand. Doch auch sie hatte das besondere der Situation erfasst und legte ihren Zeigefinger auf den Mund, als sie Paul freundlich anblickte.

Paul war reichlich verwirrt. Erst als Marias Erzieherin den über der Schulter hängenden Riemen in die Hand nahm und auf das zweite Loch zeigte, war er in der Lage, weiter zu machen.

Maria hatte die Augen nach wie vor geschlossen. Er nahm den Riemen des rechten Armes und zog ihn zunächst einmal stramm. Doch die Schnalle war noch nicht erreicht. Er blickte auf Maria, die das Strammziehen gespürt hatte.

Sie machte die Augen auf und blickte Paul sehr verliebt an. Dann schob sie ihren Arm noch etwas nach oben. »Du musst etwas ziehen.« Ihre Stimme kam sehr leise.

Paul war bemüht, alles richtig zu machen, gleichzeitig wollte er seiner Freundin unnötigen Schmerz ersparen. Sehr vorsichtig begann er den Zug auf den Riemen zu erhöhen.

»Trau Dich, ziehe ruhig kräftiger.« Maria wollte ihn ermutigen. Ihre Stimme war immer noch sehr leise.

Dermaßen ermutigt, zog Paul etwas kräftiger an dem Riemen. Er konnte ihn in die Schnalle einführen und wie verabredet in dem zweiten Loch festmachen. Der Riemen vom linken Arm ging leichter, da Paul jetzt ein Gefühl dafür hatte, wie stark er ziehen musste

Mrs. Potter war mit dem Vorgang zufrieden. Sie griff in ihre Tasche und holte zwei kleine Schlösser heraus. Sie nahm sie und brachte sie jeweils in dem Loch nach der Schnalle an. Im ersten Moment wollte Paul lachen, denn auf der Seite würden die Schlösser ja nichts verschließen. Doch dann dachte er an die Gründlichkeit, mit der Marias Erzieherin sonst unterwegs war. Sie wollte sicher damit etwas bezwecken, doch er kam nicht drauf.

Schließlich nahm Paul doch einen Fehler an, und weil er mittlerweile genügend Mut und Vertrauen hatte, sprach er Mrs. Potter darauf an. »Gehören die Schlösser nicht auf die andere Seite?«

Marias Erzieherin lächelte. »Den Tipp hat mir deine Oma gegeben. Sie meint, Maria würde Dich sonst überreden, die Riemen jetzt schon enger zu machen, und das wollen wir verhindern.«

In diesem Moment erschrak Paul, denn jetzt hatte er die Situation begriffen. Er würde alles machen, was Maria sagte. Er dachte mit Schrecken an das Halskorsett.

Marias Blick in diesem Moment sprach Bände. Sie fühlte sich ertappt und wurde etwas rot. In ihr breitete sich fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen aus. »Ich glaube, ich muss jetzt doch meine Ballettstiefel tragen.«

Mrs. Potter erklärte, dass das Programm ausgesetzt war. Doch zum Erstaunen von Paul und der Erzieherin machte Maria auf einmal ein ziemlich enttäuschtes Gesicht.

»Na gut, wenn du es unbedingt willst.« Mrs- Potter zeigte ein überraschtes Lächeln, dann ging sie zum Schuhschrank, holte die Stiefel heraus und reichte sie Paul.

Maria setzte sich auf ihren Schemel und streckte Paul ihre Beine hin.

Nur ganz am Rande fiel Paul auf, wie selbstverständlich und behende Maria sich ohne Zuhilfenahme ihre Arme bewegen konnte. Sie schien wirklich sehr viel Übung zu haben.

Fast routiniert zog Paul Maria die normalen Stiefel aus und half ihr in die Ballettstiefel zu kommen. Er blickte Maria kurz fragend an, und als sie nickte, begann er, die Stiefel am Fuß seiner Freundin fest zuschnüren.

»Ziehe ruhig ordentlich fest. Maria braucht guten Halt in den Stiefeln.« Mrs. Potter stand neben Paul und hatte Marias Cape in der Hand.

Nachdem Paul auch den zweiten Stiefel gut geschlossen hatte, sah er fasziniert zu, wie Maria ohne Hilfe wieder aufstand und selbst auf diesen so schwierigen Stiefeln sicher stand. Er bekam eine Gänsehaut.

Mrs. Potter reichte Paul das Cape und bat das Paar, sehr pünktlich wieder da zu sein. Dann wünschte sie ihnen einen schönen Spaziergang.

* * *

Sie machten nur sehr kleine Schritte und diese auch noch sehr langsam. Und doch war es Paul am Rascheln des Capes aufgefallen, dass Maria oft ihre Arme bewegte.

»Ist alles in Ordnung?« Er hatte gesehen, wie Maria sich ab und zu auf die Lippen biss.

»Es ist alles okay.« Marias Stimme keuchte leicht. »Es ist nur so ungewohnt und aufregend.« Sie holte Luft. »Sehr aufregend.« Sie blickte ihn verliebt an.

Sie gingen ein paar Schritte weiter. Maria blieb stehen und keuchte etwas lauter. Ohne lang zu überlegen blieb Paul ebenfalls stehen und trat vor Maria. Er legte seinen Arm um sie und zog sie fest an sich heran.

Ihren Blick konnte er später nicht mehr beschreiben, doch es lag alles darin - Lust und Liebe, aber auch etwas Angst vor dem Entdeckt werden sowie Verlangen nach mehr. Er sah, wie ihre Lippen näher kamen. Er dachte an die Worte seine Oma und blieb zunächst zurückhaltend. Erst als er sich sicher war, das Maria es wirklich wollte, beugte er seinen Kopf zu ihr hinunter.

Maria schloss die Augen. Paul spürte, wie ein Zittern durch ihren Körper ging. Zärtlich spielten ihre Zungen miteinander.

* * *

»Was wird die Reporterin wohl wollen?« Paul fand als erster wieder Worte, nachdem Marias Höhepunkt verklungen war und er sie noch lange sehr zärtlich streichelnd in den Armen gehalten hatte.

»Es geht sicher um das Fest.« Maria blickte ihn voller Liebe und Stolz an.

»Da hast Du sicher recht. Immerhin liegt die Hauptdarstellerin im Krankenhaus.«

Maria dachte laut. »Landsbach wird sicher enttäuscht sein, dass die Baroness nicht spielen wird.«

Paul wusste noch nicht viel über die Baroness. »Aber sie soll ja keinen guten Ruf haben.«

Maria wurde nachdenklich. Sie seufzte. »Wer weiß, was ich für einen Ruf habe. So komisch, wie ich immer herumlaufe.«

Paul wollte das überspielen und seine Freundin ablenken. »Zu der Rolle gehört es ja, dass Du den Handschuh trägst.«

»Ich freue mich schon darauf.« Ihre Stimme klang auf einmal etwas verwundert. »Ich darf ihn dann in der Öffentlichkeit tragen. Und sie werden mich hoffentlich nicht mehr auslachen.«

Paul konnte nur ahnen, was seine Freundin in der Vergangenheit zusätzlich zu den Einschränkungen wohl so hatte erleiden müssen.

* * *

Andrea drückte auf den Kningelknopf und fragte sich, ob es diesmal besser laufen würde. Sie hörte Schritte. Sie blickte noch einmal auf das kleine Kuchenpaket und fragte sich, ob dies nicht hoffnungslos unprofessionell war. Doch die Stimme am Telefon hatte am Schluss so einladend geklungen.

Die Tür ging auf und Mrs. Potter gab sich Mühe, unvoreingenommen zu sein. Die Reporterin stellte sich vor. »Ich bin Andrea Baselitz und komme vom Landsbacher Boten.« Sie roch den Kaffeeduft und reichte ihr kleines Kuchenpaket vor. »Wie abgemacht.«

Mrs. Potter blickte etwas verwundert auf das Paket, dann nahm sie es entgegen und bat die Reporterin herein. »Maria wartet schon.«

Andrea war sichtlich erleichtert. »Oh, das freut mich. Endlich habe ich mal Glück.«

Mrs. Potter verstand die Bemerkung nicht. »wieso Glück? Der Termin war doch ausgemacht.«

Andrea musste seufzen. »Ich habe schon zehn oder zwölf Termine mit der Baroness ausgemacht, und bei keinem hatte sie Zeit. Immer war irgendwas dazwischen gekommen.« Ohne es zu ahnen, hatte die Reporterin damit bei Mrs. Potter sehr viel Sympathie gewonnen.

Andrea ging hinter Marias Erzieherin her und betrat das Esszimmer, in dem Maria schon mit Paul wartete. »Ich bin sehr erleichtert, dass es diesmal klappt.« Sie begrüßte Maria und Paul. »Wissen Sie, dies ist meine erste Reportage und ich war furchtbar unglücklich, als ich merkte, wie unzuverlässig die Baroness doch ist.«

Irgendwie war der Damm gebrochen, denn jetzt hielt auch Mrs. Potter ihre Meinung über den Baron und seine Sippschaft nicht länger zurück. Es wurde eine sehr gemütliche Kaffeetafel.

Erst als Paul mal nachfragte, fiel es Andrea ein, das sie ja eigentlich wegen Maria und dem Fest da war. Sie nahm ihren Block zur Hand und legte ihren Stift bereit. Sie fragte Maria, was sie denn bisher schon gemacht hätte.

Maria stellte fest, dass sie bisher nur auf der Sitzung des Festausschusses gewesen war.

Andrea ärgerte sich nur noch am Rande darüber, dass der Baron deswegen die Presse nicht informiert hatte. »Was ist denn da passiert?«

Jetzt meldete Paul sie zu Wort. »Maria musste beweisen, dass sie den Handschuh tragen kann.«

Maria erinnerte ihn daran, dass ja auch noch einiges andere besprochen wurde.

Paul blieb dabei. »Aber der Höhepunkt warst Du mit dem Handschuh. Selbst Kerstin war beeindruckt.«

Andrea wurde neugierig. »Was hat es eigentlich mit diesem Handschuh auf sich? Ich habe schon einiges darüber gelesen, aber ich weiß immer noch nicht, was das eigentlich ist.«

Mrs. Potter sah eine gute Gelegenheit. »Einen Moment bitte.« Sie stand auf und verließ den Raum. Gleich darauf kam sie zurück und legte einen von Marias Trainingshandschuhen auf den Tisch, nachdem sie etwas Platz gemacht hatte. Dann begann sie den Tisch abzuräumen. Es lag auch in ihrem Interesse, dass Maria sich bei der Presse gut verkaufte.

Andrea blickte ziemlich verwundert auf das weiße Bündel Leder mit den vielen Schnüren. »Das ist der Handschuh?« Es war ihr deutlich anzusehen, dass sie sich noch gar keinen Reim darauf machen konnte. Sie blickte abwechselnd auf Maria und auf das seltsame Lederbündel.

Maria spürte die Blicke, doch sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte.

Mrs. Potter schließlich gab den Anstoß. »Maria, Paul, wollt ihr den Handschuh nicht vielleicht mal vorführen?« Sie blickte die beiden aufmunternd an.

Maria blickte zuerst auf ihre Erzieherin, dann zu Paul. Es war ihr anzusehen, dass sie damit nicht gerechnet hatte. Doch dann stand sie auf, drehte ihren Rücken zu Paul und legte ihre Arme in Position.

Obwohl Paul Maria jetzt schon mehrmals in den Handschuh eingeschnürt hatte, spürte er doch, dass es jetzt etwas Besonderes war. Diesmal war eine Vertreterin der Presse anwesend und Maria stand ab sofort im öffentlichen Interesse. Doch schon als er die Lederhülle über Marias Arme schob, vergaß er diese Gedanken und war bemüht, den Handschuh genauso schnell wie sorgfältig anzulegen.

* * *

Mit großen Augen beobachtete Andrea das ihr dargebotene Schauspiel. Sie war erstaunt, welche Verwandlung dieses schüchterne Mädchen erfuhr, als der eigentlich auch recht schüchterne Junge sie erstaunlich routiniert und auch recht kraftvoll in diese seltsame Lederhülle schnürte. Eben noch war sie in recht schüchterner Haltung dagestanden. Die Schultern hatte sie nach vorne geneigt und sich selbst eher schützend bedeckt.

Doch nun wurden ihre Schultern gnadenlos in eine stolze, aufrechte Haltung zurückgezogen. Ihr Brustkorb weitete sich und ihre nicht zu großen, aber doch recht ansehnlichen Brüste kamen wundervoll zur Geltung, als sich ihre Bluse über sie spannte, umso mehr, da ihr Brustkorb frei von den auf den Rücken gezogenen Armen geworden war. Und in ihrem eben noch recht schüchternem Gesicht war ein stolzes Strahlen erschienen.

'Mein Gott', dachte Andrea, 'wo ist das Schulmädchen von eben geblieben? Sogar auf mich als Frau hat sie ihre Wirkung, was müssen erst Männer bei ihrem Anblick empfinden?'

»So wird die Katerina auftreten.« In Marias Stimme war eine Menge Stolz zu hören.

Andrea war sprachlos. »Darf ich dich mal anfassen?«

Ihr sehr intensives Interesse ließ vermuten, dass es mehr als nur dienstlicher Natur war. »Das wird Hans interessieren.« Doch dann erinnerte sie sich an ihren eigentlichen Auftrag und ließ sich über das Fest berichten. Nur gelegentlich stellte sie noch eine Zwischenfrage.

Schließlich blickte Mrs. Potter zur Uhr. Nach einem freundlichen Blick zu Andrea wollte sie Maria an ihren nächsten Termin erinnern. »Maria, so langsam müsstest Du Dich zum Tanztraining fertig machen.«

Andrea nahm dies als Signal, das Interview zu beenden. Sie wollte sich verabschieden. Sie hatte ohnehin schon weit mehr erreicht, als sie sich erhofft hatte.

Doch Marias Erzieherin bot ihr an, Maria und Paul noch bis zum Tanzen zu begleiten. Immerhin war ihr klar, dass Maria wieder dem Darsteller des Prinzen über den Weg laufen würde, und da war etwas Verstärkung sicher recht sinnvoll.

Andrea war sichtlich überrascht. Damit hatte sie nicht gerechnet, und sie freute sich sehr darüber, Maria weiter zu begleiten. Die gemeinsame Abneigung gegenüber der Familie von Harsumstal spielte eine wichtige Rolle dabei, auch wenn es nicht ausgesprochen wurde.

Maria blickte Paul liebevoll an, und mit leiser Stimme bat sie ihn, sie doch bitte aus dem Handschuh heraus zu lassen. Erst jetzt erkannte Andrea den anderen Aspekt des Handschuhs, er machte die Trägerin nämlich sehr sehr hilflos, da sie überhaupt nicht mehr über ihre Arme verfügen konnte. Sie bekam eine Gänsehaut.

* * *

Unter normalen Umständen wäre Andrea das langsame Tempo von Maria wohl sehr auf die Nerven gegangen. Doch jetzt nutzte sie die Gelegenheit, neben dem so faszinierenden Mädchen her zugehen und noch die eine oder andere Frage stellen zu können. Vor allem wollte Andrea wissen, ob das Tragen des Handschuhs schwierig wäre.

Maria lächelte schüchtern. Es war ihr immer noch nicht ganz geheuer, hier so viel von sich preis zu geben. »Oh, das ist jetzt kein Problem mehr, aber am Anfang war es nicht leicht.« Sie schien nachzudenken. »Damals war der Handschuh noch weiter, aber dafür hatte ich auch weniger Übung.«

Andrea blickte voll Bewunderung auf die zarte Gestalt von Maria.

»Ich habe früher viel Ballettunterricht gehabt, deswegen bin ich auch sehr gelenkig.«

Andrea schien laut nachzudenken. »Ob ich das wohl auch könnte?«

Maria wusste nicht so recht, was sie sagen sollte.

* * *

»Ah, schön, dass Sie wenigstens schon da sind.« Renate Bayer stellte sich als Betreuerin des Prinzenpaares vor, als sie in die große Turnhalle kamen.

Es waren schon viele Leute anwesend, fast alle trugen Sportsachen. Maria blickte erschrocken an sich herunter und war verlegen. »Ich wusste nicht, dass ich was anderes tragen sollte.«

Frau Bayer fühlte fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen. »Bitte entschuldigen sie, das wäre meine Aufgabe gewesen. Ich bin sehr abgelenkt wegen des Prinzen.« In ihrer Stimme war deutlicher Ärger zu hören. »Er sollte heute hier sein, aber natürlich ist er nicht gekommen. Er sagt, in seinen Kreisen wüsste man, wie man zu tanzen hat.«

Paul und Maria ahnten, um wen es ging. Maria war sichtlich erleichtert, nicht mit dem Neffen des Barons zusammen treffen zu müssen. Gewiss, es war ihr klar, dass sie auf dem Fest zusammen spielen mussten, trotzdem war ihr das Zusammensein mit diesem hochnäsigen Neffen ein Greul.

»Die Nachricht vom Festausschuss kam sehr plötzlich«, entschuldigte sich sie noch einmal. »Ich habe die große Änderung nicht erkannt.« Obwohl sie es nicht aussprach, war ihr doch anzusehen, wie sehr erleichtert sie über die geänderte Besetzung war.

Ein Mann in Sportsachen war zu ihnen getreten. Er stellte sich als der Leiter der Tanzgruppe vor und begrüßte die kleine Gruppe. Dann wandte er sich an Maria. »Sie sind die neue Katerina?«

Maria bestätigte es schüchtern. Sie war es nicht gewohnt, gesiezt zu werden.

»Wir Tänzer duzen uns alle, ich bin der Carlos.« Maria erwiderte den Händedruck und nannte leise ihren Vornamen. Dann fragte sie mit der gleichen Unsicherheit, ob Paul da bleiben könnte.

Carlos blickte einmal in die Runde, dann sah er Frau Bayer fragend an. Diese schien zu wissen, was er erfahren wollte. »Er ist nicht gekommen. Er hätte Tanzunterricht nicht nötig.« Sie holte tief Luft. »Der Baron hat auch schon nachgefragt.«

Irgendwie schien Carlos dies nicht zu überraschen. »Aber Maria braucht einen Partner. Allein kann sie die komplizierten Schritte nicht machen.« Auf einmal richteten sich alle Blicke auf Paul.

Dieser war mehr als überrumpelt, doch als er Marias lieb bittenden Blick sah, konnte er nicht nein sagen. »Ich will es gern probieren.«

Carlos winkte auf einmal einer anderen Tänzerin zu und zeigte etwas mit den Händen, dann kurz auf Maria. Die dermaßen angesprochene Frau schien Bescheid zu wissen. Sie ging an eine Tasche, holte etwas heraus und kam auf die Gruppe zu.

Sofort hatte Maria das Gebilde in den Händen der Tänzerin als einen Monohandschuh erkannt und ihr Herz begann lauter zu schlagen. Sie hatte es noch immer nicht so richtig verarbeitet, dass sie jetzt ihren geliebten Handschuh in der Öffentlichkeit tragen durfte und dass sich daran keiner stören würde.

Carlos nahm den Handschuh entgegen und wandte sich wieder an Maria. »Du weißt, dass zu der Rolle gehört, dass Du ohne Deine Arme tanzen musst?«

Maria blickte ihn wortlos an. Paul sah das Leuchten in Marias Augen. Sagen konnte sie in dem Moment nichts. Sie ließ ihren Blick zwischen Paul und Carlos hin und her wandern. Sie machte in dem Augenblick einen sehr verunsicherten Eindruck, weil sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte.

Carlos schien die Unsicherheit zu spüren. »Keine Angst, Dir wird nichts passieren.« Dann wandte er sich an die Tänzerin, die den Handschuh gebracht hatte. »Elisabeth, magst Du Maria den Handschuh anlegen?«

Marias Herz klopfte laut. Langsam legte sie ihre Arme auf den Rücken.

»Das ist der Handschuh, mit dem Kerstin immer trainiert hat. Mal sehen, ob Du ihn tragen kannst.« Elisabeth schob die Lederhülle langsam an Marias Armen hoch.

Dann hörte Maria das Ratschen des Reißverschlusses und die erstaunte Stimme von Elisabeth. »Oh, mir scheint, Dir ist der Handschuh etwas zu groß, oder?«

Maria war höflich genug, um sich nicht zu beklagen. »Das wird schon gehen.« Ihre Stimme war in dem Moment recht leise.

Paul hatte dem Schauspiel recht interessiert zugesehen. Er wusste auch, wie eng Marias Handschuhe üblicherweise waren, doch auch er war höflich genug, nicht zu widersprechen. Als auch die Riemen über Marias Brust festgeschnallt waren, begann Carlos etwas über die Tänze zu erklären, die zu lernen waren.

* * *

Doch schon nach dem ersten Tanz sah Paul, dass Maria einen recht unglücklichen Eindruck machte. Er sprach sie darauf an.

»Ob ich hier wohl meinen eigenen Handschuh tragen könnte?« Sie war dankbar, dass Mrs. Potter angeregt hatte, ihn mitzunehmen. »Mit diesem komme ich nicht zurecht, der ist viel zu weit.«

Paul streichelte vorsichtig und zärtlich über Marias Arme, dann stand er auf und ging zu Carlos. Er trug das Anliegen vor.

Carlos zeigte sich verständnisvoll. »Sicher, das ist bestimmt recht ungewohnt. Natürlich kann sie auch ihren eigenen Handschuh tragen.«

Mit einem Lächeln kam Paul zu Maria zurück. Er nahm das weiße Lederbündel aus der Tasche und befreite Maria von dem Tanzhandschuh. Dann legte er wie gewohnt aber trotzdem hochkonzentriert Marias eigenen Handschuh an.

In der Konzentration bemerkten weder Maria noch Paul, dass die anderen Tänzer sich um sie geschart hatten, als erkennbar war, wie streng dieser Handschuh Marias Arme auf dem Rücken zusammen hielt. Es gab Applaus, als Paul gerade den letzten Verschluss geschlossen hatte.

Beide blickten sich verblüfft um. Carlos trat vor und blickte Maria bewundernd an. »Wahnsinn, das kannst Du toll.« Dann klatschte er in die Hände. »Jungs und Mädels, lasst uns weiter machen. Es ist noch viel zu lernen.«

* * *

Maria genoss es sichtlich, so im Mittelpunkt zu stehen. Sie spürte die vielen Blicke auf ihren Handschuh, doch wegen der komplizierten Tänze und Schrittfolgen war sie bemüht, diese zu ignorieren und sich stattdessen auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.

Paul war ebenfalls mit den Tänzen sehr beschäftigt. Nur gelegentlich erlaubte er sich einen Blick auf Maria, die jetzt einen sehr glücklichen Eindruck machte.

Der strenge Handschuh machte es Maria tatsächlich leichter, sich auf die Tänze zu konzentrieren, denn er nahm ihren Armen, mit denen sie vorher in dem zu weiten Handschuh unwillkürlich herum gerudert hatte, nun fast jede Bewegungs­möglichkeit, und so fiel es ihr leichter, das Gleichgewicht zu halten.

* * *

»Na endlich sind Sie da.« Die laute Stimme von Renate Bayer tönte in die Tanzpause. Die Blicke aller richteten sich zum Eingang der kleinen Halle.

Dort standen drei junge Männer in einer seltsamen Studentenuniform und blickten etwas angesäuert in die Halle.

Maria zuckte zusammen, als sie in einem der drei den Mann erkannte, der sie neulich schon so seltsam belästigt hatte. Franz-Ferdinand stürmte auf die Tanzfläche, blickte auf die anderen Tänzer und dann auf Maria. Er schien sie wieder zuerkennen. Er ging auf sie zu.

Maria hielt den Atem an.

Der Neffe des Barons blieb vor Maria stehen und blickte Maria sowohl auffordernd als auch belustigt an. »Nun, was ist? Wir sollen doch tanzen.«

Carlos klatschte kurz in die Hände. Dies schien das Signal für das Ende der Pause zu sein. Die Tänzer erhoben sich und gingen auf ihre Position. Der kleine Rekorder spielte wieder.

»Was ist denn das für eine schrottige Musik? Danach kann ich nicht tanzen.« Franz-Ferdinand murrte.

»Das ist eine Gavotte«, erklärte Carlos. »Und nun lasst uns beginnen.«

Die Gruppe setzte sich in Bewegung. Franz-Ferdinand sah nur für kurze Zeit auf die Tänzer und ihre seltsamen Bewegungen, dann blickte er zu seinen Freunden, die noch am Eingang standen und sich offensichtlich über ihn lustig machten.

Carlos kam auf ihn zu. »Warum machen Sie nicht mit? Ihre Partnerin wartet auf Sie.«

Maria blickte ihn mit einer Mischung aus Erwartung, Angst und Misstrauen an. Sie wusste nicht, ob er ihre verpackten Arme schon entdeckt hatte. Andererseits, so sagte sie sich, gehörte es zu der Rolle, die sie spielte.

»So einen blöden Tanz will ich nicht tanzen.« Er blickte die ganze Zeit zu seine Freunde, die sich vermutlich gerade über Marias Handschuh lustig machten.

Maria wurde es langsam unheimlich. Sie spürte die Ablehnung des Prinzendarstellers und befürchtete noch Schlimmeres. Sie drehte sich um, um nach Paul zu sehen.

In diesem Moment sah Franz-Ferdinand Marias verpackte Arme und ging auf sie zu. Er grabschte sie grob an den Handschuh und wollte ihn von ihren Arme herunter ziehen. »Damit kann man doch nicht tanzen, wie soll das denn gehen?«

Maria stockte der Atem.

Doch schon in der nächsten Sekunde waren alle Männer aus der Tanzgruppe bei Maria. Zwei Männer zogen sie von Franz-Ferdinand weg und die anderen hielten ihn fest.

»So nicht, mein Freund.« Carlos blickte dem Rüpel ins Gesicht und verwies ihn der Halle. Dann ging er mit eiligen Schritten auf Maria zu.

Paul war zu seiner Freundin getreten, hatte sie in den Arm genommen und versuchte sie zu trösten.

Auch Renate war entsetzt. Sie ging zum Telefon, nachdem sie sich vergewissert hatte, das Maria nichts geschehen war.

»Du siehst, das wir immer für Dich da sind und dich beschützen.« Carlos erklärte, dass dies ihre wichtigste Aufgabe auf dem Fest war.

Maria hatte sich von dem ersten Schreck erholt. Doch ihr Blick zeigte Sorgen. ‚Wie würde es nur auf dem Fest werden?’

Carlos sah den Blick und fragte, ob sie für heute nicht Schluss machen sollten.

Doch Maria, ehrgeizig wie immer, wollte weitermachen. »Ich würde bloß gern mal einen Schluck trinken auf den Schreck.«

Carlos wandte sich an seine Frau, die eine Flasche und ein Glas besorgte.

Sie hielt es Maria hin, dann wurde sie verlegen. »Du kannst ja gar nicht....«

Maria warf Paul einen Blick zu und dieser nahm das Glas in die Hand. Er ging zu Maria und hielt es vorsichtig an ihre Lippen. Maria konnte langsam trinken.

»Na, das macht ihr aber auch nicht zum ersten Mal.« Carlos grinste.

Maria wurde leicht rot.

»Aber das ist doch in Ordnung.« Er ging zum Rekorder und ließ die Musik wieder weiterlaufen. Sie tanzten weiter.

* * *

Baron Harsumstal beugte sich noch einmal über die Grundriss-Zeichnungen seines Schlosses. Jetzt kam ihm zugute, das seine Familie im Keller einen Schutzraum hatte einbauen lassen. Wobei Schutzraum untertrieben war. Es war eher ein große Vierzimmerwohnung, aber eben ohne jegliche Verbindung zur Außenwelt. Sie war für den Krieg eingerichtet worden, aber seitdem sehr vernachlässigt worden. Diese große Räume konnten ihm in ihrer Abgeschiedenheit jetzt sehr nützlich sein.

Er wählte die Nummer des Architekten und wartete. Als abgehoben wurde, ließ er sich von der Sekretärin zum Chef durch verbinden. Er nannte seinen Namen, und nach der Begrüßung seines alten Studienkollegen erklärte er sein Anliegen. »Im Keller gibt es bei mir noch die alten Luftschutzräume, meine Tochter möchte sich die einrichten und Du müsstest mal sehen, was da so zu machen wäre.«

Der Architekt fragte, welchen Zweck die Räume haben sollten. »Es soll so eine Art WG werden, für zwei Frauen.«

Der Baron wollte, dass keine weiteren Fragen nach dem Zweck kommen würden, deswegen versuchte er das Gespräch in eine andere Richtung lenken.

Der Architekt wollte sich das Ganze einmal ansehen, er schlug einen Termin vor.

Dem Baron war dies sehr recht, trotzdem machte er klar, dass die Bezahlung dafür aber erst im Herbst erfolgen könne.

»Du hast sowieso noch etwas gut bei mir«, war der abschließende Satz des Architekten, dann verabschiedeten sie sich und legten auf.

Baron Harsumstal ging aus seinem Büro auf den langen Korridor. Sein Weg führte ihn zunächst zu dem alten großen Schlüsselkasten, dort nahm er das Kellerbund heraus. Mit Knarren und Quietschen öffnete er die Tür zum Schlosskeller. Er war dort nur noch selten herunter gegangen, erst jetzt gab es wieder einen Grund, wenn auch einen recht traurigen.

Er seufzte, während er den Lichtschalter suchte. Dass es soweit kommen musste tat ihm auf der einen Seite leid, andererseits sah er keine andere Möglichkeit mehr. Seine Tochter war schon aus dem Weg geräumt und ebenso würde Maria sehr bald nach dem Fest einen mysteriösen Unfall haben. Sie würden nur noch ihr Auto finden und von Maria würde es keine Spur geben.

Natürlich würde dies erst passieren, nachdem er sich das Preisgeld für die Originalhaltung und die Gewinne aus dem Fest gesichert hatte.

Zielstrebig ging er auf die Räume zu, die er als Gefängnis für die beiden Frauen geplant hatte. Zunächst begutachtete er die Eingangstür, die die einzige Verbindung zur Außenwelt darstellte, wenn man einmal von dem damals sehr ausgeklügelten Lüftungssystem absah.

Er müsste nur die innere Klinke durch einen Knauf ersetzen lassen, dann könnte man von innen die Tür nicht mehr öffnen. Schalldicht waren die Räume, und es gab auch genügend Vorräte, um eine längere Zeit zu überleben.

Er erinnerte sich daran, dass die Vorräte vor einigen Jahren erst erneuert worden waren.

Er hoffte sehr, dass sein Plan aufgehen würde. Wenn er alles geregelt hatte, dann würde er anonym einen Tipp geben, wo die Frauen zu finden wären. Dann aber hätte er sich erfolgreich abgesetzt.

* * *

Obwohl es ihnen beiden sehr viel Spaß gemacht hatte, waren Paul und Maria doch froh, als das Tanztraining zuende war. Aufgrund der historischen Musik und den altertümlichen Schrittfolgen hatte es die beiden so richtig in die Vergangenheit zurück versetzt und träumen lassen, wenn die Schrittfolgen gelegentlich etwas einfacher waren.

Auf einmal hatte Paul eine Idee. Er verbeugte sich vor Maria und versuchte, seine Stimme möglichst höflich klingen zulassen. »Möchte die Prinzessin ihren Handschuh jetzt vielleicht ablegen?«

Im ersten Moment war Maria verwundert, dann glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. »Danke mein lieber Prinz,« antwortete sie mit verblüfften Gesicht. »Ich bin ob Eurer Fürsorge gerührt.« Doch dann schien sie nachzudenken. »Ich glaube, ich werde gleich in meinem Handschuh verbleiben.«

Paul blickte sie erstaunt an. Immerhin hatte Maria den Handschuh heute fast den ganzen Nachmittag lang getragen.

»Die Hofdame hat mir doch angetragen, nach dem Tanzen ohne Aufschub nach Haus zu kommen.« Sie grinste leicht.

Jetzt grinste Paul ebenfalls, er ahnte, dass Maria das Tragen des Handschuhs genoss »Wie es ihrer Hoheit beliebt.« Er ging das Cape holen. »Darf ich Euch dann in Euren Umhang helfen?«

»Danke, mein Prinz, Ihr seid zu gütig.«

Carlos blickte die beiden verwundert an. »Ihr übt schon für das Fest?«

Sowohl Paul als auch Maria lächelten. »So ähnlich« Dann verabschiedeten sie sich.

Paul hoffte, dass er die Stimmung seiner Freundin richtig einschätzte. Zärtlich legte er seinen Arm um Maria und war sehr erleichtert, als er spürte, dass Maria damit einverstanden war. Langsam gingen sie los.

»Das war echt aufregend.« Marias Stimme war leise, als sie nach einiger Zeit etwas sagte. »Es hat sich keiner an dem Handschuh gestört.«

Paul konnte nur ahnen, was in diesem Moment seine Freundin beschäftigte. »Du warst toll.« Mehr fiel ihm in diesem Moment nicht ein.

Sie gingen schweigend weiter.

* * *

Wieder stand Mrs. Potter vor der Haustür und wartete auf Maria.

Paul wünschte ihr höflich einen guten Abend.

Sie erwiderte den Gruß, ihre Stimme klang sehr wohlwollend, dann wandte sie sich wieder an Maria. »Verabschiede Dich von Paul, dann komm bitte herein.« Dann ließ sie die beiden vor dem Haus stehen, ging hinein und lehnte die Tür nur an.

Marias Stimme war leise. »Danke für den schönen Abend.«

Sie küssten sich.

* * *

Mit Erstaunen sah Maria, dass ihre Erzieherin das Laken aufgezogen hatte, auf dem viele Riemen angebracht waren, mit denen sie fast völlig bewegungslos fixiert werden konnte. Maria blickte ihre Erzieherin schüchtern fragend an.

Mrs. Potter hatte das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. »Euer Programm ist zwar ausgesetzt, aber ich dachte, dass Euch eine ruhige Nacht vor der Mathearbeit Morgen ganz gut tun könnte.«

Verträumt blickte Maria auf das Bett. Dann spürte sie, dass ihre Erzieherin wohl auf eine Reaktion von ihr wartete. »Wie... Ach so... Ja.« Sie blickte nachdenklich auf die zugegeben sehr bequeme Matratze, die sie selbst mit entworfen hatte. Sie versuchte sich zu erinnern.

Die untere Lage war aus sehr stabilem Sackleinen, an dem auch die vielen Lederriemen befestigt waren. Dann folgte eine Lage Schaumstoff, die mit einen Baumwolllaken gesteppt war. Ganz oben wurde sie mit einem Laken aus weicher Seide bezogen. Die Riemen waren im Prinzip ähnlich gearbeitet. Das komplette Laken wurde ähnlich wie ein Spannbettlaken aufgezogen, aber dann noch wie ein Korsett auf der Rückseite der Matratze fest gespannt.

Maria liebte das Gefühl der weichen Seide auf der Haut, welche doch genauso unerbittlich war. Wie würde es sich wohl anfühlen, wenn Paul sie einmal festschnallen würde?

Mrs. Potter folgte Marias Blick und versuchte, den Gedanken ihres Schützlings zu folgen. »Ja... Er wird dich sicher auch bald mal ins Bett bringen und Dir die Riemen anlegen.«

Maria fühlte sich ertappt und wurde rot. Zu einer Antwort war sie nicht fähig.

Ihre Erzieherin zeigte unerwartet Gefühle. »Das ist doch in Ordnung. Ich freue mich für Dich.«

Maria blickte ihre Erzieherin erstaunt an. Ein noch viel entspannteres Lächeln glitt über ihr Gesicht. »Du möchtest Dich sicher noch umziehen.« Mrs. Potter hielt den großen Schlüsselbund in ihrer Hand.

Marias Blick fiel auf die große Ansammlung von Schlüsseln. Wie würde es wohl sein, wenn Paul seine Schlüssel benutzen würde? Erst jetzt fiel ihr auf, dass ihre Arme immer noch in dem Handschuh steckten, in den Paul sie eingeschnürt hatte. Ihr Herz klopfte laut, als Mrs. Potter begann die Schnürung zu lösen.

* * *

Langsam kam Maria aus dem Bad. Ihr verträumter Blick fiel auf das Bett und die vielen Riemen, die ihr gleich eine ruhige Nacht ermöglichen sollten. Anfangs war es sehr ungewohnt für sie gewesen, sich gar nicht bewegen zu können. Aber sie musste zugaben, dass das Fehlen jedes Bewegungsspielraumes verhinderte, dass sie sich vor wichtigen Ereignissen unruhig hin und her wälzte, und dass sie so besonders ruhig und tief schlafen konnte.

Quasi aus Gewohnheit zupfte sich Maria noch einmal ihren Schlafanzug zurecht. Es war eine Mischung aus Pyjama und Catsuit, sehr bequem und sehr weich. Maria wusste, dass sie sich in wenigen Momenten fast überhaupt nicht mehr bewegen können würde. Je nach Stimmungslage setzte sie sich manchmal auf die Matratze und legte sich einige der Riemen selbst an, zumindest die, an die sie gut heran kam.

Doch heute war sie in Gedanken bei dem eigentlichen Grund für die ruhige Nacht, nämlich die morgige Mathematikarbeit in der Schule. Erst als ihre Erzieherin sie bat, ihre Arme neben ihren Körper zu legen, spürte Maria, wie sie schon fast überall festgehalten wurde.

Sie wollte einmal an sich herunter blicken, aber sie stellte fest, dass ihr Kopf schon fest mit der Matratze verbunden war. Sie konnte nur noch ihre Arme bewegen, und sie wusste von den vergangenen Malen, dass es damit auch gleich vorbei sein würde. Selbst ihre Finger würde sie dann nicht mehr bewegen können. Ganz zum Schluss wurde dann noch die Augenbinde über das Gesicht gezogen.

Dies war quasi auch das Signal, dass die Prozedur fertig durchgeführt worden war. »Ist die Prinzessin mit ihrer Hofdame zufrieden?« Die Stimme von Mrs. Potter klang sowohl feierlich als auch eine Spur amüsiert.

Maria war verblüfft. An dieser Stelle hatten sie schon lange nicht mehr gespielt. Sie lächelte. »Doch, es ist alles zu meiner Zufriedenheit. Ich denke, ich werde eine ruhige Nacht haben.« Sie musste etwas überlegen, wie sie es früher gespielt hatten. »Ich bedarf Eurer Hilfe nicht mehr, Ihr könnt Euch dann zurück ziehen.« Sie liebte dieses schöne Paradoxon.

* * *

Es war Freitag Morgen und damit Zeit, in Australien anzurufen. Maria wählte die lange Nummer und hörte auch bald den Klingelton. Sie musste nicht lange warten.

Rosalie wollte sofort alles über Paul wissen, und Maria bemühte sich, in kurzen Worten alles wichtige zu berichten. Denn wegen der Schule blieb ihnen wenig Zeit.

Dann erzählte sie, dass sie auf dem Fest die Katerina darstellen durfte und dass sie deswegen mit Franz-Ferdinand zusammen auftreten und tanzen musste

Rosalie wollte es nicht glauben. »DER Franz-Ferdinand?« Sie schrie es fast in den Hörer. »Ist der immer noch so hochnäsig?«

Maria seufzte und berichtete von ihrem ersten Zusammentreffen sowie von dem unsäglichen Auftritt beim Tanzen.

Rosalie bedauerte ihre Freundin. »Der war schon immer so. Nimm es hin, Du kannst ihn nicht ändern.«

Maria seufzte noch einmal.

Rosalie berichtete noch ein paar Neuigkeiten aus Australien.

»Drücke mir die Daumen, wir schreiben heute Mathe.« bat Maria ihre Freundin.

Rosalie versprach es.

Dann verabschiedeten sie sich.

* * *

Die ganze Zeit schon spürte Paul Marias Händedruck und er spürte, wie erleichtert sie doch war. Die Mathearbeit war vorbei und jetzt war die Schule aus. Paul war zuerst recht unsicher gewesen, weil Maria ihr Cape diesmal ganz anders tragen wollte und er wusste nicht, ob er ihr wieder bei etwas Verbotenem helfen würde. Sie hatte ihre Arme frei haben wollen und bestand auch darauf, dass die Durchgriffe geöffnet waren.

Insgeheim überkam ihm eine Gänsehaut, als er darüber nachdachte, wie sehr Maria doch von sehr seltsamen Regeln umgeben war und mit welcher Geduld sie dieses hin nahm.

Die Aufgaben aus der Mathearbeit waren ihm sehr leicht gefallen und er fragte sich, wie es wohl Maria ergangen war. Er begann vorsichtig nach ihren Ergebnissen zu fragen.

Maria schien sehr viel richtig zu haben.

* * *

Andrea blickte Hans, den Fotografen verliebt an. »Du wirst sehen, Maria ist etwas ganz Besonderes.«

Hans wunderte sich. »Ich verstehe aber trotzdem nicht, warum Du Deinen Artikel zensieren lassen willst.«

Sie lächelte. »Ja, Du hast recht, wie haben gelernt, dass man so etwas nicht machen soll, aber ich möchte Vertrauen aufbauen. Maria ist so zart und ganz anders als Sophie. Und ihr Handschuh ist mehr als faszinierend.«

Der Fotograph blieb skeptisch.

»Du wirst sehen, sie ist etwas Besonderes, ich fühle es.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Und sie kann etwas ganz Außergewöhnliches, auch wenn ich nicht verstehe, wozu...«

* * *

Mrs. Potter stand an der Haustür und wartete auf Maria und ihren Freund. Sie hoffte sehr für sie, dass die Arbeit gut gelaufen war. Maria hatte es sehr schwer und oft genug bedauerte sie ihren Schützling, wenn sie gerade mal wieder besonders streng sein musste Sie sah die beiden auf das Grundstück kommen und sie kannte Maria schon lange genug, um ihren lockeren und leichten Schritt zu erkennen. So ging sie nur, wenn sie sehr gute Laune hatte. Dies war eine der wenigen Möglichkeiten, die das Programm ihr ließ.

Für heute hatte sich wieder die Reporterin angesagt, die auch sehr unter der Baroness zu leiden hatte. Mrs. Potter war daran interessiert, dass Maria heute bei dem Fototermin eine gute Figur machte. Seit sie mit Paul zusammen war, schien Maria den Handschuh etwas verändert zu betrachten. Es kam ihr vor, als würde Maria im Stillen ihre Hilflosigkeit nun erst richtig genießen. Paul las ihr nämlich jeden Wunsch von den Augen ab, war sehr umsichtig und mindestens genauso zärtlich.

Sie musste sich allerdings eingestehen, dass von Maria in ihrem Handschuh wirklich ein gewisser Zauber ausging. Es freute sie sehr, dass Maria durch das Katerinenfest mit dem Handschuh jetzt so in die Öffentlichkeit gerückt wurde. Sie kannte ihren Schützling gut genug um zu wissen, dass Maria insgeheim die Möglichkeit, den Handschuh jetzt frei und von allen akzeptiert in der Öffentlichkeit zu tragen sehr genoss Auch wenn sie auch dabei stets bescheiden blieb.

* * *

»Hier wäre der Artikel, so wie ich ihn einreichen möchte.« Andrea legte ein dicht bedrucktes Blatt Papier auf den Tisch und blickte Mrs. Potter, Maria und Paul fragend an. Es war still, als die drei den Artikel lasen.

Nur gelegentliche Geräusche von Hans störten die Stille, der damit beschäftigt war, ein paar Scheinwerfer aufzubauen. Er war es auch, der die Ruhe dann endgültig störte. »Ich wäre dann soweit.«

Mrs. Potter sah zuerst von dem Artikel auf. »Das gefällt mir sehr gut.« Doch in ihrem sehr zufriedenen Blick mischten sich ein klein wenig Sorgen. Sie äußerte dies. »Wie wird bloß der Baron auf den Artikel reagieren?«

Andrea wusste hierauf keine Antwort.

Maria sagte nichts, aber ihr Blick zeigte ebenfalls Zufriedenheit und auch Stolz.

Andrea blickte Maria erwartungsvoll an. »Wir würden Dich gern mit den Handschuh fotografieren.« Es lag mehr in ihren Worten, doch sie war höflich genug, dieses nicht auszusprechen. Sie ahnte, dass der Handschuh für Maria nach wie vor etwas Einschneidendes war, welches ihr sehr viel Freiheit nahm.

Mrs. Potter hatte den Handschuh schon bereitgelegt, jetzt nahm sie ihn von der Kommode und reichte ihn Paul. Mittlerweile sehr routiniert schnürte er die Arme seiner Freundin in den Handschuh ein und doch spürte auch er dabei das besondere dieser Situation.

Andrea bekam leuchtende Augen, als sie noch einmal Marias Verwandlung betrachtete.

Auch Hans war es deutlich anzusehen, dass er Maria mit dem Handschuh bewunderte. »Toll, dass Du so etwas tragen kannst.« Insgeheim fragte er sich noch, warum sie so etwas konnte, aber er traute sich nicht, dieses auszusprechen. Stattdessen blickte er Andrea mit leuchtenden Augen an. Er grinste: »Kannst Du so etwas auch tragen?«

Andrea bekam auf einmal einen recht verklärten Blick und wurde rot. Sie stammelte etwas. Dann schien sie sich wieder in ihrer Gewalt zu haben. »Das könnte Dir so passen.« Sie warf noch einen Blick auf Maria. »Jetzt mach die Bilder«, fügte sie lächelnd hinzu.

»Darf ich Dich berühren?« Es war Hans anzumerken, dass er Maria mit sehr viel Respekt und Ehrfurcht behandeln wollte. Ohne dass es ihm richtig bewusst war, ahnte er, wie hilflos Maria mit diesem besonderen Handschuh war.

Maria war innerlich sehr aufgeregt. Nach außen hin versuchte sie Ruhe zu zeigen. Sie nickte schüchtern.

Hans fasste sie vorsichtig bei den Schultern und drehte sie in die Position, die er haben wollte. »Ich möchte dich einmal von vorn ablichten und einmal von der Seite.« Er zeigte ihr die erste Position, bei der sie von vorn aufgenommen würde und bei der von dem Handschuh nur die über der Brust gekreuzten Riemen sichtbar wären.

Bei der zweiten Position sollte sie sich seitlich zur Kamera hinstellen und dabei über die Schulter nach hinten blicken. Dabei sollte sowohl ihr Lächeln wie auch ihr Handschuh deutlich sichtbar sein.

Nach den ersten Klicks der Kamera hatte Maria ihre Scheu verloren und immer deutlicher wurde sichtbar, dass sie es genoss, mit dem Monohandschuh vor der Kamera zu stehen.

Trotzdem versuchte sie aufmerksam den Anweisungen von Hans zu folgen. Mal sollte sie in die Kamera blicken, dann wieder auf bestimmte Gegenstände. Manchmal durfte sie auch zu Paul blicken. Der Fotograf ermutigte sie, in ihrer Haltung auch einmal Gefühle zu zeigen. Sie sollte etwas mit Paul flirten, ihm einen Kuss zuwerfen und lieb lächeln.

Es war deutlich zu sehen, wie sehr Maria die Situation genoss Sie schwebte auf Wolken, weil sie ihren Handschuh nicht mehr verstecken musste Spätestens, wenn der Bericht in der Zeitung war, würde es der ganze Ort wissen. Maria strahlte.

»Okay, danke, das war es.« Die abschließenden Worte von Hans rissen Maria aus ihren Träumen. Die innere Anspannung ließ nach. Sie blickte ihre Erzieherin fragend an und als diese nickte, ging Maria zum Tisch und setzte sich neben Paul.

Hans legte die Kamera zurück in den Koffer, dann begann er die beiden Scheinwerfer abzubauen. Es war ihm anzusehen, dass er von Marias besonderer Erscheinung auch noch sehr gefangen war.

Es klingelte. Mrs. Potter warf einen Blick auf Marias Terminplan und erhob sich. »Das dürfte Kerstin Richards sein, die Katerina vom letzten Fest.« Sie ging aus dem Zimmer.

Andrea half dem Fotografen schweigend beim Zusammenpacken, beide waren noch sehr von Marias Erscheinung gefangen.

Als Mrs. Potter mit dem nächsten Besucher herein kam, waren Andrea und Hans mit dem Packen fertig.

»Ah Frau Richards, gut das ich sie treffe.« Andreas Stimme war im ersten Moment noch etwas seltsam belegt. »Ich würde sie gern noch einiges über ihren damaligen Auftritt fragen, wann kann ich denn mal vorbeikommen?«

Kerstin hatte Mühe, ihren Blick von Marias Armen abzuwenden. Sie bat Andrea verlegen , die Frage zu wiederholen.

Andrea kam der Bitte nach und diesmal fügte sie gleich einen Terminvorschlag an, mit dem Kerstin sich einverstanden erklärte.

Hans ergriff seine beiden Kisten und blickte Andrea auffordernd an. »Wir könnten dann gehen.«

Sie verabschiedeten sich mit Handschlag und dankten noch einmal für die Geduld. Nur Maria gaben sie aus verständlichen Gründen nicht die Hand.

Hans strich Maria noch einmal kurz über die Schulter und blickte sie bewundernd an. »Tapferes Mädchen.«

Andrea konnte der Versuchung nicht widerstehen. Sie warf zuerst noch einen Blick auf den Handschuh, dann blickte sie Maria fragend an.

Maria ahnte, was das Anliegen der Reporterin war. Obwohl ihr das Interesse noch nicht ganz geheuer war, nickte sie vorsichtig.

Andrea strich mit ihrer Hand zärtlich über die so streng verpackten Arme von Maria. Es war deutlich zu sehen, wie sehr Andrea von dem Monohandschuh fasziniert war.

Kerstin war näher getreten. Auch sie blickte sehr gebannt auf Marias so streng fixierte Arme. Sie musste sich räuspern. »Ich bin sprachlos. Ich wusste gar nicht, dass das so möglich ist.«

Andrea schaffte es, sich von dem Anblick zu lösen. Sie warf noch einen letzten Blick auf Maria, dann verließ sie zusammen mit Hans das Haus.

* * *

Maria suchte den Blick von Paul. Sie wollte ihn auffordern, ihr den Handschuh zu öffnen.

Doch die Frage von Kerstin kam ihr zuvor. »Das ist ja irre.« Auch ihr Blick hatte sich von Marias Armen einfangen lassen. »Darf ich Dich einmal anfassen?«

Maria blickte die letztmalige Katerina aufmunternd an. Zugleich beschloss sie, den Handschuh Kerstin zuliebe noch etwas zu tragen.

Fast ungläubig strichen Kerstins Hände über das weiße Leder, welches Marias Arme so unerbittlich festhielten.

Maria lächelte, als sie die Berührung spürte.

»Du wirst eine tolle Katerina werden.« Kerstins Stimme war leise. »Du musst ja gar nicht mehr üben.«

Maria blickte Kerstin unsicher an. »Meinst Du? Da ist doch sicher noch viel anderes, oder? Was muss ich denn so alles machen?«

Kerstin griff zu ihrer Tasche, die sie über den Stuhl gehängt hatte und holte ein Fotoalbum heraus. Sie ging zum Tisch und legte es darauf. »Ich habe Bilder von meinem Fest dabei, die können wir uns ansehen.«

Maria durfte sich direkt vor das Album setzen, Kerstin und Paul nahmen jeweils an ihren Seite Platz.

Dann begann Kerstin zu blättern. Zu fast jedem Bild konnte sie etwas erzählen, und so konnte sie Maria ein besseres Bild davon machen, was auf sie zukommen würde. Als ihr allerdings deutlich wurde, wie viel sie zusammen mit dem »Prinzen« machen würde, wurde sie etwas traurig.

Kerstin bemerkte dies sofort und sie hakte nach.

Maria blickte Paul bittend an. »Kannst Du es erzählen?«

Natürlich wusste Paul, was seine Freundin in diesem Moment so bewegte. Er erzählte Kerstin, wer dieses Jahr für die Rolle des Herzogssohnes vorgesehen war.

Als er den Namen von Franz-Ferdinand aussprach, stöhnte Kerstin. Sie blickte Maria mit viel Mitleid an. »Du Ärmste, das wird wirklich nicht leicht.«

Maria wollte wissen, wie es denn bei Kerstin gewesen war. Sie blickte wieder auf die Bilder. Maria sah, dass Kerstin damals ziemlich glücklich aussah.

»Der Prinz war damals ein sehr guter Freund von mir,« berichtete sie, »und deswegen hatte ich kein Problem damit, mit ihm zu spielen.«

Maria seufzte.

»Das Fest ist bei mir aber auch nicht ohne Folgen geblieben.« Kerstin lächelte hintergründig. »Ich habe mich damals in meinen Tanzlehrer verliebt. Wir haben dann bald nach dem Fest geheiratet.«

Sie schaute verträumt auf die Bilder. »Den Handschuh habe ich später nie mehr getragen.«

* * *

Die Einladung für das Abendessen hatte Kerstin dankend abgelehnt, nachdem sie noch viel über das Fest und seinen Ablauf erzählt hatte.

Mrs. Potter war in die Küche verschwunden, weil sie das Abendessen vorbereiten wollte.

Maria blickte Paul liebevoll an. »Jetzt könntest Du mich so langsam mal aus dem Handschuh heraus lassen.«

Paul kam der Aufforderung sofort nach, und gleich darauf konnte seine Freundin ihre Arme wieder frei bewegen.

Maria blickte etwas belustigt auf den Handschuh, den Paul auf die Kommode gelegt hatte. »Das ist schon seltsam, seit das Programm ausgesetzt ist, trage ich ihn viel länger als sonst.«

Doch dann wurde sie nachdenklich. »Ich will es ja ganz anders tragen.« Ihre Augen bekamen etwas verträumtes. »Auf dem Fest.« Sie schielte etwas auf den Flur, wo die neue Trainingsjacke hing und auf sie wartete.

»Heute nicht mehr«, die Stimme von Mrs. Potter klang auf einmal sehr streng.

Paul zuckte zusammen und blickte fast erschrocken zu der Erzieherin hin, dann glitt sein Blick zu Maria.

Seine Freundin schien von dem strengen Ton auch berührt, aber sie wagte nicht, etwas zu erwidern. Sie schien solche Zurechtweisungen gewöhnt zu sein.

Paul hätte sich sowieso nicht getraut, sich gegen Mrs. Potter zu stellen, zumindest nicht wegen einer solchen Kleinigkeit.

Doch gleich darauf war die Stimme der Erzieherin wieder freundlich, als sie beide aufforderte, noch einmal zuzugreifen und es sich schmecken zu lassen.

Paul war schon verwundert über diese seltsamen Stimmungswandel, doch er kam dieser Aufforderung gern nach. Es fiel ihm nur auf, dass Mrs. Potter entgegen ihren sonstigen Gewohnheiten sehr oft auf die Uhr sah. Auch schien sie es heute mit dem Tisch abräumen überhaupt nicht eilig zu haben, im Gegenteil, sie begann nach dem Essen noch mit etwas Plauderei, in dem sie Maria nach der Mathearbeit fragte.

Paul wunderte sich sehr, denn für solche Plauderstündchen war sonst nie Zeit. Er wusste nicht so recht, was er davon halten sollte.

Auf einmal war eine leise Melodie zu hören und Mrs. Potter blickte erleichtert auf. »Sie sind da.«

Maria kannte diese Melodie, doch sie verstand noch nicht, was gerade passierte.

Mrs. Potter lächelte. »Ihr solltet einmal vor die Tür gehen.« Sie blickte Maria, aber auch Paul kurz an.

Maria ging mit für ihre Verhältnisse sehr eiligen Schritten nach draußen. Paul ging ihr hinterher. Als sie die Tür öffnete, war sie sehr überrascht. Ihre Musikgruppe hatte sich in ihren Kostümen draußen aufgestellt und sie brachten Maria ein Ständchen. Sie spielten eines von Marias Lieblingsstücken.

Maria stand neben Paul und war sehr gerührt. Sie hielt Pauls Hand.

Nach dem ersten Stück kam Fritz auf sie zu und hielt eine kleine Rede. »Wir freuen uns für Dich über deine neue Aufgabe und wünschen Dir für die Katerina viel Erfolg.« Er äußerte aber auch sein Bedauern darüber, dass Maria auf dem Fest deswegen nicht mitspielen könne. »Nun darfst Du Dir noch ein Stück wünschen.«

Maria entschied sich für einen der historischen Tänze, den sie besonders gern spielte.

Nach dem Abschlussstück trat auch Mrs. Potter vor die Tür. Sie bedankte sich ebenfalls für das schöne Ständchen und bat die Musiker noch auf einen kleinen Umtrunk herein.

Jetzt war es Paul auf einmal klar, warum Marias Erzieherin vorhin die Trainingsjacke so barsch abgelehnt hatte.

* * *

Natürlich wollten alle wissen, was Maria für die Rolle der Katerina schon hatte lernen müssen.

Maria berichtete von den ersten Kontakten mit ihrem Spielpartner Franz-Ferdinand. Sie sprach es nicht aus, aber ihre Meinung über ihn kam deutlich herüber.

Jemand in der Runde warf ein »arroganter Schnösel« in den Raum.

Maria konnte nur zustimmen.

»Wir haben auch noch keine guten Erfahrungen mit ihm gemacht«, merkte Fritz an.

»Selbst in der Uni benimmt er sich sehr seltsam.« Carlas Stimme war fast etwas aufgebracht. »Er hält sich für etwas Besseres. Und wer nicht Mitglied in seiner Burschenschaft ist, gilt bei ihm gar nichts.«

Sie bedauerten Maria. »Du wirst es nicht einfach haben.«

Maria seufzte.

Karin machte ihnen klar, dass Maria in ihrer Rolle ihm dann ziemlich ausgeliefert sein würde.

Sowohl Paul als auch Maria waren ziemlich ernüchtert, als ihnen dieses klar wurde.

Paul fing sich als erster. »Ich werde die Prinzessin vor allem Unbill und Ungemach beschützen.«

Maria blickte ihn an. »Danke sehr mein Prinz. Ich weiß euer Bemühen sehr zu schätzen.«

Fritz blickte die beiden amüsiert an. »Fangt ihr schon wieder an?« Er grinste.

»Klar, wir sind ständig im Training!« lächelte Paul.

Fritz hob sein Glas. »Dann lasst uns mal auf die neue Katerina anstoßen.«

Ein wenig beschämt hob auch Maria ihr Glas.

* * *

Oma Selma saß schon am Frühstückstisch und war in die Zeitung vertieft, als Paul ihr einen guten Morgen wünschte. Sie erwiderte den Gruß. Dann legte sie die Zeitung weg und sie widmeten sich dem Frühstück. »Maria kommt ja sehr gut raus in dem Bericht.« meinte Selma anerkennend.

Paul war überrascht. »Oh, ist der Bericht schon drin?« Er legte sein Brötchen zur Seite und griff sich den Lokalteil.

Seine Oma nannte ihm die Seitenzahl und er schlug die Seite auf. Der Bericht erstreckte sich mit den zwei Bildern über fast eine halbe Seite. Paul überflog ihn rasch und ließ seinen Blick einige Zeit auf den beiden Bildern ruhen. Er fühlte eine Menge Stolz auf Maria. »Der Artikel ist genauso, wie die Reporterin ihn uns vorgelegt hat. Und die Bilder sind toll. Maria strahlt ja richtig.«

Seine Oma musste ihm recht geben. »Ja, es ist eine sehr schöne Darstellung. Nur der Neffe kommt nicht gut weg. Das könnte noch Ärger bedeuten.«

Paul wollte dies überhören. Er sprach aus, was ihn schon seit langem bewegte. »Maria freut sich sehr über den Handschuh und dass sie ihn jetzt so zeigen darf. Es bedeutet ihr viel.«

Selma schien nachzudenken. »Ja, den Eindruck hatte ich auch.« Sie machte eine bedeutsame Pause. » Sei sehr behutsam mit Maria. Ich glaube, sie ist wirklich etwas Besonderes.«

Paul wurde nachdenklich. »Sie will ja dieses Gebet tragen. Ich glaube, sie ist sehr ehrgeizig.«

Selma blickte ihn ernst an. »Ich denke, sie könnte es schaffen, aber es wird sie viel Kraft kosten. Du musst ihr beistehen und sie beschützen.« Sie seufzte. »Wenn doch bloß dieses Ekel nicht wäre.«

Paul musste nicht lange überlegen um zu wissen, von wem seine Oma sprach. Er seufzte ebenfalls.

* * *

Baron Harsumstal legte die Zeitung beiseite. Über den Bericht über Maria war er sehr froh, denn dieser kam seinen Zwecken sehr entgegen. Er hoffte, dass mit diesem Bericht die Landsbacher die Gedanken an seine missratene Tochter vergessen würden und sich mehr Maria zuwenden würden.

Sophie hätte es nie geschafft, die Rolle zu spielen, dazu war sie viel zu launenhaft und verzogen. Er hatte überhaupt keinen Einfluss mehr auf seine Tochter, dies musste er sich eingestehen. Und den Handschuh zu tragen, dazu hätte er sie überhaupt nicht bringen können.

Er warf wieder einen Blick in die Zeitung und auf das sehr faszinierende Bild von Maria. Das Mädchen hatte eine tolle Ausstrahlung und er hoffte sehr, dass mit ihr ein erfolgreiches Fest möglich war. Nur kurz hatte der Baron Mitleid wegen der Zukunft für Maria. Aber er musste sie für einige Zeit aus dem Weg räumen, um sich erfolgreich absetzen zu können.

Wenn bloß sein blöder Neffe nicht wäre. Gestern gab es schon wieder Beschwerden wegen des Tanztrainings. Er beschloss, ihm noch einmal ins Gewissen zu reden. Vielleicht würde der Bericht in der Zeitung eine Änderung seines Verhaltens bewirken. Doch dann verwarf der Baron den Gedanken wieder und seufzte.

* * *

Maria stellte ihre Tasse ab und blickte noch einmal sehr glücklich auf das Bild in der Zeitung. So richtig konnte sie es immer noch nicht fassen. Jetzt konnte sie jeder sehen, wie anmutig und stolz sie ihren Monohandschuh trug und wie glücklich sie damit aussah.

»Jetzt werden sie nicht mehr lachen, wenn sie mich sehen.« Sie sprach aus, was sie bewegte.

Ihre Erzieherin teilte diese Meinung nicht so ganz, doch sie wollte Maria ihre gute Laune nicht verderben. Sie versuchte abzulenken. »Weißt Du schon, was Du heute machen möchtest?«

Maria warf einen Blick auf den großen Wandkalender, der seit Mittwoch neben dem Fenster hin. »Heute Vormittag kommt die Schneiderin. Ich wollte vorher etwas von meinem Sport nachholen. Ich muss gelenkig bleiben.« Sie blickte noch einmal verträumt auf die Zeitung.

Mrs. Potter war von dem Eifer ihres Schützlings sehr angetan. »Das ist eine gute Idee.« Sie stand auf und ging zur Tür. »Ich bereite schon mal alles vor und Du kommst dann runter, wenn Du Dich umgezogen hast.«

* * *

Es war eigentlich so ein Saunaanzug aus etwas dickerem Plastik, der die Durchblutung und das Schwitzen fördern sollte. Doch Maria trug ihn auch deswegen gern, weil sich das Plastik auf der Haut ganz besonders an fühlte, wenn es erst einmal ihre Körpertemperatur angenommen hatte.

Die erste Berührung mit dem noch kalten Plastik ließ sie immer erst einmal kurz zusammen zucken. Doch schon kurz darauf war ihr Körper bis auf Kopf, Hände und Füße überall von Plastik umgeben und sie hörte das leise, aber ständige Knistern und Rascheln. Sie liebte und hasste dieses Geräusch zugleich, da es relativ fest mit ihrem Sport verbunden war.

Gleich danach legte sie sich das Sportkorsett um und versuchte, die Schnürung wenigstens locker zu schließen. Für die strenge Schnürung war ihre Erzieherin zuständig.

Maria freute sich.

Im Treppenhaus war das Rascheln des Plastiks besonders laut zu hören. Irgendwie gehörte es bei ihrem Ritual, sich von ausgewählten Maschinen quälen zu lassen, dazu. Immerhin waren die Maschinen speziell für ihr Programm zusammengestellt und Maria hatte mit der Zeit eine Art Hassliebe ihrem Sport gegenüber entwickelt.

* * *

Das Telefon klingelte. Paul ging ran und meldete sich.

Es war Herr Peters, der Mathematiklehrer von Paul und Maria. »Ich wollte Dir, Paul, nur für die gute Nachhilfearbeit danke. Maria hat in der Arbeit 13 Punkte geschrieben.«

Paul machte fast so etwas wie einen Luftsprung. Das hätte er nicht einmal gehofft.

»Ich habe Maria nicht angerufen, Du magst ihr vielleicht die schöne Nachricht überbringen?« Nur im Nebensatz erwähnte Herr Peters das Ergebnis von Pauls eigener Arbeit, aber die 15 Punkte waren ihm in diesem Moment herzlich egal.

Paul dankte ihm für die schöne Nachricht, dann verabschiedeten sie sich und er legte auf. »Ich muss zu Maria«, rief er seiner Oma zu, während er sich seine Jacke von der Garderobe nahm und mit sehr eiligen Schritten das Haus verließ.

Es kochte in ihm vor Freude, er war fast wie benebelt. So schnell wie diesmal war er noch nie bei Maria gewesen. Sein Herz klopfte diesmal besonders laut. Er lief bis vor zur Haustür und klingelte.

Unter normalen Umständen wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass diesmal Mrs. Potter die Tür nicht direkt öffnete. Aus der Sprechanlage war ihre Stimme zu hören. »Kommen Sie herauf, wir warten schon auf Sie. Wir sind im Salon.«

Es hätte Paul vielleicht auffallen können, das er bisher nicht mit Sie angesprochen wurde. Aber er war so voller Freude, dass er es überhörte. Er stürmte die Treppe hoch zum Salon. Im letzten Moment fiel ihm ein, dass er anklopfen sollte.

»Kommen Sie rein.« kam es von drinnen. Paul trat ein und hielt vor Schreck den Atem an.

* * *

Maria zog ihren Bademantel aus und grinste etwas. »Ohne die Schenkelbänder fehlt mir richtig etwas.« Sie spreizte ihre Beine, um die ungewohnte Freiheit, die sich ihr bot, auch auszunutzen.

Auf den ersten Blick sah es aus, als wäre Maria nackt. Aber wenn man genauer hin sah, war zu sehen, das Maria einen hautfarbenen Latex-Catsuit trug. Dadurch, dass er sehr genau passte, warf er so gut wie keine Falten und war deswegen kaum wahrzunehmen. Am ehesten fiel noch der überaus gleichmäßige Farbton ihrer Haut auf.

»Wann wollte die Schneiderin kommen?« fragte Maria.

Mrs. Potter sah auf die Uhr: »Roswita müsste jeden Moment kommen.«

Es klingelte.

»Das wird sie sein.« Mrs. Potter ging zur Sprechanlage und ließ den Gast herein.

Maria kamen die schnellen Schritte schon etwas seltsam vor. ’Die Schneiderin hat es doch sonst nicht so eilig’, dachte sie.

Paul kam strahlend in den Salon und legte sofort los. »Maria, weißt Du, was passiert ist?«

Mrs. Potter und Maria erstarrten beide.

Maria druckste herum.

Erst jetzt spürte Paul die sonderbare Stimmung und er blickte an Maria herunter. Er erschrak, als er zu erkennen glaubte, dass Maria nackt war.

In diesem Moment war von der Tür ein »Entschuldigen Sie bitte, aber unten war offen.« zu hören. Die Schneiderin war jetzt auch da.

Paul war sensibel genug zu spüren, dass er wohl unerwartet in etwas hinein geplatzt war, was jetzt peinlich zu werden drohte. Er wollte Maria auf keinen Fall bloßstellen. Auf der anderen Seite wollte er aber auf jeden Fall die gute Nachricht überbringen. Er war fast wie gelähmt.

Mrs. Potter war die erste, die sich wieder unter Kontrolle hatte. Sie wog die Möglichkeiten ab. Marias Latex-Anzug hatte er sicher gesehen, da gab es wohl nichts mehr zu verheimlichen. Die Liebe zwischen Paul und Maria wollte sie auch nicht aufs Spiel stellen, sie durfte jetzt keinen von beiden bloßstellen oder vor den Kopf stoßen.

Paul schien etwas sehr Wichtiges auf dem Herzen zu haben. Sie musste so tun, als wäre alles in Ordnung. Sie beschloss, ihn so bald wie möglich einzuweihen.

Doch zuerst wollte sie wissen, was er denn eigentlich sagen wollte. Sie versuchte, ihre Stimme möglichst neutral klingen zu lassen. »Was gibt es denn so Wichtiges?«

Paul blickte einigermaßen verwirrt zwischen Maria und Mrs. Potter hin und her. Dann fiel ihm die gute Nachricht wieder ein. Er erzählte von dem Anruf des Mathematiklehrers und nannte das Ergebnis. Maria vergaß für einen Augenblick alle ihre bisherige Erziehung, sie stieß einen Freudenschrei aus und lief auf Paul zu, um ihn zu umarmen.

Innerlich war Mrs. Potter entsetzt. Selbst wenn er das Latex bis jetzt übersehen haben sollte, jetzt dürfte er es sicher gespürt haben. Jetzt gab es wirklich kein zurück mehr. Trotzdem freute sich auch sie sich über Marias sehr gute Leistung.

Die Schneiderin war es, die wieder etwas Ruhe herein brachte. »Wenn es jetzt nicht passt, dann kann ich auch später wiederkommen.«

Es drehten sich alle zu der Schneiderin um.

Mrs. Potter ergriff die Gelegenheit. »Nein, wir sind fertig. Sie können beginnen.«

Die Schneiderin blickte bittend in die Runde. »Da wären noch einige Kartons im Auto, es geht schneller, wenn wir die zusammen heraufholen.«

Mrs. Potter sah eine sehr gute Gelegenheit. »Sie können mit Maria schon mal anfangen, Paul und ich holen die Kartons herauf.«

Paul kam es bei Weitem nicht in den Sinn, dieser Anordnung zu widersprechen. Er war gern bereit zu helfen.

Mrs. Potter kam dies ebenfalls sehr gelegen, denn so konnte sie unauffällig Paul und Maria trennen. Paul hätte den Latexschutzanzug nicht sehen sollen. Jetzt hoffte sie, dass er nicht danach fragen würde.

* * *

Es war fast wie eine Prüfung. Paul musste jeden Gegenstand aus Marias schöner Nacht benennen und dann zeigen, wie er ihn bei Maria anlegen würde.

Er war ziemlich aufgeregt.

Mrs. Potter war mit seinen Ausführungen sehr zufrieden. Sie lobte ihn mehrmals, weil er sich wirklich gut vorbereitet hatte.

Trotzdem hatte Paul ein ziemlich flaues Gefühl im Magen.

Maria wollte ihm auf jeden Fall helfen. Sie wies mehrmals auf die »strenge Mappe« hin, wo er alles im Detail nachlesen könne. Sie machte ein abschätzige Bemerkung über die Gründlichkeit ihrer Mutter.

Mrs. Potter hörte dies, aber sie blickte diesmal nur amüsiert. Sie machte noch einmal auf die einzige Abweichung aufmerksam, Maria war es für diese Nacht freigestellt entweder die leichte oder die strenge Haube zu tragen. Ansonsten war sie mit den Vorbereitungen sehr zufrieden.

Auch Maria machte einen sehr zuversichtlichen Eindruck. Sie freute sich besonders darauf, endlich mal mit Paul allein zu sein, auch wenn sie sich ihre gemeinsame erste Nacht sicher anders erträumt hatte.

* * *

Auf den Monohandschuh-Unterricht war Maria besonders gespannt. Sie war neugierig, was der Unterrichtende wohl von ihren Fähigkeiten halten würde. Auf der anderen Seite fragte sie sich auch, wie wohl die anderen Darstellerinnen der Katerina mit diesem Thema umgegangen waren. Nicht jede brachte solche Voraussetzungen mit wie sie selbst.

Mrs. Potter hatte sich bald nach dem Mittagessen verabschiedet. So hatten Paul und Maria zunächst ein paar sehr kostbare Minuten, in denen sie ganz allein waren und die sie unbefangen miteinander verbringen konnten. Doch Marias Vorfreude auf den Unterricht ließ nicht wirklich Ruhe aufkommen. Paul spürte ihre innere Ungeduld, obwohl sie äußerlich einen sehr ruhigen Eindruck machte. Doch mittlerweile konnte er schon etwas in seine oft noch sehr rätselhafte Freundin hinein blicken.

»Ob ich wohl meinen Handschuh mitnehmen sollte?« Maria blickte Paul mit lustvollen Augen an.

Paul fühlte sich durch den Blick geschmeichelt, doch er bemühte sich, ernst zu bleiben. »Stand davon etwas im Stundenplan?«

Maria nahm die umfangreiche Mappe zur Hand, die Renate zur Vorbereitung da gelassen hatte. Fast hastig begann sie darin zu blättern. Schließlich hatte sie die richtige Seite gefunden. Sie ließ ihren Blick über den Inhalt schweifen, dann blickte sie Paul etwas ratlos an. »Hier steht nichts davon.«

Paul dachte nach. »Die Darstellerin wird so etwas wohl nicht besitzen.«

Maria musste lächeln.

»Es ist ja nicht jede so wie Du.« dachte er laut und lächelte zurück. Dabei ging ihm durch den Kopf, wie seltsam Marias Alltag doch war. Dann blickte er zur Uhr. »Wir müssen dann bald los.«

Maria warf noch einmal einen Blick auf das weiße Lederbündel, welches im Moment sehr unschuldig auf der Kommode lag. Dann schien sie sich entschlossen zu haben. Fast etwas übertrieben theatralisch zog sie den Handschuh zu sich heran und begann ihn sowohl vorsichtig als auch sorgfältig zusammenzufalten. Ihr Blick hatte beinahe etwas Verliebtes dabei.

Paul sah ihr staunend zu, als sie ihn fast liebevoll in ihre Tasche packte.

Maria stand auf und ging zu ihrem Schrank. Sie nahm das weiße Cape heraus und hängte es sich um. »Machst Du mich zu?« Sie lächelte Paul an.

* * *

Es war ein recht kleines Haus mit einem sehr gepflegten Vorgarten, vor dem sie jetzt standen. Auf dem Klingelschild stand in kleinen Buchstaben 'Weiterer'.

Paul drückte auf den Knopf, dann warteten sie. Es dauerte lange, bis sich etwas tat. Sehr lange. Irgendwie hatte Paul ein ungutes Gefühl, aber er wollte Maria nicht die Vorfreude verderben.

Endlich ging die Tür auf und ein älterer Mann schob sich langsam aus dem Haus. Er blickte stirnrunzelnd auf die beiden Besucher. »Was wollt ihr hier?«

»Wir kommen wegen des Trainings.« Marias Stimme klang verunsichert.

Das Gesicht des Mannes verdunkelte sich. Er blickte das Paar jetzt ziemlich unfreundlich an und bat sie herein. Er murmelte etwas.

Paul glaubte so etwas wie »verzogene Bagage« verstanden zu haben.

»Habt ihr den Bericht dabei, Baroness Sophie?« Herr Weiterer gab sich keine Mühe freundlich zu sein.

Paul glaubte sich verhört zu haben. Fast wollte er mit Marias Namen herausplatzen, doch dann kam seine Freundin ihm zuvor.

»Welchen Bericht?« Maria verstand noch gar nicht, was gerade ablief.

»Den von Doktor Frauenstein.« In der Stimme kam jetzt noch Kälte dazu.

Maria blickte ratlos. »Wer soll das sein?«

»Ich dachte mir schon, dass Euch dafür die Zeit fehlt, Baroness Sophie.« Er wurde noch etwas ungehaltener. »Keinen Sinn für Pflichten mehr, nur noch Vergnügen im Kopf.« Er holte verärgert Luft. »Verzogene Bagage.« Diesmal war es deutlich zu verstehen.

Paul begriff endlich. Der alte Mann verwechselte Maria mit Sophie, der bislang bekannten Darstellerin. Anscheinend hatte Herr Weiterer noch nichts von Sophies Unfall erfahren. Er versuchte das Missverständnis aufzuklären. »Aber das ist doch nicht Sophie...«

Er konnte nicht weiter sprechen, denn der alte Mann fuhr ihn grob an. Er solle sich da heraus halten. »Nur noch Männer im Kopf, aber keinen Sinn für Pflichten.« Er wandte sich wieder an Maria. »Habt ihr den Bericht mitgebracht, Baroness Sophie?« Seine Stimme klang schon ziemlich verärgert.

Maria blickte ihn verängstigt an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, da sie nicht wusste, welchen Bericht er meinte. Fieberhaft versuchte sie, sich an ihren Ausbildungsplan zu erinnern. Doch da war nirgends von einem Arztbesuch die Rede gewesen. Doch auf einmal fiel ihr ein, dass sie ja noch beim Orthopäden einen Termin hatte. Sie musste sich erst räuspern und schlucken, bevor sie antworten konnte. »Ich habe den Termin erst am Dienstag.«

»Und was wollte ihr dann heute schon ihr, Baroness Sophie?« Er blickte verärgert auf Maria. »Ich darf erst mit Euch trainieren, wenn ich den Bericht gelesen habe.«

Nur nebenbei fiel es Paul auf, dass er trotz seines Ärgers bemüht war, stets den richtigen Titel für Sophie zu benutzen.

Maria begriff noch nicht, was diese Worte für sie bedeuteten. Sie versuchte zu erklären, dass es wegen ihrem Urlaub zu Terminschwierigkeiten kam.

Doch kaum hatte sie das Wort Urlaub ausgesprochen, da konnte sie auch schon nicht mehr weiter sprechen, da ihr der Mann ins Wort fiel. »Urlaub, ja natürlich. Nur an das eigene Vergnügen denken.« Er war fast außer sich. »So kenne ich es. Und dazu keinen Respekt mehr vor dem Alter.«

Maria begriff, das sie mit Erklärungen nicht weiter kam. Sie nahm ihren Handschuh aus ihrer Tasche und blickte den Mann verunsichert an. »Dürfte ich denn trainieren?«

Die Antwort kam messerscharf. »Nein, nicht ohne den Bericht.«

Maria lief eine Träne über die Wange.

Der alte Mann ließ sich davon nicht beeindrucken. Oder vielleicht doch? Auf jeden Fall schien er nachzudenken. »Ihr könntet schon einmal etwas Gymnastik machen.«

Paul konnte nur ahnen, was in diesem Moment in Maria vorging. Bis vor Kurzem hatte er sie noch sehr freudig und erwartungsvoll erlebt. Er wusste, wie sehr sie sich auf den Handschuhunterricht gefreut hatte.

Paul sah sehr verzweifelt zu, wie der Lehrer Maria ein paar sehr einfache Gymnastikübungen zeigte. Er wollte Maria unbedingt helfen, doch er hatte einfach keine Idee, wie er das anstellen könnte. Doch dann hatte er eine Idee. Er flüsterte Maria kurz seinen Plan zu, dann zog er sich seine Jacke über und ging hinaus. Auf dem Weg hierher hatte er einen Zeitungskiosk gesehen und diesen suchte er jetzt auf, um dort eine Zeitung von heute zu kaufen. Der Bericht über Maria würde Herrn Weiterer sicher überzeugen.

Doch auch von dem Bericht in der Zeitung ließ sich der alte Mann nicht beeindrucken. Mit einem wirschen »Die schreiben doch eh nur, was sie wollen!« wischte er die Zeitung weg, als Paul ihm den Bericht über Maria zeigen wollte.

* * *

»Bitte halte mich fest.« Marias Stimme war recht leise. Ihre Enttäuschung war deutlich zu hören.

Paul legte zärtlich seinen Arm um seine Freundin. Er wusste auch nicht, was er sagen sollte. Schweigend gingen sie nebeneinander her. Keiner brachte ein Wort heraus. Nur langsam tauchten sie wieder aus der betrübten Stimmung auf.

In der Küche stand ein kleines Schild: »Stärkt Euch noch einmal. Es steht was im Kühlschrank. Und dann alles Gute für die Schöne Nacht!«

Maria entdeckte einen kleinen Teller mit leckeren Schnittchen. Sie stellte ihn auf den Tisch neben das Schild. Es erinnerte sie daran, was heute noch an lag.

Paul hatte ein ziemliches Grummeln im Magen, als er über das Schild und seine Bedeutung nachdachte. Doch auch er griff zunächst zu und ließ sich wie seine Freundin die Schnittchen schmecken.

Maria fasste sich als Erste wieder. »Den Handschuh-Unterricht hatte ich mir schon anders vorgestellt.« Die Enttäuschung war deutlich in ihrer Stimme zu hören.

Paul griff es auf. »Wann hast Du denn den Termin beim Orthopäden?«

Maria blickte auf den großen Kalender an der Wand. »Am Dienstag?«

»Das heißt, bis dahin darfst Du den Handschuh nicht mehr tragen?« Er grinste.

Maria blickte ihn verblüfft an. Dann erkannte sie den Witz. Sie lachte und schüttelte den Kopf. »Das wäre ja noch schöner.« Ihre Laune besserte sich etwas.

Paul freute sich, dass er Maria wenigstens ein wenig aus ihrer trüben Stimmung reißen konnte.

Maria blickte auf die Uhr und seufzte. »Ich gehe mich dann mal umziehen. Ich mag heute nur noch ins Bett.«

Paul schreckte auf und blickte Maria unsicher an.

Diese fing diesen Blick auf und kam auf ihn zu. Sie nahm seine Hand und streichelte sie. »Das wirst Du schon schaffen. Ich helfe Dir.«

Paul dachte mit. »Aber da war doch...«

Maria ahnte, was er wollte. »Ich darf heute die leichte Haube tragen, ich kann dir also die ganze Zeit sagen wenn etwas nicht stimmt.« Sie war sehr froh, dass ihr der verhasste Mundschutz erspart blieb. Sie sprach dies laut aus.

Doch Paul war zu Marias Erstaunen auf einmal neugierig. »Was hat es eigentlich mit diesem Mundschutz auf sich?« Dadurch, dass Maria ihn nicht tragen musste, traute er sich danach zu fragen.

Maria war über das Interesse von Paul in diesem Moment gar nicht so erfreut. Doch sie wollte ihn auch nicht zurückweisen, denn irgendwann musste er ja doch alles erfahren – sollte er alles erfahren... ....in diesem Moment wollte sie den Gedanken nicht zu Ende denken, da sie ahnte, dass er sie sehr weit führen würde – weiter, als sie es in diesem Moment wahrhaben wollte. »Komm, wir gehen hoch, dann kann ich es Dir zeigen.«

In ihrem Zimmer angekommen, ging Maria auf den Tisch zu und nahm die kleine Box heraus, in der Mundschutz untergebracht war. Sie nahm ihn heraus und hielt ihn Paul hin.

Dieser nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn neugierig. Doch so richtig verstand er noch nicht.

»Es ist sehr demütigend, weil ich danach gar nichts mehr sagen kann. Es macht mich sehr hilflos.« Unbewusst wurde Marias Stimme sehr leise.

Pauls Stimme zitterte ebenfalls etwas. »Und wie...« er konnte nicht weiter sprechen. Er blickte in Marias Augen. Ganz langsam, fast unbewusst hob sich sein Arm und der Mundschutz näherte sich Marias Mund.

Maria spürte auf einmal ein ganz seltsames Kribbeln im Bauch. Sie sah ihm tief in die Augen und langsam öffnete Sie ihren Mund. Sehr behutsam schob Paul den Mundschutz in Marias geöffneten Mund. Er spürte einen kurzen Widerstand und hielt inne. Doch ein Blick in Marias Augen ermutigten ihn, weiter zu machen.

Ihre beiden Herzen klopften laut.

Sehr vorsichtig schob Paul das Plastikteil weiter in Marias Mund. Erst als es die Lippen seiner Freundin passiert hatte, signalisierte sie ihm, dass es genug war. Langsam schloss sie ihren Mund und blickte ihn mit großen Augen an.

Ohne groß nachzudenken legte Paul seinen Arm um Maria und zog sie langsam an sich heran. Sie blickten sich tief in die Augen. Langsam näherten sich ihre Lippen.

Marias Herz klopfte sehr laut. Es war so aufregend. Paul hatte ihr den sonst so verhassten Mundschutz eingesetzt und sie entdeckte auf einmal völlig neue, ja mehr als angenehme Gefühle dabei. Sie genoss seine Zärtlichkeit und begann leise zu stöhnen. Mehr blieb ihr nicht wegen der sehr gut sitzenden Mundfüllung.

* * *

Nur sehr langsam ließen sie wieder voneinander ab. Marias Augen leuchteten und strahlten. Sie blickte mir sehr verliebten Augen auf den Tisch, auf dem die Sachen für die schöne Nacht lagen. Nur kurz fragte sie sich, wie sich wohl die anderen Sachen an fühlen würden, wenn Paul damit umging.

Paul hatte ihren Blick aufgefangen und nahm dies als Signal, anzufangen. Er hoffte, dass er sich alles richtig gemerkt hatte und blickte Maria fragend an. »Du möchtest anfangen.«

Maria versuchte »Ja« zu sagen, doch sofort spürte sie die Knebelwirkung ihres Mundschutzes. So blieb ihr nur ein vorsichtiges und schüchternes Nicken. Dann griff sie sich die beiden Stiefel und setzte sich langsam auf das Bett.

Paul blickte sich verwundert um. »Müsstest Du Dich nicht erst umziehen?«

Es war, als würde Maria aus einem Traum gerissen werden. Sie blickte Paul verblüfft an. Dann machte sie langsam den Mund auf und nahm sich selbst den Mundschutz heraus. »Es ist wohl besser wenn ich das erst später trage.« Sie lächelte geheimnisvoll. »Du hast Recht, ich muss mich noch umziehen.«

Auf dem Tisch lag ebenso deutlich das große Schlüsselbund, welches Maria sich jetzt griff. Sie blickte noch einmal sehr verliebt auf Paul, dann ging sie ins Nebenzimmer. »Bis gleich.«

Paul ging zum Tisch und warf einen Blick auf die Gegenstände, die auf dem Tisch lagen. Er nahm sich die Mappe zur Hand und begann darin zu blättern. Es waren diverse Schönheitsprogramme darin beschreiben. Paul erschauderte, denn es gab Vorschriften, die noch weitaus strenger waren. Und es gab auch welche, die noch aufwendiger anzulegen waren. Er fragte sich, warum Maria all dies bloß auf sich nahm. Gleichzeitig überkam ihm ob der großen Hilflosigkeit und Ausgeliefertheit ein seltsamer Schauer. Von dieser Mappe und ihren Konsequenzen ging eine seltsame Faszination aus.

* * *

Leise öffnete sich die Tür und eine fast schneeweiße Maria trat herein.

Wieder erschauderte Paul, denn er wusste noch von letzter Woche, dass später, wenn Maria fertig »verpackt« war, von diesem Weiß nichts mehr zu sehen sein würde.

Er räusperte sich und dachte noch einmal über die Worte nach, die er sich zurecht gelegt hatte. Er hoffte, Maria damit eine Freude zu machen und ihnen beiden ein wenig die Nervosität zu nehmen. »Nun denn Prinzessin, seid ihr bereit für Eure Schöne Nacht?«

Maria blickte ihn verblüfft an, dann lächelte sie. »Ja, mein holder Prinz, die Prinzessin ist gewappnet.« Sie ging auf ihn zu und blickte ihn mit verliebten Augen an. »Doch zuvor sehnt sich die Prinzessin nach einem Gute-Nacht-Kuss« Sie blickte ihn bittend an.

Dieser Bitte kam Paul gern nach. Er nahm Maria in seine Arme und während er spürte, dass sie diesmal offensichtlich kein Metall trug, näherten sich ihre Lippen. Ihre Körper schmiegten sich sanft und zärtlich aneinander.

* * *

Maria seufzte. »Wir müssen anfangen, mein Prinz.«

Paul warf noch einmal einen Blick auf die Mappe und seine Stimme zitterte. »Nun denn, wenn es Euer Wunsch ist.« So langsam hatte er sich an dieses Spiel gewöhnt.

Maria nahm sich die Stiefel, die schon neben dem Bett standen, und schlüpfte hinein. Sehr behende hatte sie sich die Stiefelschnürung geschlossen und blickte suchend um sich.

Paul lächelte amüsiert. »Es scheint, die Prinzessin bedarf meiner Hilfe gar nicht.«

Maria lächelte ebenfalls, doch dann ließ sie ihren Blick suchend über den Tisch gleiten. »Wo sind denn die eisernen Siegel?«

Paul schaute verwundert erst auf Maria, dann auf den Tisch. Erst als er dort die kleinen Vorhängeschlösser liegen sah, wusste er, was Maria meinte.

Er warf einen genaueren Blick auf die Schlösser und sah, dass sie sogar eine Beschriftung hatten. Er suchte die beiden für die Stiefel heraus und gab sie Maria. »Ich bewundere die Sorgfalt ihrer Hoheit.«

Maria war nicht ganz klar, ob er sie oder ihre Erzieherin und das Programm meinte. Sie führte die Bügel an die vorgesehenen Stellen und ließ die Schlösser mit einem leisen »Klick« ein schnappen. Wieder stellte sich bei Paul die Gänsehaut ein und er war mehr als fasziniert von der Konsequenz, mit der Maria sich dem Programm unterordnete. Auch wenn er immer noch nicht wusste, was das Programm eigentlich war.

Erst Marias Keuchen riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah, wie sie versuchte, sich am Bett festzuhalten und aufzustehen. Es fiel ihm wieder ein, dass jetzt das große Korsett an der Reihe war. Er fühlte einen großen Kloß im Hals. Zunächst musste er Maria helfen, das Trapez zu erreichen.

Er ging auf Maria zu und stellte sich neben sie, um ihr notfalls helfen und sie festhalten zu können. Doch er wagte es nicht, sie jetzt zu berühren. Er hatte noch die Worte von Mrs. Potter im Ohr, dass Maria dies stets allein machen wollte.

Doch zu seiner Überraschung flüsterte Maria leise. »Ihr könnt mich schon etwas festhalten, mein Prinz, dann fällt es mir leichter.«

Paul wunderte sich sehr, doch er wusste nichts zu sagen.

Maria ahnte, um was es ihm ging. »Ich mag es nur nicht so sehr, wenn sie mich anfasst.« Sie blickte Paul sehr verliebt an.

Dermaßen ermutigt legte Paul seinen Arm um Marias Schultern und führte sie in Richtung des Trapezes. Er wartete, bis sie ihre Arme in den Schlaufen eingehängt hatte und sich festhielt.

»Danke mein Prinz, jetzt könnte ihr mir die Rüstung anlegen.« Ein leises Zittern war in ihrer Stimme zu hören.

Paul stutzte einen Moment, dann erst fiel ihm ein, dass sie mit Rüstung das sehr strenge Korsett meinte. Er ging zum Tisch, um die riesige Lederhülle zu holen.

Diesmal wusste er, wie er mit dieser schweren Lederhülle umzugehen hatte und deswegen tat sich Maria leicht, die Arme nacheinander durch die Löcher zu stecken und dann wieder in die Lederschlaufen zu hängen. Dann stieß sie mit den Füßen den Hocker weg.

Paul nahm das erste der vielen Schnürbündel zu Hand und begann seine Freundin wunschgemäß in das Korsett ein zuschnüren. Er erschauerte immer noch bei dem Gedanken, wie streng dieses Korsett doch war.

* * *

Es dauerte lange bis das Korsett so geschlossen war wie letzte Woche. Nur mit viel Mühe gelang es Paul, die letzten Schnüre fest zu ziehen. Dann war seine erleichterte Stimme zu hören. »Ich hoffe, die Prinzessin ist zufrieden mit ihrem Prinzen.«

Maria versuchte ihren Körper in der Lederumhüllung zu bewegen, doch als sie spürte, wie streng sie eingeschnürt war, glitt ein entspanntes Lächeln über ihr Gesicht. »Ich bin sehr zufrieden mit Euch, mein Prinz« Sie blickte auf ihr Bett. »Jetzt könnte ihr mir helfen, zum Bett zu kommen.«

Paul war verwundert. Er hätte doch jetzt eigentlich das Trapez langsam herunter lassen müssen. Er äußerte dies.

»Nur ein Stück.« Maria blickte ihn herausfordernd an. »Ich möchte einmal versuchen, hiermit zu gehen, wenn mich mein Prinz gut festhält.«

Paul blickte sie verunsichert an. So hatten sie letzte Woche dies aber nicht getan. Doch er wollte Maria den Wunsch nicht abschlagen.

Nur Millimeterweise kam Maria voran, da sie wegen dem Korsett und den Stiefeln ohne Absatz nur winzigste Schritte machen konnte. Doch ihr Ehrgeiz war ihr gut anzusehen, zumal sie spürte, dass Paul sie nicht umfallen lassen würde.

Paul war hochkonzentriert und versuchte jede auch noch so winzige Regung von Maria sofort wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren. Er wollte ihr Vertrauen nicht enttäuschen. Gleichzeitig bewunderte er ihre Kraft und ihre Entschlossenheit, mit der sie gegen ihre Einschränkungen kämpfte.

Sie keuchte heftig. Doch nur sehr langsam kam das Bett näher. Es war nur ein sehr leiser Freudenschrei, als Maria mit ihren Beinen sanft gegen das Bett an stieß. Sie hatten es geschafft. »Jetzt könnt ihr mich zur Ruhe betten.« Auch Maria hatte sich ein paar Sätze zu ihrem Spiel überlegt.

Ihre Augen strahlten sehr, als Paul sie mit viel Kraft in die Mitte des Bettes geschoben hatte.

Paul hatte sich fast etwas erschöpft neben sie gesetzt und wollte jetzt gerade aufstehen um weiterzumachen, als Maria plötzlich seine Hand ergriff. Sie blickte ihn verliebt an und flüsterte ein leises »Danke.«

Paul wurde mutiger. Er setzte ein verblüfftes Gesicht auf und blickte Maria mit deutlich gespieltem Ernst an. »Mir scheint, die Prinzessin kann sich noch zu frei bewegen?«

Maria lächelte kurz, dann griff sie den Gedanken auf. »Ihr könntet recht haben, mein Prinz.« Sie versuchte den Kopf zu heben, um in Richtung Tisch zu blicken. Doch zu beider Erstaunen war ihr dies schon nicht mehr möglich. Dennoch wollte sie im Spiel bleiben. »Was habt ihr denn noch anzubieten, mein lieber Prinz?«

Jetzt, da das Schwerste vorüber war, konnte Paul sich etwas entspannen. Er ließ seinen Blick zum Tisch wandern. »Da wären noch ein paar feine Korsetts für die Arme.« Er musste schlucken. »Und noch ein paar warme Handschuhe.«

Maria lächelte wegen seiner netten Formulierung. Dann hielt sie ihm den Arm hin. »Nun denn mein Prinz, ihr dürft fortfahren.«

Mit den beiden Armkorsetts tat sich Paul diesmal besonders leicht.

Schon bald darauf zeigten ihm Marias strahlende Augen, wie sehr sie mit Paul zufrieden war.

So ermutigt, nahm Paul die beiden Handschuhkästen vom Tisch. Er klappte einen auf und schob ihn unter Marias Hand. Sanft streichelte er noch einmal über Marias Hand und hörte, wie Maria dabei leise stöhnte. Dann klappte er den Kasten zu und drückte ihn so lange zusammen, bis das Schloss einrastete. Genauso verfuhr er mit dem anderen Handschuh.

Er blickte auf den Tisch. Dort lagen noch die beiden Kopfhauben, der Mundschutz und jede Menge Riemen. Lange und kurze.

Maria hob ihren so streng eingepackten Arm, um ihm zu zeigen, was er noch machen musste Ein Wort brachte sie im Moment nicht heraus.

Doch Paul verstand auch so, was er als nächstes tun musste Gleich darauf konnte Maria auch ihre Arme nicht mehr bewegen.

* * *

Paul wandte sich den beiden Kopfhauben zu und nahm in jede Hand eine. Links die einfache und rechts die strenge mit dem Mundschutz. Er ging auf Maria zu und blickte sie stumm an.

Maria spürte die Anspannung genauso. Sie ließ ihren Blick ein paar Mal zwischen den beiden Masken hin und her pendeln. Es war ihr anzusehen, dass sie mit sich kämpfte. Schließlich blieb ihr Blick auf der strengen Variante haften.

Paul folgte ihrem Blick und vor Erstaunen brachte er zunächst kein Wort heraus. Doch dann erinnerte er sich an letzte Woche und so beugte er sich zu Maria herunter und gab ihr einen langen zärtlichen Kuss »Gute Nacht, meine Prinzessin. Ich hoffe, ihr werdet eine ruhige Nacht haben.«

Maria musste trotz der Anspannung etwas lachen. »Danke mein Prinz. Ich denke, ich bin mit Euch zufrieden und es wird eine ruhige Nacht werden.« Dann fiel ihr Blick wieder auf den Mundschutz und trotz all der Strenge fühlte sie wieder so ein Kribbeln im Bauch.

Dennoch lag ihr noch etwas am Herzen. »Bitte bleibt bei mir diese Nacht. Streichelt mich, bis ich einschlafe.«

Paul musste schwer schlucken, er brachte es nur noch fertig zu nicken. Wieder fixierte Maria ihren Blick auf dem Mundschutz, und langsam machte sie ihren Mund auf.

Paul war fast so etwas wie hypnotisiert, als er sehr vorsichtig Maria den Mundschutz einsetzte.

Maria schloss ihren Mund und blickte Paul sehr verliebt und glücklich an.

Paul nahm die Haube zur Hand und schob sie über Marias Kopf. Er hörte ihr leises Stöhnen und fühlte sich davon ermutigt. Wie letzte Woche schaffte er es, Maria so auf die Seite zu drehen, dass er die Haube schließen konnte. Dann drehte er Maria zurück auf das Bett.

Er blickte noch einmal auf den Tisch. Dort lagen immer noch ein paar Riemen. Doch er brachte es nicht übers Herz, Maria noch weiter zu fixieren.

Stattdessen hatte er etwas anderes vor. Er zog sich jetzt ebenfalls für die Nacht um, holte von dem anderen Bett im Nachbarzimmer Decke und Kissen für sich selbst und legte sich dann neben sie. Zärtlich begann er sie zu streicheln, und obwohl Maria sehr streng eingepackt war, war sie doch sensibel genug, um die Berührungen ganz leicht zu spüren.

Sie stöhnte ganz leise, und Paul fühlte selbst durch das so streng geschnürte Korsett, wie sie sich versteifte und erschauerte.

Bald darauf zeigte ihr ruhiger Atem, dass sie eingeschlafen war.

Paul legte sich dicht neben sie, drehte sich zu ihr und legte eine Hand auf ihren so harten Lederpanzer, durch den inzwischen ihre Körperwärme gut zu spüren war. Bald war auch er mit einem entspannten Lächeln eingeschlafen.

* * *

»Oh, hier duftet es ja lecker.« Die Stimme von Mrs. Potter klang sowohl freundlich als auch erstaunt. Sie blickte wohlwollend auf den sehr hübsch gedeckten Mittagstisch.

Maria und Paul freuten sich über das Lob. Doch Paul wollte bescheiden bleiben. »Ich koche oft für meine Oma und mich.« Es war Paul deutlich anzumerken, wie erleichtert er darüber war, dass Maria »schöne Nacht« jetzt hinter ihm lag.

Sie nahmen Platz und ließen es sich schmecken. »Es schmeckt wirklich so gut, wie es schon gerochen hat.« In ihrer Stimme klang viel Anerkennung mit.

»Ich hatte mich ja so auf das Handschuh-Training gefreut.« begann Maria auf einmal unvermittelt.

Ihre Erzieherin blickte auf. Sie kannte ihren Schützling gut genug um den Unterton zu hören. »Erzähl« bat sie.

Maria begann mit leiser Stimme von dem Besuch bei Herrn Weiterer zu erzählen. »Wenn ich wenigstens schon die Untersuchung vom Orthopäden gehabt hätte. Er hat mir quasi verboten, den Handschuh vorzuführen. Ich war den Tränen nahe.«

Paul stimmte zu. »Der alte Herr wollte auf nichts hören.« Mrs. Potter seufzte. »Das war sicher nicht schön. Wie lief es denn gestern Abend?« Sie wollte weg von dem Thema.

Paul wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Noch immer war er sehr beeindruckt von Sachen, die Maria auf sich nahm und er wusste nach wie vor nicht genau, warum sie das machte.

Maria hingegen war mit ihrem Freund zufrieden. »Du hast es sehr gut gemacht. Sei nicht so bescheiden.« Sie stupste ihn in die Seite.

Paul blickte sie erstaunt an. Dann musste er trotz der Anspannung auch etwas lachen.

* * *

»Du, ich würde Deiner Oma gern eine Freude machen, wenn sie heute zu uns kommt.« Sie stellte den Teller, den sie gerade abtrocknete, auf den Tisch und blickte Paul bittend an.

Paul brauchte nicht lange nachzudenken, um zu wissen, was sie bewegte. »Du möchtest wieder den Handschuh tragen.«

Das Leuchten in Marias Augen war die Antwort.

»Dann müsste ich dich wieder füttern?« fragte Paul mit herausfordernder Stimme.

Maria blickte ihn mit einer Mischung aus Lust und gespielter Naivität an. »Das wird dann wohl nötig sein.«

Mrs. Potter drehte sich vom Abwaschbecken weg und blickte das Pärchen kurz an. Dann klang ihre Stimme gespielt streng. »Wie wäre es, wenn ihr erst noch den Kaffeetisch decken würdet?«

Beide fühlten sich auf eine sehr zärtliche Weise ertappt und wandten sich wieder ihren Aufgaben zu.

»Meint ihr nicht,« ihre Stimme wurde noch strenger und Maria zuckte leicht zusammen, »das Selma sich über die neue Jacke noch mehr freuen würde?« Auf einmal war da ein Lächeln in ihrer Stimme.

Maria und Paul erkannten, dass sie der Erzieherin auf den Leim gegangen waren. Marias Augen wurden größer. »Dürfte ich denn?«

Die Erzieherin hatte gut verstanden, was die Jacke für Maria bedeutete. »Wenn ihr es nicht übertreibt.« Beide wussten, was gemeint war.

* * *

Es klingelte, und obwohl Paul wusste, dass es nur seine Oma war, war er etwas aufgeregt. Ein kurzer Blick auf Maria und ihre seltsame Jacke zeigten ihm den Grund dafür. Natürlich wusste Paul, für welchen besonderen Anlass Maria diese Jacke trug. Trotzdem fand er es toll, dass seine Oma dabei so eine wichtige Rolle spielte.

Aber da er ja bei Maria und Mrs. Potter nur zu Besuch war, konnte er nicht einfach aufspringen und zur Tür rennen. Erst als die Stimme von Mrs. Potter durch den Raum klang »Könnt ihr mal aufmachen?« blickte Paul mit fragendem Blick auf Maria.

Diese blickte ihn ermunternd an. »Ich kann ja nicht.« Dabei zuckte sie sehr süß mit ihren Schultern.

Jetzt konnte Paul aufstehen und mit einigermaßen sicheren Schritten zur Haustür gehen.

Maria ging mit bedächtigen Schritten hinterher. Sie war sehr begierig darauf, Pauls Oma ihr neues Trainingsgerät zu zeigen.

»Guten Tag Maria«, sie blickte Pauls Freundin erfreut an.« Das ist schön, dass Du die Jacke schon trägst.« Dann begrüßte sie Ihren Enkel.

Maria brachte nur ein verschämtes, aber stolzes Lächeln zustande.

Selma reicht Paul ihre Jacke, dann bat sie Maria, sich einmal um zudrehen. »Wie lange trägst du die Jacke jetzt schon?«

Maria musste sich erst einmal räuspern, bevor sie antworten konnte. »Ich habe sie eben erst angezogen.«

»Bewege mal deine Arme.« Selma fasste Maria vorsichtig an den Schultern an.

Maria war bemüht, dem Wunsch nachzukommen. »Du bist wirklich sehr gelenkig.«

Maria brachte ein leises, aber stolzes »Danke« hervor.

»Ich denke, du kannst ab morgen ein Loch enger tragen.« Sie spürte die Frage, die Maria sich nicht auszusprechen traute. »Ich werde es Doro sagen.«

Mrs. Potter kam auf den Flur. »Was willst Du mir sagen?« Sie begrüßten sich. »Kommt doch herein.«

Pauls Oma bemerkte, dass es schon gut nach Kaffee duftete. Dann deutete sie auf Marias Arme und erwähnte ihre Gelenkigkeit. »Maria darf ab Morgen die Arme ein Loch enger tragen.«

Die Erzieherin nahm es zur Kenntnis. Insgeheim freute sie sich über ihren besonderen Schützling.

Sie nahmen an der Kaffeetafel Platz. Paul verteilte den Kuchen und schenkte den Kaffee ein. Dabei fiel ihm auf, dass Maria von einer gewissen Unruhe getrieben war. Er konnte nur ahnen, was sie bewegte.

Es war die Erinnerung an das letzte Mal, als sie von Paul gefüttert werden musste, die Maria so erregte. Sie fragte sich, ob es diesmal wieder passieren würde.

Selma war neugierig. »Aber jetzt erzählt mal, wie war Euer Wochenende?« Beide Frauen blickten das Pärchen fragend an.

Paul fiel auf, das er seit Samstag Morgen nicht mehr nicht mehr bei seiner Oma gewesen war. Er berichtete von dem Anruf des Mathe-Lehrers und wie sehr er sich darüber gefreut hatte. Er war ja gleich zu Maria gelaufen, um die schöne Nachricht zu überbringen. Er wurde rot »Doch da bin ich wohl in etwas hinein geplatzt.«

Mrs. Potter musste lächeln, »Ja, du hast uns schon ziemlich erschreckt, denn wir hatten eigentlich mit der Schneiderin gerechnet.«

Marias Augen strahlten immer noch. »Es war aber eine schöne Nachricht.«

Oma Selma blickte neugierig auf das junge Paar.

»Maria hat in der Mathearbeit dreizehn Punkte geschrieben, also eine Eins minus.« Paul Stimme überschlug sich fast vor Lob.

Oma Selma freute sich ebenfalls für Maria.

Doch dann wurde Paul auf einmal sehr nachdenklich. Seine Stimme war hörbar verunsichert. »Ich dachte erst, du wärst nackt gewesen.« Das Sprechen fiel ihm sichtlich schwer. »Aber was hast du denn da angehabt?« Ihm war aufgefallen, dass er bis dahin noch nicht darüber gesprochen hatte.

Maria blickte ihre Erzieherin verlegen an. Sie wusste nicht, wie sie es erklären sollte.

Mrs. Potter fing diesen Blick auf und lächelte. »Das war ein hautfarbener Latex-Catsuit.«

Es war Pauls Gesicht anzusehen, das ihm diese Erklärung nicht wirklich weiter half. Aber er sah, das seine Oma verständnisvoll nickte. Er beschloss für sich, seine Oma später noch einmal danach zu fragen.

Jetzt schien es Maria leichter zu fallen, darüber zu reden. »Der ist von früher, von dem Weihnachtskleid.«

Mrs. Potter musste lächeln. »Das solltest Du aber besser von vorn erzählen.«

Maria holte noch einmal tief Luft. »Das Kaufhaus in der Fußgängerzone hatte in der Adventszeit eine ganz besondere Werbeaktion. Sie suchten eine Weihnachtsprinzessin, die für das Kaufhaus mehrmals auftreten sollte und dabei ein ganz besonderes Kleid tragen sollte.« Marias Augen leuchteten und es war ihr deutlich anzusehen, wie glücklich sie damals wohl gewesen sein mochte.

»Es war so ein Kleid mit sehr engem Korsett und einem großen Reifrock. So wie aus den Sissi-Filmen. Ein Museum hatte es zur Verfügung gestellt, und da es sehr klein war, kam kaum jemand für das Tragen in Frage. Zudem konnte es nur getragen werden, wenn die Trägerin sich vorher in ein strenges Korsett ein schnüren ließ.«

Marias Stimme wurde leiser. »Ich habe meine Mutter bekniet, dass ich mich für die Aktion bewerben durfte. Zuerst wollte sie es nicht erlauben, doch ich blieb hartnäckig.«

Mrs. Potter wandte sich kurz an Selma. »Frederike hat ihr damals viel zu viel durchgehen lassen.«

Maria blickte ihre Erzieherin mit einer Mischung aus Angst und Erstaunen an.

Erst als ein Lächeln im Gesicht der Erzieherin zu sehen war und damit die Worte als einen Scherz erkennen ließ, entspannte Maria sich wieder. »Doch schließlich hatte ich sie soweit, dass sie mich zu einer Anprobe begleitete. Es waren ohnehin nur noch vier Kandidatinnen übrig. Das Kleid hatte schon sehr kleine Maße und doch war ich optimistisch, dass es mir vielleicht passend könnte.«

Ihre Augen strahlten, während sie erzählte. »Doch dabei war noch eine recht seltsame Bedingung. Das Kleid war sehr kostbar und es sollte nicht durch die Transpiration der Trägerin beschmutzt werden, deswegen musste die Trägerin so einen dünnen Schutzanzug darunter tragen. Das hat die drei anderen Kandidatinnen vertrieben.«

Immer noch war in Marias Augen so etwas wie Triumph zu sehen. »Ich werde nie vergessen, wie ich das Kleid das erste Mal tragen durfte. Ich war sehr aufgeregt und meine Mutter musste mich oft bremsen und beruhigen. Diesen seltsamen Schutzanzug habe ich gar nicht wahrgenommen, er lässt sich wirklich wie eine zweite Haut tragen. Darüber wurde mir ein Korsett geschnürt, sehr eng, ich konnte kaum noch Luft holen.«

Es war gut zu sehen, wie Maria jetzt noch sich an das Gefühl zu erinnern schien. »Dann kam das Kleid darüber. Es konnte gerade so geschlossen werden. Da es ein historisches Kleid war, musste ich darin eingenäht werden. So war das früher. Das war sehr aufregend. Ich sah aus wie Sissi. Dann hatte sie noch eine barocke Perücke vorbereitet und die wurde mir aufgesetzt. Ich war sehr stolz, als ich mich im Spiegel sehen konnte. Ich hatte dann diverse Auftritte und konnte mich mehrere Tage lag wie Sissi fühlen. Das war schöner als Weihnachten. Und dann durfte ich diese seltsame Gummihaut und das Korsett behalten. Das war toll.«

Sie seufzte »Meine Mutter hat es nicht gern gesehen, wenn ich es trug, deswegen habe ich es anfangs immer nur heimlich getragen. Sie hat mich mehrmals dabei ertappt, aber sie hat nichts gesagt. Ich habe bloß gespürt, das es ihr wohl nicht recht war. Aber da sie nicht geschimpft hat oder verlangt hat, dass ich es ausziehen soll, habe ich es anbehalten.«

»Doch dann kam Amerika und damit wurde alles anders.« Marias Stimme wurde auf einmal seltsam ernst. »Sie hat mir nicht wirklich ein Wahl gelassen. Obwohl sie mich gefragt hat und wir drüber gesprochen haben, war sowohl ihr als auch mir klar, das es für mich nur eine Lösung gäbe.«

Mrs. Potter unterbrach sie. »Erzähle bitte der Reihe nach.«

Maria musste einen Moment überlegen. »Ja, gut. Eines Tages kam ein wichtiger Brief aus Amerika. Ihr damaliger Chef hatte sie für die Leitung einer Klinik dort vorgeschlagen und sie wurde angenommen. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Es war für mich sofort klar, dass ich nicht dorthin wollte. Aber ich wollte ihr auch nicht im Weg stehen. Ich glaube, in der Nacht habe ich fast nur geweint.«

Maria warf einen bedeutungsvollen Blick auf ihre Erzieherin. »Doch schon am nächsten Tag stand eine Erzieherin in der Tür und ich glaube, die ersten Tage habe ich mich wohl sehr blöd benommen.«

Sie schien nachzudenken. »Ich war rebellisch, denn ich wollte keine Erzieherin, aber auch nicht meiner Mutter im Weg stehen. Ich war hin und her gerissen.«

Mrs. Potter musste lächeln. »Deine Reaktion war total verständlich. Ich hätte wohl auch so reagiert.«

Jetzt schien es fast, als wollte die Erzieherin weitererzählen. »Ich musste dich bloß ein paar Tage beobachten um zu wissen, wie ich mit dir umzugehen hatte.«

Maria blickte sie vergnügt an. »Ja, das hast Du wirklich sehr schnell geschafft.«

Sie schien kurz nachzudenken. »Ich glaube der Schlüssel war, dass Du mir das Korsett erlaubt hast. Und nicht nur das, Du hast auch dafür gesorgt, dass ich ein neues viel strengeres bekommen habe. Das hat mich sehr beeindruckt.«

»Ich habe gespürt, wie sehr dich die Prinzessinnen und ihre Mode fasziniert haben. Und das habe ich ausgenutzt.«

Maria lächelte dankbar. »Das war eine schöne Zeit. Wir haben gespielt.«

Sowohl Paul als auch Oma Selma blickten etwas verständnislos. Nur am Rande bemerkte Paul, dass Maria beim Schwelgen in ihren Erinnerungen ihre Erzieherin plötzlich duzte wie eine alte Freundin.

»Wir haben Hofzeremoniell gespielt. Prinzessin und Hofdame.«

Paul kam dies recht bekannt vor.

Jetzt war es Maria, die den Faden unterbrach. »Doch dann wurde es auf einmal ernst. Meine Mutter hat mir angeboten, dass ich an einem Experiment teilnehmen sollte. Sie sollte neue Erziehungsmethoden entwickeln und ich sollte ihre Ideen und Methoden ausprobieren. Sie ist extra nach Deutschland gekommen, um uns ihre Ideen zu erklären.«

Marias Stimme klang immer noch sehr beeindruckt: »Anfangs musste ich ziemlich schlucken. Mein ganzer Tagesablauf wäre vorgegeben und ich müsste ständig gehorchen und würde überall unter Kontrolle stehen, sogar die Schule würde sie einweihen.«

Paul wurde sichtlich nervös.

»Sie hat mir viel Zeit zum Nachdenken gelassen, und auch Mrs. Potter war in dieser Zeit sehr nachgiebig. Immer wieder habe ich ihre Unterlagen durchgeblättert und mich mit dem künftigen Programm vertraut gemacht. Und immer stärker wurde in mir ein Gefühl, das mir sagte, 'Ja, das möchte ich auf mich nehmen.' Irgendwas sagte mir, das ich in dem Programm Geborgenheit und Sicherheit finden könnte. Sie war mittlerweile wieder zurück in die Staaten und ich habe mit ihr telefoniert. Sie war sehr entgegenkommend. Sie hat von mir verlangt, noch eine Woche darüber zu schlafen, und dann wollte sie meine Entscheidung haben. Das Ende dieser Woche konnte ich kaum erwarten. Wie das Programm ausseht, habt ihr ja schon mitbekommen. Es ist schon einige Abwechselung dabei, aber im großen Rahmen ist alles streng vorgegeben.«

Es herrschte kurz Stille. Alle schienen über das Gesagte nachzudenken.

Mrs. Potters Stimme klang wichtig. »Doch jetzt wird sich das alles ändern.«

Maria blickte etwas fragend in das Gesicht ihrer Erzieherin.

»Jetzt wirst du bald die Katerina spielen und dafür ist das Programm aufgehoben.«

Maria sagte ein »Ja richtig.« Sie versuchte etwas mit den Armen zu zucken. »Dafür trainiere ich ja schließlich.«

»Wie läuft es denn mit den Festvorbereitungen?« wollte Selma wissen.

Paul hatte den Eindruck, dass seine Oma absichtlich das Thema wechselte.

»Es fängt nicht gut an.« Maria stöhnte leise. »Ich habe meinen Spielpartner kennen gelernt, den Neffen vom Baron, Franz-Ferdinand.« Sie erzählte, wie sie mit ihm zusammengetroffen war und wie arrogant und egoistisch er sich aufgeführt hatte.

Oma Selma schien ihn zu kennen, genauso wie Mrs. Potter. Beide waren erstaunt bis entsetzt, dass dieser die Rolle des Herzogssohns spielen sollte. Sie bedauerten Maria.

»Und dann war da auch noch der Lehrer für das Handschuhtragen.« Die Enttäuschung war immer noch deutlich in ihrer Stimme zu hören. Sie blickte traurig zu Paul. »Könntest Du es erzählen?«

Paul war noch sehr in Gedanken versunken und fasziniert von den Dingen, die er bisher erfahren hatte. Doch jetzt riss er sich zusammen und berichtete den beiden Damen, was sich bei dem alten Lehrer zugetragen hatte und wie starrsinnig er sich benommen hatte. »Ich glaube, er dachte ständig, dass er die Baroness vor sich hatte. Er hat Maria immer Sophie genannt.«

Selma war überrascht. »Ich kenne ich eigentlich von früher her. So starrsinnig war er damals allerdings nicht. Ich werde mit ihm reden.«

Maria war immer noch enttäuscht. »Er wollte mich überhaupt nicht anhören und er hat auch nicht erlaubt, dass ich ihm meinen Können vorführe.«

* * *

Paul ging schweigend neben seiner Oma her. Er war sehr in Gedanken versunken und dachte über dieses so außergewöhnliches Wochenende nach. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er durch den Themawechsel zu den Festvorbereitungen über den eigentlichen Sinn und Zweck von Marias seltsamem Erziehungsprogramm noch gar nichts erfahren hatte.

Auch seine Oma war von dem Kaffee-Nachmittag noch sehr beeindruckt. »Maria ist schon etwas Außergewöhnliches.«

Paul musste sich erst räuspern, bevor er antworten konnte. Seine Stimme klang sehr ernst: »Wie kann ich ihr am besten helfen?«

»Es wird noch sehr viel Neues auf euch einströmen.« Sie blickte liebevoll zu ihrem Enkel. »Sei immer sehr vorsichtig und geduldig. Sorge dafür, dass Du immer für Maria da sein kannst.«

Sie gingen ein paar Schritte weiter. »Sie wird oft Halt brauchen und nur Du kannst ihr den geben.«

Neben seiner Verliebtheit fühlte Paul auch ein wenig Stolz.

»Ich habe den Eindruck, ihr Erziehungsprogramm ist für Euch beide gut, und wenn ihr weiterhin so füreinander da seid, dann wird es Euch fest zusammenschweißen. Du hast in ihr einen großen Schatz gefunden. Hüte ihn gut.«